Tatort Rosenheim

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Daddy Cool

Jetzt denkst du, ja mein Gott, schnallt der Auer Max denn gar nichts? Der muss doch mitkriegen, dass ihm alle nur einen Bären aufbinden, oder? Die Tante, der Brunner, und erst recht der Chili. Aber täusch dich nicht im Auer. Manchmal fällt bei dem der Groschen in Ein-Cent-Stücken, weil er immer alles speichert. Dann analysiert er es, und dann legt er los. Wie der Columbo in seinem alten Regenmantel.

Am Brückenberg staute sich der Feierabendverkehr aus der Stadt raus. Max fuhr die Seitenfenster des alten Benz hoch, das Schiebedach zu und schaltete die Umluft-Klimatik ein. Nach drei Rotphasen bog er in die Klepperstraße ein und wäre beinahe einem neuen BMW X5 hinten drauf, weil die Frau am Steuer plötzlich abbremste, den Schminkspiegel runterklappte und anfing, sich den Lidstrich nachzuziehen. Max zeigte ihr im Vorbeifahren einen Vogel und sie ihm dafür den sehr gepflegten Mittelfinger.

Vor dem »Wild Wild West« standen vier oder fünf Autos, und Max stellte sich neben einen dunkelroten Camaro mit überbreiten Reifen auf Chromfelgen.

Die Chilischote über dem Eingang sah im hellen Tageslicht verwelkt aus, und die Zellentür war verkratzt und rotfleckig. Max hämmerte an das Metall, kurz darauf öffnete der riesige Finne im pflaumenfarbigen Polyester. Diesmal trug er ein leuchtend gelbes Hemd unter dem Anzug.

Max schaute zu dem Kerl auf: »Bist du noch größer geworden oder bin ich eingegangen?«

Der Kerl grunzte, was der Auer als einen Heiterkeitsanfall deutete, und trat zur Seite. Der Zwerg saß an demselben Tisch wie neulich. Er winkte, und als Max näher trat, sagte er: »Setz dich ein bisschen zu uns, der Chef hat Besuch. Eine Besprechung, dauert aber nicht mehr lange.«

»Wem gehört der rote Camaro da draußen?«

»Einem unserer zukünftigen Hauptdarsteller. Einem echten Filmstar.«

»Beim richtigen Film oder bei euren Rein-und-raus- Produktionen?«

Der Kleine hob einen Zeigefinger: »Der kommt vom Fernsehen. Der hat schon in zwei Tatorten die Leiche gespielt. Weil er tot gucken kann, ohne zu blinzeln. Der Chef will ihn unbedingt für eine Leberkäs-Produktion.«

»Als blinzelfreie Leiche?«

Der Kleine verdrehte die Augen: »Als dauergeilen Senner, der eine Gruppe hübscher Wanderinnen kunstvoll wegrammelt. Im Heu, auf der Alm und auf einer Bergwiese mit Blick auf die Kampenwand. Künstlerisch wertvoll, das ist das Zauberwort. Mit dem Streifen will der Chili im nächsten Jahr auf diese Festivals. Nizza, Cannes oder Venedig, vielleicht sogar Altötting. Dahin, wo die ganz großen Stars immer gehen.«

»Ah ja. Habt ihr schon einen Namen für euren Blockbuster?«

Der Kleine beugte sich über den Tisch: »Muss aber unter uns bleiben, ja? Der Chili sagt, das ist alles noch top secret. Kannst du schweigen?«

Auer fuhr sich mit Zeige- und Mittelfinger über den Mund und machte das »Reißverschluss-Zeichen«. »Sag an!«

»Brez’n-Gangbang, Part one.«

Jetzt hat der Auer natürlich einen Lacher unterdrücken müssen, aber als Polizist, und natürlich speziell als Ex-Polizist, da musst du das auch können. Er machte ein ernstes Gesicht: »Spielt ihr auch mit?«

»Mehr indirekt. Wir sind an den Scheinwerfern, schieben das Dolly-Dings, weißt schon, das ist so ein Schlitten auf Rädern, wo der Kameramann drauf sitzt und so weiter. Extrakohle gibt es nicht, hat der Chili gesagt, aber unsere Namen kommen im Abspann. So was merken sich die Leute, hat er gesagt. Da werdet ihr zu Stars in der Szene, meint er. Meinst du, das stimmt? Das mit den Stars? Ehrlich jetzt?«

Auer nickte: »Da hat er wohl recht. Aber ihr braucht dann natürlich gute Künstlernamen. Zufälligerweise kann ich euch da helfen, weil ich mich mit so was auskenne. Pass auf: Danny und Arnold, die Red-Light-Twins. Na, wie findest du das?«

Der Kleine schaute den Riesen an, der machte ein paar schnelle Handbewegungen und schaute fragend.

