Gotteslehre

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Vor dem gezeigten Hintergrund verbietet sich eine oft zu beobachtende anthropozentrische oder existentialistische Reduktion der Glaubenswirklichkeit, was der Erste Artikel mit seiner Bezugnahme auf den gesamten Kosmos (Glaube an Gott den Schöpfer) ebenso belegt wie der Dritte Artikel mit seiner kosmischen Perspektive der eschatologischen Vollendung. Der neuzeitliche Anthropozentrismus, der sich etwa in rein sittlicher Religiosität neukantianischer Prägung oder in existentialistischer Ausblendung der kosmologischen Dimension äußert, wird der ganzheitlichen Selbsttranszendenz des Menschen und seiner Einbindung in Welt und Geschichte nicht gerecht. Deshalb „würde ein völlig akosmisches Gottesbild, Wirklichkeits- und Selbstverständnis des Menschen […] eine bedenkliche Ausfallerscheinung darstellen“12. Davor bewahrt das trinitarische Bekenntnis, indem es Schöpfung und Erlösung umschließt und sich „für den umfassenden Horizont des Wirklichen“13 öffnet. Es bedarf also der Wahrnehmung der Dimension natürlich-metaphysischer Transzendenz in ihrer ganzheitlichen Perspektive, weil man Gott die Wirklichkeit von Welt und Kosmos nicht entziehen kann und der universale Wahrheitsanspruch der Offenbarung im Erfahrungskontext der Menschen gewährleistet bleiben muss, um zu verhindern, „daß der Glaube auf den Standpunkt eines ‚credo, quia absurdum‘ verwiesen wird“14. Denn der Glaube wird absurd, wenn die Wirklichkeit des Glaubens und die Wirklichkeit der Welt nicht in Übereinstimmung kommen. (Siehe dazu Kap. X,1.2: „Theologie und Naturwissenschaft“.)

Insgesamt behält die natürlich-metaphysische Dimension den Charakter der Ahnung von Gott und des natürlichen Anknüpfungspunktes seiner Selbsterschließung, auf welche die Ahnung wiederum angewiesen bleibt. So verweist die Transzendenz von Welt und Kosmos nicht nur auf die Ahnung von Gott, sondern auch auf die Notwendigkeit seiner Selbsterschließung – und damit zugleich auf die anthropologischen Voraussetzungen der Gotteserkenntnis im Kontext dieser Welt.

3. Die Transzendenz des Menschen

Da der Mensch letztlich weder seine Herkunft noch seine Zukunft selbst in der Hand hat, erfährt er sich als Frage und Geheimnis und weist so über sich selbst hinaus. Diese Transzendenz verbindet sich mit der personalen und sprachlichen Konstitution des Menschen, durch die sich der Mensch als personales Geheimnis selbst mitteilen kann und durch die er auf Anrede angewiesen ist. Indem sich der dreieinige Gott ebenfalls als personal und sprachlich konstituiertes Wesen erschlossen hat, wird der Mensch als Ebenbild Gottes transparent. Lässt sich der Mensch glaubend auf die Anrede Gottes ein, entspricht er also sowohl dem Wesen Gottes als auch seinem eigenen Wesen.

Wie es bereits aus der Transzendenz von Welt und Kosmos hervorging, spürt der Mensch, der die Begrenztheit seines Lebens ernst nimmt, dass er zum einen von Voraussetzungen lebt, die er nicht selbst geschaffen hat. So ist er nicht aufgrund eigener Entscheidung in dieser Welt, sondern er wurde sozusagen „in das Leben hineingeworfen“. Der Mensch hat also keine Verfügungs- und Begründungsmacht im Blick auf seine Herkunft. Zum anderen kann er zwar seine Zukunft im Leben planen und beeinflussen, doch sie bleibt letztlich nicht vorhersehbar. Erst recht steht die Zukunft über das Lebensende hinaus nicht in der Verfügbarkeit des Menschen. Dadurch erfährt sich der Mensch als Frage und als Geheimnis, es existiert eine Unruhe der Unabschließbarkeit und somit das Gefühl, aus sich herausgerufen zu sein. Die sich in solcher „Frag-Würdigkeit des Geheimnisses“15 und im existentiellen Verwiesensein dokumentierende Selbsttranszendenz des Menschen erwartet eine „Antwort auf die mit dem Menschen als Person gegebene Frage nach dem Ganzen der Wirklichkeit“16 und nach deren universalem Sinn. In diesem „Gefordertsein der menschlichen Existenz“17 existiert sowohl das mit menschlicher Personalität und Liebeserfahrung gegebene Grundvertrauen als auch eine unauslotbare Verborgenheit: „Insofern die Erfahrung des Geheimnisses ein unerreichbarer Horizont aller unserer Erfahrung ist, begegnet es uns als das ganz Andere […]. Insofern es uns in allen Dingen nahe ist, erscheint es uns als bergender Grund“18. Durch die Erfahrung beider Dimensionen des Geheimnisses, welche die Frage nach dem universalen Sinn beinhalten, wird das Denken über sich selbst hinausgewiesen. Bereits im antiken griechischen Begriff „Anthropos“ (Mensch) ist das über sich hinausweisende Wesen des Menschen angedeutet, insofern als der Begriff etymologisch mit dem griechischen Wortstamm anatrein (nach oben blicken) in Verbindung steht.

