Die Pferdelords 01 - Der Sturm der Orks

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Aus der Reihe: Die Pferdelords #1
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Kapitel 4

Die Sonne stand hoch am Himmel, und die Felsen warfen das Licht seltsam

gleißend zurück, sodass es unangenehm rasch blendete. Trotzdem war es

nicht heiß, denn der stete Wind der Hochmark brachte eine Linderung, die

Kormund als angenehm empfand. Sie ritten über einen der zahlreichen Pässe

der Hochmark in die Ebene von Eternas ein, und das Bild der Landschaft

verwandelte sich vor ihren Augen in ein saftiges Grün. Die Ebene, die in der

Mitte von einem Gebirgsfluss geteilt wurde, zog sich zwischen steil

aufragenden Bergen entlang, und wer die Fruchtbarkeit ihrer Weiden sah,

erkannte rasch, warum es sich hier gut leben ließ. Obwohl die Wolltierherden

die Weiden rasch abgrasten, wuchs ihr Gras schnell genug nach. Außerdem

war nahezu die gesamte Ebene von einem dichten Ring seltener

Gebirgswälder umgeben, die unter dem strengen Schutz des Pferdefürsten

Garodem standen. Um die Stadt selbst zog sich ein leuchtend gelber Gürtel

aus Getreidefeldern, deren Ernte kurz bevorstand. Man sah zahlreiche Männer

und Frauen, die sich zwischen den hoch aufragenden Halmen bewegten. Die

Ähren standen voll, und es würde wieder eine gute Ernte geben, denn der

Boden Eternas’ war fruchtbar.

Eternas war eine offene Stadt ohne Befestigungsanlagen, denn noch nie

hatte sich ein ernsthafter Feind bis hierher vorgewagt, und die Häuser der

Stadt wirkten durch ihre zwei- und dreigeschossige Bauweise und ihre

zahlreichen Schrägen und Winkel nahezu verspielt. An fast jedem Dachgiebel

waren die gekreuzten Pferdeköpfe, das Symbol des Landes der Pferdelords,

ausgearbeitet, und oft waren diese Verzierungen aus blankem Metall

geschmiedet. Der Reichtum der Hochmark zeigte sich in seinem

verschwenderisch wirkenden Umgang mit Metallen, und viele der Türen und

der Fensterrahmen waren aus geschmiedetem Eisen. Holz hingegen war

seltener zu sehen, und je mehr des kostbaren Rohstoffes an einem Haus

verarbeitet war, desto höher war die gesellschaftliche Stellung seines

Bewohners einzuschätzen. Ja, Stein und Metall dominierten das Bild von

Eternas, aber dennoch wirkte die Stadt nicht kalt. Pflanzen und Blumen

zierten fast jedes Haus, und die Freundlichkeit der Bewohner tat ein Übriges.

»Reitet langsam und blickt immer freundlich«, ermahnte Kormund seine

Männer. »Es gibt keinen Grund, die Leute zu beunruhigen.«

Er führte seine Schar die Hauptstraße entlang und wirkte dabei

vollkommen entspannt. Der Scharführer achtete darauf, dass sein grüner

Umhang die leere Scheide seines Schwertes verdeckte. Denn nachdem sich

kein Pferdelord jemals ohne triftigen Grund von seiner Klinge trennte, würde

es Fragen geben, sobald jemand die leere Lederhülle zu sehen bekäme.

Niemand sah ihm seine sorgenvollen Gedanken an, die immer mehr

zunahmen, je näher sie der Burg Eternas kamen, welche sich hinter der Stadt

erhob. Kormund kannte die Stadt des Pferdekönigs, deren überwiegend

hölzerne Bauten sich auf einem kegelförmigen Berg in einer ganz ähnlichen

Ebene erhoben, und er hatte auch dessen Fluchtburg gesehen, die in die

gewaltige Spalte eines steilen Berges hineingebaut worden war. Aber die

Burg Eternas war anders.

Massiv und aus kantigen Felsquadern errichtet, ragte sie in stumpfem Grau

am Ende der Stadt auf. Ihre hohen und mit Zinnen bewehrten Mauern wurden

nur noch von den beiden Ecktürmen und dem Hauptturm überragt. Und selbst

von der unteren Stadt aus konnte man die schlanke Nadel aufragen sehen, an

deren Spitze sich das Signalfeuer befand. Ein Feuer, das nur im Falle der

Gefahr entzündet wurde. Es gab eine ganze Kette ähnlicher Feuer, die bis

zum fernen Königshaus der Pferdelords führte. Und Kormund wusste, dass

die Kette sogar noch weiter, bis zur weißen Stadt der alten Könige reichte.

