Gotteslehre

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Dabei ist darauf zu achten, dass es sich auch beim neutestamentlichen Befund nicht einfach um die Heranziehung einiger klassischer Referenztexte für den trinitarischen Gottesbegriff handeln kann. Vielmehr hat sich das Neue Testament insgesamt als Darlegung der trinitarischen Struktur des Offenbarungsgeschehens zu erweisen, welche wiederum der neutestamentlichen Wesensbestimmung Gottes zu entsprechen hat. „Wir müssen diese Offenbarungsaussagen […] als die durch die Offenbarung selbst vollzogene Deutung des Offenbarungsgeschehens verstehen“18. Es geht also um den bereits in Kapitel II,5 angesprochenen Zusammenhang von Wort- und Tatoffenbarung, in welchem der dreieinige Gott, der sich im Heiligen Geist und im Sohn Jesus Christus auch als himmlischer Vater erschließt, nicht nur als verkündigtes Objekt erkennbar wird, sondern auch als bleibendes Subjekt der heilsgeschichtlichen Verkündigung: Im Heiligen Geist wird den Menschen die im Wort bezeugte Heilsgeschichte erfahrbar, während in Christus die Tat des von der Liebe des Vaters erzählenden Wortes begegnet. Zugleich setzt der verkündigte Christus als Auferstandener im Heiligen Geist selbst die Verkündigungsgeschichte fort.

Betrachtet man die synoptische Tradition, findet sich ein breites Spektrum von Aussagen, welche die christliche Gotteslehre im Verhältnis von Vater, Sohn und Heiligem Geist verankern. Hier sei lediglich auf einige Merkmale hingewiesen: Jesus wird bei den Synoptikern als der Träger des im Alten Testament verheißenen endzeitlichen Geistes präsentiert. Er ist voll des Heiligen Geistes (Lk 4,14), der auch schon bei seiner Empfängnis am Werk war (Lk 1,35; Mt 1,20). Jesu spezifische geisterfüllte Vollmacht bezeugt den Anbruch der Gottesherrschaft, des Reiches des Vaters (Mt 12,28). Ferner hat Jesus im Heiligen Geist ein unübertragbares inniges Verhältnis zu Gott, dem Vater, der aus dem Alten Testament bekannt ist. Im „heiligen Geist“ preist Jesus den „Vater, Herr des Himmels und der Erde“, von dem niemand weiß „als nur der Sohn“ (Lk 10,21f.). So kann Markus die – auch bei den anderen Evangelisten zu findende – „trinitarisch“19 strukturierte Taufe Jesu programmatisch an den Anfang seines Evangeliums setzen (Mk 1,9– 11). Diese wenigen Hinweise sollen neben dem Taufbefehl „auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes“ (Mt 28,18–20) stellvertretend für viele andere Aussagen der Synoptiker genannt werden, die das spezifische Zusammenwirken und Verhältnis von Vater, Sohn und Heiligem Geist betreffen.20

Von solchen Aussagen ist die paulinische Tradition durchgehend bestimmt. So beschreibt Paulus immer wieder das heilsgeschichtliche Zusammenwirken von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Im Blick auf die Sendung Jesu legt er dar, dass es sich um das Kommen des präexistenten Gottessohnes handelt, der Mensch wird und sich bis in den Tod der Menschen begibt, um sie von den Folgen ihrer widergöttlichen Selbstbehauptung zu befreien: „Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich […]. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz“ (Phil 2,6–8 – vgl. zur Präexistenz Christi u.a. Röm 8,32; II Kor 8,9). Neben der aktiven heilsgeschichtlichen Rolle des Gottessohnes verweist Paulus auf den Heiligen Geist in seiner Funktion als aktives Subjekt. Der Geist erscheint nämlich nicht nur als Gabe, sondern auch als Geber. Er fungiert aktiv als Zeuge (Röm 8,16), Fürsprecher (Röm 8,26f.) oder Führer (Röm 8,14) und wird als denkende, forschende oder redende Manifestation Gottes eingeführt (I Kor 2,10–16 u.ö.), die andere Funktionen ausübt als der Vater und der Sohn (II Kor 1,22; 5,5: Angeld). Wo Paulus das Heilswirken Gottes liturgisch zusammenfasst, formuliert er entsprechend triadisch: „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen!“ (II Kor 13,13) Denn nach Paulus vergegenwärtigt der Heilige Geist die Heilstat des vom Vater gesandten Gottessohnes, damit die Menschen im Geist durch den Sohn erneut die Kindschaft auf den Vater hin leben können. „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, […] damit wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsere Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater!“ (Gal 4,4–6) Auf diese Weise erhalten die Menschen Anteil an der durch Vater, Sohn und Heiligen Geist qualifizierten Gemeinschaft des in sich lebendigen Gottes.

