Der fahle Ritter

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Der rechte Weg

„Ausgerechnet hier muss es zu regnen anfangen“, meinte Sejarl, mehr zu sich selbst, als zu seinem Begleiter.

Sie waren nun insgesamt den siebenten Tag unterwegs und einige Stunden zuvor hatten sie den letzten, vorgeschobenen Außenposten des Ordens hinter sich zurückgelassen. Das Gelände stieg hier zum Höhenzug hin steil an, und die Wälder wurden lichter. Felder violetter Farne drängten sich ihre Räume frei. Die Straße war ein lehmiger Weg geworden. Mit Zunahme des Regens wurde er immer unübersichtlicher und schwerer zu bereisen. Zwar kannten die Stahlrösser nur in geringem Maße die Erschöpfung anderer Tiere, doch auch sie mussten sich auf solchem Boden abmühen, um staksend vorwärtszukommen. Die hohen Tannen, welche ihnen oft die Seiten flankierten, nahmen den Rittern die Sicht und hielten Wind und Wasser trotzdem nur wenig ab.

Zumindest perlten die meisten der Wassertropfen an ihren Rüstungen ab, und das wenige, was hindurchdrang, konnte von den Stoffen darunter aufgesogen werden, ohne die Haut zu erreichen.

„Ich hoffe nur, unsere Taschen werden nicht völlig durchnässt“, meinte Ihlsteg, „Den Büchern, die ich mitgenommen habe, würde das gar nicht gut bekommen.“

Sejarl hatte für diese Bemerkung nur ein freudloses Grinsen übrig. Auch er hatte Sachen in seinem Gepäck, welche Feuchtigkeit nicht gut vertrugen.

Der Weg zog sich in Serpentinen weiter den Berg hoch. Stählerne Gemarkungszeichen flankierten ihn. Irgendwo, ganz weit oben, musste es einen Pass geben. Noch eine kurze Weile ritten die Beiden so weiter, dann tat sich hinter einer Biegung unvermittelt ein offenes Feld auf. Vor einem grauen, schlecht erkennbaren Bergpanorama lag eine von Regenböen gebeutelte, goldfarbene Blumenwiese, umstanden von Bäumen, die im nassen Höhenwind rauschten. An ihrem Fuß gabelte sich der Weg.

Etwas unschlüssig ritten Sejarl und Ihlsteg bis zur Gabelung vor.

„Was nun?“, fragte Ihlsteg.

Sejarl deutete nur stumm auf einen am Boden liegenden, umgestürzten Wegweiser.

Die Ritter stiegen ab und untersuchten den Pfeiler. Er musste schon vor längerer Zeit abgeknickt sein; das Holz war morsch und verwittert. Von den ursprünglich drei Richtungspfeilen, die an ihm angeschlagen worden waren, waren zwei abgebrochen und vermodert. Sie waren gänzlich unleserlich. Von dem dritten konnte Sejarl nur mit viel Mühe ablesen, dass er einmal in die Richtung gezeigt haben musste, aus der sie gerade gekommen waren.

„Das ist keine Hilfe“, kommentierte Ihlsteg.

Sejarl ließ seinen Blick über die beiden möglichen Wege wandern.

„Und? Was meinst du?“, fragte Ihlsteg weiter, der beim Orientierungssinn seinem Ordensbruder mehr vertraute, als sich selbst.

„Der Weg zur Linken ist etwas breiter“, erwiderte Sejarl unschlüssig, „aber der zur Rechten scheint mir direkter Richtung Osten zu führen. Dahin wollen wir.“

„Also rechts?“

Sejarl wiegte unsicher den Kopf hin und her. Er kannte das Gelände nicht, und bei allzu schmalen Wegen fürchtete er, dass sie frühzeitig endeten. Einen langen Moment sah er dorthin, wo der Weg bergauf wieder im Wald verschwand.

„Irgendwohin muss der dritte Pfeil ja einmal gezeigt haben“, meinte er schließlich, „Ja, ich denke, wir nehmen den rechten Weg. Im schlimmsten Fall führt er uns eben nicht weiter, und wir verlieren einen Tag oder zwei.“ Zur Bekräftigung seiner eigenen Worte nickte er vor sich hin.

