SEX & other DRUGS - Novembertau

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SEX & other DRUGS - Novembertau
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Mira Schwarz

SEX & other DRUGS - Novembertau

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Mira Schwarz

Prolog - Heißes Erwachen

Kapitel 1 - Willkommen in der Welt

Kapitel 2 - Coming home

Kapitel 3 - Hitziger Alltag

Kapitel 4 - Böse Überraschungen

Kapitel 5 - Die andere Seite

Kapitel 7 - Verlockungen des Alltags

Kapitel 8 - Ein ganz normaler Tag

Kapitel 9 - Die andere Seite

Kapitel 10 - Eine gemeine Verführung

Kapitel 11 - Spiel auf Zeit

Kapitel 12 - Die verdammte Wahrheit

Kapitel 13 - Auf fremdem Parkett

Kapitel 14 - Eine gefährliche List

Kapitel 15 - Auf Messers Schneide

Kapitel 16 - Das kleinere Übel

Kapitel 17 - Katharsis

Kapitel 18 - Biergeruch und Testosteron

Kapitel 19 - Süße Versprechungen

Epilog - Dezemberhitze

Inhalt

Impressum tolino

Mira Schwarz

SEX & other DRUGS

Novembertau

Roman

September 2016

Copyright © Mira Schwarz

www.facebook.com/Autorin.MiraSchwarz

autorin.miraschwarz@gmail.com

All rights reserved

Mira Schwarz

Novemberküsse

Roman

Langsam schmilzt der Schnee im November und

zum Vorschein kommt die Wahrheit,

vor der ich mich so lange versteckt habe …

und jetzt, da ich sie kenne,

wünsche ich mir nichts sehnlicher als den Schnee zurück.

Prolog - Heißes Erwachen

Dunkelheit.

Alles ist schwarz. Ich ziehe hastig Luft in meine Lungen, erst dann schlage ich die Augenlider auf. Feuer frisst sich in mich hinein. Schnell, ich muss hier weg! Doch ich schaffe es nicht, bin wie gelähmt. Die Muskeln wollen mir einfach nicht gehorchen und Schmerzen hämmern mir vor die Schädeldecke.

Dann werde ich wach …

Das Licht brennt sich in meine Linsen, obwohl mir eine innere Stimme sagt, dass es nicht wirklich hell ist. Langsam richte ich mich auf, blicke hastig in alle Richtungen.

Wo zum Teufel bin ich hier?

Mein Rücken schmerzt, die Fingerkuppen sind taub und meine Kehle fühlt sich an, als hätte ich tonnenweise Wüstensand gegessen. Behutsam drehe ich meinen Kopf nach links, wo eine Maschine meine erhöhte Herzfrequenz mit einem gleichmäßigen Piepton begleitet. Es klingt so, als wäre ich kurz vor dem Kammerflimmern.

Offensichtlich liege ich in einem Krankenhaus. Ich bin allein in diesem Zimmer, schummriges Licht legt sich auf meine Haut. Moment, bin ich allein?

Meine Sinne scheinen verrückt zu spielen. Nicht weit von meinem Bett werden aus Schatten Silhouetten und aus den Umrissen formt sich eine Männergestalt.

»Hallo?«, sage ich zaghaft in die Richtung des Schattens, obwohl jeder Ton in meiner Kehle kratzt. Als sich mein Blick verfestigt, steigt die Silhouette aus dem Fenster und ist verschwunden. Ein kalter Windhauch bläst den Vorhang ins Zimmer und mir fröstelt es in diesem Moment. Ich schüttle mit dem Kopf.

Nachwehen eines Traums, die es ins Hier und Jetzt geschafft haben müssen. Stirnrunzelnd stelle ich fest, dass irgendjemand die Jalousien nicht zugezogenen hat. Es ist dunkel, einige Schneeflocken tanzen in der Nacht.

Was für einen Monat wir wohl haben? Obwohl, die Jahreszahl würde mir für den Moment schon reichen. Ich richte mich weiter auf und beobachte meinen eigenen Herzschlag auf dem Gerät. Das Piepen wird schneller.

Ich will mir selbst Mut zusprechen.

