Theologie des Alten Testaments

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Exkurs: Altorientalische Schöpfungsmythen

Die Schöpfungsthematik begegnet in altorientalischen und ägyptischen Texten in erstaunlichen Kontexten wie z. B. in akkadischen medizinischen Texten (Die Beschwörung gegen den Zahnwurm90), in sumerischen Streitgedichten (z. B. Holz und Rohr91), in Götterlisten (z. B. An – Anum) oder kleineren sumerischen Göttergeschichten (z. B. Enki und Ninh ˘ursanga; Enki und Ninmah ˘, ein Wettstreit um die beste Menschenschöpfung92) wie auch in umfassenden akkadischen Epen (Weltschöpfungsepos Enuma eliš93; Atrah ˘asis94; Gilgameš95). Sowohl bei den Kleintexten wie auch bei den Epen wird deutlich, dass Schöpfung weniger an sich, d. h. aus kosmologischem Interesse thematisiert wird, sondern in einen größeren Zusammenhang gehört. So geht es bei der „Beschwörung gegen den Zahnwurm“, welche die Werdung des Wurms aus dem Matsch der Kanäle, die aus den Flüssen, welche wiederum aus der Erde, diese aus dem Himmel, also dem Gott Anu, geschaffen wurden, darum, den kosmischen Ursprung des Zahnwurms zu erkennen und somit – mittels der Beschwörung – magische Verfügungsgewalt über die von ihm ausgelöste Krankheit zu erhalten, um den Patienten zu heilen. Anders geht es im Enuma eliš um die allmähliche Ausbildung der Göttervorherrschaft und des Königtums unter dem babylonischen Gottes Marduk, der im Tempel Esagila in Babylon einzieht und herrscht, nachdem er am Ende des Götterkampfes auch die Lebenswelt für den Menschen ausgestaltet hat. Schöpfung vollzieht sich stets prozesshaft als „mühevolle[r] Aufbau und Ausbau und […] Gestaltung einer Welt durch Trennung und Differenzierung, Erschaffung und Vervielfältigung beziehungsweise durch blutigen Kampf und Krieg.“96 Das beim (neu)babylonischen Neujahrsfest rezitierte Epos vergegenwärtigt das urzeitliche Handeln im Kult und verschafft dem amtierenden (menschlichen) König Autorität. Ein ähnliches Anliegen verfolgt der ägytische Text „Denkmal memphitischer Theologie“ (Schabaka-Stein; 800 v. Chr.), der dem Hauptgott von Memphis, Ptah, gilt, dessen Schöpfung durch Sprache entsteht.97 Das Gilgamešepos in seiner aus dem 2. Jahrtausend stammenden Elf-Tafel-Fassung98 widmet sich vor allem Fragen der Anthropologie und kommt darin auch auf die Menschenschöpfung zu sprechen. Es verhandelt weniger den Kosmos als die Lebensbedingungen des Menschen (conditio humana), darunter insbesondere die Frage nach Leben und Tod. Zwar ist der König von Uruk namens Gilgameš zu zwei Dritteln Gott und einem Drittel Mensch (Gilg. I, ii, 1), doch gelingt es ihm nicht unsterblich zu werden, wonach er nach dem Tode seines treuen Freundes Enkidu ehrgeizig strebt. Dieser war aus Lehm und dem Blut eines geschlachteten Gottes geschaffen worden und mit einem „eemmu“ „Totengeist“ ausgestattet, der seinen Fortbestand in der Erinnerung seiner Nachfahren sichert.99 Das Motiv von Gilgameš’s Suche nach Leben ist in phantasievoller Weise ausgestaltet, um am Ende völlig diesseitig in der Vermehrung des Ruhms durch Städtebau und den Erwerb von hohem Ansehen Erfüllung zu finden. Sowohl im Gilgameš- wie auch im Atrah ˘asis-Epos begegnet zudem das Thema der Vernichtung der Menschheit durch eine Flut. Sie wird durch den Gott Enlil ausgelöst, zugleich durch den Gott der Weisheit Ea-Enki konterkariert, indem er einen Einzelnen (namens Utnapsti bzw. Atrah ˘asis) warnt, damit er sich rette und zum Erhalt der einst für den Dienst an den Göttern geschaffenen Menschheit beitrage. Der Fund und die Entzifferung dieser Keilschrifttexte hat im 19. Jh. zu einer grundsätzlichen Neubewertung biblischer Texte geführt. Denn an ihnen wird deutlich, wie sehr die biblischen Texte kulturell mit dem Alten Orient verwandt sind und sich aus seinen Quellen speisen.

