Theologie des Alten Testaments

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

19 Hierauf kehrte Abraham zu seinen Knechten zurück, und sie brachen auf und gingen miteinander nach Beer-Scheba, und Abraham blieb in Beer-Scheba wohnen.

Die Erzählung trägt eine Reihe von theologischen Reflexionen, die auf eine späte literarische Entstehung in nach-exilischer Zeit hinweisen:71

–So ist der Wechsel der Gottesnamen kein literarkritisches Merkmal, sondern theologisch intendiert: Das determinierte /haelohim in V. 1.3.9 entspricht der Beschreibung eines sich distanzierenden Erzählers. Den Figuren Abraham bzw. Gott entspricht das indeterminierte Elohim in V. 8.12, und das ab V. 11.14 f. verwendete Tetragramm JHWH steht im Modus der „erlösenden Gottesrede“, die „zwei Gotteserfahrungen bzw. Wahrnehmungen Gottes einander gegenübergestellt: die des abgründig verborgenen und die des rettenden Gottes.“72

–Die Überschrift in V. 1 charakterisiert die Erzählung als Probe oder Prüfung Abrahams und setzt darin dem Leser ein wichtiges Signal, um theologischen Fehlinterpretationen vorzubeugen und die Bewährung der Probe in V. 12 vorzubereiten. Dieselbe Technik ist auch in der Rahmenerzählung des Hiobbuchs verwendet, wenn auch das Verb /nsh pi. dort fehlt (Hi 1,12).

–Der vom Himmel sprechende Engel, der nicht als Bote auf der Erde auftritt, verweist auf eine ausgeprägte Angelologie, wie sie erst in Texten des zweiten Tempels begegnet.73

–Es geht der Erzählung um eine am Beispiel eines paradoxen Gottesbefehls gezeichnete Gottesfurcht, die auf das Sehen Gottes hofft, das als wichtiges Schlüsselwort der Erzählung wiederholt begegnet (V. 4.7.8.13 f.). In V. 8 ist das göttliche Sehen als das rettende Sehen vorausgesetzt, an dem sich die Gottheit Gottes erweist (V. 14b mit der Namensätiologie „Moria“ als Prolepse des Zion in Jerusalem). Es geht „um die Wahrung der Unverfügbarkeit und Freiheit Gottes“.74

Gen 22 weist inhaltlich wie strukturell einige Parallelen mit der Gefährdung Ismaels in Gen 21,8–21 auf. Theologisch neu ist in Gen 22, dass es Gott selbst ist, der den Gerechten auf die Probe stellt, um zu prüfen, ob Abraham bereit ist, seinen Sohn an Gott zurückzugeben, auch wenn das die Verheißungsgeschichte in Frage zu stellen scheint. Gen 22 ist ein Beispiel narrativer Theologie, das „(i)n Krisenzeiten […] an der Gestalt Abrahams die Gefährdung des Glaubens und der Zukunft“ darstellt und darin – gerade bei Menschen, die in der Diaspora leben – um Identifikation mit dem exemplarischen JHWHfürchtigen wirbt.75

Prophetische Referenzen auf Abraham betonen seine Gottesliebe (Jes 41,8b–9; vgl. 51,2), zu der im Abrahamzyklus noch der Gehorsam des Torafrommen hinzukommt: So beachtet er Opfergesetze (Gen 18,6), entrichtet den Zehnten an den Jerusalemer Priester (Gen 14,20) und beachtet das Mischehenverbot (Gen 24,2–4) wie die anderen Bestimmungen der Tora (Gen 26,5). Im Laufe der hebräischen Literaturgeschichte kann er die Erzeltern sogar allein vertreten (Ez 33,23–29; Neh 9,7–8; anders die Aufnahme von Abraham, Isaak, Jakob und Joseph in dem Geschichtspsalm Ps 105,5–10.17). Angesichts der recht rudimentären Aufnahme von Erzelterngeschichten in der Priesterschrift fällt auf, dass auch hier narrativ vor allem Abrahams Bund und Verheißungen im Zentrum stehen (Gen 17), während die anderen beiden Erzväter nur in einigen Notizen zu Heirat, Geburt und Weitergabe der Verheißung (z. B. Gen 25,11;26,34 f.; 27,46–28,9; 35,9–15* [Bethel-Epiphanie]; 48,3–7) sowie in den Genealogien (11,10–26; 25,12–17; 35,22b–26; Gen 36*) begegnen. Der Anteil an Erzelternmaterial in P umfasst neben Gen 17 also vor allem Ausführungsnotizen zu dem in Gen 1,28; 9,1 erteilten Fortpflanzungsauftrags und der Nachkommenverheißung von Gen 17,2.6, weswegen D. Carr die priesterschriftliche Erzelternerzählung als eine auf den Bund fokussierte ausgeweitete Genalogie („a covenant focused expanded genealogy“) charakterisiert hat.76