Beruhige dich …

Verdammt! Der Monat und die Jahreszahl werden auf einen Schlag unwichtig. Ich weiß ja nicht einmal meinen eigenen Namen. Ich spüre, wie Hitze mir durch die Brust kriecht und langsam meine Stirn erfasst. Wie von Seilen gezogen umfassen meine Finger den Schalter mit dem Notfallknopf. Doch irgendetwas hindert mich daran, ihn zu betätigen. Das Letzte, was ich jetzt brauche, sind unzählige Schwestern und Ärzte, die mir in die Pupillen leuchten, mir Fragen stellen und Tests an mir durchführen. Mich wundert ja schon, dass die Nachtschwester nicht nachgesehen hat, als meine Herzfrequenz Kurven fuhr wie bei einer Auto-Rallye. Mit aller Macht muss ich mich zur Ruhe mahnen und reibe mir über meine Augen. Ich greife neben mich, öffne die Wasserflasche und trinke sie in kleinen Schlucken.

Das beruhigt. Obwohl ich es nicht will, ziehe ich meine Knie an mich heran und umschließe sie mit meinen Armen. Mein Kinn lege ich auf den Knien ab und spüre erst dann, wie meine Muskeln schmerzen. Selbst das Atmen tut mir weh.

Einige Minuten sitze ich einfach nur da und dehne in minimalsten Bewegungen meinen Körper.

Denk nach!

Ich weiß, dass ich in einem Krankenhaus liege, ich bin weiblich, gut, das kann man sehen, aber ich weiß auch, dass ich 33 Jahre alt bin.

Was kann ich noch?

Krampfhaft halte ich die Luft an und versuche, meine Gedanken zu sortieren. Das Erste, was mir in den Kopf kommt, sind Tilgungsraten und Annuitätsdarlehen. Ich kann sie berechnen, habe ein klares Bild vor Augen und weiß, dass man bei einer 15-jährigen Festschreibung am besten eine hohe Tilgung vereinbart, um nicht zu viel Restschuld am Ende noch auf dem Buckel zu haben. Nicht sehr sexy.

Was für bescheuerte Gedanken!

Ich höre noch tiefer in mich hinein und schließe die Augen. Klingt nach einem Job bei einer Versicherung, oder so etwas in der Art. Doch da sind auch andere Bilder, die ich mir nicht erklären kann.

Blut, Leder, Feuer, so viel Feuer.

Ich spüre eine innere Hitze, eine Lust, die sich plötzlich und unerwartet aufbäumt. Sie ergreift mich, lässt mich für einige Herzschläge nicht mehr los. Ich bin in dem Gedanken gefangen, kann ihm nicht mehr entfliehen. Da sind Masken und nackte Haut, dann wieder Feuer, grünes Feuer!

Meine Hände beginnen zu zittern. Es schmerzt, daran zu denken. Wie Fetzen aus einem Traum, die es gerade so in die Realität geschafft haben. Die Bilder vor meinem geistigen Auge sind verschwommen. Ich will sie greifen, sie zu mir in die Wirklichkeit ziehen, jedoch verschwinden sie, kurz bevor ich sie erreichen kann.

Wie ein Hund, der gerade aus dem Wasser kommt, schüttele ich mich am ganzen Körper und befreie mich von den Überlegungen.

Was bleibt, sind pure Gefühle. Angst vermischt sich mit Unsicherheit zu einer ganz eigenen Symphonie von innerer Unruhe. Ich ergreife langsam den Schalter und ziehe ihn zu mir.

Blumen schmücken einen Großteil des Zimmers. »Gute Besserung« steht auf Karten und einige Luftballons verlieren langsam ihr Helium und huschen über den Boden. Ich scheine zumindest keine Einzelgängerin zu sein. Noch ein letzter Blick auf den Herzmonitor verrät mir, dass ich zumindest jetzt nicht mehr der Panik nahe bin. Eine Nadel steckt in meinem linken Arm. Gerne würde ich diesen Fremdkörper loswerden. Unbedingt!

Ich warte noch eine Minute, dann drücke ich zielstrebig den Notfallknopf.

Es ist Zeit, herauszufinden, wer ich bin.

