Gotteslehre

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Von derartigen emanatorischen und dualistischen Auffassungen der Gnosis und vom dualistisch geprägten Monarchianismus sowie von anderen philosophisch-religiösen Einseitigkeiten setzten sich Kirchenväter aus Ost und West in dezidierter Orientierung am biblisch-heilsge schicht lichen Zeugnis ab, weshalb man hier von der „ökumenischen Epoche“54 sprechen kann. Sie erstreckt sich von Irenäus von Lyon (gest. nach 200) und Tertullian von Karthago (gest. nach 220) bis zum trinitarischen Dogma von 381 (Zweites Ökumenisches Konzil zu Konstantinopel). Bedeutende Kirchenväter aus Ost und West hielten an dem biblisch bezeugten Paradoxon fest, dass Gott die Gleichzeitigkeit von inner- und zwischenpersonaler Dimension ist (Einer und Drei), was man aus der eigenen Erfahrungswirklichkeit nicht kannte. So verteidigten diese Kirchenväter das trinitarische Paradoxon gegen die naheliegende Versuchung, das Wesen Gottes aufgrund der gewohnten philosophischen und religiösen Vorstellungen mehr an der Dreiheit oder mehr an der Einheit zu orientieren. „Ihren theologischen Bemühungen ist es nicht nur zu verdanken, daß sich das gläubige Denken über die Trinität im Gegensatz zu den willkürlichen Spekulationen des Menschengeistes an der positiven Offenbarung und am objektiven Bibelwort orientierte, sondern daß sich auch eine eigenständige geistige Durchdringung des Geheimnisses entwickelte“55. Dass die Bemühung um den trinitarischen Gottesbegriff von Anfang an zentral für die Kirche und alle Glaubenden war, auch weil von der Gottheit des Sohnes und des Geistes wahre Gotteserkenntnis und Heilsgewissheit abhingen, zeigt die Bittschrift, die der Apologet Athenagoras für die Christen an Kaiser Marc Aurel schrieb: „Hier auf Erden sind wir nur von dem Wunsch beseelt, den einzig wahren Gott und sein Wort zu erkennen; zu wissen, welches die Einheit des Sohnes mit dem Va ter, welches die Gemeinschaft des Vaters mit dem Sohn ist, wer der Geist ist, und wie die se untereinander verbunden und die Verbundenen unterschieden sind: der Geist, der Sohn, der Vater.“56

3. Das Bekenntnis zum dreieinigen Gott als Grundlage des christlichen Glaubens

In Ausrichtung an der biblisch bezeugten Gleichzeitigkeit von inner- und zwischenpersonaler Dimension Gottes (Einheit in Dreiheit) verteidigten Kirchenväter aus Ost und West den trinitarischen Gottesbegriff gegen einseitige Orientierungen an der Einheit oder Dreiheit. Die drei Kappadozier brachten diese Bemühungen im 4. Jahrhundert mit der neunizänischen Theologie zum Ziel. Ihnen gelang es, in philosophisch und religiös nachvollziehbarer Begrifflichkeit darzulegen, dass Personalität und Relationalität zum Wesen des einen Gottes gehören, was bis dahin nicht denkbar war, denn nach der aristotelischen Kategorientafel ließ sich Gott nur als das absolute Eine denken. So vollzog sich eine philosophische und religiöse Revolution, die es ermöglichte, den dreieinigen Gott für das eigene christliche Verständnis und für dessen Weitergabe als die Gleichzeitigkeit von inner- und zwischenpersonaler Dimension bzw. als vollkommene Gemeinschaft der Liebe darzustellen. Damit verband sich die Revolutionierung des anthropologischen Personbegriffs, der dem trinitarischen Personverständnis entsprechend erstmals im Sinne von Eigentümlichkeit und Individualität verstehbar wurde. Ferner konnte aus der innertrinitarischen Gemeinschaft der Liebe die analoge Gemeinschaft der Glaubenden (Kirchenverständnis) abgeleitet werden. Indem diese Einsichten das Bekenntnis des Zweiten Ökumenischen Konzils zu Konstantinopel (381) prägten, das bis heute die Bekenntnisbasis der Christenheit ist, erlangten sie als Grundlage des christlichen Glaubens allgemeine Ökumenizität.

