Sky-Navy 17 - Die Feindin

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Aus der Reihe: Sky-Navy #17
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Sky-Navy 17 - Die Feindin
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Michael Schenk

Sky-Navy 17 - Die Feindin

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1 Was bisher geschah …

Kapitel 2 Im Outer-Rim

Kapitel 3 Ein überraschendes Angebot

Kapitel 4 Der Freihändler

Kapitel 5 Geheimsache

Kapitel 6 Der Feind im Inneren

Kapitel 7 Ein unerwarteter Besuch

Kapitel 8 Updates

Kapitel 9 Die Beratung

Kapitel 10 Ein altes Schiff, eine neue Bestimmung

Kapitel 11Die Freigabe

Kapitel 12 Die Delegation der Menschen

Kapitel 13 Die Delegation der Norsun

Kapitel 14 Unter Fremden

Kapitel 15 Deck 52

Kapitel 16 Das „trojanische Schiff“

Kapitel 17 Verhandlungen

Kapitel 18 Feindliche Übernahme

Kapitel 19 Auf Patrouille

Kapitel 20 Kleine Morde unter Feinden

Kapitel 21 Feuerschlag

Kapitel 22 In die Enge getrieben

Kapitel 23 Von Raum zu Raum

Kapitel 24 Ein unerwartetes Echo

Kapitel 25 In die Schwingung

Kapitel 26 Die Gunst der halben Stunde

Kapitel 27 Verirrt im Sternenmeer

Kapitel 28 Landung

Kapitel 29 Ankündigung Sky-Navy 18

Kapitel 30 Homepage www.sky-navy.de

Kapitel 31 Sky-Troopers - Exklusiv als Buch für Sky-Navy-Leser

Impressum neobooks

Kapitel 1 Was bisher geschah …

Sky-Navy 17

Die Feindin

Military Science Fiction

von

Michael H. Schenk

© M. Schenk 2020

Dem Bündnis aus Menschen und Norsun ist es gelungen, die geheime Werftwelt der Negaruyen zu vernichten. Ein immenser Rückschlag für die Primär-Kommandantin Desara-dal-Kellon, die auf Rache sinnt. Doch nun scheint ihre Zeit endlich gekommen. Um das Bündnis zu festigen, bietet die große Mutter der Norsun den Menschen einen verlockenden Technologie-Handel an. Dieser soll bei einem geheimen Treffen auf einer abseits gelegenen Raumstation geschlossen werden. Dank ihrer Infiltratoren, von denen sich noch immer einige unerkannt unter den Menschen bewegen, erfährt Desara hiervon und erneut schmiedet sie einen hinterhältigen Plan, der das Blatt wieder zu Gunsten ihres Volkes wenden soll …

Kapitel 2 Im Outer-Rim

Ma Donahues Star-Motel“, Outer-Rim-Station 47

Amos Donahue machte wieder einmal seinen üblichen Rundgang. Einmal in der Woche, so hatte er sich fest vorgenommen, durchstreifte er sein Reich und beschränkte sich dabei nicht nur auf die aktiven und belebten Bereiche der alten Station, sondern auch auf jene, die nun schon seit Jahren nicht mehr genutzt wurden. Vor allem in den Decks des tonnenförmigen unteren Stationskörpers waren Vernachlässigung und Verfall teils deutlich sichtbar. Die Glanzzeit von Outer-Rim-Station 47, war unwiderruflich vorbei.

Bis zur Entdeckung des Nullzeit-Antriebs, für dessen Betrieb der seltene Hiromata-Kristall erforderlich war, mit dessen Hilfe die größten Entfernungen ohne Zeitverlust bewältigt werden konnten, war die Raumfahrt auf den Cherkov-Antrieb angewiesen gewesen. Doch mit dem überlichtschnellen Raumantrieb hatte man Tage, Wochen und oft sogar Jahre benötigt, um ferne Ziele zu erreichen. Auf Siedlerschiffen, die in die Tiefen des Raums vorstießen, um dort neue Kolonien zu gründen, war es üblich gewesen, die Lebewesen an Bord in Kryo-Schlaf zu versetzen.

