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Am Rio de la Plata

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Als unser Führer ihn erblickte, sprang er schnell auf, trat auf ihn zu, reichte ihm die Hand und sagte:

»Endlich, Sobrino (* Vetter.), bist du da! Endlich sehe ich dich! Nun wird alles gut!«

Der Ernste nickte ihm zu und sagte in einfachem Tone:

»Bleib’ sitzen! Was ereiferst du dich?«

»Soll man sich da nicht ereifern?«

»Gar nicht! Dich geht’s nichts an!«

»Sogar sehr viel, ebenso wie jeden andern. Es wurde ja gesagt: Mitgegangen, mitgefangen!«

»Das betrifft dich nicht, Vetter. Dir wird niemand etwas thun. Aber die andern sind verloren.«

»Sie sind meine Freunde! Ich habe sie hierher geführt!«

»So müssen sie dich sogar dafür bezahlen!«

»Aber ich habe sie ins Verderben geleitet! Und dieser Sennor hat meiner Mutter während des Pampero das Leben gerettet! «

»Das ist sehr hübsch von ihm. Sie wird sich doch auch bei ihm bedankt haben!«

»Dafür soll er gefangen werden?«

»Gefangen? Pah! Sterben muß er.«

»Cielo!«

»Was giebt es da zu erschrecken? Was ist das Sterben weiter? Mancher muß fort, sogar durch Mördershand!«

»Denke doch nicht stets und immer an deinen Bruder!«

»Ich muß aber an ihn denken, immer und immer wieder.«

»Das gehört nicht hierher!«

»Das gehört dahin, wohin ich selbst gehöre. Und nun schweig’! Du bist in Sicherheit. Ich werde dich dann gleich mitnehmen.«

»Ich gehe nur mit, wenn die andern gehen.«

»So kann ich es nicht ändern. Bleibe also da!«

Er blickte uns der Reihe nach an, setzte sich dann mir gegenüber nieder und sagte:

»Nach der Beschreibung vermute ich, daß Sie der Deutsche sind?«

»Ich bin es,« antwortete ich.

»Sie führen hier das Wort, wurde mir gesagt, und ich wende mich deshalb an Sie. Was haben Sie mir zu sagen?«

»Zunächst und mit mehr Recht möchte ich wissen, was Sie mir zu sagen haben.«

»Ich habe Ihnen vom Major zu melden, daß ich mit Ihnen unterhandeln soll, da Sie es so gewünscht haben.«

»Gut! So wollen wir zunächst die Grundlagen feststellen, auf denen eine solche Unterhandlung möglich ist. Was verlangt der Major?«

»Sie alle.«

»Wir sollen uns ihm als Gefangene überliefern?«

»So ist es.«

»Und wenn wir uns weigern?«

»So werden Sie niedergeschossen.«

»Was wird mit uns geschehen, wenn wir uns ausliefern?«

»Das hat Lopez Jordan zu bestimmen.«

»Wir würden in diesem Falle wenigstens Garantie verlangen, daß keiner von uns getötet wird.«

»Die kann der Major nicht geben.«

»Aber, Sennor, bemerken Sie denn nicht, was Sie verlangen? Wir sollen uns auf Gnade und Barmherzigkeit ausliefern, ohne dafür irgend etwas zu empfangen, keine Garantie, kein Versprechen, kein Wort, nicht einmal einen Trost!«

»So ist es.«

»Darauf können wir nicht eingeben.«

»Schön! So sind wir also schon fertig, und ich kann gehen.«

»Ich wollte Sie nur noch fragen, was wir verbrochen haben!«

»Das geht mich nichts an. Sie wissen das jedenfalls besser als ich.«

»Wir selbst sind es, an denen man sich vergangen hat!«

»Streiten wir uns nicht! Ich habe meinen Auftrag auszurichten; das andere alles mag ich nicht hören.«

»Wir können uns nicht ausliefern. Bedenken Sie doch, daß wir unterhandeln wollen und daß wir uns noch keineswegs in Ihrer Gewalt befinden!«

»Nicht? Das ist verrückt!«

Ich behielt trotz seines harten Wesens meine gedrückte Haltung und den Ton meiner Stimme bei, indem ich antwortete:

»Das ist Ihre Ansicht, aber nicht die meinige.«

»Jede Gegenwehr ist nutzlos!«

»Vielleicht warten wir gar nicht, bis für uns die Gegenwehr notwendig ist.«

»Weiß schon!« lachte er höhnisch. »Man kennt das!«

Jedenfalls hatte er erfahren, daß wir nach Süden hatten durchbrechen wollen. Ich sah seinem Gesichte an, daß mein Plan bereits Früchte trug. Aber eben darum zeigte ich keine Spur von Freude, sondern ich sagte so, als ob ich meiner eigenen Versicherung nicht traue:

»Wir können immerhin noch durchbrechen, selbst wenn sie uns von allen Seiten umgeben haben! Und greifen sie uns an, so besetzen wir hier die Eingänge, durch welche sie kommen müssen!«

»Drei Mann gegen hundert!« lachte er.

