Gotteslehre

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3.2 Der Glaube an den dreieinigen Gott als philosophische und religiöse Revolution

3.2.1 Die drei großen Kappadozier

Die Bemühungen derjenigen Kirchenväter aus Ost und West, die versucht hatten, an dem biblischen Paradoxon der Gleichzeitigkeit von inner- und zwischenpersonaler Dimension Gottes festzuhalten (intra- und interpersonal), kamen in der neunizänischen Theologie der drei großen Kappadozier zum Ziel (Basilius von Caesarea/ca. 330–378, Gregor von Nazianz/ca. 325–390, Gregor von Nyssa/ca. 331– 395). Diese aus ost-westkirchlicher Zusammenarbeit erwachsene Theologie wurde maßgeblich für das Zweite Ökumenische Konzil (Konstantinopel 381) und mit dem trinitarischen Bekenntnis des Konzils sowie dem dazugehörigen Lehrschreiben (Tomus) zur Grundlage für die gesamte Christenheit. Was Tertullian in lateinischer Terminologie vorbereitet und Athanasius an der Schnittstelle von ost- und westkirchlicher Theologie fortgeführt hatte (siehe Kap. III,3.1), vollendeten die drei Kappadozier in einer Weise, die endgültig erkennen ließ, dass der christliche Gottesbegriff gegenüber den bisherigen philosophischen und religiösen Vorstellungen eine Revolution bedeutete.

Aufgrund ihres differenzierten Offenbarungsverständnisses, das unter Ausschluss philosophischer Rückschlussverfahren die natürliche Ahnung von Gott mit dessen Selbsterschließung verband – und zwar im Kontext existentieller Erfahrung – (siehe Kap. II,5), konnten die Kappadozier das Verhältnis zwischen der heilsgeschichtlich erfahrbaren bzw. ökonomischen Trinität und der Gott immanenten Wesenstrinität auf der Basis des biblischen Zeugnisses detailliert bestimmen. Dazu trug auch ihr Verständnis der göttlichen Energien (Licht, Barmherzigkeit etc.) bei, die sogenannte Energienlehre. Denn für die Kappadozier lassen die heilsgeschichtlichen Wirkungen und Wirkkräfte Gottes (Energien) auf seine wesensgemäße Gegenwart schließen, da Gott als frei Handelnder „personal“ gegenwärtig ist und sich in seinem Handeln entspricht (Gregor von Nazianz: Oratio 39,11). Es besteht also ein Zusammenhang zwischen den Beziehungen in der Trinität und ihren energetischen Erscheinungen. Darin unterscheidet sich die kappadozische Energienlehre von der späteren Energien leh re der photianischpalamitischen Tradition im Osten, für die keine Rückschlüsse mehr von den göttlichen Energien auf das wesensgemäße Sein Gottes möglich waren, was spekulative Aussagen über das innertrinitarische Wesen provozierte (siehe Kap. IV,2). Deshalb hat der Verfasser die Unterscheidung zwischen „ökonomischer und spekulativer Energienlehre“90 eingeführt, weil die „ökonomische Energienlehre“ der Kappadozier Rückschlüsse auf die „ökonomische“ bzw. heilsgeschichtlich erkennbare Trinität zuließ, während die spätere „spekulative Energienlehre“ der photianisch-palamitischen Tradition nur noch „spekulative“ Rückschlüsse von den Energien auf das hypostatische Wesen der trinitarischen Personen gewährte – in Gegenreaktion auf eine einseitige Filioque-Tradition im Westen.91