Die gezeigte Transzendenz des Menschen beinhaltet den anthropologischen Aspekt des Herausgerufenseins bzw. des Angewiesenseins auf Anrede, was bereits in der personalen und sprachlichen Konstitution des Menschen angelegt ist. Beide Konstitutionsmerkmale, Personalität und Sprachlichkeit, bedingen sich gegenseitig. Denn die mit selbstreflexiver Subjektivität verbundene Personalität des Menschen verkörpert Selbstsein im Gegenüber- und Mitsein, so dass menschliche Personalität einerseits die Dimension des von außen nicht zugänglichen personalen Geheimnisses beinhaltet, während sie andererseits durch die Dimension der Gemeinschaft und des Angegangenseins von außen geprägt ist. Weil sich der Mensch als personales Geheimnis nur selbst mitteilen kann und zugleich auf personale Gemeinschaft und damit auf Anrede angewiesen ist, bedarf er ontologisch der sprachlichen Konstitution. Die Sprachlichkeit ermöglicht nämlich nicht nur die Handhabung des Aspekts des personalen Geheimnisses, indem sich der Mensch anderen erschließen oder verschließen kann, sondern auch die freie Ansprechbarkeit des Menschen und die freie intersubjektive Gemeinschaft der Menschen untereinander.19

Angesichts dieser Zusammenhänge geben Sprachlichkeit und Personalität die Selbsttranszendenz des Menschen zu erkennen. Denn so wie die Sprachlichkeit des Menschen bewusste Beziehungen in personaler Gemeinschaft voraussetzt und so wie die im personalen Geheimnis gegebene Sinnfrage auf ein personales Gegenüber verweist, das allein die Antwort auf diese Frage erschließen kann, so kann das menschliche Wesen „seine Erfüllung als Person nur in der Gemeinschaft mit einem höheren persönlichen Wesen finden“20. Dabei beinhaltet die Sprache selbst schon eine transzendierende Dimension: „Die Sprache lebt vom Vorgriff auf einen Gesamtsinn der Wirklichkeit und bringt diesen in Metaphern und Gleichnissen zum Ausdruck. So ist die Sprache zugleich Erinnerung an eine unabgegoltene Hoffnung der Menschheit und zugleich Antizipation dieser Hoffnung. Noch bevor die Sprache zur expliziten religiösen Sprache wird, impliziert sie je schon eine religiöse Dimension. Erst die religiöse Sprache bringt die Sprache zu sich selbst. Nicht das Wort Gott ist ein sinnloses Wort, vielmehr ist dort, wo Gott totgeschwiegen wird, das Sprechen selbst gefährdet.“21 Entsprechend meint das Wort „Gott“ laut Gerhard Ebeling „die Tatsache, daß der Mensch in der Ganzheit seines Lebens und damit im Hinblick auf die Wirklichkeit im ganzen in einer letztgültigen Weise sprachlich angegangen ist“22.

Vor dem Hintergrund dieser anthropologischen Voraussetzungen ist es aufschlussreich, dass sich Gott in der trinitarischen Heilsgeschichte als personale Gemeinschaft der Liebe erschlossen hat und die Menschen immer wieder durch sein Wort anredet. Aufgrund des Umstandes, dass sich der Sohn Gottes wesensmäßig als Wort (griech. Logos) Gottes erschließt („Das Wort ward Fleisch“ – Joh 1,14), wird vollends offenbar, dass neben der Personalität auch die Sprachlichkeit zum innersten Wesen Gottes gehört. So wird der Mensch auch diesbezüglich als imago Dei (Ebenbild Gottes) transparent. Von daher kann das Wort Gottes die als Wortsituation bestehende Grundsituation des Menschen treffen, weshalb gilt: Wenn sich der sprachlich konstituierte Mensch glaubend auf die Anrede Gottes einlässt, handelt es sich um „dasjenige Verhalten, in dem der Mensch gleichursprünglich sowohl Gott als auch sich selbst entspricht“23, da er Gott als den von sich aus Redenden gelten lässt und sich das wahre Menschsein zusprechen lässt. „Letztlich geht es um das einzige Wort, ‚das den Menschen menschlich macht, indem es ihn zum Glaubenden macht‘“24. Dabei gewährt die im Sohn Gottes bestehende einmalige Identität von Wort und Sein den Menschen wahre Gotteserkenntnis und Heilsgewissheit, weil sich Gott in seinem Wort selbst entspricht.

