Theologie des Alten Testaments

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Exkurs: Altorientalische Anleihen der Selbstvorstellungsformel

Sucht man nach außerbiblischen Parallelen für die Formel, finden sich einschlägige Beispiele für die Formulierung „Ich bin N.N.“ (/’anî bzw. ’anokî N.N.) im altorientalischen wie ägyptischen Kontext.22 Unter ihnen sind insbesondere Orakeltexte in akkadischer Sprache von Interesse wie z. B. die sog. Marduk-Prophetie (TUAT II, 65 ff.) und eine Reihe von Ischtar-Orakeln an die neuassyrischen Könige Asarhaddon und Assurbanipal.23 Die Formel dient nicht immer dazu, im Sinne einer Selbstvorstellung das Orakel innerhalb eines sonst polytheistischen Kulturkreises auf einen bestimmten Gott zurückzuführen – denn das geschah ja in der Regel schon durch den, einem bestimmten Gott gewidmeten Tempel, an dem das Orakel ergeht bzw. an den Adressaten übermittelt wird. Deshalb ist wohl von einer Selbstprädikation auszugehen, die auf Selbstlob oder Realpräsenz abzielt. Letztere legt sich auch für Ex 6 insbesondere wegen des hier vorliegenden wiederholten und textstrukturierenden Gebrauchs der Formel nahe.24

Ursprünglich an die Königsorakel gebunden, begegnet die Selbstvorstellungsformel in Deuterojesaja und Ezechiel zumeist in Anwendung auf Israel oder auf einen König (z. B. Kyros in Jes 45,5). Weitere Belege finden sich in der priesterschriftlichen Literatur (P; insbes. Gen 17,1; 35,11; Ex 6,2.6.8; 12,12; 29,46), wo die Formel theologische Schlüsselstellen markiert, während sie in den korrespondierenden nicht-P-Texten seltener verwendet ist (s. Gen 15,7; 26,24; 28,13; 46,3; Ex 4,11). P nutzt die Formel bewusst, um Offenbarungsgeschichte zu schreiben, indem „ein Stück Theologiegeschichte ‚in progress‘“ dargestellt wird, in deren Verlauf „ein neues anderes Gottesbild, von P als Offenbarwerden des eigentlichen, bisher z. T. noch verborgenen Wesens“ aufgebaut wird.25 Im Prolog der beiden Dekalogfassungen ist die Selbstvorstellungsformel schließlich in Kombination mit der Herausführungsformel im Zuge einer Selbstprädikation an prominenter Stelle ergänzt und neu geprägt.

Priesterschrift

Die zweite Berufungserzählung (Ex 6) des Mose gehört in den größeren theologischen Kontext der priesterschriftlichen Darstellung (P; Gen 1 – Ex 40)26, welche mit der Schöpfung einsetzt und mit dem Einzug JHWHs in das Zelt der Begegnung endet, welches den in der Exilzeit verlorenen Tempel kompensiert. P ist die Schrift innerhalb des Pentateuch, der wir den ersten theologischen Großentwurf verdanken, der thematisch von der Urgeschichte über die Erzelternerzählungen, den Exodus bis zum Aufenthalt am Sinai erzählt und insbesondere auf ein spezifisches Modell der Gottesoffenbarung zielt.27 Der Auszug aus Ägypten findet sich motiviert in folgender Notiz (Ex 2,23aβ –25, P), die auf die Namensliste der Jakob-Israel-Söhne (Ex 1,1–5), den Hinweis auf den Frondienst (1,13–14) und die kurze Notiz über die Erfüllung der Volkswerdung (2,7) sowie die Knechtschaft Israels (2,13 f.) rückgreift:

Ex 2,23–25

23 aβ Die Israeliten aber stöhnten unter der Arbeit und schrien, und von der Arbeit stieg ihr Hilferuf auf zu Gott.

24 Und Gott hörte ihr Seufzen, und Gott gedachte seines Bundes mit Abraham, Isaak und Jakob.

25 Und Gott sah auf die Israeliten, und Gott nahm sich ihrer an.

Motiviert ist die Offenbarung JHWHs in dem Heilsorakel dadurch, dass Gott sich an sein Volk richtet und die Rettung plant. Auffällig ist, dass eine explizite Einführung der Mosefigur in der priesterschriftlichen Erzählung fehlt, da davon auszugehen ist, dass Ex 2,23–25 direkt zu Ex 6,2–12 überleitet, während die übrigen Erzählstücke unabhängig von dieser Fassung zu verorten sind. Den Anschluss von Ex 6,2–12 formt eine der für die P-Traditionen typischen Genealogien (wohl sekundär), die von zwei resümierenden Passagen umschlossen ist (V. 13.26–30), bevor V. 7,1 zu den (priesterschriftlichen) Plagenerzählungen überleitet.

