Der Unternehmer-Mythos

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Der Unternehmer-Mythos
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Vom Unternehmer-

Mythos

oder

Eine ökonomische Streit- und Denkschrift
von
Gert Holstein

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„Geschichten aus einem anderen Land“

„Aufschwung-Ost - die neue Arbeitswelt“

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Impressum

Vom Unternehmermythos

Gert Holstein

Copyright: © 2016 Joachim Gerlach published by: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-8806-5

I - Einstieg

Die belehrende Antwort auf meine letzte Zuschrift an die Redaktion der hiesigen Regionalzeitung erfolgte prompt. Purer Neid spräche aus meine Zeilen, so der Antworttext eines empörten Lesers. Bedenken solle man, welch ungeheurer Enthusiasmus dem Unternehmertum zugrunde liegt, welch unerhörte Risiken die Unternehmer auf sich luden, von ihrer enormen Verantwortung für Mensch und Technik ganz zu schweigen. Da sei es doch wohl aller Ehren wert, wenn diese gesegnete Gattung Mensch auch entsprechend für ihre Mühen entlohnt wird und der edlen Früchte zahlreiche erntet. Meine kleine Auslassung bezog sich auf Mark Zuckerberg, ob dessen nobler karitativer Spende in vielfacher Milliardengröße kurz vor dem Heiligabend des Jahres 2015 in allen Medien Lobpreisungen erschallten. Ich warf die Frage auf, wie es denn sein kann, dass ein gerade einmal zehn Jahre im Erwerbsprozess stehender Mensch aus dieser Erwerbsarbeit ein solches Vermögen anhäufen kann, welches ihm erlaubt, Milliarden über Milliarden davon wieder von sich zu werfen.

Doch schauen wir uns die märchenhafte zuckerbergsche Reichtumsmehrung etwas genauer an: Das Durchschnittseinkommen eines Beschäftigten in den USA beträgt pro Jahr rund 50.000 US-Dollar, aus einer zehnjährigen Durchschnittsbeschäftigung erwachsen mithin eine halbe Million Dollar. Wer gleich mir die menschliche Arbeit als alleinigen Quell allen irdischen Reichtums anerkennt, sucht mit mir nach den Faktoren, welche das Arbeitseinkommen von in Relation ein paar wenigen gegenüber den allermeisten übrigen Arbeitseinkommen nicht nur verzehn-, oder verzig- sondern sogar verhundertfachen. Wie also entstehen aus der Arbeitstätigkeit des Mark Zuckerberg in zehn Arbeitsjahren mehr als 50 Milliarden US-Dollar?

Extreme Arbeitsleistung nach Zeiteinheiten kann dafür nicht die Ursache sein, denn der Tag hat nur 24 Stunden, das Jahr nur 365 Tage. Besondere Genialität wohl auch nicht. Wäre dies zumindest prinzipiell der Fall, hätten Geistesgrößen wie Einstein, Heisenberg und wie sie alle heißen mögen zumindest Millionäre gewesen sein müssen, was sie aber bekanntlich nicht waren. Und besonders genial war Zuckerbergs Idee von der Schaffung seiner Internet-Kommunikations-Plattform wohl auch nicht, sieht man vom unternehmerischen Instinkt ab, damit Geld zu verdienen. Die technischen Voraussetzungen dafür lagen längst vor, hierfür bedurfte es keiner weiteren schier übermenschlichen Kreativität. Was er tat, war im übertragenen Sinne nichts anderes, als das eigentliche technische Innovat „Benzinmotor“ auf Räder zu montieren.

Ich gestehe, Zuckerberg ist ein schlechtes Beispiel, da ihm weltweit Millionen seiner Jünger mit ihrer Darstellungs- und Mitteilungssucht das Geld geradezu schaufelweise in den Rachen werfen. Darin gleicht er Supermodels, Spitzenprofisportlern und Unterhaltungskünstlern der Extra-Klasse. Und trotzdem: Ohne die weltweit etwa 10.000 Beschäftigten seines Unternehmens wäre er mit seiner Idee wohl nicht einmal in der Lage gewesen, pro Jahr den oben benannten us-amerikanischen Durchschnitt zu realisieren.