Innerhalb der von Menschen besiedelten Welten, deren Gemeinschaft man als das „Direktorat“ bezeichnete, wurde reger Handel untereinander betrieben. Für die erst neu gegründeten Kolonien ein wichtiger Bestandteil ihrer Entwicklung, für jene Welten, auf denen sich die Menschheit etabliert hatte, ein wichtiger Bestandteil, um die eigenen Waren zu handeln und den Kontakt untereinander zu halten. Im „Kern“ des Direktoratsgebietes flog man dank des Cherkov innerhalb eines akzeptablen Zeitrahmens, in die Randzone, das „Outer-Rim“, hingegen sparte ein Händler seine Lebenszeit, in dem auch er den Flug lieber verschlief.

Der Hiromata-Nullzeitantrieb hatte alles verändert. Vor allem das Erscheinungsbild des interstellaren Handels. Die Zeit der riesigen Container-Zugschiffe war vorüber und ihr Anblick höchst selten geworden. Die kurze Flugzeit ermöglichte die Benutzung kleinerer Frachtschiffe und die großen Handelskonzerne kalkulierten sehr sorgfältig das Kosten-Nutzen-Verhältnis, mit dem ihre Schiffe flogen. Oftmals lohnte der Handel mit den kleinen Kolonien kaum und so entstand eine Marktlücke, in welche die freien und von Konzernen unabhängigen Händler vorstießen. Oft verwendeten diese Freihändler ehemalige Landungsboote der Sky-Navy, die sogenannten Fast Landing Vehicles (FLVs), deren Rumpf verlängert und mit einem Nullzeit-Antrieb versehen wurde. Wo man einst hundert Sky-Trooper der Raumkavallerie oder zwei gepanzerte Fahrzeuge transportiert hatte, war nun genügend Frachtraum, um auch den „kleinen Handel“ lohnend zu machen.

Diese Veränderungen hatte auch Outer-Rim-Station 47 zu spüren bekommen. In den Grenzbereichen des Direktorats waren einst fünfzig große Raumstationen errichtet worden, die damals Zentren des Handels waren. Hier wurden Waren umgeschlagen, Passagiere wechselten auf andere Routen, die Besatzungen fanden die Möglichkeit zur Erholung und die Schiffe konnten gewartet werden. Jetzt wurden Reisende von kleinen Langstrecken-FLVs direkt zum Ziel geflogen und die meisten Händler nahmen die Waren beim Hersteller auf und beförderten sie ohne Umwege zum gewünschten Empfänger.

So wurde es allmählich ruhig um die Outer-Rim-Stationen. Einst in den Händen der großen Handelskonzerne, wurden die meisten nun stillgelegt, da man sie einfach nicht mehr benötigte. Andere, wie Station 47, wurden an privat verpachtet. An mutige Männer, Frauen oder Familien, die sich mit dem Erhalt der jeweiligen Station und deren bescheidenem Betrieb ihr Auskommen sicherten. Die Mieter hielten die Stationen am Laufen und der Vermieter kümmerte sich darum, dass dies möglich war. Wie bei den meisten Mietobjekten fühlte sich der Eigentümer jedoch nur zu den notwendigsten Erhaltungsmaßnahmen gemüßigt.

Für Amos Donahue und seine Familie bedeutete dies einen immerwährenden Kampf zwischen ihrem eigenen Bestreben, Outer-Rim-Station 47 betriebsfähig und halbwegs wohnlich zu erhalten, und dem des Eigentümers, der Lambert Corporation, die Kosten hierfür möglichst niedrig zu halten, was in der Regel hieß, dass keine Credits für Verschönerungen vorhanden waren und die Finanzen nur für die Erhaltung lebenswichtiger Funktionen reichten. Gelegentlich kaum für diese.

Für Amos bedeutete dies, seinen wöchentlichen Rundgang mit eher sorgenvoller Miene zu bewältigen und sich immer wieder Notizen und Holografien auf seinem Mini-Comp anzulegen, mit denen er dann beim Konzern betteln ging.

Amos stand in einem der alten Materiallager in der tonnenförmigen Untersektion der Station. Hier befanden sich an der Außenseite vier große Solarflügel, die zur Energieversorgung beitrugen. Über der „Tonne“ lag die Mittelsektion, die aus zwei weit ausladenden, diskusförmigen und übereinander liegenden Scheiben konstruiert war. Dort waren jene Räume und Anlagen untergebracht, die das Leben erträglich machten. Am unteren Diskus lagen auch die vier Andock-Pylone, an denen die Schiffe der Händler festmachen konnten. Die Station wurde von einer kleineren tonnenförmigen Kuppel gekrönt, in der sich die Zentrale befand und über der wiederum die großen Antennen der Scanner, Sensoren und Kommunikationseinrichtungen aufragten.

