Klaus Mehring - ein zerbrochenes Leben

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Klaus Mehring - ein zerbrochenes Leben
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Helmut Lauschke

Klaus Mehring - ein zerbrochenes Leben

Eine aus vielen Geschichten - Unum exemplum multarum

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Zwei ungewöhnliche Soldaten

Durchsuchung des Pommritzer Hofes nach einem Deserteur

Aufbruch nach Kriegsende und dem Wahnsinn der Zerstörung

Unerwarteter Besuch

Zwischenstationen ohne Matratze

Bekanntschaft mit einem versteckten Philosophen

Klaus Mehring in der Selbstreflexion und Meditation

Klaus Mehring und die Interessen der Partei

Impressum neobooks

Zwei ungewöhnliche Soldaten

Eine aus vielen Geschichten - Unum exemplum multarum

Im Gedenken mit Dank und Hochachtung

Dr. jur. Fritz Bauer ( 1903-1968 ), Generalstaatsanwalt, Frankfurt/M.

Dr. jur. Gerhard Lauschke ( 1931-2001 ), Rechtsanwalt, Frankfurt/M. und Oberursel

und ihr Wirken für Wahrheit, Gerechtigkeit und die Menschheit in Wahrung der Menschenwürde

Alea iacta est Gaius Julius Caesar am 10. Januar 49 v.Chr. beim Überschreiten des Rubikon, Grenzfluss zwischen Gallia cisalpina und dem italischen Kernland

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K.M.: Klaus Mehring A.F.: Anna Friederike (O): Obersturmführer (U): Untersturmführer