Auf der Grundlage ihres differenzierten Offenbarungsverständnisses und der entsprechenden Energienlehre konnten die Kappadozier die biblisch bezeugte Vielfalt und Tiefe der trinitarischen Beziehungen erkennen. Das führte sie zu der Einsicht, dass das Beziehungsgeflecht bzw. die Relationalität der trinitarischen Personen und die jeweiligen personalen Eigentümlichkeiten zum einen absoluten Wesen des einen Gottes gehören. Um dieses bis dahin nicht denkbare biblische Paradoxon nachvollziehbar zum Ausdruck bringen zu können, unternahm Basilius auf der Basis des von Athanasius initiierten Tomus ad Antiochenos (siehe Kap. III,3.1.4) einen genialen Schachzug, der das philosophische und religiöse Denken revolutionierte. Was von der Sache her auch schon Tertullian und Athanasius mit anderen Formulierungen vollzogen hatten, vollendete Basilius für das christliche Selbstverständnis und dessen Vermittlung an die philosophische und religiöse Umwelt. Basilius verband das an der Einheit Gottes orientierte Homousios mit der Drei-Hypostasen-Lehre der Homöusianer, um sowohl arianisch-subordinatianistische und tritheistische Tendenzen mancher Origenisten als auch modalistische Tendenzen mancher Altnizäner ab zuwehren und das biblisch bezeugte paradoxale Geheimnis der Einheit in Dreiheit noch angemessener zum Ausdruck zu bringen. Das gelang ihm durch eine kreative und geniale Begriffsveränderung: Er hob die Äquivalenz der Begriffe ousia und hypostasis auf, die bis dahin beide synonym für das eine absolute Wesen Gottes gebraucht wurden. Diese Bedeutung durchaus beibehaltend wies Basilius jetzt der Hy po stase zugleich die Funktion des Personbegriffs (griech. prosopon) zu. Da dieser aber ein Beziehungsbegriff ist, konnte Basilius im Unterschied zum griechischen Seins-Monismus (das absolute Eine) nun die Relationalität in der Ontologie bzw. im absoluten Sein zum Ausdruck bringen. Das ermöglichte ihm die Darstellung der Gleichzeitigkeit von intra- und interpersonaler Dimension Gottes bzw. der gegenseitigen Durchdringung der trinitarischen Personen in dem einen absoluten göttlichen Wesen. In Anlehnung an Tertullian (Selbstand in Relation) und Athanasius wird damit die antike Metaphysik bzw. das bisherige religiöse Denken über das absolute göttliche Sein revolutioniert. Denn diese Metaphysik konnte nach der aristotelischen Kategorientafel personale oder relationale Differenzierungen lediglich als Akzidens (nicht Wesentliches) des absoluten göttlichen Seins verstehen. Jetzt aber gehörte Relationalität zum Wesen des absoluten Seins, so dass der dreieinige Gott als in sich lebendige vollkommene Gemeinschaft verstehbar wurde. Weil die Hypostase weder einfach die ousia verkörpert noch Akzidens bedeutet, stellt sie ein überkategoriales Sein dar, womit Basilius zeigt, „daß er Gott nicht den irdischen Kategorien unterwirft und seine Realität als Person nicht abhängig macht von menschlichen Vorstellungen, was letztlich seine Gottheit in Frage stellen würde“92. Auf dieser Basis bezeichnete Basilius mit ousia das eine, gemeinsame göttliche Wesen und mit hypostaseis (Hypostasen) die jeweiligen Eigentümlichkeiten der trinitarischen Personen (Ep. 236,6; 214,4). So entstand die neunizänische griechische Formel „mia ousia – treis hypostaseis“ (ein Wesen – drei Hypostasen) (Ep. 236,6), in der sich von der Sache her die lateinische Formel von Tertullian widerspiegelt: „una substantia – tres personae“ (eine Substanz – drei Personen).93

Für die Kappadozier zeigen die als Vaterschaft, Sohnschaft und Heiligung erkennbaren Eigentümlichkeiten der trinitarischen Personen den Vater als ewigen Ursprung bzw. Grund des Sohnes, den Sohn als Abbild des Vaters und den vom Vater ausgehenden sowie mit dem Sohn verbundenen Geist als Endpunkt und Vollzug der innergöttlichen Gemeinschaft (Adv. Eunom. I–II; Ep. 38,4).94 Es handelt sich um einen ewigen Prozess von Zeugung des Sohnes und Hauchung des Geistes, der nie einen Anfang hatte. Nach Gregor von Nazianz stellt sich in der heilsgeschichtlichen Offenbarung – den innertrinitarischen Eigentümlichkeiten entsprechend – der Vater als Ursprung dar (Schöpfung), der Sohn als die prinzipielle Wendung Gottes nach außen (Inkarnation) und der Geist als die aktuelle Zugänglichkeit Gottes für den Menschen (Heiligung). Als personale Weise der innergöttlichen Liebe bzw. des Wesens Gottes gibt der Geist den Menschen Anteil an der Liebe Gottes. Die heilsgeschichtlichen trinitarischen Sendungen entsprechen also den innergöttlichen Hervorgängen.95