Kapitel 1 - Willkommen in der Welt

»Und, wie fühlst du dich?«

Dieser Mann streichelt in ruhigen Bewegungen meine Hand und sieht mich an wie eine Kostbarkeit, auf die man dringend aufpassen sollte. So stellt man sich die Typen von den Whiskey-Werbungen vor. Klug, aufmerksam, charmant und vor allem gut aussehend. Die braunen Haare sind mit etwas Gel in Form gebracht und fügen sich wundervoll in das schmale Gesicht. Dazu glänzen seine blauen Augen trotz des Schummerlichts. Er trägt einen Anzug ohne Krawatte, wirkt durchtrainiert und, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, wünschte ich mir, dass ich mich erinnern könnte, ihn nackt gesehen zu haben. Kurzum – ein Kerl, in den ich mich verlieben könnte. Oder bereits habe …

 

»Jasmin … hey, Kleines?«

Ich schüttele mit dem Kopf. »Entschuldige, bitte.« Sein Name kommt mir noch etwas holprig über die Lippen. »Ryan, richtig?«

Er lächelt mich an, lehnt sich nach vorne und küsst meine Wange. »Ganz genau, Darling. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du zurück bist.«

Bei den Worten dringt mir sein herbes Aftershave in die Nase. Ich ertappte mich dabei, wie ich mich nun meinerseits kurz nach vorne lehne und noch mehr von diesem Duft in meine Nase ziehe.

Mein Blick sucht den Raum nach etwas Bekanntem ab. Ich erkenne nichts. Rein gar nichts. Dann sehe ich wieder den Mann neben mir an. »Wir sind also verlobt?«

»Schon fast drei Jahre.« Seine Augen glänzen, als er das sagt. Er rückt noch ein Stück an mich heran, dabei spüre ich die Wärme seiner Haut. Eine braune Strähne seiner mittellangen Haare hat sich gelöst und hängt ihm nun wippend vor der Stirn. »Wir wollten bald heiraten«, fügt er hinzu.

»Heiraten«, murmele ich und sehe an meinen Händen herunter. »Kein Ring«, stelle ich mehr zu mir selbst, als an ihn gerichtet, fest.

Er nickt. »Du magst es nicht, ihn an deinem Finger zu tragen.« Schwungvoll greift er in die Seitentasche seines Jacketts. Zum Vorschein kommt eine Kette, an der ein silberner Ring baumelt. »Aber diese hier legst du eigentlich nie ab. Umso komischer finde ich, dass du es am Tag deines … Unfalls getan hast.«

Ohne genau zu wissen, warum eigentlich, schrecke ich für einen Lidschlag zurück. Erst dann schaffe ich es, die Kette an mich zu nehmen. Während ich den Ring zwischen meinen Fingern drehe, gehe ich Ryans Worte wieder und wieder im Kopf durch.

Er lässt mir alle Zeit der Welt, bis ich mein Gesicht wie in Zeitlupe hebe und ihn unsicher ansehe. »Mein Name ist Jasmin Ashcroft, ich wohne mit meinem Verlobten Ryan Smith in Queens, habe studiert an der NYU und bin Anlage- und Darlehensberaterin bei der First Pacific Bank. Ich mag chinesisches Essen, gehe gerne ins Kino, liebe Sport und bei einem guten Mai Tai kann ich mich nur schwerlich zurückhalten.«

Ich komme mir so unendlich blöd vor, als ich diese Sätze ausspreche. Am liebsten würde ich im Boden versinken, doch Ryan hält einfach nur meine Hand, nickt ruhig und lächelt.

»Kommt dir davon irgendetwas bekannt vor?«

In meinem Mund läuft das Wasser zusammen, mein Magen verkrampft sich. »Wie lange war ich weg?«

»Drei Monate.« Er räuspert sich. Es muss ihm sichtlich schwerfallen, darüber zu reden. »Ich fand dich auf der Veranda, nachdem wir Tage nach dir gesucht haben. Plötzlich warst du einfach wieder da und lagst bewusstlos im Vorgarten. Die Ärzte waren ratlos. Kein Toxin, kein Schlaganfall, keine Krankheit oder Allergie, du warst einfach von einem auf den anderen Moment nicht mehr auf dieser Welt.«

Das würde zumindest erklären, warum die beiden Ärzte eben so aufgeregt waren, als sie mich untersuchten.

»Sie fanden nichts?«, hake ich nach.

»Gar nichts.« Für einen Moment lässt er meine Hand los, geht sich kurz durch die Haare und seufzt. »Hypoglykämisches Koma, spontane neurologische Reaktionen auf bestimmte Begebenheiten oder Situationen. So etwas passiert. Selten zwar, aber es ist möglich.«

Ich zucke mit den Schultern. »Und meine Erinnerung?«

Was für ein beschissenes Gefühl. Der Mann gegenüber hätte mir auch sagen können, dass er mein Bruder ist. Dies fände ich zwar ein wenig schade, aber ich hätte es ihm geglaubt, wenn die Pflegerinnen ihn nicht als meinen Verlobten vorgestellt hätten, der »Tag und Nacht an meinem Bett wachte«, wie sie sagten.