»Ja, aber diese drei Mann haben über zwanzig Schüsse!«

»Pah! Man schießt selbst mit Revolvern nicht zwanzigmal in einer Minute.«

Er zog die Stirne in die Falten, musterte mich mit einem verächtlichen Blicke, zuckte die Achseln und fragte:

»Sennor, darf ich Ihnen etwas recht aufrichtig, ganz aufrichtig sagen?«

»Thun Sie es!«

»Ich will Ihnen nämlich sagen, daß Sie ein Dummkopf sind!«

Das war eine sehr überraschende Mitteilung. Meine Gefährten richteten sogleich alle ihre Blicke auf mich. Sie mochten glauben, daß ich zornig über den Sprecher herfallen werde. Das kam mir aber gar nicht in den Sinn. Ich mußte mir Mühe geben, nicht laut aufzulachen. Ruhig zu bleiben, das fiel mir gar nicht schwer. Ich blickte ihm also weder erstaunt, noch zornig in das Gesicht und antwortete:

»Daß Sie das sagen, nehme ich Ihnen nicht übel. Sie scheinen zu denken, daß Sie diese Reden wagen dürfen, weil wir uns an Ihnen, als einem Unterhändler, nicht zu vergreifen wagen?«

»Pah! Sie würden es auch außerdem nicht wagen!« rief er stolz. »Sie kennen mich nicht. Ich bin zwar nur von indianischen Eltern geboren; aber ich habe Lesen und Schreiben gelernt, wie Sie. Und ich habe in den Bergen nach Gold gesucht und nach der Chinchilla gejagt und dabei tausenderlei Gefahren überstanden. Wer von Ihnen thut mir das nach? Ich tausche mit keinem von Ihnen, mit keinem einzigen! Das will ich Ihnen sagen!«

Dieses Selbstbewußtsein ließ mich ernsthaft bleiben. Ein schlechter Mann ist derjenige, welcher nicht weiß, was er kann; freilich ein noch schlechterer Mann ist der, welcher meint, er könne mehr, als er vermag. Aber wer erwartet auch, bei einem südamerikanischen Indianer den richtigen Maßstab für sich selbst zu finden?

Da ich ernsthaft blieb, gaben auch die andern sich Mühe, es zu sein. Nur der Steuermann konnte es nicht über das Herz bringen, still zu sein. Er sagte:

»Sennor, tragt den Teer nicht gar zu dick auf, sonst bleibt Ihr kleben. Das Lesen und Schreiben soll mich jetzt einmal nichts angehen, aber mit Euch selber will ich mich ein wenig beschäftigen.«

Er trat zu ihm, faßte ihn mit der rechten Hand schnell beim Gürtel, hob ihn empor, schwang sich ihn acht- oder zehnmal um den Kopf und legte ihn dann wie ein Kind lang auf den Boden nieder. Dann stellte er sich aufrecht neben ihn, stemmte die Fäuste in die Seiten und sagte:

»So! Und nun, Sennor, macht’s einmal mir nach!«

Der Indianer raffte sich auf, sah dem Goliath erstaunt in das Gesicht und meinte ganz betroffen:

»Ja, das – das – das kann ich nicht!«

»Nun, so haltet auch nicht mehr von Euch, als recht und billig ist. Wir sind hier drei oder vier, die es ebenso machen wie ich, indem sie Euch wie eine Puppe durch die Luft drehen. Und außerdem hat dann ein jeder noch einige andere Griffe, Kunststücke und Eigenschaften, bei denen Ihr ebenso sagen würdet wie jetzt: “ja, das – das – das kann ich freilich nicht!” Seid froh, wenn wir Euch nicht zeigen, was wir können!«

Er setzte sich wieder nieder, und auch Gomarra nahm seinen Platz von neuem ein. Der letztere suchte den Eindruck, den die Stärke des Friesen auf ihn gemacht hatte, zu verwischen und sagte zu mir:

»Trotz alledem kann Euch diese Stärke nichts helfen. Was nützt die Stärke eines Riesen gegen eine Kugel! Und Sie, Sennor, sind wohl der Ungefährlichste von allen. Ich weiß gar nicht, mit welchem Rechte man mir eine solche Beschreibung von Ihnen gemacht hat!«

