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Am Rio de la Plata

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»Da irren Sie sich sehr, mein Lieber. Wäre es unsre Absicht, kurzen Prozeß mit Ihnen zu machen, so hätten wir Sie nicht so weit mitgenommen und Sie schon längst erschossen.«

»Was aber wollen Sie denn mit mir?«

»Das wird sich bald zeigen, denke ich. Wahrscheinlich freilassen.«

»Sennor, wenn das Ihr Ernst ist, so hätte ich nur den Wunsch, mit Ihnen reiten zu dürfen, um Sie nach der Pampa de Salinas zu führen. Sie wollten ja in die Berge?«

»Aber nicht da hinauf!«

»Vielleicht aber verlohnt es sich für Sie, den Ort aufzusuchen und die Flasche zu untersuchen.«

»Wahrscheinlich. Uebrigens bin ich schon seit einer Viertelstunde beinahe entschlossen, den Salzsee aufzusuchen. Ich denke sogar, daß es mir gelingen kann, den Mörder zu finden.«

»Cielos! Wenn das wäre!«

»Ich halte es für nicht unmöglich. Aber Sie sind dann später Ranchero geworden. Hatten Sie Ihr Jägerleben aufgegeben?«

»Ja. Ich fühlte mich wenigstens für einstweilen des Umherstreifens müde, besonders da es mir nicht gelingen wollte, den Mörder zu entdecken. Monatelang hielt ich mich am See verborgen, um ihm aufzulauern. Ich dachte, er müsse mir endlich doch einmal in die Hände laufen. Ich war allüberall und stets von Gefahren umgeben, litt Hunger, Durst und Kälte – —vergebens; er kam nicht. Hatte ich mich dann entfernt, so bemerkte ich bei meiner Rückkehr, daß er später dagewesen war. Dieser Mensch hat ein ungeheures Glück.«

»Vielleicht ist es mehr als Glück?«

»Nur Glück, und zwar ein ganz unvergleichliches Glück. Es ist mir passiert, daß ich vorgestern die Stelle untersucht hatte; kam ich heute wieder hin, so war er dagewesen. Ist das nicht Glück.«

»Ich denke, daß es mehr eine Folge der Schlauheit und Vorsicht ist. Er ist jedenfalls nicht nur ein höchst schlauer und durchtriebener Mensch, sondern auch ein ganz ausgezeichneter Kenner jener Gegend und ihrer Verhältnisse.«

»Sie mögen recht haben. Er scheint wie aus den Wolken zu fallen und wieder droben in denselben zu verschwinden. Ich habe ganz genau gesehen, daß er bei dem Versteck gewesen ist, aber nie eine weitere Spur von ihm bemerkt.«

»Das ist eben nur ein Beweis, daß meine Meinung die richtige ist. Er ist ein höchst erfahrener und behutsamer Mann.«

»Ja, er muß der wahre Geronimo Sabuco sein.«

»Wer ist das?«

»Haben Sie diesen Namen noch nie gehört? Der Mann, welcher so heißt, ist der berühmteste Kenner der Anden. Er ist als Führer so unvergleichlich, daß er nicht anders als nur el Sendador genannt wird.«

»Haben Sie ihn schon einmal gesehen?«

»Sonderbarerweise das noch nicht.«

»Ist er oft in jener Gegend?«

»Dort und überall. Sein eigentliches Standquartier aber soll er im Gran Chaco haben. Wissen Sie noch nichts von ihm?«

»Ich habe den Namen Sendador gehört.«

»Man erzählt sich außerordentlich viel von seiner Kühnheit und seiner ganz unvergleichlichen Kenntnis des Gebirges. Er soll sogar im Winter es gewagt haben, über die Anden zu gehen.«

»Das ist wohl Fabel!«

»Nach dem, was man sonst von ihm hört, ist es ihm zuzutrauen. Wenn Sie über die Anden wollen, so rate ich Ihnen, ihn zu engagieren und keinen andern.«

»Das beabsichtige ich auch.«

»Wirklich? So bekomme ich zehnfach Lust, Sie bis zum Salzsee zu begleiten. Denken Sie nach, ob mir dieser Wunsch erfüllt werden kann.«

»Schwerlich! Sie sind ein Anhänger von Lopez, also ein Gegner von mir.«

»Pah! Was geht mich Lopez Jordan an! Es litt mich nicht länger auf dem ruhigen Rancho. Ich wollte wieder in die Berge, um den Mörder vielleicht doch noch zu ertappen. Darum ergriff ich die erste Gelegenheit, den Rancho zu verkaufen. Das Geld, welches ich erhielt, trug ich nach der Hauptstadt von Entre Rios Concepcion del Uruguay, um es dort sicher anzulegen. Dann wollte ich nach den Anden. Unterwegs hielten mich Jordans Leute an, um mich als Führer nach Corrientes zu engagieren. Da mir ein gutes Geld geboten wurde, nahm ich den Vorschlag an und erhielt den Titel eines Offiziers. Das ist alles.«

