Sky-Navy 01: Die letzte Schlacht

Text
Aus der Reihe: Sky-Navy #1
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Sky-Navy 01: Die letzte Schlacht
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Michael Schenk

Sky-Navy 01: Die letzte Schlacht

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1 Der lange Flug

Kapitel 2 Ein Heim im Nichts

Kapitel 3 Die Beobachter

Kapitel 4 Einsatzorder

Kapitel 5 Korrektur

Kapitel 6 Boten der Vergangenheit

Kapitel 7 Kontakt

Kapitel 8 Spuren des Verfalls

Kapitel 9 Mobilmachungen

Kapitel 10 Feindseligkeiten

Kapitel 11 Innere Kämpfe

Kapitel 12 Dilemma

Kapitel 13 Ohne jede Rücksicht

Kapitel 14 Ums nackte Überleben

Kapitel 15 Entscheidungen

Kapitel 16 In bester Tradition

Kapitel 17 Das Ende eines Krieges

Impressum neobooks

Kapitel 1 Der lange Flug

Koloniales Schlachtschiff C.S. Thunderstrike, im freien Raum, 36,2 Lichtjahre von Sol entfernt

Eine Hochleistungselektronik war nicht dafür programmiert Sorge zu empfinden. Dennoch konnte man das Verhalten von Command-One durchaus als besorgt bezeichnen. Das Wartungsprogramm des Schiffes war durchgelaufen und zeigte weitere Schäden an. Jetzt lief das Überwachungsprogramm der Kryo-Schlafkammern und immer mehr der ursprünglich grün leuchtenden Dioden wechselten zu einem besorgniserregenden Gelb. Viel zu viele glommen Rot und zeugten vom Tod der Kälteschläfer. Auch die Berichte der übrigen Schiffe der Flotte zeigten zunehmende Ausfälle.

„Hüllenbruch auf Deck Zwölf, zwischen Spant Sechs und Spant Sieben. Atmosphäreverlust. Versiegelung nicht möglich“, erschien auf dem Monitor, der für einen menschlichen Beobachter vorgesehen war. Es war die Meldung eines der Wartungsroboter.

„Abschottung von Sektion Fünf auf Deck Zwölf vornehmen“, konnte man darunter die Befehlszeile des Kommandogehirns lesen. „Versorgungseinrichtungen zu Sektion Fünf stilllegen. Bypass der Versorgungsleitungen zu Kryo-Kammern der Sektion Sechs installieren und aktivieren, wenn bereit.“

Die Verbindung zum Kreuzer New Caledonia war abgebrochen. Vielleicht war die Antennenanlage durch einen Meteoriteneinschlag zerstört worden. Möglicherweise war es ein Defekt an den Kommunikationseinrichtungen. Im schlimmsten Fall gab es einen Teilausfall des dortigen Kommandogehirns. Solange die Flotte den gleichen Kurs und die gleiche Geschwindigkeit beibehielt, war das nicht zu ermitteln. Erst wenn der Kreuzer die nächste Kurskorrektur nicht mitmachte stand fest, dass war sein Steuerhirn defekt und das Schiff wohl unwiederbringlich verloren war.

Der ursprünglichen Planung nach hätte der Flug, mithilfe des Cherkov-Überlichttriebwerks, nur wenig mehr als sieben Jahre dauern sollen. Es sollte ein Überraschungsangriff auf die solare Föderation werden. Aus einer Richtung, die der Feind nicht erwartete, und mit einer übermächtigen Flotte, die jeden Widerstand hinwegfegen würde.

Dann war es ausgerechnet auf dem Flaggschiff C.S. Thunderstrike zu einem Schaden am Überlichttriebwerk gekommen. Der Cherkov brachte nur noch einen Teil seiner Leistung und die Flugdauer würde nun insgesamt 142 Jahre betragen. Der Hochleistungselektronik Command-One, welche die koloniale Flotte befehligte, blieb jedoch keine andere Wahl, als der Basisprogrammierung zu folgen und die drei Hauptdirektiven zu beachten. Da die Flotte mit voller Kampfkraft am Ziel eintreffen sollte, bestimmte das langsamste Schiff die Geschwindigkeit. Diese Direktive hätte nur von einem Kommandooffizier geändert werden können. Die Besatzungen durften jedoch erst am Ziel oder bei Sichtung eines feindlichen Raumschiffes geweckt werden.

