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Am Rio de la Plata

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»Heraus mit ihnen!«

Monteso lachte jetzt am ganzen Gesichte. Die Erklärung, daß ich mit wolle, erfreute ihn außerordentlich. Ich erfuhr später tagtäglich, daß er mich wirklich tief in sein ehrliches Herz geschlossen hatte.

»Eigentlich habe ich nur eine einzige Bedingung,« sagte ich. »Wer nimmt überhaupt teil an der Expedition?«

»Nur der Sendador und wir, die wir hier sitzen. Wir sechs haben eine lange Reihe von Jahren zusammen gearbeitet, wir kennen uns; wir passen zu einander und wissen, daß wir uns auf einander verlassen können. Sie haben es nur mit tüchtigen und verschwiegenen Leuten zu thun.«

»Auf diese letztere Eigenschaft, nämlich die Verschwiegenheit, gründe ich die Bedingungen, welche ich zu machen beabsichtige. Ich habe Ihnen offen das Mißtrauen angedeutet, welches ich gegen den Sendador hege. Es liegt nicht nur in meinem, sondern auch in Ihrem Interesse, daß er nichts davon erfährt. Wenn Sie mir versprechen, auf das strengste darüber zu schweigen, schließe ich mich Ihnen an, sonst aber nicht.«

»Einverstanden! Hier meine Hand, Sennor! Und Ihr andern schlagt natürlich auch ein!«

Sie folgten willig dieser Aufforderung, und so war denn für den nächstliegenden Teil meiner Zukunft entschieden: ich schloß mich diesen Yerbateros an.

»So sind wir also endlich einig,« sagte Monteso im Tone der Befriedigung. »Alles weitere wird sich ganz von selbst ergeben. Jetzt noch eine Hauptsache, eine Frage, wegen der Zeit der Abreise und Ihrer Ausrüstung. Können Sie morgen vormittag von hier fort?«

»Ist mir sehr recht. Sie wissen ja, daß ich keine Veranlassung habe, mich hier länger zu verweilen, als unbedingt nötig ist.«

»Dann also morgen vormittag. Sie werden sich vorher mit der erforderlichen Ausrüstung versehen müssen.«

»Welche Gegenstände gehören zu derselben?«

»Ein Poncho; Hut haben Sie bereits. Zu demselben gehört ein Kopftuch, welches man beim Reiten über den Hut bindet, und zwar so, daß die frische Luft vorn gefangen und nach Hals und Nacken geleitet wird. Das kühlt sehr angenehm. Ich werde in der Frühe zu Ihnen kommen, um Ihnen beim Einkaufe der Sachen behilflich zu sein, da ich in dieser Beziehung wohl erfahrener bin als Sie. Außer dem Poncho brauchen Sie eine Chiripa.«

»Beschreiben Sie mir dieselbe.«

»Sie besteht in einer Decke, welche hinten am Gürtel befestigt, dann zwischen den Beinen hindurch und nach vorn gezogen wird, wo man sie wieder am Gürtel befestigt. Ferner brauchen Sie eine weite, leichte Pampahose und dazu tüchtige Gauchostiefeln ohne Sohle. Dann einen Recadosattel, Gewehr, Lasso, Bola und Messer. Mit dem Lasso und der Bola werden Sie mit der Zeit leidlich umzugehen lernen. Da ich Sie, wie sich übrigens ganz von selbst versteht, als meinen Gast betrachte, so ersuche ich Sie um die Erlaubnis, die Kosten dieser Ausrüstung tragen zu dürfen.«

»Ihre Güte rührt mich tief, Sennor. Ich würde dieselbe annehmen, wenn von Kosten überhaupt die Rede sein könnte.

Ich bin bereits mit einer guten Ausrüstung versehen. Ich werde ganz dieselbe Kleidung anlegen, welche ich in der Prairie getragen habe.«

»Aber, Sennor, die wird im höchsten Grade unpraktisch sein! Bedenken Sie den Unterschied zwischen dort und hier!«

»Es giebt keinen Unterschied, den ich in Beziehung auf die Kleidung zu beachten habe. Ein erprobtes Gewehr habe ich auch mit, ebenso meinen Lasso; im Gebrauche der Bola werde ich mich fleißig üben. Es fehlt mir nur der Sattel und das Pferd.«

»Beides besorge ich, Sennor. Pferde haben wir ja mit. Ich werde eines für Sie herauslesen, und einen Sattel besorge ich gern dazu.«

Eben jetzt kam ein neuer Gast herein. Er war sorgfältig gekleidet, ein junger Mann, grüßte höflich und ließ sich am nächsten Tische nieder, woselbst er nach einer Flasche des dort stehenden Weines langte. Da er uns den Rücken zukehrte und dann sich mit einer Zeitung beschäftigte, so war anzunehmen, daß wir ihm vollständig gleichgültig seien, und es war also kein Grund vorhanden, uns seinetwegen in unserer Unterhaltung stören zu lassen.