So verweist die Transzendenz des Menschen auf das Geheimnis, in das der Mensch gestellt ist und das er selbst nicht erschließen kann, weshalb das Denken über sich hinausgewiesen ist, bis hin zum Grenzbegriff „Gott“, der zu der Einsicht führt: „Vor ihm muß unser Denken verstummen. Soll uns das Unendliche zugänglich werden, dann muß es sich uns selbst erschließen.“25 In dieser empfangenden Hermeneutik kann der Mensch die biblisch bezeugte Selbsterschließung des dreieinigen Gottes in der Heilsgeschichte wahrnehmen, die erkennen lässt, dass der personal und sprachlich geprägte Gott den personal und sprachlich konstituierten Menschen als Adressaten seiner Liebe geschaffen hat. Gott, der die innertrinitarische Beziehung der Liebe verkörpert, nimmt „die Menschen als seine von ihm selbst geschaffenen Kommunikationspartner in diese Beziehung auf […], so daß diese – von der grenzenlosen Beziehungswilligkeit Gottes ergriffen und sich ihr öffnend – den Mitmenschen wie auch ihrem Gott entsprechen und zu ihrem menschlichen Wesen kommen können“26.

 

4. Implikationen des Gottesbegriffs

Die Implikationen des Gottesbegriffs, die auf Gott als unverfügbare Eigenwirklichkeit hinweisen, korrespondieren mit dem personalen Wesen des dreieinigen Gottes, weil sich Gott als personales Geheimnis nur selbst erschließen kann. Soll Gott nicht depotenziert oder vereinnahmt werden, ist er als sich selbst erschließendes Geheimnis ernst zu nehmen. Der verborgene Gott verweigert sich menschlicher Vereinnahmung und ermöglicht so wahre Gotteserkenntnis durch den offenbaren Gott.

Die beiden Abschnitte über die Transzendenz des Menschen und die Transzendenz von Welt und Kosmos lassen erkennen, dass der Mensch im Kontext des Kosmos über sich selbst hinausgewiesen ist – auf einen letzten Grund und ein letztes Ziel. Diese Dimensionen sind wiederum verbreitet mit dem Gottesbegriff verbunden, wie es im Abschnitt über die Horizonte des Gottesbegriffs deutlich wurde (siehe Kap. II,1). So trat ein gewisser Resonanzboden des Gottesbegriffs hervor, da Gott weitgehend als Ursache aller Wirklichkeit verstanden wird und somit als selbstursächliche und unverfügbare Eigenwirklichkeit, die hinter dem Geheimnis menschlicher Transzendenz steht. Nimmt man diese Implikationen des Gottesbegriffs ernst, kann es keine aus den weltlichen Bedingungen rekonstruierbare Notwendigkeit Gottes geben, wie es falsch verstandene Gottesbeweise scheinbar vorgeben (siehe zu den Gottesbeweisen Kap. VI,3). Denn bei dem göttlichen Horizont der unverfügbaren Eigenwirklichkeit geht es um den grundlosen Grund, der erst über Sein und Nicht-Sein entscheidet. Deshalb kann weder vom Sein noch vom Nicht-Sein die metaphysisch-theistische „Notwendigkeit“ oder die atheistische „Nicht-Notwendigkeit“ Gottes abgeleitet werden („Gott ist mehr als notwendig“ – E. Jüngel).27 Vielmehr lässt die aus menschlicher Selbsttranszendenz resultierende Ahnung von der Existenz Gottes erkennen, dass der diesem Anschein nach aus sich selbst existierende Gott um seiner selbst willen ernst zu nehmen ist: Er muss sich selbst verifizieren, wenn er erkannt werden soll. „Letztlich kann Gott nicht von einer äußeren Instanz her bewiesen werden. Er muß sich selbst erweisen. Man kann den Gottesgedanken nur daran bewähren, daß man ihn an seinen eigenen Implikationen mißt.“28