Durch die trinitätstheologische Präzisierung der Personalität, die im Unterschied zur bisher geltenden Bedeutung von „Person“ im lateinischen oder griechischen Sprachbereich (lat. persona: Maske, griech. prosopon: Antlitz) jetzt als individuelle personale Eigentümlichkeit hervortritt, wird auch das anthropologische Personverständnis über die bisherige Bedeutung von Maske oder Antlitz hinaus vertieft. Deshalb ist mit der Trinitätslehre nicht nur eine philosophische und religiöse Revolution im Blick auf das Gottesverständnis verbunden, sondern auch die Revolutionierung des anthropologischen Personbegriffs, insofern als jetzt auch der Mensch als eigentümliche individuelle Personalität in seiner Gemeinschaft mit Gott verstehbar wird. So konnte die freie personale Gemeinschaft im Verhältnis von „Gegenüber und Nähe“ zwischen Gott und Mensch auch von der anthropologischen Seite deutlicher zur Darstellung kommen. Unser heutiges Verständnis von Subjektivität und Individualität hat hier letztlich seinen Ursprung. Hinsichtlich des Gottesbegriffs war das biblisch bezeugte Wesen Gottes als lebendige Liebe nun noch differenzierter im Kontext philosophischer und religiöser Gottesbilder nachzuvollziehen. Denn gegenüber statischeren philosophischen und religiösen Gottesbildern wurde jetzt deutlich, wie in der dynamischen Personalität Gottes die Voraussetzung einer freien personalen Gemeinschaft der Liebe zwischen Gott und Mensch besteht.

Die Tiefe des dynamischen Wesens Gottes erschloss sich den Kappadoziern, weil sie durch ihre ökonomische Energienlehre sowohl die heilsgeschichtlich erkennbaren trinitarischen Hypostasen wahrnahmen als auch die Vielschichtigkeit der biblisch bezeugten Relationen zwischen den Hypostasen. Bei den Beziehungen auf der Ebene gegenseitiger ewiger Existenz handelt es sich zum Beispiel um das Ruhen des Geistes im Sohn oder um sein Hervorleuchten aus dem Sohn. Diese energetischen Erscheinungen werden nach Gregor von Nazianz als personale Manifestationen und somit als ewige hypostatische innertrinitarische Lebensbeziehungen von den Ursprungs beziehungen unterschieden. Denn die Ursprungsbeziehungen betreffen die Zeugung des Sohnes und die Hauchung des Geistes. Die Kappadozier konnten so zwischen den innertrinitarischen Ursprungsbeziehungen und weiteren ewigen Beziehungen auf der Ebene der trinitarischen Existenz (ewige Seinsbeziehungen) unterscheiden, weshalb der Verfasser daraus die terminologische Unterscheidung zwischen „Ursprungs- und Existenzbeziehungen“96 abgeleitet hat.

 

Im Zusammenspiel dieser beiden Beziehungsebenen kann Gregor von Nazianz den Unterschied zwischen Sohn und Heiligem Geist in deren Verhältnis zum Vater zeigen und das hypostatische Verhältnis zwischen Sohn und Geist darlegen. Denn in der Vielfalt der biblisch bezeugten Relationen ist neben der Ursprungsbeziehung, die den Hervorgang (griech. ekporeusis) des Geistes aus dem Vater beinhaltet (Joh 15,26), das Ausgehen (griech. proienai) des Geistes von Vater und Sohn auf der Ebene ewiger Existenzbeziehungen erkennbar, weil der Geist auch dem Sohn zu eigen ist (Gal 4,6; Röm 8,9; Joh 16,14). Das wird daran deutlich, dass der Geist aus dem Vater des eingeborenen Sohnes hervorgeht, der sich als Vater des Sohnes offenbart, indem er den Geist durch (griech. dia) den Sohn (und wegen des Sohnes) hervorgehen lässt. Entsprechend wird der Geist auch als Geist des Sohnes wahrnehmbar, weshalb er nach den Kappadoziern durch den Sohn aus dem Vater hervorgeht. Wie der Geist heilsgeschichtlich vom Vater durch den Sohn gesandt wird, in dem der Geist ruht und von dem er deshalb auch ausstrahlen kann, geht der Geist innertrinitarisch aus dem Vater des Sohnes und somit durch den Sohn hervor. Denn wenn der Vater sein Wort (griech. logos) ausspricht und sich damit als sein eigenes Bild in seinem Sohn gegenübertritt, haucht er dabei den Geist. Weil sich so Zeugung des Sohnes und Hauchung des Geistes gegenseitig begleiten, sind die Existenzbeziehungen zwischen Sohn und Geist mit den Ursprungsbeziehungen verbunden, so dass die Beziehung des Geistes zum Vater als Ursprung (Prinzip) mit der Beziehung zum Sohn auf der Existenzebene verbunden ist. Deshalb können die Kappadozier auf einen hypostatisch relevanten Hervorgang des Geistes aus dem Vater durch (griech. dia) den Sohn schließen97, was einer späteren einseitigen westlichen Filioque-Tradition (Hervorgang aus Vater und Sohn) ebenso widerspricht wie entgegengesetzten ostkirchlichen Engführungen (Hervorgang aus dem Vater allein) (siehe Kap. IV).