Neben Ex 3 und 6 gibt es noch eine dritte, ursprünglich wohl ältere, dann aber deuteronomistisch überarbeitete Tradition:

Ex 5,1–4

1 Danach gingen Mose und Aaron hinein und sprachen zum Pharao: So spricht der HERR, der Gott Israels: Lass mein Volk ziehen, damit sie mir in der Wüste ein Fest feiern.

2 Der Pharao aber sagte: Wer ist der HERR, dass ich auf seine Stimme hören und Israel ziehen lassen sollte? Ich kenne den HERRN nicht und werde auch Israel nicht ziehen lassen.

3 Da sprachen sie: Der Gott der Hebräer ist uns begegnet. Drei Tagereisen weit wollen wir in die Wüste gehen und dem HERRN, unserem Gott, opfern, damit er uns nicht schlägt mit Pest oder Schwert.

4 Der König von Ägypten aber sprach zu ihnen: Mose und Aaron, warum wollt ihr das Volk von seinen Arbeiten abhalten? Geht an eure Fronarbeiten!

Sie ergänzt im weiteren Erzählkontext um die Verschärfung der Fron durch Pharao und verknüpft sie mit dem Kultthema: Demnach wird der Auszug aus Ägypten unumgänglich, damit Israel weiterhin in der Lage ist, seinem Gott zu dienen.

Es lassen sich folgende Bausteine für die theologische Interpretation der Selbigkeit JHWHs in den beiden „Berufungserzählungen“ des Mose in Ex 3 und 6 erkennen:

– Die Bestimmung des Texts in Form und Gattung ergibt unterschiedliche Bezüge: Während Ex 3 wie ein prophetischer Berufungsbericht gestaltet ist, der Mose in sein Amt einführt, folgt Ex 6 der Struktur eines (ebenfalls prophetisch zu situierenden) Heilsorakels, welches das Rettungshandeln JHWHs voraussagt und es mit dem Ziel der Gotteserkenntnis Israels wie Pharaos/Ägyptens verknüpft.

– Der gemeinsame theologische Kontext beider Erzählungen ist die Gottesoffenbarung (Theophanie), in der sich Gott zunächst nur Mose zu erkennen gibt. Eingebettet ist diese Offenbarung in den weiteren Kontext des Aufenthalts Israels in Ägypten, wo das Volk unter dem Frondienst leidet und zudem seinen religiösen Traditionen nicht mehr nachgehen darf.

– Zuletzt stellt sich die Frage, wie eine Gattung/ein Thema in anderen Kontexten verwendet ist? Heilsorakel begegnen gewöhnlich im kultischen Kontext oder bei den Exilspropheten. Andererseits erinnert Offenbarung im Kontext eines Berufungsberichts an eine prophetische Gattung, die darauf zielen könnte, Mose prophetische Züge zu verleihen (vgl. Dtn 34,10 u. ö.).

– Die Systematisierung der verschiedenen Theologien, die sich aus formalen und thematischen Erwägungen anhand dieser Parallelerzählungen erheben lassen, zeigt Folgendes: Das Nebeneinander von Berufung und Heilsorakel gerät zu einem theologischen Lehrstück über die Zusammenführung von ursprünglich unabhängigen Gottesbildern. Ex 6 geht sehr analytisch vor, weiß um die Existenz von verschiedenen Gottesbildern und negiert sie nicht, sondern erklärt sie als sukzessiv erfolgende Offenbarungen, die im Geschichtshandeln JHWHs münden und darin seine Selbigkeit bestätigen. Ex 3 thematisiert zwar ebenfalls verschiedene Gottesnamen, zielt aber anhand des Tetragramms und seiner Herleitung auf das besondere Wesen Gottes, das ihn als den Unverfügbaren und in seinem Wirken frei Handelnden charakterisiert und darin die Wandlungsfähigkeit begründet.

Literatur

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LaCoque, André: La révélation des révélations. Exode 3,14, in: Ders./P. Ricœur., Penser la Bible, Paris 1998, 305–334.

Nissinen, Martti: Die Relevanz der neuassyrischen Prophetie für die alttestamentliche Forschung, in: M. Dietrich/O. Loretz (Hg.), Mesopotamia – Ugaritica – Biblica (FS K. Bergerhoff), Kevelaer/Neukirchen-Vluyn 1993 (AOAT 232), 217–258.

