Der fahle Ritter

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Der fahle Ritter
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Paul Tobias Dahlmann

Der fahle Ritter

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Ordensritter

Der rechte Weg

In lichten Auen

Das Königreich der Zwerge

Ein Ball der farbigen Schatten

Kampf

Der Wald der Katzen

Eine Nacht zwischen Ruinen

Geschichten am Herdfeuer

Die Spur des Staubes

Spuren im Staub

Die ewig leuchtende Stadt

Gefangene

Befreiung

Sjovane, die Sturmfrau

Epilog

Impressum neobooks

Prolog

Jenseits des nördlichen Meeres sind die Dinge oft anders. Hinter den Reichen, welche sich an der Küste erstrecken, liegt etwa ein großes Land von Tälern, Schluchten und tiefen Wäldern. Dies ist das Gebiet des Ritterordens Fradewis. Es wird das Land von Holz und Eisen genannt. Dort baut man nicht mit Stein, sondern die Hütten seines Volkes sind meist aus Holz. Die Burgen der Ritter andererseits sind ganz aus Eisen und Stahl.

Bewohnt wird dieses Land von einem Menschenvolk, welches sich mit seinen wenigen Dörfern und kleinen Städten dicht an die Festungen des Ordens anschmiegt, welcher sie beschützt. Auch kann man dort von kaum einer erhöhten Stelle etwas anderes erkennen, als endlose Bäume und Hänge. Das Volk hat Angst vor dem, was sich in diesen Wäldern verbergen könnte. Solches Verhalten nennt man gewöhnlich menschlich.

Die Ritter des Ordens sind es, die wirklich anders sind. Waren sie auch einst als Kinder reine Menschen, so haben ihre Rituale sie als Erwachsene zu mehr werden lassen. Askese und Stolz, Meditation und großer Kampfesmut bestimmen ihre Tage. Besonders hoch achten sie die Fähigkeit zur Kenntnis des persönlichen Zieles, und des wahren Willens, es zu erreichen.

Auch die Befähigung, selbst gesteckte Aufgaben zu erfüllen, besitzen sie. Auf ihrem Wege zur Ritterschaft haben sie sich verändert, innerlich wie äußerlich. Ein jeder von ihnen hat ein solches, eigenes Ziel. Es ist eine Aufgabe, welche den jeweiligen Lebensweg bestimmt. Ihr Amt ist ihnen dazu nichts als eine Hilfe.

Ordensritter

„Es ist soweit. Die Zeit des Aufbruches ist für mich gekommen“, entschied Sejarl Hudruger und öffnete dabei seine Augen. Er saß im Schneidersitz in der kleinen Halle mit ihren fein ziselierten, eisernen Wänden. Bis eben hatte er meditiert. Deshalb trug er gerade kein Rüstzeug, sondern nur ein loses, kaum spürbares Leibgewand in der blauen Farbe, die für seine freien Gedanken stand. Es hing lose von seinen Schultern. Langsam richtete er sich auf.

Er war recht groß, doch das waren alle fradewiser Ritter im Vergleich mit den Angehörigen anderer Völker. Totenbleiche Haut spannte sich über seine Muskeln, ohne, dass es die geringste Fettschicht dazwischen gegeben hätte. Auch das waren Zeichen seines Ordens. Durch ihre langen Rituale lernten die Ritter über Jahre hinweg. Sie konnten ihre körperlichen Kräfte in geistige umzusetzen. Dabei gaben sie die Möglichkeit eines Rücktausches jedoch nicht auf. Ihr Geist beherrschte ihren ausgemergelt wirkenden Körper. Er gab ihnen Kraft und er gab ihnen Ausdauer. So Mancher beneidete sie um diese innere Stärke, welche sie jederzeit zu einer äußeren werden lassen konnten.