3.1 Die zur neunizänischen Theologie führenden ost- und westkirchlichen Entwicklungen

Die neunizänische Theologie der drei großen Kappadozier (Basilius von Caesarea, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa – siehe Kap. III,3.2.1) verkörperte in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts die Zusammenführung der trinitätstheologischen Entwürfe bedeutender Kirchenväter aus Ost und West. Diese hatten nach den Apologeten in biblisch-heilsgeschichtlicher Orientierung das biblische Paradoxon der „Einheit in Dreiheit“ gegen jegliche Engführung zur einen oder anderen Seite verteidigt. Auf dem Weg zur neunizänisch-kappadozischen Theologie, die zur Grundlage des für die Christenheit maßgeblichen trinitarischen Bekenntnisses wurde (Zweites Ökumenisches Konzil zu Konstantinopel 381), können hier nur einige wichtige Etappen genannt werden.

3.1.1 Irenäus und Tertullian

Zunächst vermochte Irenäus (gest. nach 200) zwischen Ost und West vermittelnd zu wirken, da der aus Kleinasien stammende Theologe Bischof von Lyon wurde. Auf der Basis des biblisch-heilsgeschichtlichen Zeugnisses und der trinitarisch strukturierten Glaubensregel widmete er sich in seiner Schrift „Adversus haereses“ (Gegen die Häresien) zunächst der Überwindung des gnostischen Dualismus von Schöpfungs- und Erlösungsordnung, indem er auf die heilsgeschichtliche Erneuerung und Rekapitulation der Schöpfung verwies. Dabei soll der zum Bilde Gottes geschaffene leibliche Mensch vom Geist Gottes getragen leben (Adv. Haer. V,16,2f. u.ö.), wodurch die Immanenz des göttlichen Geistes im Menschen ausgeschlossen wird und Gott als Gegenüber anerkannt ist. Ferner leitete Irenäus von der Erscheinung der Trinität in der Offenbarung die Strukturen der Wesenstrinität ab und differenzierte zugleich implizit zwischen heilsgeschichtlicher bzw. ökonomischer Trinität und immanenter (Wesens-)Trinität. Von daher konnte er das Moment der ewigen Zeugung des Sohnes viel nachdrücklicher akzentuieren als seine Vorgänger. „Der Gedanke einer ‚ewigen‘ Zeugung des Sohnes im Unterschied zur Erschaffung der Geschöpfe und der geschöpflichen Welt hat hier eine terminologische Abgrenzung gebracht.“57 Hinsichtlich des Kirchenverständnisses betonte Irenäus, dass die Einheit der Kirche der lebendigen Einheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist zu entsprechen habe (Adv. haer. III,6.17).58

Im Westen ist ferner Tertullian (gest. nach 220) zu nennen, der in lateinischer Terminologie vorbereitete, was die drei Kappadozier in griechischer Terminologie als Grundlage für das Ökumenische Konzil von 381 vollendeten. Unter Rückgriff auf die apologetische Logos-Theologie hebt Tertullian die wesenseine Offenbarungsdreiheit hervor, um im Unterschied zum monarchianischen Begriff der „Erscheinungsweisen“ (lat. modi) Gottes (Modalisten) und zur gnostischen Vorstellung von Zwischenwesen die Realität der vollkommenen Offenbarung, Erlösung und Heiligung zu sichern, insofern als sich Gott im Sohn und im Heiligen Geist selbst offenbart, zur Erlösung der Menschen.59 So trägt Tertullian die drei Personen aus der Heilsgeschichte in den Begriff der ewigen göttlichen Substanz ein, was seine Einführung des Begriffs „trinitas“ (Prax. 3) widerspiegelt, der die in der Dreiheit existierende Einheit bezeichnet und Tertullians wegweisende Formel „una substantia – tres personae“ (eine Substanz – drei Personen) zusammenfasst.60 Tertullian umschreibt die in der einen Substanz vorhandenen Personen als „distincti, non divisi“ (Unterschiedene, nicht Getrennte) und bringt auf diese Weise das biblische paradoxale Geheimnis der in Gott zugleich bestehenden Dreiheit und Einheit zum Ausdruck. Damit versucht Tertullian dem Phänomen gerecht zu werden, dass Gott im neutestamentlichen Zeugnis nicht nur als das eine personale Gegenüber der Menschen erscheint, also als inner- bzw. intrapersonale Einheit, sondern auch als zwischen- bzw. interpersonale Gemein schaft von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Gott verkörpert also die Gleichzeitigkeit von intra- und interpersonaler Dimension, die zunächst paradox erscheint, weil diese Gleichzeitigkeit aus der Erfahrungswirklichkeit nicht ableitbar ist. Denn der Mensch verkörpert als Individuum zwar die intrapersonale Dimension, aber die interpersonale Dimension hat er nur in Gemeinschaft mit Gott und den Mitmenschen. Deshalb waren die Kirchenväter der bis heute zu beobachtenden Gefahr ausgesetzt, die Gleichzeitigkeit von intra- und interpersonalem Wesen Gottes auf eine der beiden Dimensionen zu reduzieren, womit die Vereinnahmung Gottes für anthropologische oder ekklesiologische Strukturen einhergeht.61