Natürlich gab es ein menschliches Element oder es hatte dieses zumindest gegeben. Eine kleine Wachmannschaft von sieben Besatzungsmitgliedern, welche im Notfall einschreiten und die erforderlichen Entscheidungen treffen sollte. Der Einschlag eines kleinen Meteoriten hatte sechs dieser Leben ausgelöscht. Der einzige Überlebende war nun ein Greis, dessen Körper wie die Schiffe zerfiel, und dessen Geist verwirrt war. Das Steuergehirn hätte seinen Anweisungen dennoch gehorcht, sofern sie den drei Hauptdirektiven nicht widersprachen, doch der Mann schien sich nicht daran zu erinnern, was seine Aufgabe und die der Flotte war. Nach so vielen Jahren der Einsamkeit war dies wohl auch nicht verwunderlich.

Wie üblich übermittelte das Kommandogehirn den Situationsbericht an jenen Raum, in dem sich der letzte Überlebende der Wachmannschaft aufhielt. Die Sensoren zeigten, dass er sich im Wachzustand befand und die Meldung hören konnte. Command-One musste sie dreimal wiederholen, bevor der Mensch reagierte. Es war eine Folge von unverständlichen Lauten und zusammenhanglosem Gestammel, bis die greisenhafte Stimme verständliche Worte bildete. „Kein Besuch? Ich bekomme nie Besuch. Ich will Besuch, hörst du?“

Command-One konnte damit nichts anfangen. Es hatte keine andere Wahl, als seiner Programmierung zu folgen. So tat die Hochleistungselektronik alles, um die Schäden an und in den Schiffen, so gut als möglich, zu minimieren, und die Schläfer und den Greis am Leben zu erhalten.

Der Plan sah vor, einen endgültigen Vernichtungsschlag gegen die solare Föderation zu führen. Das riesige Geschütz auf dem Oberdeck der Thunderstrike bezeichnete man nicht umsonst als Planetenkiller. Die Flotte folgte nur einem einzigen Zweck: In einem Krieg zu siegen, der schon lange beendet war.

Kapitel 2 Ein Heim im Nichts

Direktorats-Flottenbasis Arantes, Stützpunkt der Sky-Navy, im hohen Orbit um Arantes II, 76 Lichtjahre von Sol entfernt

Sub-Admiral Helena Tareschkova saß in dem bequemen Drehsessel vor ihrem Schreibtisch und betrachtete die dreidimensionale Projektion der Basis, die über der Schreibunterlage zu schweben schien. Gelegentlich strich sich unmerklich mit der Fingerkuppe über ihre linke Schläfe und die Ansicht wurde gewechselt oder ein Detail hervorgehoben. Wie nahezu alle Angehörigen der Sky-Navy oder der Sky-Cavalry trug sie das sogenannte Implant, ein tetronisches Implantat, welches Biosensor, Kommunikator und Steuergerät miteinander verband, und, nach Berührung an der Schläfe, durch die Hirnimpulse seines Besitzers oder dessen Stimme gesteuert wurde.

Die Projektion sank in sich zusammen und Helena erhob sich, um an die große Panoramascheibe aus Klarstahl zu treten, die eine ganze Seite ihres Arbeitsraumes einnahm. Unter ihr drehte sich Arantes II behäbig um seine Achse. Eine Welt, die mit ihren Kontinenten und Wasserflächen förmlich zum besiedeln einlud, zumal die Atmosphäre atembar war. Dennoch war diese schöne Welt für den Menschen eine tödliche Falle, denn aufgrund des viel zu niedrigen Luftdrucks war ein Überleben auf der Oberfläche nur mit Schutzanzügen möglich. Doch die Menschheit hatte Erfahrung mit solchen Welten. Nachdem man die Erde, wegen Umweltzerstörung und Raubbau, hatte aufgeben müssen, war der Mars zu einer lebenswerten Welt terraformiert worden. Er war nun die Hauptwelt des solaren Systems. Während sich die Erde von ihren einstigen Bewohnern erholte, besiedelte die Menschheit, dank des neuen Nullzeit-Sturzantriebs, immer mehr entfernte Sonnensysteme.

Es war heller Tag auf jenem Teil der Planetenoberfläche, den Helena Tareschkova sehen konnte. Sie beobachtete lächelnd einen kleinen schwarzen Punkt, der über den Boden von Arantes II zu kriechen schien. Es war der Schatten der Basis, die zu einem dritten Mond geworden war.