Sejarl hatte dunkelblonde Haare, die oben und vorne kurz geschnitten waren, während sie ihm im Nacken bis über die Schultern hingen. Er hatte eisblaue Augen und besaß einen leicht wippenden Gang. Wenn er sich bewegte, so tat er dies fließend.

Mit einer einzigen, elegant höfischen Schwungbewegung erhob er sich. Er ging zur Tür und öffnete sie. Dahinter erstreckte sich eine Galerie über einem Innenhof. Die Böden waren hier nicht, wie in den Kammern und Sälen, mit dicken Teppichen belegt, sondern lediglich mit geflochtenen Strohmatten. Diese sollten ein Ausrutschen auf den Bodenblechen verhindern.

Sejarl bog nach rechts ab. Er folgte einer Treppe hinunter bis in einen Hof. Er durchquerte diesen und erreichte einen weiteren, benachbarten Platz durch ein offenes Portal aus zweckmäßigen, gedrungenen Stahlstreben.

Er fand den Übungsplatz gut genutzt vor, obwohl der Himmel heute genauso grau war wie der Stahl der umgebenden Wände. Überall sah man Ritter, welche sich in voller Rüstung jeweils paarweise im Übungskampf befanden. Manche standen auch nur dabei, um andere zu beobachteten.

Sejarl trat zu einem Kämpferpaar am Rande, welches heftig und mit großer Geschwindigkeit focht. Der Kampf dauerte nicht lange. Bald hatte der links stehende Krieger den rechten zum Stolpern gebracht, und sogleich stellten beide das Hauen ein. Sie hoben ihre Helme, um sich an einer frischen Brise abzukühlen. Der Sieger schüttelte seine braune Mähne und sah mit fröhlich verschwitztem Grinsen in die Runde. Dann entdeckte er Sejarl.

„Ach, sieh an. Was gibt es?“, fragte er.

„Ich bin soweit. Ich weiß jetzt, was ich will“, antwortete Sejarl.

Eine winzige Sekunde verstrich.

„Und, was ist es?“

„Es sind zwei Sachen“, fuhr Sejarl ruhig fort, „Das hatte mich bisher so verwirrt. Zum einen möchte ich auf Abenteuer ausziehen, zum anderen suche ich den Sinn des Seins. Kannst du das verstehen, Ihlsteg?“

„Natürlich kann ich das“, erwiderte der Angesprochene, „Ich für meinen Teil suche ja das Glück. Nur das Glück, würdest du wohl sagen. Aber mir würde es reichen. Wenn ich das Glück einmal habe, wozu brauche ich dann noch den Sinn?“

„Das ist eine Frage, die du Bruder Krans stellen solltest“, meinte Sejarl. Er dachte an einen älteren Ritter, der viel Zeit in der Bibliothek verbrachte. „Aber ernsthaft, hast du über den tieferen Sinn nachgedacht?“

„Natürlich habe ich das. Ich bin nur eben zu dem Ergebnis gekommen, dass das nichts bringt.“

Neben ihnen klirrten zwei Schwerter laut aufeinander. Die Luft schmeckte plötzlich nach Funken.

„Dann verurteilst du mein Ziel als falsch?“ Sejarl stellte diese Frage rein sachlich. Im Orden wurden alle Antworten als mögliche Hilfen verstanden.

„Nein, das tue ich nicht“, beeilte sich Ihlsteg trotzdem, zu erklären, „Jedes Ziel hat seine Berechtigung. Du musst eben nur damit rechnen, dass du bei diesem speziellen vielleicht nie in deinem Leben eine Antwort finden wirst.“

„Auf diese Gefahr muss ich mich einlassen.“ Sejarl nickte in sich hinein. „Und ich werde es auch tun. Ich denke, ich werde morgen aufbrechen, um in die Welt hinauszuziehen, und dort die Antworten zu suchen.“

„So früh schon?“ Ihlsteg hob eine Augenbraue. „Erst lässt du mich drei Wochen lang warten und dann erzählst du mir, dass wir stehenden Fußes aufbrechen müssten.“ Diese Worte waren eine Stichelei, wie sie für ihn üblich war.