Der kleine Mann kratzte sich am Kopf: »Er meint, wer ist Danny und wer ist Arnold, und warum überhaupt?«

»Mann, weil du aussiehst wie Danny DeVito und er wie der Arnold Schwarzenegger. Jedenfalls, was Größe und Muskeln anbelangt. Nein, stimmt nicht, dein Kumpel hier ist ja fast zwei Meter groß. Aber lasst euch das mal auf der Zunge zergehen: Danny und Arnold. Klingt doch scharf, oder? Ab jetzt nenne ich euch so, damit ihr euch an eure Künstlernamen gewöhnt. Denn wenn euch auf so einem Festival plötzlich die Angelina Jolie, die Charlize Theron oder eine andere Sexbombe anspricht, dann müsst ihr auf eure Namen reagieren, kapische?«

»Brauchen wir dann nicht auch bunte Autogrammkarten?«

»Auf jeden Fall. Hey, kannst du mal fragen, wie lange die da drinnen noch machen?«

Danny grinste: »Klar, ich schau mal rein. Willst du was trinken? Ich hol uns was.«

»Yep, ein kleines Bier, dann stoßen wir gleich auf eure neuen Namen an.«

Danny rief dem Mädel hinter der Bar zu: »Bring mal drei Pilsos, Schöne. Und mit Liebe gezapft, wir haben nämlich was zum feiern!«

Er verschwand im hinteren Teil der düsteren Kneipe, und Auer hörte, wie er an eine Tür klopfte. Dann Gemurmel, und wenige Sekunden später war Danny wieder am Tisch: »Die sind so gut wie durch. Nur noch ein paar Minuten.«

Auer zeigte mit dem Daumen über die Schulter: »Wem gehören denn die anderen Schlitten vor der Tür?«

Danny sagte: »Na ja, der Star hat natürlich seinen Manager dabei, einen Stylisten und einen Kerl, der sich um alles kümmert, was er so braucht beim Dreh. Personal Assistant, so heißt der.« Und zu Arnold: »Holst du mal die Biere?«

Der Riese grummelte was Unverständliches, machte ein paar schnelle Handbewegungen und hievte seinen massigen Körper aus dem Stuhl. Dann humpelte er in Richtung der Bar.

»Was hat er gesagt?« Auer schaute dem Mann nach, der offensichtlich den linken Fuß nachzog.

»Er muss noch schnell ein paar Brownies ausliefern, aber das liegt auf seiner Strecke.«

Auer zog die Brauen hoch: »Hat er noch einen Nebenjob?«

Danny grinste: »Nein, das heißt, er geht aufs Klo, verstehst du?«

»Wow, so was von witzig. Echt gut. Sag mal, kann Arnold reden? Verstehen tut er dich offensichtlich. Aber das, was er dann vor sich hin grummelt und knurrt, also, da hab ich keine Peilung, was er damit meinen könnte.«

Der kleine Mann beugte sich über den Tisch: »Pass auf, der Mann ist Finne. Die reden eh nicht gerne viel, weil das Land so dünn besiedelt ist. Außerdem ist er stumm. Oder so was Ähnliches. Er kann dich hören, versteht unsere Sprache ganz gut, aber mitteilen muss er sich über seine Hände. Ich hab mir die Pfotensprache im Lauf der Jahre draufgeschafft, und wir beide kommen ganz gut damit klar.«

»Stumm, was? Und er humpelt. Hatte er einen Unfall?«

Danny schaute sich um, aber Arnold war immer noch auf dem Klo.

»Er will nicht, dass man drüber redet. Aber dir kann ich es sagen. Bleibt aber unter uns, ja? Indianerehrenwort?«

Auer nickte mit ernster Miene und hob zwei Finger.

»Also, diese Finnen auf dem Lande, die haben ja alle so was wie eine Sauna im Hof. Der Arnold war aber als Jugendlicher mal in Amerika, und da hat er diese indianischen Schwitzhütten gesehen. Er hat da auch eine von diesen Squaws in einem Reservat kennengelernt. White Buffalo Woman, die war fast genauso groß und schwer wie er, hat er mir mal erzählt. Schwere Knochen, aber Liebe auf den ersten Blick. Und die hat ihm so ein Inipi gebaut.«