Da das Glaubensleben durch diese vielfältigen Beziehungen der Glaubenden zu Vater, Sohn und Heiligem Geist geprägt wird, ist auch das Wesen und Wirken der Gemeinschaft der Glaubenden (Kirche) „trinitarisch“ strukturiert. Die drei ekklesiologischen Dimensionen, die mit dem Tempel des Heiligen Geistes (Eph 2,21f.; I Kor 3,16), dem Leib Christi (I Kor 12,27) und dem Volk Gottes (Röm 9,25f.) gegeben sind, wirken dabei ineinander: „Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist. Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr. Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen.“ (I Kor 12,4– 6) So wird das Wesen der Kirche aus der Gotteslehre abgeleitet, weshalb die Einheit der Kirche der „Wirkeinheit“ von Vater, Sohn und Geist entspricht. Nach I Kor 12 verbindet der eine Geist die Glaubenden zu dem einen Leib Christi, wodurch sich die Gemeinschaft mit dem einen Gott verwirklicht. Deshalb gehört die Einheit der Kirche unweigerlich zum Wesen der Kirche: „[…] ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen“ (Eph 4,4–6). Dieser Zusammenhang zwischen trinitarischer Struktur des Wesens Gottes und trinitarischer Struktur der Kirche begegnet in der paulinischen Tradition immer wieder.21

Die Aussagen zum Verhältnis von Vater, Sohn und Heiligem Geist weisen in der johanneischen Tradition bereits Anfänge trinitarischer Reflexion auf. Auch hier ist das Heil der Menschen unmittelbar mit dem Charakter des Verhältnisses von Vater, Sohn und Heiligem Geist verbunden. Nach Joh 17 besteht das Heil der Menschen im Erkennen und in der Anerkennung der Herrlichkeit, in der Vater und Sohn sich gegenseitig verherrlichen (Joh 17,1–3): Der Sohn verherrlicht den Vater, indem er das Werk vollendet, das der Vater ihm gegeben hat, damit der Sohn die Menschen vor dem Verlorengehen bewahre. Der Vater wiederum verherrlicht den Sohn mit der Herrlichkeit, die der Sohn hatte, ehe die Welt war (Joh 17,4–12). Das präexistente Verhältnis zwischen Vater und Sohn ist in seiner Einheit von Differenz und Identität ein Verhältnis der Liebe: „[…] denn du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war“. (Joh 17,24; vgl. 1,1: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“) Weil der Vater und der Sohn „eins“ sind (Joh 10,30), der Vater im Sohn und der Sohn im Vater ist (14,10ff.), der Sohn „von Gott ausgegangen ist“ und zu ihm zurückkehrt (16,27ff.) und alles, was der Vater hat, auch der Sohn hat (16,15; 17,10), „scheinen klassische trinitätstheologische Formulierungen wie die Homousie [Wesenseinheit] schon vorgebildet zu sein“22. Die Erkenntnis der Liebe, in der der Vater im Sohn und der Sohn im Vater durch den Heiligen Geist in ewiger Herrlichkeit existieren, führt zur Heiligung in der Wahrheit und zur Teilhabe an diesem ewigen Leben der Liebe. Deshalb wird die Doxologie (Anbetung) unmittelbar zur Soteriologie (Heilslehre).