„Fast jedenfalls. Zugegeben.“ Sejarl übernahm das schwache Lächeln seines Gesprächspartners. „Ich kann mich allerdings auch erinnern, dass du die ganze Zeit gedrängelt hattest.“

„Ich? Ich hätte schließlich auch alleine aufbrechen können! Ich habe doch nur aus reiner Höflichkeit noch auf dich gewartet, und zwar mit der Geduld einer Katze vor einem Mauseloch. Du hingegen wurdest die ganze Zeit immer hektischer. Du hast die ganze Zeit immer angestrengter überlegt, weil du dein Ziel auf den Tod nicht herausfinden konntest.“

Ihlsteg geriet über seine eigenen Worte in ein leises Kichern hinein, in das Sejarl schnell mit einfiel.

„Was ist nun?“, fragte Sejarl, nach dem sie geendet hatten, „Gehen wir nun zum Abtkanzler und fragen ihn?“

„Ja, natürlich. Komm!“

Weiterhin plaudernd gingen sie los. Indem sie einigen Kämpfenden weiträumig auswichen, überquerten sie den Hof. Sie betraten eines der größeren Gebäude der Festung und liefen eine Zeit lang durch röhrenartige, graue Stahlkorridore. Sie hatten weit zu gehen, denn ihr Weg führte sie durch ein ganzes Gebäude des großen Burgkomplexes vollständig hindurch, ehe sie in jenem anderen ankamen, zu dem hin sie gewollt hatten.

Sie erreichten eine kleine Halle, in der zwei Ehrenwachen ihren Dienst versahen. An ihrem Ende war ein schmales Portal. Sejarl nickte den Ehrenwachen zu, und diese nickten zurück. Mit einem leichten Quietschen öffnete sich ein messingbeschlagener Flügel der Tür in den Raum dahinter.

 

Dieser war für sich genommen wieder ein länglicher Saal, der als Amtszimmer eingerichtet war. An seiner hinteren Seite blickten breite Burgfenster auf die Landschaft unter ihnen hinaus, auf Felder und Wälder. Die Läden standen offen. Armbreite Fenstersimse zeugten von den vielen Lagen von Eisenplatten, aus denen die Außenwände zusammengeschweißt war.

Innen war der Raum wohnlich eingerichtet. Teppiche, verziert mit Szenen des ritterlichen Lebens, bedeckten den Boden und die Wände. Bücherständer und Zierwaffen teilten sich den Platz an den Seiten. Rechterhand war ein überladener Skriptorenplatz eingerichtet. Der dort sitzende Schreiber sah beim Eintreten von Sejarl und Ihlsteg stumm auf, und wandte seinen Blick dann fragend seinem Herren zu.

Dieser wiederum saß an einem breiten, massiven Schreibtisch am Ende des Raumes, wo er Papierbögen studierte. Er war ein alter, kahlköpfiger Mann mit einer hellvioletten, silberdurchwirkten Robe. Er war der Abtkanzler.

„Ihr habt euch also entschlossen, aufzubrechen“, stellte er nach einem kurzen Augenblick des Schweigens fest, in dem er die Neuankömmlinge ausdruckslos gemustert hatte. „Und du hast dein Ziel jetzt also auch gefunden?“, setzte er, an Sejarl gewandt, hinzu.