»So! Hat man das?«

»Ja. Nach dem, was ich von Ihnen hörte, hätte man sich bereits schon vor Euerm Blicke fürchten mögen. Und Scharfblick, Scharfsinn sollten Sie haben, einem jeden die Gedanken sofort aus dem Kopfe zu lesen! Aber Sie sind nicht der Mann, mit uns zu kämpfen! Ihnen fällt es gar nicht ein, Ihr Leben an eine Kugel zu wagen. Sie werden sich uns ergeben.«

»Natürlich! Aber ich möchte doch gern günstige Bedingungen haben.«

»Für sich selbst haben Sie solche nicht zu erwarten.«

»Aber für meine Gefährten?«

»Vielleicht.«

»Nun gut, so will ich Ihnen meine Vorschläge machen. Ich hoffe trotz alledem, auch noch eine bessere Beurteilung meiner Person selbst zu finden. Ich verlange also, daß mein Führer und seine Mutter frei gegeben werden. Wir dagegen geben uns gefangen – —«

»Gut.«

»Wollen auch unsere Waffen abliefern —«

»Das ist unumgänglich nötig.«

»Aber alles andere, unser Geld zum Beispiel, behalten wir.«

»Was noch?« fragte er höhnisch.

»Auch die Pferde. Wir brauchen sie natürlich zum Reiten.«

»Pferde? Sie haben doch nur eins!«

»So wissen Sie nicht, daß wir unsere Pferde auf dem Dampfer haben. Wir müssen ja ihrethalben dorthin zurück. Wir nahmen nur das eine für die Mutter unseres Führers mit, weil dieselbe krank geworden war.«

»Ah so! Also gut, die Pferde holen wir. Was noch?«

»Wir werden nicht gefesselt. Sie nehmen uns in die Mitte, so daß wir nicht fliehen können.«

»Sind Sie nun fertig?«

»Ja. In genau einer halben Stunde erwarte ich Ihre Antwort, weder eher noch später, sonst schießen wir. Ich werde sogleich die Gänge besetzen lassen.«

Ich gab den Yerbateros einen Wink. Sie und der Steuermann mit dem Kapitän gingen sofort, um sich zu je Zweien mit den Gewehren an den betreffenden Punkten aufzustellen. Gomarra blieb stehen, bis das geschehen war, nickte ernst vor sich hin, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte:

»Sennor, besser wäre es, Ihr könntet die Sache mit dem Major abmachen, der euch allen gleich Bescheid zu sagen vermag.«

»Auf welche Weise ist das möglich?«

»Sie kommen mit zu ihm.«

 

»Danke! Das ist denn doch zu viel von mir verlangt!«

»Sie kommen als Unterhändler und sind also unverletzlich!«

»Ich kenne das! Man hat mir nicht nur einmal das Wort gebrochen!«

»Nun gut, so mag der Major zu Ihnen kommen!«

»Das kann er ohne Sorge. Bei uns hat niemand einen Wortbruch zu befürchten.«

»Geben Sie mir Ihr Ehrenwort, daß der Major als Parlamentär von Ihnen betrachtet wird und, sobald es ihm beliebt, zu uns zurückkehren kann?«

»Ja.«

»Der Herr Oberst auch?«

»Ich auch,« antwortete der Gefragte.

»So werde ich es ihm sagen.«

»Schön!« stimmte ich bei. »Aber nun sind wir auch nicht gewillt, einen andern zu empfangen. Entweder den Major oder keinen. Verstanden? Wir wollen sogleich sicheren Bescheid haben. Und damit Sie dem Major alles hier Gesehene und hier Gehörte gehörig mitteilen können, wollen wir Ihnen eine volle Stunde Zeit lassen. Auf jeden, der vorher oder nachher kommt, wird geschossen. Sollte aber ein Angriff unternommen werden, so erschießen wir den Ranchero mit seiner Familie.«

»So sind wir nun fertig.«

Er kreuzte die beiden Arme über seine Brust, sah mich dann mit einem ganz eigenartigen Blicke an und sagte:

»Sennor, ich kann nicht anders, wirklich nicht. Sie haben aber das Pulver nicht erfunden. Das muß ich Ihnen unbedingt noch sagen, bevor ich gehe. Man hat mich wirklich über Sie belogen. Sie locken keinen Papagei vom Baume – wirklich nicht!«

Er lachte heiser vor sich hin, drehte sich um und entfernte sich. Ich blickte ihm nach, bis er nicht mehr in dem dunkeln Gange zu sehen war, dann sagte der Bruder:

»Schon oft habe ich Sie nicht begriffen und dann stets erfahren, daß das für mich Unbegreifliche eine Klugheit von Ihnen war. Jetzt aber werde ich wirklich an Ihnen irre. Warum duldeten Sie die Grobheiten dieses Mannes?«

