Der Konvent

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Brandenburg

So nahe bei Berlin, so ehemalig preußisch – und so anders. Im Gasthof ist der Anblick von drei Bauingenieuren und einem Punker mit offenen Lederjacken anscheinend mehr als man ertragen kann. Auch mich beäugt die Wirtin argwöhnisch, aber irgendwie scheint sie sich zu erinnern, dass ich hier mal zusammen mit einem wichtigen Herren gespeist hatte. Die paar Gäste glotzen. Einer probiert Punk blöde von der Seite anzuquatschen.

Die Wirtin ist sichtlich erleichtert, als wir um das Hinterzimmer bitten: wir wollen erst etwas trinken und dabei weiterarbeiten und dann essen, wobei wir noch einen Gast erwarten. Sie bringt Getränke und schaut ab und zu nach, ob wir nichts kaputt machen oder stehlen.

Dann kommt der Inhaber. Er wolle nur guten Abend wünschen und fragen ob alles in Ordnung sei. Auch er glotzt, aber irgendwie anders als seine Frau. Vor allem Sucker hat es ihm angetan. Er traut sich aber nicht, die Tätowierungen zu loben. Jedenfalls macht er keine dummen Bemerkungen. Er habe nicht genau verstanden, ob wir hier zu übernachten gedenken, jedenfalls seien genug Zimmer frei. Na, dann zwei Doppelzimmer. – „Selbstverständlich, die Herren, aber in keinem unserer Doppelzimmer steht ein drittes Bett.“ – „Das macht nichts. Wir kommen schon zurecht.” Man sieht es in ihm arbeiten, aber er wahrt die Form.

Als er mit Bier wiederkommt, bietet er einen Schnaps aufs Haus an. Und dann tastet er sich heran. Seine Frau dächte, dass wir mit der örtlichen Skinheadszene zusammenhingen, die sähen ja auch so komisch aus. Also, das seien ihre Worte gewesen. Er wird rot.

Ich kann ihn beruhigen. Ich erkläre, wo wir herkommen. Drei Bauingenieure, ein Goldschmied und ein, naja, nennen Sie es ruhig Sklaventreiber. Haha, also ein Manager von irgendetwas dort. Ja, genau. Ich lasse durchschimmern, dass wir ganz und gar nichts mit Alt- oder Neonazis zu tun haben. Er ist sichtlich erleichtert und wird dann ganz offen. Hier am S-Bahnhof und draußen in einer alten Fabrik hingen immer diese Skinheads herum. Ja, er selbst wisse, dass lange nicht alle Skinheads Nazis seien, und diese hier seien vielleicht auch gar keine echten Skinheads, er habe darüber mal was im Fernsehen gesehen. Die richtigen sähen ja gar nicht mal schlecht aus, eh, egal. Jedenfalls nennt man die hier Skins. Sie sind kahl oder haben kurze Haare, tragen Hosen mit weißen Flecken und Springerstiefel, grölen, prügeln und haben Hakenkreuze. Furchtbar, wie so was nach soundsovielen Jahren Sozialismus plötzlich aufblühe. Na ja, alles vaterlose Kinder von arbeitenden Müttern, von denen die meisten auch noch söffen. Er kenne ja die Familien. Gottseidank sei sein Sohn nicht so, obwohl der dauernd nachts in Berlin rumhinge. Der solle erstmal mal für einen Stammhalter sorgen. Der Gasthof sei seit soundsoviel Generationen im Familienbesitz. Und lernen wollen diese Skins meistens auch nix, und wenn sie schon mal ne Stelle haben, verlieren sie sie, weil sie überall Hakenkreuze draufschmieren. Nur könne man das hier im Dorf nicht besprechen, denn auch manchen Ehrenmännern vom Stammtisch hinter dieser Wand hier sei nicht zu trauen.

Wir fragen, ob er uns vor dem Abendessen noch den Ort zeigen möchte. Ja, gerne, er sei hier abkömmlich, denn sein Sohn könne auch kochen. Flausen im Kopf, aber doch zuverlässig. Wir rufen noch den Bauunternehmer an, der gerne gegen halb zehn mit uns essen will. Ach, ob wir den kennen? Nein, noch nicht. Na, der wäre wenigstens, soweit er wisse, politisch sauber. Keine alten Freunde aus früherer Zeit – welcher Zeit auch immer. Aber wir wüssten ja sicher, dass man bei jedem Bauprojekt auch einen zweites Angebot einholen sollte. Ich lache. Danke für den Hinweis, ich habe verstanden, aber meine drei Ingenieure hier lassen sich nicht über den Tisch ziehen. Wieso er eigentlich denke, dass wir was bauen lassen wollten. Ja, wir kämen doch vom Russenkloster, wie man das hier nenne. Und sowieso aus dem Westen. Na, bei so netten Herren würde er sich keine Sorgen machen.