Nicht anders beim nahezu gottgleich verehrten „Apple“-Begründer Steve Jobs.

Um es an dieser Stelle schon einmal vorwegzunehmen und denen den Wind aus den Segeln zu nehmen, welche da sogleich unterstellen, ich argumentierte hier aus reinem „Sozialneid“: Dem ist nicht so. (Wobei freilich genau an dieser Stelle die durchaus berechtigte Frage aufzuwerfen wäre: Ist der immer wieder - paradoxerweise nicht selten selbst seitens derer, welche eigentlich eher den unterprivilegierten Schichten zuzuordnen sind - zur Zurückwerfung kritischer Argumente ins Feld geführte „Sozialneid“ nicht möglicherweise nur die besondere Form eines sozialen und vor allem ökonomischen Gerechtigkeitssinns?) Ich jedenfalls gehörte nie zu denen, welche sich dazu berufen fühlten, elitär an irgendeiner der Spitzen im sozialen Hierarchiesystem zu stehen. Auch vermied ich es stets, soweit ich dies vermochte jedenfalls, Arbeitsaufgaben der günstigeren Besoldung wegen anzunehmen so diese Aufgaben nicht mit meinen Interessen übereinstimmten. Dies in nicht geringem Maße zum Leidwesen meiner Gattin. Was mich hier zum Schreiben treibt, ist nicht Neid sondern allein das Motiv, den Schleier um den Kult des Unternehmertums, soweit dies in meinen Möglichkeiten steht, zu lüften und dazu beizutragen, den „Unternehmer“ als geheiligten Mythos von dem Thron zu stürzen, auf welchen er nicht hingehört. Nicht so jedenfalls. Es ist mir völlig egal, ob irgendein Zuckerberg oder Jobs oder Mr. Someone-Else sich die Taschen vollstopfen, auch wenn ihre dann prall gefüllten Taschen nur marginal mit ihren tatsächlich erbrachten persönlichen Arbeitsleistungen übereinstimmen sollten. Was mich jedoch wirklich erbost, ist der Umstand, dass nicht wenige der Wirtschaftseliten, egal ob selbst Unternehmer oder „nur“ solche ihrer hochdotierten Handlanger, sich in maßloser Arroganz einbilden, etwas Besonderes zu sein, zu denen zu gehören, welche mit natürlicher Vorausbestimmung gewissermaßen dazu berufen sind, und diejenigen, die - aus welchem Grunde auch immer - nicht zu ihrem hehren Kreis gehören, so zu rupfen, dass es seine Art hat. Ein erlebtes Beispiel soll diese meine Aversion unterstreichen, dies ironischerweise aus tiefster DDR-Vergangenheit.