In den Kulturen des Alten Orients erfährt der Schöpfergott ein besonderes Interesse (vgl. Enuma eliš; Denkmal memphitischer Theologie u. v. a.). Einigen Traditionen nach ist der Gott der Schöpfung zudem der die Welt beherrschende und das Götterpantheon anführende Gott: Schöpfung und Herrschaft sind also miteinander verbunden. Ein Reflex dieses Denkens findet sich auch in Gen 14.

Gen 14,18–20

18 Und Melchisedek, der König von Salem, brachte Brot und Wein heraus.

Er war Priester des Höchsten Gottes.

19 Und er segnete ihn und sprach:

Gesegnet sei Abram

vom Höchsten Gott,

dem Schöpfer des Himmels und der Erde,

20 und gepriesen sei der Höchste Gott,

der deine Feinde

in deine Hand gegeben hat.

Dieser Segensspruch eines kanaanäischen Königs, der ein polytheistisches Gottesbild vermuten lässt, identifiziert den Schöpfer von Himmel und Erde mit dem Hauptgott (Eljon). Für die alttestamentlichen Theologen ist indes klar, dass dieses Attribut zu JHWH gehört, weshalb Abraham den Segen um den Gottesnamen erweitert:

Gen 14,22

22 Und Abram sprach zum König von Sodom: Ich erhebe meine Hand zum HERRN [JHWH], dem Höchsten Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde.

Aufbau

Betrachtet man den Aufbau der Urgeschichte nach literarischen Schichten und Themen ergibt sich eine offensichtliche Zweiteilung der überkommenen Überlieferungen nach P und nicht-P (bzw. der sogenannte Jahwist):

Tab. 3: Die Komposition der Urgeschichte


Offensichtlich eröffnet die Urgeschichte mit zwei Schöpfungserzählungen, die direkt hinter einander geschaltet sind.

2.4.1 Der erste Schöpfungsbericht

Gen 1

Der erste Schöpfungsbericht (Gen 1,1–2,3) folgt einem sieben-Tage-Schema mit acht Schöpfungswerken und dem die Erzählung abschließenden Ruhen Gottes am siebten Tag. Der Bericht lässt folgende Charakteristika erkennen:

– kurze Reflexion über das Verhältnis des vorgeschöpflichen Zustands (Vorwelt) zur vorfindlichen Welt;

– priesterliches Denken (Werke der Scheidung; voraussetzungsloses Schaffen);

– Einrichtung der Weltordnung nach den Kriterien: Zeit-, Raum-, Lebensordnung und impliziter Kultordnung;

– Sonderstellung des Menschen als Gottes Ebenbild;

– Abschluss der Schöpfung am siebten Tag als Vorwegnahme des Sabbat (Kultordnung);

– monotheistisches Gottesbild mit universalisierenden Tendenzen (vgl. Ps 33,9.11) in Abgrenzung zum Wissen um den Polytheismus der Nachbarn (1,10–14; s. aber V. 26).

Auffällig ist das Nebeneinander von Wort- und Tatbericht:

Tab. 4: Wort- und Tatbericht in Gen 1


Gottes WortGottes Tat
1. Tag: Licht„Es werde Licht“Scheidung des Lichts von der Finsternis
2. Tag: Himmelsfeste„Es werde eine Feste“
3. Tag: (trockenes) Land„Es sammle sich das Wasser“
Vegetation„Es bringe die Erde Grünes hervor“Die Erde ließ hervorgehen …
4. Tag: Lichter des Himmels„Es werden Lichter“Gott machte zwei Lichter …
Sonne, Mond, Sterne, KalenderGott setzte die Lichter …
5. Tag: Seemonster, Wassertiere, Vögel„Es wimmle das Wasser“Gott schuf … Segen und Mehrung
6. Tag: Feldtiere, Vieh, Gewürm„Die Erde bringe hervor“Gott machte die Tiere …
Menschen„Lasst uns machen …“Gott schuf …Segen und Auftrag
7. TagGott vollendete, ruhte, segnete und heiligte

