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Am Rio de la Plata

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»Oho! Sie wird Ihnen werden und zwar so gewiß, wie ich jetzt vor Ihnen stehe.«

»Das kann sich nur auf irgend eine Hinterlist beziehen, gegen welche ich mich zu schützen wissen werde. Leute Ihres Schlages fürchtet man nicht. Ein guter, deutscher Fausthieb setzt einen bei jedem feigen Bravo in Respekt. Wagen Sie es, mir irgend welche Unbequemlichkeit oder gar Gefahr zu bereiten, so wende ich mich nicht etwa an die hiesige Polizei, weil mir das zu umständlich sein würde, sondern ich komme direkt zu Ihnen und ohrfeige Sie wie einen Buben, welcher die Tortilla hat verbrennen lassen. Merken Sie sich das! Und nun gute Nacht, hoffentlich für immer!«

Er zog mir eine wütende Grimasse, sagte aber nichts. Ich ließ mir von dem Diener den Gartenausgang öffnen. Bis das geschah, sagte der Mensch nichts. Dann aber, als die Thüre offen stand, machte er mir eine tiefe, natürlich höhnische Verbeugung und fragte:

»Wollen Sie gefälligst hier hinausgehen? Sie haben doch nichts eingesteckt? In diesem Falle – —«

Was er in diesem Falle thun wolle, erfuhr ich nicht, denn er erhielt eine so gewaltige Ohrfeige, daß er um fünf oder sechs Schritte fortgeschleudert wurde und dort seine Gestalt, so lang und hager sie war, auf die Erde ausstreckte. Ich vermute, daß er seine in solcher Weise beantwortete Frage nicht so bald wieder an einen Deutschen gerichtet hat. Natürlich fiel es mir nicht ein, mich darum zu bekümmern, wie lange er liegen bleiben werde. Ich zog die Gitterthüre hinter mir zu und ging fort, in der Richtung, aus welcher ich gekommen war, Dabei hielt ich mich abermals auf der Mitte der Straße, denn es war nicht unmöglich, daß der Bravo sich noch in dieser Gegend aufhielt, um einen zweiten Versuch gegen mich zu unternehmen.

Ich war noch gar nicht weit gekommen, so hörte ich vor mir eilige Schritte, welche sich mir zu nähern schienen. Es mußten zwei Menschen sein, welche da liefen, und zwar auf der rechten Seite. Ich ging darum auf die linke hinüber, wo der Mondschein nicht durch die Wipfel der Bäume drang und es also Schatten gab. Allerdings mußte man, da ich auf der hellen Straße gegangen war, mich schon von weitem gesehen haben.

Jetzt sah ich die erste Person, ein Frauenzimmer, welches so schnell wie möglich lief. Und nun erblickte ich eine männliche Person, welche der ersteren nacheilte, sie jetzt erreichte und die beiden Arme um sie schlang.

»Hilfe, Hilfe!« rief die Ueberfallene, allerdings mit nicht allzu lauter Stimme. Vielleicht benahm der Schreck ihr das Vermögen, lauter zu rufen.

»Einen Kuß, einen Kuß will ich haben!« hörte ich die Stimme des Menschen. Die beiden rangen miteinander. Ich eilte selbstverständlich zu ihnen hin. Die Bedrängte sah mich kommen.

»Herr, Herr, beschützen Sie mich!« rief sie mir entgegen.

Der Mensch ließ sie augenblicklich los und entfloh in der Richtung nach der Stadt zu. Die also Gerettete ging sehr einfach nach französischer Mode gekleidet und trug anstatt des Hutes einen spanischen Schleier, welcher jetzt verschoben war, auf dem Kopfe. Sie stand gegen den Mond gerichtet, und ich sah ein ganz allerliebstes, junges Mädchengesicht. In der einen Hand hielt sie ein Fläschchen, wie es schien.

»O Sennor,« sagte sie tief aufatmend, »welch ein Glück, daß Sie sich in der Nähe befanden! Ich kann vor Schreck nicht mehr stehen.«

Sie wankte wirklich, und ich unterstützte sie dadurch, daß ich ihren Arm in den meinigen zog.