Er war stolz auf seine Männer, die sich ihre Sorge ebenfalls nicht

anmerken ließen, lediglich der junge Parem wirkte nervös. Doch das mochte

ein unbefangener Beobachter durchaus auch darauf zurückführen, dass sein

Interesse schon auf die jungen Frauen im bindungsfähigen Alter gerichtet

war. Die Schar ritt nun durch das Handwerkerviertel, und zahlreiche

geschmiedete oder gegossene Wappen zeugten von der Kunstfertigkeit der

hier Ansässigen. Kormund sah den alten Guntram vor seine Schmiede treten.

Obwohl schon etwas gebeugt, war der alte Mann noch immer muskulös, und

die Narben an seinem nackten Oberkörper bewiesen, dass er ein altgedienter

und bewährter Pferdelord war. Nur seine Augen versagten ihm zunehmend

den Dienst, was er gerne durch seine spitze Zunge wettmachte. Er galt zudem

als streitsüchtig, aber seine Arbeiten waren noch immer die besten.

Als Kormund dem alten Schmied zunickte, grinste dieser breit und zeigte

einen fast zahnlosen Mund. »Nun, Scharführer, habt Ihr nicht ein paar

stumpfe Klingen, die es zu schärfen gilt? Etwas Zerbrochenes, das ich

schmelzen und neu schmieden kann?« Der Schmied ging neben Kormund her.

»Die Eisen eurer Pferde scheinen zu klappern. Sicher sind sie lose und

müssten neu befestigt werden. Am besten überlasst Ihr mir die wertlosen

alten, guter Herr Scharführer, und nehmt dafür ein paar wundervoll

geschmiedete neue Eisen.«

»Unsere Eisen und Klingen sind noch scharf, guter Herr Guntram«,

erwiderte Kormund und lächelte auf den alten Schmied herab. »Doch bald

steht die Wolltierschur an, da werdet Ihr wohl genug zu tun bekommen.«

»Schurklingen und Messer«, seufzte Guntram. »Das ist kein Handwerk für

einen rechten Schmied. Ein gutes Schwert, das allein ist wahre

Schmiedekunst. Hart muss es sein und doch elastisch.« Er seufzte erneut.

»Doch wer braucht schon wahre Handwerkskunst, wenn kein Blut mehr

fließt.« Guntram sah die Männer der Schar an. »Fast fünfzig Jahreswenden

Frieden und dreißig Jahreswenden ohne Feldzug für den König. Ihr jungen

Männer werdet euer Handwerk nicht mehr beherrschen, wenn es einst

gefordert wird.« Guntram grinste Kormund zahnlos an. »Zu meiner Zeit,

Scharführer, da haben wir Orks gejagt. Und Barbaren. Da sind wir mit der

scharfen Klinge mitten in den Feind hineingaloppiert. Da haben wir dunkles

Blut vergossen.«

»Ja, ich weiß«, sagte Kormund gutmütig. »Ihr wart ein rechter Pferdelord.