Monotheismus s. u. 3.1

Gen 1 im Vergleich mit altorientalischen Mythen

Das Nebeneinander von Wort und Tat ist charakteristisch: Doch entstehen eine Reihe von Werken allein durch das göttliche Wort (Licht, Himmelsfeste, Land), andere durch sein Wort, welches die Erde veranlasst etwas hervorzubringen (Vegetation und Landtiere). Bei anderen Werken (Gestirne, Seetiere und Vögel, Mensch) schreitet Gott selbst als Schöpfer zur Tat. Allerdings ist sein Tun selbst nicht beschrieben. Charakteristisch ist das hebräische Verb für Schaffen (/bara’), das intransitiv gebraucht ist und niemals die Materie oder den Stoff benennt, der für den Akt verwendet ist. Augenfällig ist auch, dass unter den Geschöpfen neben den Menschen (1,27) nur von den Seetieren (und Vögeln; 1,21) ausdrücklich gesagt ist, dass sie von Gott geschaffen sind. Ein weiteres Mal schafft Gott die Himmelskörper, hier ist aber das Allerweltsverb /‘asah „machen“ verwendet. Die Entscheidung, dass gerade diese beiden Bereiche ausdrücklich auf Gott zurückgeführt werden, lässt sich als theologische Aussage bewerten: Insbesondere die genannten Seetiere (Tanninim) und die Himmelslichter Sonne und Mond erinnern an Wesenheiten, die in den altorientalischen Nachbarkulturen vergöttlicht gedacht wurden. Wenn sie in Gen 1 ausdrücklich als Schöpfungswerke Gottes vorgestellt werden, ist darin die Allmacht des Schöpfergottes hervorgehoben. Gerade in der Urgeschichte wird die Verwandtschaft biblischen Denkens mit den altorientalischen und auch ägyptischen Nachbarkulturen offensichtlich, von denen formgeschichtliche Anleihen (mythische Erzählungen, Ätiologien, Listenwissenschaft und Genealogien) neben einschlägiger Schöpfungsmotivik entlehnt ist.

 

–Altorientalische Vorweltschilderungen (das sogenannte „Chaos“)

–Gen 1,1–10 und das altorientalische Weltbild

–Gen 2,1–3 Ziel der Schöpfungserzählung (Präfiguration des Sabbat; vgl. Bau des Tempels Esagila in Babylon in Enuma Eliš mit dem Zelt der Begegnung Ex 40)

–Schöpfung durch das Wort und ägyptische Schöpfungsparallelen

–Gen 1,26–29 Beschaffenheit und Funktion des erschaffenen Menschen als Gottes Bild (vgl. altorientalische Königsideologie).

Altorientalische Vorweltschilderungen

Schon die ersten Verse der Hebräischen Bibel haben im Laufe der Auslegungsgeschichte Anlass zu Diskussion gegeben. Was verbirgt sich hinter der Aussage von Gen 1,2a „Die Erde war /tohû wabohû“? Existierte bereits ein Konzept von Chaos, ein griech. Wort, das erstmals ca. 700 v. Chr. in der Theogonie des griechischen Schriftstellers Hesiod belegt ist und eine ungeordnete, sich bewegende, formlose Masse bezeichnet, aus dem die fünf Urgötter (Gaia, Tartaros, Nyx, Erebos und Eros) entstehen? Die griechische Vorstellung führte zu der Interpretation, dass auch tohû wabohû neben den übrigen in Gen 1,2 genannten Elementen Finsternis und Wasser Materie darstellt, aus der sich die Schöpfung langsam entwickelt hat. Doch widerspräche diese Annahme der Vorstellung von der Allmacht des monotheistischen biblischen Gottes, der voraussetzungslos schafft (wie es das hebräische Verb des Schaffens, bara’, nahelegt). Zudem schafft Gott in Gen 1 durch sein Wort, und nicht handwerklich aus vorhandener Materie. Ende des 2. Jh. n. Chr. entwirft erstmals der römische Kirchenvater Tatian die Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts (creatio ex nihilo). Dem Alten Orient war dies Konzept aber fremd. Der Zustand des Nichtseins ist in zahlreichen mesopotamischen Theogonien, Beschwörungen oder mythischen Texten wie z. B. dem Beginn des Weltschöpfungsepos Enuma eliš entweder als „Als-noch-nicht-Seins“ oder aber materialiter als Finsternis, Wasser und Ordnungslosigkeit beschrieben.100 Dem entsprechend besteht auch in Gen 1 die Wirksamkeit Gottes in seinem ordnenden Handeln, wie es die priesterschriftliche Sprache ähnlich den altorientalischen Vorgaben der Schöpfung als Differenzierung z. B. durch „trennen, scheiden“ (/bdl hif.) oder als Erschaffung „nach seiner Art“ (/minehu) eigens betont. Es geht dem Text also nicht darum zu bestimmen, woraus Gott schuf, sondern zu betonen, dass Gott als erster (/berešît „im Anfang“) die Schöpfungsordnung einrichtete.

