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Daniel Jesus

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Daniel Jesus
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Es war eine lange und ziellose Straße, in der Daniel Jesus hinter einem häßlichen Abend ging. Der war immer vor ihm, und er konnte ihn nicht erreichen mit seinen dünnen, schmerzhaften Beinen, die einen hastigen und flackernden Schatten auf die nassen Steine des Pflasters streuten, der ihn ärgerte und verdrießlich stimmte. Der Abend lief vor ihm her wie ein tolles und boshaftes Tier, und er konnte ihn mit seinen magern Fingern nicht greifen und konnte ihn nicht bei den wirren Haaren fassen und ihm in die zuchtlosen Augen starren, lange und nahe, so daß sein heißer Atem über seine zuckenden Wimpern fahren müßte. Das war sein lieber Gedanke und seine sehnsüchtigste Sehnsucht seit Jahren. Wer so den Abend erwürgen könnte! Denn der Abend war böse. Natürlich müßte man vorsichtig sein. Sich nicht belauern lassen und mit einfachen und gütigen Worten sich ihm nähern und lächeln und ihn liebkosen wie ein Weib. O, er würde schon klug sein! Der Haß würde wie eine Inspiration in ihm leuchten, daß er die richtige Weise fände, den Abend zu bändigen und zu töten. Er gäbe sich ihm hin wie ein Knabe, der gestern ins Leben kam, und wäre sanft und leidenschaftlich und wollüstig. Er würde mit verlangenden Händen den glatten Leib dieser Metze betasten und sie schläfrig und gierig machen. Bis er unter seinen Fingern die schwarzen Adern an ihrem Halse klopfen fühlte, in denen ihr Herzblut brannte. Da würde er zudrücken, plötzlich und krampfhaft und ohne Erbarmen. Dann bekäme sie jenes furchtbare Antlitz, von dem er jede Nacht träumte. O Gott, daß er immer daran denken mußte! Aber er konnte diesem Bilde nicht entrinnen! In jedem Spiegel war es, in den er hineinsah, und hinter jedem Fenster, an dem er vorbeiging, hing es wie eine Larve. Es war ein bleiches und angstvolles Gesicht, das eine arge Krankheit mit Eiter und Aussatz grausam gezeichnet hatte. Und unter seinen drosselnden Gelenken war ein hilfloser Schrecken in dieses Gesicht gekommen, der seine Augen aus den Höhlen trieb. Und aus dem keuchenden Halse kroch die verfaulte Zunge wie ein Eingeweide heraus und wollte kein Ende nehmen und wurde länger und länger und wuchs und stieß die Glasscheiben der Fenster ein, an denen er vorüber mußte. Die Straße war ziellos und lang, und die giftige Zunge leckte nach ihm und haschte sein Kleid, und sie kam näher und nahe. Du großer Gott! Jetzt war sie da, nur vorwärts, und sich nicht umschaun um Gotteswillen!

Daniel Jesus lief. Er lief in kurzen, zappelnden Sprüngen, und der Schweiß rann ihm in blassen Tropfen in seinen schüttern Bart. Er lief, bis ihm seine kranke Lunge den Dienst versagte und er röchelnd stehn blieb. Da lehnte er sich an einen Laternenstock und ruhte aus. Gott sei Dank! Die Angst war vorüber, und er fürchtete sich nicht mehr. Er mußte wirklich zum Arzt gehn in den nächsten Tagen, denn er hatte Visionen. Der Abend war ja nicht tot, der ging vor ihm her und tanzte einen Polkaschritt um jede elektrische Lampe und hüpfte spöttisch von einer Seite der Straße auf die andere hinüber und schielte in die Parterre-Wohnungen hinein, und er hatte ihn noch nicht erwürgt, und darum brauchte er dieses Gesicht nicht so zu scheun! Trotzdem! Und wenn es ihn zu Tode quälen sollte. Denn er haßte den Abend. Weil er sich lustig über seinen Buckel machte und ihn hundertmal nachäffte an den Häuserwänden, verzerrt und grotesk, komisch und gemein.

Jedesmal, wenn eine Laterne kam, sah er seinen spitzigen, schiefen Buckel an der Wand und auf der Erde, zwei-, dreimal, in vielen Schattierungen und Längen. Die Sonne war ehrlich und zeigte ihm sein Gebrechen, aber der Abend verhöhnte es. Er ließ sich nicht verhöhnen, er, der reiche Daniel Jesus, dem die Leute die Hand küßten, wenn er wollte.