Doch seid froh, dass die Dunkle Bedrohung nicht mehr existiert und unsere

Frauen und Kinder in Freiheit leben können.«

Guntram machte eine wegwerfende Geste. »Bah. Schurklingen und

Messer. Das ist kein rechtes Handwerk.«

Kormund lachte leise auf, trieb dann sein Pferd an, und seine Schar folgte

ihm. Sie ritten an den Häusern der Gerber vorbei, in denen Männer und

Frauen Häute und Felle säuberten und danach weich machten. Es stank nach

Urin, denn dieser war noch immer das beste Gerbmittel, und es gab Spötter,

die behaupteten, die Gerber tränken nur deshalb so viel Wein, damit sie

besseres Leder produzieren könnten. Kormund war erleichtert, als sie endlich

aus dem Gestank der Häuser herauskamen und die freie Ebene zwischen der

Stadt und der Burg Eternas überqueren konnten. Der Weg war breit und seine

Fahrspuren mit geebneten Steinen ausgelegt, damit die Wagen auch bei

schlechtem Wetter ihre Waren bequem und sicher transportieren konnten. Er

führte zwischen zwei erntereifen Feldern hindurch. Während die Hufe der

Pferde über die Steine pochten, musste Kormund erneut an den alten Schmied

denken. Der hatte vor Jahren einmal behauptet, der Weg sei nur gepflastert,

damit die betrunkene Wache des Pferdefürsten auch den Heimweg fände. Das

hatte dem muskulösen Schmied ein sehr persönliches Gespräch mit dem

Ersten Schwertmann des Pferdefürsten und zwei fehlende Schneidezähne

eingebracht. Doch seine Zunge war noch immer scharf. So scharf, dass

mancher Pferdelord gelegentlich seine Klinge gerne daran erprobt hätte.

Das große Tor der Burg Eternas stand offen, und das gewaltige

schmiedeeiserne Fallgitter war hochgezogen. Keine Wachen standen bereit,

um ihnen den Zutritt zu verwehren, nur über dem Tor winkte ein

Schwertmann der Wache freundlich zu ihnen herunter, als Kormund seine

kleine Gruppe auf den Innenhof führte. Erst wenn es dunkelte, würden mehr

Wachen aufziehen. Es gab keine Bedrohung der Burg, und die Wachen übten

ihre Kriegsfertigkeiten lediglich, indem sie lästige Schnellläufer, Nager und

Raubtiere verjagten.

Es gab zwei Burghöfe. Den vorderen, in dem sie sich nun befanden, und

einen zweiten, der durch eine Zwischenmauer vom hinteren Hof abgeteilt

war. Der vordere Innenhof wurde an drei Seiten von festen Wehrmauern

umschlossen. Diese waren nicht besonders hoch, doch sehr massiv, und ihre

Mauerkrone war breit genug, um mehreren Reihen von Männern auf ihr Platz

zu gewähren. Die der Stadt zugewandte Südmauer wies in der Mitte den

 

mächtigen Rundbogen des Haupttores auf und wurde an ihren Eckpunkten

von den beiden Wehrtürmen begrenzt. Dort führten auch jeweils zwei breite,

steinerne Treppen zum Wehrgang hinauf. Der Innenhof war vollständig mit

dem typischen grauen Stein der Hochmark gepflastert. Doch in dieses Pflaster

war aus schwarzem Stein, den man sorgfältig ausgewählt hatte, das Wappen

der Hochmark eingelegt worden. Pferdeköpfe und Schmiedehammer bildeten

ein Symbol von fast zwanzig Längen im Durchmesser.

Halb links erhob sich die große Steinstatue des ersten Königs der

Pferdelords. Vor ihr befand sich der Hauptbrunnen der Burg, der nach

Larwyns, des Pferdefürsten Gemahlin, Vorstellungen gestaltet worden war.

Eine niedrige Einfassung von achteckiger Form, auf der man auch bequem

sitzen konnte, umgab ein drei Längen messendes Becken, in das ein

springendes Pferd aus seinem Maul Wasser spie. Die Ränder des Beckens

waren mit den Wildblumen der Hochmark bepflanzt.

Die Nordseite des vorderen Innenhofes wurde vom Haupthaus, der

mittleren Wehrmauer und der Unterkunft der Schwertmänner eingenommen.

Das Haupthaus war ein massiger Bau mit drei Stockwerken, dessen

Erdgeschoss ein wenig zurückgesetzt war, sodass die Obergeschosse eine Art

Vordach über dem Eingangsbereich bildeten und durch schwarze Säulen aus

Stein abgestützt wurden. Zwischen diesen Säulen führten breite Stufen zum

zweiflügeligen Haupteingang des Hauses, neben dem es noch eine weitere,

massiv wirkende Tür gab, die zu einem schmalen Treppenhaus führte,

welches an der mittleren Wehrmauer endete. Das Erdgeschoss des

Haupthauses besaß keine Fensteröffnungen oder Schießscharten. Dafür waren

die Fenster in den oberen Stockwerken breit und wurden von kleinen

Rundbögen gestützt, die mehr der Aussicht als der Verteidigung zu dienen

schienen. Dort, wo das Obergeschoss an die westliche Wehrmauer stieß,

befand sich eine schmale Tür, die Mauerabschnitt und Haus miteinander

verband.