Das altorientalische Weltbild

Die biblischen Texte verwenden anstelle eines im Hebräischen fehlenden Begriffs für „Welt“ (griech. κόσμος/kosmos) Umschreibungen wie „Himmel und Erde“, „Himmel, Erde und Unterwelt/Wasser“ oder auch „das Ganze“. Damit wird eine zu Beginn der Zeiten von Gott festgesetzte Ordnung vorausgesetzt, die die gesamte Schöpfung in ein horizontal und vertikal orientiertes Weltbild integriert. Die vertikale Linie setzt sich aus Himmel, Erde und Unterwelt/Scheol zusammen, wobei diese Bereiche als von Wasser umflossen gedacht sind. Deshalb ist häufig von der Dreiheit Himmel-Erde-Wasser die Rede (Ps 8,8f; 33,6–8; 77,17; 146,6). Säulen (Ps 75,4) und Fundamente (Ps 82,5; 104,5) tragen die Erde über den Wassern. Die Erde wird als Lebensraum der Menschen von den übrigen Bereichen abgehoben. So findet sich die Horizontale auch weitaus differenzierter beschrieben. In Gen 1,6–10 ist die Erde als das Trockene gedacht, das von den alles umfließenden (Ur-) Wassern geschieden ist. Andernorts begegnet sie als mit vier Ecken bzw. Säumen (Jes 11,12; Ez 7,2; Offb. 7,1), mit Himmelsrichtungen (Hi 23,8 f.) oder einem Rand (Ps 72,8) versehen als Begrenzung gegenüber den Wassern. Jerusalem und sein Tempel/Zion gelten als Nabel, d. h. Zentrum der Welt (Ri 9,37; Ez 38,12). Im Gegensatz zur Stadt können Wüste oder Steppe als Peripherie oder chaotische Außenbereich in der Weltordnung verstanden werden (Jes 13,21; 34,13–14; Jer 4,26 f.). Am Ende der verschiedenen Weltgegenden befinden sich die Horizontberge, die den Übergang zu den Wassern und zum Tagund Nachtwechsel markieren (Ps 65,9; Hi 26,10; s. dazu die nachfolgende Grafik). In einem Initialakt wird der Gott der hebräischen Bibel als Schöpfer der Welt tätig und tritt in den ersten Kapiteln der Genesis (Urgeschichte) nicht nur als Gott Israels, sondern darüber hinaus als Schöpfergott der gesamten Menschheit in Erscheinung. Die biblische Urgeschichte postuliert somit, dass der Gott Israels für die bestehende Weltordnung verantwortlich zeichnet. Seine Verantwortung besteht aber nicht nur in der Erstausführung der Schöpfung. Aus dem Fortgang der Fluterzählung (s. Gen 6–8) wie auch aus zahlreichen prophetischen oder poetischen Texten geht hervor, dass Gott sich nachhaltig um sein Schöpfungswerk bemühen muss, um den Fortbestand dieser Ordnung zu garantieren. Die anfangs ausgegrenzten Wasser wie die Finsternis sind nämlich in das Schöpfungswerk integriert. Somit könnten sie ggf. erneut – wie es im Zuge der Flut auch geschieht – in die Weltordnung einbrechen und das göttliche Werk gefährden. Gott muss für den Fortbestand der Schöpfung einstehen (creatio continua; vgl. Ps 93).


Abb. 3: Das altorientalische Weltbild101

Ziel der Schöpfung

Das babylonische Weltschöpfungsepos Enuma eliš (12. Jh. v. Chr.) erzählt, wie ein untergeordneter Gott des Pantheons namens Marduk aufgrund seiner Kompetenz den Vorrang unter den Göttern als Götterkönig behaupten kann, die Schöpfungsordnung einrichtet und innerhalb dieser Schöpfung den verschiedenen Göttern Bereiche zuweist. Für sich selbst erbaut er den Tempel Esagila in Babylon. In diesem Tempel wurde alljährlich am Neujahrstag der Weltschöpfung durch Marduk gedacht und ihr Fortbestand erbeten. Die Weltordnung wird durch den Tempel und seinen wohlfunktionierenden Kultbetrieb aufrechterhalten. Der Tempel symbolisiert die bestehende Weltordnung, angesiedelt innerhalb der befestigten Stadt, außerhalb derer der unstrukturierte und gefährdete Bereich beginnt, der bis zu den Horizontbergen, die das Ende der Welt(ordnung) markieren, reicht.