Das gilt auch für die Implikationen des Gottesbegriffs, die sich aus der personalen Konstitution des Menschen ergeben (siehe Kap. II,3). Als Anknüpfungspunkt und Voraussetzung für den Zugang zu Gott verweist die menschliche Personalität auf ein personales göttliches Gegenüber, das Antwort auf das Geheimnis anthropologischer Personalität und ihres Kontextes geben kann und das sich als personales Geheimnis ebenso erschließen oder verschließen kann wie der Mensch. Wie „schon zur Anwesenheit eines Menschen dessen Entzogensein gehört“, ist „Gottes Anwesenheit […] überhaupt nur mit seiner Abwesenheit zugleich erfahrbar. Deshalb ist seine Anwesenheit auch nur als Offenbarung erfahrbar.“29 Die mit dem Wesen der Personalität verbundenen Aspekte unterstreichen also die Implikationen des von einer unverfügbaren Eigenwirklichkeit ausgehenden Gottesbegriffs, weil sich das personale Geheimnis in seiner Eigenwirklichkeit auch frei entziehen oder erschließen kann. Durch die damit verbundene Kategorie der selbstursächlichen Freiheit drängt sich die personale Dimension für den Gottesbegriff auf, wobei zu unterstreichen ist, dass sich Gott in der Geschichte als personaler Gott erschlossen hat.

Der kommunikative Charakter der Personalität bildet die Voraussetzung für eine freie Gemeinschaft der Liebe und somit die Grundlage für eine derartige Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch. Im Blick auf die Bedingungen angemessener Gotteserkenntnis, die Gott wirklich Gott sein lässt und ihn nicht eigenen Vorstellungen unterwirft, bleibt deshalb festzuhalten, dass Gott nur in einer empfangenden Hermeneutik ernst genommen wird, die sich seiner Selbsterschließung öffnet, statt ihn selbst rekonstruieren zu wollen. Denn wie der Mensch das personale Geheimnis seiner Mitmenschen vorurteilsfrei zur Kenntnis nehmen sollte, so sollte er auch das Geheimnis Gottes als solches wahrnehmen. „Gott ist um seiner selbst willen interessant […]. Was man Menschen zugesteht, sollte man Gott auch nicht einmal in der Theorie vorenthalten.“30 Wenn man Gott als göttliche Wirklichkeit ernst nimmt, kann er nur als sich offenbarender Gott als Gott gedacht werden: „[…] für Gott als den, über den hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, kann es nicht nochmals einen größeren und umfassenderen Horizont geben, von dem her und innerhalb dessen wir ihn begreifen können“31. Soll Gott nicht depotenziert oder vereinnahmt werden, muss man ihn als sich selbsterschließendes Geheimnis wahrnehmen. Nur so lässt man ihn als Gott gelten, während man sich selbst unter Berücksichtigung der eigenen Transzendenz als empfangende menschliche Kreatürlichkeit annimmt. Denn „Gott denken heißt: Gott allein als denjenigen denken, der de deo etwas zu sagen hat. […] Gott denken kann nicht heißen, daß die menschliche Vernunft ihm gleichsam vorschreiben könnte, wie er sich ihr zu zeigen hat.“32

„Gott kann deshalb nur durch Gott erkannt werden; er kann nur erkannt werden, wenn er sich selbst zu erkennen gibt.“33 Zu einer solchen empfangenden Hermeneutik fordert schon das Wort „Gott“ selbst heraus, indem es ein „Sprachereignis“ impliziert: „Das Wort Gott bringt die Wirklichkeit so zur Sprache, daß es zugleich an der Welt selbst ‚etwas‘ aufleuchten läßt, was mehr als Welt ist. […] Damit ist die […] Rede von Gott […] immer ein wirksames Wort. In ihm geht es nicht um das, was die Welt immer schon war, um ihr bleibendes Wesen, sondern um ihre offene Zukunft.“34 Von daher hat der Gottesbegriff an sich bereits Begegnungscharakter, weil er den sprachlich konstituierten Menschen schon allein als Begriff auf die Gemeinschaft mit Gott anspricht. 35 Dabei verlangt die in der Gottesrelation gegebene „Antwort auf die Fraglichkeit des Menschen und der Welt“36 Aussagen tragfähiger Erkenntnis- und Heilsgewissheit – im Unterschied zu den immer nur annähernden Aussagen, welche die Weltrelation des Menschen betreffen.37 „Jedenfalls für die Gotteserkenntnis ist es charakteristisch, daß sie – als Erkenntnis der Alles (also auch den Erkennenden selbst) bestimmenden Wirklichkeit – erst dann an ihr Ziel kommt, wenn sie im Menschen daseinsbestimmendes Vertrauen weckt und findet.“38 Das wiederum gelingt nur, wenn Gott sich in seiner Heilsrelevanz selbst tragfähig (erfahrbar) zusagt und nicht Produkt menschlicher Gottesspekulation ist. Diese kann nämlich aufgrund ihrer eigenen Grenzen, die mit der Transzendenz gesetzt sind, keine letzte Gewissheit erlangen. „Die Gottesgewissheit soll uns von sich aus und durch sich selbst vergewissern; sie will und soll uns verbindlich und verantwortlich in Anspruch nehmen“, weil „es hier tatsächlich um alles geht, um Heil und Unheil, um Wahrheit oder Lüge“39. Entsprechend geht es beim Gottesbegriff um „einen Beziehungsbegriff, dessen Maß und Norm Gott selbst in dieser Beziehung“40 setzen muss, wenn solche Gottes-Gewissheit erlangt werden soll.

