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Am Rio de la Plata

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»Das sehe ich. Aber von jenseits, aus der Banda oriental?«

»Ja.«

»Welcher Stadt?«

»Das dürfen wir nur Sennor Jordan sagen.«

»Aber von wem Sie gesendet worden sind, das darf ich wissen?«

»Auch nicht!«

»Tormenta! Da muß es sich doch um ein großes Geheimnis handeln!«

»Allerdings.«

»Wie nun, wenn ich Sie zwinge, mir dasselbe zu verraten!«

»So würden Sie sich den Zorn des Sennor Jordan zuziehen.«

»Hm! Eigentlich sollte ich Sie gar nicht passieren lassen. Ich möchte – —«

Er hielt inne und blickte die beiden nachdenklich an. Ich begann zu ahnen, wen ich vor mir hatte. Waren diese beiden Männer vielleicht Boten von Tupido? Ich hatte es ihm abgeschlagen, die Kontrakte zu besorgen; er mußte sie aber doch an ihre Adresse senden und sich also nach andern Boten umsehen. Um mich zu überzeugen, ritt ich an die zwei heran und sagte:

»Ich will nicht in Ihre Geheimnisse dringen, aber Sie können mir eine Frage getrost beantworten, denn ich kenne Sie und weiß, was Sie wollen. Sie kommen aus Montevideo?«

Keiner antwortete.

»Sennor Tupido sendet Sie?«

Auch jetzt schwiegen sie. Ich wußte genug. Ich hatte mich nicht geirrt. Darum fuhr ich fort:

»Ich kenne Ihre Botschaft, welche allerdings im höchsten Grade wichtig ist. Der Major wird Sie nicht aufhalten. Reiten Sie weiter!«

»Oho!« rief Cadera. »Wer hat hier zu befehlen, Sie oder ich?«

»Natürlich ich,« antwortete ich.

Es war notwendig, zu verhüten, daß der Major sich weiter mit ihnen einließ und dann erfuhr, daß sie die Kontrakte bei sich hatten, welche sich meiner Aussage nach bei Tupido befinden sollten. Darum trat ich so schroff auf. Er antwortete.

»Sie? Ich bin Major und habe die Aufsicht über Sie!«

»Unsinn! Ich stehe unter keines Menschen Aufsicht, aber ich werde Ihnen zeigen und beweisen, daß Sie selbst sich unter Aufsicht befinden. Diese Leute reiten augenblicklich weiter.«

»Nein. Sie bleiben. Ich werde sie durchsuchen lassen!«

»Wagen Sie das nicht!«

»Wollen Sie mich etwa hindern?«

»Ja, indem ich Sie niederschieße, sobald sich eine Hand gegen die beiden Männer erhebt, welche in meiner Angelegenheit abgesendet worden sind. Es handelt sich um das Wohl und Wehe von Sennor Jordan und um das Zustandekommen unsers beabsichtigten Geschäftes. Da gilt mir Ihr Leben nicht mehr, als dasjenige einer Fliege oder eines Regenwurmes.«

Ich hatte meine Revolver gezogen. Meine Gefährten scharten sich um mich und hielten ihre Waffen auch kampfbereit. Die Soldaten hingegen drängten sich an den Major, doch schienen sie nicht recht Lust zu haben, sich mit uns zu messen. Sie waren uns um zehn Mann überlegen. Was that das? Es galt, ihnen gleich bei dieser ersten Gelegenheit zu beweisen, daß wir nicht gesonnen seien, uns von dem Major gebieten zu lassen.

Ich hielt den einen meiner Revolver auf ihn gerichtet. Er wollte nach seiner Pistole greifen; da rief ich ihm drohend zu:

»Halt! Die Hand weg! Sobald Sie zugreifen, schieße ich!«

Er nahm die Hand wieder weg und sagte:

»Sollte man so etwas für möglich halten! Sie thun ja, als ob Sie der Herr von Entre Rios seien!«

»Das bin ich nicht, aber ebensowenig haben Sie uns irgend einen Befehl zu erteilen. Das merken Sie sich! Man hat mir versichert, daß Sie jetzt mein Freund seien; ich aber sehe, daß das Gegenteil stattfindet, und werde mich danach zu verhalten wissen.«

Und zu den beiden Boten gewendet fügte ich hinzu:

»Reiten Sie weiter! Grüßen Sie Sennor Jordan von mir; erzählen Sie ihm, was Sie hier gesehen haben, und sagen Sie ihm, daß ich mich ihm ganz ergebenst empfehlen lasse! Wenn Sie immer geradeaus reiten, werden Sie sein Hauptquartier nicht verfehlen. «

Sie galoppierten sofort weiter, froh, uns entkommen zu sein.