»Sie gebärdeten sich aber wie ein eingefleischter Jordanianer!«

»Zum Scheine, denn mit den Wölfen muß man heulen.«

»Hm! Wer kann trauen!«

»Sennor, ich belüge Sie nicht!«

»Gut, ich habe Lust, Ihnen das zu glauben.«

»Ich werde Ihnen sogar einen ganz eklatanten Beweis geben, daß Sie mir jetzt mehr gelten als Lopez Jordan.«

»So? Wie wollen Sie das anfangen?«

»Ich gebe Ihnen Ihre Gegner, welche Sie verderben wollen, in die Hände.«

»In welcher Weise wäre das möglich?«

»Dadurch, daß wir sie in die Sümpfe des Espinilla locken, des Grenzflusses zwischen Entre Rios und Corrientes.«

»Hm! Daß sie uns verfolgen, ist freilich sicher. Aber wir haben einen bedeutenden Vorsprung.«

»Glauben Sie das ja nicht, Sennor! Sie sind nahe hinter uns her.«

»Des Nachts, wo sie keine Spur von uns sehen können?«

»Sie brauchen keine Spur. Sie wissen, daß Sie über die Grenze wollen und reiten in dieser Richtung. Wenn sie sich dann am Anbruch des Tages nach beiden Seiten ausstreuen, müssen sie auf unsere Bahn kommen.«

»Sie haben recht. Und darum sind wir gezwungen, so bald wie möglich wieder aufzubrechen.«

»Ja. Dann reiten wir gerade gegen die Sümpfe, und die Jordanisten werden uns gewiß dorthin folgen.«

»Um uns da drinnen festzunehmen!«

»O nein! Ich kenne die Wege und die Schliche zu genau, als daß wir uns verirren und da stecken bleiben könnten. Ich führe Sie wieder heraus.«

»Hm! Sehen Sie denn nicht ein, daß ich Ihnen ein solches Vertrauen unmöglich schenken darf!«

»Sie dürfen es, und ich bitte Sie darum, es zu thun!«

»Das ist viel verlangt! Wie nun, wenn Sie uns da in eine Falle locken? Noch haben Sie mir nicht im geringsten bewiesen, daß Sie wirklich nicht mit dem Herzen zu Jordan gehören.«

»Ich sagte ja, daß nur der Zufall und die Rücksicht auf meinen Vorteil mich bewog, mich diesen Leuten anzuschließen!«

»Und nun wollen Sie wieder weg von ihnen? Sehen Sie nicht ein, daß Sie da eigentlich an Ihren bisherigen Kameraden einen Verrat auszuüben beabsichtigen? Und kann man einem Verräter Vertrauen schenken?«

Er antwortete erst nach längerer Zeit:

»Sie haben recht, Sennor, obgleich Ihre Worte keineswegs schmeichelhaft für mich sind. Aber Sie nehmen die Sache wohl zu scharf. Jordan ist, streng genommen, selbst ein Verräter und darf sich nicht wundern, wenn er erntet, was er gesäet hat. Ich habe seiner Sache treu gedient, so lange ich bei ihm war. Jetzt bin ich von ihm fort und fühle mich aller Verpflichtungen gegen ihn ledig. Die Pietät für meinen Bruder steht mir höher, als die Rücksicht gegen einen Empörer, dessen Offizier ich nur dem Namen nach war und bei dem ich, streng genommen, nur im Tagelohne stand. Ich denke, Sie können mir schon deshalb vertrauen, weil ich mich in Ihrer Gewalt befinde. Ich bin ja an Händen und Füßen gefesselt, und Sie können mich augenblicklich töten, sobald Sie bemerken, daß ich es nicht ehrlich mit Ihnen meine.«

»Es fragt sich, ob wir Zeit und Macht hätten, Sie zu bestrafen, wenn wir uns einmal in der Falle befänden.«

»Ich versichere es Ihnen mit allen möglichen Eiden, daß ich aufrichtig bin! Bedenken Sie doch, daß ich Sie nach dem Salzsee führen will! Sie wagen wirklich gar nichts, wenn Sie mir Glauben schenken. Wollen Sie, Sennor?«

»Nun, ich will Ihnen gestehen, daß ich jetzt anders sprach, als ich dachte. Ich wollte nur hören, was Sie antworten würden. Hier haben Sie nun auch meinen Bescheid auf Ihre letztere Frage.«

Ich bog mich zu ihm nieder und knüpfte ihm die Riemen auf. Als das geschehen war, sprang er empor, dehnte und reckte sich und fragte:

»Sie lösen mir die Fesseln? Soll das heißen, daß ich frei bin, Sennor?«

»Was denn anders?«

»Aber, wenn ich nun fliehe?«

»Das wäre keine Flucht, denn nur ein Gefangener kann fliehen; Sie aber sind nun kein solcher mehr. Uebrigens bin ich sehr überzeugt, daß Sie bei mir bleiben werden, Sennor Gomarra.«

»Ja, ja, deß können Sie überzeugt sein. Ich weiche und wanke nicht von Ihrer Seite. Ich danke Ihnen, danke Ihnen herzlich für das Vertrauen, welches Sie mir schenken, Sennor!«

Er drückte mir voller Freude die Hände und fügte hinzu:

»Was werden diese Schläfer sagen, wenn sie aufwachen und sehen, daß Sie mich freigelassen haben!«

Er sollte sogleich hören, was wenigstens einer von ihnen sagen werde. Der Oberst hatte an seiner andern Seite gelegen und war durch seine Bewegungen aufgeweckt worden. Das schadete nichts, denn die Reihe, zu wachen, kam nach mir an ihn, und meine Zeit war schon vorüber. Er stand auf, trat zu uns und sagte erstaunt:

»Was ist denn das? Der Gefangene frei? Sind Sie des Teufels, Sennor!«

»Sehr bei Verstand bin ich,« antwortete ich. »Man darf einen Freund nicht mißhandeln, und dieser Mann ist zu uns übergetreten und will seine bisherigen Kameraden in unsere Hände liefern.«

»Diablo! Und Sie vertrauen ihm?«

»Vollständig.«

»Nun, ich kenne Sie als einen Mann, welcher gar wohl weiß, was er will und warum er etwas thut. Ich kann also nichts dagegen haben, wenn Sie diesem Manne die Freiheit geben. Aber wie will er sein Wort halten?«

»Ich halte es, wenn es auch schwierig sein sollte,« antwortete Gomarra. »Leicht aber, sogar kinderleicht würde es sein, wenn wir die doppelte Anzahl wären, indem wir dann die Gegner von zwei Seiten nehmen könnten.«

»Hm! Wo denn?«

»Wissen Sie, daß der Grenzfluß stellenweise von gefährlichen Sümpfen umgeben ist?«

»Das weiß ich freilich. Die Sümpfe sind auf unsern Karten sehr genau verzeichnet; aber ich mag mich nicht zwischen sie wagen. Um das zu thun, müßte man sie sehr genau kennen.«

»Das ist bei mir der Fall. Wie ich bereits sagte, werden die Jordanisten uns verfolgen. Wenn wir zwischen die Sümpfe reiten, kommen sie hinterher. Ich führe Sie an eine Stelle, an welcher höchstens zwei Reiter nebeneinander passieren können. Sind wir da vorüber, so brauchen wir nur zu halten und umzukehren. Einige Mann von uns halten den ganzen Zug der Feinde in Schach, da diese sich nicht in die Breite entwickeln können.«

 

»Da werden sie wenden und sich zurückziehen.«

»Das ist ja eben der Grund, weshalb ich wünsche, daß wir zahlreicher sein möchten.«

»Nun,« antwortete ich, »ich denke, einer von uns nimmt es recht gut mit einigen von ihnen auf.«

»Das glaube ich gern, Sennor, denn Sie haben es bewiesen. Aber das reicht nicht aus. Sie werden zwar nicht alle kommen können, da wir ihnen eine ganze Anzahl Pferde entführt haben, aber sie sind doch mehrere Hundert gegen uns wenige. Bedenken Sie, daß der größte Held gegenüber der Kugel des größten Feiglings wehrlos ist!«

»Richtig! Ihr Plan wäre sehr gut. Welch ein Streich wäre es, diese bedeutende Truppe zu fangen, nachdem es ihr nicht gelungen ist, uns wenige zu halten! Aber wir werden leider verzichten müssen, da wir nicht zahlreich genug sind.«

»Hm!« brummte der Oberst nachdenklich. »Wenn es so steht, so könnte uns geholfen werden. Ich weiß nur nicht, ob ich aufrichtig sprechen darf.«

»Warum nicht?«

»Weil dieser unternehmende Sennor Gomarra bis vor wenigen Augenblicken unser Feind war. Man kann es wohl schwerlich verantworten, ihm Vertrauen zu schenken.«

»Ich verantworte es!«

»Nun, so kommen, wenn Sie sich irren, alle Folgen über Sie!«

»Ich nehme sie getrost auf mich. Sie hatten soeben einen Plan, irgend eine Idee?«

»Ja. Ich gehe nach der Provinz Corrientes, um von da aus den Angriff gegen Lopez Jordan zu organisieren. Ich werde da erwartet. Ich habe Offiziere vorausgesandt, welche bereits thätig gewesen sind. Sie bewachen vorläufig die Grenze, an welcher in gewissen Intervallen Kommandos stehen. Leider sind das einstweilen nur Fußtruppen, da uns die Pferde fehlen. Jordan ist so schlau gewesen, vor Beginn seines Aufruhrs alle Pferde aufzukaufen oder auch stehlen zu lassen. Darum freute ich mich so herzlich darüber, daß es uns gelungen ist, uns einer Anzahl dieser höchst notwendigen Tiere zu bemächtigen.«

»Was das betrifft,« meinte Gomarra, »so würden wir bald einige hundert Pferde haben, wenn wir nur die dazu nötigen Reiter hätten.«

»Für diese könnte ich sorgen durch Zusammenziehen und Herbeirufen einiger der erwähnten Kommandos.«

»Wird sich das thun lassen?«

»Jedenfalls, wenn ich einen sicheren Boten hätte, oder noch lieber selbst hin könnte, was aber nicht möglich ist, da ich den Weg nicht kenne.«

»Sennor, ich führe Sie!«

»Sie mich? Und wer führt die andern?«

»Ich auch. Sie reiten mit uns, bis wir die Region der Moräste erreichen. Dort geleite ich Sie über die Stelle, an welcher der feste Weg eine nur zwei Ellen breite Brücke durch das tiefe, lebensgefährliche Moor bildet. Haben Sie diesen Pfad hinter sich, so erreichen Sie das feste Ufer des Flusses, wo Sie sich aufstellen können, um den Feind zu empfangen, der gegen Sie nichts vermag, weil er nur zu zweien vordrängen kann. Ist das geschehen, so setzen wir beide schleunigst über die Grenze, um die Soldaten herbeizuholen, mit denen wir dem Feinde in den Rücken kommen. Dann muß er sich ohne alle Bedingungen ergeben, wenn er nicht vernichtet sein will.«

»Der Plan ist ausgezeichnet!« meinte der Oberst, von dem Vorschlage Gomarras ganz begeistert, »wenn – wenn er nämlich gelingt.«

»Er muß gelingen, wenn wir Ihre Soldaten rechtzeitig zur Stelle bringen.«

»Ich hoffe, daß uns das gelingt.«

»Aber wohl nur dann, wenn wir keine Zeit versäumen und jetzt sofort aufbrechen. Wir dürfen uns die Verfolger nicht zu nahe kommen lassen, da wir Zeit brauchen, um die Kommandos herbeizuholen.«

»Ganz recht. Aber können Sie denn den Weg auch in der Dunkelheit finden?«

»So gut wie am hellen Tage. Uebrigens scheint ja der Mond ein wenig.«

»Und – — dürfen wir uns auf Sie verlassen?«

»Sennor, Sie können mich wieder fesseln. Auch bin ich ohne Waffen. Sie können mich ja jeden Augenblick niederschießen, ohne daß ich mich zu wehren vermag.«

»Richtig! Und das würde ich aber auch thun, sobald Sie mir Veranlassung geben, den geringsten Verdacht zu hegen. Was sagen Sie dazu, Sennor?«

Da diese Frage an mich gerichtet war, so antwortete ich:

»Ich bin vollständig einverstanden und hege keinen Zweifel, daß Gomarra es ehrlich mit uns meint.«

»Nun, so müssen wir die Schläfer wecken. Wir können ihnen nicht helfen. Sie mögen später weiterschlafen.«

Die Leute waren zunächst darüber unwirsch, daß sie geweckt wurden. Als sie aber hörten, welchem Unternehmen es galt, zeigten sie sich sofort einverstanden. Dem Feinde eine solche Nase zu drehen, dazu waren sie alle gern bereit. Es wurde aufgesessen; jeder nahm seine Pferde am Leitzügel, und dann ging es im Galopp wieder weiter, über den Camp, zuweilen zwischen Büschen und oft auch unter Bäumen dahin.

Ich ritt mit Gomarra voran. Obgleich ich volles Vertrauen zu ihm hatte, hielt ich es doch für keinen Fehler, die vollste Vorsicht anzuwenden. Darum hielt ich den Revolver locker, um dem Führer sofort eine Kugel zu geben, falls er uns etwa täuschen sollte. Doch das fiel ihm gar nicht ein; es zeigte sich vielmehr, daß er uns ganz ergeben sei.

Gegen Morgen erreichten wir Wald. Doch war derselbe licht. Die Bäume standen so weit auseinander, daß sie uns gar nicht störten, unsern Galopp beizubehalten. Wir gaben uns nicht etwa Mühe, unsere Spur zu verbergen, sondern wir machten unsere Fährte ganz im Gegenteile so sichtbar wie nur möglich, damit die Feinde uns recht leicht zu folgen vermöchten.

Nach einiger Zeit kamen wir an kleinen Bächen vorüber, deren Wasser ein nur ganz unbedeutendes Gefälle hatte. Gomarra sagte uns, daß wir uns dem Espinilla, dem Grenzflusse näherten, in welchen diese Bäche ihr träges Wasser sendeten, nachdem sie größere oder kleinere Sümpfe gebildet hätten.

»Nun kommt die Zeit, in welcher sich Ihre Aufrichtigkeit zu bewähren hat,« sagte ich zu ihm. »Bedenken Sie das!«

»Keine Sorge, Sennor,« antwortete er. »Sie sollen sich nicht in mir getäuscht haben.«

»Wenn das der Fall ist, so werde ich Ihnen auf eine Weise dankbar sein, welche Sie nicht für möglich halten.«

»Darf ich schon etwas davon erfahren?«

»Sie werden den Mörder Ihres Bruders sehen.«

»Wie? Was? Sagen Sie die Wahrheit? Sie müssen also doch wohl eine Ahnung haben, wer er ist?«

»Ich ahne es allerdings.«

»Sennor, ich bitte Sie, sagen Sie mir seinen Namen!«

»Sie haben ihn mir selbst genannt, als Sie mir von dem Morde erzählten.«

»Daß ich nicht wüßte. Ich habe da keinen Namen genannt. «

»Besinnen Sie sich!«

»Ja, da fällt es mir ein: Den alten Gambusino habe ich erwähnt, den Sie sterben sahen. Aber seinen Namen nannte ich nicht, da ich denselben überhaupt nicht kenne.«

»Sie sprachen ja auch noch von einem anderen, welcher da oben am Salzsee bekannt sein muß, da Sie von ihm behaupten, daß er die ganzen Anden besser kenne als jeder andere.«

»Meinen Sie etwa Geronimo Sabuco? Den Sendador? – Unmöglich!«

»Warum unmöglich?«

»Sennor, da täuschen Sie sich. Der Sendador ein Mörder! Er, der sein Leben unzähligemale gewagt hat, um Reisende, welche sich ihm anvertraut hatten, glücklich an das Reiseziel zu bringen!«

»Das ändert meine Ansicht nicht im geringsten. Es ist gar mancher äußerlich ein Ehrenmann, im stillen aber ein Schelm. Sie kennen ihn nicht; Sie haben ihn weder gesehen, noch gesprochen und verteidigen ihn doch in dieser Weise!«

»Weil ich genau weiß, welchen Rufes er sich erfreut und welch ein Vertrauen er genießt. Haben Sie denn Grund, so Schlimmes von ihm zu denken?«

»Lassen wir das einstweilen.«

»Nein. Sie können sich doch denken, daß ich vor Begierde brenne, ihn kennen zu lernen.«

»Später, später! Ich habe Ihnen jetzt nur zeigen wollen, daß ich Sie zu belohnen vermag, falls ich mit Ihnen zufrieden bin. «

»Aber ich sterbe vor Ungeduld, Sennor!«

»So beeilen Sie sich, uns noch vor Ihrem Tode die Jordaner in die Hände zu bringen, so wird es noch Zeit sein, Sie zu retten!«

»Wissen auch andere davon?«

»Nein. Nur der Frater ist eingeweiht, daß der Sendador ein Mörder ist. Mit ihm allein dürfen Sie darüber sprechen. Die andern und ganz besonders die Yerbateros dürfen keine Ahnung haben; sie müssen Geronimo Sabuco nach wie vor für einen Ehrenmann halten.«

»Es wird auch mir schwer, wenn nicht gar unmöglich, ihn für etwas anderes zu halten. Ich bin fast überzeugt, daß Sie sich irren.«

»Ich irre mich nicht und will Sie nur eins fragen:

»Sie haben mir von dem alten Gambusino erzählt. Halten Sie ihn für einen Lügner?«

»Den? Alle andern Menschen viel eher als ihn. Er sprach wenig, und was er sagte, das war sicherlich die Wahrheit.«

»Nun, so will ich Ihnen sagen, daß er mir kurz vor seinem Tode erklärt hat, der Sendador sei ein Mörder.«

»Sennor! Sollte man das für möglich halten?«

»Es ist wahr. Der Sendador hat einen Pater ermordet, einen geistlichen Herrn. Denken Sie!«

»Das wäre eine Sünde, welche gar nicht vergeben werden kann. Woher aber wußte es denn der Gambusino?«

»Er hat es gesehen.«

»Hat ihn denn der Gambusino nicht an der Mordthat gehindert?«

»Er konnte nicht, denn er befand sich auf einem Felsen hoch über dem Orte, an welchem die That geschah. Er rief ihm erschrocken und entsetzt zu, doch vergebens.«

»So mußte der Sendador ihn als Zeugen der Blutthat fürchten und also danach trachten, ihn beiseite zu schaffen!«

»Wenigstens ihn unschädlich zu machen, ja; das that er denn auch. Sie waren Freunde; darum tötete er ihn nicht; aber er zwang ihm einen Eid ab, niemals etwas davon zu erzählen. «

»Schrecklich, entsetzlich! Und der Gambusino hat es Ihnen doch erzählt und also seinen Eid gebrochen?«

»Erzählt nicht, denn ich hatte schon vorher einiges gehört und setzte mir das Fehlende hinzu. Als ich ihm die Sache dann genau so erzählte, wie sie geschehen war, konnte er mir nicht widersprechen.«

»Also wirklich ein Mörder, wirklich! Sennor, ich erschrecke. Sollte sich nicht auch der Gambusino geirrt haben?«

»Nein, das ist ganz unmöglich. Uebrigens stimmt alles sehr genau. Die beiden Mordthaten haben kurze Zeit, ganz kurze Zeit nacheinander stattgefunden. Die Flasche, von welcher Sie sprechen, enthielt die Kipus, welche der Sendador dem Padre abgenommen hatte.«

»Das wissen Sie genau?«

»Ja. Er hat den Padre nicht nur der Kipus wegen, sondern noch wegen anderer Umstände getötet. Doch davon später. Ich weihe Sie in dieses Geheimnis ein und schenke Ihnen ein Vertrauen, welches nicht einmal der Yerbatero besitzt, welcher doch mein erster Freund hier wurde. Ich hoffe, daß Sie es nicht mißbrauchen!«

»Ich werde kein Wort davon sprechen.«

»Nur mit dem Frater Hilario dürfen Sie darüber reden, aber nur so, daß es kein anderer hört. Auch dem Sendador selbst dürfen Sie nichts merken lassen.«

»Aber wie kann ich mich denn da an ihm rächen?«

»Sie sollen sich rächen, aber das kommt später und ganz von selbst. Er würde leugnen, wenn Sie es ihm vorwürfen. Er muß überrascht, überrumpelt werden. Wir bringen ihn an den Ort, an welchem sich die Flasche befindet, ohne daß er es ahnt, daß wir es wissen.«

»Auf diese Weise! Sie meinen, der Schrecken werde ihm das Geständnis erpressen?«

»Ja, der Schrecken. Die Gewalt der Thatsache muß ihn niederschmettern, so daß er sich gar nicht zu erheben vermag.

Doch, nun habe ich Ihnen wirklich alles gesagt, was ich noch verschweigen wollte. Ich bin schwach gegen Sie gewesen. Hoffentlich sehen Sie ein, wie gut ich es mit Ihnen meine.«

»Ja, das sehe ich ein, und ich werde Ihnen dankbar sein, Sennor. Wie gern würde ich noch weiter über diesen Gegenstand mit Ihnen sprechen, aber Sie werden nicht darauf eingehen, und ich sehe soeben, daß wir da angekommen sind, wo ich mich mit dem Oberst von Ihnen trennen muß.«

»Von mir nicht. Ich bin entschlossen, mitzureiten. Ich mag den Oberst nicht so allein reiten lassen.«

»Ich bin doch bei ihm!«

»Drei sind besser als zwei, und hier an der Grenze muß man vorsichtig sein.«

Als der Oberst hörte, daß man ihn begleiten wollte, freute er sich darüber, denn er traute dem Führer nicht so recht.

Wir befanden uns auf einem ebenen, grünen Plan. Die Hufe unserer Pferde standen auf Camposgras, welches nicht eine so gesättigte, fast braungrüne Farbe hatte wie die vor uns liegende Fläche. Ein schärferer Blick auf diese letztere zeigte, daß die darauf befindliche Vegetation aus Sumpfpflanzen bestand, und als ich einige Schritte weit zur Seite ritt und vom Pferde stieg, um das Terrain zu untersuchen, rief mir Gomarra schnell zu:

 

»Nehmen Sie sich in acht, Sennor! Nur noch einen Schritt weiter, und Sie geraten in Sumpf.«

»Nur hier links?«

»Auch rechts. Wir befinden uns an der Stelle, von welcher ich Ihnen erzählt habe.«

Er hatte recht. Ich überzeugte mich, daß es zu beiden Seiten tiefes, weiches Moor gab, in welchem ein Mann leicht versinken konnte. Unser früherer Führer, der Indianer Gomez, welcher sich mit seiner jetzt ganz gesund gewordenen Mutter noch bei uns befand, wollte es uns beweisen, daß das Moor im höchsten Grade gefährlich sei. Er zog sich aus, ließ sich einen Lasso unter die Arme befestigen und trat auf die trügerische Decke. Er sank bis an die Kniee, zwei Schritte weiter aber schon bis über die Hüfte ein, und der Sumpf schloß so fest um ihn, daß man ziemliche Kraft anwenden mußte, ihn heraus zu ziehen. Diese Probe machte er auf beiden Seiten. Daß er dabei schmutzig wurde, war ihm sehr gleichgültig. Der Fluß, in welchem er sich waschen konnte, war ja nahe.

So hatten wir also den Beweis erhalten, daß man hier nach keiner der beiden Seiten ausweichen könne. Griffen uns die Gegner hier wirklich an, so konnten sie, ganz wie Gomarra gesagt hatte, nur zu zweien nebeneinander reiten, während wir drüben auf festem Boden hinter Schilf und Sträuchern lagen und die ganze Fläche mit unsern Kugeln zu bestreichen vermochten. Auf diese Weise konnten wir sie ganz leicht paarweise wegputzen. Und wendeten sie sich zur Flucht um, und es standen dann unsere Soldaten plötzlich hinter ihnen auf festem Boden, ungefähr da, wo wir uns in diesem Augenblicke befanden, so waren sie gezwungen, sich zu ergeben. Es fragte sich überhaupt, ob es ihnen gelingen werde, ihre Pferde auf der schmalen Bahn zwischen den beiden Sümpfen zu wenden. Brachten sie das nicht fertig, so war ihre Lage doppelt schlimm.

Jetzt mußten wir eine lange Reihe bilden. Gomarra ritt voran. Wir andern folgten einzeln, und je zwei von uns hatten einige ledige Pferde zwischen sich. In dieser Weise ging es nun zwischen den Mooren hin. Durchschnittlich war der Weg zwei Ellen breit, oft schmaler, zuweilen etwas breiter. Er dehnte sich viel, viel länger aus, als ich vorher gedacht hatte, und führte auch nicht gerade, sondern in sehr unregelmäßigen Windungen nach dem Flusse. Seine Länge war so bedeutend, daß unsere Feinde völlig Platz darauf hatten. Wenn der letzte von ihnen den gefährlichen Pfad betreten hatte, war der erste noch nicht drüben angekommen. Und das will etwas heißen bei gegen vierhundert Reitern. Uebrigens war der Weg nicht etwa hart, sondern ziemlich weich und schlüpfrig. Unsere Pferde versanken stellenweise bis über die Hufe in dem dicken, schwarzen Schlamme. Aber wir kamen drüben ganz glücklich an. Da gab es einen sehr hübschen, von Büschen eingefaßten und von Baumwipfeln überragten Platz, auf welchem die Gefährten lagern und in aller Gemächlichkeit unsere Rückkehr erwarten konnten. Sie wollten absteigen, aber Gomarra, welcher mehr und mehr bewies, daß er ein kluger und außerordentlich umsichtiger Mensch sei, sagte ihnen:

»Bleiben Sie noch im Sattel, Sennores! Sie müssen noch eine kleine Strecke reiten, um dann zu Fuße zurückzukehren.«

»Warum zu Fuße?«

»Sagten Sie nicht, Sennor, daß Ihre Soldaten keine Pferde hätten?«

»Ja, allerdings.«

»Nun, da müssen wir ihnen helfen, schnell fortzukommen. Wir nehmen die sämtlichen Pferde mit, um den Truppentransport zu beschleunigen.«

»Der Gedanke ist freilich nicht übel.«

»Nicht wahr? Wir haben weit über dreißig Pferde. Setzen sich je zwei Mann auf eins, so kommen siebzig Soldaten schnell herbei. Und das ist notwendig, da wir nicht wissen, wie lange wir auf die Ankunft der Feinde zu warten haben.«

»Giebt es denn einen guten Weg von hier fort?«

»Auch so einen verborgenen wie den bisherigen. Wir gehen über den Fluß, so daß diesseits gar keine Spur zu finden ist. Haben wir wieder festes Land, so bringen wir drei die Pferde leicht fort; bis dahin aber müssen uns die andern Sennores begleiten.«

So geschah es. Wir schwenkten rechts ab, am Ufer aufwärts. Dort gab es wieder tiefen Sumpf, durch welchen wir uns nur auf sehr schmalem Pfade einzeln bewegen konnten. Die Pferde folgten langsam und vorsichtig, und keins von ihnen machte eine übermütige Bewegung, denn der Instinkt sagte ihnen, daß sie sich hier in Gefahr befanden. So erreichten wir eine härtere Stelle und sahen, daß sich am jenseitigen Ufer eine feste Sandbank befand.

»Hier setzen wir über,« sagte Gomarra. »Drüben giebt es sichere Erde bis hinaus auf den Campo. Nun brauchen wir die anderen Sennores nicht mehr. Sie können umkehren, nachdem sie vorher uns geholfen haben, die Pferde in das Wasser zu treiben.«

Wir drei, der Oberst, Gomarra und ich, ritten in den Fluß.

Die andem stiegen ab und trieben die Pferde in das Wasser, nachdem sie ihnen Zügel und Bügel kurz gebunden hatten. Das ging ganz vortrefflich, denn der Fluß war weder breit noch reißend. Drüben angekommen, bildeten wir aus den Pferden eine Tropa, welche uns aus Angst vor den fleißig geschwungenen Lassos willig folgte. Unsere Gefährten kehrten an den Platz zurück, an welchem sie vorhin hatten absteigen wollen. Wir verließen den Fluß im rechten Winkel, erst langsam, da das Terrain doch kein ganz sicheres war. Als wir aber den Campo erreichten, fielen wir in Galopp und fegten nach rechts ab, in östlicher Richtung hin, weil der Oberst dort Soldaten zu finden erwartete.

Wir waren kaum eine Viertelstunde geritten und hatten uns dabei fleißig nach Spuren umgesehen, so bemerkten wir zwei Reiter, welche am nördlichen Horizonte auftauchten und schnell auf uns zukamen. Natürlich hatten sie auch uns gesehen und wollten nun wissen, wer wir seien. Der Oberst blickte ihnen gespannt entgegen und rief erfreut, als sie näher gekommen waren:

»Rittmeister Manrico! Ihn habe ich vorausgesandt. Der Sennor bei ihm ist ein Lieutenant. Welch ein Glück, sie zu treffen!«

Der Rittmeister erkannte seinen Chef und grüßte ihn bereits von weitem. Nahe herangekommen, konnte er seinem Erstaunen, den Oberst hier so unerwartet zu treffen, gar nicht genug Ausdruck geben.

»Davon nachher, mein Lieber,« unterbrach ihn der Oberst. »Jetzt vor allen Dingen, was thun Sie hier?«

»Wir ritten zu einer Grenzdienstübung.« Er deutete nach Ost. »Dort stehen unsere Truppen.«

»Wie viele?«

»Zweihundert Mann mit etwa siebzig Pferden. Es waren trotz aller Mühe nicht mehr Pferde zusammenzubringen. Jordan hat sie alle weggekapert und über die Grenze geschafft. «

»Weiß schon. Siebzig, und wir haben dreißig. Zwei Mann auf ein Pferd, so bringen wir zweihundert Mann fort. Getrauen Sie sich, mit zweihundert Mann vierhundert Leute von Jordan gefangen zu nehmen?«

»Wenn das Terrain halbwegs günstig ist, ganz gewiß.«

»Wie sind Ihre Leute bewaffnet?«

»Alle mit Remington-Gewehren.«

»Das ist vortrefflich. Das Terrain ist ausgezeichnet. Kommen Sie schnell! Führen Sie uns zu den Truppen; wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Jetzt ging es wieder vorwärts, und zwar mit möglichster Schnelligkeit. Unterwegs erzählte der Oberst den beiden Offizieren sein Abenteuer in kurzen Zügen. Sie beglückwünschten ihn ob seiner Rettung und waren ganz Feuer und Flamme, ihn zu rächen.

Bald erreichten wir den Camp, wo die Truppen standen. Sie hatten heute längs dem Flusse verteilt werden sollen, um da zur Probe zu manövrieren. Nun bekamen sie im Ernste zu thun. Es waren zwar zusammengewürfelte Leute, doch machten sie nach hiesigen Verhältnissen keinen üblen Eindruck. Ihre Uniform glich dem Anzug der Basken; ihre Gewehre waren neu und gut. Nur die kleine Hälfte war beritten; das that aber nichts, denn unsere dreißig Pferde machten die Zahl der notwendigen Tiere voll, wenn jedes zwei Reiter tragen sollte.

Die vorhandenen Offiziere traten zusammen, und es wurde Kriegsrat gehalten, nach dessen Beendigung die Leute aufstiegen. Je einer setzte sich in den Sattel und nahm den andern hinter sich. Dann ging es im Galoppe wieder zurück, aber nicht ganz bis dahin, wo wir über den Fluß gesetzt waren. Dies geschah aus dem Grunde, weil es möglich war, daß die Feinde bereits angekommen waren. In diesem Falle mußte man sich beeilen, sie schnell in dem Rücken zu nehmen.