Draußen war es dunkel, stockfinster war es gegen halb neun. Das Geräusch eines Motorrades war zu hören, das mal lauter, mal leiser wurde, dann ganz stockte, bis es wieder zu hören war. Das Geräusch wurde schließlich lauter, und das Licht der Lampe war durch das kleine Küchenfenster zu sehen. Das Motorrad kam auf den Hofeingang zugefahren. Eckart Dorfbrunner, der wie die andern bei den Bratkartoffeln war, verließ den Tisch, zog sich eine warme Jacke an, die neben dem Herd aufgehängt war, und ging nach draußen. Der Motor war ausgestellt und das Licht abgedreht. Man hörte draußen, wie zwei Männer zu Eckart sprachen. Doch was sie sprachen, das hörte man in der Küche nicht. Es dauerte lange, bis Eckart mit einem verstörten Gesicht zurückkam. Er berichtete im Stehen, dass zwei Landser mit dem Motorrad gekommen seien, die sich von der Truppe in Nisky abgesetzt hätten und sich nun verstecken müssten. Sie sagten, dass sie auf der Stelle erschossen würden, wenn sie von der Feldgendarmerie aufgegriffen würden. „Was sollen wir tun?“, fragte Eckart und sagte: „Die stehen draußen, es sind zwei junge Männer. Ich habe ihnen gesagt, dass ich erst mit meiner Mutter sprechen muss.“ Es kam zum langen Schweigen. Die Bratkartoffeln auf den Tellern wurden kalt. Dann sagte Wilhelm Theißen, dass es für alle gefährlich sei, Deserteuren Unterschlupf zu gewähren. Die würden von der Truppe mit Sicherheit gesucht. Da würde auch jeder Bauernhof in der näheren Umgebung von der Gendarmerie abgeklappert werden. Marga Dorfbrunner sah mit großen Augen auf den Tisch. Sie konnte sich nicht entscheiden, weder zur einen Seite der Hilfe noch zur andern Seite der Ablehnung. „Was würdest Du tun?“, fragte sie Eckhard Hieronymus. „Wenn es mein Hof wäre“, sagte er, „würde ich den beiden Männern helfen, die doch in großer Not sind.“ Wilhelm Theisen warf ein, dass sie die Gründe nicht wüssten, warum sich diese Männer von der Truppe abgesetzt hätten. „Darüber muss mit ihnen gesprochen werden“, erwiderte Eckhard Hieronymus. Marga Dorfbrunner, die Frau von Haus und Hof, sagte ihrem Sohn Eckart, die beiden Männer mit dem Motorrad in den Hof zu bringen und die Hofeinfahrt zu schließen. Eckart tat, was ihm aufgetragen war. Die beiden Männer in den verdreckten Wehrmachtsuniformen setzten sich auf die Außenbank neben dem Hauseingang. Das Motorrad stellte Eckart im Pferdestall ab. Nachdem in der Küche fertig gegessen war, räumte Anna Friederike die Teller und Bestecks vom Tisch in die Spüle. Frau Dorfbrunner stellte die Kanne mit frisch gebrühtem Pfefferminztee auf den Tisch, dazu die Tassen mit Teelöffeln und die Zuckerdose. Während sie den Tee in die Tassen goss, gab sie dem Sohn auf, die beiden Männer in die Küche zu führen. Sie traten ein. Beide waren jung, und beide hatten ausgezehrte Gesichter. Der Jüngere von ihnen trug einen Kopfverband. Eckart brachte zwei Stühle. Die beiden Männer setzten sich an die freien Tischseiten. Jedem von ihnen schenkte Frau Dorfbrunner eine Tasse Tee ein. „Wo kommt ihr denn so spät noch her?“, fragte Wilhelm Theisen die beiden Soldaten. „Wir mussten die Dunkelheit abwarten“, sagte der Ältere. „Das Motorrad stand auf einem Platz in der Nähe des Bahnhofs in Nisky. Es war nicht abgeschlossen, und der Schlüssel steckte. Ich habe den Kickstarter durchgetreten, und der Motor lief. Da bin ich mit dem Motorrad abgehauen.“ „Und warum bist du abgehauen?“, fragte Eckhard Hieronymus. „Das ist eine lange Geschichte“, sagte der Ältere und fing an, seine Geschichte zu erzählen: „In zwei Wochen ist es ein Jahr her, dass ich mit den anderen Klassenkameraden, wir standen vor dem Abitur, von der Napola Grimma zur SS-Panzerdivision „Großdeutschland“ eingezogen wurde. Nach kurzer Ausbildung im Schießen wurden wir an die Ostfront befördert. Es war in Lublin, wo ich einem Erschießungskommando zugeteilt wurde. Einige hundert Menschen, es waren Männer aller Altersgruppen, hoben etwa einen Kilometer von der Straße nach Warschau entfernt ein Massengrab aus. Weniger als hundert Meter weiter standen Hunderte von alten und jungen Frauen, die jungen mit ihren Kindern. Sie alle sollten erschossen werden, obwohl sie den gelben Stern nicht trugen. Ich fragte den Kommandeur, was das für Menschen sind und warum sie erschossen werden