»Tempestad! Das werde ich mir freilich hinter die Ohren schreiben, Sennor!« knirschte der Major.

»Thun Sie das! Ich habe Sie ja darum gebeten. Und nun, bitte, wollen wir den unterbrochenen Ritt fortsetzen.«

Ich ritt weiter, um mich die Gefährten. Der Major folgte mit den Seinen. Er dachte nicht daran, die beiden Boten zurückzuhalten. Wir aber nahmen ein scharfes Tempo an, und hatten alle Veranlassung dazu. Auch der Bruder sah das ein. Er sagte zu mir:

»Glauben Sie wirklich, daß die beiden von Tupido kamen und die Kontrakte bei sich hatten?«

»Gewiß.«

»Ah! Wenn sie früher gekommen wären, als wir uns noch bei Jordan befanden! Welch ein Unglück hätte es da gegeben!«

»Wir hätten um unser Leben kämpfen müssen.«

»Dazu können wir auch jetzt noch gezwungen sein, denn Jordan wird uns, wenn er die Kontrakte erhält, sofort verfolgen lassen.«

»Das ist freilich wahr.«

»Wir befinden uns erst eine Stunde unterwegs. In eben dieser Zeit werden die Boten bei ihm sein. In vier Stunden erreichen wir erst den Fluß. Wir müssen uns außerordentlich beeilen, sonst holen uns die Verfolger ein.«

»Sie haben recht. Und selbst wenn wir uns beeilen, werden sie auf uns treffen, wenn wir lange auf ein Floß warten müssen.«

»Was ist da zu thun? Können wir nicht Blutvergießen verhüten?«

»Vielleicht doch. Sehen wir kein Floß, so bleiben wir nicht am Ufer halten, sondern wir reiten ihm entgegen.«

»Das ist wahr. Dadurch verlängern wir den Weg, welchen die Verfolger zu machen haben, wenn sie uns erreichen wollen. Aber wird der Major es zugeben?«

»Er muß.«

»Er wird uns mit Gewalt zurückhalten wollen.«

»Pah! Sie haben gesehen, daß seine Leute sich vor den Revolvern fürchten.«

Wir ließen also unsere Pferde tüchtig ausgreifen. Cadera versuchte mehrere Male uns Einhalt zu thun, doch vergebens. Wir thaten, als ob seine Zurufe uns gar nichts angingen. Trotzdem vergingen fast noch vier Stunden, ehe wir den Fluß erreichten. Es war das an einer Stelle, wo er einen geraden, lang gestreckten Lauf zeigte, so daß wir weit aufwärts blicken konnten. Es war kein Floß und auch kein anderes Fahrzeug zu sehen.

»Warten wir also hier,« sagte Cadera. »Die Pferde mögen sich ausruhen. Wir sind ja geritten wie Verrückte!«

»Hier bleibe ich nicht,« antwortete ich.

»Warum nicht?«

»Es giebt kein Gras für die Pferde, nur dürres Schilf.«

»Sie wollen eine Weide aufsuchen? Das ist überflüssig. Die Pferde haben die ganze Nacht Gras gehabt.«

»Aber die unserigen nicht. Die standen seit gestern im Schuppen und erhielten einige dürre Maisblätter. Man darf seine Pferde nicht hungern lassen, wenn man sie anstrengen will.«

»Auf dem Floße werden sie nicht angestrengt. Da können sie ruhen.«

»Aber auf dem Floße wächst kein Futter. Reiten wir also aufwärts!«

Ich trieb mein Pferd nach der angegebenen Richtung.

»Halt! Sie bleiben hier!« gebot er.

Ich ritt weiter, ohne seinen Ruf zu berücksichtigen.

»Halt, sage ich!« brüllte er. »Sie bleiben hier, sonst schieße ich!«

Da drehte ich mich um. Er hatte seine Pistole in der Hand. Im Nu zog ich die Revolver.

»Weg damit!« befahl er. »Sonst schieße ich!«

»Dummheit!« antwortete ich. »Ich habe zwölf Schüsse gegen Sie. Uebrigens, was würde Sennor Jordan sagen, wenn aus dem Geschäft nichts würde, weil ich ermordet worden bin! Ueberlegen Sie genau, was Sie thun!«

»Ja, Sie meinen, man dürfe Ihnen kein Haar krümmen!«

»Diese Ueberzeugung habe ich allerdings. Ich reite weiter. Wollen Sie schießen, so thun Sie es!«

Wir ritten fort, ohne uns nach ihm umzusehen. Sie hätten uns alle töten können, hüteten sich aber sehr wohl, es zu thun, sondern ritten gezwungenermaßen hinter uns drein, natürlich aus Leibeskräften wetternd und fluchend. Freilich war es kein Reitweg, welcher vor uns lag. Sumpf, nichts als Sumpf und Schilf. Wir mußten die gefährlichen Stellen oft in großen Bogen umgehen; aber den Weg, welchen wir machten, hatten auch unsere Verfolger zu machen, wenn sie uns erreichen wollten.

