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Am Rio de la Plata

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Monteso lachte die Knechte aus. Er behauptete, sie seien im Gebrauche des Lasso nicht geschickt genug. Aber als er es dann selbst versuchte, hatte er ganz denselben Mißerfolg, wie sie, und seinen Kameraden erging es ebenso.

»Sennor, Sie müssen sich der Bola bedienen,« sagte er zu mir. »Das Pferd hat den Teufel im Leibe. Werden ihm nicht die Kugeln um die Hinterbeine geworfen, so daß es stürzen muß, so bekommen Sie es nicht in Ihre Gewalt.«

»Meinen Sie? Ich denke, daß der Lasso genügend ist, es zu fangen. Denn ich glaube, daß es bisher am nötigen Geschick gefehlt hat.«

Er machte ein ganz unbeschreibliches Gesicht und musterte mich mit einem Blicke, ungefähr wie ein Rechenkünstler einen Schulknaben ansehen würde, welcher behauptet, im Kopfe aus einer hundertstelligen Zahl die Kubikwurzel ziehen zu können.

»Das klingt sehr hübsch aus Ihrem Munde!« lachte er. »Getrauen etwa Sie sich, es besser zu machen als wir alle? So versuchen Sie es! Sie werden ausgelacht werden, wie ich.

Ich rollte meinen Riemen auf, legte die Schlinge und näherte mich dem Pferde. Es sprang weiter, und ich folgte ihm langsam von der Seite. Dabei schwang ich den Lasso um den Kopf. Jetzt machte ich eine schnelle Armbewegung, als ob ich die Schlinge schleudern wolle, that dies aber nicht. Der Braune ließ sich betrügen; er machte einen Seitensprung. Kaum jedoch hatten seine Hufe den Boden wieder berührt, so flog ihm der Riemen um den Hals. Ich hielt das andere Ende desselben fest und wurde vom Pferde einmal um den Hof gezerrt. Dabei aber zog sich die Schlinge so fest zusammen, daß dem Tiere der Atem verging und es stehen bleiben mußte. Augenblicklich stand ich neben ihm und sprang auf. Ich lockerte die Schlinge, und nun gab es sich alle Mühe, mich abzuwerfen. Es folgte ein Kampf zwischen Reiter und Pferd, welcher mir den Schweiß in dicken Tropfen in das Gesicht trieb; aber ich blieb Sieger, und der Braune mußte sich ergeben.

Nun stieg ich ab, schickte nach meinen Sachen, welche sich noch oben in dem Zimmer befanden, und legte dem Pferde indessen den Zaum an. Als ich dann meine schöne Santillodecke auf den Rücken des Pferdes gab, um den Sattel darauf zu legen, sagte Monteso:

»Sie sind ein sehr tüchtiger Reiter, Sennor!«

»Und wie ist es mit dem Lasso?«

»Nun, den werfen Sie ausgezeichnet. Ich bin beinahe überzeugt, daß Ihre Begleitung uns wenigstens keine schweren Hindernisse bereiten wird.«

»Ich danke Ihnen für diese Aufrichtigkeit! Vielleicht sehen Sie ein, daß ich Ihnen nützlich, anstatt hinderlich bin. Steigen wir jetzt auf!«

Meinen Henrystutzen umhängend, stieg ich in den Sattel und ritt auf die Straße. Der Wirt und seine Untergebenen machten mir tiefe Verbeugungen und knixten noch hinter mir her. Der Umstand, daß ich mich nicht vom Pferde hatte werfen lassen, hatte ihre Achtung für mich erhöht.

Der erste Mensch, welchen ich sah, als ich auf die Straße kam, war Sennor Esquilo Anibal Andaro, der famose Haziendero, welcher mir den Bravo nachgeschickt hatte. Er stand dem Thore des Hauses gegenüber, und es hatte den Anschein, als ob er nur gekommen sei, Zeuge meiner Abreise zu sein. Wußte er denn, daß ich jetzt Montevideo verlassen wollte? Von wem hatte er das erfahren können? Er warf einen langen, giftigen und dabei wie triumphierenden Blick auf mich. Wäre ich willens gewesen, noch länger hier zu bleiben, so hätte dieser Blick mich warnen müssen, denn derselbe sagte mir ganz deutlich: »Gestern ist es nicht gelungen, aber ich habe dir eine andere Falle gestellt, in welcher du ganz gewiß stecken bleiben wirst!«

Einen Augenblick hatte ich zu warten, bis die Yerbateros aufgestiegen waren. Als wir uns dann in Bewegung setzten, kam Andaro auf uns zu, schritt schnell quer vor dem Kopfe meines Pferdes vorüber und rief mir dabei in höhnischem Tone zu:

»Glück zur Reise, Sennor!«

Ich antwortete ihm natürlich kein Wort, sondern that, als ob ich ihn gar nicht gesehen hätte. Monteso aber war ganz ergrimmt über diese Frechheit. Er stieß seinem Pferde beide Sporen in den Leib, daß es emporstieg, riß es zur Seite und zwang es dann, einen Satz zu thun, durch welchen Andaro zur Erde geschleudert wurde. Seine Flüche und Verwünschungen folgten uns laut nach.