Helena hatte mit siebzig Jahren erst die Mitte ihrer zu erwartenden Lebensspanne erreicht und war mit nur 210 Zentimetern Körperlänge einen guten Kopf kleiner, als ihre durchschnittlichen Zeitgenossen. Sie war selbst überrascht, wie schnell sie bei der Marine des Direktorats Karriere gemacht hatte. Immerhin war sie bereits Sub-Admiral und befehligte eine neue Basis der Sky-Navy, auch wenn diese nicht so bedeutend sein mochte, wie die Hauptstützpunkte von Mars, Arcturus und Riegel. Der neue Stützpunkt war ein deutliches Zeichen dafür, dass sich die Menschheit immer weiter in den Weltraum hinaus ausbreitete.

Helena trug einen schlichten Bord-Overall der Sky-Navy. Ein schlichter Einteiler im typischen Graublau der Direktoratstruppen. Am rechten Oberarm befand sich das kreisrunde Abzeichen der Navy. Es zeigte einen Kreuzer, der sich, vor dem Hintergrund eines Sternenhimmels, hinter einer Wolke hervor schob. Es symbolisierte den Anspruch, dass alles, was sich vom Boden eines Planeten erhob, eine Angelegenheit der Navy sei. Helenas Rang wurde durch einen kleinen Stern deutlich, der sich auf der linken einzigen Schulterklappe befand. Natürlich war die offizielle Dienstuniform wesentlich beeindruckender, doch die Offizierin bevorzugte den bequemeren Arbeitsdress.

 

Helena wandte sich von der Panoramascheibe ab und warf einen nachdenklichen Blick über ihren Arbeitsraum. Tri-Stahl und der transparente Klarstahl dominierten. Ein paar Sitzmöbel, die mit dem Leder von Marsrindern bezogen waren. Ihr Arbeitstisch und ein altmodisch wirkendes Regal aus echtem Holz, in dem sich ein paar Erinnerungsstücke aus ihrem bisherigen Leben befanden. An einer Wand die gerahmten Urkunden von der Navy-Academy auf dem Mars, ihr Patent als Captain eines Kreuzers, die Ernennung zum Sub-Admiral, von Hoch-Admiral Redfeather persönlich unterzeichnet. Alles wirkte eher kühl und nüchtern, daran änderten auch die beiden großen Kübelpflanzen und die indirekte Beleuchtung nichts. Hinter diesem Raum befanden sich der Hygienebereich und ihre persönliche Schlafkammer.

Helena Tareschkova seufzte leise. Dies war auf absehbare Zeit ihr Zuhause. Ein Heim im kalten Nichts des Weltraums. Ein Heim, welches kaum Gemütlichkeit ausstrahlte und viel Arbeit versprach, denn die Basis Arantes war gerade erst dabei, ihren Dienst aufzunehmen.

Der Flottenstützpunkt war in nur zwei Jahren fertiggestellt worden. Eine enorme Leistung, wenn man bedachte, dass er einem flachen Diskus von zehn Kilometern Durchmesser und drei Kilometern Höhe entsprach, aus dessen Naben nochmals die dreihundert Meter hohen Türme mit den großen Kugelaufbauten der Sensoren und Waffenstationen empor ragten.

Die Außenhülle, Decks und Wände zu errichten, war relativ einfach gewesen. Man hatte ein Skelett aus Tri-Stahl-Trägern montiert und den Rest mithilfe von Bauschaum errichtet. Der universelle Bauschaum war schon vor Jahrhunderten auf der Erde entwickelt worden. Ausgehärtet erhielt er die Festigkeit von Stahl, isolierte vor Temperaturschwankungen, war strahlungsabsorbierend und, vor allem, einfach herzustellen und billig. Er ließ sich mit speziellen Bohrern und Lasern bearbeiten, und wurde genutzt, um Gebäude und Raumschiffrümpfe herzustellen. Sicherlich hätte sogar die Sky-Cavalry ihn gerne genutzt, um ihre Landungsboote daraus zu bauen, aber der Gluthitze beim raschen Eintritt in eine Atmosphäre hielt das Material, bei all seinen Vorzügen, nicht stand.

Rund um den Äquator der Basis zogen sich die Pylone, an denen die Schiffe andockten. Dort befanden sich auch die Hauptschleusen, die in die Basis hinein führten. Die zwei Decks der Äquatorebene waren den Depots und Lagern vorbehalten, um die Wege für die Be- und Entladung kurz zu halten. Über und unter diesen beiden Ebenen lagen die Wälder. Richtige Wälder mit lebenden Bäumen, Tieren und Insekten sowie einem eigenen Wasserkreislauf. Mit einer Kreisfläche von fast zehn Kilometern Durchmesser und knapp hundert Metern Höhe würden sie in wenigen Jahren in der Lage sein, die Basis auf natürlichem Weg mit Atemluft zu versorgen. Der übrige Raum der riesigen Konstruktion enthielt Quartiere, Werkstätten, logistische Bereiche, Büros, Freizeiträume und all jene Dinge, die zum Betrieb einer großen Station erforderlich waren oder der Bequemlichkeit der Besatzung und Besucher dienten.