Aufgrund der Verbindung von „Ursprungs- und Existenzbeziehungen“ ist der Vater nicht ohne seine durch den Geist vermittelte Beziehung zum Sohn zu denken, der Sohn nicht ohne seine durch den Geist vermittelte Beziehung zum Vater und der Geist nicht ohne seine Beziehung zu Vater und Sohn. Indem sich die Hypostasen ganz in die anderen Hypostasen entäußern und in ihrer Beziehung zu den anderen Hypostasen doch ganz bei sich sind, stellt das innertrinitarische Sein Gottes in gegenseitiger Durchdringung (Perichorese) das vollkommene Leben der Liebe dar (Gregor von Nyssa). Dabei bleiben die jeweiligen Eigentümlichkeiten (Proprien) der trinitarischen Personen ebenso erhalten wie die Gleichursprünglichkeit ihrer Beziehungen. So verkörpert der Vater zwar den ursprunglosen Ursprung des Sohnes (Ursprungsebene: Vater als Quelle), aber sein gesamtes Personsein definiert sich aufgrund der Vaterschaft erst vollends durch die mit dem Wirken des Heiligen Geistes verbundene Beziehung zum Sohn (Existenzebene: gegenseitige Durchdringung). Das personal-hypostatische Spezifikum des Vaters als Quelle bleibt also bestehen, bedeutet aber wegen der gleichursprünglichen ewigen gegenseitigen Durchdringung (Perichorese) keine Über- oder Unterordnung (ewiger Prozess ohne Anfang und Ende). Genauso verhält es sich mit den Spezifika von Sohn und Heiligem Geist im Kontext der gleichursprünglichen Perichorese.98 Jede trinitarische Person ist also unter Beibehaltung ihres personalen Spezifikums der Ursprungsebene ganz in jeder anderen, wobei diese gegenseitige interpersonale Durchdringung (Perichorese) zu gleich die intrapersonale Wesenseinheit des Ineinander seins in der Vielfalt der ewigen Existenzbeziehungen beinhaltet (Joh 10,30; 14,9ff.; 17,21). Von daher verkörpert Gott die intrapersonale Wesenseinheit der interpersonalen Relationen dreier Personen (= vollkommene Gemeinschaft der Liebe – I Joh 4,8.16).

Dieser innertrinitarischen Gemeinschaft der Liebe mit ihrer gegenseitigen Durchdringung entspricht das Kirchenverständnis der Kappadozier. Das innertrinitarische Geben und Empfangen fand seinen Niederschlag in den Strukturen der Glaubensgemeinschaft, die als eine im dreieinigen Gott konstituierte Gemeinschaft (griech. koinonia) von gegenseitigem Geben und Empfangen verstanden wurde, was die Gegenseitigkeit von Orts- und Universalkirche sowie von Amt und Priestertum aller Glaubenden widerspiegelt. Das wird durch die konziliare Struktur oder die Beteiligung von Laien an den Konzilen ebenso unterstrichen wie durch die Notwendigkeit der Rezeption der Konzilsbeschlüsse durch die gesamte Kirche. Die Rezeption geschieht im Heiligen Geist, der allen Glaubenden geschenkt ist. Im Heiligen Geist als Geber und Gabe verwirklicht sich Gottes „Gegenüber und Nähe“. Das Gegenüber kommt zum Beispiel zeichenhaft im prophetischen Amt zum Ausdruck, während sich die Nähe in den Charismen bzw. Gnadengaben eines jeden Getauften äußert, was jeglichem Klerikalismus entgegensteht. Für Basilius ist der – Christus vergegenwärtigende – Geist keine Kraft, die an Asketen, Mönche und Amtsträger zu binden wäre, sondern er garantiert die Freiheit des Heilshandelns Gottes und den für alle geltenden unmittelbaren Zugang zum Heil, das keiner Vermittlungsebene bedarf. Grundsätzlich bleibt der Heilige Geist der Verfügbarkeit durch die Kirche entzogen und behält so seine kirchenkritische Funktion. Gregor von Nyssa betont, dass nach Joh 17,21 das trinitarische Wesen Gottes der Typos der Kirche bleibt, weshalb sich alle, die sich von der vollkommenen Dreieinigkeit Gottes entfernen, von der Erlösung und der Gemeinschaft Gottes trennen.99

