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Tausend und ein Tod - Leseprobe

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»Otto Weber, angenehm«, antwortete Otto, schlug aber die dargebotene Hand aus.

Sicher ist sicher – er war noch nicht bereit, und angenehm war ihm der Besucher auch nicht wirklich. Sein Verstand arbeitete fieberhaft, kreiste aber immer wieder um die Frage, wie ein Knochenmann überhaupt eine Stimme haben könne.

Schließlich fragte Otto: »Hast du gut her gefunden? Manche tun sich etwas schwer, das richtige Haus in der Siedlung zu finden.«

»Äh?«, fragte der Tod, und Otto meinte ein Kopfschütteln zu erahnen. Er beugte sich vor und versuchte in die Kapuze seines Gastes zu spähen, aber dort sah er nur tiefe Dunkelheit, die sämtliches Licht zu schlucken schien. Der alte Mann wich erschrocken zurück.

Als er seine Fassung wiedergewonnen hatte, fragte er: »Wo hast du denn deine Sense gelassen, oder gehört die nicht mehr zur Standardausrüstung?«

Wieder dieses Geräusch. In Ottos Ohren klang es wie ein Glucksen.

Schließlich sagte Tod: »Ich habe sie an die Garderobe gehängt. Einmal bin ich mit dem Ding an einem Kronleuchter hängen geblieben.« Er schien sich die Szene vor Augen zu rufen. »Das war nicht schön.«

»Ah ja.« Otto nickte verständnisvoll.

Nach einer Weile des Schweigens schien von seinem Gegenüber eine zunehmende Ungeduld auszugehen. Otto fühlte sie wie drängende Wellen über seinen Körper streichen - leckend, nagend.

Schließlich tippte der Tod mit knochigem Finger auf sein Handgelenk, wo bei einem Menschen wohl eine Uhr sitzen mochte.

»Nun mach schon, ich habe heute Nacht noch mehr zu tun.«

»Was soll ich machen? Gibt es irgendein Ritual, das ich zu befolgen habe?«, fragte Otto verdutzt.

Tod senkte stöhnend die Kapuze und setzte sich an das Fußende des Bettes.

»Hast du denn gar keine Ahnung?«, wollte er wissen.

»Ja, wie denn? Ich sterbe gerade zum ersten Mal.«

»Also gut«, sagte der Knochenmann nach einem bellenden Auflachen. »Die meisten Leute verhandeln mit mir. So was wie ›Ach bitte, ich bin doch noch viel zu jung‹ oder ›Wie soll meine Familie ohne mich klarkommen?‹. Manche heulen, andere erstarren vor Angst.«

Das schien dem Tod zu gefallen, bemerkte Otto.

»Oder sie schimpfen, aber mitkommen will keiner. Und dann muss ich mir ihre Lebensgeschichte anhören. Bei alten Leuten wie dir dauert so was schon mal. Darum leg los.«