Das Implant in ihrer Schläfe strahlte eine unmerkliche Vibration aus. Als Helena es aktivierte hörte sie die Stimme der diensthabenden Kommunikations-Offizierin. „Ma´am? Hoch-Koordinator Sung-Li und Major Grantner bitten um Einlass.“

Normalerweise hätte sich jeder der beiden über das Implant direkt mit ihr in Verbindung setzen können, doch Helena hatte es auf Privatmodus geschaltet und nur den Kanal zur Kommunikationszentrale offen gelassen. „Sollen eintreten.“ Sie berührte ihr Implant nochmals. „Raumbeleuchtung auf zwanzig Prozent, Beleuchtung Arbeitsgruppe auf sechzig Prozent.“

Die tetronische Steuerung des Raumes reagierte prompt. Während der größte Teil in Dämmerung versank, wurden Helenas Schreibtisch und die dazugehörenden Sitzgelegenheiten ausgeleuchtet, als würden sie von einem Spot angestrahlt.

Nur Augenblicke später traten die angekündigten Besucher ein.

Sung-Li gehörte, wie alles Personal auf der Basis, zum Militär. Als Koordinator der wissenschaftlichen und technischen Bereiche nahm er sich, wie die meisten Forscher, jedoch das Recht heraus zivile Kleidung zu tragen. Schmale Schuhe mit weit zurückgebogenen Spitzen, eine knielange weite Hose und eine eng geschnittene Toga, mit einem bunten Cape, welches die Hälfte des Rückens bedeckte.

Major Jochen Grantner trug hingegen die formelle Uniform der Direktoratstruppen. Graublaue Hose und dunkelgrüne Jacke, dazu ein hellgraues Barett. Die halbhohen schwarzen Stiefel, die gelben Schulterklappen und das gelbe Schweißleder der Kopfbedeckung ließen keinen Zweifel über die Zugehörigkeit zur Sky-Cavalry. Am Barett war das gelbe Wappenschild mit dem weißen geflügelten Pferd der Raumkavallerie befestigt.

Während sich Sung-Li stets betont leger gab, wirkte Grantner eher steif und formell. Helena hatte allerdings erkannt, dass dies nicht dem Wesen des Majors entsprach. Grantner war kein Stabsoffizier und hatte an mehreren Kampfeinsätzen teilgenommen. Er war ein harter Brocken, der seinen Troopern nichts abverlangte, was er selbst nicht leisten konnte. Doch hier auf Arantes war er kein Kampfoffizier mehr, sondern der Kommandeur eines Bataillons der Sky-Cav. Für einen Kavalleristen war es einfacher, Befehle zu befolgen, als sie zu erteilen. Grantner hatte sich noch nicht ganz damit angefreundet, nun für die Truppen eines ganzen Raumsektors verantwortlich zu sein.

„Wir haben unsere Inspektionsrunde abgeschlossen“, eröffnete Sung-Li. Der Marsianer mit chinesischen Wurzeln deutete über die leere Arbeitsfläche des Schreibtisches. „Geben Sie die Projektion frei, Sub-Admiral?“

Der Hoch-Koordinator verfügte ebenfalls über ein Implant, aber er bevorzugte den tragbaren MiniComp an seinem Handgelenk. Die leistungsstarke Tetronik erlaubte komplizierte Berechnungen, umfangreiche Datenübertragungen und verfügte über eine hohe Speicherkapazität. Als die holografische Projektion der Basis über der Schreibfläche erschien, hob Sung-Li nacheinander einige der Bereiche hervor.

„Ich habe nun die wöchentliche Inspektion der Basis abgeschlossen“, eröffnete der Hoch-Koordinator und ignorierte dabei das Stirnrunzeln von Grantner. „Ich habe einige Dinge notiert, die mit Priorität behandelt werden sollten.“ Sung-Li vergrößerte die Projektion der beiden Wälder. „Die Wälder wurden vor zwei Jahren gepflanzt und der Wuchs der Bäume lässt natürlich noch zu wünschen übrig. Derzeit sind sie nicht in der Lage die Luftversorgung auf natürlichem Wege zu gewährleisten. Vielleicht in zwei oder drei Jahren, doch bis dahin wird man auf die Leistungen der hydroponischen Pflanzungen angewiesen sein.“

Das war abzusehen und Helena Tareschkova fragte sich, warum der Mann dies überhaupt erwähnte. Er schien allerdings zu jenen zu gehören, die sich selber gerne reden hörten.