»Welchen Weg schlagen wir ein?« sagte ich.

»Wir reiten quer durch Uruguay und Entre Rios nach Parana und fahren dann auf dem Flusse bis nach Corrientes. Von da aus müssen wir links nach dem Chaco einbiegen.«

Der erste Teil dieser Reise war ganz genau die Route, welche Tupido mir vorgeschlagen hatte. Das war mir interessant.

»Natürlich ist das für Sie eine große Anstrengung,« fuhr der Yerbatero fort. »Darum werden wir zuweilen an geeigneten Orten Halt machen, damit Sie sich erholen können.«

Er hielt die Meinung, welche er von mir hegte, fest. Ich war kein „Greenhorn“ mehr wie damals, als ich zum erstenmale den fernen Westen betrat. Darum sagte ich:

»Sie brauchen nicht so ungewöhnliche Rücksicht zu nehmen, Sennor. Ich reite ausdauernd.«

»Weiß schon!« lächelte er. »Den ersten Tag hält man es aus; am zweiten bluten die Beine; am dritten ist die Haut von denselben fort, und dann liegt man wochenlang da, um später ganz dasselbe durchzumachen. Zum Reiten muß man in der Pampa geboren sein. Wir werden also morgen nur bis San José reiten, übermorgen bis Perdido, und dann wenden wir uns kurz vor Mercedes nördlich ab, um auf der Estancia eines Vetters von mir auszuruhen. Die weitere Tour müssen wir dort beraten. Sie führt nach der Grenze, also nach einer Gegend, welche grad jetzt sehr wenig sicher ist.«

»Von dieser Unsicherheit haben doch wir nichts zu befürchten! Was geht uns die politische Zerfahrenheit der hiesigen Bevölkerung an!«

»Sehr viel, Sennor. Es giebt hier eben ganz andre Verhältnisse als in Ihrem Vaterlande. Besonders hat der Reisende sich in acht zu nehmen. Sie reiten früh als freier, unparteiischer Mann aus, und des Abends kann es vorkommen, daß Sie als Soldat aus dem Sattel steigen und später für eine Partei kämpfen müssen, für welche Sie nicht das mindeste Interesse haben.«

»Das wollte ich mir verbitten! Ich bin ein Fremder, ein Deutscher, und niemand darf sich an mir vergreifen. Ich würde mich sofort an den Vertreter meiner Regierung wenden.«

»Sofort? Man würde das sehr leicht verhindern; ein Fluchtversuch würde Ihnen die Strafe der Desertion einbringen, den Tod. Und ehe Sie Gelegenheit finden könnten, sich an Ihren Vertreter zu wenden, würden Ihre Gebeine auf der Pampa bleichen. Gewalt hilft da nicht, sondern nur Vorsicht allein. Uebrigens stehen Sie unter unserm Schutze, und können sich denken, daß wir Sie in keine Gefahr führen werden, da wir uns dabei ja selbst derselben aussetzen würden. Lassen wir also diesen Gegenstand fallen. Wir haben ihn bis zur Erschöpfung erörtert.

Das Mädchen mag den Tisch frei machen, damit wir Platz zu einem Spielchen bekommen.«

Dieses Wort wirkte wie elektrisierend auf die andern. Sie sprangen auf, um selbst zu helfen, das Speisegeschirr fortzuräumen. Monteso holte eine Karte herbei. Dann wurde Geld aus den Taschen gezogen, und zwar so viel, daß ich unwillkürlich mit meinem Stuhle vom Tische rückte.

»Bleiben Sie, Sennor!« sagte der Yerbatero. »Natürlich sind Sie eingeladen, sich zu beteiligen.«

»Danke, Sennor! Ich spiele nicht. Ich möchte aufbrechen.«

Er sah mich ganz und gar ungläubig an. Dort zu Lande spielt eben jedermann, und zwar sehr leidenschaftlich und sehr hoch. Eine Weigerung, mitzuspielen, kommt gar nicht vor und würde die andern beleidigen.

»Aber, Sennor, was fällt Ihnen ein! Sind Sie krank?« fragte er.

»Nein, aber sehr müde,« lautete meine Ausrede.