Doch Tertullian nahm unter Bewahrung des biblischen Monotheismus die heilsgeschichtlich wahrnehmbare interpersonale Dreiheit in Gott gegenüber den Modalisten ernst, weshalb er dem Personbegriff einen geschlosseneren Sinn als in der lateinischen Bedeutung von „Maske“ verlieh. Dort waren nämlich individuelle Eigenständigkeit und Beziehungsfähigkeit noch nicht im Blick, weil „Beziehung“ (lat. relatio) nach der aristotelischen Kategorientafel zu den zufälligen Akziden zien der Wirklichkeit zählte. Indem Tertullian mit persona die unverwechselbare Eigentümlichkeit des „Rollenträgers“ verband, insofern als „Gott jetzt öffentlich in seinen eigenen Namen und Personen erkannt werden könne“ (Prax. 31,2), ließ sich Person als „Selbstand in Relation“ verstehen, da die trinitarischen Personen im Rahmen ihres Beziehungsgefüges (der Relation) ihre Eigentümlichkeiten (den Selbstand) behalten. Das gilt auch für Gott an sich, der nicht nur als Substanzeinheit verstanden wird, sondern auch als Handlungs- und Kommunikations einheit der drei Personen – also als Gleichzeitigkeit von intra- und interpersonaler Dimension.62 So wird die bis dahin bestehende philosophische und religiöse „Schwierigkeit, absolutes Selbstsein und absolutes Mitsein zu vereinen“63, welche bis heute große Weltreligionen prägt, überwunden. Im Unterschied zu statisch erscheinenden polytheistischen oder theistischen Gottesbildern, die die Gottheiten pantheistisch der Welt zuordnen oder den Menschen mittels eines Geist-Leib-Dualismus partiell mit dem göttlichen Geist identifizieren, wird der trinitarische Gott als ein in sich lebendiges persönliches Gegenüber des Menschen verstehbar, das dem Menschen gleichzeitig nahe sein kann. Denn das in seinem intrapersonalen Selbstsein begründete „Gegen über sein“ Gottes vermag aufgrund der interpersonalen innertrinitarischen Gemeinschaft den Menschen im Sohn oder im Heiligen Geist ganz nahe zu sein (bis hin zur Menschwerdung), ohne das intrapersonale „Gegenübersein“ aufgeben zu müssen. Auf diese Weise ist die in der Schrift bezeugte personale Gemeinschaft von Liebe und Freiheit zwischen Gott und Mensch gewährt. Damit wurde auch das Personsein des Menschen modifiziert, der als verantwortliches Gegenüber Gottes ebenfalls von Selbstand und Relation geprägt ist, indem er in persönlicher Verantwortung (intrapersonal) vor Gott und den Mitmenschen lebt, was natürlich nur in der Gemeinschaft mit Gott und den Mitmenschen möglich ist (interpersonal). Die trinitätstheologische Verwendung des Personbegriffs hat deshalb nicht die oft angenommene Übertragung anthropologischer Prämissen auf den christlichen Gottesbegriff bewirkt, sondern durch den terminologischen Bedeutungszuwachs (nicht nur „Maske“, sondern „Eigentümlichkeit“) umgekehrt das Verständnis menschlicher Personalität modifiziert64, was dann in der kappadozischen Theologie vollends zum Tragen kam (siehe Kap. III,3.2.1).