In Zeiten von Mangelwirtschaft, was ökonomisch nichts anderes heißt, als dass das Verhältnis von Warenangebot und Geldmenge zuungunsten des Warenangebotes in Schieflage geraden ist, bauen sich im allgemeinen schnell kriminelle Strukturen auf, welche aus der Situation ihren Nutzen ziehen. So geschehen auch im Bezirk Karl-Marx-Stadt Mitte der 1970er. Ein gigantischer Schiebering hatte sich gebildet, angeführt vom Trainer einer in der Mittelklasse spielenden Fußballmannschaft. Es wurde mit allem geschoben, was den Bedarf nicht abdeckte: Lizenzschallplatten, Damenstrümpfe, Badkeramik und –armaturen, Personenkraftwagen. Am lukrativsten liefen die Schiebegeschäfte mit Wohnraum. Einen Wohnungsmarkt im eigentlichen Sinne gab es nicht, sieht man von den Tauschbörsen ab. Die Vergabe von Wohnraum erfolgte neben den staatlichen Agenturen in großem Umfang über die volkseigenen Betriebe. Bedarfslisten bestimmten den Zuweisungstermin. Wer eher Bedarf anmeldete, stand auf der Liste weiter vorn. Die auf der Liste hinten Stehenden warten drei, vier oder gar sechs Jahre. Woraus geschlussfolgert werden kann: die vorderen Listenplätze waren begehrt. Für Geld kriegt man bekanntlich alles, so auch im Sozialismus, es ist ausschließlich eine Frage der Höhe des Betrages. Mit einem Betrag von 3.000 Mark konnte man sich „schwarz“ einen der begehrten vorderen Wohnungsvergabe-Listenplätze „erkaufen“, was die Zuweisung der Wunschwohnung innerhalb eines halben Jahres vorantrieb. Die im Schiebering Schiebenden verdienten sich so allesamt goldenen Nasen bis der Ring mit Karacho aufflog und die Rädelsführer vor Gericht standen. Der Urteilsverkündung wurde aus ideologischen und erzieherischen Gründen in der Bezirkspresse der SED großer Raum zugemessen: eine ganze Seite. Maßgeblich für mich waren damals und sind noch heute die Ausführungen des Hauptbeschuldigten. Ob seines Motivs befragt, äußerte er ohne den Anflug der geringsten Zurückhaltung, dass die Menschen insgesamt gleich dem Prinzip der Fußball-Liga in zwei Hauptgruppen einzuteilen seien, die Gruppe der Cleveren und die der weniger Cleveren. Funktion der erstgenannten Gruppe sei es, die zweitgenannte gehörig zu schröpfen, Tor für Tor, Punkt für Punkt, Mark für Mark. Eine ähnliche Lebensphilosophie entnahm ich vor wenigen Jahren einem Spiegel-Artikel, worin die Berufserlebnisse einer Uni-Absolventin in einer der großen deutschen Wirtschaftsberatungs-Agenturen abgehandelt wurden. Gleich am ersten Tag sei sie dort mit der Firmenphilosophie vertraut gemacht worden, die da im Kern lautete: Wir sind die Elite, die Auserwählten. Die persönlichen Befindlichkeiten derer, über die wir mit unseren Schlussfolgerungen ein wie auch immer unerträgliches Urteil zu fällen haben, sind irrelevant. Unsere Themen sind ausschließlich Effizienz und Gewinn unserer Auftraggeber. Elitäres Maschinendenken.

Derartige Denkweisen mögen im ersten Moment als eine Ausnahmeerscheinung empfunden werden. Kratzt man aber den Lack von all den eloquenten Umschreibungen des Unternehmertums hinsichtlich Motivation und Bestimmung ab, gelangt man unweigerlich punktgenau wieder genau dorthin. Selbstgefälligkeit, Machtanspruch, Profitgier. So entnahm ich erst vor Tagen einer in Managerkreisen vorgenommenen Analyse, dass die befragten hochkarätigen Wirtschaftsfunktionäre ohne Ausnahme dem Umstand, eine wichtige Position einzunehmen und mit Hilfe dieser nicht nur ein enormes Gehalt sondern darüber hinaus auch gigantische Boni zu beziehen, das Wichtigste Ziel in ihrem Leben sei. So wichtig, dass sie selbst um des Preis eines möglichen nachfolgenden jähen und tiefen Absturzes eben diese Position anstrebten. Koste es was es wolle. Wir haben kein Problem damit zu sehen, dass Menschen mit den oben genannten Eigenschaften selbstredend alles daran setzen werden, die einmal erreichte Position mit Klauen und Zähnen zu verteidigen und, wenn es nur irgendwie geht, auszubauen.