»Das ist für Sie freilich eine Entschuldigung, zumal Sie morgen den ersten und anstrengenden Ritt vor sich haben.«

Glücklicherweise trat jetzt der zuletzt angekommene Gast herbei und erklärte, daß er gern bereit sein werde, meine Stelle einzunehmen, wenn man ihm die Erlaubnis dazu erteile. Er erhielt sie sofort, und ich stand auf, um ihm Platz zu machen und zu gehen. Meinen neuen Kameraden die Hand reichend, verabschiedete ich mich von ihnen. Um Bezahlung der Zeche hatte ich mich nicht zu bekümmern, wie Monteso schnell erklärte, als ich mit der Hand in die Tasche griff und mich zum Mädchen wendete.

»Lassen Sie das, Sennor!« sagte er. »Sie würden uns beleidigen. Früh neun Uhr bin ich mit dem gesattelten Pferde vor Ihrem Hotel. Aber wäre es nicht besser, daß ich Sie jetzt begleite? Sie wissen ja – — —!«

»Danke, Sennor! Von hier bis zum Hotel wird mir nichts geschehen. Ich nehme mich in acht. Buenas noches!«

»Gute Nacht, Sennor! Träumen Sie von dem See und dem vermauerten Schachte! Vielleicht zeigt Ihnen der Traum den richtigen Weg.«

Zweites Kapitel: Bei den Bolamännern

Am andern Morgen war ich sehr zeitig wach, und lange vor der Zeit, in welcher der Yerbatero kommen wollte, hatte ich meine kleinen Angelegenheiten in Ordnung gebracht. Dazu bedurfte es keiner großen Mühe und Arbeit. Ich war echt amerikanisch gereist. Ein kleiner Koffer hatte all mein Eigentum enthalten, und diesen Inhalt trug ich jetzt auf dem Leibe. Den leeren Koffer hatte ich dem Kellner und den gestern getragenen Anzug dem Hausknecht geschenkt. Einige Hemden, Taschentücher und sonstige Notwendigkeiten lagen in Leder geschnallt auf dem Tische. Ich war zur Abreise bereit.

Die Hotelrechnung war berichtigt, und der Kellner hatte nebst dem Koffer noch ein Trinkgeld erhalten. Er war ein Schweizer und schien sehr schweigsam zu sein. Das Geschenk aber hatte ihn redselig gemacht. Als er erfuhr, daß ich die Reise zu Pferde und in gleicher Gesellschaft machen werde, beglückwünschte er mich, daß ich so klug gewesen sei, diese Art des Fortkommens zu wählen. Er entwarf mir eine entsetzliche Schilderung der Reise in der Diligence, und ich fand diese Beschreibung später vollständig bestätigt.

Diese sogenannte Staatskutsche ist ein mehr als solid gebauter Wagen von riesigen Verhältnissen. Sie besteht aus Coupé, Cabriolet und Rotunde und bietet zehn bis zwölf Personen Platz. Sie wird gezogen von sieben gewöhnlich ausgehungerten „Rössern“, davon vier neben einander unmittelbar vor dem Wagen, vor denselben nur zwei, und vor diesen letzteren eins, auf welchem der Vorreiter sitzt. Ein anderer Peon sitzt auf dem hinteren Sattelpferde. Auf einem achten Tiere galoppiert ein dritter Reiter nebenher, welcher ohne Unterlaß, mit Grund oder ohne Grund, mit einer großen Hetzpeitsche auf die Pferde losschlägt, um sie anzutreiben.

 

Dem Vorreiter liegt es ob, dem unbeholfenen Fuhrwerke die Richtung zu geben. Der Kutscher, Mayoral genannt, thront vom oben, mit einem stereotyp verächtlichen Gesichte, aus welchem zu ersehen ist, daß es ihm höchst gleichgültig erscheint, ob die Fuhre glücklich von statten geht oder einige der Pferde totgehetzt liegen bleiben und er beim Umwerfen die gebrochenen Glieder der Passagiere aus dem Wagen auf die Pampa schüttet.

Man erlaubt den Pferden niemals, in Schritt zu gehen; auch der Trab ist selten und fällt dann schlecht und unregelmäßig aus. Meist oder vielmehr stets geht es im sausenden Galopp vorwärts, und grad an den schlechtesten und gefährlichsten Stellen wird dieser Galopp zum Rasen.

So kommt es, daß man per Diligence trotz des miserablen Weges pro Tag bis und über fünfzehn deutsche Meilen zurücklegt, eine Leistung, worüber ein deutscher Postillon den Kopf schütteln würde.

Wenn ich von einem Wege spreche, so ist das nur figürlich gemeint, denn einen Weg giebt es eben nicht. Man sieht keine Andeutung oder Spur eines solchen. Man fährt über die natürliche Fläche, wie sie eben geschaffen ist, und der Europäer traut seinen eigenen Augen nicht, wenn er sieht, daß auf einem solchen Terrain gefahren werden kann.