 

Auch das Kirchenverständnis leitet Tertullian auf neutestamentlicher Basis vom Verständnis des dreieinigen Gottes ab: „Da, wo die drei, Vater, Sohn und Heiliger Geist, sind, da befindet sich auch die Kirche, die der Leib der Drei ist“ (De bapt. 6,2). In Analogie zur innertrinitarischen Gemeinschaft wird die Gemeinschaft aller Glaubenden konstitutiv für die Kirche, deren Gestalt den Zusammenhang von Selbstand und Relation in der Trinitätslehre widerspiegelt. Das manifestiert sich einerseits im Verhältnis von Orts- und Universalkirche, insofern als die Kirche im einheitlichen Glauben der Einzelgemeinden sowie in deren Gemeinschaft untereinander existiert (De virg. vel. 2,2). Andererseits kommt diese Analogie im Verhältnis von Amt und Gemeinde zum Ausdruck: So existiert das spezifische Amt um der Ordnung willen, während gleichzeitig die Laien im Notfall sämtliche priesterlichen Funktionen ausüben können (De bapt. 17,1), was auf dem „königlichen Priestertum der Getauften“ beruht.65

3.1.2 Origenes

Als erster Vertreter der alexandrinischen Theologie, welche die Schnittstelle der gegenseitigen Befruchtung von ost- und westkirchlicher Tradition bildete, ist Origenes (ca. 185–254) zu nennen. Er benutzte gegenüber den modalistischen Tendenzen, die nur von den trinitarischen „Erscheinungsweisen“ Gottes sprachen, bereits den Begriff „Hypostase“ (griech. hypostasis: Seiendheit) für die Eigenwirklichkeit der trinitarischen Personen, was für die kappadozische Theologie noch von Belang werden sollte. Aber weil Origenes die biblisch-heilsgeschichtlich bezeugte Trinität vernachlässigte und in kosmologischer Orientierung das metaphysische Rückschlussverfahren mittelplatonischer Prägung beibehielt, kam es bei ihm zu einer „Ambivalenz zwischen biblisch-personaler und griechisch-spekulativer Gotteserkenntnis“66, die sich auch auf sein Hypostasen-Verständnis auswirkte. Indem Origenes den platonischen Gottesbegriff des absoluten „Eins“ (griech. to en) beibehielt, aus dem die verschiedenen Stufungen des Seins hypo sta tisch ausfließen bzw. emanieren, verband sich mit der Übernahme des mittelplatonischen Seinsbegriffs der subordinatianistische (unterordnende) Stufungsgedanke.67 So gelten Sohn und Geist zwar als ewige Hypostasen Gottes, aber sie nehmen eine Mittlerstellung zwischen Gott und der ewigen Schöpfung immaterieller Geister ein, die sich weiter in die materielle Schöpfung abstuft. Der Logos (Sohn), der vom Seinsgrund (Vater) ewig gezeugt ist, besitzt als Schöpfungsmittler der Geisterwelt also nur eine abgestufte Gottheit, was in absteigender Reihenfolge auch für den Geist als dem ersten vom Logos geschaffenen Wesen zutrifft.68 Die Ambivalenz der origenistischen Theologie resultiert nicht zuletzt aus der allegorischen Bibelauslegung (mehrfacher Schriftsinn), welche Origenes vornehmlich anwandte, wodurch seine philosophischen Prämissen Einfluss erhielten. Angesichts der spekulativ-metaphysischen Überlagerung des biblisch-heilsgeschichtlichen Ansatzes blieb das positive Ansinnen des Origenes, drei eigenständige ewige Hypostasen in Gott aufzuzeigen und den Sohn als ewiges Abbild Gottes zu qualifizieren, nicht nur von der Frage nach der Unterordnung von Sohn und Geist belastet, sondern auch von der Frage nach dem Gegenüber von Gott und Schöpfung. Denn die kosmologisch-theosophische Vorstellung von einer ewigen Schöpfung widersprach den biblischen Grunddaten.

Wollte man nun den Gedanken der ewigen Schöpfung überwinden, musste man entweder den Sohn dem Vater streng unterordnen (zur Schöpfung gehörend) oder seine hypostatische Wesenseinheit mit dem Vater deutlich herausstellen (Sohn als Gegenüber der Schöpfung). Von daher bildet Origenes den Ausgangspunkt der beiden Pole, die sich im arianischen Streit (318–325/337) mit dem radikalen arianischen Subordinatianismus und der nizänisch-orthodoxen Betonung der Wesenseinheit von Vater und Sohn (griech. homousios) gegenüberstanden.69