»Was ist ein Inipi? Eine Sauna?«

»Nein, das ist eine Kuppel aus Weiden- oder Haselnussästen, halbrund, mit Fellen drüber. Vielleicht 1,50 Meter hoch und zwei bis drei Meter im Durchmesser. In der Mitte von dem Ding wird ein Loch in den Boden für die heißen Steine gegraben. Die Steine werden erst in einem Feuer vor der Hütte erhitzt, bis sie glühen. Dann bringt man sie in das Loch drinnen. Da kommen dann Kräuter drüber und etwas Wasser oder so.«

Auer schloss geduldig die Augen und der Kleine sagte: »Jetzt warte, das gehört alles zur Story. Also, mein Kumpel baut sich so was in Finnland, er wohnt ja alleine irgendwo in den Pampas, umgeben von Wäldern und so. Eines Tages macht er im Morgengrauen ein Feuerchen und geht in das Schwitzzelt, weil er die Steine rausholen will. Die sind immer noch ein bissel warm. Das hat sich auch der Braunbär gedacht, der in der kuscheligen Hütte übernachtet hat.«

»Ein echter Bär?«

»Und was für einer. Ein Weibchen, genau genommen. Die sind noch viel fieser als die Männchen. Genau wie bei uns. Also, der Mann, der ab jetzt Arnold heißt, stolpert schreiend rückwärts aus der Hütte. Der Bär nimmt das Geschrei persönlich und denkt, hey, der flirtet mit mir, und brüllt seinerseits los. Arnold fällt hin, der Bär kommt angeschossen und schwupps, beißt sie ihm das linke Bein am Knie durch. Arnold zieht sein Finnenmesser und sticht dem blöden Bären in die Schnauze. Der fegt ihm noch eine und haut mit dem Bein in der Schnauze ab. Von dem Schock ist Arnold sprachlos geworden, im wahrsten Sinne des Wortes. Stell dir vor, du schaust deinem Bein hinterher. So was gibst du ja nur ungern aus der Hand, oder?«

»Und das Bein? Hat er das wiederbekommen?«

»Bedauerlicherweise nein. Er hat sich dann selber ein Holzbein geschnitzt, als er wieder einigermaßen fit war, und er kommt sehr gut damit klar. Das Holzbein hat ein Geheimnis, nämlich … Oh Scheiß, da kommt er. Sag bloß nix von dem, was ich dir erzählt hab, ja? Der killt uns beide.«

Und zu dem Riesen: »Na, alles gut abgelaufen? Stell mal die Biere in die Mitte und merk dir deinen neuen Namen. Wir werden berühmt, Alter. Ich spür das im Urin.«

Arnold brachte ein furchterregendes Grinsen zustande und fuchtelte mit den Händen.

 

»Was meint er?«

»Was Unhöfliches. Hat mit einem Körperteil zu tun, wo selten die Sonne hinscheint. Ich will das jetzt nicht so wörtlich übersetzen.«

Auer nahm sein Glas hoch, aber bevor er trinken konnte, kamen vier Männer aus dem Büro und schlenderten lachend an ihrem Tisch vorbei. Sie nickten ihnen zu, einer der Kerle, ein ziemlich dunkelhäutiger, großer und schlanker Bursche, grüßte lächelnd zurück. Der neben ihm sagte gerade: »Das ist kein Name, das ist eine Diagnose. Du kannst dich in dem Streifen nicht ›Sepp the Longhammer‹ nennen. Frankie Bigdick find ich auch irgendwie blöd. Lass uns da noch mal drüber reden, alles andere ist okay. Aber wie willst du einen Gamsbart-Hut auf deinen Afro kriegen?«

Longhammer-Bigdick meinte: »Die Matte muss eh ab. Das passt schon. Mehr Sorgen macht mir das Jodeln. In meiner Zeit als Tatort-Leiche hat man so was nicht von mir verlangt.«

»Du bildest dich halt künstlerisch fort, so ist das im Showbusiness!« Der schmale Kerl hinter dem Schwarzen gackerte wie ein Huhn.

Aus dem Büro kam Chilis Stimme: »Max, kommst’ rein?«

Auer trank von seinem Bier, nickte seinen neuen Freunden in ihren Plastikanzügen zu und stand auf: »Und immer schön üben: Du bist Arnold und du bist Danny, klar? Das müsst ihr im Schlaf aufsagen können.«

Die beiden nickten unisono mit den Köpfen und prosteten ihm zu.