„Ja, Vater.“

„Nun, wenn ich mich recht erinnere, dann hattet ihr schon seit Längerem vorgehabt, eure Reisen gemeinsam anzutreten.“ Er zuckte mit den Schultern. „So sei es. Ihr werdet die Verpflegung und die Ausrüstung erhalten, die sie euch zusteht. Wisst ihr schon, wohin ihr euch wenden wollt?“

„Nein, Vater“, erklärte Ihlsteg, „aber ich dachte mir, dass es für den Anfang vielleicht nicht schlecht für uns wäre, dichter bewohnte Gegenden aufzusuchen. Dort können wir dann Leute treffen, die uns Antworten geben und weiterhelfen können.“

„Ist das auch deine Meinung, Sejarl?“

„Nicht ganz, Vater. Ich glaube, die Meinung vieler Anderer ist für die Suche meines Bruders wichtiger als für meine. Andererseits sehe ich aber auch nicht, was sie schaden sollte. Daher werde ich mit ihm gehen, zumindest für eine Weile.“

„Ach. Und was ist jetzt deine Suche?“, fragte er.

Sejarl klärte den Abtkanzler über seine Ziele auf und erntete ein Kopfschütteln dafür.

„Abenteuer liegen auf der Straße, Sejarl“, meinte der alte Ritter, um dann nach einer Pause hinzuzufügen: „Für die Sache mit dem Sinn des Seins kann ich dir nur viel Glück wünschen.“

Die drei unterhielten sich eine Weile. Der alte Ritter hatte manchen guten Ratschlag für seine beiden jüngeren Ordensbrüder. Schließlich meinte er zu ihnen: „Ihr habt doch sicherlich schon vom diesem großen Land im Osten gehört. Das Königreich Kom, heißt es.“

„Ja, natürlich“, erwiderte Ihlsteg, „Dort lebt ein kleinwüchsiges Menschenvolk, das man die Zwerge nennt.“

„Eben das meine ich. Dort wohnen mehr Leute als an den allermeisten anderen Orten. Wenn ihr den Austausch sucht, seid ihr dort sicherlich richtig.“

Die jungen Ritter dankten höflich für den Hinweis. Sie beschlossen, sich an ihn zu halten, und zunächst zu jenem Land zu reisen. Es erschien ihnen so gut wie manches andere.

Das Gespräch dauerte noch ein wenig weiter an. Schließlich schloss es der Abtkanzler, der zwischendurch aufgestanden war, mit den Worten: „So muss ich euch denn in dieser Stunde entlassen und damit seid ihr von nun an keine Hudruger mehr. Ihr heißt nun Ihlsteg und Sejarl Weglenner. Kehrt mit Wissen heim, oder lasst zumindest das Wissen zu euren Freunden gelangen.“

Aufmunternd klopfte er ihnen beiden auf die Schultern. Dies war das Zeichen dafür, dass eine neue Zeit in ihren Leben begonnen hatte, wie von ihrer Ordensregel vorgeschrieben. Sie waren aus den sicheren Wänden der Burg entlassen und begaben sich auf eine Reise ins Unbekannte, deren Ziel sie selbst gewählt hatten. Es war für sie lediglich noch nicht greifbar. Dass sie dabei Abenteuer finden würden, glaubten sie beide. Darum hatten sie ihren neuen Namen erhalten, wie es von Alters her Brauch war.

Dankbar verneigten sich die beiden Ritter und verließen den Raum. Den Rest des Tages brachten sie damit zu, sich von Freunden zu verabschieden, und ihre Habseligkeiten zusammenzupacken.

Die Reise stand an, und die letzten Vorbereitungen mussten getroffen werden. Es wurde Abend, und man begab sich zu Tisch. Unter fröhlichen Gesprächen nahmen Sejarl und Ihlsteg noch ein letztes, stark verlängertes Abendessen in der Heimat zu sich. Einige Bekannte berichteten ihnen von ihren eigenen Abenteuern und von fernen Ländern.

In fröhlicher Runde wurde so viele Hinweise gegeben, sinnvolle ebenso wie scherzhafte. Dann gingen sie unter aufmunternden Wünschen zu Bett.

Obwohl er damit gerechnet hatte, dass seine vorauseilenden Gedanken ihn gar nicht erst einschlafen lassen würden, erwachte Sejarl am nächsten Morgen erfrischt und gut ausgeruht. Er erhob sich von der Pritsche in seiner engen Klause, blinzelte, und blickte auf ein Stück blauen Himmels, welches sich hinter seiner kleinen Fensteröffnung abzeichnete.

