Die Pferdelords 01 - Der Sturm der Orks

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Aus der Reihe: Die Pferdelords #1
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Die Pferdelords 01 - Der Sturm der Orks
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Michael Schenk

Die Pferdelords 01 - Der Sturm der Orks

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53 Karte „Pferdelords – Die Völker“

Kapitel 54 Detailkarte „Die Hochmark“

Kapitel 55 Personenregister

Kapitel 56 Einige Maßeinheiten und Definitionen

Kapitel 57 Vorschau "Pferdelords 2 – Die Kristallstadt der Zwerge"

Impressum neobooks

Kapitel 1

Michael H. Schenk

Die Pferdelords 1

- Der Sturm der Orks -

Fantasy-Roman

© Überarbeitete Neuauflage Michael Schenk 2020

Vorwort

Die Leserschaft der Serie „Die Pferdelords“ wird im ersten Roman eine große Nähe zu den Verfilmungen von „Der-Herr-der-Ringe“ feststellen. Dies war eine Bedingung des damaligen Verlages, meine auf zwölf Bände festgelegte Reihe überhaupt zu veröffentlichen, da man sich dadurch einen größeren Umsatz versprach. Ich stand also vor der Wahl, nicht veröffentlicht zu werden oder mich dieser Forderung zu stellen. Ich entschied mich für meine „Pferdelords“ und nahm einen raschen Genozid an ihren ursprünglich gedachten Feinden, den Walven, vor, um diese durch die Orks zu ersetzen. Man möge mir diesen Eigennutz verzeihen, doch damals war dies der einzige Weg, meine Pferdelords in den Sattel zu heben.

Die Pferdelords bieten detailreiche und spannende Abenteuer, in der die Völker mit ihrer jeweils eigenen Geschichte und Kultur zum Leben erweckt werden. Wem die tatsächlichen oder scheinbaren Wiederholungen von Beschreibungen in den Bänden auffallen, der wird feststellen, dass sie die Entwicklung der Völker und ihrer Siedlungen aufgreifen, denn bei den insgesamt zwölf Bänden handelt es sich um eine Chronologie. Im Lauf der Zeit entsteht aus dem Tauschhandel eine Währung, aus dem schlichten Signalfeuer ein kompliziertes optisches Instrument, man entdeckt das Schießpulver und die Dampfmaschine sowie schließlich sogar das Luftschiff. Man begleitet den Knaben Nedeam, der schon bald als Schwertmann und Reiter und schließlich sogar als Pferdefürst an der Seite seiner Freunde steht. Man begleitet den ehrenhaften Orkkrieger Fangschlag und auch dessen hinterlistigen Gegenspieler Einohr.

Meine Leser begegnen alten und neuen Völkern, doch selbst jenen, die man zu kennen glaubt, gewinne ich manche neue Seite ab. Der Kenner von „Der Herr der Ringe“ sollte Band 1 vielleicht als Teilantwort auf jene Frage lesen, die in der Verfilmung „Die zwei Türme“ so beiläufig zum Tragen kam: Wo blieben die Reiter der Westfold, nach denen Theodem schickte? Nimmt man meine Hochmark als Westfold, so liest man, wie ich jene Frage beantworten würde. Doch keine Sorge, aus der Anlehnung an Tolkien wird schon in Band Zwei meine vollkommen eigenständige Geschichte, auch wenn ich, wie schon erwähnt, meine Walven durch die Orks ersetzen musste.

Es erwartet Sie also eine spannende Saga um mein Pferdevolk und ihre Freunde und Feinde.