Erfahrbar wird das Heil durch den Heiligen Geist, der in alle Wahrheit leitet (16,13). Er ist zwar der andere Paraklet, der gesandt wird, ein anderer Tröster, Fürsprecher und Beistand (14,16), aber er nimmt nicht aus dem Seinigen, sondern von dem, was Jesu ist und so wiederum vom Vater ist (16,14f.). Während sich der Vater in seinem Sohn als eigenes Abbild in sich selbst gegenübertritt, vollzieht sich im Heiligen Geist die innergöttliche Liebe („Gott ist Geist“/4,24), so dass Gott in sich selbst das vollkommene Leben der Liebe verkörpert: „Gott ist Liebe“ (I Joh 4,8.16). Als derjenige, der das Verbindende in Gott darstellt, verbindet der Geist auch die Menschen mit Gott (I Joh 4,13). Weil in der vom Geist vermittelten Liebe keine Furcht ist (I Joh 4,17; vgl. II Kor 3,17: „[…] wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“), gewährleistet der Heilige Geist als „Sein-Können eines Einen in oder bei einem Anderen“23 über die freie innergöttliche Liebe hinaus auch das freie Liebesverhältnis zwischen Gott und Mensch, was die statischen dualistischen oder identifizierenden Strukturen des antiken Gottesbegriffs sprengte (siehe Kap. II,1; III,2).

In Joh 17 wird deutlich, wie diese Strukturen des innergöttlichen Lebens der Liebe aufgrund der Verbindung der Menschen mit dem dreieinigen Gott die Gemeinschaft der Glaubenden prägen sollen – und damit die Struktur der Kirche. Indem der Sohn in den Menschen und der Vater in ihm ist, verbindet der Sohn die Menschen mit der innergöttlichen Einheit (Joh 17,17–26), was Konsequenzen für die Gemeinschaft der Glaubenden und für deren Glaubwürdigkeit in der Welt hat: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien“ (Joh 17,21–23). Das „wie“ dieser Verbindung lässt sich aus dem Kontext von Joh 17 erschließen: Der Geist der Wahrheit (Joh 14,17), der vom Vater ausgeht (15,26) und nach Jesu Weggang durch den Sohn gesandt wird (16,7), vergegenwärtigt das Heilswerk Jesu Christi und ermöglicht die Gemeinschaft der Menschen mit der innergöttlichen Liebe (14,26 u.ö.). Vor diesem Hintergrund ist nicht nur der Aussage von Walter Kasper zuzustimmen: „Im Grunde enthält das hohepriesterliche Gebet in nuce die gesamte Trinitätslehre“24. Vielmehr ist diese Feststellung auf das Verhältnis von trinitarischem Gottesverständnis und Kirchenverständnis auszuweiten. So erwächst aus der Doxologie nicht nur die Soteriologie, sondern auch die Ekklesiologie. Weil mit dem Charakter der Gemeinschaft der Glaubenden, welche der innergöttlichen Einheit in Vielfalt entsprechen soll, die Glaubwürdigkeit der Welt gegenüber verbunden ist, schließt die Erkenntnis des Wesens Gottes auch die Implikationen für das Verhältnis von Kirche und Welt mit ein (christliche Weltverantwortung – siehe Kap. X,2.4).

 

Insgesamt bleibt festzuhalten: Jesu Botschaft von der anbrechenden Gottesherrschaft (Mk 1,14f.) und der damit verbundene Vollmachtsanspruch (Mt 12,28), Jesu bis zur Identifikation reichendes Verhältnis zum Vater und die gleichzeitige Selbstunterscheidung vom Vater (Joh 10,30.38; 14,9; 17,20ff.), das im Heiligen Geist sich vollziehende Verhältnis zwischen Jesus und dem Vater sowie die im Heiligen Geist geschehende Vergegenwärtigung des mit Jesu Tod und Auferstehung zugesagten Heils (Joh 16,5ff.) lassen sich lediglich trinitarisch verstehen: „Es ist nicht möglich, vom Geheimnis Christi, seiner Person und seinem Wirken, zu sprechen, ohne zugleich nicht nur von seinem Verhältnis zum Vater, sondern auch zum Heiligen Geist zu sprechen.“25 Sowohl das Christusereignis als auch das Wirken des Heiligen Geistes forderten von Beginn an zu trinitarischem Denken heraus, das auch soteriologisch gefordert war: „[…] ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes“ (I Kor 6,11). „Christusglaube wird trinitarisch bekannt, weil Christus nur durch Wirken des Geistes als Tat des göttlichen Vaterherzens erkannt wird.“26 Das in Jesus Christus zugesagte Heil konnte nur dann das von Gott geschenkte Heil verkörpern und Heilsgewissheit geben, wenn die Gottheit Jesu gewährleistet war. Ebenso konnte der Heilige Geist die daraus resultierende Gemeinschaft mit Gott nur verwirklichen sowie die Glaubenden in alle Wahrheit führen, wenn von seiner Gottheit auszugehen war. Gleiches galt in offenbarungstheologischer Hinsicht: Die in Christus und dem Heiligen Geist gegebene Gottes erkenntnis konnte nur unter der Voraussetzung der Gottheit von Sohn und Geist Authentizität beanspruchen.