„Die Shriever-Platten auf den Decks 25 bis 37 funktionieren noch nicht richtig“, fuhr Sung-Li fort. „Die Stromversorgung schwankt und wir haben wechselnde Schwerkraftverhältnisse. Vermutlich hat ein dilettantischer Tech die tetronische Steuerung fehlerhaft programmiert.“

Helena machte sich eine gedankliche Notiz. Das war ein Problem, denn mit der Shriever-Technologie ließ sich künstliche Schwerkraft erzeugen. Nicht nur das. Die Polung der Shriever-Platten ermöglichte es auch, den Andruck beim Beschleunigen oder Abbremsen von Raumschiffen zu neutralisieren oder zumindest auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Trotz aller Versuche war es bislang nicht gelungen, auch ein Gerät zur Aufhebung von Schwerkraft zu entwickeln. Man suchte angestrengt nach einem Weg, da dies auch großen Raumschiffen eine Planetenlandung ermöglichen würde. „Ich gehe davon aus, Hoch-Koordinator, dass Sie dafür sorgen, dass die Sache schnell bereinigt wird.“

„Selbstverständlich, Sub-Admiral. Ich bin mir meiner Pflichten absolut bewusst.“ Sung-Li hob einen der schlanken Türme hervor, der aus der oberen Nabe der Basis empor ragte. „Die Tiefenraum-Scanner des oberen Erfassungsbereiches sind nicht sauber kalibriert. Die überlichtschnellen Taster erhalten gelegentlich Doppelbilder. Obwohl die einzelnen Komponenten des Systems ausgetauscht wurden, lässt sich das Problem nicht beheben. Ich bin überzeugt, dass die Mars Tectronics Company eine fehlerhafte Bauteilserie produziert hat.“

„Gut. Dann werde ich nicht nur neue Systemkomponenten anfordern, sondern auch ein Tech-Team von Mars Tectronics“, erwiderte Helena. „Wenn die Mist gebaut haben, sollen sie auch selber sehen, wie sie das wieder hinbiegen. Es ist nicht akzeptabel wenn unsere Ortungseinrichtungen oder die Langstreckenkommunikation nicht funktionieren.“

„Was ist mit dem neuen Hiromata-Taster?“, warf Major Grantner ein.

„Er ist noch nicht ganz Einsatzfähig“, antwortete Sung-Li und errötete ein wenig, da er mit einem kleinen Team persönlich für den Einbau des neuen Ortungsgerätes verantwortlich war. Dass es noch nicht funktionierte kam für ihn einem persönlichen Versagen gleich. „Es, äh, liegt an den Hiromata-Kristallen. Sie sind selten und nicht immer von guter Qualität.“

Kurz vor Ausbruch des kolonialen Krieges, der vor über 140 Jahren beendet worden war, gelang es dem japanischen Professor Hiromata, mithilfe der nach ihm benannten Kristalle ein Nullzeit-Kommunikationssystem zu entwickeln. Selbst der geniale Professor konnte nicht begründen, wie es genau funktionierte, aber Funkwellen, die durch den Kristall geleitet wurden, erreichten ihren Bestimmungsort ohne jeden Zeitverlust. Ein Wermutstropfen war dabei, dass man bislang keine bewegten Bilder und Sprache übertragen konnte, sondern lediglich kurze oder lange Impulse. So nutzte man das uralte Morse-Alphabet, um sich in Nullzeit mit den entferntesten Schiffen oder Stationen austauschen zu können. In der „nassen Schifffahrt“ hatte man solche Funkverbindungen als „Krachfunk“ bezeichnet und diesen Namen für den Nullzeit-Funk übernommen. Immerhin konnte man ohne Zeitverlust mit Raumschiffen kommunizieren, die ihrerseits jedoch lange Zeit unterwegs waren.

Dann war es, vor kaum fünf Jahren, nach intensiver Forschung gelungen, die seltenen Hiromata-Kristalle auch mit einem Raumantrieb zu kombinieren. Nun konnte ein Raumschiff, nachdem es acht Stunden die Hiromata-Kristalle aufgeladen hatte, ohne Zeitverlust, im sogenannten Nullzeit-Sturz, praktisch jeden beliebigen Ort in der Galaxis erreichen. Neuerdings gab es Versuche, die Kristalle auch für ein Ortungssystem zu nutzen, dass ähnlich dem klassischen Radar funktionierte, aber natürlich ohne Zeitverlust arbeitete.