Die Pferdelords-Reihe:

Pferdelords 01 – Der Sturm der Orks

Pferdelords 02 – Die Kristallstadt der Zwerge

Pferdelords 03 – Die Barbaren des Dünenlandes

Pferdelords 04 – Das verborgene Haus der Elfen

Pferdelords 05 – Die Korsaren von Um´briel

Pferdelords 06 – Die Paladine der toten Stadt

Pferdelords 07 – Das vergangene Reich von Jalanne

Pferdelords 08 – Das Volk der Lederschwingen

Pferdelords 09 – Die Nachtläufer des Todes

Pferdelords 10 – Die Bruderschaft des Kreuzes

Pferdelords 11 – Die Schmieden von Rumak

Pferdelords 12 – Der Ritt zu den goldenen Wolken

Mein Dank gilt dem Verlag WELTBILD, der es mir ermöglichte, die von ihm lektorierten Manuskripte für die weiteren Veröffentlichungen als e-Book zu verwenden und so dazu beitrug, dass diese Serie weiterhin im Handel erhältlich ist.

Die vorliegende Neuauflage der e-Books wurde von mir überarbeitet, ohne deren Inhalte zu verändern. Begriffe wurden vereinheitlicht und die Romane durch überarbeitete oder zusätzliche Karten ergänzt.

Viel Lesevergnügen wünscht Ihnen

Michael H. Schenk

Hinweis:

Kapitel 53: Karte der Völker, der Pferdelords-Reihe

Kapitel 54: Detailkarte "Die Hochmark"

Kapitel 55: Personenregister

Kapitel 56: Einige Maße und Definitionen

 

Kapitel 57: Vorschau auf "Die Pferdelords 2 – Die Kristallstadt der Zwerge"

Das Haus war kaum zu entdecken, obwohl seine Erbauer sich keine Mühe

gegeben hatten, es zu verbergen. Es schien ein natürlicher Bestandteil des

riesigen Baumes zu sein, und seine Strukturen schmiegten sich förmlich

zwischen die Äste und Blätter, so als seien sie gleichsam mit diesen

verwachsen. Treppen und Gemächer folgten dem Wachstum des Stammes,

und doch boten sie alle Bequemlichkeiten, nach denen es ein

menschenähnliches Wesen verlangen mochte. Der Baum war mächtig und

sehr alt, und Gleiches galt auch für das Haus. Es war das Haus Elodarions,

und er zählte zu den Weisesten und Kraftvollsten des gesamten Elfenvolkes.

Auf den ersten Blick konnte man Elodarion für einen Mann in den besten

Jahren halten. Er war groß, von schlankem Wuchs, und seine Gesichtszüge

waren noch eben. In seinen Augen hingegen lag die Weisheit vieler erlebter

Menschenalter, und seine spitz geformten Ohren bezeugten seine

Abstammung vom elfischen Volk. Jenem Volk, welches die aufstrebende

Menschheit von Anbeginn an begleitet und den Aufstieg und Fall schon so

vieler Stämme der Menschenwesen erlebt hatte. Elodarions weißblonde Haare

fielen ihm lang und glatt über den Rücken und wurden im Nacken von einer

Spange gehalten, welche die Form einer erblühten Lilie hatte. Diese Lilie war

das Symbol seines Hauses und wiederholte sich in den feinen Mustern seines

langen Gehkleides und des blauen Umhanges, der die Schultern des

Elfenmannes verhüllte.

Elodarion war alt, selbst für die Begriffe der Unsterblichen, und er zählte

zu den begünstigten Elfen seines Volkes, denn seine Gefährtin hatte ihm vor

nunmehr fünfhundert Jahren das Glück geschenkt und ihm zwei Kinder

geboren. Kinder waren selten im Volk der Elfen, und noch dazu deren zwei

im selben Haus waren ein Segen, der nur sehr wenigen Gefährten

zuteilwurde.