Das Kaff ist immer noch heruntergekommen. Ein Supermarkt, eine schwächelnde Gärtnerei, ein Eisenwarenladen für Bauern und Handwerker, ein Bäcker der nicht mehr backt. An der anderen Seite des Ortes sollte eigentlich für Berliner gebaut werden, aber bisher will niemand hier wohnen. Und auf unserer Seite, wo es landschaftlich viel schöner sei, wäre ja kein Baugrund mehr zu kaufen. Heute scheinen keine Neonazis da zu sein. Saufen wohl in ihrer Fabriksruine oder stoßen Neger in Berlin aus der S-Bahn. Ja, ohne Spaß, leider. Und ob wir gehört hätten wie schlimm es in paar Dörfer weiter mit dem persischen Apotheker und so weiter. Ja, Brandenburg hat einen tristen Ruf.

Dann speisen wir zum Erstaunen der Wirtin mit dem Bauunternehmer. Der schaut sich meine Ingenieure freundlich lächelnd an. Er spielt mit dem Gedanken, sein Unternehmen aufzulösen und sich zur Ruhe zu setzen. Aber selbstverständlich wird er erst einmal alles für uns tun. Und wir sind heute Abend selbstverständlich seine Gäste. Das Beefsteak ist vortrefflich. Innen so gut wie roh, aber doch warm und zart, außen knusprig.

Bauhaus

Der erste Auftrag an den Bauunternehmer wird erteilt. Wegen der schlechten Auftragslage und wohl auch wegen des Gewichts von Direktor Dr. Dr. Meyer kann sofort begonnen werden. Wir selbst können nicht mitarbeiten, wollen aber so bald wie möglich einziehen, um weiter planen und beaufsichtigen zu können.

Das Dringendste ist der Keller: Fußbodenheizung, Schiefer auf dem Boden und an allen Wänden bis oben hin, in die Mitte ein Sanitärblock aus Edelstahl wie im Gefängnis, also WC ohne Brille und Waschbecken aus einem Stück. Daneben eine Dusche und ein Schlauch mit warmem und kaltem Wasser, im Boden ein Gully. Stahltür, vergitterte Fester. Man soll, wenn man vor dem Haus steht, ruhig hineinschauen können. Als Einrichtung soll eine große, mit Industriegummi bezogene Matratze hinein, sonst nichts. „Ringe für Kettung und Auspeitschungen?” – „Die bringen wir selbst an, wenn wir wissen, wie der Raum funktioniert.” Ein kleiner Nebenraum für Kleider und Stiefel.

Zweitens das Dachgeschoss: Ein großer Raum mit Panoramafenster, Holzboden und Dachstuhl aufgearbeitet. An einer Giebelseite hinter einer Mauer Schiefer auf dem Boden und an den Wänden, Gully, komfortable Dusche, Sanitärblock. Keine Türe. Das muss in zwei, drei Wochen möglich sein, sicher wenn einer unserer Ingenieure dabei bleibt. Und wenn es fertig ist, ziehen wir um.

Dann sofort das Erdgeschoss: Links eine Küche (Edelstahl, Schiefer), ein Esszimmer (Holzfußboden, weiße Wände) und ein Gäste-WC (Sanitärblock, Schiefer). Rechts ein Gästeappartement: großes Zimmer mit eigener Türe Richtung Wald, kleines Schlafzimmer, Luxus-Bad. Ich will jederzeit Ölscheichs, Bankiers und dergleichen standesgemäß unterbringen können. Danach sechs einzelne Zimmer auf dem ersten Stock, davon zwei mit Sanitärblock und Schieferfußboden. Die kann man immer gebrauchen.

Aufsicht

Das Schwein soll den Umbau des Bauhauses allein beaufsichtigen. Es ist traurig, weil es wieder wochenlang von mir getrennt wird, aber „ich fühle ja Ihre Fesseln und den Nasenring, Herr.” Das Sackeisen darf es ohne Schloss behalten. Es hat sich so daran gewöhnt, dass ein Schloss nicht mehr nötig ist.