»Um ihn irre zu führen, was mir auch ganz vortrefflich gelungen zu sein scheint. Er sollte mich für ziemlich befangen halten, und das thut er jetzt. Er sollte zu der Ueberzeugung gelangen, daß wir weder die nötige Klugheit und Einsicht, noch den Mut besitzen, uns hier herauszufinden. Uebrigens habe ich jetzt keine Zeit zu langen Erklärungen. Ich muß fort in den Corral.«

»Was wollen Sie dort?«

»Davon später! Sehen Sie darauf, daß die bisherige Ordnung bleibt. Lassen Sie vor einer Stunde keinen herein!«

»Und wenn doch jemand kommt?«

»So schießen Sie, ganz so, wie ich gesagt habe!«

Ich ging am Schuppen hin und nach der Thüre, welche von dem Rancho aus in den nördlichen Corral führte. Sie bestand aus starken Holzplanken, welche kein Pferd oder Stier einzurennen vermochte. Damit mein Körper hindurch könne, brauchte ich nur zwei dieser Bohlen zurückzuschieben. Dann stand ich im Corral.

Er war leer. Der Mond war noch nicht aufgegangen, doch konnte ich zur Genüge sehen. Eigentlich hätte die Vorsicht erfordert, den ganzen Platz mit seinen vier Seiten abzusuchen. Aber dazu mangelte mir die Zeit. Auch hegte ich die Ueberzeugung, daß ich mich in der Lage der Sache gar nicht täusche.

Ich stand am Eingange, hinter mir der Rancho. Rechts und links zogen sich die zwei Seiten des Corrals, gerade mir quer gegenüber die vierte hin. Diese Seiten bestanden aus hohen Kaktusstauden. In den beiden Ecken, rechts und links schief vor mir, gab es ähnliche Bohlenthüren wie diejenige, durch welche ich jetzt gestiegen war. Dort waren Soldaten postiert, damit wir nicht hinaus könnten. Gerade vor mir aber war die Mitte des langen Kaktuszaunes frei. Dort stand gewiß niemand, und dort also mußte ich einen Ausweg bahnen. Ich schritt also nach dieser Stelle.

Der Boden war von den Tieren weichgestampft, so daß man die Schritte nicht hören konnte. Dazu war der Corral so groß, daß von den beiden Seiten sicherlich kein Blick zu mir reichte.

An der Hecke angekommen, legte ich mich nieder, um zu horchen. Es war kein Mensch da.

Nun begann die Hauptarbeit, das Schneiden einer Thüre in den Kaktus. Wer das für ein Leichtes hält, der irrt sich gar sehr. Erstens durfte ich nicht etwa ein Loch schneiden, denn es wäre sehr leicht möglich gewesen, daß jemand vorüberkam, der dasselbe bemerkte, noch bevor wir es hatten benutzen können. Nein, es mußte eine Thüre geschnitten werden, welche bis zum Augenblicke der Flucht nicht geöffnet werden durfte. Das macht man folgendermaßen:

Der Kaktus bildet eine mehr oder weniger hohe und dicke, stets aber fest verwachsene Wand. In diese Wand schneidet man nun, aber durch und durch, eine ganz schmale, vielleicht nur zwei oder drei Finger breite Lücke von oben nach unten. Dann schneidet man von dieser Lücke aus eine mehr als doppelt so breite wagerecht unten in der Nähe des Bodens hin. Dadurch entsteht im Zaune ein Doppellinienschnitt, welcher einen rechten Winkel bildet. So ist nun die Thüre fertig.

Sie ist links und unten von der Hecke getrennt und hängt rechts noch vollständig mit derselben zusammen. Die einzelnen Teile, Stauden, Stängel, Zweige und Blätter greifen vermöge ihrer Stacheln noch fest ineinander. Die Thüre bildet also eine feste Fläche. Da nun der Zaun nicht dürr, sondern saftig, lebend ist, so läßt sich diese Thüre wie in einer Angel bewegen.

Aber wie unendlich schwierig ist es, die beiden Schnitte zu machen! Man muß ein ausgezeichnetes Messer haben, und glücklicherweise war mein Bowiekneif ein solches, und trotzdem kommt man nicht durch, wenn der Kaktus trocken ist. In diesem Falle entsteht auch zu starkes Geräusch, durch welches man verraten wird. Darum sucht man sich möglichst saftige und zugleich dünne Stellen des Kaktus aus. Dann ist es notwendig, sich vor den Stacheln zu schützen, deren jeder, wenn er sich in das Fleisch sticht und dort abbricht, eine langsam schwärende, sehr schmerzhafte Wunde verursacht.