Elodarion trat auf einen der kleinen Balkone seines Hauses und legte eine

Hand auf das fein geschnitzte Geländer. Die Holzkonstruktion wirkte so

zierlich, dass sie kaum in der Lage zu sein schien, einen Sturz aufzufangen,

doch sie war aus bestem Steinholz, und ihr glatter Handlauf verriet, dass er

schon oft von Händen berührt worden war. Der Elfenmann zog den blauen

Umhang enger um seine Schultern, als fröstele es ihn, obwohl ein sanfter und

warmer Wind über die kleine Waldlichtung strich, auf der sich Baum und

Haus erhoben. Elodarion blickte nach Osten, als könne er durch den Wald

und die Lande dort jenen Ort erkennen, dessen Macht er wachsen spürte. Eine

düstere Bedrohung, der das elfische Volk vor so vielen Menschenaltern und

dem Bruchteil eines elfischen Lebens schon einmal begegnet war.

Elodarion strich mit der Hand über den Handlauf des Balkons, so als wolle

er sich vergewissern, dass dieser Bestand haben und mit ihm das Haus

Elodarions unbeschadet der dunklen Macht widerstehen würde. Er spürte, wie

seine Gefährtin hinter ihn trat. »Schon einmal haben wir es gespürt«, sagte er

leise. »Das Wachsen der Dunklen Macht. Und lange haben wir ihm

zugesehen.«

»Und schon einmal wurde sie besiegt.« Seine Gefährtin trat neben ihn, und

ihre Gestalt wirkte vollendet und anmutig. Nach all den gemeinsam

verbrachten Jahren waren sie einander zutiefst verbunden, gleichsam als seien

sie ein einziges Wesen, und sie verspürten die gleiche Sorge.

»Damals waren die Stämme der Menschenwesen kraftvoll und zahlreich.

Heute gibt es deren nur noch wenige. So viele fielen zurück in die Barbarei

und entzweiten sich. Der alte Bund ist zerfallen und existiert nicht mehr. Das

Streben nach Macht und Glück erfüllt die Menschen, und in ihrer Gier danach

kennen sie kein Maß mehr.«

Sie legte ihre Hand auf die seine, und für einen Moment gaben sie sich

stumm ihrer Verbundenheit hin. »Sie haben so wenig Zeit, ein Maß zu

finden«, sagte Eolyn schließlich leise. Eolyn, Tau, der den Morgen streichelt.

Für Elodarion konnte es keinen zutreffenderen Namen für seine Gefährtin

geben.

»Das Bündnis konnte einst die Dunkle Macht bezwingen. Nun ist diese

erneut erstarkt und stärker als je zuvor. Die Macht breitet sich aus, und eines

Mondes wird sie auch die Häuser des Elfenvolkes erreichen.«

Eolyn lächelte sanft. »Unsere Häuser mögen dann schon weit jenseits der

Meere stehen.«

»Nein.« Elodarion schüttelte langsam den Kopf. »Du weißt, dass dies ein

Trugschluss ist. Eines Tages wird die Dunkle Macht selbst über die Meere

hinweg reichen. Wir müssen ihr entgegentreten. Jetzt, solange wir noch die

Kraft dazu finden und es noch Menschenwesen gibt, mit denen wir den Bund

erneuern können.«

»Werden die Menschenwesen dies auch tun? Spüren sie denn die Drohung,

die von der Dunklen Macht ausgeht, und werden sie sich ihr widersetzen oder

aber sich ihr hingeben?« Eolyn sah ihren Gefährten zweifelnd an. »Nur

gemeinsam mit den Menschenwesen werden wir der Dunklen Macht erneut

widerstehen können. Doch die meisten Stämme der Menschenwesen sind

zerfallen, und nur wenige haben sich einen Teil ihrer einstigen Macht

bewahrt.«

»Der Rat hat beschlossen, den alten Bund mit den Menschenwesen zu

erneuern.« Elodarion wies mit einer weit ausholenden Geste über den Wald.

