Buch lesen: «Unser Urlaub in Tatastan»

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Peter Wipper

Unser Urlaub in Tatastan

Sonnig, sandig, billig - und man spricht Deutsch!

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Unser Urlaub in Tastatan

Impressum neobooks

Unser Urlaub in Tastatan

Es war die typische Februar-Samstagmorgen-Frage: Wohin in den Sommerurlaub? „Strand“, sagten die Kinder. „Sonne!“, lechzte meine Frau. „Billig!“, fügte ich hinzu. „Also“, resümierte ich, „sandig, sonnig, billig“, und machte mich gleich an die Arbeit mit der Internet-Recherche. Ich wusste, es würde ein langes Wochenende werden. Meine restriktiven Budgetvorgaben, die Ansprüche meiner Frau und die Badestrand-Fixierung meiner Töchter standen in einem deutlichen Widerspruch, einer Art diabolischem Dreieck, zueinander, zumal die schlimmste Anforderung war: „Und das bitteschön in den nordrhein-westfälischen Schulferien!“. Gut, ich hätte auch ins Reisebüro gehen können, aber ich war nun einmal ein begnadeter Internet-Urlaubsschnäppchenjäger, der von Freunden und Kollegen immer wieder für seine genial billigen Traumurlaube bewundert und beneidet wurde.

Aber dieses Mal fand und fand ich nichts Bezahlbares, obwohl ich keine Einschränkungen in die Auswahlmasken eingegeben hatte und in ganz Südeuropa suchen ließ. Klar, es gab genug Angebote, aber zig tausend Euro für einen schnöden zweiwöchigen Badeurlaub? Ich fing an noch mehr durchzuprobieren und ließ die Suchmaschinen heiß laufen. Schließlich landete ich den ersehnten Treffer, einen absoluten Knaller: vier Sterne zu einem geradezu lächerlichen Preis in einem nagelneuen Hotel im sonnigen Süden. Ich wunderte mich, warum ich nicht früher auf das Angebot gestoßen war, vielleicht lag es an dem kleinen Reiseveranstalter „Weg-von-hier-mit-Wladimir“? Vielleicht aber auch daran, dass Tatastan eben nicht mehr so ganz in Europa liegt? Aber direkt dran! „Treffer, versenkt!“, jubilierte ich und klatschte dabei so vergnügt in die Hände, dass meine Frau neben mir erschrak. Sie war eingenickt, es war nämlich inzwischen schon später Sonntagabend geworden.

Wie immer war meine Frau sehr skeptisch: „Tatastan?“. Ich holte den Atlas heraus und schlug die Europakarte auf. Mit Daumen und gestreckt gehaltenem kleinem Finger maß ich den Abstand zwischen Deutschland und Tatastan, schlug gekonnt einen Kreis gen afrikanische Westküste und sagte überzeugend: „Ungefähr gleiche Entfernung wie die Kanaren.“ Zum Glück war meine Frau sehr müde. Und als ich ihr das Foto von dem modernen Hotel und dem sauberen Strand zeigte mit der Überschrift „Genießen Sie die sprichwörtliche Gastfreundschaft Tatastans!“, da stimmte sie schließlich zu. Ich buchte umgehend, bevor uns dieses Schnäppchen im letzten Moment noch jemand wegschnappte. Mein Herz klopfte. Erleichterung: Ich bekam die Buchungsbestätigung. „Was für ein Sprichwort eigentlich?“, wollte meine Frau noch wissen. „Sprichwort?“ „Ja, das mit der Gastfreundschaft von Tastanien“. „Tatastan“, korrigierte ich und log: „Ich glaub‘, ich hab‘ schon mal davon gehört.“

Freunden gegenüber erwähnte ich gerne lässig beiläufig den Preis meines frisch gemachten Schnäppchens. Sie staunten, zahlten sie doch schon das Gleiche für die Ferienwohnung an der zugigen Nordsee oder das Doppelte für die hochsommerliche Hölle von Mallorca. Einige hatten noch keinen Urlaub gebucht und wollten nun auch dorthin, nach Tatastan, aber ich konnte sie zum Glück abwimmeln. „Wenn es wirklich gut ist, gebe ich euch die Angaben, dann könnt ihr euch das ja mal überlegen für nächstes Jahr“, vertröstete ich sie mit professioneller Vorsicht – und in weiser Voraussicht.

Eine erste Unannehmlichkeit wurde mir offenbar, als ich aufgeregt die Reiseunterlagen aus dem Briefumschlag nahm, der uns kurz vor der Reise zugeschickt worden war: Der Flug startete von Berlin, was bekanntlich eine Stadt unweit der polnischen Grenze ist und somit für Rheinländer äußerst ungünstig liegt. Ich hatte offenbar zum Schluss im Internetportal keine Wunsch-Abflughäfen mehr angegeben. Meine Frau konnte ich aber binnen weniger Minuten damit beruhigen, dass wir kostenfrei per Bahn aus Köln anreisen durften.