»Sie wird zurückkommen.« Ryan sagt die Worte, als gäbe es gar keine andere Option. »Es wird zwar ein wenig dauern, aber in einigen Tagen schon wirst du dich erinnern, wie die kauzige Mrs. Johnson von gegenüber uns immer wieder ermahnt, nicht so laut Musik zu hören nachts, wenn wir …« Ryan stoppt mitten im Satz und lächelt verschmitzt.

Auch mir huscht ein kurzes Grinsen über das Gesicht. Die Vorstellung gefällt mir.

Er strahlt Ruhe aus und Zuversicht. Mir geht es augenblicklich besser.

Ich lächele zaghaft, während mein Blick nach draußen schweift. Langsam bricht die Sonne durch den düsteren Himmel und verdrängt mit ihren hellen Strahlen die Nacht. »Und ist es November?«

Er nickt, küsst meine Hand. »Ja, es ist sogar wärmer geworden. Als ob das Wetter dich begrüßen will.«

»Novembertau«, flüstere ich und ergreife Ryans Hand fester. Dieses Wort wiederum kommt mir sehr bekannt vor. Keine Ahnung warum, doch plötzlich zieht mein Mundwinkel nach oben. »Chinesisches Essen klingt großartig. Ich habe einen riesen Hunger.«

Ryan zückt sein Telefon, strahlt mich mit seinem Filmstar-Lächeln an. »Das ist doch ein Anfang, Sweety.«

Anscheinend gibt er mir gerne Kosenamen. Ein Umstand, an den ich mich gewöhnen könnte.

***

Sich selbst erkennen …

Was für ein Bullshit!

Die Krankenschwester lächelt, als sie mir den Spiegel in die Hand drückt und sich neben mich auf die Bettkante setzt. Dabei sieht sie aus, wie man sich Pflegerinnen halt vorstellt. Etwas beleibt, immer ein wenig in Eile, die Haare zu einem strengen Dutt zusammengebunden, aber trotzdem herzensgut, obwohl sie auch bestimmt einen ganz anderen Ton anschlagen kann. Schwester Betty scheint die Reinkarnation eines 40er-Jahre-Stereotyps zu sein.

»Schau dich an, Kindchen«, sagt sie mit weicher Stimme. »Das bist du.«

Interessant. Sobald man seine Erinnerungen temporär verloren hat, behandelt jedermann einen, als wäre man grenzdebil. Ich weiß, sie meint es gut und es ist auch möglich, dass »Sich selbst erkennen« ein erster Therapieansatz ist. Das alles hindert mich jedoch nicht daran, mich zu fühlen, als wäre ich ein Kleinkind.

»Danke schön«, sage ich etwas zu lang gezogen, um es ernst zu meinen, und begutachte mein eigenes Spiegelbild.

Meine brünetten Haare wirken etwas stumpf, man merkt, dass ihnen in den letzten drei Monaten die Pflege fehlte. Meine Haut ist etwas sehr weiß, aber ich habe das Gefühl, dass dies nicht an den drei Monaten Zwangsurlaub gelegen hat. Ich scheine wohl eher der Porzellanhaut-Typ zu sein. Lange Sonnenbäder sind also für mich nicht drin. Ansonsten gefällt mir, was ich sehe. Na ja, die Lippen könnten etwas voller sein und ist die Nase nicht ein winziges Stückchen zu groß? Eine längliche Narbe ziert die Stelle über meinem linken Auge und zieht sich zur Schläfe hin.

»Wissen Sie, woher ich die habe?«, will ich an Betty gerichtet wissen.

Sie überlegt einen Moment. »Ihr Verlobter hat davon gesprochen, die Narbe stammt wohl von einem Fahrradunfall vor einigen Jahren.«

Ich seufze in mich hinein. Wenn ich nicht alle Bewertungskriterien für Attraktivität vergessen habe, kann ich wirklich zufrieden sein. Mein Körper scheint gut in Form und auch meine Brüste können sich sehen lassen. Ein schöner B-Cup mit leichter Tendenz zur C.