3.1.3 Der arianische Streit und das Erste Ökumenische Konzil (Nizäa 325)

Alexander von Alexandrien (dort Bischof von 312–328) vertrat im arianischen Streit die rechtsorigenistische Position, die in soteriologisch-heilsgeschichtlicher Ausrichtung an der Einheit und Wesensgleichheit der Hypostasen interessiert war, während der Presbyter Arius (gest. um 336) in extremer Weise die linksorigenistische Tendenz vertrat, die sich kosmologisch-philosophisch auf den Pluralismus der Hypostasenlehre konzentrierte.70 Der arianische Streit wurde 318 durch schroffe christologische Formulierungen des Arius ausgelöst und setzte sich nach der Entscheidung des Ersten Ökumenischen Konzils zu Nizäa (325) fort, bevor die Auseinandersetzungen in noch differenziertere trinitarische Streitigkeiten übergingen, die mit dem Zweiten Ökumenischen Konzil zu Konstantinopel (381) beendet wurden. Dass das 4. Jahrhundert derart von den trinitarischen Streitigkeiten erschüttert wurde – auch in der gesamten christlichen Bevölkerung –, lag daran, dass der christliche Wahrheitsanspruch von der Beantwortung der Wahrheitsfrage durch die Gotteslehre abhing. An der Gotteslehre entschieden sich nämlich sämtliche doxologischen, heilsgeschichtlichen, soteriologischen, ekklesiologischen und kosmologischen Aspekte. Deshalb war mit den Entscheidungen des trinitarischen Dogmas von 381 eine maßgebliche Grundlage für die weitere Kirchengeschichte gegeben.

Auf dem Weg zu dieser Grundlage hatte Arius nachhaltige Streitigkeiten dadurch ausgelöst, dass er in Anlehnung an das platonische Stufendenken und den adoptianistischen Monarchianismus die absolute Gottheit als das allein ungewordene und unwandelbare Wesen bezeichnete. Weil sich die absolute Gottheit dem Geschöpflichen nicht mitteilen lasse, brauche sie den Logos-Sohn als Schöpfungsmittler, der wie der Geist eine abgestufte „Gottheit“ darstelle. So seien Sohn und Geist Gott dem Wesen nach „unähnlich“ (griech. anhomöos).71 Als von Natur aus wandelbar erhalte der Sohn seine Unwandelbarkeit aufgrund seiner sittlichen Entscheidung für das Gute, weshalb er in seinem Menschsein nicht wahrer Gott sein könne (keine volle Erkenntnis Gottes) und ihm als einer Art Halbgott eine exemplarisch-moralische Vorbildfunktion zukomme, die den Menschen ermögliche, sich in ethischer Selbstbestimmung zu Gott aufzuschwingen.72 „Damit kann keine Erlösung zur vollen Gottesgemeinschaft, sondern nur neue Moral begründet werden“73, die dem Menschen als Teil der abgestuften Kosmologie den Aufstieg zur Selbsterlösung eröffnet. Weil so insgesamt die Offenbarungs- und Heilsrelevanz von Sohn und Heiligem Geist in Frage gestellt war, wurde eine Auseinandersetzung um das zur Disposition stehende Wesen des christlichen Glaubens unausweichlich, insofern als „von der rechten Antwort auf diese Fragestellung […] die Existenz der Kirche und das Heil des einzelnen Christen“74 abhing.

Alexander hielt an dem biblischen paradoxalen Geheimnis der Einheit in Dreiheit fest und betonte neben der origenistischen hypostatischen Unterschiedenheit von Vater und Sohn auch deren „Wesensgleichheit“, die er als Voraussetzung der Erlösung durch Gott herausstellte. Mit dieser Ausrichtung an den Vorgaben der Offenbarung distanzierte sich Alexander sowohl vom arianischen Sub ordinatianismus (Unterordnung von Sohn und Geist) als auch vom sabellianischen Modalismus (Sohn und Geist nur als „Erscheinungsweisen“ Gottes). Seine Abgrenzung findet sich auch im antiarianischen Bekenntnis der Synode von Antiochien (324/25), das den trinitarischen Gott in seiner Wesenseinheit als Glaubensinhalt versteht und sich im Unterschied zur arianischen Ausblendung des Heiligen Geistes explizit auch auf diesen bezieht. Weil dieses Bekenntnis weitgehend dem Symbolum Romanum des Dionysius von Rom entsprach, wurde die Verbindung zwischen westlicher und rechts origenistischer alexandrinischer Trinitätstheologie immer deutlicher.75