Die Ordensritter bestiegen wieder ihre Pferde und ritten auf dem schmaleren, rechten Pfad im anhaltenden Landregen die leichte Steigung hinan. Bald wurde es merklich kühler, und ein leichtes Frösteln überkam sie beide. Es zwang sie, ihren Geist tiefer in sich selbst hinein zu versenken, um so ihre Körper zu stärken. Schweigend ritten sie ihres Weges, einem möglichen Pass entgegen, und für viele Stunden änderte sich nichts an der Umgebung.

Als es Abend wurde, hatte der Regen immer noch nicht nachgelassen. Missmutig hielten die Beiden Ausschau nach einem geschützten Platz, wo sie ihr Nachtlager aufschlagen konnten. Sie fanden keinen. Schließlich blieb ihnen nichts anderes übrig, als mitten im Wald zwischen eng beieinander stehenden Bäumen zu rasten. Eine Gruppe uralter Kiefern bot den besten Schutz, den sie bekommen konnten. Am Rande der weiter außen gelegenen Stämme stellten sie ihre Pferde ab. Dann wischten sie sich notdürftig das Wasser von den Rüstungen und legten sich, noch in denselben, unter dem Dach aus tropfenden Ästen zum Schlafen. Keiner der beiden hatte Nerven oder Lust, Wache zu halten.

Was sollte uns schon mitten im Nirgendwo für eine Gefahr drohen?, dachte Sejarl im Einschlafen, Was für ein Wesen würde schon bei diesem Wetter auf Beutezug sein, anstatt sich selbst ein trockenes Plätzchen zu suchen?

Er und sein Ordensbruder verbrachten eine unruhige Nacht auf einem Polster aus aufgeweichten Nadeln.

Ihre Nachtruhe endete abrupt.

Ein kleiner Stein knallte gegen den Helm von Sejarl und brachte ihn damit zum Aufwachen. Überrascht fuhr er auf und stellte fest, dass das Morgenlicht den Ort bereits wieder recht gut erhellte. Der Geruch der nassen Erde stieg ihm in die Nase. Offenbar war er zu längerem Schlaf gekommen, und konnte nun einigermaßen erholt den neuen Tag angehen. Neben ihm lag Ihlsteg und schlief. Auch die Pferde standen noch ungefähr dort, wo sie jene am Vorabend gelassen hatten.

Etwas verwirrt blickte Sejarl auf den Stein, welcher von seinem Helm abgeprallt und neben ihm zu Boden gefallen war.

Wo ist der hergekommen? Sejarl sah sich verwundert um. Der Boden stieg auch hier zur Seite des Gebirges hin leicht an. Dennoch gab es in der direkten Umgebung keine Erhöhung im Gelände, von der sich dieser Felsklumpen hätte lösen können. Die Augen des Ritters forschten weiter. Zwar hatte sich der Regen über Nacht zu einem stetigen und erträglichen Nieseln abgeschwächt. Besonders weit konnte man durch ihn aber immer noch nicht sehen.

Mit einem Mal meinte Sejarl bei einem nahen Gebüsch eine Bewegung wahrgenommen zu haben. Umgehend heftete sich sein Blick auf die Stelle. Einige Momente verstrichen, in denen der Ritter in angespannter Geduld wartete. Dann wurde sein Vorgehen belohnt: Die Bewegung, ein Rascheln von Laubwerk, wiederholte sich. In einer Höhe, wo ein großer Mann seinen Kopf tragen mochte, knackte ein Ast. Sejarl kam zu dem Schluss, dass, was immer dort auch sein mochte, sehr groß sein musste. Er zog sein Schwert aus der Scheide. Dadurch entstand ein singender Laut, der die Luft erfüllte.

Ihlsteg fuhr auf. Das Geräusch war ihm durch Mark und Bein gefahren. Jahrelange Kämpfererfahrung brachte sein Unterbewusstsein dazu, ihn in Gedankenschnelle zu wecken und hochfahren zu lassen. Auch sein Schwert flog in seine Hand, um dem Waffenbruder in der Gefahr beizustehen. Erst dann orientierte sich Ihlsteg und stellte fest, dass ihnen Beiden keine unmittelbare Gefahr drohte. Er ließ das eigene Schwert wieder sinken.

„Was soll das, warum weckst du mich?“, fragte er schlaftrunken.

Sejarl bedeutete ihm, zu schweigen. Er deutete auf das Gebüsch, aus dem der Stein geflogen kommen sein musste. Ihlsteg nickte leicht und wartete ab.