»Die Häuser des Waldes und der See haben ihre Männer versammelt, und die

Bogenschützen des elfischen Volkes werden in den Kampf ziehen. Das

Schicksal wird zeigen, ob wir dies erneut in der Gemeinschaft eines Bundes

tun werden.« Er blickte Eolyn ernst an und umschloss ihre Hand. »Lotaras

und Leoryn sind erwählt worden, Kontakt zu den Königen der

Menschenstämme aufzunehmen und den Bund zu erneuern.«

»Lotaras und Leoryn?« Für einen Augenblick zeigte sich Sorge im Gesicht

Eolyns. »Sie währen erst fünfhundert Jahre und haben bislang noch nie

Kontakt zu den Menschenwesen gehabt.«

Elodarion lächelte. »Ich spüre deine Sorge wohl, Eolyn. Doch sie wissen,

was auch wir wissen, sind im Gegensatz zu uns aber nicht voreingenommen,

da sie die alten Könige der Menschen nicht kannten. Sie werden den neuen

Herrschern unbelastet entgegentreten. Jene Menschenwesen, die unser Volk

noch kennen, wissen um die besondere Bedeutung der Kinder für unsere

Häuser. Wenn wir unsere Kinder folglich als Botschafter zu ihnen entsenden,

werden sie diesen Umstand als besondere Ehre werten. Und habe keine Sorge.

Auf dem Weg nach Süden und später nach Osten werden sie von den

Bogenschützen unserer Häuser begleitet.«

Eolyn blickte nachdenklich nach Osten, als könne auch sie durch die

Bäume des Waldes hindurch den Ort der Gefahr erblicken, und die Luft

schien ihr plötzlich schwer und kühl.

Kapitel 2

Zunächst sah es danach aus, als habe sich einer der zahllosen Gesteinsbrocken

von den steilen Hängen des Pfades gelöst. Aus der Ferne war jedenfalls nur

das typische ungleichmäßige Grau eines großen Steines mit seinen grünen

Stellen zu erkennen, die vom Moosbewuchs herrührten. Aber als die fünf

Reiter langsam näher kamen, wurden zusätzlich auch bräunliche Flecken

sichtbar, und die Pferde spürten noch vor den Männern, dass dies kein

gewöhnlicher Felsen war. Kormunds grauer Hengst schnaubte leise, und der

stämmige Mann beugte sich ein wenig vor, um den Hals seines Tieres

beruhigend zu tätscheln. Reiter und Pferd nahmen jetzt beide den leichten

Geruch von Kupfer wahr. Den Geruch von vergossenem Blut.

»Ganz ruhig, mein Alter«, sagte Kormund leise. »Ich weiß ja, was du

meinst.«

Der kräftige Reiter hielt den Blick aufmerksam auf den zweifelhaften

Felsen und die umgebenden Hänge gerichtet und hob dann seine rechte Hand

leicht an. Er hörte das leise Pochen der Hufe, als die anderen vier Reiter

rechts und links von ihm zur Kampfformation ausschwärmten. Wobei Parem,

der noch unerfahren war, sein Pferd zu weit vortrieb, doch ein missbilligender

Blick seines benachbarten Reiters ließ ihn errötend seine Position korrigieren.

Nichts war zu hören, außer dem steten Wind, der hier über die Hänge der

Hochmark strich, und dem gelegentlichen Knarren des ledernen Sattelzeugs.

Der Wind der Hochmark ließ auch die langen grünen Umhänge der Reiter

unruhig auswehen, als seien sie eigenständige Lebewesen. Sie alle trugen die

grünen Umhänge der Pferdelords, und vor ihren rechten Schenkeln hingen die

typischen Rundschilde ihres Volkes vom Sattelknauf. Grüne Schilde mit dem

Wappen der Hochmark des Königs, einem doppelten Pferdekopf mit einem

Schmiedehammer, und diese gekreuzten Symbole wiederholten sich auch auf

den Brustharnischen der Männer. Blaue Rosshaarschweife waren an den

Kämmen ihrer runden Helme befestigt. Die Reiter trugen Lanze und Schwert

der Wache des Pferdefürsten Garodem. Schwertmänner nannte man sie, und

sie waren stolz auf diesen Ehrentitel. Von Kormunds erhobener Lanzenspitze

wehte der lange dreieckige Wimpel der Pferdelords aus und zeigte an, dass er

der Führer eines Beritts war. Der Wimpel bildete ein weißes Pferd auf grünem

Grund ab, wobei der Kopf des Tieres stets nach vorne, dem Feind entgegen,

wies, und er war rundherum mit einer schmalen dunkelblauen Borte

eingefasst. Dem dunklen Blau der Hochmark.