Hier ist nun ein lederner Jagdrock von außerordentlichem Vorteile. Man knüpft ihn zu, zieht den Kragen hoch, stülpt den Hut tief herein und zieht die Aermel weit vor über die Hände. So legt man sich zur Erde nieder, schiebt sich an die Stacheln von unten heran, sie mit dem Rücken hebend und zerdrückend und dabei mit dem Messer weiter arbeitend. Und das muß geräuschlos geschehen, damit man nicht entdeckt wird! Aber Uebung und Vorsicht macht auch hier den Meister. Freilich darf man eine solche Thüre nicht mit den Händen öffnen, welche man sogleich voller Stacheln haben würde. Man muß das Gewehr oder sonst einen harten Gegenstand dazu nehmen.

Es währte weit über eine Viertelstunde, bevor ich fertig wurde. Dann kehrte ich nach dem Feuer zurück, wo ich alles noch in derselben Ordnung fand.

»Nun?« fragte mich der Oberst. »Wir hatten Angst um Sie.«

»Es war eine schwere Arbeit, eine Thüre durch den Kaktus zu schneiden.«

»Das ist ja nicht möglich! Wie wollen Sie denn das gemacht haben?«

»Mit dem Messer in die Kaktuswand geschnitten.«

»Noch dazu des Nachts! Wie sieht denn da Ihre Haut aus?«

»Wie vorher. Doch, lassen Sie uns jetzt noch die letzte Vorbereitung treffen.«

Ich zog das Pferd aus dem Schuppen und führte es in den Corral, wo ich es hinter der Thüre festband, daß ich es leicht erlangen konnte. Was wir an Kleinigkeiten bei uns liegen hatten, mußte ein jeder zu sich stecken. Dann waren wir fertig und konnten den Major ruhig kommen sehen.

Genau als die Stunde vergangen war, meldete der Steuermann, daß er einen Menschen durch den Gang sich nähern sehe. Die acht, welche an den Eingängen standen, blieben dort stehen. Wir anderen saßen am Feuer.

Der Mann, welcher jetzt kam, war wohl im Anfange der fünfziger Jahre und militärisch gekleidet, trug aber auch keine Waffen bei sich. Er kam auf uns zu, hielt vor uns an, machte dem Obersten eine Verbeugung und sagte, ohne daß er die anderen zu bemerken schien:

»Sennor, Sie haben gewünscht, mit mir zu sprechen, und ich hielt es für eine Pflicht der Höflichkeit, diesem Wunsche nachzukommen.«

Wenn er eine Antwort erwartet hatte, so war er sehr im Irrtum gewesen. Der Oberst that, als ob er ihn weder gesehen noch gehört hätte. Er warf nur mir einen bezeichnenden Blick zu, daß ich an seiner Stelle sprechen solle. Darum antwortete ich:

»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Sennor. Ich hatte gehofft, mit Ihnen bedeutend schneller zum Ziele zu gelangen, als mit einem Ihrer Leute.«

Ich war bei diesen Worten langsam aufgestanden. Er warf mir einen leidlich verächtlichen Blick zu und fragte:

»Wer sind Sie?«

»Hoffentlich wissen Sie es!«

»Mag sein. Aber mit Ihnen habe ich nicht zu sprechen, sondern mit Ihrem Vorgesetzten, dem Sennor Oberst.«

Sein Betragen bedurfte einer Verbesserung. Ich gab dieselbe, indem ich ihm erklärte:

»Sie scheinen sich in einem mehrfachen Irrtum zu befinden, Sennor. Ich bin nicht ein Untergebener des Herrn Obersten, sondern augenblicklich der Befehlshaber dieser kleinen Truppe.«

Er zuckte verächtlich die Achsel.

»Ich spreche nicht mit Ihnen. Sie sind nicht Offizier. Ich habe mit dem Obersten zu reden.«

»Das können Sie nicht von ihm verlangen, weil kein braver Offizier mit einem Empörer, einem Aufrührer in Verhandlung tritt. Ich als Civilist kann das leichter thun, ohne meiner Ehre zu schaden.«

»Tormento!« fuhr er auf. »Ich werde Sie züchtigen lassen, wenn Sie mich beleidigen!«

»Jetzt wohl noch nicht. Dazu müßten Sie mich erst in Ihren Händen haben.«

»Das wird in kurzer Zeit der Fall sein,«

»Möglich. Ich halte diesen Fall sogar für wahrscheinlich, und darum habe ich gewünscht, mit Ihnen sprechen zu können.«

»Ich erklärte Ihnen bereits, daß ich nicht mit Ihnen rede!«

»Dann, Sennor, begreife ich gar nicht, weshalb und wozu Sie. sich zu uns bemüht haben! Wir sind fertig!«

Ich wendete mich ab. Das brachte ihn in Verlegenheit. Ohne Resultat wollte er doch nicht fort. Er sagte:

»Nun, ich will mit Ihnen verhandeln, Sennor. Bitte, kommen Sie näher.«

Daraufhin drehte ich mich wieder um, schritt langsam zu ihm hin und setzte mich ihm gegenüber. Er fühlte, daß er die erste Karte verloren hatte; das verbesserte seine Laune keineswegs. Es war seinem Gesichte anzusehen, daß wir keine Gnade finden würden, sobald wir in seine Hände übergegangen seien.