Angesichts der Heilstat Gottes durch Jesus Christus und in der Kraft des Geistes „bedeutete die Erfahrung des Wirkens Christi in der Welt sofort auch die Erkenntnis einer ökonomischen Trinität, wie sie sich als Grundstruktur hinter den Zeugnissen schon des NT erkennen läßt und wie sie auch aus den göttlichen Werken von Schöpfung, Erlösung und Heiligung erkennbar wurde“27. Deshalb liegt der Ursprung der altkirchlichen Trinitätslehre im biblischen Zeugnis und nicht in anderen Quellen (siehe Kap. III,2): „Die altkirchliche Trinitätslehre hat ihren Ursprung nicht in der Aufnahme der philosophischen Logoslehre und der neuplatonischen Triadologien, wie oft behauptet wurde, sondern im neutestamentlichen Zeugnis der trinitarischen Geschichte des Sohnes“28. Die Lehrentwicklung bis zum altkirchlichen Trinitätsdogma entspricht den Anfängen der Lehrentwicklung im Neuen Testament.29 Von daher darf „nur die spätere Entfaltung, nicht aber die trinitarische Gottesvorstellung selber als nachneutestamentlich […] aufgefasst werden“30. In seiner Analyse des neutestamentlichen Gottesbegriffs betont Franz Josef Schierse, „daß wir gewöhnlich einer falschen Optik erliegen, wenn wir meinen, die Trinitätstheologie der späteren Zeit sei zu entscheidend neuen und tieferen Erkenntnissen vorgedrungen, während sie doch in Wirklichkeit nur einige vom Neuen Testament diskussionslos vorausgesetzte Gesichtspunkte schärfer gefaßt […] hat“31.

So soll nun gezeigt werden, wie der christliche Gottesbegriff auf der Grundlage des biblischen Zeugnisses im religiösen und philosophischen Kontext des frühen Christentums dargelegt und gegen Missverständnisse verteidigt wurde.

2. Die Entfaltung der christlichen Gotteslehre im Kontext von Philosophie und Religion

Das biblisch vorgegebene Paradoxon der göttlichen Einheit in Dreiheit hatten die frühen Christen sowohl im Blick auf das eigene Verständnis als auch hinsichtlich der Weitergabe des Glaubens im damaligen philosophischen und religiösen Umfeld nachvollziehbar darzulegen. Gegenüber den dualistischen und identifizierenden Gottesvorstellungen, die Gott in ferne Transzendenz rückten oder göttliche und weltliche Strukturen vermischten, konnten sie verdeutlichen, dass der dreieinige Gott ein personales Verhältnis von „Gegenüber und Nähe“ zu den Menschen ermöglicht – und somit eine freie Gemeinschaft der Liebe. Denn indem Gott im Sohn und im Geist den Menschen ganz nahe ist und gleichzeitig als Vater ihr Gegenüber bleibt, wird freie personale Gemeinschaft möglich, die Gottes Gottheit ebenso gewährt wie die Menschlichkeit des Menschen. So ließen sich die dualistischen und identifizierenden Vereinnahmungen Gottes überwinden, wobei jedoch die Gefahr bestand, das biblische Paradoxon unter den gewohnten Denkvoraussetzungen mehr als Einheit oder mehr als Dreiheit zu deuten. Es galt, diese Einseitigkeiten mit Hilfe des biblischen Zeugnisses abzuwehren.