Kormund ließ sein Pferd im Schritt auf den vermeintlichen Felsbrocken,

der vor der Patrouille auf dem Weg lag, zugehen, und als die Gruppe näher

kam, wurde der faulige und süßliche Geruch der Verwesung, der von dem

Klumpen ausging, zunehmend für alle riechbar. Insekten begannen sich von

dem Gegenstand zu erheben, und nun wussten sie, dass hier wohl ein

menschliches Lebewesen den Tod gefunden haben musste, denn der Klumpen

vor ihnen war zu klein für ein Pferd und zu groß für ein Wolltier, aber genau

richtig für einen Menschen.

Die Gruppe hielt neben dem Toten an, und Kormund und sein Freund und

Stellvertreter Lukan schwangen sich aus den Sätteln. Sie stießen die

Lanzenenden in den Boden und gingen nebeneinander zu den menschlichen

Überresten hinüber.

»Einer der Unseren«, brummte Lukan und rümpfte wegen des Gestanks die

Nase, als er den Toten herumzog. Jetzt wurden die Konturen der Gestalt

deutlicher, ebenso wie die Verletzungen, die der Mann erlitten hatte. Auch

der vom Wind herangewehte feine Staub löste sich teilweise und entblößte

nun die Kleidung und die Wunden des Toten. Lukan zupfte an dem grünen

Umhang der Leiche. »Ein Pferdelord.«

Kormund nickte. »Einer der Unseren. Aber nicht aus der Hochmark. Habt

Ihr den Saum gesehen?«

»Natürlich.« Der Umhang war mit einem goldenen Saum eingefasst, was

ihnen zeigte, dass es sich bei dem Reiter, der vor ihnen lag, um einen Mann

aus der Mark des Königs gehandelt haben musste. Sein Gesicht war

unkenntlich. »Ich denke, er dürfte fünf oder sechs Tage hier liegen. Jedenfalls

noch keinen Zehntag.« Er sah sich um. »Kein Helm. Er hat seinen Helm

verloren. Seltsam.«

Der Helm hätte ihnen verraten können, ob der Mann direkt vom Hofe des

Königs gekommen war, denn alle Schwertmänner der königlichen Wache

trugen keine blauen, sondern helle Rosshaarschweife an ihren Helmkämmen.

Die Augen und größere Gewebeteile des Toten waren bereits von Aasfressern

und Insekten weggefressen worden. Lukan knurrte missmutig und starrte in

 

den halb offenen Mund der Leiche. »Die Zähne sind noch in Ordnung. Es

muss ein junger Mann gewesen sein. Was, beim Dunklen Turm, hat ein

Pferdelord des Königs hier bei uns verloren?«

»Ja, das würde mich auch interessieren.« Kormund bückte sich neben

seinem Freund und begann die Leiche zu untersuchen. »Aber zunächst

interessiert mich, was ihn getötet hat. Seht Ihr diese parallelen Risse in seiner