»Was haben denn die dort zu thun?« fragte er, auf unsere Posten zeigend.

»Jeden niederzuschießen, welcher es wagt, sich uns ohne meine ausdrückliche Erlaubnis zu nähern.«

»Pah! Ziehen Sie diese Posten getrost ein! Sie sind doch zu nichts nütze, und Sie werden wohl binnen einer Viertelstunde hier nichts mehr zu befehlen haben.«

»Davon bin ich selbst überzeugt.«

»Also spielen Sie doch nicht Soldaten! Das ist ein Spiel, wovon Sie nichts verstehen.«

»Keine solche Bemerkung! Ich bin vielleicht ein besserer Soldat als Sie, obgleich ich den Krieg und die Aufwiegelung nicht zu meinem Handwerke mache! Beurteilen Sie mich nicht falsch! Es wäre für manchen Major besser, wenn er Holzhacker geworden wäre!«

»Diabolo! Lassen Sie endlich das Gift sehen, von welchem Gomarra nichts bemerkt zu haben behauptete? Nun, mir kann es lieb sein, daß die Unterredung ein wenig belebter und erregter wird, als es den ersten Anschein hatte.«

»Gut! Beginnen wir!«

»Schön! Vorher aber die notwendigste Frage: Ich habe unter allen Umständen freies Geleit?«

»Nicht unter allen.«

»So! Welche Ausnahme machen Sie?«

»Wenn während Ihrer Anwesenheit etwas Feindseliges gegen uns geschieht, so holt die Katze Ihr Leben!«

»Ich beabsichtige nichts derartiges.«

»So sind Sie bei uns sicherer als ich bei den Offizieren Ihrer Farbe.«

»Dort haben Sie allerdings Ihr Leben verwirkt.«

»Meinetwegen. Sie wissen, wie hier am Orte die Verhältnisse stehen. Glauben Sie wirklich, daß es für uns keine Rettung giebt?«

»Ja, davon bin ich vollständig überzeugt, Sennor.«

»Aber wir können uns wehren.«

»Pah! Mit Tagesanbruch können wir sehen. Dann schlagen wir Bresche in die Kaktushecken und stürmen den Kram!«

»Dasselbe können wir umgekehrt thun, nämlich wir schlagen ebenso Bresche und fliehen.«

»Sie haben keine Pferde!«

»Desto leichter können wir uns im Gesträuch verbergen.«

»So weit lassen wir Sie ja gar nicht kommen!«

»So sagen Sie mir doch einmal gefälligst, warum Sie erst am Tage sich durch den Kaktus wagen wollen.«

»Da hört man es, daß Sie kein Offizier sind und von der Taktik nichts verstehen! Während wir hüben, von außen, am Kaktus arbeiten, geben Sie uns von drüben, von innen, Ihre Kugeln.«

»Ah, welch ein Glück, daß wir nicht auf den Gedanken gekommen sind, durch den Kaktus zu brechen!«

»Wir hätten Sie schön empfangen wollen! Was nicht unter unsern Kugeln gefallen wäre, das hätten unsere Bolas niedergerissen.«

»Schrecklich! Denken Sie nur, Frater!«

 

Diese ironischen Worte richtete ich an den Bruder, welcher sehr ernst nickte, so daß der Major fortfuhr:

»Sie haben doch gar keinen Begriff, wie schwer es ist, durch den Kaktus zu kommen! Dazu muß man Aexte, Beile und Stangen haben. Und das Geräusch, das Prasseln, welches eine solche Kaktuswand verursacht! Ich hätte sofort meine tausend Mann dort beisammengehabt.«

»Tausend?« fragte ich. »Ich denke vierhundert!«

»Da irren Sie sich. Ich habe tausend. Sie sehen, daß Sie unmöglich entrinnen können.«

»Wenn wir von einer solchen Uebermacht eingeschlossen sind, so können wir allerdings nicht an Rettung denken!«

»Es wäre Wahnsinn. Ergeben Sie sich also auf Gnade und Ungnade. Wenn Sie sich ohne Widerstand ergeben, werde ich mein möglichstes thun, Ihnen ein mildes Urteil zu erwirken.«