Chilis Büro war von Zigarettenrauch vernebelt. Auer ging um den Schreibtisch rum und öffnete das Fenster. »Wow, Aussicht auf drei Müllcontainer und zwei Reihen Wellblechgaragen.«

»Man tut, was man kann. Setz dich, was gibt es?«

»Waren das eben deine neuen Filmpartner?«

Chili grinste, lehnte sich in seinem Chefsessel zurück und legte die Beine auf den alten Schreibtisch. »Der große, dunkle Kerl ist ein echter Steher. Bis jetzt hat er das privat und aus Spaß an der Bumserei gemacht, aber mit dem kann man richtig Geld verdienen. Und er selber auch. Ein echtes Naturtalent, der Kerl. Und die anderen drei? Spinner, die glauben, ab jetzt könnten sie sich aufführen wie Harvey Weinstein oder Kevin Spacey. Die werden schon noch merken, was bei uns abläuft.«

Auer wischte ein paar Ascheflocken vom Stuhl, bevor er sich setzte: »Der spielt aber keinen Bergförster, oder?«

»Der? Nein, der ist im neuen Film der Milchalm-Sepp. Er kriegt einen Trachtenhut mit einem Riesengamsbart auf die Rübe und wird in eine kurze Lederhose mit bestickten Trägern gesteckt. Und dann geht’s ab. Den Muschibesen unter der Nase muss er sich natürlich abrasieren. Da kennen meine Mädels keinen Spaß. So was macht die seidene Unterwäsche kaputt.«

Auer nahm das Glas, das ihm der Chili über den Schreibtisch schob, und vernahm dessen Prahlerei: »Schottischer Whiskey, 100 Jahre alt. So was kriegst du sonst nur im echten Hollywood. Probier mal.«

Max roch an dem Glas und nahm einen kleinen Schluck. »Super. Hier, dein Filmstar, der ist für einen Senner aber ziemlich dunkelhäutig, würde ich mal sagen. Kauft dir deine Kundschaft so was ab?«

Chili schaute zur Decke: »Na ja, er ist halt ein bissel maximal pigmentiert. Aber vielleicht hat er eine seltene Hautkrankheit und wird deswegen immer dunkler. So wie der Michael Jackson. Der hat ja auch so was gehabt, oder?«

»Der Michael Jackson ist pechschwarz geboren und dann zum Weißen mutiert.«

Chili schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte. »Sag ich doch. Wie der Michael Jackson. Nur umgekehrt. Das ist ja das Fiese an so einer Krankheit. Der eine wird weiß, der andere schwarz. Fürchterlich, nicht wahr? Aber der Mann hat ein Gehänge, für so was brauchst du in manchen Ländern einen Waffenschein. Und genau das zählt in meinem Business. Außerdem: Was weiß ein ländlich lebender Inder in Peschawar oder ein Durchschnitts-Chinese in Shiang-Lo von solchen Dingen wie übermäßiger Hautpigmentierung? Und genau das ist ja meine Hauptkundschaft. Die gehobene ländliche Mittelklasse in den aufstrebenden Tigerstaaten. Geht alles in den Export, die komplette Produktion. Übrigens, wie findest du meine beiden Bodyguards? Ihr versteht euch ja schon ziemlich gut.«

Auer nippte an dem Whiskey. »Der Große, ist der wirklich ein Finne?«

Chili lachte: »Und wie. Der heißt auch so. Sehr finnisch, meine ich. Lars Tragel, Mutti Fierileinen oder so. Ich kann mir das nicht merken.«

»Was steht in seinen Papieren?«

»Papiere? Machst du Witze? In diesem Job braucht man keinen Stammbaum. Ich hab für hier drinnen keine Rassehunde angestellt, sondern zwei Muskelpakete. Du solltest die mal sehen, wenn’s hier abgeht. Freitagnacht, wenn die Prolos kommen. Die glauben, die können die Mädels mit nach draußen nehmen und abvögeln.«

»Aber der Kleine? Ich meine, Muskelpakete, hey?«

»Der ist okay. Hinterhältig und kampfstark. Und funktioniert wie eine kaputte Uhr: Zweimal in 24 Stunden liegt er genau richtig. Und das reicht mir hier in meinem Laden. Warum fragst du das alles? So langsam werde ich misstrauisch.« Chili fuhr sich mit der Linken über seinen goldblonden Pferdeschwanz und schaute Auer mit zusammengekniffenen Augen an.

Tja, warum fragt er so viel, das denkst du jetzt auch, oder? Pass auf, ich sag es dir: Weil der Max Auer einer ist, der die Leute gerne ein wenig einlullt. Wie der Columbo im Fernsehen, aber das ist dir bis jetzt auch schon aufgegangen, oder?