Schon im Neuen Testament vollzieht sich das Zeugnis von Vater, Sohn und Heiligem Geist in seinem religiösen und philosophischen Kontext durch einen differenzierten Vorgang von Aneignung und Widerspruch, der den spezifisch christlichen Gottesbegriff im Horizont menschlicher Gottesvorstellungen erfahrbar werden lässt. Im Laufe der altkirchlichen Entwicklungen verlangten die mit der biblisch bezeugten Selbsterschließung Gottes gegebenen Grundlagen innerhalb der religiösen und philosophischen Umwelt nach weiterer eigenständiger Durchdringung – sowohl im Blick auf das christliche Verständnis Gottes angesichts bisheriger Gottesbegriffe als auch im Blick auf die Weitergabe des christlichen Glaubens im Umfeld philosophischer und religiöser Weltanschauungen. Der damit verbundene Prozess einer immer präziseren Ausformulierung der Trinitätslehre entsprach nicht der zu Beginn des 20. Jahrhunderts anzutreffenden These, der trinitarische Gottesbegriff sei nicht genuin biblischen Ursprungs, sondern verdanke sich aufgrund eines Hellenisierungsprozesses neuplatonischen Triadologien oder hellenistischen Logos-Spekulationen, wie es Adolf von Harnack32 vermutete. Denn solche Vermutungen werden weder dem biblischen noch dem dogmengeschichtlichen Befund gerecht und gelten deshalb längst als überholt, was der Patristiker Bernhard Loh se schon vor Jahrzehnten hervorhob33. Vielmehr vollzogen die Kirchenväter wegen des universalen Anspruchs des biblischen Gottesglaubens und der in I Petr 3,15 geforderten Rechenschaftspflicht gegenüber allen Menschen eine Anknüpfung an die religiösen und philosophischen Gottesvorstellungen im römischen Reich, welche vielfach von der hellenistisch geprägten antiken Metaphysik bestimmt waren. Aber es handelte sich dabei nicht um eine substantielle Hellenisierung des Christentums, sondern man sah sich vor „die immens schwierige Aufgabe gestellt […], bis zu den Elementen des philosophischen Gottesgedankens und Menschenbildes vorzustoßen und diese Elemente im Licht biblischen Gottesglaubens umzuschmelzen“34. „Die christliche Theologie konnte an den philosophischen Gottesgedanken nur anknüpfen, indem sie ihn zugleich durchbrach. Sie mußte […] der philosophischen Frage nach dem wahren Gott standhalten und sie zu einer echten Erfüllung bringen“35. Das führte zur Indienstnahme vorgegebener philosophischer Begriffe für die Auslegung der biblisch bezeugten Geschichte Gottes mit den Menschen. Dabei gerieten die „mit gebrachten“ Bedeutungsgehalte der philosophischen Begriffe in Konflikt mit ihrer neuen Funktion, weshalb auf den metaphorischverweisenden Charakter der trinitätstheologischen Begrifflichkeit zu achten ist, durch den die Begriffe neu definiert wurden. Im Kontext des biblischen Offenbarungsgeschehens entfernten sich die übernommenen Begriffe von ihrer alltäglichen Anschaulichkeit und ermöglichten so, über die Grenze alltäglicher Erfahrung hinauszuschauen.36 „An dieser Stelle zeigt es sich, wie wichtig es ist, daß wir unsere in der menschlichen Erfahrung gewonnenen Begriffe bei der Anwendung auf das Reden von Gott noch einmal von der Erfahrung Gottes her korrigieren lassen müssen.“37