Im Unterschied zu dem das Leben eines Patriarchen beschreibenden Jakobzyklus besteht der Abrahamzyklus aus einer Reihe von Einzeltraditionen (Abraham-Lot; der Patriarch), die durch die Verheißungs- und Segensmotivik theologisierend miteinander verknüpft worden sind. Der Priesterschrift verdankt sich die Zusammenschau von Erzeltern- und Exodustradition sowie die Trias der Patriarchen. Außerhalb des Pentateuch ist Abraham selten erwähnt (z. B. Ez 33,23–26) und wird für seinen starken Glaubensgehorsam gerühmt (Ps 47,10; insbes. Röm 4,1–25 in Anlehnung an Gen 15,6; Hebr 11,8–19), der in Gen 12 und in der Aqeda-Erzählung (Gen 22) paradigmatisch zum Ausdruck gebracht ist.

2.3.2 Der Jakobzyklus

Auch in diesem Erzählzyklus (Gen 25–36) sind die Themen der Präsenz Gottes mit dem Patriarchen sowie die Verheißung der Volkswerdung von großer Bedeutung, aber auffallend anders dargestellt als im Abrahamzyklus. Da die meisten der in den Erzählungen erwähnten Orte im Norden liegen, während die Geschichten um die Erzväter Abraham und Isaak zumeist im Südreich angesiedelt sind, ist davon auszugehen, dass es sich mit Teilen des Jakobszyklus’ um alte Nordreichtraditionen handelt (s. Ephraim in Hos 12; Gilead in Gen 31,45 ff.).77 Die Geschichte (Gen 25,19–34; 27–35) steht unter der übergreifenden Thematik der Auseinandersetzungen Jakobs mit seinem Bruder Esau (25,19–34; 27; 32 f.) und seinem Onkel Laban (29–31). Während Esau mit Edom und Seïr in Südjordanien verbunden ist (Gen 25,30; 32,4; 36,1.9 u. ö.), ist der Aramäer Laban im nördlichen Haran (Gen 27,41–45; 29,4 f.; vgl. 31,24) angesiedelt. Wenn Abraham vor allem als „Vater des Glaubens“ gezeichnet ist, beschreibt der ältere Zyklus Jakob als ein Schlitzohr, auf dem dennoch der göttliche Segen liegt, der den Zweitgeborenen zum Stammvater Israel(s) werden lässt. Während Abraham sein Vertrauen in Gott legt (/hlk hitpael „wandeln vor Gott“ als theologischer Schlüsselbegriff), nimmt Jakob sein Schicksal selbst in die Hand.

Auch auf literarischer Ebene unterscheiden sich die beiden Zyklen beträchtlich: Die Geschichten um Jakob formieren einen echten, z. T. auf alte Traditionen zurückgreifenden Erzählzyklus in drei Akten, der Phasen seines Lebens von der Geburt bis zu seinem Tod beschreibt.78 Dagegen formiert der Abrahamzyklus eine Sammlung sehr divergenter Stoffe. Die Verheißungen von Nachkommenschaft und Land werden zwar von Abraham/Isaak auf Jakob übertragen, doch das eigentliche Thema des Jakobs-Zyklus’ ist der Segen: zuerst der väterliche, dann aber der göttliche. Für das hohe Alter der Figur könnte das semitisch desöfteren belegte Namenselement Jaqôb + Göttername („Es möge schützen“ + El/Anu/Baal/Haddu) sprechen.79 Im Falle einer Namensverwandtschaft wäre der Name aber modifiziert in die Geschichte integriert durch die Volksetymologien des „Fersenhalters“ (von /‘aqeb „Ferse“ in Gen 25,26) bzw. des Betrügers /‘aqab „überlisten“ in 27,36; vgl. Hos 12,4). Doch passt das traditionelle semitische Namenselement bestens zu der im Zyklus entfalteten Segensthematik.

Akt I

Am Beginn des Zyklus steht das Ringen Jakobs um das Erstgeburtsrecht, und zwar in drei Varianten: die Geburtsgeschichte (Gen 25,21–26); das Linsengericht (Gen 25,27–34) und der vom Vater durch Täuschung erschlichene Erstgeburtssegen (Gen 27,1–45). Der daraus resultierende Konflikt mit dem Bruder Esau mündet in Jakobs Flucht, deren erstes Etappenziel die Erzählung von der Himmelsleiter in Gen 28 darstellt. Eine alternative Motivierung seines Fortzugs liegt in der Weisung seines Vaters und prägt die sehr knapp gehaltene priesterschriftliche Überlieferung: Jakob begibt sich zu seinem Onkel Laban, um nicht wie Esau eine Kanaanäerin bzw. Hethiterin zu heiraten (vgl. Gen 26,34 f.; 27,46; 28,1–9*), sondern eine Kusine seiner Sippe.