»Zufrieden?«, möchte Schwester Betty wissen und legt eine bedeutungsschwangere Miene auf. »Ich weiß, Kindchen. Es ist immer schwierig, wenn man nach so langer Zeit erwacht und sich dann das erste Mal selber sieht. Vielleicht hat man etwas anderes erwartet, oder …«

»Nein«, unterbreche ich sie leise. »Ich kann mich erinnern, dass ich die Frau im Spiegel bin.« Vielleicht ist dieses »Sich selbst erkennen«-Spiel doch nicht so nutzlos, wie ich dachte. Ich sehe in strahlend blaue Augen. Sie scheinen für einen Lidschlag das Tor zu meiner Seele zu öffnen. Einige wenige Erinnerungen finden den Weg zurück in meinen Verstand. Ich kann erkennen, wie ich mich geschminkt habe, welche Augenbrauen ich mir immer zupfe und wie ich meine Haare trage.

Tränen schießen mir in die Augen. Schwester Betty ist sofort da und umarmt mich. Jetzt bin ich unendlich froh, sie hier zu haben. An ihrer breiten Schulter schluchze ich. Es dauert nur wenige Sekunden, nur ein kurzer Ausbruch der Gefühle. Sie reicht mir ein Taschentuch, damit ich meine Tränen trocknen kann. Noch während ich mich sammle, hebe ich die Decke und begutachte meinen Körper genauer.

Schwester Betty muss leise lachen. »Die letzten drei Monate habe ich dich gewaschen, Kindchen. Ab jetzt bist du wieder dran. Meinst du, dass du es schaffst, oder soll ich hierbleiben?«

»Das schaffe ich alleine«, entgegne ich mit fester Stimme. »Hätten Sie einen Shaver für mich?«

»Hat dein Verlobter alles mitgebracht.« Sie zwinkert mir zu. »Lass dir Zeit, die nächste Untersuchung ist in zwei Stunden.«

Ich nicke hastig, schlage die Bettdecke von meinem Körper und spüre seit langer Zeit mal wieder Boden unter meinen Füßen. »Ganz schön wackelig.« Der Arm von Betty gibt mir Sicherheit.

»Ruhig, Kleines. Eigentlich solltest du nicht jetzt schon auf eigenen Beinen stehen. Erst müssen wir noch eine ganze Menge Untersuchungen machen, Physiotherapie, Ergo …«

Weiter kommt sie nicht mehr. Noch bevor sie mich greifen kann, schaffe ich die ersten unsicheren Schritte bis zum Schrank.

Einige Herzschläge dauert es, bis Schwester Betty sich fängt und mir nacheilt. Sie ist kalkweiß. »Herr im Himmel, du solltest eigentlich noch nicht einmal krabbeln können.« Vorsichtig fasst sie meinen Arm. »Wie ist das möglich?«

»Ich meine, mich erinnern zu können, dass ich schon immer zu den Schnelleren gehörte, die manchmal auch dumme Entscheidungen treffen«, hauche ich leise und stütze mich weiter ab.

Betty wischt den Gedanken mit einer Handbewegung beiseite. »Du gehörst anscheinend wirklich zur schnellen Sorte. Aber mir ist das gleich, hörst du. Wir machen erst einmal ein paar Übungen.«

Jeder Schritt schmerzt, mein ganzer Körper scheint sich gegen die Bewegung zu wehren. Betty und ich gehen im Zimmer umher. Erst sind meine Schritte langsam und tippelnd, doch schon bald lege ich an Sicherheit zu. Nach einer halben Stunde schaffe ich es, ohne fremde Hilfe zu gehen, und stehe aufrecht. Weitere 30 Minuten später sehen meine Bewegungsabläufe beinahe schon wieder menschlich aus. Ganz abgesehen davon, dass ich schweißgebadet in diesem sexy Patientenleibchen mitten im Zimmer stehe und mein Po für jeden offen einsehbar ist, fühle ich mich fast schon wohl.

»Sehr gut, Kindchen«, lobt mich Betty. »Deine Muskeln scheinen weniger abgebaut zu haben als bei vielen anderen. Du bist ja richtig fit. Ich denke, dass ich dich alleine duschen lassen kann. Wenn etwas ist, ich bleibe hier und beziehe dein Bett erst einmal neu.«

Puh – Glück gehabt. Ich konzentriere mich auf jeden Schritt, während ich zum Bad gehe und die Klinke herabdrücke. Kurz bevor ich im Badezimmer verschwinde, drehe ich mich zu Betty. Immerhin kennt sie mich und jeden Zoll meiner Haut bereits seit drei Monaten. »Danke schön«, hauche ich.