Freilich hatten wir ihnen die Bahn gebrochen, infolgedessen wir langsamer vorwärts kamen, als voraussichtlich sie dann später. Aber es wollte sich auch weder Floß noch Fahrzeug sehen lassen. Der Major rief unausgesetzt hinter uns. Er war voller Grimm, gezwungen zu sein, uns folgen zu müssen, und seine Begleiter stimmten in seine Scheltworte ein, woraus wir uns aber gar nichts machten.

Endlich erreichten wir eine Stelle, an welcher das Ufer ein wenig weiter in das Wasser trat, und da erblickten wir oberhalb von uns ein sehr langes Floß, welches langsam stromabwärts geschwommen kam.

»Gott sei Dank!« rief der Major. »Da hat nun die Niederträchtigkeit ein Ende. Diese Leute müssen uns mitnehmen.«

»Wenn sie wollen!« fiel ich ein.

»Sie müssen! Wir zwingen sie.«

»Das versuchen Sie lieber nicht. Es ist besser, wir bieten ihnen eine reichliche Bezahlung.«

»Wer soll das Geld geben?« »Ich.«

»Schön! Das will ich mir gefallen lassen. Machen also Sie den Handel fertig.«

Ich ritt ganz vor, legte beide Hände an den Mund und rief den Flößern entgegen:

»Hallo! Können wir mit nach Buenos Ayres?«

»Wir fahren nicht bis ganz hin.«

»Schadet nichts!«

»Wie viel Personen?«

»Zwanzig Mann, zehn Pferde. Wie viel ist zu bezahlen?«

»Hundert Papierthaler.«

»Die werden wir geben.«

»Gut, so legen wir an!«

Das Floß bestand aus zwölf langen Feldern. Es ging tief im Wasser und trug hinten und vorn je eine Bretterbude. Regiert wurde es von zwölf oder dreizehn kräftigen, fast nackten Männern. Es verging weit über eine Viertelstunde, ehe es am Ufer lag, und ich lauschte scharf nach der Landseite, ob sich vielleicht Pferdegetrappel hören lasse. Hatten die Boten Jordan sofort gesprochen, so mußten die Verfolger uns nahe sein. Der Major war abgestiegen, seine Leute ebenso wie auch wir. Ich näherte mich dem Rittmeister und fragte ihn leise:

»Nun, Sennor, jetzt ist’s Zeit. Wollen Sie?«

 

»Wird es gehen?«

»Ganz gut.«

»Aber wie?«

»Führen Sie, als der allererste, Ihr Pferd auf das Floß, und bleiben Sie dort, was auch geschehen möge. Stellen Sie sich hinter eine der Hütten auf.«

Diesen letzteren Rat flüsterte ich auch dem Frater zu, welcher ihn den Gefährten weiter vermittelte.

Jetzt lag das Floß fest.

»Da, nehmt die Pferde!« gebot der Major den Leuten, welche die Tiere zurückbringen sollten. »Wir steigen jetzt – — —was ist das?«

Er unterbrach sich mit dieser verwunderten Frage, denn er sah, daß der Rittmeister auf das Floß ging. Meine Gefährten folgten diesem sofort.

»Was ist’s? Was meinen Sie?« fragte ich ihn, indem ich so that, als ob ich nicht wisse, was ihn so in Erstaunen setze. Dabei winkte ich dem Yerbatero, mein Pferd mitzunehmen. Ich selbst blieb stehen.

»Der Rittmeister geht auch auf das Floß!« antwortete Cadera. »Was will er dort?«

»Mitfahren. Was sonst?«

»Diablo! Wer hat das befohlen?«

»Sennor Jordan sagte es Ihnen nicht?«

»Nein.«

Während er und die Soldaten ganz betroffen dastanden, trat ich hart an das Wasser, wo die Floßknechte standen, und sagte ihnen leise:

»Fünfzig Papierthaler mehr, wenn Sie diese Soldaten nicht mitnehmen.«

»Gut, Sennor!« antwortete der Führer des Floßes ebenso leise.