»Nehmen Sie meine weitere Hilfe an, Sennorita! Es soll Ihnen nichts ferner geschehen.«

Sie hing sich schwer an mich, als ob sie wirklich nicht ohne Unterstützung stehen könne, und seufzte:

»Welch ein Mensch! Er hat mich auf einer großen Strecke verfolgt, und dann konnte ich nicht mehr fliehen.«

»Kannten Sie ihn? Wer war er?«

»Ich sah ihn noch nie.«

»Es scheint für junge Damen gefährlich zu sein, zu dieser Stunde auf der Straße zu gehen. Wußten Sie das nicht?«

»Ich wußte es, aber dennoch mußte ich zur Apotheke, um die Medicina für meine Großmutter zu holen.«

»Und wo wohnen Sie?«

»Gar nicht allzuweit von hier. Aber dennoch fürchte ich mich außerordentlich. Wie leicht kann dieser Mensch wiederkommen!«

»Wenn Sie mir die Erlaubnis erteilen, werde ich Sie zu Ihrer Wohnung begleiten.«

»Wie gütig Sie sind! Ich nehme Ihr Anerbieten so gern an. Darf ich mich weiter auf Ihren Arm stützen?«

»Thun Sie es immerhin!«

Sie sah mir so ehrlich und unbefangen in das Gesicht, und dennoch war es mir, als ob ich der Sache nicht trauen dürfe. Wir waren bis jetzt stehen geblieben, gingen nun aber fort, meiner eigentlichen Richtung wieder entgegengesetzt. Sie blickte so vertrauensvoll zu mir auf und erzählte mir dabei, daß ihre Eltern gestorben seien und sie nun nur noch das gute Großmütterchen habe, welches gar nicht aus dem Lande stamme, sondern aus Deutschland herübergekommen sei.

Es fiel mir auf, daß sie das Wort Deutschland ganz besonders betonte und mich dabei erwartungsvoll anblickte. Ich sagte aber nichts und ließ sie erzählen.

So kamen wir an Tupidos Quinta vorüber, und weiter ging es, bis die Straße eine breite Lücke zeigte, wo es kein Haus und keinen Garten gab. Wir befanden uns auf einer Blöße, die nur mit einigen hohen, stattlichen Ombu-Bäumen bestanden war.

»Dort drüben liegt unser kleines Häuschen,« sagte das Mädchen, über die Lichtung hinüberdeutend.

Ich sah eine im Mondenschein weiß glänzende Hütte, welche vielleicht fünfhundert Schritte entfernt war.

»Darf ich noch weiter mit bis dorthin?« fragte ich. »Oder fühlen Sie sich nun sicher?«

»Sicher werde ich mich erst dann fühlen, wenn ich daheim bin.«

»So kommen Sie!«

Wir bogen in die Blöße ein. Doch blieb ich schon nach wenigen Schritten stehen, denn aus dem dunklen Schatten der Ombu-Bäume lösten sich fünf oder sechs Gestalten, deren eine auf uns zukam, während die andern stehen blieben.

»Halt! Keinen Schritt weiter!« gebot ich. »Was treibt ihr hier?«

Auch das Mädchen war erschrocken. Es schmiegte sich fester an mich.

»Was wir hier treiben?« antwortete eine Stimme, welche mir bekannt vorkam. »Wir warten auf Sie, Sennor.«

Ich nahm das Mädchen in den linken Arm, um den rechten zur Verteidigung frei zu bekommen. Ich fühlte, daß mein Schützling zitterte.

»Ich bin – — kennen Sie mich denn wirklich nicht – Mauricio Monteso!«

Er war es wirklich, der Yerbatero; das sah ich, als er jetzt näher trat.

»Sie sind es?« fragte ich verwundert. »Das ist eine Ueberraschung! Aber ich wiederhole doch meine Frage: Was treiben Sie hier?«

»Das werden Sie sofort erfahren. Wenn Sie Vertrauen zu uns haben, so treten Sie da unter den Baum, wo man uns nicht sehen kann!«

»Warum?«

»Sie werden es dann erfahren. Jetzt giebt es keine Zeit zur Erklärung, denn er wird gleich kommen.«

»Wer?«

»Derjenige, der die Sennorita angefallen hat, nämlich ihr eigener Vater.«

»Ihr Va- – — das ist doch nicht möglich!«

»O doch. Bitte, schweigen Sie jetzt, und halten Sie das Mädchen fest, damit sie nicht entfliehen und uns verraten kann!«

Er trat nahe an das Mädchen heran, hielt ihr sein Messer vor das Gesicht und drohte:

»Sennorita, wenn Sie jetzt einen einzigen Schritt thun oder ein einziges Wort sagen, so stoße ich Ihnen diese Klinge in Ihr liebes, kleines, falsches Herzchen. Verlassen Sie sich darauf, daß ich nicht scherze!«

Das Mädchen zuckte zusammen und drängte sich noch fester an mich als vorher. Ich ergriff ihr Handgelenk, daß sie nicht fortkonnte. Auch die andern Männer waren wieder in den Schatten zurückgetreten. Jetzt nahten schnelle Schritte aus der Gegend, aus welcher ich mit dem Mädchen gekommen war. Ein Mann erschien und blieb für eine Sekunde an der Mauerecke des letzten Gartens stehen. Ich erkannte sogleich den Menschen, welcher das Mädchen angefallen hatte.