Als das warme Wasser wenige Sekunden später über meine Haare fließt, kann ich die Augen endlich schließen und genieße das Rauschen um mich herum. Zu viel Stille kann sehr laut sein. Wieder dehne ich meine Muskeln, streiche über meine Haut und massiere diverse Körperstellen. Meine Hände sind übersät von kleinen Narben und schlecht verheilten Abschürfungen. Anscheinend arbeite ich gerne im Garten oder gehe einer anderen Tätigkeit nach, die mit den Händen erledigt werden muss. Weitere Verletzungen sehe ich an meinem Bauch, den Knien und Ellenbogen. Alles nicht schlimm und wirklich nur auf den dritten Blick erkennbar, aber hier im Licht schimmert das weißliche Narbengewebe schon sehr. Besonders die Stelle rechts unter meinem Bauchnabel lässt mich nicht mehr los. Als ob ich dort operiert wurde … und zwar stümperhaft.

Es dauert, bis ich mich von meinem eigenen Körper losreiße und das mitgebrachte Shampoo zwischen meinen Fingern verteile. Die Lotion duftet nach Vanille und Honig. Erst als ich mich wirklich vergewissert habe, dass Schwester Betty nicht einfach durch die Tür stürzt, massiere ich es in meine Haare und genieße die Berührungen. Dabei lasse ich mir Zeit und drücke meinen Rücken durch. Seitdem ich aufgewacht bin, fühle ich mich zum ersten Mal richtig wohl. Zu gerne würde ich dieses Gefühl noch ein wenig beibehalten, also ergreife ich das Duschgel und trage es langsam auf meine Haut auf.

Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die alte Jasmin einen Busch dort unten schön fand. Also nehme ich mir vor, so lange zu rasieren, bis ich mich wieder erinnere. Das Wasser sucht sich windend einen Weg meinen Körper herab, während ich mit der Klinge über die eingeschäumte Haut fahre. Erst, als nur noch ein feiner Strich aus Härchen den Weg zu meiner intimsten Stelle weist, bin ich zufrieden. Auch meine Beine und etliche andere Stellen sind jetzt glatt. Ich begutachte mich von allen Seiten und lege den Rasierer zur Seite. Während das Wasser immer noch warm auf meinen Busen plätschert, streichle ich in langen Zügen über meine Haut. So langsam scheint auch die Erinnerung zurückzukommen. Ich kann meinen eigenen Körper wieder fühlen und was noch besser ist, dieser kurze Lustintervall, den ich beim Aufwachen spürte, scheint in voller Stärke wiederzukommen.

 

Meine Brustwarten werden augenblicklich hart, als ich an Ryan denke. Sein Duft, die großen, starken Hände, die blauen Augen. Ich beiße mir auf die Zunge und überlege, ob es überhaupt angebracht ist, wenn ich meine Hände jetzt weiter nach unten gleiten lasse.

Reiß dich zusammen, Jasmin.

Komisch, die Gedanken scheinen etwas bei mir auszulösen, was ich mir noch nicht ganz erklären kann. Andererseits … er ist mein Verlobter, da darf ich doch an Sex mit ihm denken, oder?

Ich bin hin- und hergerissen.

Schließlich siegt die Lust. Ich scheine nicht der Typ zu sein, der auf Blümchensex steht und dabei so leise ist wie ein Fisch. Ohne es zu wollen, stöhne ich auf. Drei Monate lang lag ich im Bett wie eine faule Kartoffel, da habe ich das Recht auf ein wenig Spaß.

Oder zumindest versuche ich, mir das einzureden.

Noch bevor ich weiter über den moralischen Aspekt nachdenken kann, gleitet meine Hand über meine Scham. Es fühlt sich wundervoll an, über die glattrasierte Haut zu streicheln, bis ich den dünnen Strich erreiche und von dort aus meine Schamlippen berühre.

Von Schwäche oder Leidenschaft gebeutelt, muss ich mich an der Wand anlehnen, während ich über meinen Kitzler streichle. Erst beginne ich dabei noch zärtlich, meine Brustwarzen zu streicheln, doch als die Wellen der Begierde immer stärker über mich hinwegfegen, kneife ich sanft in die so reizbare Haut. Ein lautes Seufzen entringt meiner Kehle, als ich meine Klit umspiele. Ich werfe meinen Kopf nach hinten, der harte Strahl des Wassers scheint meine Leidenschaft noch weiter entfachen zu wollen und gießt immer weiter Öl in das Feuer meiner Lust.