Auf der Reise widerfährt ihm eine eindrückliche Offenbarung (Theophanie; nicht-P):

Gen 28,10–22

10 Jakob aber zog weg von Beer-Scheba und ging nach Charan.

11 Und er gelangte an einen Ort und blieb dort über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen von den Steinen des Ortes, legte ihn unter seinen Kopf, und an jener Stelle legte er sich schlafen.

12 Da hatte er einen Traum: Sieh, da stand eine Treppe auf der Erde, und ihre Spitze reichte bis an den Himmel. Und sieh, Boten Gottes stiegen auf ihr hinan und herab.

13 Und sieh, der HERR stand vor ihm und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks. Das Land, auf dem du liegst, dir und deinen Nachkommen will ich es geben.

14 Und deine Nachkommen werden sein wie der Staub der Erde, und du wirst dich ausbreiten nach Westen und Osten, nach Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen werden Segen erlangen alle Sippen der Erde.

15 Und sieh, ich bin mit dir und behüte dich, wohin du auch gehst, und ich werde dich in dieses Land zurückbringen. Denn ich verlasse dich nicht, bis ich getan, was ich dir gesagt habe.

 

16 Da erwachte Jakob aus seinem Schlaf und sprach: Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht.

17 Und er fürchtete sich und sprach: Wie furchtbar ist diese Stätte! Sie ist nichts Geringeres als das Haus Gottes, und dies ist das Tor des Himmels.

18 Am andern Morgen früh nahm Jakob den Stein, den er unter seinen Kopf gelegt hatte, richtete ihn als Mazzebe auf und goss Öl darauf.

19 Und er nannte jenen Ort Bet-El; früher aber hiess die Stadt Lus.

20 Dann tat Jakob ein Gelübde und sprach: Wenn Gott mit mir ist und mich auf diesem Weg, den ich jetzt gehe, behütet, wenn er mir Brot zu essen und Kleider anzuziehen gibt

21 und wenn ich wohlbehalten in das Haus meines Vaters zurückkehre, so soll der HERR mein Gott sein.

22 Und dieser Stein, den ich als Mazzebe aufgerichtet habe, soll ein Gotteshaus werden, und alles, was du mir geben wirst, will ich dir getreulich verzehnten.

Selbstvorstellungsformel

Im Anschluss an die Vision von der Himmelsleiter stellt Gott sich vor und überträgt auf Jakob sowohl die Nachkommenverheissung (Volkswerdung) als auch die Landverheissung sowie die Zusage seines Beistands (V. 13–15). So bekräftigt Gott den väterlichen Segen durch Isaak (Gen 27,28–29; 28,3–4), erklärt den flüchtenden Jakob zum legitimen Nachfolger Abrahams und bestätigt implizit die Wahl des Zweitgeborenen als Segensträger. Am Ende enthält die Erzählung noch eine Kultätiologie von religionsgeschichtlicher Bedeutung: Sie berichtet, wie Bethel (das „Haus Els“) zu einem Heiligtum JHWHs wurde (V. 19–22), ein Ort, der im Laufe der Geschichte des Nordreichs ein zentraler Kultort war. Die biblischen Überlieferungen verknüpfen die Gründung des dortigen Reichsheiligtums zwar mit Jerobeam I. (927–907 v. Chr.; vgl. 1Kön 12,29), doch lassen archäologische Funde vermuten, dass de facto die politische Realität unter Jerobeam II. (787–747 v. Chr.) beschrieben ist. Wichtig ist, dass mit dieser Erzählung des 8. Jhs. v. Chr. der Gileaditer Jakob (aus Pnuel) zum Gewährsmann für den JHWH-Kult in Bethel gemacht wird. Folglich gewinnt die Erzählung für die Bethel-Theologie zentrale Bedeutung.80