Zurück zu Steve Jobs. Worin bestand bei sachlichem Lichte besehen seine Leistung, auf welcher am Ende sein gigantisches persönliches Vermögen beruht? Dass er in seiner Garage mit Gleichgesinnten aufopferungsvoll, fleißig und mit aller Hingabe werkelte, ist unbestritten. Jedoch kreative Genialität? Wohl kaum. Auch er nutzte gleich Zuckerberg nur, was an technischen und technologischen Erkenntnissen nicht nur geistig sondern längst auch schon materiell vorlag: Er passte die ursprünglich für industrielle und militärische Belange erdachten und eingesetzten Rechenmaschinen so an, dass sie vom Umfang und Preisgestaltung her auch für Otto-Normalverbraucher eingesetzt werden konnten, vordergründig angedacht damals für elektronische Spielereien. Das ist genau besehen nicht einmal eine ingenieur-technische Leistung sondern, auch wenn es denn schal klingen mag, eher dem Bereich des Handwerks zuzuordnen. Was sich daraus einst entwickeln würde, konnte Jobs nicht voraussehen. Seine unternehmerische Leistung war im Kern eine kaufmännische. Sie bestand schlussendlich darin, ein im engeren Sinne Werkzeug für den massenhaften Alltagsgebrauch in jedem Haushalt marktfähig zu machen. Die Beantwortung der Frage, inwieweit allein diese Idee schon ein Milliardenvermögen rechtfertigt, gehört zum moralisch-ethischen Bereich, aus rein ökonomischer Sicht lässt sie sich nicht begründen. Dass aber am Ende das Jobs-Vermögen einer solch fulminanten Inflation zugeführt werden konnte, ist wohl doch viel eher der in seinem Unternehmen eingesetzten Arbeitskräfte zu verdanken. Allein gelassen mit seiner Idee hätte er sich mit den Umsätzen, welche er im Kreise seiner Kameraden in der Garage erwerkelte, wohl geradeso über Wasser halten können.

 

„Reicher Mann und armer Mann / Standen da und sah'n sich an. / Und der Arme sagte bleich: / Wär' ich nicht arm, wärst du nicht reich“, schrieb einst Bert Brecht. Worin aber kann sie liegen, die Ursache für die geradezu wundersame Reichtumsmehrung in den Händen eines Unternehmers? Nun, wir sahen es schon: Schlichtweg in der Umverteilung von Wertschöpfungsanteilen, der Reichtum der Wenigen ist eine Funktion der Armut von Vielen. Wie geht das so ohne weiteres? Ohne dass auch nur im leisesten der Verdacht krimineller Aktivitäten ruchbar wird? Ohne dass diejenigen, welchen man die Wertschöpfungsanteile unbezahlt aus der Tasche zupft, dagegen aufbegehren? Antworten versuche ich, in den folgenden Abschnitten zu geben.

Ich stelle voran, dass meine Auslassungen nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Arbeit haben. Auch stellen sie nicht im geringsten den Versuch dar, ein derartig komplexes Thema in seiner Vollständigkeit abzudecken. Diejenigen, welche Quellenangaben und Querverweise suchen, werden enttäuscht sein, ich habe solche mit Bedacht außen vor gelassen. Dies betrifft gleichermaßen detaillierte statistische Quantifizierungen meiner Aussagen. Ich gehe dabei davon aus, dass die Churchill wohl vom Goebbelschen Propagandaministerium in den Mund gelegte These: ‚Ich vertraue nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe‘, wohl ihre prinzipielle Richtigkeit hat. Beide letztgenannten Merkmale akademischer Unterfangen, also Quellennachweise und Quantifizierungen, sind indes ohne besondere Schwierigkeiten, dies selbstredend vor allem dank Steve Jobs Initiative, per Internet recherchierbar.