Der altorientalischen Vorstellung vom Tempel als Zentrum der Weltordnung stellt Gen 1 jedoch ein etwas anderes Modell entgegen: Der Tempel als das altorientalisch gängige Kultkonzept wird in das Ruhen am siebten Tag transferiert. An die Stelle von Architektur und heiligem Ort tritt das Konzept eines Chronotops102, eines „Zeit-Orts“, an dem der Mensch des Schöpfergottes gedenkt (vgl. Ex 20,10–11).

Gen 2,2–3

2 Und Gott vollendete am siebten Tag sein Werk, das er gemacht hatte, und er ruhte am siebten Tag von all seinem Werk, das er gemacht hatte.

3 Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn, denn an ihm ruhte Gott von all seinem Werk, das er durch sein Tun geschaffen hatte.

In Gen 1 wird der siebte Tag noch nicht ausdrücklich als Sabbat eingeführt. Es begegnet zwar das lautlich verwandte Verb /šbt „aufhören“, aber ein Sabbatgebot an die Menschen findet sich erstmals in Ex 16,29 f.103 Doch ist in Gen 1,1–3 bereits die rituelle Bedeutung präfiguriert, die der siebte Tag im Laufe der priesterschriftlichen Exoduserzählung erhält (Ex 24,16 u. ö.): Der siebte Tag wird für die Begegnung mit dem Gott Israels reserviert.

Die erbrachte Transferleistung von einem Raum- zu einem Zeitkonzept entspricht den gesellschaftspolitischen Verhältnissen der priesterschriftlichen Epoche, die vom Verlust des Jerusalemer Tempels sowie von der Suche nach einem strukturellen Ersatz, wie er im Sabbat konfiguriert ist, geprägt ist.

Schöpfung durch das Wort

Auffällig ist die hohe Bedeutung, die in Gen 1 der Wortschöpfung zukommt. Der Bericht folgt einem nur leicht variierten Ablaufschema von Befehl/Ankündigung der Schöpfung – Vollzugsbestätigung – Benennung des Schöpfungsakts – Billigungsformel. Die Durchführungsnotiz bzw. der eigentliche Tatbericht kann mitunter ganz fehlen: Wie schon Marduk seine Wortmacht vor den anderen Göttern unter Beweis stellt, indem auf seinen Befehl hin das Siebengestirn am Himmel verschwindet und erscheint (En.el. IV,19–25), so vermag auch der Schöpfergott in Gen 1 sein Werk allein durch sein Wort zur Existenz bringen. Das ägyptische Denkmal memphitischer Theologie ist das ausführlichste Beispiel für die Schöpfung durch das Wort. Hier ist es der im Memphis verehrte Gott Ptah, der mittels seines Wortes die Schöpfung hervorbringt.104 Es handelt sich um ein Konzept, das die Voraussetzungslosigkeit göttlichen Schaffens besonders herausstreicht.

Gen 1,9–10

9 Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an einen Ort, dass das Trockene sichtbar werde. Und so geschah es.

10 Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Ansammlung des Wassers nannte er Meer. Und Gott sah, dass es gut war.

Auch das theologisch herausragende Motiv der Gottebenbildlichkeit ist kein genuin biblisches Motiv, sondern entstammt ursprünglich den Nachbarreligionen.

Imago Dei und dominium terrae Gen 1,26–30

26 Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich. Und sie sollen herrschen über die Fische des Meers und über die Vögel des Himmels, über das Vieh und über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die sich auf der Erde regen.

27 Und Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie.

28 Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie untertan, und herrscht über die Fische des Meers und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf der Erde regen.

29 Und Gott sprach: Seht, ich gebe euch alles Kraut auf der ganzen Erde, das Samen trägt, und alle Bäume, an denen samentragende Früchte sind. Das wird eure Nahrung sein.

30 Und allen Wildtieren und allen Vögeln des Himmels und allen Kriechtieren auf der Erde, allem, was Lebensatem in sich hat, gebe ich alles grüne Kraut zur Nahrung. Und so geschah es.