Akt II

Die zweite Szene vollzieht sich bei dem Onkel Laban, in dessen Dienst er tritt, um nicht – wie der Bruder Esau – eine Kanaanäerin zur Frau nehmen (Gen 28,1–9* u. ö.). Das Thema der doppelten Hochzeit mit der ungeliebten und untergeschobenen Kusine Lea sowie mit der geliebten aber sterilen Rachel, dürfte zwei ursprünglich stammesgeschichtlich motivierte Realitäten abbilden: Denn die Erzählung thematisiert nicht nur einen Betrug vonseiten Labans, indem er Jakob entgegen der Absprache die ungeliebte Tochter zur Frau gibt und ihm für die Heirat mit Rachel noch weitere Jahre Dienst abverlangt, sondern auch einen Gebärwettstreit der beiden Frauen (Gen 29,31–30,24). Es geht implizit bei den Geburten der Frauen und ihrer Mägde um die Verteilung der Stämme benannt nach Jakobs Söhnen (Num 1–2 u. ö.; vgl. Gen 35,22b–26): Rachel personifiziert den Süden (Juda), während Lea die 10 Stämme des Nordreichs verkörpert. Die beiden Frauen verkörperten somit das vereinte davidische Königreich und dessen Entzweiung.81

Akt III

In Gen 32–35 kommt der Konflikt mit dem Bruder schließlich zu einem Ende. Es wird erzählt, wie Jakob, inzwischen reich geworden, mit seinen Frauen und Kindern in die Heimat zurückkehrt, wo er auf dem Wege eine zweite wichtige Gottesbegegnung erfährt.

Gen 32,23–33

23 Noch in jener Nacht aber stand er auf, nahm seine beiden Frauen, seine beiden Mägde und seine elf Kinder und ging durch die Furt des Jabbok.

24 Er nahm sie und brachte sie über den Fluss. Dann brachte er hinüber, was er sonst noch hatte.

25 Jakob aber blieb allein zurück. Da rang einer mit ihm, bis die Morgenröte heraufzog.

26 Und er sah, dass er ihn nicht bezwingen konnte, und berührte sein Hüftgelenk, so dass sich das Hüftgelenk Jakobs ausrenkte, als er mit ihm rang.

27 Und er sprach: Lass mich los, denn die Morgenröte ist heraufgezogen. Er aber sprach: Ich lasse dich nicht, es sei denn, du segnest mich.

28 Da sprach er zu ihm: Wie heisst du? Und er sprach: Jakob.

29 Da sprach er: Du sollst nicht mehr Jakob heissen, sondern Israel, denn du hast mit Gott und mit Menschen gestritten und hast gesiegt.

30 Und Jakob fragte und sprach: Bitte nenne mir deinen Namen. Er aber sprach: Was fragst du nach meinem Namen? Und dort segnete er ihn.

31 Und Jakob nannte die Stätte Peniel. Denn, sagte er, ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und bin mit dem Leben davongekommen.

32 Und als er an Penuel vorüber war, ging ihm die Sonne auf. Er hinkte aber wegen seiner Hüfte.

33 Darum essen die Israeliten bis auf den heutigen Tag den Muskelstrang nicht, der über dem Hüftgelenk liegt, denn er hat Jakobs Hüftgelenk, den Muskelstrang, angerührt.

Die Nacht bevor Jakob seinem Bruder wieder unter die Augen tritt gerät zum Kampf. Obwohl er sich mit Geschenken (Gen 32,6) Esaus Gunst erkaufen will, wendet er sich auch an Gott, damit er Beistand zusage und ihn vor Esaus Zorn errette (V. 10–13; s. u.). In dieser Nacht ringt (/’abaq; V. 24.26) Jakob (Ja’aqob) am Jabbok (Jabboq), einem Nebenfluss des Jordan, der gewissermaßen die Grenze zwischen dem Früher der Flucht und dem Nachher der Rückkehr zu dem Bruder markiert. Die Gemengelage, das Ineinander von Handlung, Ort und Person, ist durch die Lautverwandtschaft der hebräischen Worte unterstrichen. Das Geschehen übersteigt das von Jakob Gefürchtete, da er erfährt, dass der Widerstand nicht etwa vom Bruder, sondern von Gott ausgeht. Strenggenommen ist nicht klar gesagt, wer der Angreifer („einer“) eigentlich ist; seine göttliche Herkunft ist lediglich angedeutet (V. 29 f.).82 Auch wenn der Angreifer Jakob nicht besiegen kann (V. 26), so renkt er ihm doch die Hüfte aus und hinterlässt ein Zeichen des Kampfs. Die Erfahrung wird durch die Umbenennung in Israel („Gott kämpft“) und die erklärende Namensätiologie nochmals hervorgehoben und in eine Segenshandlung gewendet (V. 29): Jakob erfährt Läuterung. Der ambivalente Patriarch wird in seiner Widersprüchlichkeit angenommen und in seiner Funktion als Segensträger und Patriarch des Volkes Israel bestätigt. Ähnlich wie Bethel ist auch Pnuel ein historischer Nordreich-Ort, in dem der erste König Jerobeam Quartier nahm (1Kön 12,25). Die Ortsätiologie in der Erzählung erinnert an die besondere Bedeutung des Orts. Es folgt eine zweite Ätiologie, die sich auf eine Speisevorschrift bezieht (V. 33), die in der Tora nicht weiter ausgeführt ist.