So geht es über Stock und Stein – auch nur figürlich gemeint, denn Stöcke oder Steine giebt es in der Pampa nicht, desto mehr aber Unebenheiten, ausgetrocknete Bäche und andere Erhöhungen und Vertiefungen, über und durch welche der Wagen wie im Fluge fortgerissen und fortgeschleudert wird, so daß die Reisenden unaufhörlich gegeneinander stoßen und ihnen Hören und Sehen vergehen möchte.

»War das Ihr Kopf, Sennor?«

»Nein, der Ihrige, Sennorita?«

»Herr, Sie treten mich ja an den Leib!«

»Nein, Sennor, Ihr Fuß stieß mir den Schenkel wund!«

»Haben Sie Ihr Leben versichert, Herr Nachbar?«

»Nein, denn wenn ich hier den Hals breche, was höchst wahrscheinlich ist, so bekommen lachende Erben den Betrag. Ich habe keine Familie.«

»Sie Glücklicher! Ich habe Frau und Kinder. Seit ich in dieser Diligence sitze, kann ich sie mir nur noch als verwitwet und verwaist denken.«

Solche und ähnliche Interjektionen, scherzhaft oder ernst gemeint, ertönen unablässig aus dem Munde der Passagiere, welche für ihr teures Geld am Rande des Todes dahingezerrt werden.

Der Kutscher schreit; der Vorreiter brüllt; der hinterste Peon wettert; der Seitenreiter flucht und haut wie verrückt auf die armen Tiere ein, welche, hungernd und entkräftet, kaum mehr vorwärts können. Die wilde Jagd geht steil bergab in den Fluß hinein, welcher hoch aufschäumt. Halb vom Wasser getragen und halb von den Pferden gerissen, gelangt der Wagen, als ob er einzelne Sprünge mache, an das andere Ufer und wird unter Heulen, Schreien und Peitschenhieben an demselben emporgezerrt. Dort hält die zerlumpte Schar. Ein Pferd ist gestürzt. Man durchschneidet den Riemen, mit dem es an den Wagen gehängt war, nimmt ihm den Sattel ab, und dann geht es weiter, weiter, weiter!

Dem Pferde hängt die Zunge aus dem weit offenen Maule. Seine Flanken schlagen, und aus den Augen bricht ein jammernder Blick. In zwei – drei Minuten ist es von Raubvögeln umgeben, welche nur auf die letzte Bewegung des zu Tode gehetzten Tieres warten, um ihm das warme Fleisch von den Knochen zu reißen.

Ueberall sieht man die gebleichten Knochen dieser armen Geschöpfe auf der Pampa liegen. Kein Mensch denkt sich etwas dabei. Pferde giebt es im Ueberflusse. Eine Stute kostet nach deutschem Gelde zwölf bis sechzehn Mark. Man schämt sich, auf Stuten zu reiten. Diese Tiere haben so wenig Wert, daß man mit ihren Knochen und ihrem Fette die Ziegelöfen heizt.

Einen Stall giebt es im ganzen Lande nicht. Die Pferde befinden sich bei Tag und Nacht, zur Winters- und Sommerszeit, in Sonnenglut und Gewitterstürmen im Freien. Sie genießen nicht die geringste Pflege. Eine Fütterung mit Hafer, Mais oder Heu giebt es nicht. Das Tier hat eben für sich selbst zu sorgen. Das einzige, was der Besitzer thut, ist, daß er ihm seinen Stempel einbrennt. Braucht er es, so wird die Herde von den Peons oder Gauchos in den Corral gehetzt und man fängt sich das betreffende Pferd mit dem Lasso heraus.

Uruguay wird von den Bewohnern desselben die Banda oriental, d.h. die östliche Seite, genannt, und der Uruguayense bezeichnet sich infolgedessen gerne als „Orientale“. Das Land stößt im Norden an Brasilien, im Westen an den Uruguayfluß, von welchem es den Namen hat, im Süden an den La Plata und im Osten an den atlantischen Ocean. Es ist durchweg welliges Hügelland, durch welches von Nordost nach Südwest, also in der Diagonale, der Rio Negro fließt, ein Fluß ungefähr von der Größe unserer Oder. Er läuft parallel einem Höhenzuge, welcher der Cuchillo grande genannt wird. Cuchillo heißt im Spanischen das Messer, und dieses Wort ist eine sehr treffende Bezeichnung für diesen schmalen, sich gleich einer Messerklinge erhebenden Gebirgszug. Die von Flüßchen und Bächen zerrissene, wellenförmige Fläche des Landes ist meist mit Gras bewachsene Pampa. Höchstens in den Furchen der genannten Wasserläufe findet man niedriges Buschwerk, welches nach Norden in Wald übergeht, ohne aber den eigentlichen Charakter eines geschlossenen Waldes anzunehmen.