Tora und Talion s. u. 2.5.2.3

Bilderverbot s. u. 3.2

Während die Gottähnlichkeit in Gen 1,26 f. strukturell zu verstehen ist und sich auf die gesamte Menschheit bezieht, verweist der Parallelbeleg in einer Genealogie (Gen 5,1.3) auf die individuelle Ähnlichkeit von Vater und Sohn und richtet den Fokus darauf, dass Gottebenbildlichkeit von Generation zu Generation weitervererbt wird. In Gen 9,6 dient die Gottebenbildlichkeit des Menschen als Argument, um den Menschen vom Tier zu unterscheiden und seine Tötung grundsätzlich auszuschließen.105 Von besonderem Interesse ist, dass Gen 1,27 die Gottebenbildlichkeit auf Mann und Frau gemeinsam bezieht. Dadurch wird einerseits die Vereinnahmung Gottes im Anspruch der Gottgleichheit eines einzelnen Menschen strukturell ausgeschlossen. Andererseits erübrigt sich auch die im Laufe der Theologiegeschichte häufig aufgeworfene Frage, ob der Mensch seiner Gestalt oder seinem Wesen nach Gott ähnlich sei.106 Gottebenbildlichkeit ist vielmehr als Relationsaussage zu interpretieren. Das zeigt der der hebräische Begriff /ælæm „Bild, Statue“, der sonst insbesondere zur Bezeichnung von Götter- oder Königsstatuen der Nachbarreligionen dient (2Kön 11,18/2Chr 23,17; Num 33,52; Ez. 7,20; Dan 2).107 Der zweite verwendete Terminus /demût (s. Ez 1,5.10.13.16.22.26; 10,10.21 f.; 23,15) unterstreicht den Aspekt der Gleichheit bzw. Ähnlichkeit mit dem jeweiligen Vorbild, wobei die Identität beider jedoch ausgeschlossen ist.108 Theologisch gesprochen tritt in Gen 1 der Mensch an die Stelle der altorientalischen Kultbilder und wird als der maßgebliche und sichtbare Repräsentant bzw. Stellvertreter Gottes in der Welt eingeführt. Interessant ist zudem sein Auftrag (1,28): Anstatt – wie in den mesopotamischen Mythen – für die Götter Dienst zu tun (vgl. Atr. I,1 ff.), kommt ihm im Herrschaftsauftrag (dominium terrae) die Aufgabe des Erhalts der Schöpfung zu. Er wird als Herr über die Tiere wie auch die Pflanzenwelt, die er sich mit den Tieren teilt, eingesetzt.109 Darin findet sich eine weitere strukturelle Parallele mit altorientalischen Vorstellungen („Königsideologie“).110 Vor allem in Ägypten ist Pharao als Ebenbild mit Stellvertreterfunktion Gottes in die Weltordnung eingeführt. Dessen Funktionen überträgt Gen 1 jedoch auf jeden Menschen und nimmt darin eine „Demotisierung“ (J. Assmann) der ägyptischen Vorstellung oder – in einer etwas anderen Perspektive – die „Royalisierung des Menschen“ vor (B. Janowski).

 

Der an die Gottebenbildlichkeitsaussage erinnernde Passus in Ps 8 scheint dem theologisch zu widersprechen bzw. sie wenigstens in einem ebenfalls schöpfungstheologischen Kontext zu relativieren:

Ps 8,5–7

5 Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst,

und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?

6 Du hast ihn wenig geringer gemacht als Gott,

mit Ehre und Hoheit hast du ihn gekrönt.

7 Du hast ihn zum Herrscher gesetzt über die Werke deiner Hände,

alles hast du ihm unter die Füsse gelegt.

Zwar wird auch hier die außergewöhnliche Nähe des Menschen zu Gott hervorgehoben, aber in der Perspektive einer Differenzerfahrung. An die Stelle der Vergöttlichung des Menschen tritt eine funktionale Nähe zum Königsgott JHWH (Ps 8,2.10 im Bezug auf V. 7) neben dem Effekt der Royalisierung, da der Mensch an die Stelle des irdischen Königs gesetzt ist (vgl. die Semantik von V. 6b–7). Anders als in Gen 1 geht es nicht um eine Autorisierung des Menschen, sondern vielmehr um die Selbstvergewisserung des Menschen vor JHWH und in der Welt.111 Wegen fehlender semantischer Bezüge ist eine direkte Abhängigkeit des Psalms von Gen 1 jedoch unsicher, so dass von einer bewussten theologischen Kommentierung nicht vorschnell auszugehen ist.112