Grantner nickte. „Es gibt einfach zu wenige Kristalle. Bedauerlicherweise kann man sie nicht künstlich herstellen. Es sind überall Prospektoren unterwegs, die nach Hiromata-Vorkommen suchen, aber die Ausbeute ist gering. Es gibt nicht genug, um den Bedarf zu decken. Krachfunk, Antriebe und jetzt das neue Ortungssystem… Die meisten Raumschiffe müssen noch immer den lahmen Überlichtantrieb benutzen.“

„Wir können froh sein, dass der Hohe Senat des Direktorats die vorhandenen Bestände kontrolliert und zuteilt.“ Helena lächelte schwach. „Andernfalls würde die Navy kaum etwas für ihre Schiffe bekommen und die Kommerziellen würden alles nutzen, um ihren interstellaren Handel voranzutreiben.“

„Handel bedeutet Wachstum“, warf Sung-Li ein. „Und dank des Hiromata werden jetzt weitere Kolonien im Weltraum entstehen.“

„Ich hoffe, dass das nicht zu einem weiteren Krieg führt“, knurrte der Major.

Vor mehr als zweihundert Jahren hatte man die Erde aufgrund der Umweltzerstörung und des Raubbaus ihrer Ressourcen, aufgeben müssen. Mit zehn gewaltigen Archen und einer Vielzahl von kleinen Raumbooten war es gelungen, die Menschheit auf den Mars zu evakuieren. Inzwischen erholte sich die Erde von ihren einstigen Ausbeutern, aber der Hohe Senat des Mars untersagte eine erneute Besiedlung. Nach der Besiedlung des bewohnbar gemachten Mars hatte sich die Menschheit auf verschiedenen Stationen im Sonnensystem und einige außersolare Welten ausgebreitet, wo sie ihre Kolonien gründete. Es gab nur begrenzten Handel, da eine Reise zwischen den Sonnensystemen, trotz des Überlichtantriebes, Monate und Jahre dauerte. So blieb nur ein loser Kontakt zwischen den Menschen im solaren System und denen der Kolonien.

 

Dennoch beharrte die Regierung auf dem Mars, dass alle Menschen zur sogenannten Mars-Föderation gehörten und verlangte, dass die Kolonien Steuern entrichteten. Als einige jeglichen Tribut ablehnten, versuchte die Föderation die Zahlung zu erzwingen. Drei Schiffe machten sich auf die lange Reise, um die Abgaben einzufordern, und trafen auf den erbitterten Widerstand der Kolonisten.

Ein langer und seltsamer Krieg begann. Beide Seiten verfügten über keine wirklichen Kriegsschiffe. So wurden überlichtschnelle Frachter nachträglich bewaffnet, während Mars-Föderation und Koloniale damit begannen, richtige Kampfschiffe zu konstruieren und zu bauen. Eigentlich gab es keine klare Front zwischen den solaren Welten und den Kolonien. Es gab auch zwei Kolonialwelten, die zur Föderation standen, und keine festen Grenzen oder Stellungen. Niemand war in der Lage ein Sonnensystem wirksam gegen einen Angriff zu schützen, denn es gab keine Mauern, die ein Schiff aufhalten konnten. Taktische und strategische Planungen waren kompliziert, denn Angreifer benötigten lange Zeit, um ihr Ziel zu erreichen und die Verteidiger wiederum Zeit, um dem Angriff zu begegnen.

Der koloniale Krieg war, wie so viele andere Kriege auch, ein vollkommen sinnloses Unterfangen, bei dem Leben und Ressourcen vergeudet wurden, und den keine Partei wirklich gewinnen konnte.

Die Föderation entschloss sich schließlich zu einem Schlag, der ihr den Sieg und die Unterwerfung der Kolonien garantieren sollte. Jene zehn riesigen Archen, Giganten von zehn Kilometern Länge, welche einst der Evakuierung gedient hatten, wurden zu gewaltigen Trägerschlachtschiffen umgebaut. Sie erhielten als Hauptbewaffnung Geschütze mit denen man ein Geschoss auf relative Überlichtgeschwindigkeit beschleunigen konnte. Diese Waffen waren in der Lage einen ganzen Planeten zu vernichten. Sie sollten erstmals eingesetzt werden, um eine der Kolonialwelten exemplarisch auszulöschen.