Lange brauchte er nicht zu warten, dann flog ein weiterer, diesmal fast kopfgroßer Erdklumpen auf die Beiden zu. Sejarl, der näher an der Flugbahn stand, hatte keine Mühe, dem Geschoß auszuweichen. Ein Überraschungsmoment gab es nicht, der knappe Sprung zur Seite war für den Kämpfer Gewohnheit. Ihlsteg brauchte sich nicht einmal zu bewegen.

In einvernehmlichem Stirnrunzeln nahmen die Ritter ihre Schilde auf, die sie abends zuvor an nahestehende Bäume gelehnt hatten. Sie brachten Schwerter und Schilde in Anschlag und machten sich daran, vorsichtig und langsam von zwei Seiten auf das Gebüsch zuzugehen.

Sie waren nur wenige Schritte weit gekommen, als von dort aus ein dicker Ast heranflog und harmlos an Sejarls Schild abtropfte. Einige weitere folgten, alle mit ähnlicher Wirkung.

Dann folgte ein markerschütternder Schrei, der die Ritter unwillkürlich einen Schritt zurückweichen und in Abwehrhaltung gehen ließ. Auf das Gebrüll folgte ein Krachen, als eine hünenhafte Gestalt aus dem Gebüsch hervorbrach und seitlich mit übermenschlicher Geschwindigkeit durch den lichten Wald hechtete. Schon einen winzigen Augenblick später war sie in einem weiteren Dickicht verschwunden. Die Gestalt war menschenähnlich gewesen, ein haariges Wesen, gekleidet in Felle. Mehr hatten die beiden Ordensbrüder in der Kürze der Zeit nicht erkennen können.

Einen kleinen Augenblick verharrten sie weiter ruhig und starrten sich gegenseitig verblüfft an.

„Hast du eine Idee, was das gewesen sein könnte?“, fragte Sejarl, zu dessen Verwunderung noch Unwissenheit hinzukam.

„Ich befürchte es fast“, erwiderte Ihlsteg, „Wenn ich auch hoffe, mich zu irren.“ Er leckte sich über die Lippen und sammelte seine Gedanken. „Mit etwas Pech könnte das einer vom Bergvolk gewesen sein. Das sind primitive Leute, groß und dumm und aggressiv. Ich hätte nicht gedacht, dass es so nahe bei unseren Landen welche geben könnte.“

„Hast du irgendwelche Vorschläge, was wir jetzt machen sollen?“

„Die leben in Gruppen, in Stämmen. Am Besten sehen wir zu, dass wir schleunigst weiterkommen und aus ihrem Gebiet verschwinden.“ Ihlsteg drehte sich um und machte sich daran, seine Worte in die Tat umzusetzen.

Leicht verwirrt folgte Sejarl ihm. In der von Ihlsteg vorgegebenen Eile bestiegen sie ihre Pferde und galoppierten weiter dem Weg folgend den Berg hinan.

„Glaubst du nicht, dass wir auf diesem Weg vielleicht noch weiter in ihr Stammesgebiet hineingeraten könnten?“, fragte Sejarl noch.

 

„Du warst es doch, der diesen Weg wollte!“, rief der vorausreitende Ihlsteg nach hinten zurück, „Überhaupt: Warst du es nicht auch, der Abenteuer erleben wollte?“ Ein herausforderndes Grinsen umspielte seine Lippen, was Sejarl jedoch auf die Entfernung und in dem anhaltendem Nieselregen kaum erkennen konnte. Zwar war ihm Ihlstegs Logik nicht ganz klar geworden, innerlich aber musste er seinem Ordensbruder zustimmen: Es möge sich zeigen, wie gut unsere Ausbildung war und ob dieser Weg der rechte ist, dachte Sejarl und behielt die Wegrichtung bei.

So galoppierten sie über etliche Stunden zügig den Bergrücken empor. Hier zeigte sich der Vorteil ihrer Stahlrösser, denn diese konnten nicht ermüden während des langen Rittes. Dennoch hatten beide Ritter das Gefühl, in all der Zeit vielleicht nicht schnell genug weiterkommen zu können, denn ihr Weg hatte zahlreiche Serpentinen und Biegungen. Der Grat der Bergkette rückte nur langsam näher.

Derart gebremst erreichten sie am frühen Nachmittag die Baumgrenze. Etwas später, in übersichtlicherem Gelände, entschlossen sie sich, wieder eine Rast einzulegen.