»Dieser Halunke hätte eigentlich von meinem Pferde zertreten werden sollen!« schimpfte der Yerbatero. »In seinem Gesicht lag etwas Drohendes; blieben wir noch da, so hätten wir wohl Gefahr zu befürchten.«

»Davon bin ich überzeugt. Ja, ich möchte fast glauben, daß er jetzt noch im Sinne hat, mir eine Schlinge zu legen. Vielleicht ist sie schon gelegt, und ich tappe ganz ahnungslos hinein.«

»So sah er allerdings aus. Aber worin könnte diese Schlinge bestehen? Höchstens könnte er irgendwo einen Kerl hingestellt haben, welcher auf Sie schießen soll.«

»Das ist möglich. Kommen wir durch Waldung?«

»Welch eine Frage! Von Waldung ist hier keine Rede. Das Land besteht aus lauter wellenförmigen Erhöhungen, in deren Vertiefungen, wenn es Feuchtigkeit giebt, ein lichtes Buschwerk steht. Bäume aber finden Sie nur an den Gebäuden stehen, welche über das Land zerstreut liegen.«

»So würden wir also einen Hinterhalt, den man mir gelegt haben könnte, sofort bemerken?«

»Augenblicklich. Uebrigens werde ich zwei meiner Leute beordern, in gewissem Abstande voran zu reiten, so lange wir rechts und links noch Bauten haben, hinter denen jemand stecken könnte. Indessen sind wir nicht ganz allein auf uns angewiesen, denn es reitet ein Sennor mit uns, welcher uns in dieser Beziehung von Nutzen sein kann.«

»Wie? Sie haben, ohne mich vorher zu fragen, jemanden die Erlaubnis erteilt, sich uns anzuschließen?«

»Ja, denn ich war Ihrer Zustimmung sicher, wenn es überhaupt einer solchen bedarf.«

Er sagte das in etwas wichtigem Tone. Darum antwortete ich:

»Gewiß bedarf es meiner Einwilligung. Ich pflege nur mit Leuten zu reisen, welche mir angenehm sind. Darum hätte es sich ganz von selbst verstanden, daß Sie mich vorher fragen mußten.«

»Ich bitte aber, zu bedenken, daß eigentlich ich der Anführer unserer kleinen Reisegesellschaft bin!«

»Einen Anführer giebt es nicht. Meiner Ansicht nach hat jeder gleiche Rechte. Sie mögen die Direktion haben, wenn Sie mit Ihren Kameraden in den Urwald reiten, um Yerba zu sammeln. Da ich aber kein unter Ihnen stehender Yerbatero bin, so kann ich Sie nicht als meinen Anführer anerkennen. Soll ich von den Anordnungen eines andern abhängig sein, so reise ich lieber allein.«

Hatte ich vorhin seine allzu große Vertraulichkeit zurückgewiesen, so mußte ich ihn jetzt von dem Gedanken abbringen, daß ich in irgendwelche Abhängigkeit zu bringen sei. Er war ganz gewiß ein sehr braver Mann; aber er durfte nicht glauben, auch nur den geringsten Vorrang vor mir zu haben. Leute seines Bildungsgrades greifen dann leicht weiter, als sie eigentlich sollen. Meine Worte versetzten ihn in Bestürzung.

»So ist es nicht gemeint, Sennor!« sagte er schnell. »Ich habe Ihnen nicht zu gebieten; das weiß ich ja. Es fällt mir gar nicht ein, Ihnen gegenüber den Anführer spielen zu wollen. Wenn ich ja ein kleines Vorrecht beanspruche, so ist es nur dasjenige, Sie beschützen zu dürfen.«

»Dagegen habe ich freilich gar nichts.«

»Und darüber, daß ich diesem Caballero erlaubt habe, mit uns zu reiten, dürfen Sie nicht zürnen. Sie haben keine Veranlassung dazu.«

»Also ein Caballero ist er, kein gewöhnlicher Mann?«

»Er ist ein fein gebildeter Herr, ein höherer Polizeibeamter.«

»So habe ich nichts gegen seine Begleitung einzuwenden, vorausgesetzt, daß er das auch wirklich ist, wofür er sich ausgiebt.«

»Natürlich ist er es. Warum sollte er es nicht sein und mich belogen haben?«

»Hm! Aus Ihren Worten ist zu vermuten, daß Sie ihn eigentlich nicht genau kennen?«

»Ich kenne ihn, und zwar sehr gut.«

»Seit wann?«

Er wurde ein wenig verlegen.