Das wirkte sich insgesamt auf die Konvergenz von ost- und westkirchlicher Trinitätslehre aus, wie das Konzil von Nizäa (325) als das Erste Ökumenische Konzil zeigt. Denn es setzte sich überwiegend aus Kirchenvätern des Ostens zu sam men und wurde dennoch durch den Einfluss der abendländischen Teilnehmer stark ge prägt, und zwar durch die Verbindung zwischen alexandrinischer und westlicher Theologie. Die vom Kaiser zur Beendigung der Streitigkeiten einberufene Reichssynode in Nizäa war mit der Aufgabe konfrontiert, den christlichen Glauben für die gesamte Christenheit verbindlich zu formulieren. Als Grundlage dafür diente wohl ein Tauf- bzw. Glaubensbekenntnis aus dem syro-palästinischen Raum (evtl. Jerusalem), das durch vier Zusätze im Zweiten Artikel sowie ein zugefügtes antiarianisches Anathema präzisiert wurde.76 Nachhaltige Bedeutung hatte die vom Kaiser selbst angestrebte Einsetzung des griechischen Begriffs „homousios“ (eines Wesens, Wesenseinheit), der gegen den arianischen Subordinatianismus klärte, dass der Sohn „eines Wesens mit dem Vater“ ist. Dieser nichtbiblische Begriff hatte im Ringen um sein richtiges Verständnis bereits vor Nizäa eine kirchliche Vorgeschichte.77 Er diente im Kontext des biblisch fundierten Taufbekenntnisses dazu, der kosmologischen Logosspekulation der Arianer mit ihrer Verdrehung biblischer Aussagen zur Gottessohnschaft Jesu einen Riegel vorzuschieben. Deshalb wurde auch das kosmologisch misszuverstehende Logosprädikat des zugrundegelegten Bekenntnisses durch den soteriologisch orientierten Sohnes titel ersetzt.78 Von diesem Ansatzpunkt aus fügte man weitere Modifizierungen ein, die zum richtigen Verständnis des Homousios beitrugen und ausschlossen, dass der Sohn dem Bereich des Geschöpflichen oder Halbgöttlichen bzw. Emanatorischen angehört. Es wurde eindeutig geklärt, was es heißt, dass der Sohn geboren bzw. eingeboren ist: „das heißt, aus dem Wesen (griech. ousia) des Vaters“. Gegen jegliche sub ordinatianisti sche Tendenz formulierte man die Verstärkung „wahrer Gott aus wahrem Gott“, weshalb der Sohn „gezeugt, nicht geschaffen“ ist. Damit wurde klargestellt, dass der Sohn von Ewigkeit her als wahrer Gott beim Vater ist, wodurch man sowohl einem unklaren Origenismus als auch dem Arianismus widersprach und an dem biblischen Paradoxon der Einheit in Dreiheit festhielt.79

 

Mit diesen auf östlicher und westlicher Tradition fußenden Präzisie rungen entsprach das Nizänum in seiner theologischen Abgrenzung dem im Westen aufkommenden Apostolikum. Aber den Origenisten blieb noch unklar, wie das der tertullianischen una substantia nahestehende Homousios nicht nur als Abgrenzung gegen tritheistische und subordinatianistische Tendenzen dienen sollte, sondern auch als Abgrenzung gegen modalistische Tendenzen mit ihrer Überbetonung der Einheit Gottes. Denn die synonyme Verwen dung von ousia (Wesen) und hypostasis (Hypostase) für das „eine Wesen“ gab den Blick auf eine innertrinitarische Differenzierung beim Homousios kaum frei, wenn man den Sohn und den Geist ohne nähere Bestimmung als Hypostase bezeichnete.

3.1.4 Athanasius

Da die verbliebenen begrifflichen Unklarheiten den theologischen Gruppierungen die Möglichkeit unterschiedlicher Bezugnahme auf das Nizänum eröffneten, folgten weitere Auseinandersetzungen um eine noch deutlichere Formulierung der Trinitätslehre. Trotz der Verurteilung des Arianismus entstand so erneut eine arianisch orientierte Opposition, die das Nizänum zu unterwandern versuchte. Um die kirchliche Einigung aus politischen Gründen möglichst auf alle Gruppierungen auszudehnen, ließ Kaiser Konstantin die arianische Opposition gewähren. Dagegen leistete Athanasius (295–373), der als Bischof von Alexandrien seit 328 Nachfolger Alexanders von Alexandrien war, entschiedenen Widerstand. Sowohl gegen arianische und modalistische Tendenzen als auch gegen die von Konstantin favorisierte Mehrheitstheologie der origenistischen Mittelpartei (Synthese arianischer und alexandrinischer Tendenzen) wagte es Athanasius, „dem etablierten weltanschaulichen Konzept der Gegenseite trotzend, den Heilssinn der christlichen Offenbarung allein auf die biblische Basis zu gründen, ohne jede spekulative Hilfskonstruktion. […] die Menschwerdung des Logos galt ihm nicht als Sinnbild des Emporstrebens der Kreatur zu Gott, sondern als die Erniedrigung Gottes zur Kreatur um der Sünde willen“80.