Ricœur, Paul: De l’interprétation à la traduction, in: A. LaCoque/Ders., Penser la Bible, Paris 1998, 335–371.

–: Gott nennen (1977), in: Ders., Vom Text zur Person. Hermeneutische Aufsätze (1970–1990), Hamburg 2005, 153–182.

Rösel, Martin: Adonaj – Warum Gott „Herr“ genannt wird, Tübingen 2000 (FAT 29).

Ska, Jean-Louis: La place d’Ex 6,2–8 dans la narration de l’Exode, in: ZAW 94 (1982), 530–548.

Sonnet, Jean-Pierre: Eheyeh asher Eheyeh (Ex 3:14): God’s ‚Narrative Identity‘ among Suspense, Curiosity, and Surprise, in: Poetics Today 31 (2010), 331–351.

 

Sternberg, Meir: The Poetics of Biblical Narrative, Ideological Literature and the Drama of Reading, Bloomington 1985.

Weippert, Manfred: „König, fürchte dich nicht!“ Assyrische Prophetie im 7. Jahrhundert v. Christus, in: Orientalia 71 (2002), 1–54.

–: „Ich bin JHWH“ – „Ich bin Ishtar von Arbela“: Deuterojesaja im Lichte der neuassyr. Prophetie, in: Ders., Götterwort und Menschenmund. Studien zur Prophetie in Assyrien, Israel und Juda, Göttingen 2014 (FRLANT 252), 132–158.

2.2 JHWH offenbart sich in der Befreiung aus Ägypten

Die Exoduserzählung wird im ersten Teil des Buches Exodus vorbereitet und entfaltet.


Teil 1:Israel in Ägypten (Ex 1,1–15,21)
1–2Ausgangssituation: Israel ein großes Volk (1,1–7); seine Unterdrückung (Frondienst) (1,8–22); Geburt des Mose (2)
3–4Gott interveniert in der Wüste: Berufung des Mose I; Beschneidung; Moses Rückkehr nach Ägypten
5–14Die Befreiung: Plagen und Auszug aus Ägypten 5 Mose und Aaron verhandeln vergeblich mit Pharao um die Entlassung des Volkes aus dem Frondienst
6Die Berufung Mose II;
7–11Konflikt zwischen Mose und Pharao; Plagenzyklus: Zuspitzung im Tod der ägyptischen Erstgeburt (10. Plage)
12,1–13,16Die Einsetzung von Passa (Pessach)
13,17–14,31Der Durchzug durch das Meer; Auszug aus Ägypten
15Schlusshymnus: Schilfmeerlied

Gründungsmythos

Die hohe Komplexität des Exodus-Narrativs macht die Zweitteilung des vorliegenden Kapitels erforderlich, in dem in eine Auszugs- und eine Mosetradition unterschieden wird. Das theologische Gewicht und die innerbiblische Aufnahme des Exodus stilisiert das Ereignis als den vielleicht wichtigsten Gründungsmythos Israels.

2.2.1 Plagenzyklus und Auszugsbericht

Der Name des Gottes Israels unterscheidet sich von anderen Götternamen darin, dass er ein sprechender Name ist: „Ich bin, der ich bin“ oder „Ich bin, der ich sein werde“ oder auch „Ich bin da“. Der Gott Israels ist nicht fassbar, nicht definierbar, nicht reduzierbar, und darin wird er von den umliegenden Kulturen und Religionen klar unterschieden. Dort ist ein Gott rückgebunden an natürliche Gegebenheiten (Schamasch, der Sonnengott als Verantwortlicher für Gerechtigkeit; der Wettergott Baal als Herr der Fruchtbarkeit) oder an strukturelle Gegebenheiten (Horus, der Garant des Königtums). Anders begegnet der Gott Israels als der an die Geschichte mit seinem Volk gebundene Gott (Hos 13,4; vgl. Ex 20,2 f./Dtn 5,6 f.):

Hos 13,4

4 Ich aber bin der HERR, dein Gott vom Land Ägypten her,

und ausser mir kennst du keinen Gott,

und es gibt keinen Retter ausser mir.