2.4.2 Die zweite Erzählung von Schöpfung und Garten

Die durch einen redaktionellen Vers (Toledot 2,4a) mit dem ersten Bericht verbundene zweite Erzählung (Gen 2,4b–3,24) thematisiert Schöpfung in ganz anderer Weise. Die Überlegungen von Gen 1 zu einer etappenweise erfolgenden Entstehung der Welt sind hier weitgehend durch die Reduktion auf die Entstehung menschlichen Lebens in einem von Gott eingerichteten Garten (in) Eden (vgl. Ez 28,13) ersetzt. Die ursprünglich gegebene, enge Relation von Mensch (wörtlich: Erdling; /’adam) und Erdboden (/’adamâ) ist semantisch hervorgehoben. Die Erzählung beginnt mit dem Noch-nicht-Sein von Erde/Erdboden und Mensch (Gen 1,5–6). Beide werden aufeinander hin geschaffen (V. 7–8). Die mythische Beschreibung des Gartens lässt erkennen, dass es sich um einen besonderen und kostbar ausgestatteten Ort handelt, den Gott und Urmensch (Ez 28,13 f.: König von Tyrus) sich als gemeinsamen Raum teilen, wodurch der Garten selbst an ein Heiligtum erinnert. Aufgabe des Menschen ist es, den Garten zu bebauen und zu bewahren und darin „Gottes-Dienst“ zu tun (Gen 2,15). Als einzige Einschränkung erhält der Mensch das Verbot, von den Früchten eines bestimmten Baumes zu essen.113 Im Folgenden gerät dieses Verbot wieder aus dem Blick, um erst im dritten Kapitel eine eigene Dynamik zu entwickeln, die in die Vertreibung aus dem Garten mündet (Gen 3,23–24; vgl. Ez. 28,16 f.). Neben der Gartenthematik ist die Erschaffung weiterer Lebewesen (der Tiere und der Frau) thematisiert, die auf die Bedürfnisse des ersten Menschen zugeschnitten werden. Im Gegensatz zu Gen 1 lässt diese Erzählung kaum an Konkretion zu wünschen übrig. Das Formen des ersten Menschen (V. 6) wie auch der Tiere (V. 19) aus dem Staub des Erdbodens entspricht dem weit verbreiteten altorientalischen Motiv, dass die Götter die Menschheit aus Lehm töpfern oder formen. Dieses Grundmotiv begegnet in mesopotamischen Mythen (Atrah ˘asis u. a.) ebenso wie in Ägypten, wo der widderköpfige Gott Chnum den Menschen (und seinen Ka/Stellvertreter; vgl. eemmu in Atr. I,230) aus Ton formt. Es tritt außerdem das ursprünglich ägyptische Motiv der Belebung durch den göttlichen Atem hinzu (vgl. Gen 2,7), dem das Lebewesen seine Lebendigkeit erst verdankt. In mesopotamischen Mythen sind es neben dem Lehm göttliches Blut oder Fleisch, die die Menschenschöpfung als einen herausragenden Akt qualifizieren und den göttlichen Anteil im Menschen unterstreichen.

Dass in Gen 2,7 u. ö. nicht von Lehm, sondern Staub die Rede ist, impliziert von Anfang an die Sterblichkeit des Menschen (Gen 3,19; Hi 10,9; 34,14 f.; Ps 104,29 f.; Qoh 3,20). Anders als die Tiere wird die Frau unmittelbar aus der Rippe/Seite des Mannes erschaffen – ein Akt, der die beiden in ein besonders enges Verhältnis zueinander setzt und dem Schöpfungsakt seinen besonderen Erfolg beschert (2,23 f.). Die Namengebung ist ein Akt der Anerkennung. In Gen 1 ist es Gott selbst, der die neugeschaffenen bzw. geordneten Bereiche innerhalb der raumzeitlichen Ordnung zuweist und benennt (1,5.8.10). Er kennt den Namen aller Sterne (Ps 147,4) und ruft auch Israel bei seinem Namen (Jes 49,1). In Gen 2–3 obliegt die Namengebung den Menschen: der erste Mensch nimmt das Recht wahr und weist den Tieren und der Frau ihre Funktion zu (2,19; 3,20; 5,3) entgegen dem im AT häufiger belegten Brauch, das Namensrecht den Müttern zu überlassen (z. B. Gen 4,25).

Gen 2

Gen 2 ist im Vergleich mit Gen 1 sehr anthropozentrisch geprägt:

–ein altorientalisch angelehnter Bericht der Menschenschöpfung (Formen aus Ton/Staub und Belebung durch göttlichen Atem in Gen 2,7);

–die nacheinander erfolgende Erschaffung von Mann und Frau (2,21 f.), die aus einer Art Urmensch bzw. erstem Menschen hervorgehen, und die besondere Bezogenheit beider aufeinander (2,18.23–25; 3,16);

– Erschaffung der Tiere (2,19) und die Bezogenheit von Mensch und Tier aufeinander (2,20 Benennung und Bewertung; 3,15 Feindschaft der Schlange);

–der anschließende Bericht über die Störung des Gottesverhältnisses und die Folgen (Gen 3,1–24).