Erschöpft ließ sich Sejarl von seinem Pferd gleiten und seinen Blick über die im Nebel liegenden, tieferen Berghänge schweifen. Wirklich weit konnte er nicht sehen, doch über Eines konnte er sich freuen: Der Regen, der sie zuletzt ständig begleitet hatte, war fast vollständig verschwunden. An seine Stelle war nun ein stetiger, steifer Höhenwind getreten.

Der scharfe Ritt hatte sie erschöpft, und sie brauchten eine Pause. Fröstelnd blickte Sejarl sich darum in seiner näheren Umgebung um, doch Ihlsteg war schneller.

„Da vorne!“, sagte er und deutete mit dem Finger auf eine Felsnische, die sich unweit ihres Weges in die Bergflanke hineinschmiegte. Unsicher staksten die Beiden mit ihren Pferden am Zügel über ein Stück flachen Geröllhanges zu den ineinander verkeilten Felsquadern hinüber. Als sie näher kamen, bemerkten sie, dass sich hier zwei größere Gesteinsplatten aneinander lehnten. So bildeten sie eine schmale, spaltförmige Höhle. Dem Zufall dankbar, führten sie ihre Pferde in den geschlossenen, hinteren Teil der Höhle und ließen sich selbst am Eingang nieder, wo sie ein kleines Feuer entzündeten. Die trockenen Ranken, die sie verbrannten, rochen nun nach Rosen.

Nachdenklich blickte Sejarl über die Landschaft, die sich hinter dem Eingang ausbreitete. Er meinte: „Der Weg hat sich nicht weiter verschmälert und er scheint tatsächlich bis mindestens bis zum Höhenrücken hinauf zu gehen. Hoffen wir, dass wir auf der anderen Seite auch vernünftig wieder herunterkommen.“

Ihlsteg wiegte skeptisch den Kopf. „Meinst du wirklich, dass das unsere Hauptsorge ist? Noch haben wir vielleicht das Gebiet der Bergmenschen nicht verlassen. Wir sollten vorsichtig sein.“

„Was meinst du?“

„Ich meine, wir sollten hier nicht zu lange lagern und am besten noch vor Sonnenuntergang weiterreiten.“

„Wir sollten also dieses Gebiet schnell hinter uns lassen?“, fragte Sejarl erschöpft.

„Ja. Darauf bestehe ich, weil ich unsere Reise nicht unnötigen Gefahren aussetzen möchte. Trotzdem brauchen wir aber diese Rast hier.“

Stumm saßen die Freunde eine Zeitlang beieinander. So verstrich eine gute Weile, und die Kraft kehrte zurück in ihre verspannten Muskeln. Dann streckte sich Sejarl und sagte, sie könnten nun weiterreiten. Die Ritter löschten das Feuer, verstauten ihr Gepäck neu und machten sich daran, den Höhlenspalt wieder zu verlassen.

In dem Augenblick, als sie den ersten Schritt vor jene Öffnung machen wollten, scheute Ihlstegs Pferd. Es trat eine Reihe kleiner Steine los, welche in einer leisen Kaskade den Berghang hinabkullerten. Alarmiert schauten die Freunde sich an.

„Was kann es nur so erschreckt haben?“, fragte Ihlsteg erstaunt.

„Ich weiß nicht. Lass uns lieber vorsichtig sein.“

Mit gezogenem Schwert wagte Sejarl den Blick aus der Eingang heraus.

„Verdammt“, flüsterte er und fügte dann in verständlicherer Lautstärke hinzu: „Da draußen sind mindestens ein Dutzend von diesen Bergmenschen. Sie starren in unsere Richtung herüber und haben jeweils einen großen, schweren Stock und einen oder mehrere Wurfsteine dabei.“

„So was Dämliches. Was machen wir jetzt? Aufsitzen und durchbrechen?“

„Nein, vergiss das. Wir sind eingeschlossen und haben zu Pferde keinen Platz zum Ausweichen. Ich fürchte, wir werden wohl länger kämpfen müssen.“ Sejarl machte kein glückliches Gesicht bei diesen Worten, doch auch ein gewisser Trotz sprach aus ihnen.

Bei der körperlichen Größe ihrer Gegner entschieden sich die Ritter dafür, nicht mit den Schwertern, sondern mit den Morgensternen zu kämpfen, den Schild in der Linken. Langsam, und respektvoll um sich schauend, verließen sie die Höhle. Sie hielten, so gut dies auf dem abschüssigen Hang ging, nebeneinander zu auf die Gruppe der primitiven Wesen, die auf dem Bergpfad auf sie wartete.