»Meinen Gefährten auch?«

»Ja.«

»Und der Führer mit seiner Mutter?«

»Beide sind frei. Mit ihnen haben wir nichts zu schaffen.«

»Dürfen wir frei mit Ihnen reiten? Ungefesselt?«

»Nein. Das kann ich nicht zugeben.«

»Wir würden wohl auf die übrigen Bedingungen eingehen, nur aber auf diese nicht.«

»Ich kann nicht von derselben abgehen. Ich will Ihnen noch eine Bedenkzeit von zehn Minuten geben. Ist diese verstrichen, so sind wir fertig, und ich habe als Unterhändler nichts mehr mit Ihnen zu schaffen.«

»Nun gut! Kommen Sie in das Haus.«

»Was soll ich dort?«

»Sie sollen erfahren, daß wir einen Parlamentär höflich zu behandeln verstehen.«

»Das will ich mir gefallen lassen. Ich trank am ganzen Tage nichts als Wasser. Vielleicht giebt es noch einen besseren Tropfen im Rancho.«

Der Steuermann band die Frau los. Sie mußte mit mir und dem Major in die Stube. Dort erklärte sie, daß Wein vorhanden sei, den sie holen wolle. Auch Fleisch und Brot sollte der Major bekommen. Sie ging fort, und ich wartete, bis sie die Sachen auf den Tisch stellte. Als er sich da niedersetzte, um zu essen und zu trinken, sagte ich:

»Speisen Sie indessen; ich gehe jetzt. Also zehn Minuten geben Sie uns Zeit?«

»Ja, von jetzt an.«

»Wir werden uns im Schuppen beraten.«

»Warum nicht außen am Feuer?«

»Sie möchten aus unserm Verhalten erraten, wer dafür und dagegen ist, und die letzteren dann strenger nehmen.«

»Sie sind äußerst vorsichtig! Aber – — Sie planen doch nicht etwa Verrat gegen mich?«

»Fällt uns nicht ein!«

»Ich kann gehen, wenn ich will?«

»Sobald es Ihnen beliebt.«

»Schön! So beraten Sie! Aber ich gebe Ihnen nochmals zu bedenken, daß es für Sie kein Entrinnen giebt.«

Ich verließ ihn und ging wieder hinaus.

Ohne daß ich es den Gefährten gesagt hatte, wußten sie, daß der Augenblick jetzt gekommen sei. Sie hatten sich alle, während ich in der Stube war, nach dem Eingange des Corrals geschlichen und dort auch bereits das Pferd losgebunden. Dort erwarteten sie mich mit meinen Gewehren, welche ich nicht mit in die Wohnung hatte nehmen können.

»Fort?« fragte der Oberst.

»Ja,« antwortete ich. »Schnell, aber leise. Doch vorher schieben wir von innen die Planken wieder vor, damit der Major nicht sofort merkt, wo wir hinaus sind.«

Das wurde gethan, dann machten wir uns auf den Weg. Das Pferd führte ich, da es in meiner Hand am ruhigsten war. An der Hecke angekommen, zog ich die künstlich natürliche Thüre mit meinem Flintenlaufe auf und huschte hinaus. Niemand war zu hören und zu sehen. Die andern kamen nach. Dann schritten wir möglichst leise und gradaus ins Feld hinein. Dabei legte ich meinem Pferde die Hand auf die Nase, damit es nicht schnauben oder gar wiehern solle. Erst ungefähr sechshundert Schritte von der Kaktushecke entfernt hielt ich an.

»Was hier?« fragte der Oberst. »Warum nicht weiter fort?«

»Zu Fuße? Damit sie unsre Spuren finden, wenn es Tag ist, und uns einholen? Nein, wir müssen Pferde haben.«

»Ah! Woher aber nehmen?«

»Von den Soldaten.«

»Stehlen?«

»Ja. Unter diesen Verhältnissen halte ich das für keine Sünde, zumal ich vollständig überzeugt bin, daß keiner dieser Männer sein Pferd ehrlich bezahlt hat.«

»Aber, Sennor, wenn man Sie bemerkt, werden Sie ergriffen, oder man entdeckt uns!«

»Keins von beiden.«

»Wie wollen Sie es denn anfangen, um zehn Pferde zu erhalten?«

»Das kommt darauf an, wie ich die Verhältnisse finde.«

»Hm! Sie benehmen sich ja wie ein professionierter Pferdedieb!«

»Das muß man auch, wenn man Pferde stehlen will. Nur Sennor Mauricio Monteso mag mich begleiten. Wir nehmen die Gewehre nicht mit, denn ich glaube, daß wir nur die Messer brauchen werden. Die andern warten, bis wir wiederkommen.«

»Pferde stehlen!« lachte der Yerbatero leise vor sich hin. »Das wird höchst interessant. Ich gehe gar zu gern mit.«

Wir schlichen miteinander dem Kaktuszaune wieder zu, aber weiter nach rechts, da, wo ich Soldaten vermutete. Bald hörten wir das Schnauben von Pferden.

