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Tausend und ein Tod - Leseprobe

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Otto schaute Tod fragend an.

»Warum sollte dich meine Lebensgeschichte interessieren?«

»Ha!«, machte die Kapuze. »Das tut sie nicht. Überhaupt nicht. Ganz und gar nicht. Ihr Menschen seid langweilig. Ihr haltet euch für so wichtig, als müsse das Universum aufhören zu existieren, sobald ihr keine Rolle mehr darin spielen könnt.«

»Ja, das ist wohl wahr.«

»Aber«, Otto vernahm ein Winseln, »ich muss euch zuhören.«

»Wer sagt das?«

Die Gestalt wand sich sichtlich.

»Es gehört nun mal dazu, basta.«

Otto war nun neugierig geworden. Als Steuerprüfer hatte er gelernt, hinter die Fassade der Menschen zu blicken. Er glaubte seinen Besucher inzwischen ganz gut eingeschätzt zu haben, und eine Idee begann in seinem Kopf Gestalt anzunehmen. Obwohl er sich darüber wunderte, dass dieses Wesen so unerwartet menschlich in seinem Fühlen und Denken war.

»Also … Da ich meine Lebensgeschichte selbst am besten kenne, sehe ich keinen Grund, sie dir anzutun. Davon hätten wir beide nichts. Wie wäre es, wenn du mir etwas von dir erzählst?«, sagte er daher.

Lass mich nicht dumm sterben

»Warum willst du etwas über mich erfahren?«, fragte Tod. »Und was willst du wissen?«

»Na ja«, meinte Otto, »ich stelle mir deinen Job schon interessant vor. Und ich sehe da einige, sagen wir mal: Schwierigkeiten in der Durchführung. Aber das wird wohl nur meinem begrenzten Horizont so vorkommen. Wie kommst du zu den Menschen, woher weißt du, wer den Löffel abgeben soll, was ist mit Selbstmördern – da gibt es viel, das ich wissen möchte. Lass mich nicht dumm sterben!«

»Nicht dumm sterben! Der war gut!« Die Schultern der Kutte bebten. »Den kannte ich noch nicht. Also gut. Stell mir deine Fragen.«

Otto dachte kurz nach.

Dann erhellte sich sein Gesicht. »Ah ja. Du sagtest eben etwas von Zeit. Ich bin doch sicher nicht der einzige auf Erden, der in dieser Nacht, oder sogar gerade jetzt in diesem Moment stirbt. Gibt es noch andere wie dich, hast du Kollegen? Oder kannst du an mehreren Orten zugleich sein?«

Ottos Besucher schien von den Fragen überrascht und geschmeichelt.

»Nee, ich bin schon allein«, antwortete er. »Du hast recht, das mit der Zeit war ein Trick von mir. Der Tod hat keinen Kalender, so sagt ihr doch? Ich existiere unabhängig von Raum und Zeit, anders könnte ich die Arbeit nicht schaffen. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass ihr euch kürzer fasst, wenn ich drängele. Zeit scheint euch Menschen wichtig zu sein, und wenn man entsprechend auftritt, kuschen die meisten ganz schnell. Inzwischen habe ich mich schon richtig an diese Zeitmetaphern gewöhnt.«