So wird Gott nur als sich selbsterschließendes offenbares Geheimnis zugänglich, dessen Verborgenheit positiv die Eigenständigkeit von Personalität charakterisiert, wobei sich der verborgene Gott der Versuchung menschlicher Vereinnahmung verweigert und damit die wahre – und definitiv zugesagte – Gotteserkenntnis durch den offenbaren Gott ermöglicht. Gottes Verborgenheit impliziert also weder die Undefinierbarkeit Gottes für menschliche Erkenntnis noch die Möglichkeit der rationalen Ableitbarkeit seines Wesens, sondern die notwendige Öffnung für seine Selbsterschließung. Eine resignative Hermeneutik, die meint, über das Wesen Gottes nur schweigen zu können (L. Wittgenstein), ist gegenüber den aufgezeigten Implikationen des Gottesbegriffs also ebenso unangemessen wie eine spekulativ-rationale Hermeneutik, die die Möglichkeit einer Rekonstruktion des Wesens Gottes aus natürlichen Voraussetzungen postuliert. Vielmehr bedarf es einer empfangenden Hermeneutik der Offenheit.

5. Hermeneutische Bedingungen für die Erkenntnis Gottes

Aus der Transzendenz von Welt und Mensch und den Implikationen des Gottesbegriffs geht hervor, dass der Mensch aus sich selbst keine tragfähige Gotteserkenntnis ableiten kann, sondern sich in empfangender Hermeneutik der Selbsterschließung Gottes zu öffnen hat. Nur so wird er dem Zusammenhang von „Ahnung“ und „Offenbarung“ gerecht. Dieses Begriffspaar kann die geschichtliche Selbsterschließung des dreieinigen Gottes angemessen zum Ausdruck bringen: Die Offenbarungswirklichkeit wäre ohne eine vorläufige Ahnung von der göttlichen Dimension kaum verständlich zu vermitteln, während umgekehrt eine natürlich ableitbare Gotteserkenntnis die Offenbarung in feststehende Kategorien zwängen würde. Entsprechend verweist die aus menschlicher Selbsttranszendenz resultierende Ahnung von Gottes Existenz auf die Notwendigkeit seiner Selbsterschließung, welche um der allgemeinen Verständlichkeit willen wiederum an die natürlichen Voraussetzungen anknüpft. So ermöglicht die sich in Wort und Tat vollziehende heilsgeschichtliche Offenbarung des dreieinigen Gottes authentische Gotteserkenntnis und damit Heilsgewissheit. Im Blick auf das Geheimnis von Mensch, Welt und Geschichte wird offenbar, dass Gott und Mensch in der Liebe dasselbe Geheimnis teilen.