»Kein Wort!« flüsterte der Yerbatero meiner Begleiterin zu.

Ich sah, daß er ihr das Messer auf die Brust setzte. Sie zitterte am ganzen Leibe und hütete sich, einen Laut von sich zu geben. Der Mann an der Mauerecke legte die Hand über die Augen und sah nach der Hütte hinüber, in welcher das kranke Großmütterchen wohnen sollte. Wir hörten, daß er einige Worte brummte, dann setzte er sich in schnelle Bewegung nach der Hütte zu. Er mußte dabei an den Bäumen vorüber. Kaum hatte er diese erreicht, so warfen sich die Männer auf ihn und rissen ihn zu Boden. Er wollte schreien; aber der Yerbatero kniete ihm auf die Brust und drohte:

»Schweig‘, sonst ersteche ich dich, Halunke! Deine Komödie gelingt dir dieses Mal nicht. Bindet ihm den Lasso um den Leib und die Arme, und schafft ihn nach der Hütte! Ihr wißt schon, wie.«

Der Mann mußte sich aufrichten, man schnürte ihm den Lasso um und schaffte ihn fort. Nun befand sich nur noch der Yerbatero bei uns beiden.

»Sennorita, haben Sie den Mann gekannt, welcher soeben mit meinen Kameraden verschwunden ist?« fragte er sie.

»Ja,« hauchte das erschrockene Mädchen. »Es war mein Vater.«

»Es war auch derselbe, der Sie scheinbar überfiel, um Sie zu küssen?«

Sie schwieg.

»Antworten Sie, sonst fühlen Sie mein Messer! War er es?«

»Ja.«

»Auf wen war denn die Komödie abgesehen?«

Sie senkte den Kopf und sagte nichts.

Ich will Sie darauf aufmerksam machen, Sennorita, daß ich alles weiß und daß ich Sie nur frage, damit dieser fremde Sennor alles aus Ihrem Munde erfahren möge. Antworten Sie freiwillig und der Wahrheit gemäß, so wird Ihnen nichts geschehen. Verweigern Sie aber die Antwort, so werden Sie mein Messer schmecken!«

»Warum sind Sie so streng mit mir, Sennor?« fragte sie jetzt. »Warum drohen Sie mir mit dem Messer und wohl gar mit dem Tode? Was ich gethan habe, ist doch nicht so sehr schlimm!«

»Es ist sehr schlimm, schlimmer als Sie denken und wissen. Ich aber weiß mehr als Sie. Wer wohnt da drüben in der Hütte?«

 

»Ich, der Vater und die Großmutter.«

»Womit ernährt sich Ihr Vater? Er lebt vom Spiele. Nicht?«

»Ich kann es nicht leugnen.«

»Und eure Hütte ist der Ort, zu dem man die Vögel schleppt, die man rupfen will. Sie aber sind das Lockvögelchen, welches die Beute in das Netz bringt. Habe ich recht?«

Erst nach einer Weile stieß sie hervor:

»Muß ich nicht dem Vater gehorchen?«

»Leider! Darum bin ich auch nachsichtig mit Ihnen, aber nur so lange, als Sie aufrichtig antworten. Heute sollten Sie den Sennor nach der Hütte bringen, nicht wahr?«

»Ja.«

»Sie mußten sich in einiger Entfernung von der Quinta des Sennor Tupido aufstellen. Ihr Vater stand bei Ihnen. Es war verabredet worden, daß er Sie überfallen wolle, sobald der Alemano komme. Dieser letztere solle Sie befreien und nach Hause begleiten? Um den Fremden ganz sicher anzulocken, sollten Sie sagen, daß Ihre Großmutter eine Deutsche sei?«

»Ja.«

»Jedenfalls haben Sie das auch gethan. Aber, wissen Sie denn, was geschehen sollte, wenn Sie diesen Sennor nach der Hütte gebracht hatten?«

»Man wollte ein Spielchen machen.«

»So sagte man Ihnen; aber man hatte etwas ganz anderes vor. Man wollte ihn ermorden.«

»Santa madonna de la cruz! Das ist nicht wahr!«

Die Entrüstung, mit welcher sie dies sagte, war eine ungeheuchelte; das hörte ich ihrem Tone an.