Dörfer nach unserm Sinne giebt es in diesem Lande nicht, sondern nur größere Landgüter und einzelne Gehöfte. Unter diesen ersteren muß man eine Unterscheidung zwischen Estancias, das sind Viehgüter, und Haziendas, das sind Ackerbaugüter, treffen. So ein Gehöft besteht meist aus weiß getünchten Gebäuden und nimmt sich aus der Ferne recht stattlich aus, zeigt sich aber in der Nähe als ein höchst einfaches und aus mangelhaftem Materiale hergestelltes Bauwerk.

Ranchos sind kleinere Güter, in welchen die weniger wohlhabenden Leute wohnen. Die mit Stroh oder Schilf gedeckten Mauern eines solchen bestehen meist aus festgestampftem Rasen.

Der Viehstand des Landes ist sehr bedeutend. Wenn man durch dasselbe reitet oder fährt, so kann man nach jeder halben Stunde eine große Herde von Hornvieh, Pferden oder Schafen zu sehen bekommen. Ein ausgewachsener, vollwichtiger Schlachtochse kostet kaum fünfzig Mark, eine Pferdestute, wie bereits erwähnt, höchstens sechzehn Mark. Bei diesen Preisen achtet der Besitzer das einzelne Stück gering; es ist ihm gleichgültig, ob es hungert und dürstet oder von den Peons tot gequält wird. Ein „Orientale“ würde die teilnehmende Fürsorge, welche ein armer deutscher Landmann seinem Pferde, seiner Kuh, ja seiner Ziege und sogar seinem Schweine widmet, laut verlachen.

Es war nahe an neun Uhr, als lautes Pferdegetrappel mich veranlaßte, an das Fenster zu treten. Da unten hielten die sechs Yerbateros. Der Anblick, welchen sie boten, war köstlich.

Die Reiter habe ich schon beschrieben. Sie waren heute nicht anders und besser gekleidet als gestern. Ihre Pferde paßten zu ihnen. Es waren magere, ruppige, struppige Gäule. Aber wie waren sie gesattelt und aufgezäumt! Das Lederzeug war mit Silber geschmückt. Federn und Quasten wankten auf den Köpfen und von denselben herab. Die Sattelponchos waren mit klingenden Schellen versehen, und in die Schwänze hatte man bunte Seidenbänder eingeflochten. Auch die Steigbügel waren von Silber, aber eben nur groß genug für eine Zehe. Die Reiter hatten an ihre nackten Füße Sporen geschnallt, deren Räder wohl vier Zoll im Durchmesser hatten. Wie sehr man sich dieser Sporen bediente, das bewiesen die blutrünstigen und eiternden Stellen rechts und links in den Weichen der Pferde.

So einen Aufputz liebt der Südamerikaner, und der Yerbatero also auch. Kehrt der Theesammler nach harter Arbeit aus den Wäldern zurück, so ist es gewöhnlich seine erste Sorge, sich so ein glänzendes Reitzeug zu verschaffen, für welches er gern sein sauer verdientes Geld hingiebt.

Es ist gar nichts Seltenes, einem Reiter zu begegnen, dessen Pferd in so glänzender Weise herausgeputzt ist; er selbst aber hat weder Stiefel oder Schuhe noch Strümpfe, und seine Hose, seine Jacke sind so zerlumpt, daß ein europäischer Bettler sich sehr bedenken würde, ob die Polizei ihm erlauben werde, sich in einem solchen Habitus auf der Straße sehen zu lassen.

Dann vertrinkt und verspielt der Yerbatero das Geld, welches ihm übrig geblieben ist, verspielt schließlich sogar das Pferd mitsamt dem Flitterkram und kehrt in den Urwald zurück, um von neuem sechs oder neun Monate lang als Sklave seines Auftraggebers zu arbeiten. Da denkt er mit Wonne an die Tage zurück, in denen er als angestaunter Stutzer durch die Straßen von Montevideo, Asuncion oder Corrientes ritt.

Daß meine neuen Freunde, heute, wo sie Montevideo verließen, sich noch im Besitze all dieses Putzes befanden, war ein sicherer Beweis, daß sie nicht zu den ärmsten ihres schweren Berufes gehörten.

Sennor Mauricio Monteso war vom Pferde gestiegen und kam herauf zu mir in das Zimmer, um mich abzuholen. Ich ging ihm bis an die Thüre entgegen, um ihn zu begrüßen. Er aber hörte die Worte gar nicht, welche ich sagte, und sah auch nicht, daß ich ihm die Hand entgegenstreckte. Er war unter der geöffneten Thüre stehen geblieben und starrte mich mit einem unbeschreiblichen Erstaunen an. Er schien ganz fassungslos zu sein. Sprachlos war er ganz bestimmt, denn er hatte den Mund weit offen, brachte aber keinen Laut heraus.