»Chili, jetzt entspann dich mal. Bei mir bist du in besten Händen, mach dir deswegen mal keine Sorgen. Oder doch. Mach dir Sorgen, das schadet nie. Grund dazu hast du auch. Es ist nämlich so: Die Geschichte hat keine Logik. Ich meine, du wirst mit deinem eigenen Porno erpresst, damit du dem Brunner nicht hilfst, seine Frau zu suchen. Fakt ist: Du hast selber was mit ihr am Laufen. So viel hab ich selber auch schon rausgekriegt.«

Max beugte sich vor, legte beide Hände flach auf den Schreibtisch und klopfte dann mit den Knöcheln auf die Holzplatte. Bei jedem Wort ein Klopfer: »Jemand zu Hause? Hallo? Erde an Chili, hörst du mich? Ich bin’s, der Auer Max. Ehemals Zierde der Münchener Sitte, Dezernat 4, SOKO 12.«

»Was?«

»Genau. Punkt 1: Ihr beide seid ein Pärchen oder so. Die Sissi und du. Ich glaube sogar, wenn die ihre Tage hatte, an denen sie aus dem Nest geflogen ist, um sich zu amüsieren, da war sie bei dir. Der alte Brunner hat sich bei dir am Telefon ausgeheult und dich angebettelt, sie zu suchen. Du hast dich immer wieder erweichen lassen. Super. Und die Sissi gegen ein saftiges Bakschisch zu Daddy gebracht. Hast ihr sogar noch ein Alibi geliefert, indem du dem Alten erzählt hast, du hättest sie in Garmisch oder Kitzbühel oder sonst wo mit ihren Freundinnen erwischt. Und das, während dein Pimmel noch gar nicht trocken war und die Sissi in deiner Kiste noch einen Joint zum Abregen gezogen hat. Wenn das der Brunner erfährt, kannst du die letzten beiden Geschäfte, die ihr beiden noch durchziehen wollt, voll vergessen. Dem Brunner trau ich auch zu, dass er deinen Laden dichtmacht. Die nötigen Verbindungen dazu hat er.«

Chili nahm die Stiefel vom Schreibtisch und kramte mürrisch in einer Schublade rechts unten: »Kannst du das beweisen?«

Jetzt musst du wissen, dass der Auer Max als Knabe im Internat eine Zeit lang Messdiener war, genau wie der Erol Sander. Die haben sogar mal eine Messe zusammen gemacht, aber das ist eine andere Geschichte. Auf jeden Fall kann der Auer Max lügen, ohne auch nur drüber nachzudenken: »Was denn beweisen? Und warum? Dass der Brunner dich fertigmachen kann, wenn er will? Das weißt du doch selber am besten. Und die Sissi-und-Franz-Nummer: Einiges ja, da habe ich schon genug Fakten. Und wenn ich die Belege dazu zusammenzähle, dann krieg ich noch das eine oder andere bewiesen. So hab ich immer gearbeitet, und das funktioniert auch bei euch hier in der Provinz. Besonders hier, wenn du weißt, was ich meine.«

»Sissi und Franz finde ich pietätlos. So heißen die beiden Papageien im Rosenheimer Gartencenter. Und wenn du es schon so genau weißt: Ja, wir lieben uns.«

»Echt jetzt? Und das Business, die Rein-und-raus-Nummer auf dem Tisch mit ein paar anderen Kerlen? Das stört dich nicht? Oder wenigstens sie?«

Chili fuhr sich mit dem Finger der rechten Hand hinter den Hemdkragen: »Das ist rein geschäftlich. So was muss man vom Privaten trennen.« Er hob die Hand, als der Auer was sagen wollte. »Pass auf, ich bin natürlich eifersüchtig, wenn sie mit Kerlen im Restaurant flirtet oder so. Da kann’s gut sein, dass da mal so einer quer durch den Laden fliegt. Aber im Job, da sehen wir das beide anders. Business as usual. So was versteht einer wie du natürlich nicht. Da waren die Sissi und ich schon viel weiter. Profis eben.«

»Wow. Ich bin beeindruckt. Wo ist sie?«

»Ich weiß es nicht. Echt jetzt. Um das geht’s auch nicht mehr. Wenn der Brunner die Sissi-Pornos zu sehen kriegt, dann bin ich dran, das ist mir klar. Aber, und das sage ich dir mal ganz im Vertrauen, der Brunner, der hat Stress der anderen Art. Falls eine Lösegeldforderung für die Sissi auftaucht, dann kann’s gut sein, dass er nicht zahlen kann. Weil der alte Mann in der Klemme steckt. In einer von vielen Klemmen. Mehr kann ich dir nicht sagen.«