»Das wundert mich freilich nicht,« fuhr ich jetzt laut und zu dem Major gewendet fort. »Sie haben es jetzt erst erfahren sollen.«

»Was denn?«

»Daß Sie unter Aufsicht stehen.«

»Ich? Was fällt Ihnen ein!«

»Pah! Ich habe es Ihnen bereits vorhin gesagt, als Sie behaupteten, daß Sie uns zu beaufsichtigen hätten.«

»Sennor, ich verstehe keines Ihrer Worte!«

»So will ich deutlicher sprechen. Sennor Jordan traut Ihnen wahrscheinlich nicht.«

»Wollen Sie mich beleidigen!«

»Nein. Sie können höchstens durch die Bestimmung Jordans beleidigt werden, nicht durch mich. Wahrscheinlich glaubt er, Sie fangen Händel mit mir an.«

»Fällt mir nicht ein!«

»Oder Sie kommen gar auf den verrückten Gedanken, sich später, wenn wir Ihnen auf dem Parana die Ladung übergeben haben, meiner Person zu bemächtigen.«

»Sennor!«

»Bitte! Thun Sie nicht so, als ob ich es nicht vermöchte, Ihre Gedanken zu erraten! Um aber solche Thorheiten zu hintertreiben, ist Jordan wahrscheinlich auf den Gedanken gekommen, Ihnen den Rittmeister als Kurator mitzugeben.«

»Was fällt Ihnen ein!«

»Dem Generalissimo ist es eingefallen, nicht mir.«

»Beweisen Sie es!«

»Kommen Sie auf das Floß und lassen Sie sich von dem Rittmeister die Vollmacht geben, welche er erhalten hat.«

»Tormento! Hat er eine?«

»Fragen Sie ihn!«

»Er soll sie zeigen! Warum spricht er nicht? Warum versteckt er sich hinter die Hütte? Wenn er diese Vollmacht hat, bin ich beleidigt und fahre um keinen Preis mit. Ich muß ihn sprechen!«

»So kommen Sie!«

Er sprang auf das Floß und ich ihm nach. Er hatte in seinem Zorne nicht auf das, was die Flößer thaten, acht gehabt. Das Floß hing nur noch mit einem Ende am Ufer. Das andere schwamm schon weit draußen, sich im Wasser nach abwärts drehend. Der Major gab seinen Leuten noch einen Wink, am Ufer zu bleiben, und eilte zu dem Rittmeister.

»Jetzt los!« gebot ich den Floßknechten, indem ich dem Zornigen folgte. Als ich ihn erreichte, stand er bei dem Rittmeister und warf demselben Fragen in das Gesicht, welche er gar nicht zu beantworten wußte.

»Zanken Sie nicht, Sennor!« sagte ich zu Cadera. »Sie machen die Sache nun doch nicht anders. Und damit Sie nicht in die Versuchung kommen, im Zorne eine Uebereilung zu begehen, werde ich Ihnen den Freundschaftsdienst erweisen, Sie daran zu verhindern.«

Während dieser Worte riß ich ihm die Pistolen aus dem Gürtel.

»Sennor, was wagen Sie!« donnerte er mich an.

»Nichts, gar nichts.«

»Das nennen Sie nichts, gar nichts? Sie rauben mir —«

Er hielt inne. Seine Leute erhoben am Ufer ein Geschrei, welches kreischend zu uns herüberscholl und seine Blicke auf sie richtete. Das Floß war gelöst worden und hatte sich bereits um mehrere Mannslängen von dem Ufer entfernt, wo das Wasser eine bedeutende Tiefe besaß.

»Was ist das? Was soll das heißen?« schrie Cadera. »Sofort wird wieder angelegt!«

»Das soll heißen,« antwortete ich ihm, »daß Sie mein Gefangener sind, und daß ich Sie augenblicklich niederschieße, wenn Sie einen Schritt von hier thun!«

Ich hielt ihm seine eigenen Pistolen gegen die Brust.

»Gefangener? Niederschießen? Sennor, sind Sie toll?« fragte er erbleichend.

»Ich bin jedenfalls besser bei Sinnen als Sie, der Sie auf diese schöne Leimrute geflogen sind.«

»Rittmeister, helfen Sie!«

Der Angerufene zuckte mit der Achsel, sagte aber kein Wort.

»Sie schweigen, anstatt drein zu hauen! Halten Sie es etwa mit diesem – —«

»Bitte, keinen Ausdruck, welcher mich beleidigen könnte,« unterbrach ich ihn drohend. »Ich dulde das nicht.«

»Und ich dulde diese Behandlung nicht. Meine Leute sollen auf Sie schießen. Ich werde es ihnen befehlen. Ich werde – — – «

»Nichts werden Sie, gar nichts! Sie befinden sich in meiner Hand und müßten die erste falsche Bewegung, den ersten Ruf mit Ihrem Leben bezahlen. Sehen Sie, daß Ihre Leute Ihnen nicht zu helfen vermögen?«

Ich faßte ihn am Arme und zog ihn hinter der Bretterhütte vor. Das Floß war in schnelleres Wasser gekommen und entfernte sich von der Stelle, an welcher es gelegen hatte, zusehends. Die Soldaten waren wieder aufgestiegen und folgten am Ufer abwärts.