Zum zentralen Thema des Jakobzyklus’ wird – ähnlich wie die Unverfügbarkeit des Gottesnamens in Ex 3,12 (s. o. Gen 32,30) – hier die Unverfügbarkeit des Segens. Zwar wird um Segen gerungen und dieser durch gezielte Manipulation eingeklagt (in Gen 27 treten /bekorâ „Erstgeburt“ und /berakâ „Segen“ in Konkurrenz). Doch bedarf Jakob letztlich des göttlichen Segens, um Verheißungsträger zu sein. Die in Gen 28,13–15 ausgesprochene Verheißung erfüllt sich in Gen 32, indem das Thema des väterlichen Segens durch den göttlichen Segen ersetzt wird. Zugleich eröffnet die Geschichte Jakobs an dieser Stelle eine von seiner Person absehende, nämlich am Volk Israel orientierte Dimension und wird darin zur „geheime[n] Geburtsstunde Israels“ (Jeremias, 72).

„In Jakobs Gotteskampf hat sich das Volk Israel seine Gründungslegende geschrieben. Es will nur darin als gegründet erkannt sein, dass es von Gott Segen und Lebensrettung errungen und Gott ihm die die Verfügung über Segen und Leben abgerungen hat. Nicht das eitle Selbstlob des Gotteskämpfers bestimmt die Diktion der Erzählung, sondern die Gewissheit, dass Jakob-Israel seine Existenz der auf Leben und Tod erstrittenen Gabe des Gottessegens und der Hingabe an Gott verdankt.“ (Feldmeier/Spieckermann, Gott, 278).

Der priesterliche Bund s. u. 2.5.1.4

Die Jakobgeschichte ist damit nicht zu Ende. Es folgen Überlieferungen wie die Verbrüderung mit Esau und die Gründung des Heiligtums in Sichem (Gen 33), die Geschichte seiner Tochter Dina (Gen 34) sowie einige wenige Erwähnungen in der Josephserzählung bis hin zur Notiz seines Todes und der geplanten Rückführung in die Grabhöhle von Machpela (Gen 49,29–33). Der äußerst knappe priesterschriftliche Anteil der Jakobserzählung bezeugt lediglich eine Reprise von Gen 28 und 32 in Gen 35,9–15, die einerseits die Rückkehr des auf Brautschau fündig gewordenen Erzvaters bestätigt, andererseits die beiden theologischen Schlüsselerzählungen knapp erinnert: In Lus/Bethel erhält Jakob die Verheißungen, errichtet eine Stele (vgl. Gen 28,10 ff.; 35,11–14) und erhält den Namen Israel (vgl. Gen 32,29; 35,10). Weiterhin greift P darin die El-Tradition auf, die auch in der Verwendung des Gottesnamens El-Schaddai an prominenter Stelle (Gen 17,1; 28,1; 35,1; vgl. Ex 6,2–3) begegnet und in sein umfassendes Offenbarungskonzept integriert ist. Der mit Abraham geschlossene Bund wie auch Isaak spielen in diesen Passagen keine Rolle, wodurch Jakob lediglich eine Scharnierfunktion zwischen der Abraham- und Exodustradition (Ex 1,1–5a) zugewiesen ist.

Die ursprüngliche Version dieser „genealogischen Legende“, die auf die frühgeschichtliche Zeit Israels zurückgeht, wird im 8. Jh. v. Chr.83 als Geschichte eines mittellosen Flüchtlings aus der Gegend von Haran präsentiert,

„dem es nicht nur gelingt, zwei Töchter des Scheichs eines anderen Stamms zu heiraten und so beträchtliche Güter zu erlangen, sondern auch gegenüber seinem Schwiegervater die Trennung und die Anerkennung seines Clans als autonome Stammesgruppe durchzusetzten. […] und am Ende der Geschichte schafft es der nun als ‚Israel‘ (32,29) bezeichnete Gründungsvater sich zusammen mit seiner Familie, sozusagen dem werdenden Volk, in ‚seinem‘ Territorium niederzulassen (in der Gegend von Schechem oder auch vielleicht Bet-El), womit die Grundlage für das spätere Königreich Israel gelegt ist.“84

Diese Tradition könnte sehr alt sein, denn der erste außerbiblische Beleg des Israelnamens findet sich auf der Siegesstele des ägyptischen Königs Merenpthah Ende des 13. Jh.85 Dem Propheten Hosea sind einzelne Episoden aus Jakobs Leben in ihrer Grundstruktur bereits bekannt. Vielleicht ist sein Aufriss sogar strukturbildend gewesen für die spätere Komposition des Materials. Der Stoff führt aber zu einer damnatio memoriae, die zumindest die Unausweichlichkeit des Gerichts für das Nordreich erkennen lässt.