Ich habe mit dieser Schrift nicht vor, die soziale Schicht der Unternehmer verbal in Grund und Boden zu stampfen. Ich weiß, sie ist notwendig, denn ohne ihre wie auch immer motivierte Umtriebigkeit wäre unsere Welt technisch-technologisch noch weit hinter dem Berg. Aber ich sehe diese Welt auch so, dass unregulierte private unternehmerische Umtriebigkeiten auf Grund ihrer unternehmerischen Kernmotivation nicht nur im nationalen sondern zunehmend im globalen Rahmen zu gigantischen gesellschaftlichen Verwerfungen und Spannungen führen. Spannungen, welche, so ihnen nicht rechtzeitig mit geeigneten Mitteln entgegnet wird, für die Menschheit insgesamt eine Gefährdung darstellen. Denn wie naiv muss man sein zu glauben, dass eine Wirtschaftswelt, so komplex und global wie die unsere, ohne jegliche Regulierung allein mittels des von privaten Interessen getragenen Marktes, der Smithschen „unsichtbaren Hand“, und dies zumal ja erst im Nachhinein, optimal zu verwalten wäre. Oder wie bösartig verlogen, solcherart Irrglauben noch zu verbreiten. Dies alles angesichts dessen, dass einerseits wirtschaftliche Prozesse innerhalb der Unternehmen bis hin zu Großkonzernen sehr wohl konsequenten Planungsritualen unterliegen, und andererseits auch jede Menge an Indizien und Beweisen für das Nichtfunktionieren der kapitalistischen Selbstregulierung vorliegen.

Ich lasse mich in meinen Überlegungen im wesentlichen davon leiten, was ich in sieben Lebensjahrzehnten selbst aus den diversesten Gegebenheiten im Sinne des Themas gesehen, gehört, erkannt und erfahren haben. Dass ich dabei zuweilen auf andere Quellen als die meinen, so dies im Interesse meiner kleinen Streitschrift steht, zurückgreifen werde, ist unterstellt.