Für die Soldaten der Mars-Föderation war es eine Sache, gegen ihre bewaffneten kolonialen Gegner anzutreten und eine ganz andere, wehrlose Männer, Frauen und Kinder zu ermorden. Auf dem Trägerschlachtschiff Gettysburg kam es zur Meuterei, der sich andere Besatzungen anschlossen. Koloniale und föderierte Schiffe vereinten sich zu einer gemeinsamen Flotte. Niemand konnte später genau sagen, wer ihr die Bezeichnung der Sky-Navy gab, aber eben jene Sky-Navy griff das Hauptquartier der Föderation auf dem Mars an. Die vereinten Bodentruppen, die Sky-Cavalry, stürmte die befestigte Anlage unter hohen Verlusten und beendet auf diese Weise den unseligen Krieg. Nicht umsonst wählte die Sky-Cav danach das Motto: „Wir beginnen keinen Krieg, aber wir beenden ihn“.

Aus dem Gemetzel des kolonialen Krieges war das gemeinsame Direktorat der Menschheit hervorgegangen. Der demokratisch gewählte Hohe Senat auf dem Mars setzte sich aus gleichberechtigten Vertretern aller Welten zusammen, auf denen die Menschheit siedelte. Die Sky-Navy garantierte den Frieden im Weltraum, so wie die Sky-Cavalry seitdem den Frieden auf den Welten gewährleistete. Das Direktorat bewährte sich inzwischen seit rund 140 Jahren. Nun, mit dem Nullzeit-Sturzantrieb, stand es vor neuen Herausforderungen.

„Ein zweiter kolonialer Krieg?“ Sung-Li lachte. „So ein Unsinn. Im Gegenteil, die Gefahr eines erneuten Krieges wird durch den Hiromata-Antrieb immer weiter sinken. Wer es will, der kann sich jetzt ein Raumschiff besorgen und sich seine eigene Welt suchen. Es geschieht doch schon. Immer mehr Gruppen machen sich auf den Weg, ihr eigenes Paradies zu finden.“

„Ich rede nicht unbedingt von einem zweiten kolonialen Krieg“, knurrte Grantner. Er deutete auf die große Panoramascheibe und Arantes II. „Verdammt, Sung-Li, wir sind nicht alleine da draußen. Wir sind auf das intelligente Volk der Hanari gestoßen. Glücklicherweise friedliebende Leute. Aber es wäre vermessen zu glauben, dass es nicht auch ein anderes Alien-Volk gibt, welches uns möglicherweise nicht so wohlgesonnen ist.“

Der Hoch-Koordinator stieß ein geringschätzendes Schnauben aus, doch Sub-Admiral Tareschkova pflichtete dem Major bei. Im Gegensatz zu ihren Gesprächspartnern war sie, da sie eine der drei Außenbasen des Direktorats befehligte, vom Oberbefehlshaber der Sky-Navy in einem persönlichen Gespräch über eine Tatsache informiert worden, die man geheim hielt: Die Sky-Navy unterhielt Kontakt zum Volk der Shanyar, auf deren Welt man durch Zufall gestoßen war. Die Aliens verfügten über reiche Vorkommen des kostbaren Hiromata-Kristalls. So hatte der Hohe Senat zugestimmt, die Existenz der Shanyar geheim zu halten, denn man wollte vermeiden, dass dieses Volk der Habgier der Menschen zum Opfer fiel.

Major Jochen Grantner schätzte die Geringschätzung nicht, mit der Sung-Li das Thema abtat. „Je schneller und unkontrollierter sich die Menschheit in den Raum ausbreitet, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, auf andere intelligente Aliens zu stoßen. Früher oder später sind wohl welche dabei, die uns nicht mit einem Lächeln begegnen. Es ist keine Frage des „Ob“, sondern eine Frage des „Wann“. Es wäre gut, wenn wir dann darauf vorbereitet sind.“

Sung-Li lächelte. „Dann wird Arantes wohl nur schlecht vorbereitet sind. Sicher, die Basis ist großzügig angelegt, doch, seien wir ehrlich, ihre personelle und materielle Ausstattung ist, äh, bescheiden. Keine Tausend Leute in einer Station, welche die zehnfache Zahl unterbringen und versorgen könnte. Und die Schiffe, die Ihnen unterstellt werden, Sub-Admiral,…“

„Fühlen Sie sich unterfordert, Hoch-Koordinator?“, fragte Helena scheinbar besorgt.

Sung-Li sah sie irritiert an. „Arantes ist eine Aufgabe, aber sicherlich keine Herausforderung für mich“, stellte er mit einem Blick fest, der seine Arroganz widerspiegelte.