Er schüttelte den Kopf. War da nicht etwas gewesen? Ein Traum, den er kurz vor dem Aufwachen gehabt hatte?

Ja. Er erinnerte sich. Er hatte geträumt, wie er ausgezogen war. Er war in ein fremdes Land gekommen, hatte dort ein Abenteuer erlebt, einen Feind besiegt und großen Lohn erhalten. Dann war er weitergezogen und hatte für ganz ähnliche Taten in einem anderen Land Schimpf und Schande auf sich geladen.

Leider konnte er sich nicht mehr daran erinnern, was für Taten es gewesen waren. Als nächstes war da ein kleines Kind am Wegesrand gewesen, welches ihn ausgelacht hatte, und dann ein zweites, das weinte. Warum es das tat, wusste er nicht. Noch während er diese Szene beobachtet hatte, war ein riesenhafter Vogel gekommen und hatte ihn mit seinen Klauen in einen leeren, uralten Horst getragen.

An dieser Stelle war er aufgewacht.

Sejarl überlegte, ob dieser Traum etwas zu bedeuten hätte. Er entschied sich dagegen. Schon seit langer Zeit hatte man ihn gelehrt, dass Omen immer nur so stark waren wie derjenige, der sie zu erfüllen suchte. Sejarl traute der Stärke seines Geistes und der Stärke seines Armes. Er würde die sich ihm stellenden Aufgaben angehen, und sie zu lösen versuchen. Mehr konnte niemand tun.

Er atmete tief durch. Dann kleidete er sich an, zunächst nur in einen lockeren Überwurf. Er ging frühstücken. Die Mahlzeit fiel kurz und karg aus. Auf allzu vollen Magen zu reisen, schien ihm keine gute Idee zu sein. Nur wenige seiner Ordensbrüder beobachteten ihn in dem großen Speisesaal. Eine kleine Weile später begann er damit, seine letzten Habseligkeiten zu den Stallungen zu räumen.

Als er das Gebäude mit seiner Unterkunft verließ und auf den Hof hinaus trat, schlug ihm ein frischer Wind entgegen. Es war kühl an jenem Morgen, wenn auch nicht kalt. Sejarl musste zweimal zwischen der Kammer und den Stallungen hin und her gehen, ehe er alles Nötige zusammen hatte.

Ein letztes Mal noch ging er zurück, um seine bis dahin im Zimmer verbliebene Rüstung anzulegen, welche sein wichtigster Besitz auf der Suche nach Abenteuern sein mochte. Zunächst schlüpfte Sejarl in engmaschiges Kettenzeug. Dann kamen die silbrig schimmernden Plattenteile.

Einander leicht überlappend waren diese, und an den Nahtstellen waren keine Scharniere angebracht, die sich hätten verbiegen und verklemmen können. Statt dessen hatten sie Lappen aus geflochtener Stahlwolle. An diesen war eine Verschnürung angebracht, so dass man die Rüstungsteile zusammenbinden konnte. Zuletzt kam der Helm: Dieser war halboffen und hatte ein senkrecht zweigeteiltes Visier, dessen Hälften man auf Schienen nach vorne schieben konnte. Die Rüstung war bis ins kleinste Detail und in unzähligen Arbeitsschritten an Sejarls Körper und Wünsche angepasst worden. Sie war eher leicht und behinderte ihren Träger kaum mehr als einen Anderen eine lederne Jacke, als er den Raum verließ.

Als Sejarl abermals die Ställe erreicht hatte, wartete Ihlsteg dort bereits auf ihn. Auch er hatte seine Rüstung bereits angelegt. Er war aber noch dabei, etwas Reiseproviant in seine Satteltaschen zu stopfen, was Sejarl bereits getan hatte.