II - Der klassische Unternehmer

Den Abschnitt einführend ein Erlebnis, an welchem ich höchstpersönlich teilnahm, und welches in geradezu prägnanter Weise ein bezeichnendes Licht auf den Unternehmer-Kult wirft. Vor etlichen Jahren war ich Zeuge einer Gerichtsverhandlung, in welcher den drei Angeklagten vorgeworfen wurde, versucht zu haben, ein mittelständisches Unternehmen zu erpressen. Das Vergehen fand noch zu D-Mark-Zeiten statt, die Summe des angestrebten Betrages aus der Erpressung belief sich, wenn ich mich dessen noch richtig entsinne, auf 250.000 DM. Hauptangeklagter der drei Übeltäter war ein ehemaliger Angestellter des betroffenen Unternehmens, zum Verhandlungszeitpunkt wohl arbeitslos. Seine Kumpane waren selbstständige Kleinunternehmer, besser: Einzelunternehmer in ausgesprochen prekären finanziellen Verhältnissen, und dies sowohl geschäftlich als auch privat. Während der Hauptangeklagte nach dem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft wieder festen beruflichen Boden unter den Füßen fand, gelang dies den beiden Mitangeklagten nicht. Eine erneute Einstellung im Angestelltenverhältnis kam infolge ihres Alters und wohl auch infolge ihrer eher mittelmäßigen Qualifikation nicht in Betracht, so dass sie sich entschlossen, in der Selbstständigkeit ihr Heil zu suchen. Einer betrieb ein Geschäft, über welches er Büroartikel aller Art vertrieb und Dienstleistungen bei der Installation von Kommunikationsanlagen anbot. Nach einem anfänglichen Boom in den Neubundesländern erlosch das zarte Flämmchen seiner Geschäftsfelder allmählich, alsbald brannte es nicht mal mehr auf Sparflamme und drohte, gänzlich zu versiegen. Weitere Geschäftsideen waren nicht vorrätig. Der zweite der Mitangeklagten versuchte, nicht mehr benötigte, en masse vorhandene NVA-Bestände zu verschrotten, zu verhökern, zu Geld zu machen und dies auch gleich im globalen Rahmen. Doch ewig währten Bedarf und darauf gestützte Nachfrage nach Felddienstuniformen, Schutzmasken und ABC-Umhängen der verblichenen Nationalen Volksarmee nicht. Der Markt dafür, selbst der globale, stellte sich bei aller anfänglichen Euphorie zunehmend als zu eng heraus, um damit wenigstens einigermaßen erklecklich und vor allem nachhaltig einen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Auch in diesem Falle also war guter Rat teuer und neue Finanzierungsquellen von Nöten, zumindest als Überbrückung zeitweiliger, aber doch ausgesprochen arger Liquiditätssorgen. So kam es beiden Delinquenten nur allzu recht, als sie der Hauptangeklagte in den Rachefeldzug gegen seine ehemalige Firma ins Boot holte. Dies war die Ausgangslage der üblen Tat. Doch stellte sich während der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft alsbald heraus, dass der Hauptangeklagte nachdem sein unmäßiger Zorn auf seine Ex-Firma hinreichend verraucht und damit wieder rationelles Denken in seinem Hirn eingezogen war, von dem Plan abließ, und er es den gedungenen Spießgesellen selbst überließ, daran weiterhin festzuhalten, dies dann in eigener Regie freilich. Was sie taten. Der hier geschilderte Sachverhalt wurde so während der Verhandlung bestätigt, auch von den Mitangeklagten. Aber allein der Status eines „Unternehmers“, welcher beiden Mitangeklagten anhaftete, hatte ganz offensichtlich sogar vor dem unabhängigen Gericht einen derartig hohen Stellenwert, dass er geeignet war, Personen, welche mit diesem Status bedacht sind, per se positiver zu bewerten, auch wenn sie wie im eben geschilderten Fall eher nicht zur Creme der Gesellschaft gehören. Denn sowohl die Anwälte der beiden Mittäter, der Staatsanwalt, ja selbst der der Verhandlung vorsitzende Richter hinterfragten mehrfach mit deutlich sichtbarem Einfühlungsvermögen, wie sie, die Mitangeklagten, als Unternehmer denn in diese unangenehme wirtschaftliche Situation gelangen konnten, welcher Art ihre Geschäfte gewesen seien, in welchen Größenordnungen sie von ihren Geschäftspartnern betrogen worden seien und dergleichen mehr. Ganz als ob damit deren Schuld im gegebenen Fall geschmälert werden könnte. Den Hauptangeklagten indes, denjenigen, welcher nachgewiesenerweise beizeiten gegenüber den Mitangeklagten seinen Rückzug vom Vorhaben erklärte und der an der eigentlichen Tat selbst gar nicht mehr beteiligt war, verwies der vorsitzende Richter mit barschen Worten darauf, dass man keine Nachsicht üben dürfe mit denen, die da glaubten nach der Art von Robin Hood den in ihren Augen vermeintlichen Reichen mit Rachefeldzügen das Geld zu stehlen. Solchem Tun gegenüber gelte es, spornstreichs und mit aller gebotener Konsequenz einzuschreiten und einen derben Riegel vorzuschieben. Dementsprechend differenziert fielen die Urteile aus: Zwei Jahre auf Bewährung für den Hauptangeklagten, die Mittäter ein halbes bzw. ein viertel Jahr, Bewährungsauflagen obendrauf: 5.000 Euro Geldspende an einen gemeinnützigen Verein für den Angestellten-Hauptangeklagten, ein paar Stunden gemeinnützige Arbeit für die Unternehmer-Mittäter.