»Es ist sehr wahr. Man hätte Sie und die Großmutter schlafen geschickt und den Sennor getötet.«

»Mein Vater spielt gern, wie jedermann hier; aber ein Mörder ist er nicht!«

»Armes Mädchen! Das ist eine Täuschung. Ihr Vater verkehrt mit den berüchtigtsten Bravos. Doch will ich gegen Sie lieber davon schweigen. Sie, Sennor, werden neugierig sein, zu erfahren, wie ich hierher und hinter diese Geheimnisse gekommen bin. Ich werde es Ihnen nachher erzählen. Jetzt aber können Sie sich Ihre Mörder einmal ansehen, ohne daß es für Sie eine Gefahr dabei giebt. Warten Sie, nachdem ich mich jetzt entfernt habe, noch ungefähr fünf Minuten. Dann gehen Sie langsam mit der Sennorita auf die Hütte zu. Das übrige werde ich besorgen.«

»Warum gehen Sie nicht mit uns?«

»Weil der Mond so hell scheint, und weil man Sie mit der Sennorita erwartet. Man blickt Ihnen ganz gewiß aus dem Fenster entgegen. Darum müssen Sie beide allein kommen, damit kein Verdacht erregt werde. Ich hingegen folge meinen Kameraden, welche auf einem Umwege voran sind, um von hinten an das Häuschen zu kommen.«

»Was sind diese Ihre Kameraden?«

»Brave Yerbateros, wie ich, die sich selbst vor dem Teufel nicht fürchten. Sie werden sie wohl noch kennen lernen. Also ich gehe, und nach fünf Minuten gehen dann Sie!«

Er wandte sich nach der Straße, in deren Seitenschatten er verschwand. Das Mädchen war von mir zurückgetreten, aber ich hielt sie noch immer am Handgelenk fest.

Fast konnte ich es nicht glauben, daß dieses Kind mit den unschuldsvollen Gesichtszügen die Zubringerin einer Spielerbande sei. Das Mädchen hatte wohl gar keine Ahnung von der Verwerflichkeit dessen, was sie gethan und bis heute abend getrieben hatte. Daß man mir nach dem Leben trachtete, wußte sie nicht. Davon war ich überzeugt, Ich war überhaupt geneigt, sie von jeder Schuld frei zu sprechen. Das Mädchen wartete, bis von dem Yerbatero nichts mehr zu sehen und zu hören war; dann fragte sie mich:

»Sennor, glauben auch Sie es, daß mein Vater Ihnen nach dem Leben trachte?«

»Auf diese Frage kann ich keine bestimmte Antwort geben, mein Kind. Ihren Vater kenne ich nicht; von dem Mann aber, welcher mir diese Mitteilung machte, glaube ich annehmen zu dürfen, daß er mir keine Unwahrheit sagt. Ich denke, daß er seine guten Gründe haben wird, einen solchen Verdacht auszusprechen. Wie dem aber auch sei, so bin ich vollständig überzeugt, daß Sie mit diesem ruchlosen Plane nichts zu thun haben.«

»Nein, gewiß nicht, ich nicht und auch die Großmutter nicht.«

»Sie lieben wohl Ihre Großmutter sehr?«

»Sehr, Sennor, viel mehr als den Vater.«

»Und doch gebrauchten Sie dieselbe als Lockung, mich nach der Hütte zu bringen!«

»Das war mir so gesagt worden, und ich mußte gehorchen, sonst wäre es mir nicht gut ergangen.«

»Aber Sie haben Ihren Auftrag in so ausgezeichneter Weise ausgeführt, daß ich annehmen muß, Sie seien in solchen Sachen außerordentlich erfahren. Sie besitzen ein bedeutendes Verstellungsvermögen.«

»Dios! Das lernt man ja, wenn man es oft machen muß.«

Fast hätte ich über diese Worte lachen müssen und über den Ton, in welchem sie dieselben vorbrachte. Sie war eine heißblütige, leichtlebige Südländerin und nicht gewöhnt, über das, was sie that, viel nachzudenken. Es war vorauszusehen, daß sie zu Grunde gehen werde; aber ich konnte ihr nicht helfen. Darum schwieg ich und trat nach den abgelaufenen fünf Minuten den Weg mit ihr an.

Der Mond beschien sehr hell die ganze Fläche, welche zwischen uns und der Hütte lag. Man mußte uns von dem Fenster derselben aus kommen sehen. Als wir noch nicht die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatten, fragte mich das Mädchen:

»Was meinen Sie, Sennor, werden die Männer, welche uns anhielten, mit meinem Vater schlimm verfahren?«

»Sie haben wohl keine Veranlassung, ihm viel Gutes zu erweisen.«

»So muß ich die Leute in der Hütte warnen.«

Ich war auf einen Fluchtversuch nicht gefaßt und hielt infolgedessen ihre Hand nicht mehr so fest wie vorher. Sie riß sich los und eilte davon. Aber mit einigen Sprüngen hatte ich sie wieder erreicht und ergriff sie beim Arme.