»Chispas!« fluchte der Major. »Da schwimmen wir hin, und da drüben sind meine Leute! Und da drunten, da drunten, da kommt wahrhaftig Jordan selbst mit einer ganzen Menge von – —«

»Von Häschern,« fiel ich lachend ein, »welche uns ergreifen wollen. Das ist für Sie eine sehr ärgerliche, für uns aber eine höchst lustige Geschichte.«

Da, wo wir am Ufer hergekommen waren, tauchte ein langer, langer Trupp von Reitern auf. Ich erkannte wirklich den “Generalissimo” mit mehreren Offizieren an der Spitze. Sie trafen jetzt mit denen zusammen, welche wir zurückgelassen hatten. Man sah sie Fragen und Antworten austauschen. Die Hände streckten sich aus, um nach uns zu deuten, und dann erscholl ein vielstimmiges Wutgeschrei zu uns herüber.

Die Reiter saßen ab und griffen zu ihren Gewehren.

Schüsse krachten; aber wir waren glücklicherweise schon so weit vom Ufer entfernt, daß bei der großen Breite des Stromes keiner derselben traf.

Der Major befand sich in einem Zustande, welcher an Verzweiflung grenzte. Er tobte eine Weile gegen uns, gegen sich selbst und setzte sich dann auf einen Klotz, um da wortlos vor sich niederzustarren.

Drüben am rechten Ufer aber folgten uns die Soldaten. Als ihnen das Schilf- und Buschgewirr das Reiten zu beschwerlich machte, sahen wir sie verschwinden. Sie hielten mehr vom Flusse ab, um den freien Kamp zu erreichen, wo sie leichter und schneller reiten konnten. Jedenfalls folgten sie uns so weit wie möglich. Mochten sie! Wir waren ihren Händen glücklich entrückt.

Fünftes Kapitel: Der Pampero

Wenn ich geglaubt hatte, unsern Verfolgern glücklich entgangen zu sein, so war dies nur meine Meinung gewesen, denn meine Gefährten hielten es für leicht möglich, daß wir ihnen noch in die Hände fallen könnten. Wir bemerkten, daß die Truppen bemüht waren, das ganze rechte Flußufer zu alarmieren, aber die Krümmungen des Flusses und der Fall desselben waren uns so günstig, daß unser Floß schneller schwamm, als sie reiten konnten, und so kam es, daß meine Begleiter sich schon nach einigen Stunden beruhigten und sicher fühlten.

Major Cadera war wütend; wir aber lachten über seinen Grimm und setzten ihn gegen Mittag auf einer der schwimmenden Inseln aus, welche der Fluß so zahlreich mit sich führt. Mochte er sehen, wie er mit ihr das Ufer erreichte. Kurze Zeit später legten wir an das linke Ufer an, um den Estanziero und seinen Sohn mit ihren Pferden dort abzusetzen, weil beide nach Hause wollten. Nach einem herzlichen Dank und Abschied ritten sie mit dem freundlichen Wunsche des Wiedersehens davon.

Nach glücklicher Fahrt brachte uns das Floß nach Buenos Ayres, wo die Flößer den ausbedungenen Lohn und auch noch etwas mehr erhielten. Der Rittmeister verabschiedete sich da mit dankenden Worten, welche ganz gewiß aufrichtig waren. Wir hielten natürlich an unserm ursprünglichen Plane, nach dem Gran Chaco zu gehen, fest, und Turnerstick redete mir so lange zu, ihn und den Steuermann, seinen Liebling, mitzunehmen, bis ich meine Einwilligung gab. Einige Tage genügten für ihn, in Beziehung auf sein Schiff die nötigen Dispositionen zu treffen, dann waren wir reisefertig.

Da es geraten und vorteilhaft war, von Buenos Ayres bis hinauf nach Corrientes das Dampfschiff zu benutzen, so verkauften meine Gefährten ihre Pferde, ich aber behielt meinen Braunen, denn ich durfte nicht hoffen, sogleich wieder ein so vortreffliches Tier zu finden. Freilich wurden mir wegen des Pferdes einige Schwierigkeiten gemacht, doch ließ der Kapitän des Dampfers endlich mit sich sprechen. Der Braune kam zwischen Ballen, Kisten und Fässern zu stehen, welche auf dem Vorderdecke untergebracht waren. Er befand sich wie in einem kleinen Stalle, nur daß er kein Dach über sich hatte.