Die verbreitete philosophische Gottesidee des statischen und unveränderlichen Ursprungs durchbrach Athanasius nachhaltig, indem er die Inkarnation und die Kreuzestheologie (lat. theologia crucis) als zentrale Grundlagen herausstellte und den Logosbegriff noch deutlicher durch den Sohnestitel ersetzte, wodurch er ihn unmissverständlich personal qualifizierte (Orat. c. Arian. III,28).81 Athanasius benutzte die Begriffe der Mensch- und Fleischwerdung synonym und betonte sowohl gegenüber dem subordinatianistischen Photinianismus (Jesus war nur ein inspirierter Mensch) als auch gegenüber dem modalistischen Doketismus (Jesus trug nur einen Schein leib), dass Jesu Gottheit und Menschheit gleichzeitig zu bekennen sind. Dieses biblische Paradoxon wird laut Athanasius durch das Wort vom Kreuz erschlossen, das gegen den philosophischen Gottesbegriff (I Kor 1,23) den Widerspruch zwischen metaphysischer Unveränderlichkeit und geschichtlicher Bindung Gottes aufhebt, insofern als sich der transzendente Gott in der Zuwendung des Kreuzes leidensfähig macht.82 Damit bleibt das Verhältnis von „Gegenüber und Nähe“ Gottes gewahrt. Auf der Basis biblischer Terminologie zeigt Athanasius ferner, dass der Vater als ewiger Vater nie ohne Sohn gewesen sein kann und umgekehrt (Orat. c. Arian. I,14ff.; III,6). Diese Erkenntnis überträgt er auch auf den Heiligen Geist: „Wie der Vater nicht vom Sohn, so kann auch der Sohn nicht vom Vater getrennt werden; denn das Wort Vater deutet aus sich heraus auf Gemeinschaft (Koinonia). In beider Hände aber ist der Heilige Geist, der weder vom Sendenden noch vom Überbringer getrennt werden kann.“83 (De sent. Dion. 17) Gegenüber den Pneumatomachen (Geistbekämpfer) mit ihrer Qualifizierung des Geistes als geschöpfliche Kraft stellte Athanasius ausdrücklich auch die Homousie des Geistes heraus (Ep. ad Serap. I,27).

Durch das biblisch bezeugte Beziehungsgeflecht zwischen den trinitarischen Personen konnte Athanasius aufdecken, dass neben den Ursprungsbeziehungen, die in der ewigen Zeugung des Sohnes und der ewigen Hauchung des Geistes bestehen, auch ewige Existenzbeziehungen (wie das gegenseitige ineinander Ruhen) für die Gottheit der trinitarischen Personen konstitutiv sind – und nicht nur für deren Eigentümlichkeiten. Da mit bereitete Athanasius sowohl die Gedanken der Kappadozier über die innertrinitarische Perichorese (gegenseitige Durchdringung) als auch die relationale Trinitätslehre Augustins vor, wodurch seine Bedeutung für die öst li che und die westliche Theologie erkennbar wird.84 Das gilt auch für seine Hermeneutik, nach der sich der Gottesbegriff nicht von der Metaphysik vorgeben lässt, sondern die Erkenntnis der immanenten Wesenstrinität von der biblisch bezeugten heilsgeschichtlichen bzw. ökonomischen Trinität abhängig bleibt. Dabei geht es Athanasius besonders um die Heils- und Erkenntnisgewissheit, denn die in Christus eröffnete Erlösung zur Gottesgemeinschaft kann nur erfolgen, wenn Gott in seinem Sohn selbst zugegen ist, was auch die Voraussetzung für die Verlässlichkeit der im Sohn gegebenen Gotteserkenntnis ist. Das gilt ebenso für eine verlässliche Erleuchtung und Heiligung durch den Heiligen Geist, die auch an dessen Gottheit gebunden ist.85 Weil die Menschen durch den Sohn im Heiligen Geist an der Gemeinschaft der innergöttlichen Liebe teilhaben, erfolgen Ekklesiologie und Ethik automatisch aus der Gotteslehre.86 So sollen die Christen barmherzig sein wie Gott und durch den Heiligen Geist im Leib Christi eins sein wie der Vater mit dem Sohn (Orat. c. Arian. III,19–25). Dabei resultiert aus der vertikalen Verbindung mit der innergöttlichen Gemeinschaft die horizontale ekklesiologische Gemeinschaft, die nur angemessen ist, wenn umfassend an der trinitarischen Gemeinschaft festgehalten wird: „[…] wer aus der Trinität etwas wegnimmt […], empfängt nichts, sondern […] bleibt unvollendet“87 (Ep. ad Serap. I,30).