Beinahe wäre Sejarl zurückgeschreckt, als der erste Stein auf ihn zuflog. Ein einfaches Parademanöver mit dem Schild konnte das Wurfgeschoß gut abwehren, ohne dass es dem Ritter größeres Können abverlangt hätte. Weitere Steine folgten, und so kam es Sejarl zunächst so vor, dass sich dieses Aufeinandertreffen mit dem Bergvolk nicht sehr von ihrem ersten unterschied.

Dann aber, nachdem sie alle ihre Steine geworfen hatten, und auch keine weiteren mehr in ihrer direkten Reichweite fanden, liefen die Wilden aufgeregt durcheinander. Sie grunzten sich gegenseitig Worte in ihrer abgehackten Sprache zu, von der die Ritter nur wenig verstanden. Schließlich entschlossen sich die Bergmenschen, alle zusammen in einem großen Pulk auf die ausgebildeten Krieger loszustürmen.

Sejarl und Ihlsteg unterdessen verfestigten ihren Stand und begannen damit, die Köpfe ihrer Morgensterne in weiten Bögen schwingen zu lassen.

Wären die Bergmenschen organisierter gewesen, oder hätten sie zumindest das Gelände besser ausgenutzt, so wären sie trotz fehlender Rüstungen und schlechterer Taktik im Vorteil gewesen. Als jedoch die ersten von ihnen am Ende ihres Ansturmes von den harten Eisenstacheln getroffen wurden und Blut floss, da heulten sie auf. Ebenso erstaunt wie verletzt suchten sie, Einer nach dem Anderen, ihr Heil in der Flucht.

Zurück ließen sie lediglich einen einzelnen der ihren. Es war großen haariger Klotz, der allzu forsch gewesen war. Sein zerschmetterter Schädel und seine gebrochene Augen starrten blicklos seinen Kameraden nach.

Schwer atmend und sich fortwährend unsicher umsehend holten Sejarl und Ihlsteg ihre Pferde und führten sie zum Weg zurück.

„Das ist ja grade noch einmal gut gegangen“, sagte Sejarl mit schwankender Stimme.

Der Kampf war in Windeseile verlaufen. Die Ritter hatten feste um sich gedroschen, während ihnen selbst ihre Kämpferdisziplin gestattet hatte, die Knüffe und Schläge durch die Treffer der massiven Holzstäbe wegzustecken. Mehr als ein paar blaue Flecken hatten sie unter ihren Rüstungen nicht davongetragen, und die Bergbewohner hielten sich nun in sicherer Entfernung, wenn auch nicht ganz außer Sicht- und Hörweite. Gelegentlich vernahmen die Ritter noch einen wuterfüllten Schrei aus der einen oder anderen Richtung.

„Wir sollten uns beeilen, weiterzukommen“, versetzte Ihlsteg.

Hastig bestiegen die Kämpfer ihre Stahlrösser und lenkten sie weiter die Bergflanke hinan. Zwar war auch der Nachmittag mittlerweile schon deutlich vorangeschritten, doch für eine Weile würden sie noch Licht haben. Bis zum Höhenrücken war es nicht mehr allzu weit.

Im Trab ritten sie ihre Pferde daher weiter den Berg hinauf, darauf bedacht, die Bergbewohner so weit es ging hinter sich zu lassen. Beiden war mehr als unwohl bei dem Gedanken, sich des Nachts auf fremden Grund dem Angriff primitiver, fremder Wesen stellen zu müssen.

Als sie den Grat erreicht hatten, hatte es schon zu dämmern begonnen, und die Schatten der Felsnadeln um sie herum wurden mit der Zeit lang und länger. Zwangsläufig lenkten nun auch die Ritter ihre Pferde behutsamer, um der verschlechterten Sicht gerecht zu werden. Der schneidende Höhenwind hätte sie frösteln lassen, hätte sie ihre Ausbildung nicht gelehrt, wie man solche Gefühle unterdrückt.

Die Bergbewohner hatten sie zurückgelassen; so hofften sie. Doch immer noch hielten sie wachsam Ausschau. Immer noch huschten ihre Augen zwischen den Felsbrocken am Wegesrande hin und her, spähten nach Bewegungen.

