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Hüter der Freude

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Hüter der Freude
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VORWORT

Es könnte der Fall eintreten, daß kluge Leute in meinem Buche ein Schlüsselromänchen wittern. Ihnen erkläre ich gleich, daß die Vermutung nicht zutrifft. In meinem Bekanntenkreise gibt es kein Fräulein Muck, keinen Römerstern, Löwenthran, Bondy. Ich habe mich bei ihnen allen nur um den Typ bemüht, der mir mitunter allerdings heftig verpragerte. Nebenfiguren und Kulissen sind oft der Wirklichkeit entlehnt. Aber der einzige Mensch, der mir in vieler Beziehung ausgiebig Modell gestanden, der außerhalb dieses Buches wahrhaftig lebt, ist mein lieber Kumpan Benjamin, Gerade mit ihm ist es mir seltsam ergangen. Ich vermochte es nicht, ihn rund und plastisch zu porträtieren, nahm während des Schreibens gewissermaßen nur eine Seite seines vielgestaltigen Wesens wahr, ohne der anderen zu gedenken. Sein universelles Gemüt, seine einfache, noble Art sich mit den Menschen abzufinden, sein Talent, die Welt zu begreifen, witzfroh zu sprechen, zartsinnig zu schweigen, brachte ich nicht einmal andeutungsweise in sein Bild. Es ist mir ein Bedürfnis, nachdrücklich darauf hinzuweisen, weil ich der Wahrheit die Steuer nicht verweigern möchte, weil ich Vorwürfe verdiene, die gerechtfertigt sind. Vielleicht ist mein freimütiges Bekenntnis geeignet, sie freundschaftlich zu mildern.

PRAG, MAI 1918 – DER VERFASSER

I. KAPITEL

STURMFENSTERS
NACHMITTAGS
GEDANKEN

Der Regen wollte nicht aufhören. Lautlos, in langen, gestrichelten Ketten fiel er zur Erde und sammelte seichte, plätschernde Pfützen in der Mitte der Fahrbahn. Mitunter machte er eine Pause und indessen trocknete der Wind weiße Flecken auf dem Pflaster der Gehsteige aus. Aber dann begann er von neuem. Der Kandidat der Philosophie Gaudentius Sturmfenster saß hinter einer der großen Glastafeln des Café Portugal und hatte eben sein Fruchteis ausgelöffelt. In seinem schlittern Kinnbart waren ein paar Brocken der Waffeln hängen geblieben, deren letzte Reste er jetzt zwischen den Fingern zerbrach. Seine wasserblauen Augen waren weit aufgerissen und starrten auf die Straße hinaus. Gegenüber war der Nordwestbahnhof. Die Droschkengäule vor dem Portal standen geduldig in der Nässe, und die roten Gesichter der Kutscher blickten vergnügt in das Wetter. Die Frauen, die draußen vorbeihasteten und mit dem Schirm das Gesicht verdeckten, rafften die Röcke und wichen behutsam den Kotlachen aus. Sturmfenster sah wohlgeformte Waden über feinen Knöcheln und sein Gesicht bekam allmählich einen merkwürdig gespannten Ausdruck. Er schüttelte eine Zigarette aus dem Papiersack, der vor ihm zwischen Zeitungen und Kuchenteilern auf dem Tische lag, und zündete sie umständlich an.