Aus den gezeigten Dimensionen der Transzendenz von Welt und Mensch sowie aus den dargelegten Implikationen des Gottesbegriffs gehen bereits die – in diesen Abschnitten angeklungenen – Bedingungen für eine angemessene Gotteserkenntnis hervor. Demnach erkennt die vernünftige Vernunft, dass sie aufgrund der kosmologischen und anthropologischen Selbsttranszendenz und der Verborgenheit Gottes nur zur Gottesidee als einem Grenzbegriff der Vernunft gelangen kann.41 Bei bewusster Betrachtung gelangt die menschliche Perspektive lediglich zu einer Ahnung von Gott, weil der Mensch aufgrund seiner über sich selbst hinausweisenden Grenzen die alles bestimmende göttliche Wirklichkeit nicht zu erfassen vermag – zumal sich der Grund des Seins als selbstursächliche und unverfügbare Eigenwirklichkeit aufdrängt, die hinter dem Geheimnis menschlicher Transzendenz steht. Werden diese Bedingungen ernst genommen, müsste den Menschen deutlich sein, dass sie Gott weder aus anthropologischen noch aus kosmologischen Voraussetzungen ableiten können. Die Menschen sind nicht in der Lage, sich selbst ein tragfähiges Bild bzw. Bildnis von Gott zu machen, weil sie keine dem Erkenntnisgegenstand angemessene Möglichkeit haben, diesen zu rekonstruieren. Zudem verweist die personale Struktur des Menschen als Bedingung und Anknüpfungspunkt der Got tes idee auf ein personales göttliches Gegenüber, das sich dem Menschen vermitteln kann und Antwort auf das Geheimnis menschlicher Personalität in ihrem universalen Kontext zu geben vermag. Die mit der Charakteristik von Personalität einhergehende unverfügbare Eigenwirklichkeit korrespondiert den entsprechenden Dimensionen der Gottesidee und beinhaltet, dass sich Gott wie der Mensch verschließen und erschließen kann. Wird diese in unterschiedlichen Facetten hervortretende selbstursächliche Freiheit wahrgenommen, die sich mit der für die Menschen nicht greifbaren Dimension Gottes verbindet, kann der Mensch Gott nicht spekulativ konstruieren, sondern muss sich in empfangender Hermeneutik der – möglicherweise erfolgenden bzw. erfolgten – Selbsterschließung Gottes öffnen, wenn er zu tragfähiger und begründeter Gotteserkenntnis gelangen will. Denn nur wenn sich der Mensch in hermeneutischer Offenheit „auf den Ort der (erhofften) Selbsterschließung Gottes“42 ausrichtet, werden die Gottheit Gottes und die Kreatürlichkeit des Menschen ernst genommen.

 

Vor diesem Hintergrund ist das Verhältnis von „Natürlicher Theologie“ und „Offenbarungstheologie“ bzw. das Verhältnis von „natürlicher und übernatürlicher Offenbarung“ (De Deo uno – De Deo trino) zu modifizieren. Denn schon in der Scholastik wurde die Trinitätslehre durch die natürliche Vorordnung des Traktats „De Deo uno“ zunehmend funktionslos für die Lehre von Gott und die Lehre vom Heil des Menschen (Soteriologie), so dass der christliche Gottesbegriff seine theologische und kirchliche Tragweite zugunsten einer aus natürlichen Grundlagen rekonstruierten Einheit Gottes verlor. Deshalb ist daran zu erinnern, dass bereits der Kirchenvater Gregor von Nazianz (ca. 325–390) aus gutem Grund die Alternative zwischen natürlicher und übernatürlicher Offenbarung überwand, indem er die natürliche bzw. ableitbare rationale Erkenntnis (kataphatisch) mit der übernatürlich orientierten Erkenntnis vermittelte, die das göttliche Geheimnis nicht zu umschreiben vermag (apophatisch). Die Vermittlung geschieht durch die dritte Dimension der existentiellen Erkenntnis (Erfahrung), in der sich kataphatische und apophatische Dimension verbinden (Oratio 28ff.). Wie in der paulinischen Theologie (Röm 1,18–20; 2,14f.) existiert eine natürliche Gottesahnung, die auf Gottes Existenz hinweist, aber aufgrund der Transzendenz von Mensch und Welt sowie der menschlichen Selbstvergöttlichungsneigung (Verkehrung natürlicher Hinweise) ambivalent bleibt (Röm 1,21ff.). So bedarf die natürlich-kataphatische Ahnung von Gott der apophatischen Offenbarungserkenntnis, insofern als das apophatische Moment nicht die Unerkennbarkeit Gottes beinhaltet, sondern auf die trans zendente, personale und somit freie Wirklichkeit Gottes verweist, die nur durch die Selbsterschließung Gottes zugänglich wird. Diese Selbsterschließung vollzieht sich in der Heilsgeschichte – und damit unter den Bedingungen der Welt. Die Selbsterschließung Gottes in der heilsgeschichtlichen Wirklichkeit knüpft also um der Verständlichkeit des Offenbarten willen an die natürliche Ahnung von Gott an, welche wiederum der selbsterschließenden Offenbarung des göttlichen Geheimnisses bedarf. Dadurch ist sowohl die Gottheit Gottes bzw. die Eigenständigkeit der Offenbarung gewährleistet als auch deren Relevanz für die Wirklichkeit des Menschen und der Welt (Universalität).