sollen. Der Kommandeur war ein junger, bissiger Sturmführer des SS-Wachbataillons. Er schrie mich an, dass ich nicht zu fragen, sondern seine Befehle auszuführen habe. Die Mütter mit ihren Kindern schauten voller Entsetzen, was die Männer unter scharfer SS-Bewachung hackten und schaufelten. Kinder schrien aus ihrer Not von den Armen ihrer weinenden Mütter. Der Sturmführer befahl uns, die Gewehre zu entsichern und in einer Stunde Aufstellung zur Straßenseite längs des ausgehobenen Grabens zu beziehen. Ich war mir meiner Sache sicher, dass ich auf diese wehrlosen Menschen nicht schießen könne und nicht schießen werde. In dieser Stunde der Vorbereitung zur Massenerschießung ging ich zum Mannschaftswagen zurück, entsicherte mein Gewehr und schoss mir in den rechten Fuß. Der Vorfall wurde dem bissigen Sturmführer gemeldet, der herbeieilte, auf mich einschrie und mich zur Minna machte. Er versicherte mir auf der Stelle ein Disziplinarverfahren. Wutschnaubend ging er zur Grabung mit den wartenden Menschen zurück. Ein Kollege entfernte mir dann den Schuh und die Socke, säuberte die Wunde und legte einen Notverband an. Die Grabung dauerte länger als erwartet. Dann befahl der Sturmführer das Antreten der zu Erschießenden vor dem ausgehobenen Graben und der Mordschützen hundert Meter hinter der stehenden Reihe vor dem Graben. Ich wurde Zeuge dieses fürchterlichen Geschehens. Erst wurden die Männer, dann die alten Frauen und schließlich die jungen Frauen mit ihren Kindern von hinten und von links nach rechts erschossen. Sie fielen tot oder nicht ganz tot in den Graben, der sich mit mehreren Lagen von Erschossenen füllte. Ich hörte das Wimmern der Kinder und das Stöhnen von Erwachsenen, als die Erde von Männern eines mitgeführten Gefangenenzuges über die Lagen geworfen, das Massengrab zugeschaufelt, und der lockere Boden von einem Kettenfahrzeug festgedrückt wurde. Dann stieg die Mannschaft mit ihren Gewehren auf die Wagen, die sie nach Lublin zurückbringen sollte. Ihnen folgten die Fahrzeuge mit den Gefangenen unter schwerer Bewachung.“ Er trank einen Schluck Tee, setzte die Tasse mit zittriger Hand auf den Tisch zurück und führte seine Geschichte fort: „Es war dunkel, und die Wagenkolonne hatte Lublin noch nicht erreicht, als die Kolonne von Partisanen überfallen wurde. Sie waren mit Maschinengewehren ausgerüstet und griffen in einer engen Straßenkurve von einem Hügelabhang aus an. Es kam zum heftigen Schusswechsel, bei dem es Tote in der eigenen Mannschaft gab und drei der acht Fahrzeuge zerstört wurden. Ich nutzte die Gelegenheit und verschwand in einen nahe gelegenen Wald. Dort wartete ich, dass die restlichen Fahrzeuge mit den SS-Leuten nach Lublin weiterfuhren. Die kalte Nacht verbrachte ich im Wald, und der Fuß schmerzte. Ich wusste, dass mir in Lublin die standrechtliche Erschießung wegen Befehlsverweigerung drohte, wie sie an vielen jungen Soldaten ausgeführt wurde, weil sie keine wehrlosen Menschen, insbesondere keine Mütter mit ihren Kindern, erschießen konnten. Ich musste mich von dieser Einheit so schnell wie möglich absetzen. Dabei half mir die Tatsache, dass es bei den Deutschen Tote gegeben hat, und der Sturmführer mich unter den Toten wähnte und mir den Tod auch doppelt gönnte. Nur musste ich die schwarze Uniform über Nacht loswerden. Da auch Soldaten in grauen Uniformen bei der Erschießung waren, hoffte ich unter den erschossenen Deutschen eine noch tragbare Wehrmachtsuniform zu finden. Am frühen Morgen, dichter Nebel zog durch den Wald, fand ich zwei Tote in den gewünschten Uniformen. Ich wechselte im Nebel meine gegen die ihre aus, vom einen die Hose, die Socken und Schuhe und vom andern das Hemd, die Jacke, den Mantel und das Koppel mit einigen Patronen in den Taschen. Auch wechselte ich mein modernes Gewehr gegen ihr älteres aus. Das kleine Aluminiumschildchen mit der Feldpostnummer entfernte ich vom Hals des Gefallenen und hängte es mir um. In die Jackentasche fand ich außer der halbleeren Zigarettenschachtel und dem Feuerzeug einen Brief der Eltern, so dass ich mir zur Feldpostnummer auch den dazugehörigen Namen aneignete. Es war die Gunst der Stunde, dass uns Spätgezogenen die SS-Nummer und die Blutgruppe nicht in die Haut an der Arminnenseite eintätowiert worden war.