Es bekommt Taschengeld, das Auto, seine Ingenieursuniform mit Helm, seine Lederjacke gegen die herbstliche Kälte, soll im Gasthof wohnen und täglich telefonisch berichten. Und es bekommt noch eine besondere Aufgabe, über die es erschrickt, weil eine solche Aufgabe neu ist und sich nicht gut einordnen lässt in was es bisher lernen musste. Lehrjahre sind nun einmal zum Lernen da, und wenn alles gleich bleibt, kann man nichts Neues lernen. Es soll den Bauunternehmer verführen. Der soll es täglich oral befriedigen, aber nicht wissen, dass ich das angeordnet habe. Das Schwein wird bestraft für jeden Tag, an dem das nicht gelang. Es wird ganz still, als es diesen Auftrag hört. „Schwein! Das tust du für mich!”– „Ja, Herr.”

Am ersten Abend erfahre ich, dass der junge Koch im Gasthof das Schwein schon unverhohlen angemacht hat. Es ist aber nicht darauf eingegangen. Ich befehle dem Schwein, mit dem Koch abends nach Berlin zu fahren, falls der es dazu einladen sollte. Es soll aber selbst keine Initiative nehmen.

Den Bauunternehmer hat es heute noch nicht getroffen. Es ist ja erst nachmittags angekommen. Der erste Tag dauert noch bis morgen Nachmittag.

Am folgenden Vormittag ist es dann schon gelungen. „Herr, der Mann interessiert mich nicht, aber ich habe die ganze Nacht nachgedacht, wie ich es mache, weil Sie es wollen. Und der Gedanke, dass ich auch so etwas für Sie kann, macht mich stolz.” Es hat die Gelegenheit abgewartet bis es mit dem Unternehmer zusammen außer Sicht seiner Arbeiter war und gesagt: „Entschuldigung, ich muss mal mein Wasser lassen.” – „Herr, wie drückt man so etwas nur aus, gegenüber einem Firmenbesitzer in einem rückständigen Dorf?” – Dann hat es sich Schwanz und Sack aus der Hose geholt und gepisst. Der gute Mann hat natürlich höflich weggeschaut, jedenfalls so getan als ob. Aber Ring und Sackeisen hat er eben doch gesehen, und einige Stunden später, beim folgenden „Wasser lassen” konnte er sich nicht einhalten, zu fragen, ob das denn nicht weh täte, ob es medizinische Gründe hätte, Hodenhochstand oder so, und, eh, ja, also, ob so ein großer Ring vorne drin denn nicht, eh, na ja eben. „Probieren Sie es doch selbst”, hat das Schwein nur gesagt, „der verfängt sich schon nicht am Zäpfchen.” Es sei so glücklich, dass es so mutig und geistreich war. Nicht aus Angst vor Strafe, nein, weil es fühlt, dass sein Herr so stolz auf es sein kann.

Am nächsten Tag ist, wie beim Bauen üblich, einiges schief gegangen. Falsches Material, fehlende Maschinen und so weiter. Bei so etwas ist das Schwein in seinem beruflichen Element. Und als dann nachmittags der Bauunternehmer selbst kam und sich entschuldigte, hat sich das Schwein breitbeinig hingesetzt, ausgeatmet und gesagt: „Nach so einem anstrengenden Tag kann man Entspannung gebrauchen, nicht?” So einfach!

 

Ihm fehle dennoch die Nähe zu mir, und weder ein notgeiler junger Koch noch ein verwirrter Bauunternehmer sei ein Ersatz. Sein Herr lasse sich durch nichts ersetzen. Es brauche die Führung, die Härte, die Konsequenz, kein Techtelmechtel. Es habe sich nun einmal hingegeben und fühle sich in seiner Position stark und sicher. Ja, stark, weil sein Herr mit seiner Konsequenz und Härte es immer stärker mache, und sicher, weil es vom ersten Tage an das uneingeschränkte Vertrauen habe, dass ich auf es aufpasse. „Herr, nur bei Ihnen fühle ich mich geborgen und gefordert.”

Und darum, nur darum, verführt es den armen Mann täglich und bittet mich auch um Instruktionen für den Fall, dass der junge Koch mit ihm nach Berlin wolle.