In diesem prophetischen Text wie auch in der bereits oben zitierten Präambel der beiden Dekalogfassungen wird die Einzigkeit Gottes hervorgehoben und mit dem Umstand erklärt, dass der Gott Israels Gott „vom Land Ägypten her“ ist. Somit stilisiert der Text den Auszug aus Ägypten als Gründungsereignis der Beziehung Gottes mit Israel schlechthin. Ägypten ist – anders als in der Josephserzählung – in den Exoduserzählungen negativ geschildert: Es ist das Land der Knechtschaft und Fronarbeit (s. die Erbauung der Vorratsstädte Pitom und Ramses in Ex 1,11) und wird daraus resultierend zur Kulisse für den wunderbaren Auszug als göttlicher Rettungstat. Zahlreiche credohafte Formulierungen erinnern an das Ereignis (Dtn 26,5–10; 6,20–25; Ps 136; Lev 22,32f und 25,55; Jos 24,17).

Die umfassendste Darstellung der Ereignisse findet sich in Ex 1–14, wobei die Josephserzählung (Gen 37–50*; vgl. Ex 1,6.8) ein wichtiges Zwischenglied ist, das den narrativen Übergang sichert, da sie erklärt, wie die zwölf Israel- bzw. Jakobsöhne wegen einer Hungersnot nach Ägypten kamen und zu einem großen Volk wurden (Ex 1,7).

Ex 1,6–12

6 Und Josef starb und alle seine Brüder und jene ganze Generation.

7 Die Israeliten aber waren fruchtbar, und es wimmelte von ihnen, sie mehrten sich und wurden übermächtig, und das Land wurde von ihnen voll.

8 Da stand ein neuer König über Ägypten auf, der nichts von Josef wusste.

9 Und er sagte zu seinem Volk: Seht, das Volk der Israeliten ist uns zu gross und zu mächtig.

10 Auf, wir wollen klug mit ihm umgehen, damit es sich nicht noch weiter mehrt und in einem Krieg nicht auf die Seite unserer Feinde tritt, gegen uns kämpft und hinaufzieht aus dem Land.

11 So setzten sie Fronaufseher über das Volk, um es mit Fronlasten zu unterdrücken, und es musste für den Pharao Vorratsstädte bauen, Pitom und Ramses.

12 Je mehr sie es aber unterdrückten, desto stärker mehrte es sich und breitete es sich aus. Da graute ihnen vor den Israeliten.

Die Angst der Ägypter vor den – sich auch unter schwierigsten Bedingungen vermehrenden – Fremdarbeitern führt zum Befehl des Kindermords (Ex 1,15–22; s. auch Mt 2,16), der einerseits in die Geburts- und Jugendgeschichte des Mose einführt und andererseits die Berufung des Mose (Ex 3) als Beginn des notwendigen göttlichen Rettungshandelns an Israel markiert.

Prophetischer Berufungsbericht s. u. 2.6

Wie in anderen Berufungsberichten äußert Mose Einwände, weil er sich dem göttlichen Auftrag nicht gewachsen fühlt. Gott antwortet darauf mit der Zusage seines Beistands (3,12 vgl. 4,15) gefolgt von der Namensoffenbarung (3,14) und drei wunderbaren Zeichen (4,2–9), die Mose von Gott gelehrt werden, damit er Israel von der bevorstehenden göttlichen Rettung überzeugt (4,5). Zugleich dienen die Zeichen dem Zweck, Pharao zu begegnen und ihn zur Erlaubnis für den Auszug zu bewegen – allerdings ohne ihn überzeugen zu können, da Gott selbst sein „Herz verhärtet“ bzw. verstockt (4,21: /zq leb). Das Motiv der Verstockung wird die gesamte Exoduserzählung in verschiedenen Variationen durchziehen: nicht nur Israel ist ungläubig (verstockt) angesichts der bevorstehenden Rettung, auch Pharao und die Ägypter sind es, werden aber zudem von Gott selbst trotz zahlreicher Zeichen und Wunder aktiv in diesen Zustand versetzt, so dass Gott die Katastrophe im Untergang des ägyptischen Heers (Ex 14,25–28.30) eigens herbeiführt. Denn die Umkehr Pharaos ist durch seinen Verstockungsbefehl vereitelt.

Der Ungehorsam Pharaos findet sich in einer deuteronomistisch anmutenden Passage folgendermaßen beschrieben:

Ex 4,21–23; 5,1–2

4,21 Und der HERR sprach zu Mose: Wenn du nun gehst und nach Ägypten zurückkehrst, denke an alle Wunderzeichen, die ich dir in die Hand gegeben habe, und tue sie vor dem Pharao. Ich aber werde sein Herz verhärten, und er wird das Volk nicht ziehen lassen.