 

Ich saß in anderer Uniform mit meinem durchschossenen Fuß am Straßenrand auf einem Holzkasten, der links mit Sand und rechts mit Streusalz gefüllt war. Ich versuchte zu gehen, nach hundert Metern hielt ich es vor Schmerzen nicht mehr aus. Ich wartete auf ein Militärfahrzeug, das mich mitnahm, und saß auf einer Anhöhe, von der ich die Kurven der ansteigenden Straße gut übersah. Es kamen Fahrzeuge der SS. Denen musste ich aus dem Blickfeld gehen und hockte mich hinter die Sand- und Streusalzkiste. Dann kam ein Sanitätsauto. Ich setzte mich auf die Kiste, zog, als das Fahrzeug mit Mühe die zweite Kurve nahm und etwa vierhundert Meter von mir entfernt war, das braun gestreifte Taschentuch aus der Manteltasche, das dem Gefallenen mit dem Brief in der Jackentasche gehörte, und winkte dem Fahrer entgegen. Der hielt an, sah den durchbluteten Notverband, rief „Komm Kumpel!“, öffnete die Ambulanztür, und ich stieg ein. Er stieg nach, legte mich auf die schmale Trage, entfernte den verdreckten Verband, säuberte die Wunde mit Spiritus und legte fachmännisch den neuen Verband an und gab mir noch die Tetanusspritze. Der Sanitäter war ein kräftiger Mann. Er sagte, dass er ein Kumpel von der Ruhr sei. Er bot mir einen Schnaps aus der Flasche an, brach einen größeren Kanten von seinem Brot und gab ihn mir. Er sagte, dass er auf dem Weg nach Krakau sei, wo er Verwundete zu laden habe, die nach Breslau gebracht werden sollen. Dieser Kumpel war ein außergewöhnlicher Mensch, denn er stellte mir nicht eine Frage, als hätte er gesehen, dass mit mir etwas nicht stimmte. Ich sagte ihm, er solle mich mit meiner Verwundung nach Breslau fahren. Darauf sagte er: „Kumpel, du brauchst deinen Fuß. Das sehe ich ein.“ Er schloss die Ambulanztür, startete den Motor und fuhr davon. Unterwegs hielt er mehrere Male an. Doch passierte er die Straßenkontrollen ohne Schwierigkeit. Nach einer dieser Kontrollen hielt er an, kam in die Ambulanz und sagte: „Junge, jetzt müssen wir aufpassen, denn nun sind auch die Goldfasane auf den Straßen.“ Er legte mir einen Kopfverband an, der über beide Augen ging, und beschmierte ihn mit dem Blut der Fußwunde. Am späten Nachmittag erreichte das Fahrzeug das Notlazarett in Krakau. Zwei Verletzte mit Kopfverbänden wurden geladen. Einer kam auf die Doppelstocktrage, der andere wurde auf einer dritten Trage reingeschoben. Nachdem der zweite Verletzte auf der Zusatztrage reingeschoben war, fragte der Sanitäter nach meinem Namen und der Feldpostnummer. Beides, was dem Gefallenen von Lublin gehörte, gab ich an. Der Kumpel von der Ruhr setzte Namen und Nummer zu den Namen und Nummern der beiden Kopfverletzten hinzu, deren Transportpapiere der Kommandeur bereits unterschrieben hatte. So ging die Fahrt noch am selben Abend nach Breslau weiter, die von zahlreichen Straßenkontrollen in der Nacht unterbrochen wurde.