Jedenfalls ist es gut, dass jemand von uns vor Ort ist. Dauernd ist etwas zu regeln. Vor allem sind die Dorfbauarbeiter überfordert von unserem minimalistischen Konzept. Sie wollen ständig Waschbecken, Gardinenleisten, Kacheln und Türen anbringen, die sie im Plan vermissen. Das Schwein fährt viel hin und her wegen der richtigen Sorte Schiefer, der Sanitärblöcke und so weiter.

Am wohlsten fühle es sich trotz der Kälte in der offenen Lederweste. Die Leute wären das nicht gewohnt, einen halbnackten Oberkörper im Herbst, und es fühle dauernd ein Kribbeln zwischen den Beinen, weil es wisse dass ich es gerne so sehe.

Lederbett

Abgesehen von Büchern besitze ich nicht viele Dinge. Wenn man mit wertvollen Menschen zusammenlebt, verlangt man nicht nach Gegenständen. Also ist der Umzug kein großes Problem. Bücher, Musik, Ledersofas, einige Kisten mit Kleidern und der Inhalt der Küchenschränke. Das meiste ist noch die Werkstatt von Punk. Werner Schwichtenberg hat ihm erlaubt, bis auf Weiteres alles mitzunehmen, was er braucht. Er will keinen anderen Goldschmied mehr in seinem Laden.

Das Schwein hat eigenmächtig eine Entscheidung getroffen und sagt, wir sollen kein Bett mitbringen. Als wir ankommen, steht in dem großen Dachgeschoss ein Lager aus schwarzem Leder, drei mal drei Meter, groß genug für uns alle. Mit lederbezogenen Kopfkissen und einem schweren, lederbezogenen Deckbett. „Herr, bestrafen Sie mich, wenn ich einen Fehler gemacht habe. Aber ich war sicher, dass Sie eigentlich schon immer ein Lederbett haben wollten. Ich habe es eine Woche lang ausprobiert. Im Deckbett sind Militärdecken.“

Sucker hat sich sofort ausgezogen und steigt rein. – „Mann! Das ist schwer. Es kriecht einem sofort zwischen die Beine. Scharf!“ – „Ich war all die Nächte ununterbrochen steif. Aber das bin ich ja sowieso, wenn ich an Sie denke, und das tue ich meistens. Elf Kühe stecken hier drin. Die Nähte stören nicht.“ – Sucker räkelt sich: „Die Leute sagen immer, Leder ist kalt. Hat sich ganz am Anfang auch kühl angefühlt. Aber jetzt ist es schon warm.“– „Herr, es ist es besser als so ein doofes Baumwollbett. Und wenn nicht, trage ich die Konsequenzen.”

Das Schwein hat einen alten Wunsch erfühlt! „Das konntest du nicht von deinem Taschengeld bezahlen.” – „Herr, ein Bauunternehmer, der einen vom Bauherrn abhängigen jungen Mann verführt, wird abgezockt. So funktioniert die Wirtschaft doch, oder nicht?”

An den einen Giebel kommen die Bücher und ein Arbeitstisch. Dann die Sofas, ein paar kleine Tischchen, die Musik. In der anderen Hälfte dieses Bett und hinter der Mauer der Bereich, für den es leider kein schöneres Wort gibt als „Sanitär”. In ein paar Stunden ist alles eingerichtet. Im Panoramafenster vergoldet die untergehende Sonne den Herbstwald.

Wir trinken Sekt und gehen dann alle zusammen ins neue Bett. Punk sagt noch: „Wir müssen uns benehmen, sonst werden wir in den Keller aufs Gummi geschickt.“

Das Leder übertrifft meine Erwartungen. Auch Ratte wird vom textilfreien Schlafen erregt. Bei Sucker kommt der Ingenieur durch: „Solches Leder hält Jahrzehnte. Wir sparen allein schon an Waschpulver ein Vermögen.”

Recht

Einem sehr sauberen schwarzen Auto mit Kölner Kennzeichen entsteigt ein äußerst gepflegter Mann mittleren Alters, klein, eigentlich zu dick, aber nicht unproportioniert, in einem perfekt sitzenden dreiteiligen Anzug. Schwarzer Dreitagebart und sehr kurze, schwarze Haare. Zum Glück stinkt er nicht nach Deo oder Parfüm.