Hos 12,1–15

1 Efraim hat mich umzingelt mit Lüge,

und das Haus Israel tat es mit Hinterlist.

Juda aber ist noch bei Gott,

und dem, was heilig ist, hält es die Treue.

2 Efraim weidet Wind und jagt dem Ostwind nach,

den ganzen Tag mehrt es Lüge und Gewalttat.

Und mit Assur schliessen sie einen Bund,

nach Ägypten wird Öl gebracht.

3 Und mit Juda hat der HERR einen Rechtsstreit,

und Jakob muss er heimsuchen, wie es seinen Wegen entspricht,

nach seinen Taten zahlt er es ihm zurück.

4 Im Mutterleib (Gen 25,24–26) hat er seinen Bruder betrogen (/‘aqab

vgl. Gen 27,36),

und als er stark war, kämpfte er mit Gott.

5 Und er kämpfte mit einem Boten und bezwang ihn (vgl. Gen 32,26.29),

er weinte und flehte ihn um Gnade an,

in Bet-El fand er ihn (Subjekt Gott; Gen 28,15–19; vgl. Gen 35,1–5.7),

und dort begann er, mit uns zu reden.

6 Und der HERR ist der Gott der Heerscharen,

als HERR ruft man ihn an!

7 Und du wirst mit deinem Gott zurückkehren.

 

Achte (/šamar „hüten“; Gen 28,20: JHWHs Schutz) auf Gnade und

Recht,

und hoffe immer auf deinen Gott! […]

13 Jakob aber floh in die Gefilde von Aram (d. h. zu Laban),

und Israel diente um eine Frau

und hütete Schafe um einer Frau willen (Gen 29,13 ff.).

14 Und durch einen Propheten führte der HERR Israel herauf aus Ägypten,

und von einem Propheten wurde es gehütet.

15 Efraim hat ihn mit bitteren Kränkungen gereizt,

sein Herr aber lässt seine Blutschuld auf ihm lasten,

und seine Schande zahlt er ihm zurück.

Bereits an den judäischen Aktualisierungen (V. 1b.2a.3a.6) des ursprünglich ans Nordreich gebundenen prophetischen Gerichtsworts wird deutlich, dass der Text allmählich gewachsen ist. Die das Nordreich (Efraim) mit Jakob identifizierenden Verse (Hos 12,3b–5a.[7]; 13 f.) lassen einen klaren sprachlichen und inhaltlichen Duktus erkennen (Leitwort: /šamar „hüten“). Allerdings ist Jakob wenig schmeichelhaft als jemand geschildert, der erst gegen seinen Bruder und dann gegen Gott kämpft, um am Ende dennoch Gnade zu erfahren. Selbst wenn er mit dem Propheten (d. h. Mose) parallelisiert wird (V. 10.14), wertet das ihn – wie auch Mose (vgl. Hos 13) – nicht auf, sondern klagt die Verlogenheit des Gottesvolkes in den unterschiedlichen Phasen seiner Geschichte an. Denn Umkehr und Heil sind immer nur von kurzer Dauer. Die Rahmenverweise lassen an dem Betrug an Gott (V. 1a) und der unabwendbaren Verwerfung Israels wegen seiner Blutschuld (V. 15) keinen Zweifel.86

Jakob erfährt eine weitaus breitere innerbiblische Wirkungsgeschichte als Abraham, indem er – wie es sich in Hos 12 bereits andeutet – als Urbild der Verworfenheit Israels gilt (Jes 2,6; 58,1). Als Gefallener erfährt Jakob-Israel die Gnade Gottes (vgl. Jes 14,1; Jer 30,10.18; Ez 28,25; 37,25; 39,25) und wird zum Licht der Völker (Jes 49,6). Im Neuen Testament begegnet Jakob vor allem in genealogischen Zusammenhängen (Mt 1,2; Lk 3,34) sowie in der Aufzählung vom „Gott Abrahams, Isaak und Jakobs“ (Mt 22,32; Mk 12,26; Lk 20,37; Apg 3,13; 7,32). Hebr 11,9 reiht ihn positiv in die Reihe der Glaubenszeugen ein.