In solcher Orientierung fand schon im Neuen Testament die Auseinandersetzung mit jüdischen und griechischen Gottesvorstellungen statt, insofern als die Botschaft vom Kreuz „den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit“ (I Kor 1,23) war. Deren Vorstellungen von Gottes Vollmacht und Allmacht standen nämlich im Widerspruch zur biblischen Perspektive, dass ein Mensch Gott sein solle und Gott am Kreuz sterben könne. So hatten die Kirchenväter den Prozess von Aneignung und Differenz fortzuführen, der sich in der Begegnung von biblischem Gotteszeugnis und religiösem Umfeld vollzog, weil der biblische Befund „so neu und einmalig [war], daß er alle hergebrachten Begriffe des Denkens revolutionierte. Es genügte also keineswegs, die Begrifflichkeit der griechischen Philosophie auf das über lieferte Bekenntnis anzuwenden. Solche Versuche endeten alle in der Häresie.“38 Denn aufgrund der biblisch bezeugten Einheit von Unterschied und Identität, die zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist besteht, kann Gott aus sich heraustreten und im Heiligen Geist zu den Menschen kommen oder im Sohn sogar Mensch werden, ohne sein göttliches „Gegenübersein“ zu den Menschen aufgeben zu müssen. Der Heilige Geist kann diese Gleichzeitigkeit von „Gegenüber und Nähe“ Gottes auch in sich selbst herstellen, da er als Geber und Gabe qualifiziert ist.39 Auf diese Weise bleibt im Verhältnis freier personaler Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch die Gottheit Gottes ebenso erhalten wie die Menschlichkeit des Menschen. Dadurch wird der antike Gottesbegriff gesprengt, der in der griechischen Kosmologie den Menschen bzw. den Geist des Menschen als Teil des göttlichen Kosmos verstand. In diesem griechischen Monismus des Seins werden Menschsein und Geschichtlichkeit entweder platonisierend ausgeschlossen oder aristotelisch in ihrer Selbstbewegung eingeschlossen (siehe Kap. II,1). Gegenüber solchen Formen ungeschichtlicher und wesensmäßiger (ontologischer) Partizipation des Menschen am göttlichen Sein eröffnete das neutestamentliche Zeugnis vor dem alttestamentlich-heilsgeschichtlichen Hintergrund Gott in vertiefender Weise als persönliches Gegenüber des Menschen, wodurch sich das dynamische Verhältnis von „Gegenüber und Nähe“ zwischen Gott und Mensch erschloss.40 Damit wurden sowohl dualistische philosophische und religiöse Vorstellungen eines völlig transzendenten bzw. unzugänglichen Gottes als auch identifizierende Formen eines sich in die Welt entfaltenden Gottes in Frage gestellt. Denn erst die dynamische Personalität Gottes gewährte gegenüber solchen statischen philosophischen und religiösen Gottesbildern eine freie personale Gemeinschaft der Liebe zwischen Gott und Mensch.41

 

So überwindet das biblische Zeugnis von dem in sich lebendigen Gott und seiner freien personalen Zuwendung also auf der einen Seite die als dualistisch zu bezeichnende Vorstellung eines völlig transzendenten und damit „fernen Gottes“: „Der Hinweis auf die Absolutheit kann Gott in eine solche Transzendenz entrücken, daß ihm gleichzeitig alle geschichtsmächtige Wirksamkeit abgesprochen wird“42. Ein solcher Gottesbegriff erforderte entweder das Vorhandensein des Göttlichen im Menschen, wie es die Gnosis mit dem göttlichen Funken im Menschen verband, oder die Handhabung Gottes durch eigene gesetzliche Werke, wie es die religiöse Selbstrechtfertigung im Pharisäismus nahelegte. Während platonische und gnostische Systeme auf einem Geist-Leib-Dualismus beruhten, der das Eigentliche des Menschen im göttlichen Geist sah, war die nomistische pharisäische Werkgerechtigkeit mit dem linearen hebräischen Geschichtsdenken verbunden, das eine gewisse Vereinnahmung Gottes durch eigene Handlungen suggerierte. Neben diesen Formen dualistischer Vereinnahmung Gottes auf der Handlungs- oder Seinsebene widersprach der biblische Gottesbegriff auf der anderen Seite Formen identifizierender Vereinnahmung Gottes auf der kosmologischen Ebene, welche sich besonders in der hellenistischen Kosmologie widerspiegelten. Während es in der pantheistischen Stoa zur völligen Identifizierung von Gott und Welt kam, betonte der Neu platonis mus die emanatorische bzw. stufenweise Entfaltung Gottes in die Welt.43