Verbittert und ächzend ging er weiter. Es war doch eine Miserabilität dieses Lebens, das er führte. Es hatte kein Ziel und kein Ende, genau so wie die Straße, die er vor sich sah. Es war nichts darin, als wüste, verlogne Gaukeleien, in denen sich sein starkes, hungriges Herz verlor. Diese Orgie, die er in seiner Villa gestern veranstaltet hatte, weil der junge Baron Sterben zwanzig Jahre alt geworden war. War das groß und grausam, und war darin nur ein Stückchen von der großen Gloria der Missetat? War darin Glut und Sünde? War darin ein Untergang? Nicht einmal schamlos war es: Ein paar nackte Mädchen, die sich mit Champagner betranken und sich dann auf seinen wunderschönen, blutroten Teppich übergaben, der ein Vermögen wert war. Wo war da jener blinde und ruchlose Zug, der seiner würdig wäre? Eine Fürstin hätte er finden müssen! Aber eine Fürstin der Seele, keusch und gut, damit ein wenig Tragik dabei sei, ein wenig Kampf und Schande und Sünde. Eine Heilige hätte auf seinen Knien sitzen müssen und Rosen auf seinen häßlichen Buckel streun und seine verkrüppelten Füße küssen und dem Baron Sterben splitternackt den Champagner reichen. So war es dumm und langweilig gewesen. Diese Bürgerstöchter hatten keine Seelen. Es rührte und packte sie nichts, und sie schauerten niemals unter einem solchen Abend. Es fror und schrie nichts in ihnen, kein Verbrechen und keine große Uebeltat, keine Wollust der Selbsterniedrigung, kein Rausch und keine Sehnsucht.

Er mußte Seelen sehn, wenn sie nackt und betrunken waren. Das liebte er. Brünstig und inbrünstig, ekstatisch und irre. Von einer großen Kraft verwirrt, von einem Gott oder einem Tiere. Darum ging er jetzt auch wieder in das kleine Haus neben dem Eisenbahnviadukt, wo er schon so lange nicht gewesen war. Sie würden ihn frostig empfangen, Schuster Anton und seine Beter. Sie wußten ja immer alles, was er tat. Sie waren wie das böse Gewissen. Und sie wußten sicher schon, daß er gestern abend wieder gesündigt, daß er dem Teufel seine Türe geöffnet habe. Er konnte nicht ersinnen, wo Schuster Anton alle diese Dinge erfuhr. Aber sie waren ihm alle bekannt.

Furchtsam und fiebernd ging Daniel Jesus die finstre Holztreppe hinauf. Ganz leise öffnete er die Tür und stand im Zimmer.

Sie sangen gerade das Marienlied vom schmerzlichen Herzen. Um einen langen, kahlen Holztisch herum standen eine Menge Menschen mit Gesangbüchern in den heißen Händen, und ihre Stimmen stiegen wie ein herber zerbrochner Schrei in die Höhe und stießen sich an der niedrigen Zimmerdecke wund. Und alle dachten nur das eine Lied. Es war kein Raum in ihren Seelen für die Geschehnisse der Stunde. Am Ende des Tisches stand Schuster Anton. Er kannte das Lied schon auswendig und hatte seine harten, ungeheuern roten Hände zum Gebet gefaltet und sang. Es klang wie ein Notruf auf See. In Nacht und Sünde war sein Schiff gescheitert und trieb jetzt umher und suchte Gott. Und er rief ins Dunkle hinaus, stetig und immer lauter, sinnlos und gläubig. Ein wilder und stolzer Kopf saß auf seinem riesenhaften Leib. Bartlos in trotziger Askese, mit einem Mund, der wie ein Säbelhieb in seinem narbigen Gesicht geblieben war.

Neben ihm stand sein Weib. Groß und riesenhaft wie der Schuster, mit einem wundervollen, brandroten, glutenden Haar. Sie dehnte und bog ihren mächtigen Leib im Gesang und rang mit der Sünde. Sie schrie das Lied in die Stube, daß es wie ein verirrtes und erdrosseltes Schluchzen auf die Gasse fiel und die alten Frauen schauernd ein Kreuz schlugen. Aber es half nichts. Sie konnte ihr Blut nicht töten, und das Lied füllte ihr Herz nicht aus wie die Herzen der andern. Sie suchte mitten zwischen den Strophen nach einem Brand und einer Verheerung. Denn die Liebe zu Gott war klein und arm und kein Sturm wie bei Schuster Anton. Der war ein Messias und ein Erlöser und sie ein armes Weib. Aber sie mußte auch eine Glut in ihrer Seele haben, die ihr Blut verdorren ließ wie einen Tümpel in der Sonne. Sie war ein Mensch, in dem es viel zu verbrennen gab. Sie haßte ihr Blut und ihren großen Leib, den sie nicht bändigen konnte. Sie hatte eine stumpfe und gierige Angst vor ihrem Leib. Sie sang. Und es war wie ein Notruf auf See.