Tiefer versinke ich in dieser Welt, bis meine Finger mich weiter reizen und genau die Stellen treffen, die mich wanken lassen. Ich könnte ewig hier sein, das alles verdrängen und weiß doch, dass es nicht normal ist, was ich gerade hier mache. Meine Emotionen fahren Achterbahn und ich habe nicht einmal einen Gurt an. Vielleicht ist es genau dieser Gedanke, der mich zum Rasen bringt, als ich noch fester greife und ein Schauer meinen Körper erfasst.

»Ist alles in Ordnung da drin?«

Bettys Stimme durchdringt meinen Kokon aus Lust. Es folgt ein schweres Klopfen an der Tür.

»Soll ich hereinkommen und dir helfen, Kleines?«

»Nein, danke«, sagte ich schwer atmend, ergreife das Handtuch und beginne mich abzutrocknen. »Ich bin gleich fertig und komme heraus. Vielen Dank!«

Schwester Betty scheint zufrieden mit meiner Wortmeldung. »Gut, ich warte hier.«

Welcher Teufel hat mich denn da geritten?

Sekunden später ist die Wollust gewichen und ich spüre einen kalten Zug um meine Haut. Schnell wickle ich mir den Stoff um die Brust und trete vor die Tür. Noch bevor ich auch nur einen Gedanken formulieren kann, halte ich inne.

»Es ist wundervoll, dich wieder auf den Beinen zu sehen.«

Ryans Hände ruhen in seinen Taschen. Er strahlt über beide Ohren, steht einfach nur da und guckt mir mitten ins Gesicht. Schwester Betty ist verschwunden, wir beide sind allein. Ich schäme mich und weiß nicht einmal, warum. Unsicher mache ich einen kleinen, beinahe unmerklichen Schritt zurück. Er scheint es zu bemerken.

»Sweety, ich kann verstehen, dass das alles für dich neu und seltsam ist.« Ryan kommt langsam auf mich zu, reicht mir eine Hand. »Wenn du über etwas reden möchtest, wir haben alle Zeit der Welt.«

Ich nicke, mein Blick geht zu Boden. »Die Narbe«, stammle ich schließlich. Ich habe nicht die geringste Ahnung, warum. Aber es ist das Erste, was mir einfällt. Vorsichtig ergreife ich seine Hand. »Woher habe ich sie?«

»Ein Fahrradunfall«, antwortet Ryan. »Wir sind Mountainbike gefahren, du bist wieder vorgeprescht und hast …«

»Nein, nicht die Narbe. Sondern jene rechts unter meinem Bauchnabel.«

Er lächelt wieder verschmitzt wie ein kleiner Junge, der etwas ausgefressen hat. Dabei sieht er mir tief in die Augen. Ich kann die alte Jasmin verstehen, warum man sich in so einen Mann verliebt. »Vor drei Jahren, deine Blinddarm-OP in Mexiko.«

Ich spüre, dass er mich umarmen will. Ein nicht erklärbares Gefühl steigt in mir auf. Auch ich will ihn küssen, seine Haut spüren, in seinen Armen versinken, doch noch fühlt es sich nicht richtig an. Trotzdem lasse ich es zu und lege meinen Kopf an seine Brust.

»Wir waren im Urlaub«, fährt er mit seiner tiefen Stimme fort. Dabei spüre ich die Vibrationen seines Brustkorbs. »Wir kannten uns erst ein paar Wochen, trotzdem sind wir gemeinsam gefahren. Du fühltest dich schon am zweiten Tag nicht wohl, also sind wir in eine mexikanische Ambulanz gefahren. Du sagtest, dass der Arzt bestimmt noch von Tequila betrunken sei, als du wieder aufwachtest und die Wunde sahst. Bis heute glaube ich, dass du recht hattest.«

Urlaub in Mexiko, schießt es mir durch den Kopf. Ich versuche, mich zu erinnern.

In meiner Gedankenwelt sind Wellen, Wärme, Drinks und Sex. Ich sehe spanische Wörter und kann sie sogar entziffern. Mit aller Macht kneife ich die Augen zusammen und versuche tiefer in meine eigenen Überlegungen einzudringen.

Instalación uno … Anlage 1. Die schemenhaften Bilder werden klarer, doch das Einzige, was ich sehen kann, ist dieses eine Bild vor Augen.