Es war seltsam, wie dieser Frühjahrsregen ihn erregte. Schon als Kind war er seinem warmen, einlullenden Zauber unterlegen. Er gedachte noch genau der Spiele, die er an solchen Tagen, wenn die Kinder wegen der Witterung nicht in den kleinen Garten hinter dem Hofe durften, in den Stiegengängen des Elternhauses mit den Nachbarsmädchen spielte. Eine verlegene Scheu hatte ihn überkommen, wenn sich ihnen im Eifer die kurzen Röckchen über die Knie schoben und darunter die kindliche Wäsche zum Vorschein kam. Sturmfenster schloß die Augen und ließ die Erinnerung an sich heran. Während der Schulzeit hatte er viel durch diese Dinge gelitten. Von dem Tage an, wo sein älterer Bruder den sechsjährigen Buben über die Verschiedenheit der Geschlechter belehrte, war es mit der Glückseligkeit vorbei. Die Welt, die ihm früher täglich bunte Bilder bot, nach denen er töricht haschte, war verwandelt. Männlein und Weiblein liefen jetzt darin herum und betrachteten einander mit sonderbaren Augen. Frühzeitig wurde in dem Kinde eine Bangnis lebendig, ein unruhiges Wünschen, das später Form und Richtung erhielt und ihn beinah erstickte. Die Not seiner Knabenzeit, die er in tötlicher Scham vor den anderen versteckte, mit der er ratlos in unendlicher Erschöpfung kämpfte, war grenzenlos. Es blieb ihm Unverstand lieh, wie seine Mitschüler untereinander ihre Gefühle sachlich erörtern konnten und mit welcher Leichtigkeit sie auch sonst damit umsprangen. In den Jahrgängen des Gymnasiums, in denen es in Mode kam, lief er mit den übrigen Kameraden nach Schluß des Unterrichtes den Mädchen nach, die das nahe Lyzeum besuchten. Im Winter war es schon finster, und einmal nahm er allen Mut zusammen und sprach in einer menschenleeren Seitengasse eine an, die ihm besonders gefiel, der das Blondhaar noch in Zöpfen über den Rücken hing und die bei der eiligen Flucht vor ihrem Verfolger ihre schönen, schlanken Beine zeigte. Er begleitete sie dann auch ein Stück Wegs bis in die Nähe ihres Hauses und sie sprachen einige mühsam erklügelte Sätze. Zum Abschied gaben sie einander nicht einmal die Hand. Da waren die anderen fürwahr doch bessere Kerle. Die lachten und schwatzten mit den Mädeln, daß es eine Lust war, und faßten sie auch manchmal recht tüchtig an und küßten sie, wenn gerade niemand dabei war. Die Mädchen hielten still und ließen sich's gefallen. Für Sturmfenster wäre das ein unirdisches Glück gewesen, das ihn schon aus der Ferne betäubte.

Als er Tertianer geworden war, hatte der Schuldiener des Gymnasiums ein siebzehnjähriges Ding als Dienstmädchen bei sich aufgenommen. Es war ein dunkelhäutiges, brünettes Geschöpf, das immer barfuß und zerzaust im Hause umherlief und nach der Schule auch die Klassenzimmer in Ordnung bringen mußte. Sie trug meist nur eine dünne, lose Bluse auf dem Leib und ihre Brüste hüpften unter dem Hemde. Die Schüler sahen sie alle mit heißen Blicken an und sie erwiderte mit einem Lächeln. Eines Nachmittags, während die Junisonne draußen in der Gasse lag und eine wollüstige Luft zu dem geöffneten Fenster hereinkam, erzählte während der Schulpause ein schöner, starker Bursch den nebensitzenden Buben, daß er das Mädchen besessen habe. Er sei nach dem Unterrichtsschluß noch eine Zeitlang im Klassenzimmer zurückgeblieben, um ein paar Anmerkungen niederzuschreiben. Da sei sie eingetreten, habe sich scherzend neben ihn auf die Bank gesetzt und ihren Körper an den seinen gelehnt. Und da habe er sie einfach genommen.

Sturmfenster war bei der Erzählung des Knaben das Blut in den Kopf gestiegen. In seinen Ohren brauste ein Wasserfall und er fühlte, wie sein Gesicht über und über flammte. Das also gab's! Unerhörte, ungeahnte Ereignisse, Küsse bis zum Grunde der Sehnsucht, Katastrophen des Glücks. Das gab es nicht bloß für die Erwachsenen, für Väter und Brüder. – Ein Schuljunge, der zu Hause genau so wie er die griechischen Vokabeln memorieren mußte, hatte das braune Mädchen besessen. Hundert Augen schielten in vergeblicher Begierde nach ihr, und ihm war sie zugefallen. Und jener, statt hingerissen, verzückt, angstvoll zu schweigen, sprach laut davon wie von einer Sache, die täglich und jedermann geschah. Der zitternde Knabe konnte es nicht begreifen.

Der Kandidat der Philosophie Gaudentius Sturmfenster erhob sich plötzlich. Was so ein Frühlingsregen doch für dumme Gedanken aufweckte! Was hatte er sich heute um diese Eseleien zu scheren, wo er dreißig Jahre alt und wo es höchste Zeit war, daß er mit dem Studieren zu Rande kam. Er legte die fünfzig Heller für die Zeche auf das Marmortischchen, nahm Hut und Mantel vom Haken und ging auf die Gasse.