Die von den Kappadoziern dargelegten trinitätstheologischen und ekklesiologischen Grundlagen prägten nicht nur das für die gesamte Christenheit maßgeblich gewordene trinitarische Bekenntnis des Zweiten Ökumenischen Konzils (Konstantinopel 381) mit seinem dazugehörigen Lehrschreiben (Tomus), sondern sie wurden auch von Augustin rezipiert, dessen Trinitätslehre für die weitere westkirchliche Entwicklung richtungweisend werden sollte.

3.2.2 Augustin

Nachdem der mit Basilius von Caesarea in Kontakt stehende Lehrer Augustins, Ambrosius von Mailand (ca. 339–397), die griechische neunizänische Formel „mia ousia – treis hypostaseis“ (ein Wesen – drei Hypostasen) mit der lateinischen tertullianischen Formel „una substantia – tres personae“ (eine Substanz – drei Personen) gleichgesetzt hatte (Fid. III,15,126), bestand die Grundlage für die Rezeption der kappadozisch-neunizänischen Theologie und des daraus erwachsenen Bekenntnisses von 381 durch Augustin (354–430). Augustin entwickelte seine für die westliche Wirkungsgeschichte maßgebliche Trinitätslehre in den 15 Büchern über die Trinität („De trinitate“). Darin vollzog er die philosophische und religiöse Revolution der kappadozisch-neunizänischen Trinitätslehre nach. Wie bei den Kappadoziern wird die aristotelische Kategorienlehre überwunden, indem die Relationen dem göttlichen Wesen nicht als Akzidenzien hinzutreten, sondern es konstituieren, weil Gott nicht Träger der Eigenschaften ist, sondern diese sein Gottsein ausmachen. Das unterstreicht Augustin, indem er den an zusammengesetztes Sein erinnernden Begriff substantia durch den Begriff essentia (allgemeines Sein) ersetzt. Auch wenn er statt persona gelegentlich den Begriff relatio (Relation) verwendet, bleibt der Selbstand der Personen im Unterschied zur späteren augustinischen Tradition (Identifizierung von Person und Relation) erhalten.100 Denn beide Begriffspaare (substantia/persona und essentia/relatio) bilden nach Augustin als Ausdruck intra- und interpersonaler Gleichzeitigkeit die gegenseitige Durchdringung in Gott ab (Perichorese), die der Dimension des Selbstandes bedarf, wobei jeder Person in der gegenseitigen Relationalität unvermischt göttliches Sein zukommt. Von daher stellt sowohl jede Einzelperson als auch die Dreiheit „Gott“ dar, in welchem innertrinitarisch alles in allem existiert (De trin. V,8; IX,5). Es liegt auch Augustin daran, jegliche modalistische, subordinatianistische oder tritheistische Häresie abzuwehren.

Bei der Veranschaulichung der in Gott wesensmäßig bestehenden „Einheit in Dreiheit“ geht Augustin von der intrapersonalen Einheit Gottes aus, was der rationalen westlichen Mentalität entspricht, welche die Vielfalt von der Einheit deduziert (siehe Kap. IV,1). So sah Augustin unter Rückgriff auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gen 1,26) Spuren der Trinität (lat. vestigia trinitatis) in der Struktur der Seele bzw. des menschlichen Geistes. Mit der sogenannten psychologischen Analogie erörtert Augustin zwei Möglichkeiten der dreifachen Entfaltung des menschlichen Geistes als Analogie zur Trinität: 1. Das Zusammenspiel von „Gedächtnis (lat. memoria) – Einsicht (lat. intelligentia) – Wille (lat. voluntas)“ (z.B. De trin. X,1–12). 2. Das Zusammenspiel von „Geist (lat. mens) – Erkenntnis (lat. notitia) – Liebe (lat. amor)“ (z.B. De trin. IX,5). Die psychologischen Analogien Augustins wurden zuweilen mit dem Vorwurf konfrontiert, es handele sich um neuplatonischen Leib-Geist-Dualismus oder ideellen Selbstvollzug des absoluten Geistes.101 Doch Augustin benutzt die psychologischen Analogien nach eigener Aussage lediglich als unzureichende Veranschaulichung.