22 Dann sollst du zum Pharao sagen: So spricht der HERR: Israel ist mein erstgeborener Sohn.

23 Und ich habe dir gesagt: Lass meinen Sohn ziehen, damit er mir diene. Du aber hast dich geweigert, ihn ziehen zu lassen; sieh, jetzt töte ich deinen erstgeborenen Sohn.

[…]

5,1 Danach gingen Mose und Aaron hinein und sprachen zum Pharao: So spricht der HERR, der Gott Israels: Lass mein Volk ziehen, damit sie mir in der Wüste ein Fest feiern.

2 Der Pharao aber sagte: Wer ist der HERR, dass ich auf seine Stimme hören und Israel ziehen lassen sollte? Ich kenne den HERRN nicht und werde auch Israel nicht ziehen lassen.

Tora und Talion s. u. 2.5.2.3

Offensichtlich blickt dieser Einschub auf die sogenannte 10. Plage, die Tötung der ägyptischen Erstgeburt, voraus und dient dazu, die grausame Tat theologisch im Sinne des Talionsrechts zu rechtfertigen. Weiterhin lassen sich auch kritische Einwürfe gegen Gott finden, in denen seine Ineffizienz angeprangert wird.

Ex 5,22–6,1

5,22 Da wandte sich Mose zum HERRN und sprach: Herr [’adonaj], warum hast du diesem Volk Böses angetan, warum hast du mich gesandt?

23 Seitdem ich zum Pharao gekommen bin, um in deinem Namen zu reden, hat er diesem Volk nur Böses angetan; du aber hast dein Volk nicht gerettet.

6,1 Da sprach der HERR zu Mose: Jetzt wirst du sehen, was ich dem Pharao tun werde. Er wird sie ziehen lassen, mit starker Hand, und mit starker Hand wird er sie aus seinem Land vertreiben.

Diese beiden Abschnitte enthalten – auf synchroner Ebene – viele proleptische (vorausweisende) Elemente auf den Fortgang der Exoduserzählung:

Murrgeschichte s. u. 2.5.3

–Ex 4,22 f. rekurriert auf das Motiv der Erstgeburtstötung, wie es in der letzten Plage begegnet (11,4–8; 12,29 f.), und auf die daraus abgeleitete Kultgesetzgebung bezüglich zukünftiger Erstgeburtsopfer (Ex 13,1 f.11–16).

–5,1 bezieht sich auf das Thema des JHWH-Kults (ein Fest in der Wüste) und V. 2 auf das (Er-)Kennen von JHWH, einem weiteren Leitmotiv der Erzählung.

–5,22 zeigt an, wie Mose mit seinem Auftrag weiterhin hadert, ein Motiv, das sich fortsetzt im Hadern Israels der Murrgeschichten.

–6,1 nimmt das Ende der gelungenen Rettung vorweg, die hier aber nicht als Auszug Israels, sondern als Vertreibung Pharaos vorausgesagt wird.

Einige Motive begegnen als die Erzählung vertiefende Elemente (z. B. der JHWH-Kult), ohne dass sie für die Erzählung der Befreiung von der ägyptischen Fronarbeit unabdinglich wären. Andere Motive treten sogar miteinander in Widerstreit, wie z. B. die Vertreibung bzw. Entlassung des Volks durch Pharao (vgl. 11,8; 12,31–33; 13,17) neben der gewaltsamen Herausführung aus Ägypten durch Gott gegen Pharaos Willen (13,3.14 dtr.) oder dem Auszug als Flucht (Ex 14,5a).

Die in Ex 4,2–9 eingeführten Zeichen () sind ein weiteres Leitmotiv der Exoduserzählung, welches insbesondere im Zuge der Plagenerzählungen (Ex 7–11.14) entfaltet ist. Die sogenannten Plagen nehmen sehr unterschiedliche Formen an, indem sie als magische Erweiswunder, Naturkatastrophen oder aber als Tötung der ägyptischen Erstgeburt begegnen. Ihrem Kern nach beschreiben sie einen Machtkampf zwischen Gott und Pharao, wobei das Motiv der Verstockung Pharaos den machtvollen Aspekt der Rettungshandlung aus Ägypten im Meerwunder auf äußerst dramatische Weise vorbereitet. Folgende elf Episoden lassen sich benennen28:

–das Stabwunder (Ex 7,8–13) besteht darin, dass Aaron und die äg. Magier einen Stab in Schlangen verwandeln, Aarons Stab verschlingt die Stäbe der Magier (P; vgl 4,2–4 nicht-P);

–die Nilpest (Ex 7,14–25) beschreibt die Verwandlung des Nils sowie aller Gewässer Ägyptens in Blut, wodurch ein Fischsterben ausgelöst wird, durch das alles Wasser im Land verpestet ist (P);