Die Kopfverletzungen waren wohl nicht so schwer, denn die beiden setzten sich auf die Zusatztrage, wozu der eine von der Doppelstocktrage herunterstieg. Sie sprachen und lachten, dachten, dass ich mit dem blutverschmierten Kopfverband, der über beide Augen ging, im Koma liege und nichts höre. Als ich dann nach einer langen Weile der Geduld sagte, sie sollen ruhiger sein, mussten sie nach dem, was sie miteinander gesprochen und worüber sie miteinander gelacht haben, erschrocken sein. Sie waren schlagartig still, so dass das Pfeifen des fahrenden Kumpels vorne zu hören war. Die Totenstille in der Ambulanz hielt nicht lange an. Der eine sagte in meine Richtung: „Junge, dann hast du ja noch einmal Schwein gehabt, dass das Bewusstsein bei dir zurückkommt.“ Der andere fiel in denselben Tenor und meinte, dass ich wohl mit dem Leben davonkommen würde, wenn das Bewusstsein nach so kurzer Zeit wieder eintritt. Das sei bei den Kopfverletzungen eher die Ausnahme als die Regel, sagte er. Dann fragte der erste mit dem Schweinhaben, wer es war, der mir eine verplätten wollte. Da sprach ich vom Partisanenüberfall hinter Lublin. „Die Schweine!“, sagten sie wie aus einem Mund. Ich fragte, was das nun für Schweine seien, weil doch das zuerst genannte Schwein ein Glücksschwein mit dem wiederkehrenden Bewusstsein war. „Das sind nun die dreckigen Schweine!“, sagten sie einstimmig. Sie fragten, ob ich blind sei. Als ich dies verneinte, fragten sie, ob ich sitzen könne, weil sie den blutigen Verband am rechten Fuß sahen. Als ich das bejahte, trat erstmal eine Sendepause ein. Nach der Sendepause fragten sie etwas genauer, ob ich mindestens mit einem Auge genug sehen könne. Als ich dies bejahte, rutschte es aus ihnen heraus, als könnten sie es nicht halten, ob ich Lust hätte, mit ihnen Skat zu spielen. „Lust schon“, sagte ich. Die beiden erwiderten: „Und wir haben die Karten.“ Es wurde das Licht in der Ambulanz angeknipst. Ich setzte mich aufrecht auf meiner Trage, schob den Verband über die Augen in die Stirn zurück. Ich sah die Verwunderung in ihren Gesichtern, weil sie blinde oder fehlende Augen oder sonst etwas Zerschossenes in meinem Gesicht erwartet hatten und nun in normale Augen sahen, um die herum und an den Lidern weder ein blauer Fleck noch ein Kratzer zu sehen war. „Unter deinem dicken und blutigen Verband haben wir eine schwere Verletzung vermutet. Nun ist da, zumindest im Gesicht, von einer Verletzung überhaupt nichts zu sehen. Bist du ein Echter oder ein Vorgetäuschter?“ Ich sagte ihnen, dass ich ein Echter und kein Falscher war, wobei ich echt als Soldat und einer von den Soldaten war, die sich in den Fuß schießen, um keine wehrlosen Menschen wie die weinenden Mütter mit ihren Kindern zu erschießen; dass ich aber falsch in der grauen Wehrmachtsuniform war und die Kopfverletzung vortäuschte, um vor meiner SS-Einheit weit weggefahren zu werden, mich von ihr unter allen Umständen abzusetzen, weil mir vom Sturmführer der Einheit das Erschießen auf der Stelle wegen der offensichtlichen Befehlsverweigerung drohte. Ich sagte ihnen, dass ich die ganze Wahrheit noch früh genug erzählen werde, aber nur dann, wenn auch sie mir ihre Geschichten so erzählen, wie sie der Wahrheit entsprechen. Wir gaben uns die Hand, jeder nannte seinen Namen. Ich sagte Klaus, der andere Gustav und der dritte Erwin. Gustav holte die Karten aus seiner Jackentasche und mischte sie länger als nötig, wahrscheinlich mit den gemischten Gefühlen, dass sich bei der Nachtfahrt in einer Ambulanz von Krakau nach Breslau im vorletzten Kriegsjahr, als die deutschen Armeen den endgültigen Rückzug von der irrsinnig weiten und langen Ostfront angetreten hatten, drei Soldaten der Wehrmacht zusammensaßen, von denen jeder seine besondere Geschichte zu erzählen hatte.