Im Blick auf die trinitarischen Personen führt der im Vergleich zu „Vater“ und „Sohn“ relativ unspezifische Name „Heiliger Geist“ nach Augustin in neutestamentlicher Perspektive zu der Erkenntnis, dass sich im Heiligen Geist die Liebe vollzieht, die in der innergöttlichen Gemeinschaft als Identität von Selbsthabe und Selbstgabe besteht und das Wesen Gottes ausmacht. Deshalb kann Gott sowohl als Geist (Joh 4,24) als auch als Liebe (I Joh 4,8.16) bezeichnet werden. Die Eigentümlichkeit des Heiligen Geistes lässt sich nach Augustin vor diesem Hintergrund als Gabe (lat. donum), Liebe (lat. caritas), Band der Liebe (lat. vinculum amoris) oder Gemeinschaft (lat. communio) definieren (De trin. V,11,12–12,13; XV,17,27–18,32). Die im Heiligen Geist zur Vollendung kommende Übereinstimmung des innergöttlichen „Bei-sich-Seins“ und „Außer-sich-Seins“ vermag sich durch den Geist auch als freie Liebe Gottes in den außergöttlichen Bereich zu entäußern, weshalb Gott die Menschen schuf, um sie an seiner Liebe teilhaben zu lassen. Im Heiligen Geist ist Gott „außer sich“ bei den Menschen und bleibt dennoch „bei sich“, weil der Geist als die göttliche Liebe Geber und Gabe dieser Liebe zugleich verkörpert.102 Aufgrund der Betonung der intrapersonalen Einheit Gottes und seines „Gegenüberseins“ zur Welt bindet Augustin den Geist sehr eng an die Christologie und die Gnadenlehre, so dass der Geist besonders als Kraft von Vater und Sohn zur Sprache kommt. Wenn Augustin dabei vom Ausgang des Geistes aus Vater und Sohn spricht, versteht er das nicht im Sinne der später entstandenen zugespitzten „Filioque“-Tradition, die bezüglich des Ausgangs des Geistes aus Vater und Sohn (lat. filioque) der Gefahr ausgesetzt ist, Vater und Sohn als Ursprungsprinzipien des Geistes gelten zu lassen. Denn Augustin betont noch, dass der Heilige Geist im Sinne des Ursprungs (lat. principaliter) vom Vater ausgeht und im Sinne der Gemeinschaft (lat. communiter) von Vater und Sohn (De trin. XV,26,47),103 was der kappadozischen Unterscheidung von Ursprungs- und Existenzbeziehungen entspricht.

 

So existierten in Ost und West zunächst komplementäre Formulierungen, die zum Ausdruck brachten, dass der Heilige Geist hinsichtlich seines Ursprungs (Ursprungsebene) aus dem Vater durch (griech. dia, lat. per) den Sohn hervorgeht (Tertullian, Hilarius, Athanasius, Kappadozier) und hinsichtlich seiner wesensgleichen Gemeinschaft mit den anderen Personen (Existenzebene) von Vater und Sohn (griech. par amfoteron, lat. a Patre et Filio/Filioque) ausgeht (Tertullian, Ambrosius, Athanasius, Basilius). Da man auch im Osten erkannte, dass sich der Heilige Geist zugleich vom Sohn empfängt (Gegor von Nyssa), und auch im Westen wahrnahm, dass bezüglich seines Ursprungs die Monarchie des Vaters besteht (Tertullian, Augustin), wurden beide Formulierungsmöglichkeiten bis ins 8. Jahrhundert wechselseitig benutzt und anerkannt.104

Darin spiegelt sich wider, dass sich im ausgehenden 4. Jahrhundert „trotz unterschiedlicher Begrifflichkeit in der Sache alle großen Kirchenprovinzen einig [waren]: Caesarea (Basilius), Alexandrien (Athanasius), Gallien (Hilarius), Italien, besonders Rom (Damasus). Damit waren nach einer der turbulentesten Epochen der Kirchengeschichte die Voraussetzungen für eine Lösung gegeben.“105 Deshalb konnte auf dem Zweiten Ökumenischen Konzil (Konstantinopel 381) die in ostwestlicher Ökumene entfaltete Trinitätslehre mit ihren Abgrenzungen gegen jegliche Einseitigkeit und Verfälschung verbindlich bekannt und festgehalten werden.