„Dr. jur. Peter Schwarz-Wesseling, von Wallraff und Jansen, Rechtsanwälte Köln-Hamburg. Guten Tag, Herr, eh...” – „Ja, was führt Sie denn her, Herr Dr. Schwarz-Wesseling?” – „Herr Direktor Dr. Dr. Meyer hat mich beauftragt, Ihnen unsere Dienste anzubieten. Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Vertrags-, Erb- und Vollmachtsrecht. Ja, und ich soll sagen, dass wir auch in Klosterangelegenheiten Erfahrung haben. Wenn Sie wünschen, können wir vorurteilsfrei und selbstverständlich hundertprozentig diskret miteinander nachdenken wie wir Ihnen zu Dienst sein können.” – „Na, dann kommen Sie doch mal mit rauf, Herr Dr. Schwarz-Wesseling!” – „Gerne, Herr..., eh...”

Dr. Dr. Meyer weiß jedenfalls was er will und hat seine Verbindungen. Aber er hatte nicht erklärt, worum genau es geht. Ich fange beim einfachsten Teil des Problemkomplexes an: bemittelte Herren, manche vielleicht ohne Erben, die hier in gesicherten Verhältnissen leben wollen, ohne Sorgen um ihre Zukunft. Sollen die hier etwas mieten, sich einkaufen oder gar ihren Besitz in die Stiftung einbringen? Jedenfalls müssen nachteilige Folgen für alle Parteien verhindert werden, und die Macht darf nie in falsche Hände kommen. Dazu sollten unbürokratische, aber juristisch belastbare Hausregeln aufgestellt werden. Der kleine ist ein heller Kopf, und er scheint wirklich Erfahrung mit Einfühlungsvermögen zu verbinden. Er macht sich Notizen, hört aber vor allem gut zu und lässt merken, dass er wirklich versteht, worum es mir geht. Dann wenden wir uns einer zweiten Gruppe zukünftiger Mitbewohner zu: Männer – „Nur Männer, Herr, eh...” – „Ja.” –, die kein Geld einbringen, sondern ihre Arbeit. Die hier zupacken und damit ihren Lebensunterhalt und ein Dach über dem Kopf verdienen, wobei eventuell Rechte für spätere Jahre aufgebaut werden. Und wobei man nicht will, dass langfristige Arbeitsverträge so einfach gelöst werden können ohne empfindliche Folgen.

Da kommt das Schwein außer Atem herein, springt in Haltung, keucht: „Herr, Punk lässt fragen ob sie mal eben kommen kö... Oh!” und schaut mich fragend an. Das Schwein ist nackt in Gummistiefeln, denn es muss Punk beim Saubermachen seiner zukünftigen Werkstatt am anderen Ende der Anlage helfen. Sein Sack ist dank des Gewichtes schon deutlich länger geworden.

„Das ist wahrscheinlich unser zukünftiger Jurist. Frag Punk, ob es Zeit hat. Ab!” – „Ja, Herr.”

Dr. Schwarz-Wesseling hat das Schwein ziemlich unverhohlen angeschaut. Ich meine ein unterdrücktes freches Grinsen zu sehen. Und dann fragt er: „Herr! Sie denken an Mitarbeiter, die idealiter rechtlos sind?” Er hat nicht mehr „Herr, eh...” gesagt, sondern „Herr!”

„Ja, Mitarbeiter die, wenn sie einmal unterschrieben haben, nicht mehr weg können und arbeiten müssen, jedenfalls soweit das hierzulande geht, und die nur das einzige Recht haben, bis zum Lebensende zu fressen zu kriegen und gesundheitlich gut versorgt zu werden.” – Er grinst wieder, wobei seine Hände leicht zittern. „Ich würde das sehr gerne für Sie ausarbeiten, Herr! Solche Männer müssen auch, eh, diszipliniert werden können.”

Das Schwein kommt wieder angerannt: „Herr, es hat Zeit. Punk findet Ihren Besuch wichtiger.”

Der kleine Jurist mustert das Schwein jetzt hemmungslos von oben bis unten. Seine Hände zittern immer noch.

„Wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit vor, Herr Dr. Schwarz-eh, Dormagen, oder?” – „Wesseling, rheinaufwärts, Herr! Direktor Dr. Dr. Meyer meinte, ich solle gleich hier einziehen. Sie würden hier bestimmt ein prima Projekt leiten, aber vielleicht Sachen übersehen, die Sie nicht so interessant finden. Versicherungen und dergleichen. Auch dafür wäre ich dann da.” – Donnerwetter! – „So? Meint er das? Und die Kanzlei kann auf Sie verzichten?”– „Ich, eh, die Kanzlei fordert mich nicht genug, wenn ich das unter vier Augen so sagen darf, Herr.” Es sind sechs Augen, denn das Schwein steht immer noch in Haltung, aber er hat zwei nicht mitgezählt.

„Ich suche einen Herrn, eh, Arbeitgeber, der alles aus mir herausholt.” – „Wann könnten Sie anfangen?” – „Schon in ein paar Tagen, Herr, wenn ich dann von hier aus noch einige letzte laufende Sachen erledigen oder übertragen dürfte.” – „So interessant das wäre – ich kann ihnen dann zwar ein Arbeitszimmer anbieten, aber ansonsten haben wir bisher nur sehr spartanische Schlafplätze hier, keine Wohnungen. Sie müssten sich im Dorf etwas suchen.” – „Herr” – er zittert jetzt am ganzen Körper – „ich brauche nicht mehr als einen Schlafplatz, es darf auch neben Ihrem, eh” – wieder schaut er das Schwein an – „eh, sehr angenehmen Hörigen sein.” Der Schwanz des Schweines richtet sich auf. Der kleine Jurist zittert immer noch. Ich schaue ihn fest an, lege mich dann auf die Ledercouch. „So, du kleine verdorbene Drecksau! Leck mir erst mal die Eier und zeig was du kannst. Schwein! Zieh mir Stiefel und Hose aus!”

Er leckt durchaus nicht unerfahren. Ich lasse es ein paar Viertelstunden geschehen, und er hält durch. Er will sich beweisen! Das Schwein liegt währenddessen in meinen Armen. Dann gehe ich aufs Ganze: „Du kleine perverse Drecksau! Du fährst nach Köln, regelst was zu regeln ist, kündigen und so, und kommst so bald wie möglich für immer her. Maximal ein Koffer, und natürlich alle nötigen Papiere. Du lässt dir genau so einen Anzug machen, aber aus Leder, Hosenbund tiefliegend, Hose bis zum Knie hauteng. Schwein! Zieh mal deine Lederhose an, damit die Sau weiß, was ich meine. Weste und Jacke genauso wie bei diesem Anzug, nur eben Leder. Stiefel, keine Halbschuhe. Weiße Leinenhemden, Lederkrawatte. Den Nasenring bekommst du dann hier.”

Der Kleine zittert jetzt am ganzen Körper. Er springt auf, steht breitbeinig, Hände auf dem Rücken: „Ja, Herr! Danke, Herr!” „Und bring deinen eigenen Vertrag mit, damit wir sehen was du kannst. Ab!”

Ob der wohl wiederkommt? Vielleicht kommt er ja auf der Rückfahrt zur Besinnung. Dann wird er sich schämen.

018-0

Der Computer hatte entschieden, dass ich hin muss. Wenn ein größerer Kunde schriftlich Versicherungen abgeschlossen hat, besuchen wir ihn nach etwa einem halben Jahr hin, um ihn zu überreden, die Policen aufzustocken. In diesem Fall fiel dem Computer auf, dass eine Glasbruchversicherung gänzlich fehlt.

Solche Arbeit liegt mir. Es sind immer dieselben Argumente. Beim Training haben wir geübt, immer im richtigen Moment des Gespräches das richtige Argument vorzubringen. Man muss einen guten, kompetenten Eindruck machen und dem Auftraggeber nach dem Mund reden, damit er einen gern hat und ihm den Auftrag gönnt. Der Hauptgrund, dass ein Geschäft zustande kommt, ist ja, dass der eine dem anderen das Geschäft gönnt. Sonst gönnt er es einem Dritten.

Prima Beruf, krisensicher, günstige, helle Mietwohnung in Eilsleben, mitten im Bezirk, Autofahrten durch schöne Landschaft, keine nervenden Kollegen, keine schwierigen Ermessensentscheidungen.

Jedenfalls dachte ich das noch auf der Hinfahrt.