»Halt, Sennorita; so schnell und ohne allen Abschied wollen wir uns doch nicht trennen. Es würde unhöflich sein, den Schutz ohne Dank zu verlassen, in den Sie sich begeben haben.«

Sie stieß einen tiefen, ärgerlichen Seufzer aus, sagte aber von jetzt an kein Wort mehr und folgte mir willig weiter. So kamen wir an die Hütte. Noch ehe wir die Thüre öffnen konnten, wurde dieselbe von innen aufgestoßen, und beim Scheine der drin brennenden Lampe sah ich einen Mann, welcher ein buntes Tuch um den Kopf trug, ungefähr wie die Gauchos sich ähnliche Tücher über den Hut weg um das Kinn binden. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, da er das Licht im Rücken hatte.

»Endlich, endlich!« sagte er. »Deine Großmutter hat mit Schmerzen auf die Medizin gewartet.«

»Du, Vetter, bist da?« fragte sie erstaunt. »Dich konnte man heute und so spät nicht erwarten.«

»Die Sorge um die Kranke trieb mich her. Aber, du bist nicht allein. Seit wann läßt sich mein Mühmchen in so später Stunde in Herrenbegleitung sehen?«

»Seit heute, wo ich von einem wüsten Menschen angefallen wurde. Dieser Sennor befand sich glücklicherweise in der Nähe und hat mich von dem Zudringlichen befreit. Wollen wir ihn bitten, hereinzukommen, um dem Großmütterchen Gelegenheit zu geben, ihm zu danken?«

Das gewandte Mühmchen spielte ihre Rolle ganz so, wie sie ihr aufgetragen worden war, obgleich sie wußte, daß nun der Erfolg ausbleiben werde. Sie wußte wohl nicht, welches andere Benehmen in ihrer Lage besser einzuschlagen sei.

»Ganz natürlich!« antwortete der Vetter. »Bitte, Sennor, treten Sie herein! Sie sind uns auf das herzlichste willkommen.«

Er trat zur Seite, um die Thüröffnung freizugeben; das Licht fiel auf sein Gesicht, und ich erkannte – — den Bravo. Der Kerl verstand es sehr gut, seine Stimme zu verstellen. Daß er anstatt des Hutes ein Tuch um den Kopf trug, gab ihm ein verändertes Aussehen. Hätte ich sein Gesicht nicht am Nachmittage genau betrachten können, so wäre ich jetzt getäuscht worden.

»Danke, Sennor!« antwortete ich zurückhaltend. »Ich will nicht stören. Ich habe die Sennorita bis an ihre Wohnung gebracht, was ich ihr versprochen hatte, und meine Zeit ist mir nicht so reichlich zugemessen, daß ich hier verweilen könnte.«

»Nur auf einen Augenblick, auf einen einzigen Augenblick, Sennor!«

»Nun gut, um das Großmütterchen zu begrüßen. Oder befinden sich noch andere Personen drin?«

»O nein. Nur mein Pate ist noch da mit seinem Sohne, sonst weiter niemand. Sie müssen einen Schluck mit uns trinken, bis der Vater der Sennorita kommt, welcher in einigen Minuten von seinem Ausgange zurückkehren wird. Mein Mühmchen ist ein liebenswürdiges Wesen; Sie müssen sie kennen lernen. Kommen Sie also, kommen Sie, Sennor!«

Er sagte das in so freundlichem und dringendem Tone, daß er jeden andern getäuscht hätte. Ich aber zögerte, seiner Aufforderung zu folgen. Da erklang es hinter mir:

»Gehen Sie getrost hinein, Sennor! Es ist wirklich so, wie Ihnen dieser gute Sobrino (* Vetter.), sagt. Es wird Ihnen außerordentlich gefallen. Ich gehe auch mit hinein. Gehen Sie – gehen Sie!«

Es war der Yerbatero, welcher mich nach der Thüre schob. Der Bravo fragte überrascht:

»Noch einer! Wer sind Sie, Sennor?«

»Ich bin der Begleiter des Vaters, welcher soeben von seinem Ausgange zurückkehrt,« antwortete der Yerbatero. »Nur immer hinein, hinein!«