Von Gen 1 herkommend, verändert sich der erste Eindruck der so positiven Weltordnung, wie Gen 1 ihn vermittelt hat (s. bes. Gen 1,31), mit Gen 2–3 fundamental. Auch die extrapolierten theologischen Grundaussagen in Gen 1 zu Weltordnung, Gottesverhältnis, Bestimmung des Menschen sowie zur zukünftigen Begegnung von Schöpfer und Geschöpf im Sabbat/Kult erfahren empfindliche Korrekturen. Dem Sabbat als Prolepse einer für das Volk Israel wichtigen kultischen Einrichtung entspricht in Gen 2–3 der Garten. Dieser erinnert an ein Heiligtum bzw. einen heiligen Bezirk, in dem die gesamte Schöpfung in unmittelbarer Nähe zu Gott angesiedelt ist. Doch dieser besondere Raum ist am Ende der Erzählung verloren, vom Menschen durch seinen Ungehorsam gegenüber Gott verspielt. Der Mensch bleibt auf das Land/den Erdboden verwiesen. Er kann nicht mehr – seiner Bestimmung gemäß – den Garten bebauen (2,15), stattdessen bleibt ihm die Bebauung der ’adamâ, von der er genommen ist (2,5; 3,23). Die Bestimmung des Menschen ändert sich. Auch Gottebenbildlichkeit und Herrschaftsauftrag erscheinen in einem neuen Licht: Die nach Weisheit strebende Frau (3,6) fehlt, indem sie das Verbot nicht beherzigt und auf den Vorschlag der Schlange eingeht. Die vorgenommene Benennung der Tiere (2,19 f.) ist kein erfolgreicher Akt der Unterwerfung, wie das eigenständige Agieren der Schlange (3,1 ff.) zeigt. Der Mensch wird sogar bestraft und vertrieben, weil er gottähnlich geworden ist (3,22 vgl. 3,5). Und die neue Herrschaft, die der Mann erreichen kann (3,16), impliziert die Unterwerfung der Frau, dem gelungensten Schöpfungsakt aus seiner Sicht (2,23). Die Erzählung zielt also im Ganzen auf eine Verkehrung der Verhältnisse. Dem „und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und sieh, es war sehr gut“ in Gen 1,31 steht nun die Erfahrung zerbrochener Beziehungen, von Vertreibung, schwerer Arbeit und Beschwernissen in Geburt, Schmerz und Tod entgegen. Während sich Gen 1 wie ein Hymnus auf den Schöpfergott liest, setzt Gen 2–3 ätiologisch bei der Jetztwelt des Menschen ein mit allen ihren Störungen, Hoffnungen und Kontingenzen, die die menschlichen Erfahrungen bestimmen. Im Zentrum stehen – für die Gattung der Weisheitsliteratur typische – Reflexionen über den Erwerb und die Grenzen der Weisheit durch den Menschen sowie lebenspraktische Erfahrungen (insbes. in den Straf- und Fluchsprüchen Gen 3,14–19).

Aufgrund der kontrastiven Bezogenheit der zweiten nicht-priesterlichen Erzählung auf die erste, wurde zuletzt vorgeschlagen, Gen 2–3 gegen den Mainstream einer vorexilisch entstandenen J-Zuweisung für literarisch jünger zu halten und als eine Gen 1 explizit korrigierende Komposition zu verstehen.114 Ob die Textbeobachtungen produktions- oder rezeptionsästhetisch zu wenden sind, d. h. ob es nicht letztlich der instruierte Leser ist, der die Bezüge auf Gen 1 in Gen 2–3 hineinliest, bleibt umstritten. Wenigstens formal wie auch semantisch lässt Gen 2–3 jedoch wenige Parallelen mit Gen 1 erkennen, Zitate oder sprachlich auszumachende Anspielungen fehlen sogar ganz. Dass mit der Heiligtumkonzeption, anthropologischen Grundfragen, Weltbildfragen und dem Gottesbild ähnliche Probleme angesprochen sind, lässt sich auch aus der gemeinsamen Thematik der Schöpfung erklären. Wahrscheinlich handelt es sich um zwei voneinander unabhängige, aber etwa gleichzeitig entstandene Texte über die Schöpfung, die aus Gründen theologischen Komplettierens zusammengestellt wurden.

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