3.3 Das Ökumenische Bekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (381) als Grundlage des christlichen Gottesbegriffs

Das im Jahr 381 von Kaiser Theodosius I. einberufene Reichskonzil in Konstantinopel sollte eine theologisch-synoda le Lösung der trinitarischen Streitigkeiten bringen und das Konzil von Nizäa (325) unter Berücksichtigung des seither erarbeiteten Konsenses bestätigen. Mit der Vollendung des Prozesses der Konsensbildung und der in ihm enthaltenen „Angleichung zwischen Abend- und Morgenland“106 ging das Konzil als Zweites Ökumenisches Konzil zu Konstantinopel (381) in die Geschichte ein und sein trinitarisches Bekenntnis bzw. Dogma wurde zur allgemein anerkannten Formulierung des christlichen Gottesbegriffs (siehe Kap. IV). Als biblisch fundierter Ausgangspunkt diente dem Konzil ein neunizänisches Bekenntnis aus der antiochenischen Bekenntnistradition, in dem sich auf biblischer Basis Ergänzungen im Zweiten Artikel sowie die Erweiterung des Dritten Artikels angebahnt hatten, und zwar unter Hinweis auf die soteriologische und heilsgeschichtliche Funktion des Heiligen Geistes. Dieses von den Konzilsvätern ergänzte Bekenntnis wurde in seiner neunizänisch-kappadozischen Prägung mit dem entsprechend geprägten Lehrdekret (Tomus) als authentische Darlegung des „Glaubens von Nizäa“ neben das Bekenntnis von Nizäa/325 (N) gestellt, um den Konsens über dessen Verständnis festhalten zu können. Deshalb spricht man beim Bekenntnis von Konstantinopel (381) zu Recht vom „Nicaeno-Constantinopolitanum“ (NC)107, das sich im 5. und 6. Jahrhundert allgemein in Ost- und Westkirche als das sogenannte nizänische Bekenntnis108 durchsetzte und „bis heute das einzige in der gesamten christlichen Kirche verwendete Credo“109 ist. Damit stellt es vor dem Hintergrund der kappadozisch-neunizänischen Trinitätslehre (siehe Kap. III,3.2.1) die Grundlage des christlichen Gottesbegriffs dar.

Das trinitarische Bekenntnis des Konzils von Konstantinopel 381 (Nicaeno-Constantinopolitanum)

Wir glauben an den einen Gott,

den Vater, den Allmächtigen,

der alles geschaffen hat,

Himmel und Erde,

die sichtbare und die unsichtbare Welt.

Und an den einen Herrn Jesus Christus,

Gottes eingeborenen Sohn,

aus dem Vater geboren vor aller Zeit:

Gott von Gott, Licht vom Licht,

wahrer Gott vom wahren Gott,

gezeugt, nicht geschaffen,

eines Wesens mit dem Vater;

durch ihn ist alles geschaffen.

Für uns Menschen und zu unserm Heil

ist er vom Himmel gekommen,

hat Fleisch angenommen

durch den Heiligen Geist

von der Jungfrau Maria

und ist Mensch geworden.

Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus,

hat gelitten und ist begraben worden,

ist am dritten Tage auferstanden nach der Schrift

und aufgefahren in den Himmel.

Er sitzt zur Rechten des Vaters

und wird wiederkommen in Herrlichkeit,

zu richten die Lebenden und die Toten;

seiner Herrschaft wird kein Ende sein.

Wir glauben an den Heiligen Geist,

der Herr ist und lebendig macht,

der aus dem Vater (und dem Sohn)110 hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird, der gesprochen hat durch die Propheten, und die eine, heilige, katholische111 und apostolische Kirche. Wir bekennen die eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt. Amen.