Draußen sprühten ihm die lauen Tropfen wohlig ins Gesicht. Im Grunde genommen war er ja immer noch derselbe dumme Junge wie damals, der sich vor den Weibern ängstigte und sie nicht zu nehmen wußte. Die Jahre hatten ihn nicht verändert, nur der Bart war ihm gewachsen. Aber er hatte erkennen gelernt, daß seine Scheu aus der Tiefe der Empfindung kam. Die andern waren sorglose Gesellen, ihre Triebe im Seichten verankert. Aber die seinen gruben Wurzeln ins Innerste. Ein süßes Entsetzen erschütterte ihn, wenn er sich seine ersten Erlebnisse mit der Frau ins Gedächtnis rief. Da war er schon Student im ersten Universitätsjahre gewesen. Er erinnerte sich noch deutlich der bohrenden Qual und Verzweiflung, die vorhergegangen war. Grauenvoller Nächte, die er ohne Schlaf verbrachte, stumpfer Gewissenskümmernis, wenn die heimliche Sünde kam und ihn niederzwang. Lange hatte er sich gewehrt, es den übrigen gleichzutun. Von Sehnsucht zermürbt, wurde er hoffnungslos. Bis er dann endlich ein Ende machte wie die andern.

In seiner Seele stand der Tag wieder auf, grausträhnig, düster, erkältend. An den Häusern streift ein Schatten entlang, blickt rückwärts, steht, zögert. Bist du es, Sturmfenster, Sturmfenster? Die Straße ist eng, winkelig, und die Buben, die im Kehricht mit farbigen Fisolen spielen, lachen so häßlich hinter ihm drein. Irgendwo ist ein Fenster offen und ein Phonograph schreit ihm das Lied vom lieben Augustin, der alles verloren hat, in die Ohren. Das Stiegengewölbe ist schlecht beleuchtet und so niedrig, daß er nicht aufrecht darin gehen kann. Dann tut sich die Türe auf und er steht in dem Zimmer.

Dieses Zimmer, wirst du es jemals vergessen können? Es ist kein gewöhnliches Zimmer, wo Menschen wohnen, wo man ißt, trinkt, schläft. Es ist symbolistisch verdunkelt, ein Inventarstück der Ewigkeit, ein Traumzimmer aus des Lebens tieferer Bedeutung. Ein Bett steht an der Wand, neben dem Bilde des Kaisers Josef hängt ein Spiegel in verblichenem Goldrahmen. In einem verstaubten Papierfächer stecken Ansichtskarten und eine verwelkte Blume. Neben dem Fenster ist die Tapete aus der Mauer gerissen und auf dem Sessel darunter steht eine Schüssel mit dem Wasserkrug.

Das Weib ist groß, trägt den Kopf lachend im Nacken, hat gesunde Zähne und harte Brüste. Sie knöpft ihr Kleid auf, gleißt nackt in dem Traumzimmer.

Der Kandidat der Philosophie Gaudentius Sturmfenster blieb stehen, um Atem zu holen. Diese Erinnerungen erhitzten ihn. Da war bei Gott nur der verfluchte Regen schuld, bei dem man den Weibern auf die Strümpfe sehen mußte, ob man wollte oder nicht. Da, gerade vor ihm ging wieder so eine. Hoch, üppig, das Kleid mit einer lässigen Bewegung geschürzt, mit wundervollen Beinen. Sturmfenster holte sie ein und spähte in ihr Gesicht. Nun, ganz so schüchtern war er ja doch nicht mehr, wie damals, als er das Lyzeummädel aus der Schule begleitete. Er hatte sozusagen die Technik der Frechheit den jungen Leuten abgeguckt, mit denen er verkehrte, die darin die Meisterschaft besaßen. Dem Römerstern zum Beispiel, diesem Laffen, der ihm nicht das Wasser reichte. Woran lag es nur, daß dem alle nachliefen? Der war geschniegelt, leer, hundsschnautzig kalt. Und in ihm war Glut, Reichtum, Seligkeit. Nun hatte die Dame endlich bemerkt, daß er ihr nachging. Sie drehte ihm langsam ihre umrandeten Augen zu und maß ihn erstaunt mit den Blicken. Nun ja, schäbig genug sah er ja aus in seinem Wettermantel und dem großen, zerdrückten Hut. Aber sie hatte ihn ja fast zornig angeschaut! Ein breites, grobknochiges Gesicht mit enger Stirne und einem gemeinen Munde. Das war der Typ, den er eigentlich nicht mochte, der ihn aber sinnlich aufs äußerste reizte. Seiner gläubigen Inbrunst, die sich weich und verlangend dem Weiblichen entgegendrängte, stand er im Wege, aber er machte gefährliche Instinkte in ihm los, die er nicht bändigen konnte. Die Frau vor ihm machte jetzt eine Wendung und schritt quer über die Straße einem kleinen, pavillonähnlichen Häuschen zu.