Kleidung? Sieht ganz nach den Krallen eines Pelzbeißers aus.«

Lukan wiegte den Kopf. »Ein Pelzbeißer? Hier bei uns? Ich weiß nicht, die

Mark liegt ziemlich hoch im Gebirge. Ein Pelzbeißer findet hier nicht viel,

was er fressen kann, und würde wohl ziemlich hungrig bleiben. Oder aber in

seinem Hunger eine der Herden anfallen und danach ein rasches Ende finden,

denn die Herdenwächter sind nicht zimperlich.«

»Vielleicht ein alter Einzelgänger, der aus den tiefen Marken zu uns

hochkam und hungrig genug war, um einen Mann anzufallen.«

Lukan grinste. »Stellt den jungen Parem auf die Probe und nicht mich,

mein alter Freund. Ihr seht selbst, dass hier nur kleine Aasfresser ihr Werk

verrichtet haben. Ein hungriger Pelzbeißer hätte sich einen ordentlichen

Happen genommen.«

Lukan sah seinen stämmigen Freund kopfschüttelnd an und zupfte dann an

den Überresten der Kleidung des Toten. Der faulige Gestank verstärkte sich

noch, als er dessen Bekleidung schließlich mit dem Dolch zerschnitt und

auseinanderzog. Unter Harnisch und Wams war der Körper bereits

aufgedunsen und sichtlich in Verwesung übergegangen. Aber die vielen tiefen

Schlitze im Leib waren dennoch gut zu erkennen. Es gab jeweils vier tiefe

Furchen, die bis zu den Organen vorgedrungen waren.

Lukan hielt eine Hand mit gespreizten Fingern über die Wunden und

nickte dann. »Sieht wirklich nach einem Pelzbeißer aus. Ein sehr großes

Exemplar. Jedenfalls sehe ich nichts, was auf Schwert, Pfeil oder Lanze

hindeutet. Nein, ich denke, es muss wohl doch ein Raubtier gewesen sein.«

»Jedenfalls werden wir nun wohl schwerlich erfahren, was der arme Kerl

bei uns wollte.« Kormund erhob sich und trat mit seinem Freund zur Seite,

um dem Gestank etwas auszuweichen. »Ein Pferdelord des Königs. Seit über

dreißig Jahren ist kein Mann des Königs mehr in der Hochmark gewesen.«

»Mit Sicherheit kam er nicht ohne Grund. Doch darüber mag sich der

Pferdefürst den Kopf zerbrechen.« Lukan stieß seinen Dolch einige Male in

den Boden, um ihn zu säubern, und steckte ihn danach wieder in die Scheide

an seinem Gürtel zurück. »Was meint Ihr, Kormund, mein Freund, soll die

Schar weiter an der Grenze entlangreiten, oder sollen wir vorzeitig nach

Eternas zurückkehren?«

»Wir suchen nach Raubzeug und Eindringlingen, Lukan. In der letzten Zeit

sind zu viele Wolltiere gerissen worden. Die Menschen in den Gehöften

und Weilern sind unruhig. Vielleicht ist es dieser Pelzbeißer, der all das

verursacht hat, und wir sind ihm nun endlich auf der Spur.«

»Fünf oder sechs Tage. Eine recht kalte Spur, alter Freund.«

Kormund zuckte die Achseln. Er sah die anderen Reiter an. »Wir sehen

uns erst einmal hier um, ob wir in der Nähe noch andere Spuren finden.

Achtet auf den Krallenabdruck eines Pelzbeißers.« Er blickte zu der Leiche

hinüber. »Und begrabt den Mann in Ehren.«

Natürlich war es Parem, der noch unerfahrene Pferdelord, dem die

undankbare Aufgabe zufiel, ein Grab vorzubereiten. Er saß mit den anderen

Männern ab und zog seinen Dolch, um am Rand des Pfades eine flache Grube

auszuheben, die man danach mit Steinen bedecken würde. Der Rest der Schar

schwärmte aus und suchte nach Spuren. Aber der Boden war hart und steinig,

sodass es nicht leicht war, etwas zu finden. Doch das waren die Männer der

Hochmark gewohnt, und sie brauchten nicht viel, um Hinweise zu finden. Ein

Stein, der umgedreht worden war und dessen mit Moos bewachsene Seite

nach oben zeigte, ein paar helle Kratzer auf den Felsen, vielleicht sogar ein

Abdruck an den wenigen weichen Stellen im Boden … Wenn es etwas gab,

würden es die erfahrenen Männer auch finden. Es war ihre Aufgabe, denn die

Wolltiere stellten den Reichtum der Hochmark dar. Die Wolltiere und das Erz, das man hier reichlich fand. Aber Erz konnte man nicht essen, und der Verlust

von Wolltieren bedeutete eine große Gefahr. Nein, die Männer nahmen ihre

Aufgabe ernst.