In dem kurzen Mauerabschnitt, der das Haupthaus und die Unterkunft der

Schwertmänner miteinander verband, befanden sich drei kleine Tore, die

durch den hölzernen Wehrgang geschützt wurden, der sich zwischen den

Gebäuden erstreckte und der vollkommen überdacht war. Hier postierte

Bogenschützen konnten gleichermaßen den vorderen wie den hinteren

Burghof und deren Mauerabschnitte bestreichen.

Hier drinnen, im Burghof, spürte Kormund auch zum ersten Mal die Hitze

des Tages. Der stete Wind der Hochmark war hier nur schwach zu fühlen, und

die Mauern speicherten und gaben die Wärme wieder ab. Kormund saß ab

und übergab die Zügel seines Pferdes an Lukan. Die beiden Männer sahen

sich an und verstanden sich ohne weitere Worte.

»Ich werde darauf achten, dass die Pferde gesattelt bleiben, alter Freund«,

murmelte Lukan. »Tränken, füttern und ein wenig führen. Keine Sorge, sie

werden keine Wasserbäuche haben, sollten wir sie rasch wieder benötigen.«

Lukan nahm den runden Helm ab, und seine verschwitzten roten Haare

wurden sichtbar. »Und ich werde Euch ein anderes Schwert aus der

Rüstkammer holen.«

Kormund schnallte seinen Schwertgurt mit der leeren Scheide ab und

überreichte ihn Lukan, damit dieser ein passendes Schwert aussuchen konnte,

dann nickte er dem alten Kämpen zu. Er ging die breiten Stufen des

Hauptgebäudes hoch und erreichte den Schatten des Vorbaus. Hier, am

Eingang zum Sitz des Pferdefürsten, standen zwei Schwertmänner. Im

Gegensatz zu den normalen Pferdelords, die für den Krieg ausgebildet

wurden, aber nur im Kriegsfall einberufen wurden, waren die Schwertmänner

des Pferdefürsten, wie auch die des Pferdekönigs in der fernen Hauptstadt,

disziplinierte Berufssoldaten, die stets im Dienst waren. Sie wussten, dass

Kormund viel zu früh von seiner Patrouille an der Außengrenze zurück war,

doch sie stellten keine Fragen, sondern öffneten ihm schweigend die Tür.

Kormund trat durch den schmalen Flur in den unteren Raum des

Hauptgebäudes und in die große Halle ein, in welcher schon manches Fest

und manche Zeremonie stattgefunden hatten. Im Gegensatz zu dem Rot, Grün

und Gold der Halle des Königs der Pferdelords wirkte die Halle von Eternas

jedoch kühl. Säulen aus schwarzem Stein erhoben sich vor grauen Mauern,

und trotz ihrer Kapitelle und Verzierungen wirkten sie kalt. Einige winzige

Fenster an der Westseite, die eher Schießscharten ähnelten, ließen nur trübes

Licht in die Halle einfallen, und allein wenn man die riesigen Leuchter unter

der Decke entzündete, füllte sich der Raum wirklich mit Licht. Zwischen den

Bögen standen die dreieckigen Wimpel der Beritte mit ihren Lanzen, und an

der Stirnseite hing als Farbtupfer ein riesiges grünes Tuch mit den Insignien

der Hochmark. An den Wänden entlang standen Bänke und Tische, die aber

nicht benutzt wurden. Die Besatzung der Burg verwendete andere

Räumlichkeiten für ihre täglichen Verrichtungen. So hallten Kormunds

Schritte seltsam hohl von den Wänden wider, während er an der rechten

Wand und ihrem riesigen gemauerten Kamin vorbei zur Treppe hinüberging,

die in den eigentlichen Amtsraum des Pferdefürsten führte. Er stieg die

steinernen Stufen hinauf, erwiderte den Gruß der dort postierten Ehrenwache

und klopfte an die massive Holztür.

Als er den kurzen Ruf aus dem Inneren vernahm, trat Kormund in das

Amtszimmer des Herrn der Hochmark ein und legte die Hand zum Gruß an

seine Hüfte, wo sich normalerweise der Griff seines Schwertes befand.

»Scharführer Kormund vom ersten Beritt, Hoher Lord«, meldete er, obwohl

ihm bewusst war, dass der Pferdefürst jeden seiner Männer sehr genau kannte.