Bei Ankunft war es dann einer dieser unzähligen halb verfallenen Komplexe, in denen die Russen oder eine geheime DDR-Stelle untergebracht war, und wo sich jetzt Investoren oder alternative WGs unglücklich machen. Hier und da wurde gearbeitet. Man schaut mit professionellem Blick: soundsoviel Dachflächen, meist Pfannen; Bäume, die umfallen können; soundsoviel Quadratmeter Fensterlöcher, da würde wohl nach und nach immer mehr Glas reinkommen, auf die Größenordnung kommt es an; leider kein Risiko von Überschwemmungen; auf den ersten Blick keine gefährlichen Maschinen; aber Gerüste, auf denen Männer herumklettern. Und so weiter. Alles Routine.

Die Sache damals in der Eisenbahn nach Köln hatte ich längst vergessen. Oder verdrängt. Irgendwelche zerrissenen Kerls, die ich ziemlich eklig fand. Ich musste, glaube ich, sogar würgen wegen deren gammeligen Klamotten. Also hatte ich einfach nur vor mich hingeschaut. Bis die mich fertigmachten, weil ich irgendeiner Oma keinen Platz angeboten hatte. Sie hatten sogar meinen schicken Rucksack dreckig gemacht. Widerlich. Und peinlich.

Und jetzt waren die hier Besitzer des ganzen Komplexes! Sahen immer noch krass aus, aber anders. Sie erkannten mich wieder, und ich wurde verspottet, gequält und erniedrigt wie seit der Schule nie mehr. Mein guter Anzug war nach ein paar Minuten schon hin.

 

Ich schämte mich furchtbar. Aber die ganze Zeit kribbelte es zwischen meinen Beiden. Und dann musste ich noch den Schlosskeller besichtigen, und was ich da sah, verstand ich erst gar nicht. Alles wirbelte ein meinem Kopf.

Auf der Rückfahrt habe ich dann lange auf einem Waldweg nachgedacht. Dieses Kribbeln, das kriege ich immer bei Männern mit Macht. War mir aber lange nicht bewusst, dieser Zusammenhang. Vor allem, wenn sie mich erniedrigen oder ungerecht behandeln. Zu Beispiel Polizisten bei Verkehrskontrollen. Macht und Erniedrigung. Das sind auch die Bücher und Videos von Bruno Gmünder, die mich am meisten anmachen, egal wie schlecht die geschrieben sind. Und in solchen Büchern kommen auch Verliese vor, in denen Männer nach strengen Regeln zusammenleben müssen. Wo einer nicht einmal alleine scheißen kann, wo es keine Würde mehr gibt. Keine Würde. Nur geile Männer. Keine Würde. Nur gehorchen. Es kribbelte heftig.

Und bei diesem Kunden sollte so etwas Wirklichkeit werden? Ich nahm mir vor, da noch einmal hin zu fahren, aber diesmal privat, und zu sehen, ob die mich haben wollten. Mal ne richtige Session, wie in den Videos. Vielleicht alle paar Wochenenden.

Und dann passierte furchtbar viel in kurzer Zeit, und bei den Skinheads lernte ich, was ich wirklich bin: der geborene Cocksucker.

Die sahen alle gleich aus, und ich hatte Angst, und die hatten mich herumgestoßen und schrecklich verspottet, und dann rammelten die einer nach dem anderen meine Fresse durch. Ich hatte Angst, musste dauernd würgen, aber ich war noch nie so lange so steif. Es war wie ein Rausch. Vor allem, als ich aufhörte zu denken. Da war die Angst auch weg. Ich war einfach nur da, wertloses, verachtetes Fickobjekt.

Langsam begriff ich, dass die mich zwar verachteten, aber doch auch nützlich fanden. Dass sie es schätzten, wie schnell ich lernte, nicht nur Loch zu sein, sondern mich immer wieder auf jeden einzustellen. Lecken, Saugen, immer wieder neu und immer wieder anders. Ich konnte harte Männer glücklich machen. Die stießen mich immer noch herum und pissten auf mich; aber sie hatten mich gern, das fühlte ich. Und dass ich mit meinen dreckigen, zerrissenen Klamotten tief unter ihnen stand, das fühlte sich genau richtig an. Ich bin ein Cocksucker. Und ich fing an, meine Muskeln zu spüren, denn ich musste zwischendurch Bierkästen und allerhand Kisten schleppen und Liegestütze machen beim Stiefellecken. Ich war ja in der Woche fast jeden Tag da, manchmal über Nacht. Dass sie mich am zweiten Morgen kahl machten, war eine große Ehre.