Helena nickte bedächtig. „Ich bin der gleichen Meinung, verehrter Sung-Li. Als Hoch-Koordinator sind Sie auf Arantes sicherlich unterfordert. Es wäre wohl angemessen, Ihnen eine Aufgabe an einem anderen Ort zuzuweisen, der eher Ihrer hohen Qualifikation entspricht. Ich denke, ich werde das veranlassen und als Ersatz einen Sub-Koordinator anfordern, der Ihre Aufgaben hier sicherlich problemlos übernehmen kann.“

Während Sung-Li´s Gesicht rot anlief, konnte sich Grantner ein Grinsen nicht verkneifen und versuchte dies hinter vorgehaltener Hand zu verbergen. Er gönnte dem arroganten Kerl die Abfuhr und dachte bei sich „Treffer und versenkt“.

„Das… wird nicht erforderlich sein“, erwiderte der Hoch-Koordinator, der nun begriff, dass er zu weit gegangen war. „Möglicherweise habe ich mich ein wenig missverständlich ausgedrückt. Äh, alleine die Errichtung von Arantes beweist, dass man uns eine beachtenswerte Bedeutung beimisst.“

„Bislang gab es nur drei Navy-Basen inklusive der des Mars“, führte Helena an. „Alle drei bilden ein ungleichmäßiges Dreieck. Mit Arantes liegt Sol nun im relativen Mittelpunkt der außersolaren Haupt-Stützpunkte. Wir decken dabei einen Sektor ab, der bisher vernachlässigt wurde, der aber mit der sich ausweitenden Raumfahrt an Bedeutung gewinnt. Natürlich ist in unserem Zuständigkeitsbereich noch nicht viel los. Es sind erst ein paar Vermessungsschiffe und Prospektorenteams bei der Arbeit, aber ich bin mir sicher, dass es hier bald Schürfer und Abbaumissionen geben wird. Vielleicht sogar die ersten Kolonien. Sobald das der Fall ist, wird man uns auch mehr Schiffe zuteilen.“ Sie lächelte Grantner an. „Und mehr Truppen.“

Der Major erwiderte ihr Lächeln. „Darf ich fragen was uns das Sky-Command der Navy an Schiffen zubilligt?“

„Ich habe vorhin die vorläufige Liste von Hoch-Admiral Redfeather bekommen. Wir bekommen vier der neuen Kreuzer der APS-Klasse. Assault-Patrol-Ships, die sich bereits im Kampf gegen die schwarze Bruderschaft der Piraten bestens bewährt haben. Dazu acht der älteren Kreuzer und zwei Dutzend FLV-Landungsboote mit Hiromata-Antrieb.“

„Keinen Träger?“, hakte Grantner nach.

„Nein, kein Trägerschlachtschiff.“

Sung-Li verzog sein Gesicht zu einem spöttischen Lächeln, verzichtete jedoch auf einen Kommentar.

Helena warf ihm einen bösen Blick zu. „Es ist nicht erforderlich, einen Träger bei uns zu stationieren. Dank des Hiromata kann ein Trägerschlachtschiff jeden beliebigen Ort in acht Stunden erreichen. Es spielt also keine Rolle, von welcher Basis es startet.“

Der Oberkommandierende der Sky-Navy, Hoch-Admiral Redfeather, hatte dieses Argument genutzt und Helena musste es als Faktum anerkennen. Dennoch hätte sie selber gerne eines oder zwei der neun gewaltigen Schiffe auf Arantes stationiert gesehen.

Die einstigen Archen hatten eine wechselhafte Geschichte hinter sich. Nach der Evakuierung der Erde dienten sie als stationäre Wohnanlagen im Marsorbit oder wurden zu Verhüttungsfabriken umgebaut, die man im Asteroidengürtel einsetzte. Während des Krieges baute man sie zu Trägerschlachtschiffen um. Nach Friedensschluss wurden sie wieder stillgelegt, bis sie für die Rettungsaktion des Hanari-Volkes benötigt wurden. Jetzt, mit dem Nullzeit-Sturzantrieb, fanden die neun noch existierenden Riesen einen neuen Verwendungszweck: Innerhalb von acht Stunden konnte man jedes in Not geratene Raumschiff oder jede von einer Katastrophe betroffene Welt erreichen. Nun transportierten die Träger nicht nur militärisches Personal und Equipment, sondern Einsatzmittel zur Bekämpfung von nahezu jeder Art von Notsituation. Die Truppen an Bord verfügten über eine entsprechende zusätzliche Ausbildung und hatten sich schon bei manchem Rettungseinsatz bewährt.