Gegenüber dem Bekenntnis von 325 (N) sind der Zweite und der Dritte Artikel des NC (381) durch eine differenziertere Verschränkung von Christologie und Pneumatologie gekennzeichnet. So enthält der Zweite Artikel den Hinweis, dass Christus „Fleisch annahm vom Heiligen Geist“, während der Dritte Artikel den Geist als Herrn (griech. kyrios) und Lebensspender bezeichnet. Beides unterstreicht das untrennbare Wirken von Geist und Sohn sowie die – dem Sohn entsprechende – Gottheit des Geistes (Kyrios-Prädikat) in ihrer soteriologischen Funktion (Lebensspender). Weil die an Joh 15,26 angelehnte Formulierung des Hervorgangs des Geistes aus (griech. ek) dem Vater mit ek (statt para) die gleiche Terminologie aufweist wie die Zeugung des Sohnes aus (ek) dem Vater, spricht das Bekenntnis offensichtlich nur von der Ursprungsbeziehung.112 Da das Lehrdekret (Tomus) den Einfluss der kappadozischen Theologie auf das Konzil und das Bekenntnis bestätigt, indem es etwa die kappadozische Konzeption der innertrinitarischen Gemeinschaft aufgreift (ein Wesen – drei Hypostasen)113, ist davon auszugehen, dass das allgemein akzeptierte kappadozische Verständnis des Hervorgehens des Geistes aus dem Vater durch (griech. dia) den Sohn und damit ein entsprechendes Ausgehen von Vater und Sohn auf der Existenzebene mitgemeint sind. Insofern kann das NC weder für eine spätere westliche Filioque-Tradition im Sinne zweier Ursprungsprinzipien vereinnahmt werden noch für eine spätere östlich-photianische Tradition des Ausgehens des Geistes aus dem Vater allein (griech. monou) (siehe Kap. IV). Dafür spricht auch, dass die Kirchenväter das Bekenntnis im Kontext von Doxologie (Lobpreis der Herrlichkeit Gottes) und Anbetung verstanden, weshalb sie die biblisch-soteriologische Redeweise bevorzugten. Neben der auf Joh 15,26 zurückgehenden Formulierung des Hervorgangs des Geistes betrifft das etwa auch den Umstand, dass im NC nicht explizit von der Homousie (Wesenseinheit) des Geistes gesprochen wird, sondern von seiner dem Vater und dem Sohn ebenbürtigen Anbetungswürdigkeit (griech. Homotimie). Diese stand auch im Zentrum der Auseinandersetzung mit den Pneumatomachen (Geistbekämpfern) und beinhaltet somit eine klare Absage an deren Unterordnung des Geistes, ebenso wie die Aussage des Bekenntnisses, dass der Geist mit Vater und Sohn verherrlicht wird. Darin besteht eine eindeutige Entsprechung zu den dogmatisch präzisen Aussagen des Lehrdekrets, das die Wesenseinheit (Homousie) des Geistes mit Vater und Sohn beschreibt.

Dem Inhalt des Bekenntnisses entsprechend verurteilt das Konzil jegliche Einseitigkeit und Verfälschung der biblisch-heilsgeschichtlich erkannten Trinitätslehre. Das gilt nicht nur für die Semiarianer (Pneumatomachen), die den Heiligen Geist unterordneten, sondern auch für die subordinatianistischen Arianer (Anhomöer, Homöer), die zugleich den Sohn unterordneten. Ebenso werden unter anderem die adoptianistischen und modalistischen Sabellianer verurteilt, die in Jesus einen zum Gottessohn adoptierten Menschen sahen oder hinsichtlich des Sohnes und des Geistes lediglich von Erscheinungsweisen (lat. modi) Gottes ausgingen. Im Blick auf den beginnenden christologischen Streit (siehe Kap. III,4) werden zugleich die Apollinaristen verurteilt, deren Modalismus die Vorstellung von einer wirklichen Menschwerdung Christi verhinderte.114 Das aus Bekenntnis und Lehrdekret bestehende Dogma von 381 legte also Wert darauf, dass das biblische Paradoxon der gleichzeitigen Dreiheit und Einheit Gottes und damit der Zusammenhang von „Gegenüber und Nähe“ Gottes gewahrt bleiben. Wie Gottes Dreiheit garantiert, dass Gott wirklich Mensch werden kann, ohne seine Gottheit zu verlieren, so garantiert seine Einheit, dass es wirklich Gott ist, der Mensch wird. Von daher kann sich Gott – als in innertrinitarischer Liebe existierendes persönliches Gegenüber – den Menschen in Liebe heilsgeschichtlich zuwenden, ohne von der Welt abhängig zu werden oder in ihr aufzugehen. Eine Vereinnahmung Gottes wird also ebenso ausgeschlossen wie seine Abschiebung in eine unerreichbare Transzendenz. So ist das persönliche Verhältnis zwischen Gott und Mensch als freie Gemeinschaft der Liebe gewährt.

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