Dass es sich nicht um einen Direktflug handelte, sagte ich ihr erst einmal nicht, DAS Beruhigen würde etwas länger dauern. Vorher musste ich mir etwas Überzeugendes einfallen lassen, wie wir die 15, nein, 16 Stunden Aufenthalt in Minsk attraktiv gestalten könnten. „Oh, wie schön, Schatz, ich wollte immer schon mal die weißrussische Hauptstadt kennenlernen!“, ein solcher Satz wäre vielleicht ein Versuch wert gewesen, aber nicht bei meiner Frau, die ließ sich nicht für blöd verkaufen.

Das zeigte sich auch, als ich wortkarg und vermutlich aschfahl im Gesicht in unser Notebook versank - und meine Frau in böser Vorahnung mich plötzlich über meine Schulter schauend fragte, warum ich mich denn für Minsk interessierte. „Andere Männer werden beim Fremdgehen erwischt, ich beim Googeln“, dachte ich. „Viel schlimmer kann es bei Ersterem auch nicht sein“, war ich überzeugt, als meine Frau einen dramatischen Tobsuchtanfall bekam. Sie würde sich schon um ALLES kümmern, ob ich denn noch nicht mal so einen beschissenen Urlaub buchen könne. Bei uns müsse immer alles so entsetzlich kompliziert sein. Reichels zum Beispiel, die flögen einfach nach Mallorca und die hätten sogar DREI Kinder. Reichels sind unsere Nachbarn, er ist Zahnarzt, sie hat ein Mehrfamilienhaus geerbt, München, Schwabing. Noch Fragen?

***

Wir starteten unsere Expedition ins Ungewisse vom Kölner Hauptbahnhof aus. Noch kamen die Scherze bei meinen Töchtern ganz gut an. „Bei Ihnen können wir schon vor dem Urlaub das Leben in vollen Zügen genießen!“, rief ich der misslaunigen Schaffnerin zu, die sich durch die kompakte Menschenfracht hindurchquetschte – immer hart am Straftatbestand der Körperverletzung.

Hinter Magdeburg erzählte ich vom alten Konrad Adenauer, der in seiner Zeit als Kölner Oberbürgermeister einer Legende nach die Fenster seines Kurswagens verhängen lassen haben soll, wenn er auf dem Weg nach Berlin die Elbe überfuhr und durch preußisches Kernland fahren musste. Und überhaupt Berlin: nur in geistiger Umnachtung einer knappen Mehrheit von Abgeordneten zur Bundeshauptstadt gemacht; im krassen Gegensatz zu Köln, Wipperfürth und Rom erst seit lächerlichen 250 Jahren von einer gewissen Bedeutung, Brandenburger Tor ein architektonisch reizloser Triumphbogen und so weiter. „Ob ich denn nicht ganz schlimme Kopfschmerzen da vorne an meiner Stirn bekäme von meinem eigenen Gelaber?“, fiel mir plötzlich die junge Frau neben mir einfach ins Wort. Sie hatte Glück, eine Durchsage erscholl nämlich durch den Zug, die meine Frau dazu veranlasste, aufgeregt an uns herumzuzerren: wir müssten aussteigen. So beließ ich es bei einem „Unverschämtheit, so was!“ zum Abschied.

So unproblematisch schließlich der anschließende Flug nach Minsk auch gewesen war, der Aufenthalt war es eindeutig nicht: Unser Gepäck war nicht durchgebucht worden, also verbrachten wir die Nacht und den nachfolgenden Tag buchstäblich auf gepackten Koffern. Einer musste immer Wache schieben, weil Teile des Publikums nicht gerade vertrauenserweckend erschienen.

„Oh, haben wir ein Glück!“, rief ich schließlich auf dem Minsker Rollfeld kurz vor dem Weiterflug nach Tatastan, „eine Propeller-Maschine! Die fliegt ganz tief und man kann während des ganzen Fluges die kleinen Häuser sehen!“. Der Blick meiner Frau war weniger begeistert. Die Aussicht, nach acht Stunden Bahnfahrt, zwei Stunden Flug und, last not least, 16 äußerst unerquicklichen Stunden im Minsker Flughafen nun fünf Stunden in lautem Gedröhne zu verbringen, war nicht sehr verlockend. Das Dröhnen gab es, die versprochenen Häuser allerdings weniger. Eher viel Steppe oder so etwas.

„Wo sind eigentlich die anderen Urlauber“, wollte unsere ältere Tochter wissen. Die Maschine war zwar fast voll besetzt, aber was da saß, sah nicht nach sonnenhungrigen nordeuropäischen Touristen aus. Es roch nach Schweiß und Schnaps. Die Stimmung war eher so, wie man sich den Vorortzug einer sibirischen Industriestadt vorstellen würde.

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