Der Sanitäter und Fahrer, der sich mir als der Kumpel von der Ruhr vorgestellt hatte, sah das Licht in der Ambulanz und hielt das Fahrzeug irgendwo auf der Straße an. Er stieg aus, öffnete die Ambulanztür und fragte, ob wir noch alle Tassen im Schrank hätten. Schließlich hätte er drei Verwundete mit schweren Kopfverletzungen nach Breslau zu befördern. „Nun sitzt ihr hier und kloppt ‘n Skat“, sagte er lachend und fügte hinzu: „und ich muss durch die stockfinstere Nacht fahren, wobei wir jederzeit von Partisanen angefallen werden können. Wir müssen aufpassen, dass uns die Straßenkontrollen nichts anhängen können! Sobald ich eine Kontrolle auf der Straße sehe, klopfe ich kräftig gegen die Wand. Dann müsst ihr sofort reagieren: das Licht ausknipsen, euch auf die Tragen legen und du, er zeigte mit dem Finger auf mich, deinen Kopfverband tief ins Gesicht ziehen. Passt auf, dass wir nicht noch in Teufels Küche kommen!“ Der Kumpel zuckte mit den Schultern, schloss die Ambulanztür, knallte die Fahrertür zu, startete den Motor und fuhr los, während wir mit unserem Skat loslegten. Es vergingen keine zehn Minuten, wir waren in der zweiten Runde, da klopfte der Kumpel kräftig gegen das Blech der Ambulanzwand. Erwin kletterte auf seine Doppelstocktrage, ich knipste das Licht aus und schob mich auf meine und Gustav auf seine Trage. Das Fahrzeug hielt an. Es wurde von allen Seiten abgeleuchtet und auch durch das schmale Türfenster in die Ambulanz hineingeleuchtet, als ich gerade dabei war, mir den verrutschten Kopfverband über beide Augen ins Gesicht zu ziehen. Es dauerte doch länger, und ich rechnete mit dem Schlimmsten, dass sie unter meinen Kopfverband schauten, mich der Wehrzersetzung und Sabotage überführten, mich aus dem Fahrzeug zerrten, in eine dunkle Zelle steckten, vor ein Kriegsgericht stellten oder noch davor auf der Stelle erschössen. Der Kumpel wurde auf Herz und Niere geprüft. Er hatte die Papiere der Fahrerlaubnis und für den Sondertransport vorzuweisen, die von zwei Wachleuten in Begleitung von Schäferhunden mit ihren Taschenlampen vorn und hinten abgeleuchtet wurden. Mit dem „Heil Hitler“ der Wachleute war die Prozedur beendet. Die schwere Stahlschranke wurde gehoben, und der Kumpel fuhr mit der Ambulanz und uns drei Kopfverletzten Richtung Breslau davon. Die Kontrollen wiederholten sich in dichter Folge. Jedes Mal klopfte der Fahrer, wenn er die Schranke über die Straße sah, kräftig gegen das Blechgehäuse der Ambulanz; jedes Mal knipsten wir das Licht aus, sprangen auf die Tragen, wo ich mir den blutverschmierten Kopfverband über die Augen tiefer ins Gesicht zog. Einmal kam das Klopfen zu spät. Der Kumpel war übermüdet. Nach einer scharfen Bremsung kam das Fahrzeug zum Stehen. Ich knipste das Licht aus. Wir drei lagen auf den Tragen, jeder mit seinem Kopfverband. Die Wachleute befahlen dem Kumpel, die Ambulanztür zu öffnen. Sie sagten, als sie die dunkle Ambulanz mit den drei Verletzten auf den drei Tragen ausleuchteten, dass sie hier Licht gesehen hätten, als das Fahrzeug angefahren kam. Der Kumpel sagte, dass er ab und zu das Licht anstelle, um zu sehen, dass die Verletzten noch so liegen, wie sie auf den Tragen in die Ambulanz hineingeschoben worden waren. Es schien den Wachleuten plausibel, die noch einige Male die Verletzten ableuchteten und beim Anblick meines dicken und über die Augen gezogenen Kopfverbandes ihr medizinisches Gutachten mit den Worten abgaben, dass bei dem wohl kaum Chancen bestehen, mit dem Leben davonzukommen. Beim Schließen der Tür fiel dem jüngeren der beiden Wachleute die herumliegende Pik-Zehn-Karte neben der dritten Trage auf. Er fragte den Sanitäter, ob Kopfverletzte denn auch Skat spielen können. Es war die Schlagfertigkeit des Kumpels mit dem „Wohl kaum!“, dass die Wachleute von einer gründlichen Inspektion absahen, weil sie keinen Verdacht der Täuschung schöpften. Ihre Intelligenz brachte die Verbindung von der Skatkarte zum brennenden Licht in der Ambulanz nicht auf die Beine, so dass die drei noch einmal ungeschoren davonkamen, als der Sanitätswagen nach Öffnen der Schranke davonfuhr. Doch der Kumpel hinter dem Steuer rief laut, dass man es hinten hörte: „Ihr Idioten, ich habe euch doch gesagt, dass ihr aufpassen sollt.“

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