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass sich das biblische Zeugnis vom einen und vielfältigen Gott, der im Menschsein und im Gekreuzigten in liebender Hingabe die Schuld der Menschen überwindet, mit den übrigen Gottesbildern nicht vereinbaren ließ. Denn gegenüber den Formen der ontologischen Partizipation des Menschen am Göttlichen lässt das biblische Zeugnis die selbstbehauptende Auflehnung des Menschen gegen Gott sowie Gottes hingebungsvolle Liebe transparent werden. Wie zentral das Ärgernis des Kreuzes für die Auseinandersetzung mit anderen religiösen und philosophischen Vorstellungen war, lässt sich daran ablesen, dass Kreuz und Auferstehung Jesu den Ausgangspunkt christlicher Gotteserkenntnis bilden (siehe Kap. X,2.2). Das Kreuz steht für die äußerste Konsequenz der liebenden Hingabe in der den Tod ertragenden Selbstunterscheidung von Vater und Sohn und die Auferstehung für deren bleibende liebende Verbundenheit im Heiligen Geist – zugunsten des Lebens der Menschen. Die innergöttliche Gemeinschaft der Liebe und ihre am Kreuz in ganzer Tiefe zu erkennende Hingabe für die Menschen qualifiziert den christlichen Gottesbegriff: „Gott ist Liebe“ (I Joh 4,8.16).

In ihrer konstitutiven Bedeutung kommt die lebendige dreieinige Gemeinschaft Gottes auch bei der neutestamentlichen Erörterung der Taufe zum Tragen, durch die dem Menschen das Heilsgeschehen in dreifacher Hinordnung auf Gott zugeeignet wird. Die Glaubenden „sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft“ (I Kor 12,13). Indem „Gott den Geist seines Sohnes“ in die menschlichen Herzen sendet, wird Christus von den Getauften angezogen, die im Heiligen Geist Anteil an seinem Heilswerk erhalten, so dass sie als Kinder Gottes rufen können: „Abba, lieber Vater!“ (Gal 3,26–4,7) Diese Grundstruktur findet sich beispielsweise auch in Tit 3,5f.: Gott macht die Menschen selig „durch das Bad der Wiedergeburt und [die] Erneuerung im heiligen Geist, den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland“. Durch die „trinitarisch“ gewährleistete vertikale Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch entsteht die entsprechende horizontale Gemeinschaft der Menschen untereinander (Phil 2,1f.). Als „trinitarisch“ qualifizierte christliche Initiation (Eingliederung in die Gemeinschaft des dreieinigen Gottes und aller Glaubenden) definiert die Taufe die Kirche als „trinitarisch“ bestimmte Wirklichkeit.44 Im Taufbefehl findet sich schließlich die Zusammenfassung dieser von den apostolischen Zeugnissen vermittelten Grund erfahrung45: „Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes“ (Mt 28,19). Es geht hier um die Anrufung der Namen von Vater, Sohn und Heiligem Geist, die somit völlig gleichberechtigt nebeneinander stehen und denen der Täufling übereignet wird. „Die Epiklese der Namen in der Taufhandlung setzt die Gegenwart von Vater, Sohn und heiligem Geist während der Handlung voraus. Der durch die Taufe in die Gemeinde aufgenommene Christ erhält damit Zugang zum Bereich der kultischen Gegenwärtigkeit von Vater, Sohn und Geist, die sich in jedem Gottesdienst erneuert.“46 Durch ihre Verbindung von Doxologie, Soteriologie und Ekklesiologie wurde die Taufe zu einem zentralen „Sitz im Leben“ des trinitarischen Bekenntnisses, dessen Weiterentwicklung maßgeblich mit der Taufkatechese verbunden war, aber etwa auch mit der trinitarisch strukturierten Regula fidei (Glaubensregel) und der Liturgie. Besonders im Osten spielte dabei zugleich die dreigliedrige Ausformung der eucharistischen Doxologie eine maßgebliche Rolle, die in der Tradition des dreifachen Sanctus-Rufes der Seraphen (Jes 6) wurzelte. Bedeutend für die weitere Entwicklung war schließlich die Entfaltung kirchlicher Lehre insgesamt, die sich vor dem gezeigten Hintergrund deutlich auf biblischer Basis vollzog.