–die Froschplage (Ex 7,26–8,11) lässt Frösche aufs Land kriechen und dort verenden, wodurch wiederum das Land verpestet wird (nicht-P);

–die Mückenplage (Ex 8,12–15) entsteht aus dem Staub des Landes, der sich in Mücken verwandelt, die Menschen und Vieh peinigen (P);

–die Ungezieferplage (Ex 8,16–28) lässt Ungeziefer bis in die Häuser vordringen (nicht-P);

–die Viehpest (Ex 9,1–7) lässt das Vieh der Ägypter an den Folgen einer Krankheit verenden (nicht-P);

–die Beulenpest (Ex 9,8–12) schlägt Mensch und Vieh mit eitrigen Beulen (P);

–die Hagelplage (Ex 9,13–35) vernichtet die Ernte und erschlägt Mensch und Vieh auf den Feldern (nicht-P);

–die Heuschreckenplage (Ex 10,1–20) vernichtet das, was der Hagel verschont hat (nicht-P);

–eine dreitägige Finsternis (Ex 10,21–23) macht die Orientierung in Ägypten unmöglich (nicht-P);

–die Tötung der ägyptischen Erstgeburt (Ex 12,29–33) erfolgt durch einen Schlag JHWHs (nicht-P).

Es ist offensichtlich, dass die Plagen formal sehr divergent, dabei aber dramaturgisch geschickt angeordnet sind. Anhand der priesterschriftlichen Fassung29 der Plagen soll die Spannungskurve nachgezeichnet werden.

Voraus geht dem eine kurze Notiz in Ex 1,13 f. gefolgt von 2,23aβ–25:

 

Ex 1,13–14; 2,23–25

1,13 Und die Ägypter zwangen die Israeliten mit Gewalt zur Arbeit

14 und machten ihnen das Leben schwer mit harter Lehm- und Ziegelarbeit und mit aller Feldarbeit, all der Arbeit, die sie mit Gewalt von ihnen erzwangen.

[…]

23 aβ Die Israeliten aber stöhnten unter der Arbeit und schrien, und von der Arbeit stieg ihr Hilferuf auf zu Gott.

24 Und Gott hörte ihr Seufzen, und Gott gedachte seines Bundes mit Abraham, Isaak und Jakob.

25 Und Gott sah auf die Israeliten, und Gott nahm sich ihrer an.

Auf diese äußerst knappe Einleitung in die priesterschriftliche Exoduserzählung folgen auf die Beauftragung des Mose in Ex 6 die „Plagen“, welche hier als Erweiswunder dargestellt sind.

Der priesterschriftliche Plagenzyklus

7,1 YHWH sprach zu Mose: „Sieh. (Somit) Setze ich Dich als ’Elohîm (Gott) für Pharao. Und Aaron, dein Bruder, wird dein nabî’ (Prophet) sein. 2 Du wirst ihm alles sagen, was ich dir auftragen werde, und Aaron, dein Bruder, wird es Pharao sagen, damit er die Söhne Israels aus seinem Land fortschicke.

3 Ich aber werde das Herz Pharaos verhärten und groß werden lassen meine Zeichen (/’ôt) und meine Wunder (/môphet) im Land Ägypten. 4 Pharao wird nicht auf euch hören und ich werde meine Hand auf die Ägypter legen und meine Schar, mein Volk, die Kinder Israels mit großen Gerichtstaten aus dem Land Ägypten führen. 5 Die Ägypter werden erkennen, daß ich YHWH bin, wenn ich meine Hand auf die Ägypter lege und die Kinder Israels aus ihrer Mitte herausführe.“ 6 Und es tat(en) Mose und Aaron wie YHWH (es) ihnen befohlen hatte. So taten sie (es). 7 Mose aber war 80 Jahre und Aaron 83 Jahre alt, als sie mit Pharao sprachen.