Um dieses differenzierte Offenbarungsverständnis, das den Bedingungen der Gotteserkenntnis angemessen ist, zum Ausdruck zu bringen und vor bisherigen Einseitigkeiten zu schützen, hat der Verfasser das Begriffspaar „Ahnung – Offenbarung“ eingeführt. So schützt der Begriff Ahnung gegenüber den Begriffen „natürliche Theologie“ oder „natürliche Offenbarung“ besser davor, durch rationale Ableitungen oder metaphysische Rückschlussverfahren aus natürlichen Voraussetzungen einen spekulativen Gottesbegriff zu rekonstruieren. Gleichzeitig beinhaltet der Begriff aber auch die natürlichen Anknüpfungspunkte der Gotteserkenntnis. Er erlaubt also weder eine natürlich-theologische Definition Gottes, die zum Kriterium der übernatürlichen Offenbarung wird (Vorordnung des „De Deo uno“), noch eine Offenbarungstheologie, die natürliche Anknüpfungspunkte als Voraussetzung der Verständlichkeit und Universalität des Offenbarten vernachlässigt. So wird der in den bisherigen Begriffspaaren bestehenden Gefahr einer pauschalen Polarität gewehrt. Der in dem neu gewählten Begriffspaar nur einmal vorkommende Begriff Offenbarung schützt wiederum vor der Gefahr einer undifferenzierten Nivellierung, die bei der Rede von „natürlicher Offenbarung“ und „übernatürlicher Offenbarung“ besteht, weil eine solche Terminologie die Offenbarungsqualität beider Seiten als gleichwertig erscheinen lässt, wodurch natürliche Erkenntnis erneut zum Maßstab heilsgeschichtlicher Offenbarung werden kann (kriteriologische Vorordnung des Traktats „De Deo uno“). So gewährleistet das Begriffspaar „Ahnung – Offenbarung“ die Beachtung des folgenden offenbarungstheologischen Zusammenhangs: Die Offenbarungswirklichkeit wäre ohne eine vorläufige Ahnung von der göttlichen Dimension kaum verständlich zur Sprache zu bringen, während umgekehrt eine natürlich-apriorische Gotteserkenntnis die Offenbarung lediglich unter feststehende Kategorien subsumieren würde, die zudem den Charakter spekulativer Rekonstruktion hätten.43

Die genannten offenbarungstheologischen Zusammenhänge werden auch durch die Implikationen der biblischen Aussage bestätigt, dass niemand den in einem unzugänglichen Licht wohnenden Gott je gesehen hat (Joh 1,18a; 6,46; I Tim 6,16; I Joh 4,12). Denn damit ist nicht die grundsätzliche Unkenntlichkeit Gottes gemeint, sondern der Aspekt seines transzendentalen und personalen Geheimnisses, welches Gott als von sich aus Redender und Handelnder selbst in der menschlichen Geschichte erschließt: „[…] der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt“ (Joh 1,18b). Zugleich deutet sich hier eine weitere zentrale hermeneutische Bedingung angemessener Gotteserkenntnis an, nämlich die Tatsache, dass sich die trinitarische Selbsterschließung Gottes in der gegenseitigen Abhängigkeit bzw. Interdependenz von Wort- und Tatoffenbarung vollzieht. Weil sich die biblisch bezeugte Wort- und Tatoffenbarung Gottes in gegenseitiger Bestätigung zu einer großen Geschichtslinie verbindet, wird die authentische44 personale Selbsterschließung Gottes ermöglicht: Der sich im Heiligen Geist und im Sohn Jesus Christus auch als himmlischer Vater erschließende dreieinige Gott erweist sich nämlich nicht nur als verkündigtes Objekt der Gotteserkenntnis, sondern auch als bleibendes Subjekt dieser in der Heilsgeschichte sich vollziehenden Erkenntnis. Wie Gott im Heiligen Geist den Menschen die im Wort bezeugte Geschichte ihres Heils existentiell erfahrbar werden lässt, so steht in Christus die Tat des von Gottes Liebe erzählenden Wortes vor Augen, wobei der verkündigte Christus als Auferstandener im Heiligen Geist selbst das Werk der Verkündigung weiter vorantreibt (der Verkündigte ist zugleich der Verkündiger).

Da im Kontext dieses biblischen Offenbarungsbegriffs die Dimension des Geheimnisses nicht wie in neuplatonisch oder aufklärerisch geprägten theologischen Traditionen auf Über-Ra tionales oder die Unbegreiflichkeit Gottes verweist, sondern auf das in der personalen Selbsterschließung offenbare Geheimnis, ist Gott weder schweigend als unsagbar zu bejahen (Mystik) noch atheistisch als undenkbar zu negieren oder theistisch im Rückschlussverfahren abzuleiten. Vielmehr ist er als personales Geheimnis in seinen selbsterschließenden Worten und Taten ernst- und wahrzunehmen.