»Nun,« antwortete er, »eigentlich erst seit – gestern.«

»Ah! Das nennen Sie eine gute Bekanntschaft?«

»Unter diesen Umständen, ja. Sie selbst kennen ihn ja auch. Erinnern Sie sich nur des Herrn, welcher sich gestern abend in unsere Nähe setzte und um die Erlaubnis bat, mit uns spielen zu dürfen. «

»Dieser ist es? Hm!«

Ich brummte nachdenklich vor mich hin. Dies veranlaßte ihn zu der Frage:

»Haben Sie etwa ein Bedenken?«

»Ja. Für ein so wichtiges Amt, welches große Erfahrungen und eine ziemlich bedeutende Karriere voraussetzt, scheint der Mann doch wohl zu jung zu sein.«

»Denken Sie das nicht! Hier macht man schneller Karriere als anderwärts. Es giebt noch höhere Beamte, welche nicht viel älter sind. Sie werden ihn als einen hochgebildeten und sehr unterrichteten Mann kennen lernen. Als ich ihm mitteilte, daß ein vielgereister Deutscher mit uns reite, war er ungemein erfreut davon.«

»Wo befindet er sich jetzt? Holen wir ihn an seiner Wohnung ab?«

»Nein. Wir verabredeten, daß wir draußen vor der Stadt mit ihm zusammentreffen würden.«

»Das ist mir nicht lieb. Ein Beamter von solcher Stellung gesellt sich nicht draußen vor der Stadt wie ein Wegelagerer zu seinen Reisegenossen. Warum kam er nicht in das Hotel, sich mir vorzustellen? Warum läßt er sich nicht an seiner Wohnung abholen? Kennen Sie überhaupt dieselbe?«

»Nein.«

»Aber wenigstens ist Ihnen sein Name bekannt?«

»Ja. Er heißt Sennor Carrera.«

»Der Name klingt gut. Wollen hoffen, daß er zu dem Manne stimmt! Wären wir nach seiner Wohnung geritten, um ihn abzuholen, so hätten wir den Beweis gehabt, daß er wirklich derjenige ist, für den er sich – — ah, Sennor, welch eine Nachlässigkeit!«

Ich hatte während der letzten Worte an meine Tasche gegriffen, als ob ich etwas suche. Jetzt hielt ich mein Pferd an und ließ ein möglichst beunruhigtes Gesicht sehen.

»Was ist‘s? Was fehlt Ihnen?« fragte er.

 

»Soeben bemerke ich, daß ich meinen Geldbeutel im Hotel auf dem Zimmer liegen gelassen habe.«

»Das ist kein Unglück, denn er liegt jedenfalls noch dort. Ich werde einen meiner Leute zurücksenden, ihn zu holen.«

»Danke! Ich hole ihn selbst. Mein Pferd ist wohl schneller als die Ihrigen. Wenn Sie langsam reiten, werde ich Sie bald einholen.«

Ohne seine Gegenrede abzuwarten, wendete ich mein Pferd und galoppierte zurück, aber nicht nach dem Hotel, denn ich hatte den Geldbeutel in der Tasche, vielmehr nach dem Polizeigebäude, welches in der Nähe des Domes lag. Dort angekommen, band ich das Pferd an und ließ mich dann zu dem obersten der anwesenden Beamten führen. Der Mann machte große Augen, als er mich in dem hier so fremdartigen Trapperanzug eintreten sah. Ich stellte mich ihm vor und fragte, ob es einen Comisario criminal Carrera gebe.

»Nein, den gibt es nicht, Sennor,« lautete die Antwort. »Wahrscheinlich haben Sie als Fremder den Namen verhört?«

»O nein. Der Mann hat sich selbst als einen Polizeibeamten dieses Ranges bezeichnet.«

»Gewiß war es ein Scherz.«

»Dann scheint aber Grund vorhanden zu sein, dem Scherze ein wenig zu Leibe zu gehen, weil ich vermute, daß der angebliche Kriminalist Böses im Schilde führt, und zwar gegen meine Person.«

»Dann muß ich mich freilich eingehender mit der Angelegenheit befassen. Bitte, setzen Sie sich!«

Er deutete auf einen Stuhl, auf welchem ich mich niederließ, und nahm an seinem Tische Platz. Dort legte er einige Bogen weißen Papieres vor sich hin, tauchte die Feder in die Tinte und begann:

»Zunächst muß ich mir Ihren Namen, Ihr Alter, Ihre Nationalität, den Geburtsort, den Stand, die Vermögensverhältnisse, den Grund Ihrer Anwesenheit und anderes notieren. Sie werden die Güte haben, mir meine Fragen zu beantworten.«

»Um Himmels willen!« rief ich, gleich wieder aufstehend. »Soll das ein wirkliches, ausführliches Legitimationsverhör werden?«

»Allerdings. Es ist unumgänglich nötig!«

»Ich kam nur, um Anzeige zu erstatten und Sie zu ersuchen, mir einen Beamten mitzugeben, welcher sich des Betreffenden bemächtigen soll.«

»Das ist sehr viel verlangt. Haben Sie denn ganz besondere Gründe, anzunehmen, daß der Mann Böses gegen Sie im Schilde führe?«

»Allerdings. Man hat gestern zwei Mordanfälle auf mich gemacht. Jetzt stehe ich im Begriff, nach Mercedes zu reiten. Ich befand mich bereits unterwegs; da erfuhr ich, daß ein junger Mensch mit uns will, welcher sich Carrera nennt und als Kriminalkommissar bezeichnet. Ich habe den Mann im Verdachte, sich in böser Absicht an meine Person machen zu wollen.«

»Was Sie da erzählen! Zwei Mordanfälle? Und davon wissen wir nichts! Sennor, Sie werden nicht nach Mercedes reisen. Wir müssen diesen Fall in die Hand nehmen und untersuchen. Sie werden als Zeuge hier bleiben.«

»Wie lange?«

»Das kann ich jetzt nicht wissen. Es kann einen oder auch mehrere Monate dauern.«

»Dann danke ich! So lange Zeit habe ich nicht. Mein Wunsch läuft nur darauf hinaus, von der Person befreit zu werden, welche sich einen falschen Stand beigelegt hat.«

»So müssen Sie auch in aller Form Anzeige erstatten.«

»Das thue ich ja hiermit!«

»Ja, aber der nötigen Form zu genügen, scheinen Sie eben nicht Lust zu haben. Ich muß auf jeden Fall die erwähnten Fragen aussprechen.«

»Und sie mit meinen Antworten zu Protokoll nehmen?«

»Ja. Dann werde ich Ihnen zwei Offizials mitgeben, welche den Mann arretieren und ihn mit Ihnen zu mir bringen.«

»Und dann?«

»Dann werde ich sofort die Vorarbeiten fertigen und die Sache dem Kriminalrichter übergeben.«

»Es wird also eine förmliche Kriminaluntersuchung anhängig gemacht werden?«

»Ganz selbstverständlich.«

»Und wie lange ist da meine Gegenwart notwendig?«

»Bis zum Urteilsspruch, also einige Wochen.«

»Das ist ganz und gar nicht nach meinem Geschmack, Sennor. Ich muß nach Mercedes. Soll ich des Kerls wegen hier bleiben, so bedaure ich, Sie belästigt zu haben, und verzichte auf alles. Empfehle mich Ihnen!«

Ich setzte meinen Hut auf und eilte nach der Thüre.

»Halt, halt!« rief er mir nach. »Sie können verzichten, wir aber nicht. Da wir nun einmal wissen, daß —«

Mehr hörte ich nicht, denn nun war ich draußen. Aber hinter mir riß er die Thüre wieder auf und fuhr fort:

»Daß zwei Mordanschläge auf Sie gemacht worden sind —«

Jetzt war ich unten an der Treppe. Er stand oben und fügte hinzu, indem er mir nachkam:

»Gemacht worden sind, so sehe ich mich gezwungen, die Sache zu untersuchen und Sie – — – «

Ich befand mich unter dem Thore und band mein Pferd los. Er hatte die unterste Stufe erreicht und schrie:

»Und Sie bis Austrags der Sache hier festzuhalten. Darum muß ich Ihnen – — – «

Ich saß im Sattel, und er erreichte das Thor. Beide Arme nach meinem Pferde ausstreckend, wetterte er:

»Muß ich Ihnen jetzt allen Ernstes befehlen, hier zu bleiben, sonst werden Sie arretiert und so lange eingesperrt, bis – —«

Weiter vernahm ich nichts, denn ich jagte fort, nach der Markthalle zu, neben welcher mein Weg aus der Altstadt hinaus führte. Es fiel mir gar nicht ein, meine schöne Zeit an einen uruguayischen Kriminalprozeß zu verschwenden. Wollte er mich wirklich dazu zwingen, so konnte er ja versuchen, mich zu arretieren. Ich hatte nichts dagegen.