Der schlaksige junge Parem, dessen rotblonde Haare unter dem Rand

seines Helmes herausschauten, hatte mittlerweile eine flache Grube fertig

ausgehoben und blickte angewidert, als ihm nun auch noch die unangenehme

Aufgabe zufiel, die Leiche dorthin zu schaffen. Kormund sah zu ihm hinüber

und verzog das Gesicht. Doch er konnte dem jungen Mann keinen ernsthaften

Vorwurf machen. Also ging er zu Parem hinüber, um ihm zu helfen.

»Ich weiß, es ist keine angenehme Pflicht«, knurrte er und packte mit an.

»Aber ein Pferdelord verdient auch im Tode eine ehrenvolle Behandlung.

Keiner der Unseren bleibt für das Raubzeug liegen. Atme stärker durch den

Mund ein, das macht es etwas leichter.«

Sie legten die Leiche in die flache Grube, und Kormund war erleichtert, als

ihnen dies auf Anhieb gelang. Er hatte schon anderes erlebt. Damals, als es

noch Kämpfe und große Schlachten gegen den Feind gegeben hatte, hatte

man für manchen Toten mehrere Handreichungen machen müssen. Sie

hüllten die Leiche notdürftig in den zerfetzten grünen Umhang mit dem

goldenen Saum der königlichen Wache ein. Der Scharführer sah Parem

zögern. »Was ist?«

»Seine Waffe«, murmelte der junge Pferdelord verwirrt. »Ich kann keine

Waffe finden. Wir müssen ihm doch seine Waffe in die Hand geben, nicht

wahr? So will es doch die Tradition.«

Kormund fluchte unterdrückt. Warum war ihm das nicht aufgefallen? Ihm

als altem Krieger und erfahrenem Pferdelord hätte dies sofort auffallen

müssen. Wo waren die Waffen des Toten? Kein Pferdelord ging ohne Waffen

durchs Leben, und kein Pferdelord ging ohne Waffen zu den Goldenen

Wolken. Wo waren die Waffen?

Kormund richtete sich auf und erhob seine Stimme. »Seine Waffen fehlen!

Lukan, wie weit kann einem Mann im Kampf ein Schwert aus der Hand

geschleudert werden?«

»Vier, vielleicht auch fünf Längen«, kam Lukans Antwort.

»Dann sucht auf zehn Längen um die Fundstelle herum«, rief Kormund.

»Seine Waffen müssen zu finden sein. Zumindest eine Waffe.«

Denn wenigstens eine Waffe mussten sie dem Toten in die Hand geben,

damit er als Pferdelord ehrenvoll zwischen den Goldenen Wolken

voranstürmen konnte. Also begannen die Männer nach dem Schwert, der

Lanze oder dem Bogen des Mannes zu suchen. Doch sie fanden nicht einmal

seinen Dolch. Nach einer Weile erfolglosen Suchens rief Kormund die

Männer zu sich zurück.

»Kein Raubtier entwendet Waffen«, knurrte Lukan grimmig. »Also muss

jemand vorbeigekommen sein und sie dem Toten abgenommen haben.«

»Und wer es auch war, dieser Jemand war kein Pferdelord, denn kein

Pferdelord würde einem Toten jemals die Waffe nehmen«, bestätigte

Kormund mit finsterem Gesicht. »Ein Dieb ist in der Hochmark. Vielleicht

ein Geächteter oder Plünderer aus den fernen Ländern.«

»Oder Orks«, wandte Parem ein.

Lukan musterte den jungen Reiter auflachend. »Orks. Seit einem

Menschenalter sind keine Orks mehr in die Marken des Königs eingedrungen.