Christus! Christus! schrie es in ihr.

Sie schob ihre weiten, verheerenden Augen an den verräucherten Wänden weiter und an den verzerrten Gesichtern der Menschen. Aber das Lied füllte ihre Seele nicht aus.

Da sah sie mit einem Male zwischen den Träumen und den Visionen, zwischen den Gaukelein und den Flammen ihres Gesanges plötzlich, und wie den Schatten hinter einem Licht, Daniel Jesus in der Stube stehn. Er sah sie an. Und ihre Augen verloren sich. Ihre Augen gingen nackt und schamlos in die seinen, wie eine Frau in das Bett ihres Geliebten steigt. Und groß und häßlich, so wie der Abend draußen, den Daniel Jesus nicht erreichen konnte, trat zwischen das Lied die Sünde. Daniel Jesus war es, als ob eine eisige Hand über seinen Buckel führe. Und er trank diesen Blick der Büßerin wie eine schöne und ruchlose Missetat.

Und er wußte, daß eine Fürstin auf dem Wege zu ihm war. Sie war noch weit, und ihre Pferde gingen langsam.

Aber der Abend wird uns schon zusammenführen, Schuster Anton! Denn der Abend ist bös.

Und keiner hatte den schamlosen Blick gesehn als die röchelnde Zigeunerin, die vor dem Schuster am Boden lag und ihre Knie an den Dielen blutig riß. Sie küßte die Füße des Schusters, und der Schaum stand vor ihrem Mund und flog hinauf zu den harten Händen des Mannes und war heiß wie siedender Schnee.

Aber seine Hände zuckten nicht, und er hob sie hoch und einsam über all die Leute, hoch und höher, weit hinauf zu Gott.

Baron von Sterben war ein sehr guter und auch ein schlechter Mensch. Er wußte nichts davon. In ihm tat das Gute alle jene edeln Capricen und Feinheiten, die er selbst zuweilen an sich liebte, und das Schlechte wurde gemein und schmutzig in seiner Seele mit einer gewissen nachdrücklichen Besonderheit, die er oft nicht begreifen konnte. Er selbst rührte keinen Finger zu dem allen. Er wehrte sich nicht gegen das Arge in ihm und tat dem Schönen keinen Gefallen. Er war zwanzig Jahre alt und hatte dem Leben bis auf den steinernen Grund gesehn. Und nun machte er eben alles mit, was eine eigene und einsame Gebärde hatte, jedes Abenteuer, wenn es kostspielig war, jede Sünde, die ihn noch schauern machte. Das heißt, er war es gar nicht, der das alles tat, es waren die Dinge selber, die ihr Leben durch das seine trugen und durch ihn hindurchgingen wie durch eine offne Tür. Seine Seele tat manchmal etwas, seine Hand oder ein Fremder. Aber niemals er selbst, den er verloren zu haben glaubte in den ungesunden Träumen seiner Knabenjahre. Er war ein passiver Mensch, mit dem die Tage machten, was sie gerade wollten.

 

Er liebte Hagar, die junge Zigeunerin. Auf einem Jahrmarkt vor der Stadt hatte er sie vor einigen Wochen gefunden, wie sie den Leuten für braunes Kupfergeld kindische Kapriolen schenkte. Sie hatte ihm gefallen, weil sie mit bloßen Füßen tanzte und klein und mager war wie eine Wildkatze. Und als er ihr eine Viertelstunde zugesehn hatte, da schüttelte ihn schon der Frost, und er wußte nun, daß alles vergebens war und daß ihn sein armer, von der Liebe gefolterter Leib zwingen werde, sie zu besitzen. Sie hatte große und schmale Goldringe in den Ohren, über die das Haar wie ein dunkler Vorhang fiel. Diese großen, dünnen Ringe bei blassen Frauengesichtern waren sein Fetisch schon seit Jahren. Es kam ein wilder, verregneter Vorfrühlingstag, und seine Zähne schlugen im Taumel aneinander. Er fühlte leise und hoffnungslos, daß Gefahrvolles und Böses in den Augen Hagars lauerte, und daß sein junges Leben darunter büßen werde wie unter einer Rute. Aber eben das war ein schwerer, siegender Zauber für ihn, dem er nicht entrinnen konnte.