Es ging zur Bai hinab und dann wieder zu der Straße hinauf, an deren Ende die Yerbateros auf mich warteten.

»Nun,« rief Monteso mir entgegen, »da sind Sie endlich! Schon glaubte ich, Sie hätten aus Versehen eine andere Richtung eingeschlagen. Haben Sie das Geld gefunden?«

»Ich habe es. Und wo befindet sich der Gefährte, welchen wir erwarten? Ich sehe ihn nicht. Er hat doch vor der Stadt zu uns stoßen wollen!«

»Er wird noch etwas weiter vorangeritten sein.

Darf ich vielleicht annehmen, daß Sie sich nicht unfreundlich zu ihm verhalten?«

»Mein Betragen wird sich ganz genau nach dem seinigen richten.«

»So bin ich beruhigt, denn er ist ein außerordentlich höflicher Mann, ein Caballero durch und durch.«

»Was sich bei einem Comisario criminal von selbst versteht! «

Vielleicht hatte ich das in einem etwas ironischen Tone gesagt, denn Monteso fragte:

»Glauben Sie es immer noch nicht, daß er es ist?«

»Ich will Ihnen den Gefallen thun, keinen Zweifel mehr hören zu lassen.«

»Schön! Sie werden sich überzeugen, daß er wirklich ein Kriminalist ist. Er hat uns so viele interessante Fälle erzählt, in denen es ihm durch großen Scharfsinn und wahrhaft bewundernswerte Gewandtheit gelungen ist, die Schuldigen zu entdecken. Er hat oft sogar sein Leben riskiert.«

Wir hatten die Stadt bald so weit hinter uns, daß wir sie nicht mehr sehen konnten. Hier und da gab es noch ein vereinzeltes Feld, welches zum Schutze gegen die Herden von mächtigen Kaktus- und Agavehecken eingeschlossen war; sonst aber befanden wir uns im offenen Lande, dessen Charakter fast durch ganz Uruguay derselbe bleibt: eine hügelige Fläche, welche von dem feinen, selten über einen Fuß hohen Camposgrase bewachsen ist, und in den Vertiefungen lichtes Buschwerk, auf welches der Name Gebüsch eigentlich nicht angewendet werden konnte. Weidende Tiere sah man überall, Pferde, seltener Schafe, zumeist aber Rinder.

Ein vor uns reitender Mann hatte sich umgeblickt und uns gesehen. Er hielt sein Pferd an, um auf uns zu warten. Als wir ihm so nahe gekommen waren, daß ich sein Gesicht deutlich erblickte, erkannte ich den jungen Menschen, dem ich gestern abend meinen Stuhl überlassen hatte.

»Da haben wir Sie ja!« redete Monteso ihn an. »Guten Tag, Sennor! Hier sehen Sie den deutschen Caballero, von dem ich Ihnen erzählt habe.«

Der Mann war in weite, blaue Hosen und eine ebensolche Jacke gekleidet. Seine Weste war weiß, ebenso die Schärpe, welche er sich um die Taille geschlungen hatte und in welcher ein Messer und eine Pistole steckte. Ein Gewehr hing an seinem Sattelknopfe. Er zog den Hut vom Kopfe, erhob sich in den Bügeln und grüßte:

»Mei-ne Em-pfeh-lung, Herr!«

Das klang gebrochen und in einem Tone, wie wenn ein Papagei die ihm eingelehrten Worte ausspricht.

»Sie sprechen meine Muttersprache?« fragte ich spanisch.

»Nein,« antwortete er in derselben Sprache. »Ich kenne nur diesen Gruß, welchen ich mir in Buenos-Ayres gemerkt habe, wo ich mit Deutschen verkehrte. Ich wollte Sie durch die Klänge Ihres Vaterlandes erfreuen. Darf ich hoffen, daß Sie meinem Anschlusse an Ihre kleine Gesellschaft Ihre Zustimmung erteilen?«

»Jeder ehrliche Mann ist mir willkommen.«

»So nehmen Sie mir eine Sorge vom Herzen. Ich danke Ihnen sehr!«

Er reichte mir die Hand, und ich gab ihm die meinige. Der angebliche Kriminalist war höchstens dreißig Jahre alt. Sein Gesicht sah nicht so aus, wie dasjenige eines mutigen, sogar verwegenen Menschen. Weit eher hielt ich ihn für einen verschlagenen Feigling, welcher seine Absichten am liebsten durch Hinterlist auszuführen sucht.