Doch gerade in der kleinen Gemeinschaft der Hochmark war gegenseitiger

Respekt lebenswichtig, und die Pferdelords der Wache bewahrten die alten

Traditionen.

Garodem, der Pferdefürst der Hochmark, blickte von seinem breiten

Arbeitstisch auf. Er war eine eindrucksvolle Gestalt. Nicht besonders groß

und muskulös, aber durchaus stattlich, strahlte er eine enorme Kraft aus, und

sein Gesicht war gleichermaßen würdevoll wie freundlich. Als Pferdefürst

hatte er sich den Respekt der Bevölkerung verdient, aber Kormund wusste,

dass es vor allem der Mensch Garodem war, den die Männer und Frauen der

Hochmark schätzten. Der Pferdefürst war nun Mitte der fünfzig, und sein

einst blondes Haar war inzwischen ergraut. Falten hatten sich in sein Gesicht

gegraben, die gleichermaßen von seinen Sorgen und seinem Sinn für Humor

zeugten. Garodem trug einfache Stiefel und Beinkleider, und nur sein

dunkelblauer Überwurf mit dem golden eingestickten Symbol der Mark

zeigte, welchen Status sein Träger hatte.

»Ihr seid mir willkommen, Kormund, alter Freund.« Der Pferdefürst legte

die Feder ab, mit der er gerade geschrieben hatte, und blickte Kormund

aufmerksam an. Dieser wiederum sah fasziniert auf die Feder, die Garodem

gerade abgelegt hatte.

Garodem hatte etwas geschrieben, und Kormund begriff nicht, wie Worte

durch dunkle Tinte und eine Feder auf ein Pergament fließen und von anderen

Menschen verstanden werden konnten. Er wusste sehr wohl, dass dies die

Kunst des Schreibens und des Lesens war, doch der Sinn dieser Kunst war

ihm verschlossen geblieben. Garodem hatte ihm einmal erklärt, dass er auf

diese Weise Dinge festhalten und für spätere Generationen lesbar machen

könne. Nun, es war richtig, der Pferdefürst hatte keine Eltern mehr, die die

Aufgabe übernehmen konnten, ihren Enkeln von der Geschichte ihres Volkes

zu berichten, aber der Grund, eine schriftliche Botschaft über einen Boten zu

übermitteln, erschien Kormund trotzdem absurd. Warum sollte dieser ein

Pergament benutzen, wo er doch einen Mund zum Sprechen hatte? Zwar wäre

es vielleicht nicht von Übel gewesen, wenn er bei dem toten Reiter des

Königs eine schriftliche Botschaft hätte finden können, welche Garodem

wiederum hätte lesen können, aber trotzdem war die Schreibkunst für

Kormund eine Kunst, für die er keine Zukunft sah, zumal es selbst am Hofe

des Königs nur wenige gab, die sie beherrschten. Ja, die grauen und die

weißen Magier, sie mochten diese Kunst benötigen, denn diese weisen

Männer horteten uralte Schriften, die noch aus den Zeiten der Vorväter

stammten. Doch was sollte ein Pferdelord mit einem sprechenden Papier, wo

er einen Mund und eine Klinge hatte, um seine Meinung kundzutun?

»Ich habe Euch erst in einigen Tagen zurückerwartet«, schreckte der

Pferdefürst den Scharführer aus seinen Gedanken. »Und es scheint mir, als

brächtet Ihr sorgenvolle Gedanken mit. Zudem seid ihr ungedeckt, mein

Freund.« Er wies auf Kormunds Hüfte. »Es sieht mir ganz danach aus, als

hättet Ihr Verwendung für Eure Klinge gefunden.«

»Das ist wohl wahr«, erwiderte der Scharführer und entspannte seine

Haltung. Er trat näher an den Tisch heran. »Wir fanden am Pass zur

Nordmark einen Toten. Wie es aussieht, einen Boten des Königs. Der Mann

gehörte dessen Wache an.«

Garodem kniff die Augen zusammen und lehnte sich in seinem Stuhl

zurück. »Einen Boten des Königs? Seid Ihr Euch sicher?«

»Lukan denkt ebenso.«

Garodem lächelte knapp. »Dann war es auch ein Bote des Königs. War

etwas zu finden? Eine Botschaft? Irgendein Hinweis darauf, was er hier

wollte?«

»Nein, Garodem, mein Herr.« Kormund räusperte sich, und der Pferdefürst

winkte ihn näher heran und füllte ihm einen Becher mit kühlem Wein. »Es

sieht aus, als sei er von einem Pelzbeißer angefallen und getötet worden.«

Garodem nickte. »Und Ihr bezweifelt das. Ich höre es an Eurer Stimme.