 

Ursprünglich war Amos Donahue der Patriarch einer fünfköpfigen Familie gewesen, doch inzwischen bestand diese nur noch aus ihm selbst und seiner Schwester Patty. Seine Mutter, welche „Ma Donahues Star-Motel“ zu seinem Namen verholfen hatte, erreichte vor einigen Jahren das Ende ihres Lebensweges, sein Bruder Liam verstarb bei einem tragischen Unfall auf der Station und seine Frau Donna hatte das Leben in der Abgeschiedenheit einfach nicht mehr ausgehalten. Es schmerzte Amos, dass sie ihn verlassen hatte, doch seine Liebe zu der alten Station war wohl größer als die zu seiner ehemaligen Frau.

Amos Donahue war der Pächter von Outer-Rim-Station 47 und im Grunde für die Leitung der Station und den Handel zuständig. Technischer Ingenieur war sein Freund Kelly Weathers und ihre Freundschaft wurde gelegentlich auf eine harte Probe gestellt, wenn Kelly Ersatzteile anforderte, von denen Amos wusste, dass sie diese niemals erhalten würden. Kellys Frau Molly war die Seele dessen, was man guten Gewissens noch als „Ma Donahues Star-Motel“ bezeichnen konnte. Sie führte das kleine Motel für die Besatzungen der Schiffe und deren wenige Passagiere, bot gute Hausmannskost, nach den irischen Originalrezepten von Ma Donahue selbst, und betreute zugleich am Abend das kleine „The Irish Pub“. Dort konnte man zwischen holzverschalten Wänden an einem der kleinen Tische oder dem gemütlichen langen Tresen stehen, gute irische Musik hören, wenn sie einem denn gefiel, und die Seele bei dem baumeln lassen, was man fraglos als hochprozentiges Getränk bezeichnen konnte. Zu vorgerückter Stunde und wenn die Tagesration an Whiskey aufgebraucht war, fand sogar Mollys selbstgebrautes dunkles Bier seinen Absatz.

Erin Weathers war die gute Seele von allem. Die kleine Tochter von Kelly und Molly half überall aus, stets mit konzentrierter Ernsthaftigkeit und einer gewissen Ungeschicklichkeit, die ihrem Alter zu danken war. Ihre Unbeschwertheit trotzte auch dem hartgesottensten Raumfahrer ein Lächeln ab.

Dann war da Curt Willowby, der Frachtmeister. Er war für jede hereinkommende und hinausgehende Fracht verantwortlich, organisierte den Transport oder die Aufbewahrung und achtete darauf, dass sie keine Schäden erlitt, welche die Versicherung der Station hätte belasten können.

Zehn zivile Arbeiter trugen zum Betrieb und Erhalt der Station bei. Nur wenige lockte der niedrige Lohn, den Amos bieten konnte, und so gehörten die meisten nicht zu dem hochqualifizierten und gut bezahlten Personal, welches sein Auskommen bei den Konzernen fand.

Zu guter Letzt umfasste die Familie von Amos noch seine Schwester Patty. Sie widmete sich den „inneren Aufgaben“, also allem, was Personal und Gäste betraf. Sie managte deren Unterbringung und Versorgung und war zugleich die Sicherheitsbeauftragte. Sie achtete auf die Einhaltung der Arbeitssicherheit und auf die der meisten lebenden Wesen an Bord, indem sie mit sanfter Stimme oder harter Hand Streitigkeiten regelte. Jene, die nicht unter ihrem Schutz standen, gehörten zu den unliebsamen Mitbewohnern so vieler Raumschiffe oder Stationen: Ungeziefer, welches so zahlreich und vielfältig sein konnte wie die Ursprungswelten, von denen es stammte.

Die Station der Donahues hatte ein Problem mit Nagern. Kleine, sehr agile und gefräßige Räuber, die sich zunehmend über alle Decks ausbreiteten. Ihr Ursprung musste in einer jener Frachtkisten zu suchen sein, die schon seit Jahren in den alten Lagerräumen dem Vergessen anheim fielen.