Er schob mich; ich schob die Sennorita, und diese schob den Bravo zur Seite. So gelangten wir in die Stube, denn die Thüre führte aus dem Freien direkt in dieselbe. Ich hatte das erbeutete Messer bei mir und griff nach demselben. Die Sache kam mir verdächtiger vor, als sie war. Eine Art von Mißtrauen wollte sich auch gegen den Yerbatero in mir regen. Ich kannte ihn eigentlich noch gar nicht. Sein Benehmen ließ immerhin die Möglichkeit offen, daß er ein Mitglied der saubern Bande sei. Aber mein Vertrauen wurde augenblicklich wieder hergestellt, als ich bemerkte, daß noch fünf Yerbateros hinter mir sich hereindrängten. Jeder von ihnen hatte sein Messer in der Hand. Das Haus hatte keine Glasfenster, und die Läden standen offen. Nur aus dem Parterre bestehend, war es durch eine dünne Wand in zwei Hälften geteilt. Die Verbindungsthüre war geschlossen. Auf einem in der Ecke stehenden Stuhle saß eine alte, sehr runzelige Frau, deren Augen mit sichtbarer Sorge auf den vielen Menschen ruhten, welche so unerwartet eingetreten waren. Einige am Boden liegende Strohmatten und ein Schemel, welcher als Tisch benutzt zu werden schien, bildeten das Möblement dieses Raumes.

Der Sobrino machte auch große Augen, als er die Yerbateros bemerkte.

»Wer sind Sie? Was wollen Sie? Wer hat Ihnen erlaubt, hier einzutreten?« fragte er.

»Wir selbst,« antwortete Monteso. »Dieser Sennor hat die Sennorita beschützt, und wir beschützen ihn. So hängt einer am andern, und wir sind mit ihm gekommen. Wo befindet sich denn der liebe Pate mit seinem Sohne?«

»Jedenfalls hier nebenan,« antwortete das Mädchen schnell, auf die Verbindungsthüre zeigend. »Ich werde sie holen.«

»Ja, thun Sie das! Ich möchte die liebenswürdige Gesellschaft vollständig kennen lernen.«

Sie ging in den Nebenraum. Die Yerbateros standen unbeweglich an der Eingangsthüre; die Alte saß starr in ihrem Stuhle und sagte kein Wort; Mauricio Monteso musterte den Bravo mit einem verächtlichen Blicke und fragte ihn:

»Haben wir uns nicht heute bereits getroffen, Sennor? Sie standen doch in der Nähe des Geschäftes des Sennor Tupido?«

»Es ist möglich, daß ich da vorübergegangen bin.«

»Nein, Sie standen wartend da. Und sodann hatten Sie sich um die Ecke der Plaza gegenüber der Confiteria aufgestellt, sind durch mehrere Straßen bis zum Dome gegangen, in welchem Sie gewartet haben, bis das Orgelspiel zu Ende war.«

»Sennor, was gehen Sie meine Spaziergänge an!«

»Sie interessieren mich außerordentlich, wenigstens heute haben sie das gethan. So weiß ich auch, daß Sie dann bis an das Häuschen gegangen sind, in welchem der Organista wohnt. Und eigentümlich, daß überall, wo Sie gingen, gerade dieser Sennor vor Ihnen ging! Und noch viel eigentümlicher, daß da, wo Sie gingen, ich mit diesen meinen Kameraden Ihnen folgte!«

»Ich habe mit Ihnen nichts zu schaffen!«

»Aber wir mit Ihnen. Leider war es uns nicht vergönnt, Ihnen bis zum Hause des Organisten zu folgen; wir wurden gestört. Glücklicherweise aber gelang Ihr Vorhaben nicht, welches Sie dort ausführen wollten. Dieser Sennor bedurfte unsers Beistandes nicht, da er selbst auf seiner Hut war. Er begab sich zu Sennor Tupido, und Sie hatten sich indessen hierher verfügt. Sie sprachen mit dem Bewohner dieses Häuschens und bemerkten nicht, daß ich draußen am Fenster stand und alles hörte.«

Der Bravo erbleichte.

»Was Sie mir da sagen, ist mir vollständig fremd,« wendete er ein. »Ich weiß von alledem kein Wort.«

»Leugnen Sie immerhin! Wir aber sind unserer Sache gewiß.«

»Ich bin erst vor einigen Minuten hier angekommen und vorher heute noch nicht dagewesen. Fragen Sie den Wirt, wenn er jetzt zurückkehrt!«

»Er ist bereits da, und wir haben ihn gefragt. Er liegt draußen neben dem Häuschen, denn er ist mit einem Lasso gebunden, und er hat uns alles eingestanden.«

 

»So ein Dummkopf!«

»O, wenn man Ihnen die Spitze eines guten Messers auf die Brust setzen würde, so glaube ich nicht, daß Sie klüger handeln würden. Und wenn Sie nicht gestehen, werden wir dieses Experiment versuchen.«

»So zeige ich Sie an und lasse Sie bestrafen!«

»Das werden Sie wohlweislich unterlassen, denn Sie wissen gar wohl, daß die Polizei keine allzu gute Freundin von Ihnen ist.«

Da hielt ich ihm sein Messer hin und fragte:

»Jedenfalls ist Ihnen dieses Messer wohl bekannt. Wollen Sie das leugnen?«

Er warf einen kurzen Blick darauf und antwortete:

»Das Messer habe ich noch nie gesehen. Lassen Sie mich mit Ihren Fragen in Ruhe!«

Ich sah jetzt unter dem Kopftuche eine zerschundene Stelle seines Gesichtes.