Kommt schon, Kormund, alter Freund, wir sind schon zusammen geritten.

Also zögert nicht, Eure Gedanken frei auszusprechen.«

»Wir fanden keine seiner Waffen.«

»Verstehe.« Garodem erhob sich aus seinem Stuhl und begann im Raum

auf und ab zu gehen. Dabei legte er seine Hände auf dem Rücken zusammen

und schien schon kurz darauf vollkommen in sich versunken zu sein. Es war

dies eine Eigenheit des Pferdefürsten, wenn er sich intensiv mit einem

Problem befasste, und für Kormund war es ein gutes Zeichen, zeigte es ihm

doch, dass Garodem den Tod des Boten als ebenso bedrohlich empfand wie er

selbst. Garodem hielt für einen Moment inne. »Ihr seid Euch absolut sicher,

dass es ein Mann der Wache des Königs war? Kein Geächteter oder Räuber?«

»Es war ein Mann Theo …«

»Nicht den Namen, Kormund«, unterbrach Garodem ihn mit ungewohnt

scharfer Stimme.

Kormund räusperte sich und nahm einen erneuten Schluck, um seine

Verlegenheit zu verbergen. »Es war ein Mann des Königs, mein Herr. Der

Harnisch seiner Leibwache und der goldene Saum am Umhang …«

»Ich verstehe.« Garodem nahm seine Wanderung wieder auf.

Kormund verstand den Zwist nicht, der Garodem noch immer von seinem

Bruder, dem König der Pferdelords, fernhielt. In ihrer Jugend sollten die

Brüder unzertrennlich gewesen sein, bis irgendetwas dazu geführt hatte, dass

die beiden in einem heftigen Streit auseinandergegangen waren. Sein Bruder,

der König, hatte Garodem daraufhin die Hochmark übergeben, und dieser war

mit seinem Gefolge in das Hochland gezogen. Vielleicht wussten die Brüder

inzwischen selbst schon nicht mehr, worum es bei ihrem Streit gegangen war,

aber eine weitere Eigenheit Garodems wurde dadurch augenfällig – seine

 

unglaubliche Sturheit, wenn er erst einmal einen Entschluss gefasst hatte.

Garodem hatte den Kontakt mit dem Königshaus vollkommen

abgebrochen und sich auf den gelegentlichen Handel mit den anderen Marken

des Landes der Pferdelords beschränkt. Seitdem durfte niemand mehr den

Namen seines Bruders oder seines Amtssitzes aussprechen. Dennoch war und

blieb er ein Pferdelord und dem König treu, was auch die Einrichtung der

Signalfeuer bewies.

Auch Garodem schien in diesem Augenblick an die Signalfeuer zu denken.

»Wenn er in Schwierigkeiten ist und Hilfe braucht, dann wird sich die

Hochmark nicht verweigern«, knurrte er und sah Kormund an. »Wir sind und

bleiben Pferdelords und stehen zusammen. Er wird mich nicht umsonst um

Hilfe bitten.«

Garodem verharrte neben seinem Schreibtisch und blickte auf die

Landkarte, die an einer Wand des Raumes aufgespannt war. Sie war aus

bestem Pergament und sorgfältig bemalt und geölt worden, um sie

witterungsbeständig zu machen. Sie zeigte die Marken des ganzen Landes,

doch der Name der Hauptstadt war sorgsam übermalt worden. Garodem

führte seinen Finger auf der Karte entlang, und Kormund erkannte, dass der

Finger den Positionen der einzelnen Signalfeuer folgte.