8 Da sagte YHWH zu Mose und zu Aaron: 9 „Wenn Pharao zu euch folgendermaßen redet: ‚Gebt euch ein Wunderzeichen (/môphet)!’, dann sollst Du zu Aaron sagen: ‚Nimm deinen Stab und wirf ihn vor Pharao, (daß) er zur Schlange werde.‘“ 10 Mose und Aaron kamen zu Pharao und handelten so, wie YHWH geheißen hatte, und Aaron warf seinen Stab vor Pharao und vor dessen Diener und er wurde zu einer Schlange. 11 Auch Pharao rief seine Weisen und Zauberer und auch sie, die Beschwörungspriester Ägyptens, handelten so mit ihren Beschwörungen. 12 Und jeder warf seinen Stab und sie wurden zu Schlangen, doch der Stab Aarons verschlang ihre Stäbe. 13 Das Herz Pharaos verhärtete sich und er hörte nicht auf sie, wie YHWH es (voraus)gesagt hatte. […]

7,19 YHWH sagte zu Mose: „Sprich zu Aaron: ‚Nimm deinen Stab und erhebe deine Hand über die Wasser Ägyptens, auf seine Flüsse, auf seine Nilarme und ihre Tümpel und über all ihre Wasserstellen, damit sie Blut werden. Blut soll werden im ganzen Land Ägypten und in den Bäumen und in den Hölzern.‘“ 20 Mose und Aaron handelten, wie YHWH befohlen hatte und er erhob den Stab und schlug die Wasser, die im Nil (waren) vor den Augen Pharaos und vor den Augen seiner Diener. Da verwandelten sich alle Wasser, die im Nil (waren), in Blut. 21 Und der Fischbestand, der im Nil (war), war tot, (als Folge) stank der Nil und die Ägypter vermochten die Wasser des Nils nicht (mehr) zu trinken. Und im ganzen Land Ägypten wurde Blut. 22 Es handelten ebenso die Magier Ägyptens mit ihren Beschwörungen und das Herz Pharaos verhärtete sich und er erhörte sie nicht, wie YHWH es (voraus)gesagt hatte.

[…]

[8,1 YHWH sagte zu Mose: „Sprich zu Aaron: ‚Erhebe deine Hand mit deinem Stab über die Flüsse, über die Kanäle und über die Teiche, und lass die Frösche über das Land Ägypten kommen.‘“ 2 Aaron erhob seine Hand aus über die Gewässer Ägyptens, und die Frösche kamen herauf und bedeckten das Land Ägypten.

3 Die Beschwörungspriester mit ihren Beschwörungen aber taten dasselbe und ließen die Frösche über das Land Ägypten kommen. – Froschplage zählt nach Albertz ausschnitthaft zur P-Komposition]

[…]

8, 11* Er [= Pharao] hörte nicht auf sie, wie YHWH (voraus)gesagt hatte. 12 YHWH sagte zu Mose: „Sprich zu Aaron: ‚Erhebe deinen Stab und schlage (auf) den Staub der Erde, auf daß er zu Mücken werde im ganzen Land Ägypten.‘“ 13 Sie handelten so. Aaron erhob seine Hand mit seinem Stab und schlug auf den Staub der Erde und es entstanden die Mücken über Mensch und Vieh. Aller Staub der Erde wurde zu Mücken im ganzen Land Ägypten. 14 Die Magier Ägyptens handelten ebenso mit ihren Beschwörungen, um die Mücken hervorzubringen, aber sie vermochten es nicht. Die Mücken aber waren an Mensch und Vieh. 15 Da sprachen die Magier zu Pharao: Das ist der Finger ’Elohîms. Doch das Herz Pharaos verhärtete sich und er hörte nicht auf sie, wie YHWH (voraus)gesagt hatte.

[…]

9,8 YHWH sprach zu Mose und zu Aaron: „Nehmt euch eine Handvoll Ofenruß und Mose werfe ihn zum Himmel vor den Augen Pharaos. 9 Und er werde zu Staub über das ganze Land Ägypten und werde an Mensch und Vieh zu Geschwüren als aufplatzende Blasen im ganzen Land Ägypten.“ 10 Sie nahmen Ofenruß, traten vor Pharao und Mose warf ihn zum Himmel. Da entstanden Geschwüre, die als Blasen an Mensch und Tier aufplatzten. 11 Aber die Magier konnten nicht vor Mose stehen wegen der Geschwüre, denn die Geschwüre waren an den Zauberern und allen Ägyptern. 12 YHWH verhärtete das Herz Pharaos und er hörte nicht auf sie, wie YHWH es Mose vorausgesagt hatte.

Der Zielpunkt der priesterschriftlichen Plagen, die nicht als Naturkatastrophen, sondern als Erweiswunder gezeichnet sind – d. h. als göttlich verursacht und die Naturgesetze außer Kraft setzend – findet sich schließlich in der Meerwundererzählung:

14, 15 YHWH sagte zu Mose: „Rede zu den Kindern Israels, damit sie aufbrechen. 16 Du aber, erhebe Deine Hand über das Meer und spalte es, damit die Kinder Israels mitten durch das Meer auf dem Trockenen kommen.