 

Sturmfenster sperrte den Mund auf und starrte verblüfft auf die schmale, mit Reklamebildern verklebte Tür, die sie hinter sich zuzog. Da hörte doch Verschiedenes auf! Da lief man wie ein Verliebter hinter der Holden durch die Straßen und am Ende stand man da und konnte warten, bis sie ihre Notdurft verrichtet hatte. Deutlicher hätte sie ihm ihre Mißachtung gar nicht zu verstehen geben können. Er strich grimmig mit den Fingern den Kinnbart und wußte nicht recht, ob er verstimmt oder erheitert sein sollte.

Eine feigherzige Traurigkeit pochte bei ihm an und begehrte Einlaß. Sturmfenster war unschlüssig und unzufrieden. Er verstand nicht recht den geheimen Sinn der Zusammenhänge, die Großes mit Erbärmlichem, Starkes mit Dumpfem verknüpften. Ihm war auf einmal unendlich einsam zu Mute wie einem, der mutterseelenallein auf der Welt ist. Seine Kindheit, sein Leben war eine Fahrt zwischen Wünschen und winzigen Erfüllungen gewesen. Aber nein, er war nicht einer, der sich enttäuschen ließ! Das war gut für die andern, für die Halben und Kalten vom Schlage dieses Römerstern, die ja doch nur nach einem billigen Vorwand für ihre Blasiertheit suchten. Er glaubte. Nein, alle seine Not war nicht umsonst gewesen. Es gab mehr, als was die jungen Leute alle vom Baume der Liebe pflückten, mehr als er bisher erleben konnte. Ja, er war an das Irdische gefesselt. Sein Fleisch war ungebärdig und er mußte den Frauen nachgehen, wie der Hund hinter der Hündin. Aber er wußte, daß einmal das goldene Feuer kommen mußte, das heilige Feuer, aus dem die Schöpfung geschweißt war. Irgendwann würde er jählings davon geblendet werden, irgendwo, und begnadet sein. – – –

Gaudentius Sturmfenster stand und hatte die Hände ausgebreitet. Der Wind fuhr in seinen nassen Bart und schüttelte ihn. Von seinem Hute troff der Regen auf den Mantel. In dem kleinen Häuschen tat sich die Türe auf und die große Frau trat wieder auf die Straße. Eine ärgerliche Röte flog über ihr Gesicht, als sie den Kandidaten gegenüber erblickte. Aber dann lächelte sie entwaffnet und nickte ihm unmerklich zu. Sie faßte die Röcke, hob sie hoch, und Sturmfenster folgte ihren schönen Beinen willig im Zickzack bis in die Straße, wo Frau Bomba wohnte.

II. KAPITEL

FRAU BOMBA UND
IHRE TÖCHTER

Das Haus Nr. 17 in der Quergasse sah aus wie alle andern Häuser in dieser Gegend. Es war nichts Besonderes an ihm zu bemerken. Der Ruß und der Staub hatten eine schwärzliche Patina darüber gezogen und die Straßenkinder hatten neben dem Eingang Schimpfnamen und unzüchtige Figuren in den Mörtel gekratzt. Ein hölzerner Schaukasten machte die Passanten darauf aufmerksam, daß in dem Ladengewölbe, zu dem die drei Stufen hinaufführten, ein Zwirnhändler sein Geschäft betrieb. In den Vormittagsstunden brannte die Sonne auf der erblindeten Glasscheibe und gab dem Silbergarn und den Perlmutterknöpfen auf dem schwammigen Pappendeckel für kurze Zeit einen hellen Schimmer.