»Willkommen, habe ich gesagt, Sennor!« erinnerte ich ihn. »Hoffentlich komme ich Ihnen nicht ganz unbekannt vor, und Sie erinnern sich, was wir gestern miteinander gethan und gesprochen haben!«

»Gott stehe mir bei!« Diesen Ausruf stieß er hervor, weiter nichts.

»Was bringt Sie denn so sehr aus der Fassung?«

Er trat vollends in die Stube und machte wenigstens die Thüre zu.

»Kommen Sie doch zu sich!« lachte ich. »Was haben Sie denn an mir auszusetzen?«

Er faßte mich am Arme, zog mich näher zum Fenster, betrachtete mich vom Kopfe bis zu den Füßen und stieß dann ein so schallendes Gelächter aus, daß es klang, als ob die Fenster mitzitterten. Hierauf rief er aus:

»Sennor, was ist denn geschehen? Wer hat Ihnen denn das angethan? Man erlebt ein wahres Wunder an Ihnen. Ich muß mich in der Zeit verrechnet haben. Springen Sie mir doch zu Hilfe, und sagen Sie mir gütigst, ob wir gegenwärtig vielleicht in der Fastnachtszeit leben!«

Er begann von neuem zu lachen. Ich ließ ihm Zeit, sich zu beruhigen. Ich wußte natürlich, daß mein Anzug es war, welcher ihn in diese überaus heitere Laune versetzte. Endlich, als er nicht mehr zu lachen vermochte, trat er weit von mir zurück, betrachtete mich durch seine beiden Hände, welche er sich wie ein Fernrohr vor das Auge hielt, und fragte:

»Sennor, sagen Sie mir einmal aufrichtig, wer von uns beiden ein Narr ist, Sie oder ich?«

Jetzt machte ich ein recht ernstes Gesicht, denn einen solch vertraulichen Ton wollte ich zwischen uns doch nicht aufkommen lassen, und antwortete:

»Jedenfalls Sie! Als ich Sie zum erstenmale sah, war Ihre Erscheinung mir ebenso fremd, wie die meinige jetzt Ihnen zu sein scheint; aber ich habe mich wohl gehütet, mich über Sie lustig zu machen oder gar Sie einen Narren zu nennen.«

Das wirkte augenblicklich. Er ließ die Hände sinken und sagte in entschuldigendem Tone:

»Verzeihen Sie, Sennor! So waren meine Worte nicht gemeint. Aber Sie geben doch zu, daß Sie in diesem Anzuge eine gar zu komische Figur machen!«

»Das gebe ich durchaus nicht zu. Mir erscheint es vielmehr komisch, mit nackten Beinen in den Urwald zu wollen und das Pferd mit Flittern zu behängen, während der Reiter die Hose und Jacke voller Flecke und Löcher hat. Wenn Sie mich für einen so komischen Menschen halten, welcher die Lachlust anderer herausfordert, so haben Sie es frei, sich nach einem ernsteren Begleiter umzusehen!«

Jetzt wurde er ängstlich.

»Aber bitte tausendmal um Verzeihung, werter Sennorl Ich wiederhole, daß ich ganz und gar nicht die Absicht hegte, mich über Sie lustig zu machen. Sie kommen mir so außerordentlich fremdartig vor, daß es mir für den Augenblick unmöglich war, an mich zu halten. Nehmen Sie das ja nicht übel, und haben Sie lieber die Güte, mir zu erklären, in welcher Weise diese lederne Kleidung für unsre Reise geeignet sein soll! «

»Das ist ganz genau der Anzug eines nordamerikanischen Westmannes.«

 

»So mag ein solcher Lederanzug wohl für Nordamerika passen, aber für den Süden doch unmöglich.«

»Sie scheinen anzunehmen, daß es im Norden nur kalt und im Süden nur warm ist. Am Aequator ist die größte Hitze; je weiter man sich von demselben nach Norden oder Süden entfernt, desto mehr nimmt die Wärme ab. Wir befinden uns gegenwärtig fünfunddreißig Grad südlich des Aequators. Ebenso viele Grade nördlich desselben haben wir im allgemeinen dasselbe Klima zu suchen. Ich habe mich aber noch weit südlicher befunden und dabei doch die lederne Kleidung getragen.«

»Das ist mir zu gelehrt.«

»So will ich populärer sein. Sie haben im allgemeinen hier warme Tage und kalte Nächte. Das Leder aber ist ein schlechterer Wärmeleiter als das Zeug, aus welchem Ihre Kleidung besteht. Infolgedessen werde ich am Tage weniger schwitzen und des Nachts weniger frieren als Sie. Während Sie sich des Nachts in mehrere Ponchos hüllen, schlafe ich in dieser Kleidung im Freien, ohne daß die Kühle mich aus dem Schlafe weckt.«