So wurde Hagar die Maitresse des Barons.

Stumm und staunend war sie damals mit ihm gegangen. Sie begriff nicht recht, was sie mit ihm beginnen sollte, der sie mit zuckendem Munde ansprach und über dessen verlebtes Gesicht das Fieber wie der Wind über die Felder ging. Er freute sich darüber, daß sie Hagar hieß, er hatte diesen Namen schon in der Schule sehr lieb gehabt, und das Schicksal dieses Weibes hatte ihn immer gerührt wie das seiner Mutter. Jetzt war sie seine Geliebte geworden, und er führte sie in sein Haus. Für hundert silberne Gulden hatte er sie einem schmutzigen Komödianten abgekauft, der sie wohl für zwanzig auch gegeben hätte, denn er war hungrig und hatte schon seit Tagen kein Fleisch gegessen.

Sie ging still und folgsam mit ihm durch die Straßen, wo die Leute sich umsahn und lächelnd den Baron erkannten. Sie trug ein dunkelrotes, verschossnes Kleid und hatte bloße Füße. Daheim nahm er sie in seine Arme und sang eine kleine, ein bischen ironische Melodie, die er einmal von einer Frau in einer seltsamen Stunde gehört hatte. Mit der Spitze seines Lackschuhs stieß er eine wunderschöne breite Tür auf und legte die stumme Hagar in sein seidnes Bett. Ein tiefblaues und trauriges kostbares Kopfkissen schob er ihr unter den braunen Hals, und dann kniete er nieder vor dem Bett und begann sie Stück um Stück langsam atmend zu entkleiden.

Hagar wandte ihren Kopf zu ihm und sah ihn an. Und dann sagte sie etwas, das wie eine Liebkosung über sein heißes Gesicht flog. Fr schrie auf und küßte sie mit der kranken Inbrunst seines Leibes, den die Liebe zerbrach. Er küßte sie, bis ihr das Blut von den Lippen auf das weiße Eisbärenfell niederrann, auf dem er kniete, und da nahm er sie mit beiden Händen und riß ihr das Hemd über der keuchenden Brust vom Leibe, daß sie nackt vor ihm da lag und ganz sein war.

Nun hatte sie ihn schon viele Wochen mit ihrer Liebe gequält und ihn zum Sklaven ihres kleinen, mageren Körpers gemacht, an dem er zu Grunde ging. Hagar war gnadenlos und ohne Erbarmen. Sie grub ihre braunen, zitternden Finger in sein weiches Fleisch und biß ihm die Brust wund wie eine Katze. Ihre heischende und zuchtlose Liebe umgab ihn wie ein schwerer Traum, aus dem er nicht erwachen konnte.

Bis eines Tages Daniel Jesus kam und sie mit der Peitsche aus dem Hause des Barons Sterben jagte. Er wollte nicht, daß sein junger Freund dieser verkommnen Hexe erliege. Es war etwas Großes und Phantastisches in dem Herzen des Barons, das er ihm bewahren wollte und das ihm die Zigeunerin stahl, in jeder Nacht, In der er verzweifelt mit ihrem Leibe kämpfte wie mit einem Tier.

Erst schrie er auf und wollte Daniel Jesus die Peitsche entreißen, dann warf er sich auf den Boden und hüllte den Teppich um seinen Kopf und ließ ihn gewähren.

Hagar kam wieder, aber sie marterte ihn nicht mehr. Sie saß am Tage schweigend und finster in einer Ecke, und in der Nacht sprach sie mit ihren Träumen. Einmal bat sie ihn, er solle ihr aus einem alten, rostfleckigen Buche etwas vorlesen, und da las er mit Verwunderung Gebete und Sprüche und Lieder darin und eine uralte Litanei zu einem lange vergessenen Heiligen. Es war eine starre und blinde Brunst in diesen Liedern, eine wüste Sehnsucht und so etwas wie eine letzte mit dem Kreuze gezeichnete Station.

Er fragte.

Da sagte sie trotzig, daß sie jetzt zum Schuster Anton gehe, zu dem heiligen Mann, der draußen hinter dem Bahnsteig wohne, in der langen Straße mit den hundert Laternen. Sie sei eine Sünderin und müsse beten, stundenlang und alle Tage, damit Gott ihr verzeihe und sie den Frieden finde.