Die Witwe nach dem k. u. k. Militärkapellmeister Augustin Bomba hatte im zweiten Stockwerk des Hauses eine vierzimmrige Wohnung gemietet, die sie mit ihren beiden Töchtern und dem Kanarienvogel bewohnte. Als ihr Seliger noch lebte, war sie eine stattliche Frau gewesen, die in den Kreisen, in denen sie verkehrte, als Schöngeist verschrien war. Diesen Ruf erwarb sie wohl hauptsächlich dadurch, daß sie in einer Leihbibliothek abonnierte, aus der sie wöchentlich dickleibige Romane nach Hause trug. Frau Bomba war eine sentimentale Natur. Sie besaß noch immer das Poesiealbum aus ihrer Mädchenzeit und holte es auch noch mitunter aus der Lade hervor, um darin zu blättern. Ihre Erinnerung schwärmte dann gerne auf verbotenen Wegen aus und sie gedachte mit schmerzlichem Bedauern des blonden Provisors, von dem die gefühlvollen Aphorismen stammten, oder des langen Kadetten, der nun bestimmt schon Oberleutnant war. Ihre Phantasie malte ihr reizvolle Bilder vor, die ihr das Dasein an der Seite eines Mannes zeigten, der fähig gewesen wäre, ihre Gedanken zu würdigen. Trotzdem waren diese Träume, denen Frau Bomba nachhing, die einzige Form von Untreue, die sie sich gestattete. Ein gewisses Unbehagen, die Furcht vor unangenehmen Weiterungen hielt sie davon ab, den Fonds ihrer unbefriedigten Wünsche in einem sündhaften Abenteuer anzulegen. Sie entschädigte sich durch die Hingabe, mit der sie sich in die Welt rabiater, von Leidenschaft überhitzter Romane versenkte, in welchen der Liebe, dem Gift und dem Gold eine atemversetzende Rolle bestimmt war.

Als Herr Bomba eines Tages an einem Schlagflusse plötzlich verschied, war sie schon eine alte Frau. Die Männer hatten seit langem aufgehört, sich auf der Straße nach ihr umzusehen, und ihre Figur, auf die sie einmal so stolz gewesen, war in die Breite gequollen, ohne daß das französische Mieder es hätte verhindern können. Aber ihre beiden Töchter, Siddy und Mimi, waren inzwischen herangewachsen, und aus den magern, sommersprossigen Dingern, für welche die Mutter bisher nur ein unklares Gefühl mitleidiger Geringschätzung übrig gehabt hatte, waren zwei auffallend fesche Bälger geworden, Siddy, die ältere, sechzehnjährige, war schon jetzt ein molliges Mädel mit Vergißmeinnichtaugen und dem drolligen Stumpfnäschen der Blondinen. Die fünfzehnjährige Mimi ging noch im Backfischkleid, das braune Kraushaar wirr und ungekämmt. Ihre Augen hatten nichts von der hellen Unschuld der Schwester und sie besaß im übrigen eine Manier, den knabenhaften Körper zu verführerischen Posen zu biegen, die vielversprechend und entschieden talentvoll war. Frau Bomba gab die Verwandlung, die mit ihren Kindern vorgegangen war, mancherlei zu denken. Sie nahm jetzt gerne die Gelegenheit wahr, sich mit den Mädchen den Leuten zu zeigen und die Blicke der Männer, die sie verstohlen musterten, lösten in ihr ein ungekanntes Gefühl des Wohlbehagens aus. Sie genoß die Begehrlichkeit, die ihre Töchter entfachten, wie eine ihren alternden Sinnen dargebrachte Huldigung. Die Lust an Dingen, von denen man nur im Flüstertone spricht, die im Halbdunkel und hinter verriegelten Türen geschehen, kroch aus den Verstecken abgestandener Gedanken ans Licht. Was sie in ihrer ereignislosen Ehe in sich verschlossen hatte, gewann jetzt Gewalt über sie. Ein trüber, am Unsauberen sich ergötzender Hang gab ihrem Empfinden die Richtung, Mit einer süßlichen Neugier versuchte sie es, von ihren Kindern die heiklen Geheimnisse zu erfahren, die man selten einer Freundin, niemals der Mutter anvertraut. Sie belauerte ihr Erröten und horchte mit einem erregten Lächeln ins Dunkle, wenn die Schwestern abends zu Bette gegangen waren und miteinander vor dem Einschlafen noch eine Weile von ihren Erlebnissen schwatzten.