Auf seinem Weg hatte Amos schon einige Dutzend Nager gesehen, die hastig verschwanden, wenn sie seine Gegenwart wahrnahmen. Sie waren eine Plage, der kaum zu begegnen war. Die Besatzung hatte bereits Giftköder ausprobiert, doch die kleinen Tiere lernten schnell und ihre Vermehrungsrate war atemberaubend. Am effektivsten hatte es sich bisher erwiesen, die befallenen Sektionen der Station von den übrigen abzuschotten. Auch dies wurde zunehmend zu einem der Gründe, die dazu führten, dass auf Outer-Rim-Station 47 immer weniger Räume genutzt werden konnten.

Amos Donahue fand einen verlassenen Nistplatz. Inzwischen konnte er abschätzen, wie umfangreich die Bewohner einer solchen Brutstätte waren. Seufzend aktivierte er seinen Mini-Comp am Handgelenk und schaltete die Aufnahmefunktion ein. „Deck 33, untere Sektion. Massiver Befall durch die Nager. Es ist ihnen fraglos gelungen, sich von Deck 34 nun auch hierher auszubreiten. Da Lambert Incorporated meinen Vorschlag strikt ablehnt, die betroffenen Sektionen von der Luftversorgung zu trennen, ordne ich hiermit an, dass Deck 33 komplett versiegelt wird, um eine weitere Ausbreitung der Plage zu verhindern.“

Verhindern. Man konnte die Ausbreitung bestenfalls hinauszögern. Bislang hatten die Biester immer einen Weg gefunden. Mit Hilfe einer der kleinen Reparaturdrohnen hatte Kelly unlängst entdeckt, dass die Nager die Lüftungsschächte benutzten und dass die dünnen Tri-Stahl-Gitter an den Schachtzugängen keine ernstes Hindernis für sie waren. Amos hatte nie zuvor von Nagetieren gehört, deren Zähne mit Tri-Stahl fertig wurden.

Während er seine Notizen machte kam ihm eine Idee. Er hatte noch nie von solchen Nagern gehört … Vielleicht galt das auch für die Exo-Biologen der Mars-Universität? Ja, darüber sollte er einmal mit den anderen reden. Vielleicht konnten sie die Forscher der Universität für die Nager interessieren. So weit, dass diese herkamen und sie erforschten. Dabei müsste man doch sicher auf eine Methode stoßen, wie man den Biestern den Garaus machen konnte.

Erneut aktivierte Amos das Gerät. „Nachtrag zu dem Nagerproblem auf den Decks 54 bis 33. Patty soll sich mit der Uni Mars in Verbindung setzen und denen von unserem Problem berichten. Nein, Korrektur. Sie soll berichten, dass wir wahrscheinlich eine neue Spezies entdeckt haben, und dabei ihren Charme ausspielen. An Patty persönlich: Schwesterchen, spiele deinen Charme aus. Mit etwas Glück schickt uns die Uni ein paar Forscher, die uns zeigen, wie wir die Biester wieder loswerden.“

Amos musterte die Reihen von sorgfältig gestapelten Transportbehältern. Ihre Maße waren ebenso unterschiedlich wie die Materialien, aus denen sie bestanden, sowie die Beschriftungen, die auf Inhalt und Hersteller sowie Bestimmungsort hinwiesen. Einheitlich waren nur die dicken Staubablagerungen und dass sich seit Jahren einfach niemand mehr für die Kisten interessierte. Wahrscheinlich war es für die betroffenen Handelskonzerne preiswerter gewesen, die geringen Strafen zu zahlen, die bei Ausfall einer Lieferung fällig wurden, als die Waren abholen und ausliefern zu lassen. Für Amos wiederum war es kostengünstiger, sie langsam verrotten zu sehen, als eine teure Entsorgung vorzunehmen. Die einzigen Behälter, bei denen er eine Ausnahme machte, waren jene, bei denen die Beschriftung auf einen möglicherweise gefährlichen Inhalt hinwies. Er hatte kein Interesse daran, dass sich irgendwo eine aggressive Säure durch einen mürbe gewordenen Behälter fraß und vielleicht auch noch die Hülle seiner Station durchlöcherte.

Immerhin blieb Outer-Rim-Station 47 noch eine kleine Galgenfrist, bevor die Nager die bewohnten Decks erreichten. Die „Tonne“ der unteren Sektion umfasste die Decks 54 bis 31. Mit Deck 30 begann dann die Mittelsektion.