»Musst du auch nicht. Ich rede jetzt einfach mal weiter. Der Otti wollte raus aus dem Ganzen. Er hat euch einen guten Deal angeboten. Aber der Otti ist dummerweise verstorben. Und das ist ein anderes offenes Kapitel, über das du mal in einer lauen Nacht nachdenken solltest: Wenn ich irgendwie rauskriege, dass dem Unfall ein bisschen nachgeholfen wurde, dann kenne ich nur einen, den ich mir zur Brust nehme. Und dann helfen dir die beiden da draußen auch nicht mehr viel.«

Chili erstarrte in der Bewegung und glotzte über den Tisch: »Ja, spinnst jetzt ganz?«

»Nein, nein, überleg doch mal: Du warst angeschnallt, der Otti nicht. In der Konstellation fahre ich gerne jetzt gleich am Steuer deines Amischlittens mit dir, du unangeschnallt auf dem Beifahrersitz, in Richtung Samerberg. Und dort oben an einen Baum deiner Wahl.« Auer kniff ein Auge zu: »Na, dämmert bei dir da was?«

Der Blonde schüttelte den Kopf, dass sein langer Pferdeschwanz wie eine Fahne im Wind hin und her flatterte: »Das hängst du mir nicht an. Du nicht. Da gibt es polizeiliche Ermittlungen. Der Fall ist abgeschlossen. Und jetzt mal ganz hypothetisch: Warum sollte ich den Otti umlegen? Wir haben einen Haufen Geld zusammen verdient.«

»Erste Vergangenheit: ›haben‹. Da hast du es. Er wollte raus. Wie Al Pacino im ›Paten‹, aber das hat euch anderen beiden nicht gepasst.«

Chili wedelte mit den Händen: »Nein und noch mal nein, verflucht. Bau hier keine Potemkinschen Dörfer auf. Es war eher so: Kaum war der Otti im Hades, hat mir der Brunner eröffnet, dass wir weitermachen können, aber er dann den doppelten Anteil will, weil er ein bissel klamm ist. Den Brunner, den hätte man, wenn überhaupt, umlegen sollen. Nicht den Otti, wenn wir schon davon sprechen. Ohne den alten Sack hätten der Otti und ich die zwei Dinger auch problemlos durchziehen können. Gut, vielleicht nicht so einfach wie mit ihm, aber einen anderen Bänker tut man immer auf, wenn die Kohle stimmt. Noch was?«

»Aber immer doch. Bevor ich dir was erzähle, sagst du mir, warum der Brunner Geldprobleme hat und warum du bei dieser Sissi-Kiste die Füße stillhalten sollst. Dann erzähl ich dir wieder was. Ein Geben und Nehmen. Wie im richtigen Leben. Was meinst du?«

Chili seufzte: »Oh Mann, in was bin ich da wieder reingeschleudert? Hör zu. Der Brunner zockt gerne. Er wettet und spielt Poker. Hier bei uns nicht, denn wenn sich das rumsprechen würde, wäre er seinen Job los. Also macht er das auswärts. München, Salzburg, Innsbruck, Bregenz, was weiß ich. Immer in irgendwelchen Hinterzimmern. Privatspiele ohne Limit.«

»Kenn ich, so was. Die Jungs, die die Spiele aufziehen, geben die Highroller gegen eine Gebühr weiter. Da ruft einer den anderen an und sagt, pass mal auf, ich hab da eine Goldgans. Der könnt ihr gut was abnehmen, ich geb euch den, und ihr lasst 25 Prozent rüberwachsen. Von allem, was der Typ an euch verliert. Und zu Mackern wie dem Brunner sagen die, fahr mal nach München, in der Arcisstraße sowieso, da gibt’s ein kleines griechisches Kellerrestaurant. Geh an die Bar und sag das Losungswort ›Bodennebel‹. Das gilt nur für das nächste Spiel am Samstag. Fünf Mann, kein Limit. Wir spielen Poker, Texas hold’em. Mach das, Mann, da hast du vielleicht mehr Glück als hier bei uns.«

Der Chili zuckte mit den Schultern: »Kann sein. Mit der Zockerszene hab ich nichts zu tun. Bei mir im Laden wird nicht gespielt, sondern nur ehrlich gevögelt. Und meine Filme haben Niveau. Alles hochseriös. Neulich waren Jugos hier, die haben mir DVDs angeboten, da wirst du depressiv. Männer bumsen Schäferhunde. Okay, die sind reinrassig, hat der Jugo gesagt. Also, die Hunde, die Kerle kannte er nicht persönlich. Aber trotzdem, Mann. Und dann, also nein, Frauen mit einem Esel. Pfui Teufel, meine Jungs haben die Jugos hochkant rausgeworfen. Mit so einem Dreckszeug will ich nix zu tun haben. Bei mir und in meinen Filmen gibt’s nur ehrliche, bodenständige Bumserei. Mann-Frau, auch mal mehr von einer Sorte. Mit Volksmusik im Hintergrund. Richtig romantisch und mit Sahne.«