Dann werden auch die heilsrelevanten Inhalte der christologischen und pneumatologischen Selbsterschließung des dreieinigen Gottes erkennbar, was hier zunächst nur grundsätzlich im Blick auf die Erkenntnismöglichkeiten erörtert wird. Die christologische Selbsterschließung lässt erkennen, dass sich Gott der Vater in seinem ewigen Sohn bzw. seinem ewigen Wort (Logos) als sein eigenes innertrinitarisches Bild offenbart (Joh 14,9), in welchem er sich selbst aussagt und selbst Ziel und Gemeinschaft ist. Dabei tritt durch die Identität des Wortes Gottes mit Gott (Joh 1,1) nicht nur die sprachliche Konstitution Gottes hervor, sondern auch die wesensmäßige Voraussetzung dafür, dass sich die Selbstmitteilung Gottes an die ebenfalls sprachlich konstituierten Menschen im Sohn (Logos) vollzieht. Weil der Sohn sowohl das Bild Gottes (Kol 1,15) als auch das Bild des wahren Menschen verkörpert, insofern als die Menschen nach dem Bild des Sohnes geschaffen wurden (Kol 1,16f.), erklärt sich, warum der sprachlich und personal konstituierte Mensch Ebenbild Gottes ist (imago Dei), warum gerade der Sohn Mensch wurde und warum im Sohn Gottes wahre Gottes- und Menschenerkenntnis gegeben ist. Denn in ihm wird sowohl die innergöttliche liebende Antwort des Sohnes an den Vater offenbar als auch die vertrauensvolle Glaubensantwort der Menschen an den himmlischen Vater. Deshalb vermittelt der Sohn das Wort des Angebots und des Lebens, das den Menschen in der Freiheit ihrer Ansprechbarkeit die Freiheit der lebensbejahenden Antwort ermöglicht.

Die Annahme dieses Angebots und die damit verbundene freiheitliche Liebesgemeinschaft der Menschen mit Gott werden durch die pneumatologische Selbsterschließung Gottes gewährt. Denn der Heilige Geist erschließt innertrinitarisch den Vater für den Sohn und umgekehrt, wobei er ermöglicht, dass beide nicht in egoistischer Liebe aufgehen, sondern sich auf einen Dritten beziehen können, den Heiligen Geist. Deshalb gewährt der Geist eine vollkommene heilige Gemeinschaft der Liebe, was sich im Begriff Heiliger Geist widerspiegelt. Weil der Geist das innergöttliche Leben auf die freie Gemeinschaft der Liebe hin öffnet und vollendet, kommt ihm seinem Wesen entsprechend in der Heilsgeschichte die Aufgabe zu, die Gemeinschaft freier personaler Liebe zwischen Gott und Mensch sowie zwischen den Menschen untereinander zu eröffnen und zu vollenden. Die der menschlichen Transzendenz eingepflanzte Hoffnung auf Vollendung gelangt im Heiligen Geist zum Ziel. Insofern als der Heilige Geist der Vollzug der innergöttlichen Gemeinschaft der Liebe in Person ist, verkörpert er nicht nur die Gabe göttlichen Lebens und göttlicher Liebe, sondern auch den personalen Geber dieser Gabe. So wird der Heilige Geist den Menschen einerseits als Gabe zuteil, indem die Menschen die von ihm verliehenen Charismen (Gnadengaben) erhalten, während er andererseits als Geber das personale Gegenüber der Menschen zu bleiben vermag und so die Gleichzeitigkeit von „Gegenüber und Nähe“ Gottes garantiert. Damit realisiert der Heilige Geist selbst noch einmal, was das trinitarische Wesen Gottes ohnehin schon ermöglicht, wenn etwa der unsichtbare Vater als ble i ben des Gegenüber den Menschen in der Inkarnation seines Sohnes ganz nahe kommt. Durch diese Struktur von „Gegenüber und Nähe“ Gottes kann eine freie personale Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch entstehen, die die Personalität der Gottheit Gottes ebenso zulässt wie die Personalität der Menschlichkeit des Menschen („wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ – II Kor 3,17). Auf diese Weise wird die pneumatologische Selbsterschließung Gottes sowohl dem Wesen Gottes als auch dem Wesen des Menschen gerecht, was nicht zuletzt darin begründet liegt, dass der Geist in der Schöpfung waltet (Schöpfergeist), die er in Vergegenwärtigung des Christusheils heiligt, um sie zur eschatologischen Vollendung zu führen.