Amos wandte sich der kleinen Sichtluke des Materiallagers zu. Da die Lager ringförmig um den Kern der Station, die senkrechte zentrale Achse, angeordnet waren, besaßen alle eine Sichtöffnung nach außen. Mehr als einen matten Schimmer konnte der Stationspächter jedoch nicht wahrnehmen. Seufzend aktivierte er abermals den Miniaturcomputer. „Eintrag für Kelly. Die Sichtluken auf Deck 33 weisen dichte Staubablagerungen auf und sind lange nicht mehr von außen gereinigt worden. Unsere vier Sonnenpaneele dürften kaum besser aussehen. Kelly soll ein Arbeitsteam in Raumanzüge stecken und die Paneele säubern, bevor uns die Solarenergie ausgeht.“

In der „Tonne“ wurde ohnehin Energie gespart. Die Shriever-Anlage war aktiv, damit es künstliche Schwerkraft gab, die Luftversorgung lief und die Heizung war eingeschaltet, auch wenn die Raumtemperaturen der unteren Sektion nur knapp über dem Gefrierpunkt von Wasser lagen. Eigentlich sollte auch die Notbeleuchtung funktionieren, doch Amos musste sich mit dem Licht seines Handscheinwerfers und seiner Stirnlampe am Arbeitshelm begnügen. „Nachtrag für Kelly. Er soll auch mal nach der Notbeleuchtung in der Tonne sehen.“

Ein erneuter Seufzer, dann verließ Amos das Lager und trat in den Kern hinaus. In der senkrechten Achse der Station verliefen die Schächte für Versorgungsleitungen, Kabel und die drei Lifte. Ein sehr kleiner Personenlift für maximal drei Angehörige der Besatzung, ein größerer Lift für die Besucher der Station und ein großer Materiallift. Hier, in den unteren Decks, funktionierte nur noch der Personallift. Direkt neben diesem gab es noch einen senkrechten Schacht, mit Sprossenleiter und Luken in jedem Deck, das Nottreppenhaus.

Amos trat in die Kabine und drückte die Taste für Deck 1, der Kuppel, in der sich die Zentrale befand.

„Amos?“

Die fragende Stimme drang aus seinem Headset und gehörte fraglos Patty, die im Augenblick ihren Dienst in der Zentrale versah.

„Wer sonst?“, brummte er griesgrämig, da die kleinen Geräte personalisiert waren und sie somit genau wusste, wen sie da anfunkte. „Was liegt an?“

„Blaubart will landen.“

„Soll mir recht sein. Die Pylone Eins bis Vier sind alle frei. Weise Blaubart einen zu.“ Er seufzte abermals. „Ich verstehe wirklich nicht, warum du mich damit behelligst. Du weißt doch selber, wie der Laden läuft.“

„Amos, Blaubart will selber landen.“

Er wurde ein wenig bleich. „Moment mal, meinst du damit, der Bursche will selber ans Steuer?“

„Hat sich ganz so angehört.“

„Beim heiligen Patrick“, ächzte er. „Gott schütze uns vor den Briten und vor Blaubart am Steuer seines Schiffes. Patty, lass dir bloß etwas einfallen, dass er dir den Andockvorgang überlässt oder zumindest auf Automatik schaltet. Um Himmels Willen, denk dir etwas aus!“

„Habe ich schon versucht. Was denkst du denn?“ Ihre Stimme klang beleidigt. „Nichts zu machen, er fliegt selber an.“

„Beim heiligen Patrick, versuch ihn aufzuhalten. Ich bin auf dem Weg.“

Terrence Jongen war Eigner und Kapitän des Freihandelsschiffes I.T.S. Jonathan Swift und lief Outer-Rim-Station 47 so häufig an, dass er „Ma Donahues Star-Motel“ guten Gewissens als Heimat betrachten konnte. Inzwischen war die einst blonde Haarpracht von Kapitän Jongen weiß geworden und vor Jahren hatte er sich den Vollbart, aus einer Laune heraus, in intensivem Blau färben lassen. Als man ihn daraufhin überall Blaubart nannte, schien ihm das so gut zu gefallen, dass er diese Eigenheit beibehielt.

Er war ein gern gesehener Gast und liebenswürdiger alter Mann, der inzwischen bedauerlicherweise von Senilität geplagt wurde. Normalerweise stellte dies kein Problem dar, da sein Sohn und seine Frau alles im Auge behielten. Sohn Lukas war ein exzellenter Pilot, doch nun schien es jedoch, als wolle Terrence das Andockmanöver persönlich durchführen. Eine Vorstellung, bei der Amos der Schweiß ausbrach.