Der Freund blickte mit einem frischen Grinsen auf. „Hallo. Na, alles bereit? Wo sind deine Waffen?“

„Dort vorne hängen sie.“ Sejarl deutete auf eine Seitennische. Im Moment hatte er nur sein Schwert gegürtet, eine damaszenierte Einhandklinge von mittlerer Gewichtung, schnell und scharf. An seiner anderen Seite hing noch ein Langdolch, doch dieser zählte den Rittern nicht als Waffe.

„In Ordnung, dann sollten wir jetzt mal damit anfangen, das ganze Zeug auf die Pferde zu laden“, meinte Ihlsteg, indem er Kleinigkeiten in eine Satteltasche schob.

Direkt gegenüber der Stelle, wo die beiden standen, befanden sich die Boxen ihrer Tiere. Die Ritter gingen nun, öffneten die schweren, gusseisernen Türen der Verschläge und führten ihre Schlachtrösser hinaus ans Tageslicht.

Dies wäre ein seltsamer Anblick für jeden Fremden gewesen. Die Tiere nämlich, die Pferde der Ritter vom Orden Fradewis, waren keine Tiere aus Fleisch und Blut. Sie bestanden aus reinstem Eisen.

Es war ein Eisen, das niemals rostete und ein Eisen, das geschmeidig war. Dennoch hatte es dieselbe Härte wie der Stahl, aus dem die Wände der Burgen des Ordens waren. Kalt, doch lebendig blickten die Augen der Tiere. Keine Scharniere waren an ihren Gelenken und doch konnten sie sie normal bewegen, bis zu dem Tag, an dem sie starben. Allein in der Genauigkeit ihrer Bewegungen, da schienen sie mehr Maschinen zu sein als lebendige Wesen. Sie fraßen und sie soffen. Sie soffen Wasser und sie fraßen Erzklumpen, doch atmeten sie wie jedes andere Wesen.

Damals wusste niemand, was es mit diesen Pferden wirklich auf sich hatte. Allerdings waren sie verbreitet genug, als dass etliche Magier sie schon zu Gesicht bekommen hatten. Bei letzteren wiederum hatte sich die Ansicht festgesetzt, dass es sich bei den Tieren um eine Art von Metallgolems handeln musste. Noch nie hatte man zwar sonst davon gehört, dass so etwas möglich wäre, und wie es anzustellen wäre, solche Wesen zu konstruieren. Das blieb den arkanen Forschern ein Rätsel.

Zwei solcher Tiere begannen Sejarl und Ihlsteg nun, zu satteln. Sie legten ihnen ein Zaumzeug an, welches aus gewöhnlichem Leder bestand, und auch die verzierten Sättel und Satteltaschen bestanden nur aus Materialien, wie man sie an jedem anderen Orte auch hätte finden können. Allein über ihre aufwendige Verarbeitung konnten diese Materialien ebenso wenig hinwegtäuschen, wie das einfache Braun der Satteldecken.

Nachdem sie ihre Tiere aufgezäumt hatten, machten sich die Ritter daran, ihre Gepäcktaschen und Waffen aufzuladen. Da waren je ein schwerer Morgenstern mit langer Kette, ein kurzes Handbeil, das auch für anfallende Arbeiten benutzt werden konnte, und da waren neben ihren Schwertern auch noch ihre Lanzen.

Die Lanzen waren lang und dünn und ganz aus Metall, nach der Art des Ordens. Solche Lanzen waren niemals spröde, sondern stets ein wenig elastisch. Sie bogen sich und zerbrachen nicht an Schilden, sondern durchstießen diese. Auch dies war ein Grund für die Stärke des Ordens. Zum Schluss, nachdem sie all dies untergebracht und die Lanzen in speziellen Halterungen hinter den Sätteln aufgesteckt hatten, nahmen Sejarl und Ihlsteg noch ihre Schilde zur Hand. Diese zeigten das Wappen des Ordens. Auf grünem Grunde war eine weit ausladende, goldene Esche zu sehen, umfangen von einem metallenen Reif, der sie als schützende Mauer umgab.