»Dann wäre sie freilich praktisch!«

»Sie haben hier oft starke Regengüsse. Durch dieses indianisch zubereitete Leder dringt der Regen nicht, während er bei Ihnen sofort bis auf die Haut geht. Mir können die Stachelgewächse des Urwaldes nichts anhaben, während Ihnen die Kleidung durch die Dornen in Fetzen gerissen wird. Und sehen Sie, wie eng meine Kleidung am Halse schließt! Kein Moskito vermag es, bis auf meine Haut zu dringen. Wie aber steht es bei Ihnen?«

»O, Sennor,« seufzte er, »wenn ich mich vier oder fünf Tage bei der Arbeit befinde, so ist mein ganzer Körper ein einziger Moskitostich!«

»So wird es Ihnen sehr leicht sein, einzusehen, daß Sie über etwas gelacht haben, um was Sie mich beneiden sollten.«

»Ja, aber Sie können sich doch gar nicht bewegen! Sie sehen aus wie ein Taucher in seiner Rüstung. Diese schrecklichen Stiefel!«

Er betastete die genannte Fußbekleidung, deren Aufschlageschäfte mir allerdings sogar die Oberschenkel bedeckten.

»Sie sind nicht schrecklich, sondern außerordentlich praktisch. Durch diese Stiefel dringt kein Giftzahn einer Schlange und auch kein Wassertropfen. Ich reite bis zur Sattelhöhe im Flusse, ohne naß zu werden.«

»Und diese Hose mit den eigentümlichen Fransen!«

»Das sind indianische Leggins, aus der Haut einer Elenkuh gefertigt, fast unzerreißbar zu nennen.«

»Und dieses Kleidungsstück?«

»Ist ein indianisches Jagdhemde aus dem Felle eines Büffelkalbes. Es ist so dünn und leicht wie ein Leinwandhemde, reißt nicht und kann gewaschen werden. Und das Oberkleid ist ein indianischer Jagdrock aus Wapitifell, dessen Zubereitung über ein Jahr erfordert hat. So dünn das Leder ist, es dringt kein Pfeil hindurch, der nicht ganz aus der Nähe abgeschossen ist.«

»Das wäre prächtig! Wissen Sie, Sennor, daß es im Gran Chaco und den angrenzenden Nordgegenden Indianer giebt, welche sich vergifteter Pfeile bedienen? Nur ein leiser Ritz durch einen solchen Pfeil tötet den Getroffenen binnen kurzer Zeit!«

»Das weiß ich, und gerade darum habe ich diesen Anzug mitgebracht.«

»Ich beginne einzusehen, daß ich unrecht hatte. Aber die Hauptsache fehlt, Sennor, die Sporen.«

»Die habe ich eingepackt. Ich lege sie nur an, wenn ich sie brauche.«

»Aber Sie werden ja reiten und brauchen sie also! Kein hiesiges Pferd läuft, ohne daß es die Sporen bekommt.«

»Das hat seinen Grund. Sie gebrauchen dieses Reizmittel zu oft, so daß die Pferde es gar nicht mehr beachten und Sie es in stets größerer Stärke anwenden müssen. Ich bin tagelang geritten, ohne das Pferd mit dem Stachel berührt zu haben. Das ist eben das Kennzeichen eines guten Reiters. Er braucht die Haut des Pferdes nur ganz leise mit dem Sporn zu berühren, so geht es bereits in die Luft.«

Was für Augen machte mir da der Mann! Einen Vortrag wie diesen hatte er nicht erwartet; aber er schwieg. Er betrachtete meine Gewehre, meine Revolver, den Inhalt meines Gürtels. Er fand viel, was ihm unnötig erschien, und er vermißte noch weit mehr, was er für das größte Bedürfnis hielt. Doch unterließ er es, sich darüber in eine Diskussion einzulassen. Meine Abweisung seiner Kordialität wirkte noch nach, und das konnte gar nichts schaden.

Vom Fenster aus bemerkte ich das ledige Pferd, welches für mich bestimmt war. Es war nicht mehr wert als die andern auch. Es blutete ebenso an den beiden Weichen und hatte einen tückisch ängstlichen Blick wie alle diese Tiere, welche keine Liebe und Pflege finden.

»Das ist für mich?« fragte ich.