Wir ritten weiter. Die Yerbateros hielten sich hinter uns. Sie mochten denken, es sei eine Pflicht der Höflichkeit, die beiden Vornehmen voran zu lassen. Wir waren also gezwungen, hier und da eine Bemerkung auszutauschen, doch erkannte ich bald, daß dem Comisario an meiner Nähe nichts gelegen sei. Er hielt sich außerordentlich wortkarg, jedenfalls aus Sorge, daß er sich verraten könne.

Dadurch, daß ich in die Stadt zurückgekehrt war, hatte Monteso seinen Vorsatz gar nicht ausführen können, zu meiner Sicherheit zwei seiner Leute voraus reiten zu lassen. Jetzt war dies gar nicht mehr nötig, denn wir befanden uns auf freiem Felde und hatten eine ganz vortreffliche Fernsicht. Ich wendete meine Aufmerksamkeit fast ausschließlich der Gegend zu, was dem Criminalo jedenfalls sehr lieb war. Die Pferde liefen gut, diejenigen der andern nur deshalb, weil sie ohne Unterlaß angetrieben wurden; mein Brauner aber wäre gern ein wenig mit mir durchgegangen; ich mußte ihn scharf im Zügel halten.

Wir gelangten noch vor Mittagszeit an einige niedrige Höhenzüge, auf denen einzelne Felsblöcke lagen. Dies waren die Ausläufer der Cuchilla, über welche wir hinweg mußten. Eine Stunde später sahen wir zu unsrer Rechten einen bewohnten Ort liegen, dessen Name mir entfallen ist. Vor demselben lag in einiger Entfernung ein ziemlich großes Gebäude, welches Monteso als Poststation bezeichnete.

Daß es eine solche sei, erkannte man an den vielen Geleisen, welche hier zusammentrafen, während sie sonst auseinander gehen, da ein jeder fährt, wie es ihm beliebt. Die Yerbateros hielten da an und erklärten, einen Schluck thun zu müssen. Auch ich stieg ab und setzte mich auf die mit Rasen bekleidete Lehmbank, welche vor dem Hause stand. Es gab einen Laden da. Der Criminalo ging hinein und brachte drei Flaschen Wein und Gläser heraus. Er hatte die Absicht, die Yerbateros zu traktieren, und auch ich sah mich gezwungen, ein Glas zu nehmen, dachte aber nicht daran, ihm Revanche zu geben.

In der Nähe des Hauses gab es einen kleinen Fluß, welcher sein Wasser dem Rio Negro zusendet. Die Ufer desselben waren scharf und tief eingeschnitten, und doch sah ich an den Geleisen, welche quer über den Fluß führten, daß man ihn zu Wagen passieren könne. Aber in welcher Weise das geschieht, bekam ich sehr bald zu sehen. Wir wollten eben aufbrechen, als sich uns aus der Gegend, aus welcher wir gekommen waren, ein Lärm näherte, als ob die wilde Jagd im Anzuge sei. Ich kehrte um die Ecke des Hauses zurück und erblickte eine der beschriebenen Diligencen, welche in rasendem Galoppe näher kam.

Der Kutscher und die drei Pferdeführer schlugen wie verrückt auf die Tiere los, welche alle ihre Kräfte anstrengten, das schwere Vehikel fortzuzerren. Ich glaubte, der Wagen müsse jeden Augenblick umstürzen, so ruckweise wurde er vorwärts gerissen. Die Kerle brüllten wie die Unsinnigen; aus dem Innern des Wagens und vom Verdecke ertönten kreischende und bittende Stimmen. Es gab Passagiere, welche um langsameres Fahren bitten oder hier am Hause einmal aussteigen wollten. Vergebens! Die Hetzjagd flog vorüber, auf den Fluß zu, das steile Ufer hinab, durch die hoch aufspritzenden Wasser und am jenseitigen Ufer wieder hinauf, wobei die Pferde vor Anstrengung fast auf den Bäuchen lagen. Mir wollte Hören und Sehen vergehen. Lieber auf dem allerschlechtesten Pferde reiten, als sich in einer solchen Kutsche über die Campos schleudern, schlingern und zerren lassen!

Nun brachen wir wieder auf. Wir mußten durch das Wasser, welches mir bis über die Füße ging. Drüben kam den Yerbateros der Gedanke, die Diligence einzuholen. Darum wurde im Galopp geritten. Als wir uns ihr näherten und der Beireiter unsre Absicht erkannte, ging er auf den tollen Wettlauf ein. Es war, als ob vor uns die ganze Hölle losgebrochen sei, so ein Gebrüll erhob sich. Die Hiebe fielen hageldicht auf die armen Pferde nieder. Der Wagen wurde in einzelnen Stößen fortgerissen. Er neigte sich bald nach rechts, bald nach links, und es sah aus, als ob er in großen Sprüngen über den Campo dahineile.