Die Ritter saßen auf, prüften, ob sie nichts vergessen hatten, und ritten zum Tor. Scherze vom Vorabend kamen ihnen in den Sinn. Ein fröhliches Lächeln lag ihnen auf den Lippen in Vorfreude auf die kommenden Abenteuer.

Nur noch einmal wurden sie kurz aufgehalten, direkt am Tor. Hier warteten der Abtkanzler und ein paar ihrer Freunde auf sie, um sie endgültig und offiziell zu verabschieden, und ihnen nochmals die besten Wünsche auf die Fahrt mitzugeben.

Dann ritten die Beiden durch das massige, schwere Burgtor mit seinen breiten Flügeln. Hiernach ging es den Hügel hinunter in das im Tal darunter gelegene Dorf. In diesem Dorf waren, wie auch sonst überall in jenem Lande, fast alle Gebäude Blockhäuser, deren Fassaden auf ihren ein bis zwei Stockwerken mit geschnitzten Intarsienarbeiten verziert waren. Nur die zahlreichen Schmieden entlang der Hauptstraße bildeten eine Ausnahme. Deren Wände waren wegen der Feuergefahr vielfach mit Metall verstärkt.

 

Am Ende des Dorfes wandten sich Sejarl und Ihlsteg einer Straße nach Osten zu. Diese verschwand bald im Wald, der die Ritter mit seinem Geruch nach frischem Laub und seinem von Sonneninseln durchbrochenen Schatten einhüllte.

Die Ritter kamen auf ihrem Weg gut voran. Sie ritten den ganzen Tag über ohne längere Unterbrechung. Das Wetter blieb gut. Der kühlende Wind, der keinen Regen mit sich trug, begleitete sie auf den Karrenwegen durch tiefe Täler und Wälder. Die Ritter konnten den Tag über ein gutes Stück ihres Weges zurücklegen. Gegen Abend kamen sie in ein Dorf, wo sie in einer kleinen Herberge übernachteten.

Es war am nächsten Morgen, als sie aufbrachen und gerade wieder aus dem Dorf herausritten, als Sejarl am Wegesrand etwas auffiel. Da stand ein kleines Mädchen, vielleicht zehn Jahre alt. Es hatte bis eben mit einem Ball gespielt und diesen nun gerade aus ihren Händen rutschen lassen. Der Ball rollte auf die Straße und vor die Hufe der Stahlrösser. Sejarl lächelte und brachte sein Pferd dazu, dem Ball einen kleinen Tritt zu verpassen, so dass dieser zur Seite wegflog, in ungefährer Richtung des Kindes. Dieses sammelte ihn eilig auf und grinste den Rittern glücklich nach, als diese weiterritten.

Wiederum reisten die beiden Ordensleute einen Tag lang ohne große Unterbrechungen und kamen gegen Abend in eine anderes Dorf, wo sie übernachteten. Wieder fanden sie eine Herberge. Wieder fanden sie in ihr guten und festen Schlaf.

Wiederum begegneten sie, als sie am nächsten Morgen wieder aus dem Dorf herausritten, einem kleinen Mädchen. Auch dieses war vielleicht neun oder zehn Jahre alt und spielte am Ortsausgang mit einem Ball. In unachtsamer Weise schleuderte es ihn über die Straße. Der Ball geriet dabei zwischen die Hufe von Sejarls Pferd und wurde zur Seite weggeschleudert. Überrascht und ein wenig überrumpelt sah Sejarl dem Ball nach. Dieser flog in weitem Bogen über eine Wiese, und kullerte an deren Ende einen steilen Abhang hinab, bis er außer Sichtweite war. Das Mädchen blickte ein paar Mal zwischen dem Ritter und dem entschwindenden Ball hin und her.