Die das ganze Christentum erfassenden Kämpfe um die Wahrheit des christlichen Glaubens waren mit kirchenpolitischen Wirren verknüpft, da es den Kaisern des Westens und Ostens um unterschiedlichste Befriedungsinteressen ging. Das führte dazu, dass Athanasius während seines intensiven Kampfes an der Schnittstelle von Ost- und Westkirche mehrmals ins Exil musste, unter anderem nach Trier (335–337) und Rom (339–346), was seine Kenntnis der westlichen Theologie beförderte. Das half ihm, die Probleme zu überwinden, die sich seit 350 zur Zeit der Alleinherrschaft des Kaisers Konstantius zugespitzt hatten. Dieser versuchte nämlich, die Glaubenseinheit unter Ablösung des Nizänums (325) – und somit unter Ausschaltung der nizänischen Orthodoxie – zu erzwingen. Dadurch emanzipierte sich der radikale Neoarianismus der sogenannten Anhomöer (Aëtius u.a.), die Vater und Sohn für „unähnlich“ (griech. anomöos) erklärten bzw. deren Wesenseinheit leugneten. Unter Betonung der Wesenseinheit (griech. omousios) wandte sich nicht nur Athanasius mit den übrigen altnizänischen Homousianern (Apollinaris u.a.) gegen die Anhomöer, sondern auch der rechte Flügel der aus der origenistischen Mittelpartei hervorgegangenen Homöusianer (Basilius von Ankyra u.a.), die von der Wesensgleichheit (griech. omöusios) ausgingen. Sie distanzierten sich sowohl vom subordinatianistischen Neoarianismus als auch von modalistischen Gefahren einer undifferenzierten Betonung der Wesenseinheit. Der Kaiser versuchte die Auseinandersetzung dadurch zu beenden, dass er die Rede von der „Homousie“ und der „Homöusie“ oder der „substantia“ verbot – und damit die Bemühung um die dogmatische Wesenserkenntnis Christi. Er löste das Nizänum durch ein entsprechendes Reichsdogma ab. „Demgegenüber hat Athanasius es der Kirche aller Zeiten ins Gewissen gebrannt, daß die kirchliche Einheit mit der Wahrheitsfrage des Glaubens steht und fällt. Nicht die Einheit der Kirche verbürgte ihm die Wahrheit des Glaubens, sondern allein diese Wahrheit die Einheit der Kirche.“88

So gelang es Athanasius in der Episode der Religionsfreiheit unter Julian mit einer Friedenssynode in Alexandrien (362) auf der Grundlage des Nizänums die Denkweisen der Homousianer (Altnizäner) und der Homöusianer (Mittelpartei) durch den Tomus ad Antiochenos zu vermitteln. Aufgrund des Tomus wurde die Vermittlung zwischen der Ein- und Drei-Hypostasen-Lehre möglich, indem die „Ein-Hypostasen-Lehre“ der Homousianer gegen den Verdacht des Modalismus abgegrenzt wurde (Betonung der Dreiheit als „wirklich seiend“) und die „Drei-Hypostasen-Lehre“ der Homöusianer vor tritheistischen und arianischen Tendenzen bewahrt wurde (Hypostasen sind nicht „einander wesensverschieden“). Damit war die Interpretation des auf dem Ersten Ökumenischen Konzil (Nizäa 325) verwendeten Homousios im Sinne der göttlichen „Einheit in Dreiheit“ sowohl durch die Ein- als auch durch die Drei-Hypostasen-Lehre möglich. Auf diese Weise erhielt der Tomus ad Antiochenos weitreichendes ökumenisches Gewicht, denn er „formuliert den theologischen Rahmen neunizänischer Theologie, innerhalb derer sich die kappadozische Trinitätstheologie entfaltet, aber auch die lateinischer Theologen wie beispielsweise Ambrosius oder Augustinus“89.