 

Auer nickte: »Ich bin beeindruckt. Du bist eine Stütze unserer Gesellschaft, mein Lieber. Sag mal, der Brunner, der fährt doch nicht alleine mit einem Haufen Bargeld in der Tasche in irgendein Kellerhinterzimmer? Kann es sein, dass du da ab und zu deine Jungs mitgeschickt hast? Danny und Arnold?«

»Wen?«

»Deine beiden da draußen. Ich hab sie Danny und Arnold getauft, und das gefällt ihnen.«

Chili lachte und rieb sich über das stoppelige Kinn. »Kann sein. Ja, schon, jetzt, wo du mich so direkt fragst. Aber ich wollte nie was Genaueres wissen. Je weniger du weißt, desto besser ist es. Der Brunner hat die beiden ein paarmal übers Wochenende mitgenommen. In diesem Jahr vielleicht dreimal oder so. Er hat aber alles bezahlt. Hotel, Essen und Kohle für die beiden. Und den Ersatz, den ich mir für die Tage holen musste. War aber nicht schlimm, ich kenn da einen Araberclan, die handeln mit Autos und so. Die haben mir für kleines Geld zwei Schränke vorbeigeschickt. Steroid-Pumper. Blöd, aber abschreckend. Was willst du jetzt damit machen?«

Gut, denkst du jetzt, der Auer Max ist ja nicht unterbelichtet. Der wird einen Teufel tun und dem Chili erzählen, was er vorhat. Der Max stand auf und sagte im Rausgehen: »Keine Ahnung. Ich muss noch einen sizilianischen Zitronenkuchen für die Friedl vom Bergmeister mitbringen. Ich mach mich mal vom Acker, sodass ich in die Stadt reinkomme, bevor die Läden schließen. Pass auf, ich frag deine Jungs, wo die zuletzt mit dem Brunner waren. Du gehst jetzt mit an die Tür und sagst denen, dass sie mir alles erzählen können, weil ich ja quasi zur Familie gehöre. Klar?«

Chili zog sich murmelnd hinter seinem Schreibtisch hoch und ging an Auer vorbei zur Tür, riss sie auf und rief: »Wer ist ab heute Danny?«

Der Kleine kam grinsend angewieselt. Im Büro war es hell, aber das Lokal hinter ihm war diffus beleuchtet und fast dunkel. »Ich, Boss. Klingt cool, oder? Was gibt’s?«

»Der Max hier, der gehört zur Familie, aber das wisst ihr wahrscheinlich schon. Er fragt euch was wegen dem Brunner. Ihr sagt ihm alles, was ihr wisst. Aber nur über den Brunner. Das hier …«, Chili beschrieb mit dem rechten Arm einen Bogen, »das hier, was in der Kneipe so passiert oder auch nicht, da muss auch die Familie nicht alles so genau wissen, verstehen wir uns?«

Der Kleine nickte und ging im schummrigen Licht zurück an den Tisch. Max folgte ihm. Danny nahm eine kleine Maglite-Taschenlampe aus seiner Jackentasche und leuchtete auf einen Teller, der vor Arnold stand. »Er hat sich letzte Woche in die Finger gebissen, weil er seine Hauer ein bissel schnell in einen Hamburger geschlagen hat. Sieht ja auch keine Sau was, bei diesem Pettinglicht hier drinnen.«

Arnold knurrte, nahm im schmalen Lichtkegel der Maglite etwas Undefinierbares vom Teller und steckte es in den Mund. Max schnupperte: »Ist das vegan oder kann man das auch essen?«

Arnold brummte mit vollem Mund und machte ein paar schnelle Handbewegungen, und Danny übersetzte: »Er meint, bis vor ein paar Stunden hättest du mit dem Teil auf dem Teller sogar noch reden können.«

Auer ließ sich in einen der Stühle fallen: »Na dann, Mahlzeit. Ihr habt ja gehört, was euer Boss gesagt hat. Hier meine Frage: Wo wart ihr mit dem Brunner, ihr wisst schon, dem Bankmenschen, zum Zocken?«

»Warum?«

Auer beugte sich vor: »Pass auf, ich frage, du antwortest. So geht das Spiel. Du weißt ja, dass ich bis vor Kurzem noch bei der Bullerei in München war. Ich will mal so sagen: Wie zwei Heilige seht ihr nicht aus. Deswegen möchte ich euer Freund sein, damit ihr wieder auf den Weg der Tugend kommt. Als Stars beim Film und so, okay?«

Danny und Arnold nickten.