Was bin ich froh, dass ich keinen Widerstand mehr hatte. Ich habe akzeptiert, was ich bin, und bin stolz darauf.

Da kamen immer neue Skinheads dazu, und man hatte keine Lust, immer wieder zu erklären, was mein Zweck war. Darum schrieben sie mir mit Filzstift FUCK auf die Stirn. Das war das Geilste. Tagelang auf den Knien, Maul offen, Aufschrift gut sichtbar, mich jedem anbieten. Die sagten, dass ich einen notgeilen Blick habe. Kann man Sex-süchtig werden? Richtig süchtig, das ganze Leben nur auf Sex gerichtet? Zwanghaft auf Suche gehen, wenn das Kribbeln aufzuhören droht? Das will ich.

Diese kaufmännische Lehre, diese Scheiß-Versicherung, die spießige Wohnung im spießigen Eilsleben, mein ganzes bisheriges Leben, das war doch alles Scheiße. Sinnlos.

Ja, und dann habe ich mich bei den Besitzern als Knecht für zehn Jahre beworben. Die Skinheads hatten mir erklärt, dass das geht und was es bedeutet. Ich wurde angenommen. Ein paar Unterschriften – klar! Achtzehn. Die Nummer wollte ich auch sofort drauf haben, wie die anderen es auch hatten.

Und beim Tätowieren bekam ich schon wieder Zweifel. Klar, nach zehn Jahren wird es vielleicht Zeit für was Anderes. Vielleicht nach Amerika. Oder mit einem Kerl zusammenleben mitten in der Großstadt. Aber Cocksucker bin ich fürs Leben! Ich will nicht zurück. Ich will jetzt sicher sein, dass der Weg in die Spießigkeit abgeschnitten ist. Also wollte ich, wo ich schon da war, FUCK auf die Stirn.

Aber Sieben, der Tätowierer, weigerte sich. Unethisch. Jedenfalls zu früh. Ich würde es bereuen. Passt auch nicht zu so einem Milchgesicht. Das fand ich besonders gemein. Ich war ganz durcheinander, heulte wohl auch. Und da fühlte ich seinen Finger an meinem Hinterkopf. Kahl war der ja schon.

Er schrieb mit der Fingerspitze die Buchstaben und raunte mir ins Ohr: „Da will ich es wohl hinschreiben. Du kannst es selbst nicht lesen, aber jeder, der hinter dir steht. Und du wirst nie sehen, wie die Leute glotzen und über dich spotten. Aber das Gefühl wirst du nie los.

Darum lässt dir natürlich vor Schiss morgen schon Haare drüber wachsen. Denn du traust dich bestimmt nicht, so rumzulaufen. Wäre ja auch dumm. Darum muss es da hin, nicht auf die Stirn. Du machst dir deine Spießbürgerzukunft erst kaputt, wenn dir die Haare ausfallen. Hast also noch Zeit zum Häusle Bauen, wenn die zehn Jahre hier um sind.“

Er hat es dann wirklich gemacht und gemerkt, dass ich dabei die ganze Zeit steif war. Und dann hat er mir ein Foto von einem Skinhead gezeigt, der eine Kopftätowierung da hatte, wo man einen Iro wachsen lassen kann. Er wäre bereit, mir etwas in der Art zu machen, auch zum Zuwachsen lassen gedacht, damit deutlich wird, auf welche Nutzöffnung sich das FUCK bezieht, wenn ich mal kahl werde. Dann hat er etwas gezeichnet, das deutlich aus Pfeilen bestand und mindestens so geil aussah wie das Muster auf dem Foto. Also Pfeile von dem Wort FUCK hinten hinauf, über den Schädel bis zum Haaransatz. Ich wollte das sofort haben. und während er es machte, wurde ich mir immer sicherer. Jetzt oder nie! Alles oder nichts! Aber für Nichts war es ja schon zu spät. Also hab ich gebettelt und geheult und geschrien, bis er die Pfeile die Stirn runter bis zur Nasenwurzel geführt hat. Die lassen sich nie mehr verbergen. Ein Zeichen auf der Stirn. Auch wenn ich mir die Haare wachsen lasse, will bestimmt jeder wissen, wo die Pfeile anfangen.

Jetzt kann ich nicht mehr zurück.

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