So versuchten im 2. Jahrhundert die Apologeten auf dieser Basis in Anknüpfung an den Logos-Gedanken des Johannes-Prologs die spezifisch christliche Wahrheit der griechischen Logos-Idee herauszustellen, um der heidnischen Öffentlichkeit gegenüber „den christlichen Glauben als Inbe griff der göttlichen Weltvernunft“47 zu entfalten. Im Kontext der Plato-Renaissance der römischen Kaiserzeit erläuterte Justin (gest. 165) die zwischen Christus und dem Logos bestehende Identität, so dass Christus als irdische Erscheinung des Weltlogos erkannt werden konnte und das Christentum als die eigentliche Philosophie aufleuchtete (Dialog mit Trypho 8,1). Dabei stellte die Logos-Christologie die Gottheit des Logos heraus, im Unterschied zur kosmologischen Zuordnung des Logos im monarchianischen Dualismus, der von der Monarchie der einen absoluten Gottheit ausging. Gleichzeitig betonte die Logos-Christologie gegenüber den mittelplatonischen Kosmogonien mit ihren ab strakten stufenweisen Entfaltungen die geschichtlich-persona le Gestalt Jesu als Gegenwart Gottes. So sollte der christ liche Gottesbegriff die allgemeingültige Wahrheit herkömmlicher religiöser Vorstellungen weiter führen und zugleich in kritischer Differenz überbieten.48 Denn für die Apologeten erweist sich Gott in Christus einerseits als die Erfül lung der im philosophisch-religiösen Monotheismus bestehenden Ahnung von dem einen Gott.49 Andererseits braucht der in Christus offen bare Gott weder ein rituelles oder geschöpfliches Mittlerwesen wie im monarchianischen Dualismus, noch entfaltet er sich in abstrakten Emanationen des Geistes wie im Mittelplatonismus, sondern er ist ein persönliches Gegenüber, das sich den Menschen unmittelbar zuwendet, so dass sich die Logoslehre als christliche Geschichtstheologie von der kosmologischen Spekulation absetzen konnte50. „Da mit trat an die Stelle der bisherigen Logosspekulation die Logos offenbarung.“51

Obwohl die Apologeten den Logos personal verstanden und ihn dem dreieinigen Gott zuordneten, sahen etliche christliche Theologen im Kontext des platonischen Stufenschemas die Gefahr einer polytheistischen Zergliederung des Gottesbegriffs. Deshalb meinten die Vertreter des Monarchianismus mit ihrer Betonung der Monarchie Gottes bzw. seiner einen Gottheit, den Monotheismus und die Einheit Gottes gegenüber der Logos-Christologie verteidigen zu müssen. Sie unterlagen dabei jedoch dem alten dualistischen Gottesbegriff, der die personale Gottheit Christi nicht zuließ. Im modalistischen Monarchianismus (Sabellius u.a.) galten der Sohn und der Geist der stoischen Kategorienlehre entsprechend nur als irdische Erscheinungsformen (lat. modi) des Vaters, während der adoptianistische Monarchianismus (Paul von Samosata u.a.) unter Ausblendung der Präexistenz des Gottessohnes davon ausging, dass Christus ein mit göttlicher Kraft ausgestatteter Mensch sei, der zum Gottessohn adoptiert wurde. So erhielt der Gedanke einer ontologischen Dreieinigkeit weder im Adoptianismus noch im Modalismus Relevanz für das Wesen Gottes. Dieses wurde vielmehr erneut in statischen Zuordnungen verstanden.52 Das galt auch für den Gnostizismus (Valentin u.a. – griech. gnosis: Erkenntnis), der vom Geist-Materie-Dualismus und von emanatorischen Strukturen geprägt war. Man ging davon aus, dass im Menschen eine göttliche Pneuma-Substanz existiert, mit der sich der Mensch durch Erkenntnis von der Materie der Schöpfungswirklichkeit befreien und über den demiurgischen Schöpfergott erheben kann (Gegensatz zwischen Schöpfungs- und Erlösungs wirklichkeit). Daraus resultierte eine doketische Christologie (Doketismus – griech. dokesis: Schein), die Christus lediglich als Wesen mit einem „Scheinleib“ qualifizierte, das die geheime gnostische Kunde über das Erwachen des pneumatischen Bewusstseins brachte. Die trinitarischen Personen wurden verschiedenen abgestuften Äonen zugeordnet, was für den Gottesbegriff einen Subordinatianismus (Unterordnung) zur Folge hatte, indem Sohn und Geist als untergeordnet galten. Den sich bis in den Menschen entfaltenden göttlichen Funken sah man als Ermöglichungsgrund der geistigen Selbsterlösung des Menschen (gegen den Schöpfergott).53