 

Alles, was sich bei und in dem Wagen befand, schrie, heulte und brüllte, die einen vor Angst und die andern in der Aufregung des Wettrennens. Meine Yerbateros erhoben auch ihre Stimmen. Es klang, als ob eine Rotte von Jaguaren oder Pumas die andere hetze.

Die Aufregung hatte auch mein Pferd ergriffen, aber ich hielt es zurück. Das Rennen war nicht nach meinem Geschmack. Die gesunden Glieder derer, welche in der Kutsche saßen, befanden sich in der größten Gefahr. Darum rief ich meinen Gefährten zu, abzulassen. Doch das war vergebens. Sie bearbeiteten mit ihren Sporen die Pferde, daß diese vor Schmerz wie unsinnig vorwärts rannten.

Das Terrain war hier ziemlich eben. Sobald aber die Kutsche an irgend ein Hindernis stieß, war hundert gegen eins zu wetten, daß sie umstürzen werde. Und da, da sah ich es von weitem, dieses Hindernis! Ein zwar nicht breiter, aber tief eingeschnittener Bach kam von der Seite her und floß quer über unsre Richtung. Alle diese Wasserläufe zeichnen sich durch solche schroff in den Lehm eingefressene Ufer aus.

Die Peons sahen die Gefahr natürlich auch; aber sie waren gewöhnt, gerade an solchen Stellen die größte Eile zu entfalten, und wollten sich nicht von uns einholen lassen. Rosse und Wagen flogen auf den Bach zu. Ein Sprung in das Wasser – die Diligence neigte sich nach rechts. Die drei Passagiere, welche auf dem Verdecke saßen, streckten vor Angst brüllend die Hände empor. Die Pferde kamen durch das Wasser. Sie rangen sich in gleicher Eile und mit der größten Anstrengung jenseits desselben empor, und der Wagen neigte sich nun nach links. Die Pferde waren auf der Höhe des Ufers angelangt und zogen, von den Peons gepeitscht, nun doppelt stark an. Das gab dem Wagen einen gewaltigen Ruck – er neigte sich wieder nach rechts – ein zweiter Ruck – die Diligence machte einen Sprung und fiel auf die zuletzt angegebene Seite. Sie wurde von den Pferden noch eine kurze Strecke weit fortgerissen. Die drei waren herabgeschleudert worden. Sie lagen an der Erde und streckten Arme und Beine von sich. Sie befanden sich in der Gefahr, von den Pferden meiner Yerbateros verletzt zu werden, denn wir hatten uns hart hinter der Diligence befunden.

Diese lag nun an der Erde, daneben der Mayoral mit zwei Passagieren, welche hinter ihm gesessen hatten. Das Pferd des Vorreiters war gestürzt, ebenso eins der beiden Tiere, welche sich hinter demselben befanden. Mehrere Lassos waren gerissen. Das Zuggeschirr ist nämlich in jenen Gegenden ein sehr mangelhaftes. Es besteht nur aus einem Riemen, welcher um den Leib des Pferdes läuft. An diesen Riemen wird ein Lasso befestigt und mit dem andern Ende an den Wagen gebunden.

Auf diese Weise müssen die Pferde den letzteren ziehen. Stürzt eins der Tiere, und muß es liegen bleiben, nun, so nimmt man ihm einfach den Riemen und den Lasso ab, und man ist mit ihm fertig.

Wir hielten neben dem verunglückten Vehikel an. Es herrschte da ein Skandal, welcher gar nicht zu beschreiben ist, Pferde und Peons wälzten sich am Boden. Die von ihren Sitzen Geschleuderten jammerten oder fluchten aus Leibeskräften. Noch weit schlimmer als sie waren diejenigen daran, welche im Innern der „Staatskutsche“ steckten. Diese lag jetzt auf der Seite, und die Passagiere befanden sich infolgedessen in jedenfalls nicht sehr bequemen Stellungen. Sie zeterten, so laut es ihre Lungen erlaubten. Ganz besonders kräftig ließ sich eine weibliche Stimme vernehmen.

»Mein Hut, mein Hut!« schrie sie unausgesetzt.

»Zum Teufel mit Ihrem Hute!« brüllte eine männliche Stimme. »Treten Sie mir nicht im Gesicht herum!«

»Ich bin verwundet! Hinaus, hinaus!« schrie ein anderer.

Ich sprang vom Pferde und öffnete den Schlag, welcher sich jetzt obenauf befand. Das Glasfenster desselben war zerbrochen, und jedenfalls waren die Trümmer desselben in das Innere des Wagens geflogen.