„Sei still!“, sagte Ihlsteg plötzlich, hob warnend die Hand und stoppte sein Pferd, als sie schließlich nur noch eine Wegbiegung von dem offensichtlichen Pass zwischen zwei kleineren Gipfeln entfernt waren. Auch Sejarl hielt an, und lauschte in das Pfeifen des Windes hinein.

„Hörst du das auch?“, fragte Ihlsteg.

„Ja, verdammt. Werden wir die denn nie los?“

Von Zeit zu Zeit war es ihnen beiden so erschienen, als ob sie hinter einer Biegung gestotterte Worte erklungen wären.

„Und jetzt?“, fragte Ihlsteg weiter.

Sejarl überlegte einen Moment, dass sein Ordensbruder wohl bald damit beginnen würde, um sich zu schlagen, fände er nur einen Gegner. Er kannte seinen Freund nur zu gut. Doch dieser brauchte seinen Rat so oder so nicht zu beeinflussen: „Jetzt ist die Zeit zum Durchbrechen gekommen“, erklärte Sejarl selbst.

Beide Ritter lösten ihre langen Lanzen aus den Verankerungen und brachten sie in Anschlag. Dann trieben sie ihre Stahlrösser in einen leichten Galopp und preschten Seite an Seite um die Kurve.

Die dort wartenden Bergbewohner waren auf ihre Ankunft zwar eingestellt gewesen, nicht jedoch auf die Geschwindigkeit, mit der diese erfolgte.

Was, bei meiner Zeit, wollt ihr eigentlich von uns?, schoss es Sejarl durch den Kopf, als er da im Halbdunkel Dutzende großer, ungeschlachter Gestalten mit einfachen Waffen sah. Warum könnt ihr uns nicht einfach in Ruhe lassen? Seine Gedanken wurden abermals durch heranfliegende Steine beantwortet.

Einer traf ihn am Helm. Dieser jedoch war zu gut gepolstert, als das der Ritter für mehr als den Bruchteil eines Atemzuges die Orientierung verloren hätte. Das reichte nicht. Immer weiter preschte er vor, den Bruder an der Seite, die Lanze gesenkt und auf die im Wege stehenden Gegner gerichtet.

Einer kam ihm zu nahe. Sejarls Lanze erfasste ihn an der Schulter, drang ein in das zähe Fleisch und hindurch. Für einen kurzen Moment bog sich da der Lanzenschaft, und des Ritters Ansturm wurde gebremst. Kurz, den Augenblick eines Lidschlags lang, drohte er, aus dem Sattel gehoben zu werden. In einem knappen Gedanken weigerte er sich, die Lanze einfach loszulassen, und auf sie zu verzichten. Dann bestätigte ihn der Gang der Dinge. Mit einem unnatürlichen Knallen zersprang das Schulterblatt des Bergmenschen und ließ den Ordenskrieger wieder weiter nach vorne schießen.

Die Gesellen des schwer Verletzten hatten dieses Geschehen mit angesehen und beeilten sich nun, aus der Bahn der Stahllanzen herauszuspringen. Allein am Ende des breiten Passtales wartete noch eine Gruppe der Primitiven, von vorne angeleuchtet durch den Schein der untergehenden Sonne, welche die Ritter im Rücken hatten. Sie waren gezwungen, auf das Bergvolk direkt zuzureiten, denn das Passtal verschmälerte sich an jener Stelle ein letztes Mal.

Im ersten Augenblick, als er es bemerkte, fasste Sejarl seine Waffen wieder fester. Im zweiten jedoch, als die rasch näher kommende Gruppe deutlicher zu erkennen war, sah er sich genötigt, sein Verhalten wieder rückgängig zu machen, und die Lanzenspitze zu heben.

Was soll das?, durchzuckte es ihn, denn meinte, bei jenen Wesen starke Größenunterschiede ausgemacht zu haben. Sind da etwa Kinder dabei? Sein Kodex verbot es ihm, gegen Kinder zu kämpfen, was auch immer sie als Erwachsene einmal werden mochten. Wissen diese Wesen von den Eiden der Ritter?, rasten seine Gedanken. Möglich wäre es, nahe genug sind unsere Lande. – Aber Haltmachen dürfen wir dennoch auf keinen Fall; das wäre unser Ende.

Dann waren die Ritter schon an die Gruppe heran. Aus dem Augenwinkel erkannte Sejarl, dass sein Ordensbruder die gleichen Gedanken gehabt haben musste wie er, denn auch er trieb sein Ross nun zum Äußersten an.