»Bei welcher Gelegenheit sind Sie hier blessiert worden?« fragte ich ihn, indem ich auf die betreffende Stelle deutete. »Das ist wohl geschehen, als ich Sie an die Mauer des Hauses des Organista warf?«

Jetzt wurde er grob:

»Bekümmern Sie sich doch um Ihr eigenes Gesicht, für welches ich das meinige nicht umtauschen möchte! Sie haben nichts zu fragen, nichts zu sagen und nichts zu befehlen. Packen Sie sich fort, sonst werden Sie hinausgeworfen!«

»Nachdem Sie mich vorher so höflich eingeladen haben!«

»Das that ich, weil ich Sie für einen Caballero hielt. Jetzt sehe ich ein, daß ich mich in Ihnen geirrt habe. Denken Sie nur nicht, daß ich mich vor Ihnen fürchte! Ich stehe nicht allein gegen Sie, sondern ich werde mir Hilfe holen.«

Er öffnete die Nebenthüre und rief hinaus:

»Komm heraus, Pathe! Hier sind Leute, welche Fäuste oder Messer sehen wollen.«

Anstatt des Gerufenen kam die Sennorita herbei. Sie erklärte mit zufrieden lächelndem Gesichte:

»Der Pathe ist gar nicht mehr da. Als ich ihm sagte, welchen Besuch wir haben, ist er mit seinem Sohne durch das Fenster hinausgestiegen, denn er meinte, daß es nicht seine Leidenschaft sei, mit Yerbateros zu verkehren.«

»Welche Feigheit! Durch das Fenster zu steigen und mich hier allein zu lassen! Aber ich fürchte mich dennoch nicht. Macht Platz, Leute! Wer mich anrührt, bekommt das Messer!«

Er zog ein Messer hervor, welches er sich indessen wohl geborgt hatte, und wendete sich nach der Thüre. Ich trat zurück, um ihn vorüber zu lassen. Das war eine Falle, in welche er lief, denn kaum wendete er mir den Rücken zu, so umfaßte ich ihn von hinten und drückte ihm die Arme fest an den Leib. Einer der Yerbateros schlang sich den Lasso von den Hüften und band den Bravo mit demselben. Der Kerl versuchte zwar, sich zu wehren, doch ohne allen Erfolg. Er schrie und schimpfte aus Leibeskräften, bis ihm der Mund mit seinem Kopftuche zugebunden wurde.

Während wir uns mit ihm beschäftigten, sah ich, daß die liebenswürdige Sennorita zur Thüre hinausschlüpfte. Auch die alte Frau erhob sich von ihrem Stuhle und glitt mit einer Schnelligkeit hinaus, welche man ihr gewiß nicht zugetraut hätte. Die andern achteten nicht darauf. Ich hätte die beiden zurückhalten können, that es aber nicht, da es mir keinen Nutzen bringen konnte.

Als der Bravo gebunden war, sagte Monteso:

»Nun haben wir auch diesen fest. Holt jetzt den anderen herein!«

Zwei gingen hinaus, um diesen Befehl auszuführen. Ich freute mich im voraus auf die Gesichter, welche sie bei ihrer Rückkehr machen würden. Nach geraumer Zeit kamen sie wieder. Der eine von ihnen kratzte sich verlegen sein struppiges Haar und meldete:

»Der Halunke ist fort. Wir haben die ganze Umgebung des Hauses durchsucht.«

»Aber wir haben ihn doch ganz sicher neben die Mauer hingelegt, und er hat sich doch nicht von dem Lasso befreien können!«

»So haben andere ihn von demselben befreit,« sagte ich. »Der Pate ist mit seinem Sohne entwichen; die Alte ist mit ihrer Enkelin auch fort. Diese vier Personen genügen wohl, einen Lasso aufzubinden.«

»Alle Teufel! Sie sind fort?« fragte er, nun erst nach den Frauen sich umschauend. »Das habe ich gar nicht bemerkt. Nun ist freilich der Kerl auch fort und mein Lasso mit ihm! Das hat man davon, wenn man nicht aufpaßt! Na, wenigstens haben wir diesen Halunken noch; er ist der Hauptkerl und soll nun auch für die andern zahlen. Was thun wir mit ihm, Sennor?«

Diese Frage war an mich gerichtet. Ich zuckte die Achsel.