Als die sanfte Siddy mit den zärtlichen Augen eines schönen Tages mit einer Frühgeburt niederkam, hielt sie den Zeitpunkt für gekommen, das fernere Geschick ihrer Sprossen selbst zu bestimmen. Über den kleinen Unfall, von dem ihre Älteste betroffen worden war, ging sie ohne Scheltworte mit einer verbindlichen Diskretion hinweg. Aber sie wußte es in der Folge so einzurichten, daß die Herren, die vordem die Mädchen auf der Straße angesprochen hatten, um nachher auf verschwiegenen Ausflügen näher mit ihnen bekannt zu werden, nunmehr zu ihnen in das Haus kamen. Es machte sich ganz von selbst, daß sie für die gefällige Art, mit der sie die Unterhaltung der Gäste ausschließlich ihren Töchtern überließ, beim Abschied ein Entgelt bekam. Die Besucher, von denen besonders die älteren Herren mit dem gelichteten Scheitel und der korrekten Kleidung gerne gesehen wurden, fanden das selbstverständlich, und wenn einige von ihnen im Anfang gezögert hatten, half ihnen Frau Bomba durch kluge Reden über die teuren Zeiten und ihre karge Witwenpension über die Unschlüssigkeit hinweg. In den breiten Schichten der bürgerlichen Lebewelt, der bemittelten Studenten- und Beamtenschaft, in den Schreibstuben der großen Bankhäuser sprach sich die Adresse der freundlichen Witwe bald herum, und an manchen Tagen entwickelte sich in ihrer Wohnung eine Geselligkeit, die ihr eine gute Bürgschaft für die Zukunft der Töchter zu bedeuten schien.

Diesen selbst gefiel die neue Ordnung der Dinge ganz wohl. Sie blähten sich in kokett geputzten Kostümen auf den Promenaden der Stadt und die Reiherpinsel nickten von ihren Hüten. Neben ihnen, in einem schwarzen, mit Schmelzperlen geschmückten Seidenkleide ging gravitätisch die Mutter. Ihrem praktischen Sinn schwante mit Recht eine Gefahr für die rentable Ordnung ihres Familienlebens, wenn sie die beiden Mädchen ohne Aufsicht ließe. Diese Spaziergänge reizten sie zudem zu einer rührseligen Resignation, der sie sich mit selbstgefälliger Wehmut ergab. Sie verkörperten ihr den Drang und die gewaltsam verbogenen Triebe ihrer eigenen Jugend. Sie beobachtete die Gesichter der Männer, die vorübergingen, und sah mit Stolz und genießerischer Freude die Schönheit der Töchter reifer werden. Aus den Falten ihrer Kleider, dem trockenen Parfüm, das ihnen entströmte, und dem als pikanteste Zutat ein feiner Schweißgeruch beigemengt war, stieg eine Atmosphäre auf, in der sich eine schwüle Geschlechtlichkeit mit dem Nimbus angenehmer Laster vermählte, die aufstachelnd und betäubend wirkte. Frau Bomba sog sie mit Entzücken ein; ein Glücksgefühl bemächtigte sich ihrer und ihre Lippen zitterten.

Wenn sie von solchen Promenaden heimgekehrt waren, ging die Klingel der Wohnungstüre öfter als gewöhnlich. Mimi, deren ewig bewegliches Naturell neuen Abwechslungen nachsann, war es zuerst, die den Gedanken anregte, angesichts des wachsenden Betriebes befreundete Damen zu sich zu laden. Frau Bomba, die sich anfangs sträubte, ging bald auf den Vorschlag ein und bemühte sich auch mit bewundernswertem Eifer um dessen Ausführung. Die natürliche Gewandtheit, die sie in solchen Angelegenheiten besaß, wandelte sich bei ihr nachgerade zur Genialität. Sie hatte eine unwiderstehliche Art, den hübschen Nachbarsfrauen, deren Männer tagsüber in irgend einer Branche tätig waren, ins Gewissen zu reden. Sie fand bei einer jeden bald den Punkt heraus, wo der Angriff sich lohnte, war süß bei der einen, gutmütig bei der andern, impetuos bei der dritten, sie log, scherzte, fabulierte und vergaß als bestes und einleuchtendstes Argument auch niemals den geschäftlichen Vorteil der Sache in das rechte Licht zu rücken. Es gab unter den jungen Frauen, an die sie sich heranmachte, viele, die gerne ein Nadelgeld verdienen wollten und die nachher aus dem Staunen gar nicht herauskamen, daß es auf eine so einfache und amüsante Weise möglich war. Einige kamen allerdings nur des Interesses wegen, weit sie das Abenteuer liebten, und wenn auch die Witwe den übrigen nur den kleineren Teil der empfangenen Beträge überließ, so gab sie dennoch diesen den Vorzug.

Die nächste Folge der gesteigerten Frequenz, die sich nun einstellte, war die, daß Frau Bomba ihre kleine Wohnung aufgab, die sie bisher draußen in Žižkov inne hatte, und in der Quergasse Nr. 17 vier geräumige Zimmer bezog. Sie kaufte schöne, freundliche Möbel, die sie vorläufig auf Raten schuldig blieb, Teppiche und geblümte Vorhänge für die Fenster und gab der Behausung ein wohnliches Gepräge, das etwa die Mitte zwischen kleinbürgerlicher Tradition und jener Talminoblesse innehielt, die ihr von der Lektüre der Leihbibliotheksromane als geistiger Bodensatz im Gedächtnis geblieben war. Auf der Schwelle nagelte sie dem Brauche gemäß einen blanken Kupferkreuzer fest und über der Türe prangte mit Goldbuchstaben auf schwarzem Glasgrunde ein biederes: »Grüß Gott!«

 

Die neue Wohnung brachte einen ungeahnten Aufschwung. Frau Bomba hatte es nicht mehr nötig, die Frauen der kleinen Handwerker und Gewerbetreibenden der Nachbarschaft für ihr Geschäft zu gewinnen, sie kamen von selbst, Schöne und Häßliche, Elegante und Schüchterne, und boten ihre Dienste an. Da waren Damen in distinguierter Toilette, die ängstlich verschleiert eintraten und beim Fortgehen der Witwe ein Goldstück in die Hände drückten, Kontoristinnen, die von der Arbeit den Weg hierher fanden, Ehefrauen, die darauf brannten, sich abseits ihres täglichen Lebens für eine kurze Stunde unbekannten Männern hinzugeben. Telephonfräuleins und Modelle, die hier das Geld für einen neuen Hut oder eine Bluse erwerben wollten, Prostituierte, die auf diese Weise einen vorteilhaften Anschluß erhofften. Frau Bomba hatte Verwendung für alle. Mit einer Witterung, die mehr dem Animalischen in ihr als dem Intellekte entsprang, war sie den Gästen eine Beraterin ihrer Wünsche. Die Lebemänner, die in dem Medianismus der sexuellen Betriebsamkeit nach Sensatiönchen verlangten, brachte sie mit den Ärmlichen, von der Tagesarbeit Erschlafften zusammen. Den jugendlich Blasierten führte sie die Frauen zu, die ihre mangelnden Reize durch die Ungeduld ersetzten, mit der sie das Erlebnis erwarteten. Den Unerfahrenen verschönte sie den Genuß in den Armen der Professionellen durch eine hastig erfundene Illusion, eine unwahrscheinliche Geschichte, die sie ihnen beim Eintritt vielsagend in die Ohren zischelte und die gerade lebenskräftig genug war, um für die Dauer des Besuches vorzuhalten. Ihre Phantasie arbeitete unaufhörlich. Sie erfand Schicksale, die die Stirnen der Weiber, die bei ihr verkehrten, ahnungsvoll verdunkelten, die ihren Küssen Würze und Glut verliehen. Aus den Gattinnen braver Postbeamten machte sie Offiziersfrauen im Generalsrang, aus Bäckermeisterstöchtern, die tagsüber mit der Schürze hinter dem Ladentische standen, Ballerinen der russischen Oper, die auf der Durchreise eine Bekanntschaft suchten. Sie hatte Nihilistinnen und Kindesmörderinnen in Bereitschaft. Sie kannte die intimsten Qualitäten einer jeden und pries sie den Männern überzeugend an. Siddy und Mimi machten mit ihr die Honneurs, empfingen mit gespieltem Erschrecken die Gäste in Seidenhöschen und Mieder, liefen beständig im Negligé durch die Zimmer, fütterten den Kanarienvogel und verbreiteten jenen undefinierbaren, aus Schweiß und Parfüm gemischten Duft, der aufreizend und einschläfernd zugleich war. Das Geld, das früher, als Frau Bomba noch die Wohnung in der Vorstadt inne halte, dünn und spärlich geflossen war, ergoß sich jetzt in einem breiten Bach in die Quergasse Nr. 17. Es war gutes, schönes Geld. Es war heiß von den Leibern der Frauen, die es ins Haus brachten, und klingelte und schrie in der Tasche, als ob es lebendig wäre.