»Hat das Feuer gebrannt?« Garodem sah Kormund fragend an. »Hier in

Eternas haben wir kein Feuer gesehen. Er hätte es entzünden lassen, wenn das

Land in Not wäre.«

»Kein Feuer, mein Herr.«

»Er hätte es entzündet, wenn er in Not wäre«, murmelte Garodem. »Er

hätte die Feuer entzündet und keinen Boten geschickt. Also war der Bote

nicht hier, um Hilfe zu holen. Und ich werde nur dann zu ihm reiten, wenn er

Hilfe benötigt und mich darum bittet. Egal ob als Bruder oder als

Lehnsmann.« Garodem trat erneut an die Karte. »Nein, er hätte die Feuer

entzündet.« Er hörte, wie Kormund sich abermals räusperte, und fuhr zu ihm

herum. »Ihr seid anderer Meinung?«

»Vielleicht wurde die Signalkette unterbrochen und es gab nur noch den

Weg, einen Boten zu schicken«, wandte der Scharführer ein.

Garodem nickte und neigte bedächtig seinen Kopf. »Ich muss Eurem

Einwand zustimmen. Zwar behagt mir der Gedanke gar nicht, denn er zwingt

mich, selbst Kontakt zum König aufzunehmen. Aber ich muss mich einfach

vergewissern, was der Bote wollte. Beim Dunklen Turm, Kormund, die

Sorgen gefallen mir nicht, die Ihr mir da bringt.«

Der Pferdefürst trat an die hölzerne Wand, die seinen Amtsraum von den

hinteren Räumen des Obergeschosses trennte, und schlug dagegen. Kurz

darauf später trat ein Schwertmann der Wache ein.

»Holt den Ersten Schwertmann Tasmund, ich muss ihn sprechen. Sofort.«

Garodem schenkte sich und Kormund Wein nach und blickte dann durch das

große Fenster auf den vorderen Burghof hinunter. »Was Ihr mir berichtet,

beginnt mir immer weniger zu gefallen«, seufzte er. »Dreißig Jahreswenden

hatten wir Ruhe und Frieden, und nun bringst du mir düstere Gedanken ins

Haus.« Er wandte sich Kormund zu. »Nun, wir werden uns allem stellen, was

immer es auch sei.«

Schritte hallten auf der steinernen Treppe, und hinter Kormund trat der

gerufene Tasmund in den Raum. Er nickte dem Scharführer kurz zu. »Ihr habt

mich gerufen, mein Hoher Lord?«

»Kormund hat auf seinem Ritt etwas gefunden. Darüber wird er Euch nun

berichten. Ich werde dazu schweigen, und Ihr werdet mir Eure Meinung offen

sagen, Tasmund.«

Tasmund war der Erste Schwertmann der Wache des Pferdefürsten und

somit der Befehlshaber der Burgbesatzung und der Pferdelords der

Hochmark, sofern der Pferdefürst diese nicht selbst führte. Der schlanke und

hochgewachsene Mann mit den tiefschwarzen Haaren hörte sich Kormunds

Schilderung an. Kormund wusste, was Garodem von ihm erwartete, und gab

deshalb lediglich die Fakten wieder, ohne eigene Vermutungen hinzuzufügen.

Tasmund hörte schweigend zu und blickte dann zu der Landkarte. Er schritt

hinüber, und Kormund beobachtete, wie der Erste Schwertmann ebenso wie

der Pferdefürst zuvor mit seinem Finger der Linie der Signalfeuer folgte.

Dann richtete Tasmund sich auf und sah den Pferdefürsten an.

»Die Kette der Signalfeuer kann unterbrochen worden sein, mein Hoher

Lord, und dann hätte der König allen Grund dafür gehabt, einen Boten um

Hilfe zu entsenden. Aber auch für den Fall, dass es einen anderen Grund für

den Boten gab, so müssen wir doch immer vom Schlimmsten ausgehen und

davon, dass der König uns um Hilfe ruft.«

Garodem nickte. »Ich sehe das genauso. Wenn der König uns ruft, so muss

es schlimm stehen, und er wird jeden Mann brauchen. Aber wenn er uns nicht

um Hilfe gerufen hat, entblößen wir die Hochmark grundlos um all ihre

wehrfähigen Männer und lassen Frauen und Kinder schutzlos zurück.« Er

seufzte. »Vielleicht ist es ein Fehler gewesen, jeden Kontakt abzubrechen«,

meinte er schließlich widerwillig, und man merkte, wie schwer ihm dieses

Eingeständnis fiel. Er sah Tasmund und Kormund an. »Ich brauche weitere

Anhaltspunkte. Ich muss wissen, ob das Land wirklich in Gefahr ist.

Kormund, ich habe Eure Schar im Hof gesehen. Sie scheint bereit zu sein.«

»Das ist sie, mein Herr.«

»Gut.« Garodem blickte wieder auf die Karte. »Die Besatzungen der

Signalfeuer sind vor fünf Tagen abgelöst worden. Der nächste Wechsel wird

erst in einem Zehntag fällig.« Garodem gab sich einen Ruck und trat wieder

hinter seinen Schreibtisch. »Kormund, Ihr nehmt Euren Beritt und kontrolliert

die Wachen am inneren und äußeren Signalfeuer des Passes. Reitet nicht

weiter, denn selbst das wird drei Tage dauern. Die Posten hätten die Feuer

entzündet, wenn sie ein Signal des Königs gesehen hätten. Aber sollte sie

etwas daran gehindert haben, so muss ich es wissen. Kormund, alter Freund,

Eile ist geboten.«

Kormund erhob sich und stellte den Becher mit Wein auf den Tisch

zurück. »Schneller Ritt …«

»… und scharfer Tod«, vervollständigten Garodem und Tasmund den Satz

ohne Lächeln.

Während Kormund zu seinen Männern in den Hof eilte, winkte Garodem

seinen Ersten Schwertmann zu sich heran. »Wir müssen vom schlimmsten

Fall ausgehen, Tasmund, mein Freund, und das heißt, dass wir die Pferdelords

der Hochmark zusammenrufen müssen. Wie viele Männer können wir

zusammenbekommen?«

»Knapp fünfzig Schwertmänner der Wache und zweihundertfünfzig

Pferdelords.« Tasmund sah den Pferdefürsten an und lächelte. »Mit den

Knaben und älteren Männern werden wir vielleicht dreihundertfünfzig Mann

bekommen. Aber dann werden wir schon die Wiegen auskratzen müssen.«

Garodem seufzte. »Wie viele von ihnen werden kämpfen können?«

Tasmund zuckte die Achseln. »Alle. Doch siegen können nur die

ausgebildeten Pferdelords, mein Herr. Es bleibt nicht viel Zeit, sie für den

Kriegseinsatz fähig zu machen, und nur wenige haben noch Kampferfahrung

so wie Kormund und einige andere.«

Der Pferdefürst blickte aus dem Fenster und ließ seinen Blick über die

Zinnen der Wehrmauer zur Stadt hinwandern. »Ich weiß. Die ganzen langen

Jahre des Friedens hindurch habe ich die Pferdelords nicht mehr zu

Waffenübungen einberufen. Das rächt sich nun. Waffen beschert uns die

Mark genug, aber uns fehlen die ausgebildeten Männer, sie zu tragen.«

Der Erste Schwertmann schaute in Richtung der Karte und ging dann zu

ihr hinüber. »Kämpfen können die Männer wohl. Sie sind auch nicht

ungeschickt im Umgang mit den Waffen. Was ihnen fehlt, ist die Übung, als

geschlossener Verband zusammenzuwirken. Schwerter, Rüstungen und

Helme haben wir genug. Auch Bogen für die Schützen. Was allein fehlt, sind

Lanzen, denn wir verfügen nicht über ausreichend gerade Hölzer, die auch

noch lang genug sind, um sie daraus herstellen zu können. Außerdem könnte

es nicht schaden, zusätzliche Pfeile zu produzieren.«

Unten im Hof hörten sie, wie knappe Kommandos erklangen, sowie

Kormunds Gruppe, die aus dem Burghof ritt. Das Klappern der Hufe kündete

von Eile, die dieses Mal auch den Bewohnern von Eternas nicht verborgen

bleiben würde.

Garodem langte nach seinem Becher mit Wein, stellte ihn jedoch, ohne

getrunken zu haben, wieder zurück. »Bereitet eine Gruppe vor, die im

geschützten Wald den Holzeinschlag vornimmt. Und sendet die

Waffenschmiede und die Stadtältesten zu mir. Ich werde mit ihnen sprechen.

Was auch geschieht, ich will, dass die Hochmark so gut wie möglich auf alles

vorbereitet ist.«

»Soll ich schon Boten entsenden, um die Pferdelords einzuberufen?«

Garodem schüttelte den Kopf. »Nein, ich will zunächst abwarten, was

Kormund uns berichten wird. Sind die Wachen am Pass wohlbehalten und das

Feuer intakt, so wollte der Bote wohl doch keinen Hilferuf, sondern eine