»Alles gut, Jasmin?«

Schnell blicke ich zu meinem Verlobten. »Ja, danke. Es ist nur … ich kann mich nicht erinnern … denke ich.«

»Das wird schon noch.«

Ich nicke, lasse Ryan los und geniere mich, mich vor ihm umzuziehen. Er bemerkt es, hält verspielt eine Hand vor sein Gesicht und lächelt, sodass es einen umhaut. »Das hast du schon unzählige Male getan.«

»Ja, wahrscheinlich«, sage ich unsicher, gehe zum Schrank und öffne ihn. Wenn ich die Kleidung gekauft haben sollte, dann sollte ich mich dafür ohrfeigen. Ich erkenne mehrere Hosenanzüge, alle grau oder anthrazit, nichts Lockeres oder einen hübschen, langen Rock. Alles sieht unbequem und starr aus.

»Ist das mein Geschmack?«, will ich stirnrunzelnd wissen.

Ryan stellt sich neben mich. Gemeinsam sehen wir uns die Outfits an.

»Ja, wieso fragst du?«

»Es sieht alles so businessmäßig aus.« Mir fällt einfach kein anderes Wort ein, was es besser beschreibt.

»Du hast noch mehrere Jogginganzüge, aber wie ich dich kenne, willst du hier nicht so herauslaufen. Um ehrlich zu sein, hast du da selbst drum gebeten.«

Aus meinem Blick spricht Unverständnis. »Ich soll darum gebeten haben?«

Er nickt kaum merklich. »Sollte ich mal in ein Krankenhaus kommen, dann will ich so schnell wie möglich diese Bazillenschleuder wieder verlassen. Ordentlich und mit Stil, nicht wie Miley Cyrus nach einer Partynacht.« Er stupst mich ganz zärtlich in die Seite. »Deine Worte, Jasmin.«

Ein schreckliches Gefühl, nicht zu wissen, was man fühlen soll. Macht dieser Satz überhaupt Sinn? Derzeit scheint so ziemlich nichts so wirklich ins Bild zu passen. Wie dem auch sei, ich muss dringend meinen Kleiderschrank ein wenig aufpolieren.

»Habe ich vielleicht eine Freundin, die mir etwas leihen kann?«

Hörbar ließ Ryan Luft durch seinen Mund entweichen. »Du gehst gerne mit Kollegen einen trinken oder wir spielen Karten mit den Nachbarn, aber eigentlich ist dir nur Carmen direkt ans Herz gewachsen. Sie war die Erste, die uns begrüßte, als wir vor drei Jahren hier hingezogen sind. Sie war etliche Male hier. Von ihr sind einige der Blumensträuße, aber ansonsten …«

Er beendet den Gedankengang nicht. Ist auch gar nicht nötig.

Ich erkenne an seiner Stimmlage, dass ich mir meine Freunde wohl mit Bedacht aussuche. Zumindest das kommt mir bekannt vor.

Als ich gerade den Hosenanzug ergreife, der mir am wenigsten unbequem vorkommt, stoppe ich mitten in der Bewegung und halte inne. In Zeitlupe drehe ich mich zu Ryan.

»Ich bin ein Waisenkind.«

Jetzt lächelt er nicht mehr.

»Und du …«, füge ich hinzu, ohne ihn aus den Augen zu lassen. »… bist es ebenfalls.«

Ryan sieht mich wie versteinert an. Ich kann erkennen, dass sein Herz wie wild pocht, als er nach unendlich anmutenden Sekunden endlich auf mich zugeht und mich umarmt.

»Du erinnerst dich«, sind die einzigen Worte, die leise gesprochen seine Lippen verlassen.

»Ja«, hauche ich. Es tut nicht weh, es schmerzt nicht. Es ist einfach eine Feststellung. »Wir haben bei unserem ersten Date darüber gesprochen.«

Ich kann spüren, wie Ryan nickt. »Bei einem Kaffee in der Grand Central Station.«

»Vor drei Jahren.« Meine Worte sind nicht mehr als ein Flüstern im Wind. »Es regnete draußen und beide warteten wir, bis es ruhiger wird. So kamen wir ins Gespräch, unter der Uhr. Seitdem gehen wir jedes Jahr an unserem Tag zur Uhr in der Grand Central und trinken zusammen einen Kaffee.«

Endlich sieht er mich an. Er hat Tränen in den Augen, als er mein Gesicht in beide Hände nimmt. »Du sagtest, dass dir kalt wäre und da habe ich den Vorschlag gemacht, dass wir nach Mexiko fliegen. Ein paar Wochen später waren wir ein Paar und gingen am Strand spazieren. Nun ja, zumindest bis zu der Sache mit deinem Blinddarm.«