Der La Plata bildet nach dem Amazonas das größte Stromsystem Südamerikas. Er wird durch den Zusammenfluß des Uruguay mit dem Parana gebildet und muß als die breiteste Flußmündung der Erde bezeichnet werden. Sie ist unmittelbar nach der Vereinigung der beiden Flüsse 40 Kilometer breit. Bei Montevideo erreicht sie eine Breite von 105 und an der Oeffnung sogar von 220 Kilometer. Diese 220 Kilometer breite Mündung hat ein schlammig gelbes Wasser, welches noch 130 Kilometer weit in der See draußen sich vom Meerwasser unterscheiden läßt.

Die Tiefe des Parana beträgt da, wo er den La Plata bilden hilft, dreißig Meter. Entsprechend ist seine Breite. Er ist unbedingt der größte südamerikanische Fluß, bildet aber nicht einen geschlossenen Stromlauf, sondern teilt sich oft in mehrere Arme und bildet Inseln, welche zuweilen von bedeutender Größe sind. Er ist äußerst fischreich, obgleich man seines schmutzigen Wassers wegen nur selten sich eine Flosse bewegen sieht.

Wir hatten außer in Rosario noch einigemale angelegt, doch hatte ich das Schiff nicht verlassen, da ich an Bord bleiben wollte, so lange wir an der Provinz Entre Rios vorüber kamen. Wir hätten leicht einem begegnen können, welcher uns bei Jordan gesehen hatte, und dann waren wir unsers Lebens wohl kaum sicher. Sogar Santa Fé und Parana hatte ich mir nicht angesehen, denn gerade an diesen beiden Orten war eine solche Begegnung am meisten zu erwarten. Erst als wir diese beiden Städte hinter uns hatten, fühlten wir uns leidlich sicher. Wir kamen weiter an Puerto Antonio und La Paz vorüber und steuerten auf den Einfluß des Rio Guayquiaro zu, welcher von Osten in den Parana mündet.

Es war ein außerordentlich reges Leben an Bord. Leute aus allen Provinzen befanden sich da, sogar Indianer mit ihren Frauen, welche aber keineswegs den Eindruck machten, welchen ich von den Sioux, Apatschen und Comantschen mitgenommen hatte. Sie sahen verkommen, unselbständig und gedrückt aus.

Die Weißen hatten alle ein sehr kriegerisches Aussehen. Sie wußten, daß die Provinz Entre Rios den Aufstand plante, und unter solchen Verhältnissen konnte man sich selbst auf dem Schiffe nicht sicher heißen. Darum hatte ein jeder so viele Waffen, als er besaß, an sich gehängt.

Unter den Indianern fiel mir ein junger Mann auf, der sehr vorteilhaft von den andern abstach. Er war keineswegs schöner als die übrigen Roten, auch nicht besser gekleidet, aber er hatte eine, wie mir schien, kranke Begleiterin bei Sich, für welche er eine außerordentliche Sorgfalt an den Tag legte. Sie war alt und schien seine Mutter zu sein, aber Liebe zur Mutter ist bei diesen Leuten eine Seltenheit. Das Weib ist für die Arbeit da; sie wird weder als Frau, noch als Mutter geachtet Beide waren sehr ärmlich gekleidet. Der Indianer hatte nichts als ein Hemd, eine kurze Hose, ein Paar alte Schuhe und ein Messer, welches in dem Stricke steckte, den er um den Leib gebunden hatte. Sein Auge zeigte mehr Intelligenz, als man bei diesen Leuten zu finden gewohnt ist. Vielleicht aber war es sein liebevoller, besorgter Blick, welcher mich zu dieser Annahme verführte.

Und noch ein anderer war es, welcher meine Aufmerksamkeit erregte, kein Indianer, sondern ein Weißer, welcher in allem das gerade Gegenteil von dem ersteren war.

Er saß auf dem Hinterdecke in der Nähe des Steuermannes und hatte seinen Platz so gewählt, daß er das ganze Deck überblicken konnte, ohne selbst viel bemerkt oder gar belästigt zu werden. Es war, als ob er sich Mühe gebe, so wenig wie möglich Aufmerksamkeit zu erregen. Gekleidet war er sehr fein und nach französischem Schnitte. Den Bart trug er nach der hiesigen Mode. Seine Züge, sein dunkles, scharf blickendes Auge ließen auf ungewöhnliche Intelligenz und Willenskraft schließen. Die sonnverbrannte Farbe seines Gesichtes gab nicht zu, ihn für einen Salonhelden zu halten. Seine sitzende, zusammengebeugte Haltung erlaubte nicht, seine Gestalt zu beurteilen, doch war es mir, als ob ich in ihm einen Militär, einen Offizier, und zwar nicht einen subalternen erkennen müsse. Nicht weit von ihm saß ein Neger, welcher wohl sein Diener war, denn er hielt das Auge fast unausgesetzt mit einer zugleich liebe- und respektvollen Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet, um jeden Wunsch oder Befehl des Herrn sogleich zu erraten. Beide waren in Rosario an Bord gekommen und hatten sich gleich von da an abseits der andern Passagiere gehalten.

 

Kapitän Frick Turnerstick hatte schon in der ersten Viertelstunde unserer Fahrt die Bekanntschaft des Schiffsführers gemacht und war fast stets an der Seite desselben zu sehen. Er hielt immer Vortrag, und der andere hörte ihm schweigend und oft lächelnd zu. Hans Larsen, unser ruhiger Steuermann, hatte mit niemand auch nur ein einziges, überflüssiges Wort gesprochen. Er saß schweigsam zwischen den Kisten und andern Gepäckstücken und betrachtete die Scenerie, welche ihm das Deck und der Fluß mit seinen Ufern bot. Bruder Hilario hielt sich zu mir. Die Yerbateros aber schwärmten überall herum und machten mit aller Welt Bekanntschaft, wie das die Art und Weise dieser Leute ist.

Eine Fahrt auf dem Parana ist allerdings sehr verschieden von einer solchen auf dem Rheine, der Donau oder Elbe. Die menschliche Staffage auch abgerechnet, bietet der Strom mit seinen Ufern und Inseln ein stets wechselndes Panorama, besonders interessant durch einen Pflanzenwuchs, welcher desto tropischer wird, je weiter man nach Norden kommt. Die Ufer steigen zu beiden Seiten ziemlich steil empor, eine Bildung, welche man hierzulande “Barranca” nennt. Sie sind von grauer Farbe und fast immer mehr als zwanzig bis dreißig Ellen hoch und bestehen aus zwei durch eine fortlaufende Linie von versteinerten Muscheln getrennten Lagerungen von Kalkstein und Tosca, unter welch letzterem Namen man einen harten, aber doch zu verarbeitenden Lehm versteht.

Diese Barrancas sind teils kahl, teils mit dichtem Strauchwerk besetzt, zwischen welchem je nördlicher desto öfter die hier auftretenden Palmenarten zu bemerken sind. Zuweilen werden diese Ufersteilungen durch einen Einschnitt unterbrochen, welchen ein Bach oder ein kleines Flüßchen sich ausgewaschen hat.

Man darf aber nicht meinen, daß die Ufer stets zu sehen seien. Die Breite des Stromes und der Reichtum der zwischen seinen Armen liegenden Inseln verhindert das. Das Schiff fährt stets auf einem dieser Arme, welche langgestreckte Kanäle bilden, die ihr Fahrwasser während der Zeit der Regen und Ueberschwemmungen so verändern, daß die Schiffahrt den Kurs sehr oft zu wechseln hat.

Wir waren übereingekommen, nur bis Goya zu fahren, und von dort aus in den Gran Chaco einzudringen. Für diese über siebenhundert Seemeilen lange Strecke hatte ich in erster Kajüte nach deutschem Gelde nicht ganz hundert Mark bezahlt, welcher Preis sich einschließlich sehr guter Beköstigung und sogar des Weines versteht. Die Yerbateros fuhren als Passagiere niederer Klasse wohl halb so billig. Ueberhaupt schien man es in diesem Punkte nicht allzu genau zu nehmen. Ich sah Indianerinnen an Bord kommen, welche trotz ihrer Erklärung, daß sie arm seien und kein Geld hätten, doch einen Platz erhielten und mitgenommen wurden.

Gegessen wurde gewöhnlich auf dem Deck. Dann versammelten sich um die Tafel die Indianer und Indianerinnen und erhielten so viel Speisereste zugereicht, daß auch sie satt wurden. Des Nachts lagen die Leute oben, wie und wo es ihnen beliebte. Wenn man da einen Gang unternahm, mußte man sehr aufpassen, nicht über den einen oder andern Schlafenden hinweg zu stürzen.

Da alle Welt mit Waffen versehen war und es keine Jagdeinschränkungen gab, so hörte man vom Morgen bis zum Abend die Gewehre knallen. Es wurde auf alles mögliche geschossen, und Tiere, auf welche man zielen konnte, gab es mehr als genug. Da ist zuerst das Wassergeflügel zu nennen, welches in großer Menge vorhanden war. Am häufigsten ließ sich der Cuervo sehen, eine schwarz gefärbte Scharbenart. Er ist wegen seiner eigentümlichen Manieren für den Reisenden sehr interessant. Er sitzt in Trupps beisammen, auf kleinen Inseln, schwimmenden Gegenständen oder Baumstümpfen und Aesten, welche an seichten Stellen aus dem Wasser ragen. Wird er aufgeschreckt, so stürzt er sich in urkomischer Weise in das Wasser und schwimmt davon; der Körper ist dabei untergetaucht, so daß nur der Kopf und ein Teil des Halses zu sehen sind. Das eifrige Nicken und ängstliche Verdrehen dieser Köpfe muß selbst den Ernstesten zum Lachen reizen.

Scheuer als der Cuervo sind die Enten, welche man oft zu Hunderten beisammen sieht, ohne aber leicht zum sichern Schusse zu kommen. Die schönste unter ihnen ist der Pato real mit seinem grün metallisch schimmernden Gefieder. Neben der Bandurria, einer Schnepfenart, sieht man Möwen und Seeschwalben, auch den weißen und schwarzhalsigen Schwan. An den Lagunen oder auf niedrigen Inseln steht der Storch, hier Tujuju genannt, und im Schilfe der Sümpfe sucht sowohl der weiße als auch der Löffelreiher fleißig nach Beute.

Auch Wasserschweine und Nutrias sahen wir oft. Dieser letztere Name bedeutet eigentlich Fischotter, doch wird hier eine große Rattenart so genannt, während man den eigentlichen Fischotter mit dem Worte Lobo bezeichnet, welches richtiger “Wolf” bedeutet.

Zuweilen, besonders am frühen Morgen, sieht man einen Jaguar am Ufer schleichen, um sich ein Wasserschwein zu holen, dessen Fleisch er demjenigen anderer Tiere vorzuziehen scheint.

Am eifrigsten schoß man auf Alligatoren, hier Jacaré genannt. Sie liegen an sandigen Stellen, welche nicht steil, sondern flach zum Ufer gehen, und sind nicht leicht aus ihrem Gleichmute zu bringen. Schlägt auch ein halbes Dutzend Kugeln in der Nähe einer solchen häßlichen Reptilie ein, so rührt sie sich darum doch nicht im mindesten. Erst wenn eine oder mehrere Kugeln direkt auf den harten Panzer prallen, bequemt sich das Tier, seinen Platz zu verlassen und in das Wasser zu gehen, aus welchem es im Schwimmen gewöhnlich die Hälfte des Kopfes streckt. Die Schüsse waren alle verloren, denn nur diejenige Kugel, welche die Weichteile trifft, die aber durch den Panzer geschützt liegen, kann das Tier verletzen.

Durch eines dieser Tiere knüpfte sich eine Art schweigender Bekanntschaft zwischen mir und dem vorhin erwähnten Passagier an. Er hatte sich nicht an der Jagd beteiligt, doch wenn auf Krokodile geschossen wurde, so stand er auf, um den Erfolg zu beobachten. Er kehrte dann immer mit einem verächtlichen Kopfschütteln an seinen Platz zurück.

Wir näherten uns einer niedrigen Stelle des Ufers, auf welcher zahlreiche Jacarés lagen. Das schien endlich seine Jagdlust zu erwecken. Ich stand zufällig ganz in seiner Nähe und hörte, daß er von dem Neger sein Gewehr verlangte. Vielleicht hatte er die Absicht, zu beweisen, daß es ihm ein leichtes sei, einen Alligator zu erlegen. Er trat mit dem Gewehre an die Brüstung des Deckes und gab auf eines der Tiere die zwei Schüsse ab. Die erste Kugel ging fehl; man sah, daß sie sich in den Sand wühlte; die zweite Kugel traf die Bestie gerade auf den Rücken. Das Tier hob den Kopf ein wenig empor, ließ ihn wieder sinken und – blieb ruhig liegen, als ob nur eine Erbse auf seinen Körper gefallen sei.

War die Miene des Schützen erst ziemlich siegesgewiß gewesen, so legte sie sich jetzt in den Ausdruck zorniger Enttäuschung. Er warf mir einen kurzen Blick zu, als ob er sich schäme, und gab dem Diener das Gewehr zurück.

»Soll ich laden?« fragte der Schwarze.

»Nein. Die Alligatoren sind unverwundbar,« antwortete er, indem er sich wieder niedersetzte.

»In dieser Stellung, wenn sie auf dem Bauche liegen, kann man sie freilich wohl kaum erlegen,« sagte der Frater, welcher die Worte auch gehört hatte, zu mir.