Der ursprünglich zweifelhafte Ruf eines Aramäers namens Jakob (vgl. Dtn 26,5–9) hat insbesondere durch den Ausbau der beiden Offenbarungserzählungen in Gen 28 und 32 eine theologische Aufwertung erfahren, die aus der Zeit nach der Zerstörung des Nordreichs stammen könnten, als man mit dem Ende des Staates Israel dessen Traditionen schriftlich niederlegen und bewahren wollte. Die Figur wurde durch diese theologische Neubestimmung so tragend, dass es für die Priesterschrift unmöglich wurde, Jakob nicht in die sonst sehr reduzierte Patriarchendarstellung zu integrieren. Doch blitzen hier die beiden Offenbarungserzählungen in Gen 35,9–15 nur in Reminiszenzen auf. Stattdessen rückt deutlich Abraham ins theologische Zentrum, was zu einer impliziten Abwertung der alten Jakobsüberlieferung führt. Dieser Eindruck wird aber durch den wahrscheinlich post-deuteronomistischen Einschub in Gen 32,10–13118 revidiert, der einen Gott im Gebet zugewandten, frommen Patriarchen zeichnet (vgl. Neh 9,8: Abraham). Theologisch bedeutsam ist neben dem ambivalenten Charakter der Figur – Jakob wird zum Inbegriff der Sünde Israels – das auch in der Abrahamerzählung anklingende Motiv der Erwählung des Zweitgeborenen gegen die sozialgeschichtlichen Vorgaben der Zeit.

Literatur

Blum, Erhard: Die Komposition der Vätergeschichte, Neukirchen-Vluyn 1984 (WMANT 57).

Carr, David: Reading the Fractures of Genesis. Historical and Literary Approaches, Louisville 1996.

Finkelstein, Israel/Thomas Römer: Comments on the Historical Background of the Jacob Narrative in Genesis, in: ZAW 126 (2014), 317–338.

–: Comments on the Historical Background of the Abraham Narrative. Between ‚Realia‘ and ‚Exegetica‘, in: HeBAI 3 (2014), 3–23.

Fischer, Irmtraud: Die Erzeltern Israels. Feministisch-theologische Studien zu Genesis 12–36, Berlin/New York 1994 (BZAW 222).

–: Die Gabe der Verheißung, in: JBTh 27 (2012), 73–92.

Gertz, Jan C.: Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung. Untersuchungen zur Endredaktion des Pentateuch, Göttingen 2000 (FRLANT 186).

Hartenstein, Friedhelm: Die Verborgenheit des rettenden Gottes. Exegetische und theologische Anmerkungen zu Gen 22, in: A. Steiger/U. Heinen (Hg.), Isaaks Opferung (Gen 22) in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit, Berlin 2006 (AKG 108), 1–22.

Janowski, Bernd: Ist Gott grausam? – Annäherungen an Genesis 22, in: Ders., Ein Gott, der straft und tötet? Zwölf Fragen zum Gottesbild des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 2013, 117–144.

Jeremias, Jörg: Hosea, Göttingen 1983 (ATD 24,1).

Kessler, Rainer: Die Querverweise im Pentateuch. Überlieferungsgeschichtliche Untersuchung der expliziten Querverbindungen innerhalb des vorpriesterlichen Pentateuchs, Frankfurt 2015 (BEATAJ 59).

Köckert, Matthias: Jakobs Gegner in Gen 32,23–33, in: A. Lange/H. Lichtenberger/K.F.D. Römheld (Hg.), Die Dämonen/Demons, Tübingen 2003, 160–181.

–: Zur Geschichte der Abrahamüberlieferung, in: A. Lemaire (Hg.), Congress Volume Leiden, Leiden 2006 (SVT 109), 103–128.

–: Gen 15. Vom ‚Urgestein‘ der Väterüberlieferung zum ‚theologischen Programmtext‘ der späten Perserzeit, in: ZAW 125 (2013), 25–48.

–: Wie wurden Abraham- und Jakobsüberlieferung zu einer „Vätergeschichte“ verbunden? HeBAI 3 (2014), 43–66.

Koenen, Klaus: Bethel. Geschichte Kult und Theologie, Fribourg/Göttingen 2003 (OBO 192).

Leuenberger, Martin: Segen und Segenstheologien im alten Israel. Untersuchungen zu ihren religions- und theologiegeschichtlichen Konstellationen und Transformationen, Zürich 2008 (AThANT 90).

Mühling, Anke: „Blickt auf Abraham, euren Vater!“ Abraham als Identifikationsfigur des Judentums in der Zeit des Exils und des Zweiten Tempels, Göttingen 2011 (FRLANT 236).

Naumann, Thomas: Die Preisgabe Isaaks (Gen 22) im Kontext der biblischen Abraham-Sara-Geschichte, in: B. Janowski/N. Greiner (Hg.), Genesis 22 in Judentum, Christentum und Islam, Tübingen 2005, 19–50.