»Sehr gut. Passt auf: Es gibt da eine neue Risikosportart, die heißt ›Athletisches Schweigen‹. Das machen wir jetzt. Ich rede, keiner unterbricht mich, und wenn ich fertig bin, will ich eine übersichtliche Antwort. Wenn’s geht, in ganzen Sätzen. So weit klar?«

Danny kratzte sich am Ohr: »So weit ja. Fang an.«

»Der Chili hat mir so ziemlich alles über den Brunner erzählt. Auch, dass er auswärts zockt. Und ihr beide habt ihn gefahren und aufgepasst, dass er keine über die Rübe kriegt, wenn er ausnahmsweise mal gewonnen hat. Von der Sissi und dem Brunner weiß ich auch. War die jemals bei seinen Touren dabei?«

Danny schüttelte den Kopf.

»Also nicht. Gut. Hatte der Brunner Stammplätze, wo er gerne gezockt hat? Wo wart ihr zuletzt mit dem Brunner? Wann war das?«

Danny starrte den Auer Max ausdruckslos an und schnitt dann merkwürdige Grimassen mit geschlossenem Mund.

Max beugte sich vor: »Hallo? Mein Hübscher, ist das jetzt eine Pantomimennummer, die du da abziehst?«

»Ja. Weil ich dachte, wer zuerst redet, verliert. Das ist doch so eine Art Spiel, oder?«

Auer zog Luft zwischen seinen Zähnen ein, schloss die Augen und lehnte sich im Stuhl zurück. »Oh Mann!«

»Jetzt sei nicht gleich eingeschnappt. Nein, er hatte keine Lieblingsorte. Nein, die Sissi war nie dabei. Sie hat aber gewusst, dass er spielt, und das hat ihr nicht gepasst. Ich hab gehört, dass sie den Chef ein paarmal deswegen zusammengefaltet hat. Sie hat so geschrien, dass man das durch die Bürotür bis hierher gehört hat. Der Chili hat aber gemeint, der Brunner ist erwachsen, stubenrein und kann in ganzen Sätzen reden. Der wird schon wissen, was er tut. Und ja, wir waren immer gut unterwegs mit dem Brunner. Ärger gab’s aber nie, weil er fast immer verloren hat. Der Ablauf des Abends war meistens so: Er ist mit einem Bündel Cash und in bester Laune losgedüst und kam jeweils besoffen, pleite und voller Selbstmitleid wieder heim. Zuletzt waren wir mit ihm zweimal in Salzburg.«

»Wann zuletzt? Und wo denn da in Salzburg?«

»Iss was.«

Auer merkte, wie ihm die Zornesröte ins Gesicht stieg. »Willst du mich verarschen oder was? Ich will nichts essen, ich rede mit dir.«

Danny fuchtelte mit den Armen: »Nein, Mann, die Kneipe heißt ›Iss was‹. Die ist in der Bayerhammerstraße. Das ist in der Nähe vom Bahnhof. Unten im Keller wird gezockt. Der Schirmer Heinzi organisiert die Spiele. Einmal in der Woche treffen sich da maximal fünf Mann. Lauter Profis aus der Szene. Der Heinzi macht die Bank. Seine Frau den Service und lässt die Möpse raushängen. Die Spieler bringen ihre eigenen Aufpasser mit. Und die Jugo-Schränke vom Heinzi hängen vor der Kellertür und oben im Imbiss rum. Willst du da hin? Spielen? Dann viel Spaß. Die haben den Brunner abgezogen wie in einem Hollywoodstreifen.«

Max stand auf und ging, ohne anzuklopfen, in Chilis Büro. Der hatte die Beine wieder auf dem Schreibtisch und blätterte in einem »Playboy«: »Was ist? Ich hab gar nicht gehört, dass du angeklopft hast? Stör mich jetzt nicht beim Fernstudium.«

Auer lehnte sich an die Wand neben der Tür: »Mach ich auch nicht. Organisier mir einen Termin beim Schirmer Heinzi in Salzburg. Morgen, kann auch tagsüber sein. Abends wär mir aber lieber. Ruf mich an, wenn du was hast.«

Chili warf den »Playboy« auf die Schreibtischplatte und funkelte den Auer an: »Sonst noch was? Willst du spielen?«

»Reden. Erzähl ihm nicht, dass ich bei der Bullerei war. Und mach mir nicht weis, du kennst den Heinzi nicht. Wahrscheinlich hast du den Brunner an ihn verschachert. Für wie viel? 25 Prozent von der Sore?«