Dann begann es zu heulen und undeutlich kindliche Flüche auszustoßen, die sich auf Sejarl bezogen. Dieser schüttelte seinerseits nur den Kopf und ritt weiter.

Das Kind wird seinen Ball schon wiederfinden, dachte er.

Einen weiteren Tag lang ritten Sejarl und Ihlsteg nach Osten. Während der Zeit, die sie an jenem Tag unterwegs waren, stieg das Land langsam und stetig an, und bereits am Nachmittag konnten sie voraus die Konturen einer stählernen Burg auf einem Berghang ausmachen, wohin sie ihr Weg führte. Mit einbrechender Nacht trafen sie dort ein, und baten in der mittelgroßen Ordensfestung um Quartier. Sie nächtigten dort in einer Besucherunterkunft und konnten am nächsten Tag gestärkt ihres Weges reiten.

Auch am Fuße dieser Burg gab es einen kleinen Marktflecken, und als sie dessen letzte Häuser passierten, stand am Wegesrande ein junges Mädchen von vielleicht elf Jahren. Sejarl hatte schon fast erwartet, wieder auf ein Kind mit einem Ball zu treffen, doch dieses hatte keinen. Vielmehr hatte das Mädchen schwer zu kämpfen an einem Bussard, der auf seiner rechten Schulter saß und in seiner störrischen Art ihren bunten Kleidern arg zusetzte.

Doch das Mädchen trug einen Schlapphut mit breiter Krempe, und in diesem steckte eine lange, bunte Feder. Also unternahm Sejarl nichts weiter, als etwas langsamer zu reiten und seinen Blick über die Szene gleiten zu lassen. Er erkannte die Zeichen der Falknerzunft. Das Kind war offensichtlich Lehrling bei einem Falkner. Das Mädchen ärgerte sich etwas mit dem Vogel herum, der anscheinend darauf bestand, auf einer unbequemen Stelle hockenzubleiben. Schließlich schaffte sie es, ihn ein paar Fingerbreit weiterzuschieben, wo es für sie bequemer war.

Zufrieden mit sich selbst schaute das Mädchen auf und sah die beiden vorbeireitenden Ritter. Fröhlich grinste sie Sejarl zu und winkte ihm. Dieser war im ersten Augenblick ein wenig überrascht, winkte dann aber zurück. Gedankenverloren hielt er weiter auf den nahen Waldrand zu.

Gerade in dem Moment, als das Mädchen zusammen mit den letzten Häusern des Ortes aus seinem Sichtfeld verschwand, erinnerte sich Sejarl: Hatte er nicht vor drei Nächten einen Traum gehabt, der auf diese Begegnungen mit den Kindern in den letzten Tage zu passen schien? Konnte man nicht für jedes Bild, das in jenem Traum gewesen war, in dem, was geschehen war, eine Entsprechung finden?

Sejarl entschied sich, dass dem so war. Leise lachte er in sich hinein, und alsbald auch laut und frei und fröhlich aus sich heraus.

„Was ist?“, fragte Ihlsteg verwirrt.

Sejarl erklärte es ihm und daraufhin fiel auch jener in das Lachen seines Freundes mit ein. Nun war ihnen klar, dass ihr Weg frei sein würde von Prophezeiungen, die ihn beeinflussen konnten. Sie waren frei, denn es war unter den Völkern der Lande jenseits des Meeres eine weit verbreitete Weisheit, dass, wenn die erste Prophezeiung für eine Sache nur schwach ausfiel, alle weiteren zur selben Sache gar nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun haben konnten.

So ritten die beiden Abenteurer frohen Mutes weiter, und als sie den nächsten Bergrücken erklommen hatten, sahen sie am östlichen Horizont zum ersten Mal einen langgestreckten, hohen Gebirgszug auftauchen. Dieser war die östliche Begrenzung der Gebiete des Ordens Fradewis.