…18 Die Ägypter werden erkennen, daß ich YHWH bin, …“ 21 Mose erhob die Hand über das Meer. Da spaltete sich das Wasser 22 Die Kinder Israels kamen mitten durch das Meer auf dem Trockenen … 26 YHWH sagte zu Mose: „Erheb Deine Hand über das Meer, damit das Wasser zurückkehrt über die Ägypter …“ 27 Mose erhob seine Hand über das Meer. 28 Die Wasser kehrten zurück um die Streitwagen […] zu bedecken, die hinter ihnen ins Meer gekommen waren. (Übersetzung M. Bauks)

Der dramaturgische Aufbau der P-Version lässt sich folgendermaßen skizzieren:

–Das Volk schreit und Gott erhört es, gedenkt seines Bundes mit den Vätern und nimmt sich Israels an (Ex 2,23–25) und gibt sich Mose zu erkennen (Ex 6).

–Mose und Aaron treten wie Magier gegen die ägyptischen Magier mit Erfolg an; parallel dazu erfolgt die Verstockung Pharaos durch Gott (Ex 7,1–6); es kommt zum ersten Erweiswunder (Stock wird zur Schlange; 7,8–12).

– Das Wasser des Nils wird in Blut verwandelt – die ägyptischen Magier ziehen nach und schaden somit dem eigenen Volk (7,19–22).

–Bei der Mückenplage können die ägyptischen Magier nicht mithalten, Menschen und Vieh Ägyptens sind beeinträchtigt. Im „Finger Gottes“ – gemeint sind Mose und Aaron als göttliche Erfüllungsgehilfen – erkennen die Magier die eigene Unfähigkeit und die tieferliegende Ursache (8,11–15*).

–Von der durch Mose veranlassten Rußplage werden die Magier selbst befallen (9,8–12); somit ist die Macht Ägyptens gebrochen.

–Im Auszug aus Ägypten und dem Niedergang im Meer – der verstockte Pharao bleibt bis zum bitteren Ende verstockt – erwerben die Ägypter die vorausgesagte Gotteserkenntnis im Angesicht des Todes (14,15–16.18*.21–22*.26–27*).

Die priesterschriftliche Sicht weist die Ausführung in den ersten vier Plagen Aaron, in den beiden letzten (wenn man den Auszug als Variante eines Erweis- bzw. Schauwunders ansieht) Mose zu. Es geht jeweils um einen Wettstreit, in dem die beiden ebenso in göttlicher Vollmacht handeln wie es die ägyptischen Divinatoren und Magier im Bezug auf Pharao als Träger göttlicher Wirkmacht tun. Letztere Macht vermag sich aber schließlich nicht durchzusetzen, stattdessen erfüllt sich die Vorhersage „Die Ägypter werden erkennen, dass ich JHWH bin“ (14,18) im Untergang der Ägypter.

Doch betont die Erzählung weiterhin, dass auch Israel die Gotteserkenntnis erst „lernen“ muss. Wie Israel in Ex 2,23 ohne Adressat klagt, Gott sich aber der Klage annimmt und sich seines Bundes erinnert (V. 24 f.), so reagiert es auch auf die Ankündigung der bevorstehenden Rettung nicht (6,9). Kurzum, Ziel der priesterschriftlichen „Plagen“ ist es, dass auch Israel erkennen soll, dass JHWH sein Gott ist, und die Selbstvorstellung JHWHs aus Ex 6 verinnerlicht.

Auf synchroner Ebene lässt der gesamte Plagenzyklus (s. o.) eine Steigerung bei jeweils eigener Akzentuierung erkennen: Während sich die Nilpest, die Frosch- und Mückenplage in besonderer Weise auf den göttlichen Machterweis in Überbietung der ägyptischen Magier konzentrieren, zeigen Ungeziefer-, Viehplage und Beulenpest Gottes Macht in Ägypten an, die über die Ägypter Schaden bringt, während die Israeliten ausgenommen bleiben (Ex 8,18; Ex 9,4). Hagel-Heuschreckenplage und die dreitägige Finsternis verweisen auf die Analogielosigkeit göttlichen Handelns (Ex 9,18.24; 10,6.14), das schließlich die Verhandlungen zwischen Mose und Pharao um den Auszug in Gang bringt und in der zuerst angedrohten (11,1–8), dann aber ausgeführten Tötung der ägyptischen Erstgeburt (12,29–33; beides nicht-P) mit anschließender Vertreibung Israels einen deutlich markierten Höhepunkt findet.