Pury, Albert de: Der priesterschriftliche Umgang mit der Jakobsgeschichte, in: R.G. Kratz, T. Krüger, K. Schmid (Hg.), Schriftauslegung in der Schrift (FS O.H. Steck), Berlin/New York 2000 (BZAW 300), 33–59.

–: Abraham. The Priestly Writer’s ‚Ecumenical‘ Ancestor, in: S.L. McKenzie/T. Römer (Hg.), Rethinking the Foundations: Historiography in the Ancient World and in the Bible (FS J. van Seters), Berlin/New York 2000 (BZAW 294), 163–181.

–: PG as the Absolute Beginning, in: T. Römer/K. Schmid (Hg.), Les dernières rédactions du Pentateuque, de l’Hexateuque et de l’Ennéateuque, Leuven 2007 (BETL 203), 99–128.

–: Gen 12–36: Die Erzelterngeschichten, in: T. Römer u. a. (Hg.), Einleitung in das Alte Testament, Zürich 2013.

Römer, Thomas: Beschneidung in der Hebräischen Bibel und ihre literarische Begründung in Gen 17, in: M. Jung/M. Bauks/A. Ackermann (Hg.), Dem Körper eingeschrieben. Verkörperung zwischen Leiberleben und kulturellem Sinn, Heidelberg 2016, 227–241.

Schmid, Konrad: Erzväter und Exodus. Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 1999 (WMANT 81).

–: Gibt es eine ‚abrahamitische Ökumene‘. Überlegungen zur religionspolitischen Theologie der Priesterschrift in Gen 17, in: A.C. Hagedorn/H. Pfeiffer (Hg.), Die Erzväter in der biblischen Welt (FS M. Köckert), Berlin/New York 2009 (BZAW 400), 67–92.

Schmitt, Hans-Christoph: Erzväter und Exodusgeschichte als konkurrierende Ursprungslegenden Israels – ein Irrweg der Pentateuchforschung, in: A.C. Hagedorn/H. Pfeiffer (Hg.), Die Erzväter in der biblischen Tradition (FS M. Köckert), Berlin/New York 2009 (BZAW 400), 241–266.

Veijola, Timo: Das Opfer des Abraham. Paradigma des Glaubens aus dem nachexilischen Zeitalter, in: ZThK 85 (1988), 129–164.

Wahl, Hans-Martin: Die Jakobserzählungen. Studien zu ihrer mündlichen Überlieferung, Verschriftlichung und Historizität, Berlin 1997 (BZAW 258).

Weippert, Manfred: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen 2010 (GAT 10).

Wöhrle, Jakob: Isaak und Ismael. Zum Verhältnis der beiden Abrahamsöhne nach Genesis 17 und Galater 4,21–31, in: EvTh 71 (2011), 115–132.

–: Fremdlinge im eigenen Land. Zur Entstehung und Intention der priesterlichen Passagen der Vätergeschichte, Göttingen 2012 (FRLANT 246).

2.4 JHWH offenbart sich als Schöpfer und König der Welt

Gründungsmythos 3

Monotheismus s. u. 3.1

Am Anfang der hebräischen Bibel steht die Schöpfung. Wenn das Thema dennoch nicht an den Anfang der vorliegenden Darstellung gestellt ist, liegt dies daran, dass Schöpfung im theologischen Gesamtkonzept der hebräischen Bibel eine untergeordnete Rolle zukommt. Die Erstbegründung, warum Gott zu Israel hält, liegt nämlich weniger in seinem Schöpfungshandeln, als in den heilsgeschichtlich geprägten Gründungsmythen zu Auszug und Erzeltern. Nun sind Schöpfung und „Urgeschichten“ zwar ein altorientalisch geläufiges Narrativ, dem von alters her ebenfalls Gründungsmythosfunktion zukommt. Sie werden aber in der hebräischen Bibel erst im Laufe des Redaktionsprozesses den „Geschichtserzählungen“ Israels als „Prolog“ vorangestellt.88 Ihre Funktion besteht darin, das Volk Israel in einen universellen Kontext zu stellen, der zeigt, dass der Gott Israels Gott aller Menschen ist. Im biblischen Gesamtkorpus bildet die Schöpfungsthematik eine Nebenlinie, die in Erzählform89 seit der spätvorexilischen Zeit in Anlehnung an altorientalische Überlieferungen aufgenommen und auf die Verhältnisse Israel-Judas zugeschnitten wurde. Der traditionelle Anteil zeigt sich schon anhand der verwendeten Gattungen: mythisch klingende Erzählung und Listenmaterial sind im Alten Orient typische Gattungen, um Schöpfung und Weltentstehung zu thematisieren.