Den Frieden? Das Wort machte ihn betroffen.

Den Frieden? Verspricht den der Schuster?

Ja.

Und jetzt sprach sie eine Stunde lang von dem Messias. Wie er groß und mächtig sei und wie ein König unter allen Leuten. Wie neben seiner Stimme jede Sünde fällt. Wie hoch seine Hände zu Gott emporreichen. Und wie er das tausendjährige Reich verkündet. Die Menschen sollen fliehen vor einander, denn die Gemeinsamkeit ist die Sünde. Und wo zwei neben einander stehn, da sei Gott mitten zwischen ihnen, daß sie ihre nackten Augen nicht sehn und sich nicht schämen müssen. Damit wir nicht arm und gehetzt sind wie heute und mit uns selber kämpfen und mit dem Leben. Damit wir nicht in Krämpfen und Begierde unterliegen. Daß wir keine Sehnsucht mehr haben, außer Gott. Und keinen Wunsch außer ihn. Fluch aller Liebe, die an Gott vorbei will. Ihr nimmt er das Bewußtsein und macht sie irre. Daß sie am Ende nur ihre eigene Marter lallen kann.

Sie hatte sich heiß geredet, und ihre Wangen brannten. Ihr Haar war aufgegangen und fiel ihr ins Gesicht. Sie war schon in dieser Stunde, die Zigeunerin. Er nahm sie um den Leib und wollte sie küssen. Seit jenem Tage, da Daniel Jesus sie mit der Peitsche schlug, hatte er sie nicht berührt. Die Gier erwachte in ihm, und er schauerte wieder wie damals, als er sie zum ersten Male gesehn hatte an jenem wilden, verregneten Frühlingstag, als sie mit nackten Füßen vor ihm tanzte.

Hagar – stockte er und wollte sie küssen.

Aber sie wandte sich ab und stieß ihn zurück. Und als er ihren Leib faßte, schrie sie wie im Schrecken. Da kam eine leuchtende, hellrote Welle von Blut, die ging durch sein Gehirn wie ein Eisenbahnzug und brauste. Er nahm die Zigeunerin bei den Füßen und warf sie zur Erde. Dann setzte er das Knie auf ihren bäumenden Leib und wollte ihr wie damals das Kleid über der Brust zerreißen. Doch sie hob die Hand und schlug ihm ins Gesicht, hart, blind, drei-, viermal. Er gab sie frei und sah entsetzt und bleich zu ihr hin – wie zu einem Tier.

Dann lachte er auf und höhnte:

Du bist in deinen Schuster verliebt und magst mich nicht mehr. Geh hin, er ist stark und groß, und sein Bett ist breit, dort kannst du beten.

Sie lag noch immer auf dem Boden.

Das ist nicht wahr! schrie sie laut. Und da kam eine Pause, in der sie sich ansahn und beide das Blut des andern flüstern hörten. Ein Moment, wo ihre Augen groß und schmerzhaft wurden mit vielen Tränen, in denen noch der traurige Schimmer ihrer verwundeten Seele leuchtete.

Das ist nicht wahr! heulte sie noch einmal wie ein Hund, und dann warf sie den Kopf auf die Erde und weinte.

Es war ihr eben ein Glück genommen worden, an das sie viele Tage geglaubt hatte. Das war in ihr zusammengebrochen und stand nie mehr auf. Sie wußte mit einem Male, daß sie niemals nach Gott gesucht hatte in diesen Stunden. Daß es doch wahr sei und daß sie den Schuster liebte und nach ihm begehrte und daß sie es vordem nur nicht gewußt hatte. Aber jetzt war es ihr plötzlich deutlich, daß sie nach seinem großen und stolzen Leibe lechzte und nach dem häßlichen Mund mit den brennenden Narben. Und er war von Gott und würde sie zertreten, wenn sie zu ihm käme.

Darum weinte die Zigeunerin.

Durch die schweren, seidnen Portieren waren die Stimmen des unruhigen und ahnungsvollen Märztages in den Salon der Gräfin Regina gekommen und machten sie nachdenklich und unsicher. Diese Stimmen blieben in ihrer Seele wie ein langer und gefährlicher Verrat, und es war ihr zuweilen, als ob sie von ihr sprächen, und das wollte sie nicht, Sie wollte alt sein und ihr Leben ohne Kampf zu Ende bringen, und in der Liebe zu Marta Bianka.