»Ja, Sennor. Ich habe Ihnen das ruhigste und zuverlässigste ausgewählt.«

»Dafür bin ich Ihnen nicht dankbar, ebensowenig auch dafür, daß Sie es angeputzt haben wie die andern. Ich liebe das nicht. Sie können das alles abnehmen und die Decke auch. Ich reite hart und sitze also auf dem bloßen Sattel.«

»Behüt‘ mich Gott, sind Sie ein Mann! Sie werden es bereuen, die Decken verschmäht zu haben! Soll ich hinabgehen, um sie wegzunehmen?«

»Ja, bitte!«

Er ging.

Ich hatte noch einen zweiten, sehr triftigen Grund, diese Decken zurückzuweisen, aber ich sagte ihm denselben nicht. Dieser Grund bestand in dem Ungeziefer, mit welchem diese Leute bis zur Ueberfülle behaftet zu sein pflegen, und ich fühlte keine Lust, gleich am ersten Tage mit einer solchen Einquartierung bedacht zu werden.

Durch das Fenster blickend, sah ich, daß er die Decken abschnallte. Dabei schien er seinen Gefährten etwas zu erklären. Ich vermutete, daß er ihnen verbot, über meinen ungewöhnlichen Anzug zu lachen. Er schob das Tier hin und her, und dabei bemerkte ich, daß das Pferd das eine Hinterbein schnell und zuckend hob, im Sprunggelenk stark bog und rasch wieder auf den Boden setzte. Ah, hielt man mich für einen so schlechten Reiter, daß man mir ein solches Tier anbieten konnte? Ich öffnete das Fenster und rief hinab:

»Aber, Sennor, das Pferd leidet ja ganz stark am Zuckfuß!«

»Nur ein wenig,« antwortete er herauf.

»Das ist mehr als ein wenig!«

»Sie werden es nicht bemerken, wenn Sie im Sattel sitzen!«

»Ich werde gar nicht auf diesem Pferde sitzen.«

Ich machte das Fenster zu, um den Wirt aufzusuchen. Er gehörte zu den wenigen, welche einen Stall besaßen. In demselben hatte ich mehrere Pferde stehen sehen, von denen eins mir besonders gefallen hatte. Er stand mit seiner ganzen Dienerschaft bereit, mir einen höflichen Abschied zu bereiten. Ich trug ihm mein Anliegen vor, und er war bereit, mir das Pferd abzulassen, und ließ es in den Hof bringen. Ritt ich schlechte Pferde, so war ich gezwungen, oft zu wechseln. Ich brauchte ein Tier, welches sich an mich gewöhnte und auf welches ich mich verlassen konnte. Wechseln wollte ich so wenig wie möglich, am liebsten gar nicht.

Ja, das war ein ganz anderes Tier als der Zuckfuß! Ein vierjähriger Brauner, voll Feuer, stark und doch elegant gebaut, mit hübsch aufgesetztem Halse und prächtiger Hinterhand. Die Yerbateros standen dabei und betrachteten ihn mit bewundernden Blicken.

»Da darf man sich noch nicht aufsetzen,« erklärte Monteso. »Der muß erst einen Tag lang nebenher gehen, um müde zu werden.«

»Ja,« stimmte der Wirt bei. »Er wurde nicht gebraucht und hat über eine Woche im Stalle gestanden. Uebrigens reite ich ihn nur selbst. Er duldet keinen andern im Sattel. Sie werden Ihre Not haben, wenn Sie ihn kaufen, Sennor!«

»Was kostet er?« fragte ich kurz, anstatt der Antwort.

»Sie sollen ihn für fünfhundert Papierthaler haben.«

Das waren nach deutschem Gelde achtzig Mark. Ich handelte nichts ab und zahlte ihm die Summe sofort aus. Ich hätte ihm auch noch mehr gegeben. Im Stalle hatte ich einen englischen Sattel mit zugehörigem Zeuge hängen sehen. Ich kaufte auch das noch und hatte dafür hundert Papierthaler, also sechzehn Mark, zu zahlen.

Nun war Pferd und Sattel mein, und ich konnte machen, was mir beliebte. Sämtliche Insassen und Bewohner des Hotels hatten sich auf dem Hofe eingefunden. Der Braune hatte keinen Augenblick still gestanden. Er sprang in graziösen Bewegungen im Hofe umher, und der Peon, welcher ihn aus dem Stalle gelassen hatte, gab sich vergeblich Mühe, ihn am Halfterbande zu fassen. Als noch zwei andere Knechte sich diesen Bemühungen anschlossen, wurde das Pferd geradezu wild und verteidigte sich mit den Hufen gegen die es bedrängenden Männer. Es wurden Lassos herbeigeholt; aber das Tier schien die Weise, wie man sich dieser Riemen bedient, genau zu kennen. Er that so oft die Schlinge geflogen kam, um sich um seinen Hals zusammenzuziehen, einen Seitensprung, durch welchen es ihm gelang, der Gefangenschaft auszuweichen.