Beide Ritter planten gleich, beide hielten die Waffen fest und die Zügel noch fester und trieben ihre Pferde an, so schnell zu galoppieren, wie es diesen möglich war. Als sie an die Gruppe der Bergmenschen herangekommen waren, rissen sie an den Zügeln und verlangten von den Pferden den Sprung. Der Weg hatte sich dort, an jener Stelle, bereits wieder zu neigen begonnen. So gelang den schweren Stahlrössern ein viele Mannslängen weiter Satz, der sie über die Köpfe der meisten Gegner hinweg trug, und den Rest von jenen zu allen Seiten fortschleuderte. Wie loses Geäst wurden viele vom Andruck der stählernen Leiber durch die Luft geworfen. Sogleich brach lautes Geschrei und Gekreische unter ihnen aus.

 

Die Ritter aber wurden sich nun mit einem Male eines Problemes anderer Art bewusst: Indem sie nämlich die Passhöhe nun hinter sich hatten, so sahen sie vor sich keinerlei Halt mehr. Da war nur noch ein abschüssiger Hang, welcher hier, auf der Abendseite der Berge, gänzlich im Dunkeln lag. Die Pferde waren zu schwer und nicht mehr zu bremsen.

Alles Reißen an den Zügeln half nichts. Beide Reiter schossen über einen Klippenrand. Unter einem kalten, dunklen Himmel, an dem die ersten Sterne erschienen, stürzten sie auf einen Boden, der nicht zu sehen war. Kalt schlugen die eisernen Hufe auf den abschüssigen Felsen, so dass Sejarl und Ihlsteg gelegentlich in flüchtigem Hinabschauen die Funken fliegen sehen konnten.

Gewöhnliche Pferde wären bei solchem Ritt, der nun für sie begann, unweigerlich gestrauchelt und hätten sich und ihre Reiter zu Tode gestürzt. Allein die Hufe der Stahlrösser bohrten sich wie Stemmeisen in das feste Felsgestein. Dies vermochte ihre Geschwindigkeit wieder ein wenig zu verringern. Trotzdem hätte ein einziger, loser Gesteinsbrocken auch diese Tiere zum Ausrutschen bringen können, doch dieser einzige kam nicht.

Die Reiter verkrampften sich und hatten Mühe, sich auf den Rücken der Pferde zu halten, die alleine hier noch eine Vorstellung davon haben mochten, wie der Grund unter ihnen beschaffen war. Festgeklammert hockten sie da, hinter ihnen, unter ihnen und vor ihnen nichts als undurchdringliche Finsternis.

So ging es hinab, weiter, rasend , den Atem raubend. Es ging so für eine Weile, die im Nachhinein keiner der beiden genau hätte einschätzen können. Als die Pferde schließlich am Ende doch noch langsamer wurden und schließlich anhielten, ließen sich die zu Tode erschöpften Reiter umgehend aus den Sätteln gleiten. Sie fielen dort, wo sie abgestiegen waren, noch an derselben Stelle in einen einer Ohnmacht gleichenden Schlaf.

Am nächsten Morgen, als die Sonne sie wachkitzelte, fanden sie sich auf einem kleinen, buschbewachsenen Plateau am Rande der Baumgrenze wieder. Der Bergrücken lag, von kleinen Wölkchen umkränzt, in weiter Ferne hinter und über ihnen. In der milden Luft waren die Länder, welche nun zu ihren Füßen lagen, gut auszumachen.

Direkt am Fuße der Berge lag eine weite Landschaft von kleineren und größeren, silberglänzenden Flüssen und grünen Auen. Die Flüsse dort flossen ständig auseinander und wieder zusammen, so dass sie kleinere und größere Inseln bildeten, und das Ganze von oben wie das Bild eines verwinkelten, wundersamen Gartens wirkte.

Fern noch hinter jener Gegend lag ein Land, welches in weiten Flächen gelb war von der Farbe des Korns und der Ackerpflanzen. Hier und da waren sogar von der fernen Bergflanke aus noch die Rauchsäulen von den Herdfeuern aus größeren Ortschaften zu erkennen. Allen Berichten nach, die sie gehört hatten, wussten Sejarl und Ihlsteg, was dies dort für ein Land sein musste. Es war das Königreich der Zwerge, genannt Kom.