Wer von euch, außer Kormund und mir, hat denn überhaupt schon einmal

einen Ork zu Gesicht bekommen?« Lukan spuckte aus. »Orks. Vor vielen

Jahren haben wir sie niedergeritten, und wir taten es ruhmreich. Nie wieder

werden Orks das Land der Pferdelords beschmutzen. Sie gehören ins Land

der Sage.«

»Wie die Elfen«, knurrte ein anderer Reiter.

»Das ist etwas anderes«, erwiderte Lukan. »Elfen gibt es noch.« Er zuckte

die Achseln. »Sagt man jedenfalls«, schränkte er ein. »Irgendwo in den

westlichen Landen und im Norden. Der Pferdefürst selbst hat einst einige von

ihnen am Hofe des Pferdekönigs gesehen. Nein, Elfen gibt es noch. Aber

Orks? Unsere Klingen haben sie in die Flucht geschlagen, und die Hufe

unserer Pferde haben sie in den Boden gestampft.«

»Das ist wohl wahr«, sagte Kormund leise. »Dennoch mag es noch welche

geben. Aber sie würden es nicht wagen, jemals wieder unser Land zu

betreten. Doch es gibt mehr als genug Söldner, Plünderer und Barbaren, die

auf dem Raubzug sein könnten. Hinter dem Tod des Mannes vom Hofe des

Königs scheint mir mehr zu stecken, als ich zunächst gedacht habe.« Der

Scharführer reckte sich nachdenklich. »Auch wenn es nur eine kleine

Handvoll Eindringlinge sein mag, so bilden sie doch für die abgelegenen

Gehöfte eine Gefahr. Der Pferdefürst muss davon erfahren.«

»Also kehren wir nach Eternas zurück«, stellte Lukan fest.

Kormund nickte. »Das tun wir.« Er blickte auf das unvollendete Grab.

»Zunächst erweisen wir jedoch dem Toten unsere Ehre.«

Sie traten an das offene Grab heran und blickten sich dann zögernd an. Sie

wussten, was zu tun war, doch kein Pferdelord gab gerne seine Waffe aus der

Hand. Schließlich stieß Kormund ein leises Knurren aus. Er konnte von

seinen Männern nicht erwarten, was er selbst nicht zu vollbringen bereit war.

Mit einem leisen Zischen fuhr die Klinge seines Schwertes aus der Scheide,

und er bückte sich, um die Hand des Toten um den Griff der Waffe drücken

zu können.

Lukan legte seinem Freund die Hand auf die Schulter. »Wohl getan, mein

alter Freund.«

Kormund seufzte leise. »Es gibt noch viele andere gute Klingen. Die

Hochmark ist reich an Erzen, und dieser Mann muss Ehre haben.«

Sie sprachen die rituellen Worte, zu denen sie ihre Toten in die Goldenen

Wolken entließen, und schichteten im Anschluss daran sofort mehrere Steine

über die Leiche, damit kein Raubtier sie schänden konnte. Danach standen sie

in Linie an dem einsamen Grab und schlugen ihre Waffen im Takt eines

galoppierenden Pferdes an die Rundschilde. So begleitete der symbolische

Hufschlag den Ritt des Toten zu den Goldenen Wolken.

Kormund zog seine Lanze mit dem flatternden dreieckigen Wimpel aus

dem Boden, trat an die linke Seite seines Pferdes und saß auf. Routiniert

schob er den rechten Schenkel hinter den grünen Rundschild und stellte die

Lanze in den eisernen Köcher am Steigbügel. Er wandte sich den anderen

Männern zu.

»Nach Eternas.«

Kormund ritt an, und die anderen folgten dem flatternden Wimpel. Hinter

ihnen blieb das einsame Grab zurück, das den Scharführer zunehmend

beschäftigte. Es ging etwas vor sich in der Hochmark, und dieses Etwas gefiel

ihm nicht.