Ich behandelte diese Episode mit Absicht etwas ausführlicher, nicht deshalb, weil mir der damalige Hauptangeklagte in diesem Verfahren persönlich gut bekannt ist, sondern weil aus der prinzipiell unterschiedlichen Behandlung aller Angeklagten, dies zumal vor Gericht, allein wegen des unterschiedlichen sozialen Status: der eine „nur“ Angestellter, die beiden anderen Unternehmer, in welch vertrackter Situation auch immer, deutlich sichtbar wird, welch Stellenwert dem „Unternehmer“ hierzulande beigemessen wird. Was ich in dieser Verhandlung erlebte, deckte sich mit meiner die gesamte bürgerliche Gesellschaft gleich einem roten Faden durchziehenden Erkenntnis, dass dem „Unternehmer“ an sich im allgemeinen Ansehen schon eine gehobene Position innewohnt. Gleichgültig im ersten Anlauf, wo sein menschlicher Wert liegt und mit welcher Kompetenz er in der Lage ist, sein Geschäft zu führen. Der Unternehmer – ein Mensch, welcher vermeintlich den Reichtum der Nation begründet. Der Unternehmer, dessen Motivationen, Eigenschaften und Moralvorstellungen zum Sinnbild und der vorherrschenden Ideologie der gesamten bürgerlichen Gesellschaft und in all deren Bereichen erhoben werden. Der Fetisch des Geldes zum Leitthema aller und zum wirklichen Kernelement der fortwährend gepriesenen „westlichen Werte“ avanciert. Womit ich zum eigentlichen Thema zurückgefunden habe.

Der Unternehmer als der mit Willens- und Schöpferkraft beschriebene Mensch ist der Dreh- und Angelpunkt der gesamten bürgerlichen Nationalökonomie, startend bei ihrem Begründer Adam Smith bis hin zu ihren modernen Versionen. Welche der jeweiligen Variationen man auch in sich aufnimmt, im Kern kehren sie allesamt zum „freien Unternehmer“ zurück, er ist die Schlüsselfigur aller die kapitalistische Wirtschaft stützenden Thesen und Theorien, er ist die heilige Kuh kapitalistischen Wirtschaftens. Besonders deutlich wird dies in den Darstellungen, Foren, Beweisführungen etc. des Ludwig-von-Mises-Institutes Deutschland e. V., ein Ableger der sogenannten „Österreichischen Schule“, welches in strikter Konsequenz seiner Theorien schlussendlich jegliche Intervention des Staates in wirtschaftliche Belange ablehnt. Ich werde mich vorzugsweise, so erforderlich, mit den Auslassungen dieses Institutes beschäftigen, da diese mir hinreichend genug erscheinen, die Wertstellung des selbstständigen Unternehmers zu analysieren.

Mir selbst sind jede Menge „freier“ Unternehmer persönlich bekannt. Manche aus der eigenen Verwandtschaft, aus Schul- und Studienzeiten, andere aus Wohnnachbarschaften, wieder andere aus der Zeit, da ich selbst zu dieser honorigen sozialen Schicht gehörte, wenn auch nur kurzzeitig. Insgesamt müssen es ein paar über zwanzig sein. Sie sind in den verschiedensten Branchen zu Hause: Juristen, Unternehmensberater, Bauunternehmer, Versicherungs- und Finanzdienstleistungs-Agenten, Werbefachleute, Gefahrgutsachverständige, Ex- und Import-Kaufleute, Kartonagenfabrikanten und dergleichen mehr. Die meisten von ihnen sind Einzelkämpfer, nur wenige darunter, welche mehr als fünf Leute dauerhaft in ihrer Firma angestellt haben. Nahezu alle aus dem Osten Deutschlands, ein paar wenige aus dem Westen, und über einen der Letztgenannten wird noch zu reden sein. Bis auf zwei Frauen, beide Juristen, allesamt männlichen Geschlechts. Auch eines meiner Kinder ist als Anwalt als selbstständiger Unternehmer tätig. Was ich damit sagen will ist: Ich weiß, worüber ich schreibe. Ich kenne sie, die Unternehmer, aus vielerlei gemeinsamer Verbindungen und damit ihre Vorzüge und Schwächen. Ich kenne ihre Motivation. Der Drang, zur Mehrung des allgemeinen Volkswohlstandes beizutragen, gehört eher nicht dazu.

 
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