Ein Raumschiff an einem Pylon anzudocken, war Präzisionsarbeit. Jeder Pilot oder Rudergänger erlernte den manuellen Vorgang, für den Notfall, dass die tetronischen Systeme versagten, doch im Alltag überließ man das dem Autopiloten oder übertrug die Steuerung sogar an die Flugkontrolle des angeflogenen Objekts. Ein Fehler beim Andocken konnte katastrophale Folgen haben. Zu den geringsten gehörte die Beschädigung der Luftschleuse, schon ein gemäßigter Aufprall konnte allerdings die Dämpfungssysteme des betreffenden Pylons überfordern, so dass dieser gestaucht, verformt oder gar abgerissen wurde. Ein kräftiger Zusammenstoß war auch in der Lage, den Druckkörper der Station zu beschädigen, mit allen dramatischen Auswirkungen, die mit spontanem Druckverlust verbunden waren. Im Fall von Outer-Rim-Station 47 kam noch die Gefahr hinzu, dass ein Zusammenprall ihre geostationäre Umlaufbahn verändern konnte. Waren dann die kleinen Manövertriebwerke der Station nicht in der Lage, den Fehler wieder auszugleichen, dann waren der Absturz und das Verglühen in der Lufthülle des Planeten die Folge.

 

Es waren allesamt höchst unerfreuliche Aussichten, welche die Sorgen von Amos Donahue nachvollziehbar machten.

Der Leiter der Station betrachtete die Anzeige des Lifts. Sie schien in Zeitlupe zu wechseln. „Patty, hast du Blaubart erreicht?“

„Habe ihn ständig im Ohr“, spielte sie auf ihre Kommunikationsverbindung mittels Headset an.

„Was sagt er? Übergibt er an Lukas?“

„Er sagt, Lukas sei krank. Ist auf der letzten Siedlungswelt, von der sie gerade kommen, von irgendeinem Viech gestochen worden. Soll völlig weggetreten sein. Schweißausbrüche, hohes Fieber … Seine Mutter kümmert sich um ihn und ist wohl sehr besorgt.“

„Ich bin auch besorgt“, stellte Amos missmutig fest und es war für Patty nicht auszumachen, ob diese Sorge dem Erkrankten oder dem Andockmanöver galt. Wahrscheinlich traf beides zu. „Bin gleich oben. Halte den Kanal für mich offen.“

„Ja, Boss“, antwortete sie spöttisch. „Zu Befehl, Boss.“

Amos fand, dass seine Schwester immer ein wenig störrisch wurde, wenn sie das Gefühl bekam, er traute ihr etwas nicht zu. Doch im Augenblick konnte er darauf keine Rücksicht nehmen. Der alte Blaubart war ein Sturkopf und würde eher auf Amos, denn auf seine Schwester Patty hören.

Endlich sprang die Anzeige auf „1“ und die Lifttüre öffnete sich.

Amos befand sich nun auf dem obersten Deck seiner Station, wobei die Bezeichnung „Deck“ einem kreisrunden Raum von rund zwanzig Metern Durchmesser galt. Die Zentrale von O.R.S. 47 nahm die gesamte obere Kuppel ein. Sie wies eine Rundumverglasung auf, so dass das Licht der kleinen gelben Sonne und der Sterne eindringen konnte. Vor einem Teil der Panzerscheiben war der zweite Planet des Aristo-Systems zu sehen, in dessen geostationärem Orbit die Station stand.

Unterhalb der Verglasung, die sich fast bis zur Decke erstreckte, zogen sich ringförmig die Arbeitsstationen entlang. Es gab fünf von ihnen, doch seit Jahren wurden nur noch zwei benutzt. Es war nun einmal ein Unterschied, ob zwanzig Schiffe am Tag oder zwei in der Woche eintrafen. In dieser Woche war die I.T.S. Jonathan Swift das erste Schiff.

Auf der dem Planeten abgewandten Seite konnte Amos einen hellen Schimmer erkennen, der langsam größer wurde und die festen Konturen eines alten Raumfrachters annahm.

Amos kannte jeden Raumschifftyp der innerhalb des Direktorats geflogen wurde und hatte sofort das Bild eines Frachters aus der Conestoga-Serie vor Augen. Bei großen Frachtern, die nicht für eine Planetenlandung konstruiert waren und bei denen man Shuttles benutzte, um den Austausch mit dem Planeten zu gewährleisten, konnte man auf jede ästhetische Anforderung verzichten. Sie wiesen zweckbestimmte Formen, mit Ecken und Kanten und gitterartigen Trägersystemen für Container auf, da sie keine Rücksicht auf atmosphärische Strömungen nehmen mussten. Die I.T.S. Jonathan Swift gehörte als Conestoga somit zu jenen Raumfrachtern, bei denen man kein Augenmerk auf Ästhetik gelegt hatte. Sie war plump, robust, zäh und, vor allem, alt.

Amos trat zu seiner Schwester und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Ich schalte mich auf und übernehme.“

Sie warf ihm einen bösen Blick zu. „Bitte schön. Wenn du glaubst, dass du den alten Trottel besser in den Griff bekommst …“

Sie meinte es nicht so. Alle mochten Blaubart und ihre Worte waren eigentlich nicht gegen diesen, sondern gegen ihren Bruder gerichtet.

Amos ignorierte ihre Frustration und schaltete sich in den Kommunikationskanal. „Hier Flight Control O.R.S. 47, Amos Donahue spricht. Bist du das, Terrence?“

„Wer sollte ich wohl sonst sein?“ Ein Kichern war zu hören. „Lass mich wieder mit Patty sprechen. Sie hat die lieblichere Stimme von euch beiden. Außerdem kannst du mich ruhig Blaubart nennen. Das tut doch ohnehin jeder, wie?“

„Äh, Patty braucht mal eine Pause“, log Amos und bemerkte, wie ihn seine Schwester wütend ansah und dabei mit dem Zeigefinger eine eindeutige Geste entlang ihrer Kehle ausführte. „Ah, sag mal, Blaubart, ihr seid jetzt im Endanflug auf uns … Ich würde mich besser fühlen, wenn Lukas am Steuer säße.“

„Ich mich auch, Jungchen, ich mich auch“, kam die Erwiderung. „Leider hat sich der Junge von so einem vorwitzigen Flugding beißen lassen. Lukas muss das Bett hüten, Amos. Sagt zumindest meine Karolina und du weißt, es ist nicht gut, ihr zu widersprechen, wie?“

„Hm, äh, hör mal, Blaubart, der Endanflug zum Andocken ist eine kitzlige Sache. Wäre vielleicht besser, wenn du auf Automatik gehst. Patty könnte euch auch in Fernsteuerung übernehmen, wenn dir das lieber ist.“

Patty nickte eifrig und schaltete sich wieder in den Kommunikationskanal ein. „Allzeit bereit, Blaubart.“

„Hey, Mädchen, ich dachte, du machst Pause?“ Terrence Jongen lachte herzlich. „Ah, ich weiß schon… Amos will dich mal wieder nicht mit den hübschen technischen Sachen spielen lassen, wie?“

Amos Donahue bedauerte, dass die Kommunikation mit der Jonathan Swift nur über einen Tonkanal lief. Der Mangel war hier jedoch nicht der alten Station geschuldet, sondern dem noch weitaus älteren Frachtschiff. Könnte der alte Terrence Jongen auch das Bild empfangen, so würde ihn alleine schon Pattys bezauberndes Lächeln dazu bewegt haben, ihr die gesamte Steuerung zu überlassen. So musste Amos ganz auf die Stimme der Schwester vertrauen.

„Terrence, für dich habe ich doch immer Zeit, du alter Blaubart“, versicherte sie. „Außerdem muss ich ganz ehrlich zugeben, dass ich in Sorge bin. Du weißt doch selber, dass deine Hand nicht mehr die ruhigste ist und ich fühle mich überhaupt nicht wohl bei der Vorstellung, dass du das Anlegemanöver mit dieser Hand durchführen willst. Ich fände es weitaus beruhigender, wenn du das der Automatik oder mir überlässt.“

Amos musste sich eingestehen, dass seine Schwester ihre Sache gut machte. Das machte sie immer, auch wenn er sich eher die Zunge abgebissen, als dies zugegeben hätte.

„Hm, ja, mir eigentlich auch“, kam es zögernd über den Funk. „Leider funktioniert die Automatik nicht und die, äh, Fernsteuerung ist auch, äh, ausgefallen.“

„Was?“ Die überraschte Frage kam unisono von Bruder und Schwester. Patty hob die Hand und gebot ihrem Bruder damit zu schweigen. „Okay, Terrence, wenn ich dich richtig verstehe, dann ist deine gesamte Steuerung defekt?“

„Äh, mit Ausnahme der Handsteuerung. Ja, äh, kann man wohl so sagen. Dumme Sache, wie?“

„Kann man wohl sagen“, bestätigte Patty und sah ihren Bruder kurz an. „Halte dich da jetzt raus“, sagte ihr Blick, „wir sind alle schon nervös genug.“ Über Kom wandte sie sich wieder an den Frachterkapitän. „Okay, Blaubart, führt deine Tetronik denn noch die korrekten Berechnungen durch und gibt dir die Werte vor?“

„Na hör mal, Patty, natürlich. Sonst hätte ich es ja gar nicht bis hierher geschafft, wie?“

Sie straffte ihre Haltung. „Okay, Blaubart, ich gebe dir jetzt Unterstützung, damit du manuell andocken kannst. Richte dich genau nach meinen Zahlen und Anweisungen, klar?“

„Wird gemacht, äh, klar, mache ich.“

Patty sah auf die Anzeigen des Scanners. „Deine Entfernung ist 318.000, Geschwindigkeit 0,5 und fallend. Dein Bremswert beträgt 0,045 pro Sekunde. Dein Kurs weicht um drei Grad Positiv ab. Dann musst du um drei Grad Negativ korrigieren.“

„Drei Grad Negativ … Erledigt. So okay, Patty?“

„Ja, dein Kurs ist jetzt korrekt. Blaubart, du musst deine Bremsleistung auf 0,72 erhöhen, sonst schießt du uns quer durch den Rumpf und klatschst auf die Planetenoberfläche.“

„Unsinn, Patty, vorher würde ich in der Atmosphäre verglühen, wie? Gut, ich korrigiere die Bremsleistung auf 0,72. Verdammt, der alte Impulsantrieb stottert … Ah, jetzt hat er wieder Leistung … Muss auch an dem verflixten Steuerprogramm liegen.“

Amos lächelte halbherzig. „Terrence fliegt einen alten Conestoga, Modell Zwölf. Bei denen lief die Steuerung noch mit Programmen von Microsoft.“

„Kein Wunder, dass bei denen die Steuersysteme ausfallen. Wundert mich, dass er die überhaupt mit der Tetronik kompatibel bekommen hat. Das binäre System mit ‚0‘ und ‚1‘ ist doch völlig antiquiert.“

„Mein Mini-Comp am Handgelenk hat wahrscheinlich eine größere Rechnerleistung, als die gesamten Steuersysteme der Swift zusammengefasst.“

„Beim heiligen Patrick“, ächzte sie. „Ich hoffe, ich bekomme ihn ohne Schramme rein.“

„Lass ihn einfach draußen ankern“, schlug er vor. „Die können dann in Raumanzügen zu uns übersetzen.“

„Nichts da. Du hast doch gehört, dass Lukas Hilfe benötigt. Statt mir auf die Nerven zu gehen, könntest du schon einmal Molly informieren.“

„Hast recht, Schwesterherz. Ich sage ihr Bescheid.“

Molly Weathers war nicht nur eine exzellente Köchin. Auf der Station war sie auch das, was einem Medo-Tech am nächsten kam. Zwar sahen die Vorschriften vor, dass jede Niederlassung von Lambert Incorporated über einen Arzt verfügen sollte, doch bei den meisten Outer-Rim-Stationen begnügte man sich mit einem Sanitäter. Trat ein medizinischer Notfall ein, so stützte man sich auf den Hiromata-Nullzeitantrieb, mit dessen Hilfe ein Arzt innerhalb weniger Stunden eintreffen oder erreicht werden konnte. Auch O.R.S. 47 verfügte über ein eigenes Langstrecken-FLV, das innerhalb von knapp sieben Stunden in die Nullzeit beschleunigen konnte. Dieses Notfallfahrzeug lag in einer speziellen Ausbuchtung der oberen Sektion verankert und war noch nie benutzt worden. Das würde es wohl auch künftig nicht, denn Chief Weathers hatte einige tetronische Elemente ausgebaut, die nun dem Betrieb der Station dienten. Amos hatte zugestimmt, da Lambert die Ersatzteile verweigert hatte und man ja in einigen Stunden Hilfe von einem Rettungsschiff erhalten konnte.

Amos konzentrierte sich einen Moment darauf, Molly zu informieren. „Blaubart soll an Dock-Pylon 2 anlegen“, fügte er rasch hinzu. „Kommt dorthin.“