»Legen Sie sich jetzt auf den Boden,« flüsterte ich dem Yerbatero zu. »Und kriechen Sie hinter mir her, aber leise, ganz leise!«

»Werden wir denn Pferde bekommen?« fragte er gespannt.

»Gewiß. Die besten, die es giebt. Und ich will noch mehr, weit mehr.«

»Stehlen?«

»Ja. Einen Menschen sogar!«

»Sind Sie bei Sinnen?«

»Sehr gut. Aber sprechen Sie leiser! Sonst entgeht mir der Fang, den ich machen will.«

»Sie werden uns dadurch den Pferdediebstahl verderben und sich und mich ganz unnötigerweise in Gefahr bringen.«

»Wenn ich das bemerke, so lasse ich ab davon.«

»Auf wen haben Sie es denn abgesehen, Sennor?«

»Auf keinen andern als auf den Herrn Oberlieutenant Antonio Gomarra.«

»Warum auf diesen?«

»Um ihn für seinen Uebermut zu strafen und weil er diese Gegend sehr genau kennt. Er ist der Führer dieser Leute. Zwinge ich ihn, mit uns zu reiten, so vermögen sie uns nicht zu folgen, während seine Ortskenntnis uns zu gute kommt.«

»Das ist klug!«

»Nicht wahr? Aber wir müssen uns beeilen. Es sind nun, seit ich den Major verlassen habe, über zehn Minuten vergangen. Er wird noch ganz ahnungslos beim Fleische sitzen. Aber sobald er bemerkt, daß wir verschwunden sind, wird er ein lautes Hallo erheben. Kommen Sie also weiter!«

Wir brauchten gar keine bedeutende Strecke zurückzulegen. Bereits nach ganz kurzer Zeit sahen wir die Gestalten von weidenden Pferden vor uns. Das uns nächste war höchstens zwölf Schritte von uns entfernt.

»Warten Sie!« flüsterte ich dem Yerbatero zu. »Verlassen Sie diesen Ort nicht eher, als bis ich zu Ihnen zurückkehre!«

Wo weidende Pferde sind, muß sich auch der Hirt, der Aufseher, der Posten befinden. Dieser war unschädlich zu machen. Ich schob mich also weiter und weiter fort, bis ich mich inmitten der Pferde befand. Und da sah ich hinter zweien nebeneinander stehenden Tieren nicht einen, sondern zwei Wächter stehen. Das war dumm! Sollte oder vielmehr konnte ich zwei Menschen auf mich nehmen? Jawohl, aber während ich den einen niederschlug und den andern packte, konnte dieser um Hilfe rufen. Dennoch kroch ich näher. Sie sprachen miteinander. Ich hörte ihre Stimmen, ihre Worte ganz deutlich. Und fast hätte ich vor Freude die Hände zusammengeschlagen, als ich in der Stimme des einen diejenige des Oberlieutenants erkannte.

Ich hatte mich darauf gefaßt gemacht, lange und unter Gefahr nach ihm suchen zu müssen, und nun war ich ihm gerade vor die Fährte gekommen! Beide zugleich konnte ich nicht fassen. Ich mußte darauf rechnen, daß Gomarra nur für einen Augenblick hierhergekommen sei, um nach seinen Pferden zu sehen und dann wieder zurückzukehren. Darum kroch ich noch eine Strecke weiter und blieb dort still im Camposgrase liegen. Wohl fünf Minuten hatte ich gewartet, da erklangen von dem Rancho her laute Rufe:

»Herein, herein, alle! Die Kerle sind weg! Sie haben sich versteckt. Herein, herein!«

Das war der Major. Hinter mir, gegen die Kaktushecken zu, hörte ich nun Stimmengewirr und eilende, drängende Schritte. Vor mir hatte sich der Indianer, der Oberlieutenant, auch sofort in Bewegung gesetzt. Er eilte auf den Rancho zu und mußte an mir vorüberkommen. Jetzt war er da!

Er sah mich nicht. Indern er vorbei wollte, ergriff ich seinen Fuß. Er stürzte zu Boden, und sofort lag ich auf ihm, indem ich ihm die Gurgel zusammendrückte. Er war mein. Nun nahm ich ihn auf die linke Schulter und ging schnurstraks zu dem Wächter der Pferde. Vor diesem einen Manne hatte ich gar keine Sorge, zumal ich darauf rechnete, daß er vor Schreck halbtot sein werde. Als er mich mit meiner Last erblickte, fragte er:

»Was ist denn das für ein Lärm in dem Rancho?«

»Der Major ruft die Leute,« antwortete ich.