»Ich kenne die hiesigen Gesetze nicht und bin auch nicht der Richter, welcher ihm sein Urteil zu sprechen hat.«

»Pah, Richter! Wollten wir diese Sache der Polizei und dem Gerichte übergeben, so hätten wir tausend Scherereien. Wir müßten als Zeugen bis nach beendetem Prozesse hier bleiben und würden indessen von den Freunden dieses Kerls beiseite geschafft. Vielleicht käme die Behörde gar auf den Gedanken, uns alle einzusperren, damit wir uns ja nicht vorzeitig entfernen könnten. Ich kenne das. Nein, die Richter sind wir selbst. Das ist das Kürzeste und Beste. Und nach den Gesetzen oder nach dem Urteile, welches das Gericht fällen würde, frage ich auch nicht. Ich selbst mache das Gesetz. Im Urwalde ebenso wie in der Pampa ist es Sitte, einen Mörder einfach für immer unschädlich zu machen. Man giebt ihm das Messer oder eine Kugel in den Leib. Das werden wir auch hier thun.«

»Nein, Sennor, damit bin ich nicht einverstanden.«

»Aber, warum denn nicht?«

»Weil ich weder der Richter noch der Henker dieses Mannes bin.«

»Aber das sollen Sie auch gar nicht sein, sondern wir wollen es übernehmen.«

»Sie haben mit dieser Angelegenheit gar nichts zu thun; sie ist allein meine Sache, weil ich beleidigt bin.«

»Caramba! Jetzt laufe ich seit Nachmittag hinter dem Halunken her, nehme dazu sogar den Beistand meiner Kameraden in Anspruch; es gelingt mir auch, den Mord zu verhüten, und da soll mich diese Sache jetzt nichts angehen? Hat man schon so etwas gehört! Sie haben mir eine große Wohlthat erwiesen, Sennor; Sie sind also mein Freund; was man meinem Freunde thut, das ist ganz so, als ob es mir selbst gethan wird; wenigstens ist das der Gebrauch unter den Yerbateros. Man hat Sie morden wollen; das gilt gleich einem gegen mich selbst gerichteten Mordversuch, den ich unbedingt bestrafen muß.«

»Wäre ich ermordet worden, so könnten Sie als mein Freund mich rächen; da mir aber nicht das mindeste Leid geschehen ist, so bitte ich Sie, die Sache auf sich beruhen und den Kerl laufen zu lassen!«

»Herr, man merkt, daß Sie ein Deutscher sind. Bekommen in Ihrem Vaterlande die Mörder vielleicht einen Orden oder irgend eine andere Belohnung und Auszeichnung? Bedenken Sie doch: wenn Sie ihm die Freiheit geben, so wird er dieselbe sofort benutzen, den bisher verunglückten Anschlag gegen Sie besser auszuführen!«

»Er mag es versuchen! Ich kenne seine Absichten nun so genau, daß ich sie nicht zur fürchten brauche. Prügelt ihn tüchtig durch, wenn Ihr wollt. Vielleicht macht ihn das willig, uns zu sagen, von wem er seinen Auftrag, mich zu ermorden, erhalten hat.«

»O, das zu erraten, ist kinderleicht; aber er soll es uns dennoch sagen müssen. Wie viele Hiebe soll er erhalten?«

»Ihr schlagt so lange, bis er gesteht, wer ihn gegen mich gedungen hat. Dann aber erhält er keinen einzigen Schlag weiter. Ich mag nicht dabei sein. Ich mag den Menschen überhaupt nicht mehr sehen.«

Ich ging hinaus und schritt suchend einigemal um das Haus. Es war keine Spur von den Bewohnern desselben zu sehen. ich hörte deutlich die Hiebe fallen, welche der Bravo erhielt, doch vernahm ich keinen Schmerzenslaut. Als zehn Minuten vergangen waren, öffnete ich die Thüre und sah hinein, Der Kerl lag auf dem Bauche. Seine Hose war zerschlagen und blutig gefärbt, und doch grinste er mir mit einem höhnischen Lachen in das Gesicht. Er hatte nichts gestanden, überhaupt keinen Ton, keine Silbe hören lassen; er schien die Nerven eines Nilpferdes zu besitzen.

»Sennor, was meinen Sie?« fragte Monteso. »Er gesteht nichts, und wenn wir fortfahren, so schlagen wir ihn tot.«

»Er hat genug. Laßt ihn liegen! Ich kenne ohnedies den Mann, von welchem er seinen Auftrag erhalten hat.«

»Gut, so mag er liegen bleiben. Wir schließen ihn ein, so daß man nicht sogleich zu ihm kann. Besser aber ist es, wir löschen das Licht aus und bleiben hier, um die Bewohner dieses Hauses abzufangen.«