Zuerst erschien ein Mann, welcher am Arme verletzt sein mochte, denn er versuchte vergeblich, sich oben heraus zu arbeiten. Ich half ihm, dem engen und gefährlichen Gefängnisse zu entkommen. Dann schwang sich ein kleiner, schmächtiger Kerl heraus; nach ihm kam ein dritter, welcher so dick war, daß Monteso mir helfen mußte, ihn an das Tageslicht zu zerren.

»Mein Gott, mein Hut, mein Hut!« schrie es noch immer im Innern. »Treten Sie nicht, treten Sie nicht,

Sennor! Sie verletzen mich und verderben mir meinen schönen Hut!«

»Was geht mich Ihr Hut an! Lassen Sie mich hinaus!«

Der Passagier, welcher diese zornigen Worte ausgestoßen hatte, kam langsam herausgekrochen. Dann erschienen zwei lange Frauenarme, denen der Kopf der jammernden Dame folgte. Sie hatte ganz zusammengekauert im Wagen gesteckt. Jetzt ragte ihre Gestalt lang und dürr aus dem Schlage hervor.

»Mein Hut, mein Hut!« jammerte sie noch immer, als ob es sich um den Verlust eines geliebten Familiengliedes handle, so herzbrechend war ihre Stimme. Sie blutete im Gesicht; auch ihre Kleidung hatte unter den erhaltenen Stößen, Tritten und Verletzungen gelitten.

»Steigen Sie nur erst aus, Sennora!« sagte ich. »Ihr Hut wird dann auch gewiß gerettet werden.«

»O, Sennor, er ist ganz neu, die allerneuste Pariser Façon! Ich habe ihn erst gestern in Montevideo gekauft.«

»Bitte, retten Sie sich nur selbst erst! Ich werde Ihnen helfen, wenn Sie es mir erlauben.«

Ich stieg auf den alten Kasten, faßte sie um die Taille und hob sie heraus und herab. Sie war noch länger als ich selbst. Kaum hatte sie den Boden berührt, so beugte sie sich über die Oeffnung des Kutschenschlages und langte in dieselbe hinein. Sie brachte einen formlosen Gegenstand heraus, den sie einen Augenblick lang vor sich hinhielt, um ihn zu betrachten, dann aber vor Entsetzen fallen ließ.

»O, welch ein Schmerz, welch ein Unglück!« rief sie aus, indem sie die Hände zusammenschlug. »Die Hutschachtel ist ganz zusammengetreten; wie mag da erst der Hut aussehen!«

Sie befand sich in der größten Aufregung. Die Sorge um den kostbaren Schmuck ihres Hauptes war noch größer, als diejenige um sich selbst. Aber ihre Klagen waren nicht die einzigen, welche man hörte. Wer einen Mund hatte, ließ seine Stimme vernehmen. Die einen untersuchten fluchend ihre Gliedmaßen; die andern schimpften aus Leibeskräften auf den Mayoral und die Peons ein; die letzteren wieder zankten untereinander, da ein jeder dem andern die Schuld des Unglückes beimaß. Die Passagiere drohten mit Beschwerde und Klage auf Schadenersatz und Erstattung der Kurkosten. Die Lenker des Wagens und der Rosse verteidigten sich mit der Behauptung, die Passagiere hätten die Pferde durch ihr grundloses und unnützes Geschrei erschreckt und wild gemacht. So wurden die Vorwürfe hin- und zurückgeworfen, und es wäre wohl gar eine tüchtige Prügelei entstanden, wenn die Yerbateros sich nicht Mühe gegeben hätten, die streitenden Parteien zu trennen.

Sich zunächst um die Hauptsache, nämlich den Wagen zu bekümmern, war noch keinem eingefallen. ich untersuchte ihn und fand, daß die beiden rechtseitigen Räder, auf denen die Kutsche jetzt lag, zerbrochen waren, das eine geradezu in Stücke.

Als ich das mitteilte, erhob sich der eben erst gestillte Lärm von neuem, denn der Mayoral erklärte, daß zunächst an eine Fortsetzung der Fahrt nicht zu denken sei. Er wolle versuchen, die Räderstücke durch Lassos zusammen zu binden. Das werde, selbst wenn es gelinge, lange Zeit in Anspruch nehmen, und dann könne man nur im Schritte weiter fahren.

Als die Dame, welche noch immer neben ihrem an der Erde liegenden Hutfutterale stand, dies vernahm, schrie sie:

»Welch ein Unglück! Welch ein Elend! Stundenlang warten! Und dann im Schritt fahren! Das darf ich nicht zugeben!«

Sie trat zum Mayoral, nahm eine sehr kampfesmutige Haltung an und schrie ihm in das vor Verlegenheit hochrote Gesicht: