Tatort Rosenheim

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Der Große glotzte, zeigte auf den sitzenden Arnold, wie er mit der Schrotflinte eine leicht kreisende Bewegung machte. Sein hellbraunes Holzbein lag neben dem Stumpf des linken Knies.

»Die Sau hat ein hohles Holzbein, das ist unfair«, sagte er anklagend.

Danny kramte mit der Linken in seiner Hosentasche: »Der Klügere lädt nach.«

Undercut zog den wimmernden Heinzi an seinem Leopardenfellmantel hoch und lehnte ihn an den Kühlergrill des Cadillacs. Murmelgroße Regentropfen glitten träge wie Schnecken über den schwarzen Lack. Heinzi wollte sich abstützen, rutschte aber an dem nassen Blech ab, und seine Finger hinterließen vier Bahnen auf der Kühlerhaube.

Max trat an ihn heran, hob ihm mit einer Hand das Kinn an und nahm den Unterkiefer des Mannes in einen festen Griff: »Warum lässt du mich nicht ausreden? Wie du siehst, zahlt sich unhöfliches Benehmen nicht aus. Was jetzt kommt, das sage ich nur einmal, also pass auf. Der Chili gibt dir die nächste Produktion, die er macht. Komplett. Mit Druckvorlagen für das Cover, die Mutter-DVD, die Rechte an der vollständigen Verwertung, alles, ohne Zeitlimit. Es wird eine gute Sache, wir denken, dass dir die DVDs um die 100.000 bringen können.«

Weiter unten an der Straße röhrten zwei Motorräder los. Harleys. Für einen Moment war der Lärm, der in der Straßenschlucht stand, allbeherrschend. Max und Heinzi schauten sich an. Danny hielt seinen nachgeladenen Derringer auf Undercut gerichtet, und Arnold saß immer noch da wie ein Straßenbettler und fixierte den Großen, der am Auto lehnte.

Der Schirmer Heinzi stöhnte laut auf und brach das Schweigen: »Du dumme Sau, warum hast denn des net glei g’sagt? Jessas, tut mir der Fuß weh.«

Max schaute über die Schulter zu Danny: »Wir haben einen Deal mit dem Mann hier. Geh und hol unsere Kanonen aus dem Kofferraum.«

Danny ging am Benz entlang, ohne den Arm mit der Waffe zu senken. Er drückte mit der Linken auf den Kofferraumverschluss, der Deckel glitt auf, und Danny fasste hinein. Er warf seinen Revolver zu Arnold, der ihn mit einer Hand auffing und neben sich auf den Boden legte. Dann schob er die Schrotflinte in die Höhlung des Holzbeines und schnallte sich die Prothese mit schnellen Bewegungen an den Kniestumpf. Mit einem Ächzen stand er auf, hob den Revolver vom Betonboden und ging zu Undercut. Er setzte ihm die Waffe in den Nacken und knurrte zu Danny, während seine freie Hand schnelle Bewegungen vollführte.

Danny grinste und sagte zu Max: »Arnold meint, er hätte gerne die Ohren von dem Mann mit dem komischen Haarschnitt. Ob wir noch so viel Zeit haben?«

Auer lachte, ließ den Heinzi los und rief dem Großen am Auto zu: »Pack deinen Chef in die Kiste und dann macht euch vom Acker.« Und zu Undercut: »Möchtest du noch ein bisschen hierbleiben? Ich glaube, du hast was, was unser Arnold gerne möchte.«

Undercut funkelte die drei an, ging auf die Fahrerseite des Caddys und stieg ein.

Heinzi saß jammernd auf dem Beifahrersitz und ließ das Fenster runter. Sein Glasauge rollte in der Höhle hin und her, und aus seinem gesunden Auge flossen Tränen: »Mir san no ned fertig, Burschi. Sag dem Chili, außer dem Deal zahlts ihr alles, was mit meinem Bein zu tun hat.«

Max beugte sich zu ihm runter: »Du bist doch bestimmt gut versichert, oder?«

Heinzi lachte trotz der Schmerzen los: »Hearst, du Trottel, wer versichert denn unser Berufsrisiko?« Und zu Undercut: »Grins ned und fahr los, du Inzuchtler, sonst rauch i dir no eine auf.«

Der Motor des Caddys drehte hoch, und der Wagen machte einen Satz rückwärts, drehte nach ein paar Metern und verschwand mit quietschenden Reifen in der Abfahrt.

Über den Alpen blitzte es, Gewitterwolken jagten heran und der Regen wurde stärker. Unten, auf der Straße, schrie eine Frau auf, und gleich darauf weinte ein Kind. Arnold lehnte mit einem Arm auf dem Dach des Mercedes’, legte seinen schweren Kopf darauf, und sein ganzer Körper wurde von einem wilden, lautlosen Lachen geschüttelt.

Die Stille, verstehst du, die macht etwas mit einem. Wie wenn man in seinem eigenen Körper gefangen ist. Kennst du das? Für den Auer, während sie schweigend dahinfuhren, wurde die Welt immer kleiner. Auch das Innere des Autos ist plötzlich nicht mehr existent. Du kannst dich nicht an die Straße erinnern, du fährst wie in Trance. Deine Welt wird immer kleiner, bis sie nur noch aus deinen Gedanken besteht.

Der Max fuhr mit einer Hand am Lenkrad, mit der anderen kratzte er sich am Kinn. So unterbewusst zärtlich, wie ein Mann seine Frau im Schlaf berührt, wenn sie sich neben ihm bewegt.

Seine Gedanken überschlugen sich, und er fragte sich, ob es so ist, dass er die Gewalt anzieht oder umgekehrt. Wer lässt in meinem Leben die Würfel rollen, denkt er sich. Früher, ach was, so lange ist das ja noch gar nicht her, bei der Polizei, da schließt man unter seinesgleichen einen Bund, der nichts mit Freundschaft zu tun hat. Etwas ganz Besonderes, das es in anderen Berufen nicht gibt.

Versteh mich jetzt nicht falsch, Polizisten oder auch die Feuerwehrprofis, die sind nichts Elitäres oder Besonderes. Die wollen oder können halt nur ihre Erlebnisse und Erfahrungen nicht mit Außenstehenden durchsprechen. Wenn sie es täten, würde man ihnen vieles einfach nicht glauben.

Der Auer kannte da mal einen, der hat im Dienst drei Leute erschossen. Einer hat auf Knien um sein Leben gefleht, ein Kinderschänder, der zwei kleine Mädels umgebracht hat. Aber was soll’s, das ist eine andere Geschichte.

Auf jeden Fall, ein paar Jahre später starb der Sohn dieses Polizisten an einer Überdosis. Mit grade mal 15. Der Kollege vom Auer Max glaubte, dass das jetzt die Strafe war für die drei Leben, die er genommen hat. Auch wenn’s Verbrecher waren, und auch, wenn er zwei in Notwehr umgelegt hat.

Seit dem Tod seines Sohnes waren die drei Seelen der Verbrecher in ihm und erinnerten ihn an jedem neuen Tag daran, was er gemacht hat. Und nachts saßen sie an seinem Bett oder spielten in seinen Träumen.

Warum ich das erzähle?

Weil es diese Gedanken sind, die dem Max jetzt durch den Kopf jagen. Weil er sich fragt, ob ihn auch mal eine Bürde heimsucht, die er ab dann tragen muss.

»Hey, Mann, wohin fährst du denn?«

Danny klopfte ihm auf die Schulter und riss ihn so aus seinen Grübeleien.

»Du hättest die Ausfahrt Rohrdorf nehmen sollen!«

»Was? Wie? Nein, ich fahr die nächste. Da sind wir schneller bei euch.«

Der? Der ist doch ein Kugelfisch

So gegen 21 Uhr, 21.15 Uhr kamen sie am »Wild Wild West« an. Der Parkplatz war schon ziemlich voll, und beim Reingehen dröhnte ihnen »Viva Las Vegas« entgegen. In der Fassung von ZZ Top, die ich persönlich eh für die Beste von allen halte. Elvis hat das ja immer so aus dem Unterleib raus genölt, aber bei den ZZ Top-Jungs, da knallt dir das ganze Las Vegas in den Kopf. Du siehst die vielen glänzenden Autos, die Menschenmassen auf beiden Seiten der Boulevards, die Lichter der gigantischen Hotels, die riesigen Neonreklamen, die Stars wie Jennifer Lopez, Rod Stewart oder die Back Street Boys ankündigen. Aber zurück nach Rosenheim:

Danny und Arnold gingen an die Bar. Arnold schob drei Typen zur Seite. Einer ballte die Faust und drehte sich schnell um. Dann sah er Arnold. Schnell hob er beide Arme, die Handflächen flach nach vorne und grinste dümmlich. Danny klopfte ihm auf die Schulter und ließ seinen Zeigefinger über dem Kopf kreisen: »Bier und Schnaps für alle am Tresen!«

Auer ging zwischen den voll besetzten Tischen durch und hämmerte zweimal an die Bürotür, bevor er sie aufschwingen ließ. Chili, hinter seinem Schreibtisch sitzend, die gestiefelten Füße auf dem Tisch, hielt sein Handy ans Ohr. Mit erhobenem Zeigefinger gebot er dem Max, die Tür zu schließen und sich zu setzen, dann sprach er weiter: »Was? Nein, das war die Tusse von der Bar. Ich ruf dich an, sobald sie zurück sind. Nein, sie haben nicht hier angerufen. Was? Jetzt geh, Heinzi, ich kann sie doch nicht alle drei erschießen. Gut, den Max vielleicht, aber die anderen zwei? Weißt du überhaupt, wie schwer man heute qualifiziertes Personal bekommt? Was? Na also. Wir? Ja, klar. Die ganze Produktion hat er dir versprochen? Der spinnt doch. Was? Ja dann. Na servus, das kostet mich ein Vermögen.«

Der Chili legte das Handy auf seinen Bauch, holte eine Flasche Jack Daniels aus dem Schreibtisch und fischte ächzend zwei Gläser aus dem Regal hinter sich.

Dann drehte er den Verschluss auf, schob Max die Flasche rüber und kreiste mit dem Finger über den Gläsern, das Handy schon wieder am Ohr: »Heinzi, hallo? Bist du noch da? Ja, da war grade so ein statisches Rauschen und du warst weg. Aber jetzt verstehe ich dich wieder. Wie? Schon klar, wenn er das gesagt hat, dann stehe ich zu seinem Wort. Du kriegst alles in drei oder vier Wochen. Als Zugabe, Schmerzensgeld oder so gebe ich dir eine Roh-DVD, die ich letzte Woche gemacht habe. ›Geile Klempner beim Rohrverlegen‹. Echt gut. Mit Nachwuchstalenten. Was? Okay, du hörst von mir. Tschau, Heinzi. Wie? Ja, du mich auch. Gute Besserung. Over.«

Chili ließ zischend Luft aus seinem Brustkorb und nahm einen Schluck Bourbon: »Ahhh, jetzt geht es wieder. Sag einmal, warum wolltet ihr euch da drüben gegenseitig die Ohren abschneiden? Macht man das jetzt so?«

»Die haben damit angefangen. Der Heinzi ist ausgetickt, der ist in seinem Steifftiermantel rumgehüpft wie ein Derwisch und hat seinem Sklaven befohlen, mir an die Ohren zu gehen.«

»Ja, so was macht er gerne. Er hat halt einen schrägen Humor. Aber: Ich habe dich gewarnt. Der Typ ist von einem anderen Planeten. Gut, dass meine Jungs dabei waren.«

»Der Kleine mit seiner Robert-De-Niro-Nummer, der ist schon ein Hammer.«

 

Chili strahlte: »Ja, oder? Ich hab ihm die Szene gezeigt. ›Taxi Driver‹. Robert mit Irokesenschnitt. Die kleine Kanone mit einem Stück Vorhangschiene und auf Rollen. Wow. Hat der Kleine alles selber gebastelt, nachdem er sich die Sache im Film ein Dutzend Mal angesehen hat. Robert macht das ja glasklar vor. Hast du ›Taxi Driver‹ auch gesehen?«

Max nickte, den Mund voll mit Jacky D.

»Und der Große hat nicht geschossen? Mit seiner Schrotspritze?«

Max schüttelte den Kopf.

Chili kratzte sich am Ohr: »Komisch, macht er sonst gerne. Vielleicht war das Ding nicht geladen? Ist ja auch egal. Der Heinzi hat einen glatten Durchschuss im Oberschenkel. Die haben ihn zu einem Arzt gefahren, der auch zockt und die Brüder wieder auf Vordermann bringt, wenn was ist. Der Heinzi organisiert ja auch diese Boxkämpfe ohne Regeln und Handschuhe. Im Käfig oder in einer Grube. Da brauchst du als Arzt viel Fantasie, wenn du solche Kerle wieder auf menschliches Aussehen trimmen sollst.«

Chili strich mit den Fingern durch seinen strohblonden Pferdeschwanz und griff dann in eine Schublade. Aus der holte er zwei 500er, schob sie dem Auer rüber und klopfte mit dem Zeigefinger drauf: »Hier, Lärmzuschlag und Bonus. Hast du gut gemacht. So bin ich fein aus der Sache raus. Gschamster Diener, sagt danke. Der Spruch ist vom Heinzi. Diese Österreicher. Sind immer lustige Burschen, auch wenn sie ein zusätzliches Loch in den Kadaver gestanzt kriegen, was?«

Der Auer wollte aufstehen, aber Chili hob die Hand: »Bleib sitzen. Ich hab vorhin noch was aufs Handy gekriegt. Ein Video von der Sissi. Schau dir das an und sag mir, ob du dadraus schlau wirst.«

Chili fummelte an seinem Samsung rum, drückte ein paar Tasten und schob das Handy zu Max rüber.

Jetzt stell dir das mal vor: Displayfüllend das verheulte Gesicht von der Sissi. Die goldblonden Haare zerzaust, das Augen-Make-up verwischt, sodass sie aussah wie einer dieser Nachwuchsvampire aus »Biss zum Morgenrot« oder wie diese Filme heißen.

In der einen Hand eine Zigarette mit viel Asche dran, in der anderen ein Glas mit einer blassblauen Flüssigkeit. Max drückte auf »Pause« und schaute sich den Hintergrund an: Gelb-rote Blümchentapeten wie aus der Ex-DDR, weiter hinten eine mit einem Nachthemd oder so was Ähnlichem abgehängte Stehlampe. Das Bett fleckig und zerwühlt. Jedenfalls das, was man sehen konnte.

Max drückte »Play«, der Kopf von der Sissi ruckte wie bei einem Huhn, dann hörte er ihre Stimme: »Chili, Schatz, schau, wie i schau. Gut geht’s mir nicht, aber es ist alles nicht so schlimm, wie du vielleicht meinst. Du machst dir wahrscheinlich wahnsinnige Sorgen, deswegen meld ich mich ja. Ich darf eigentlich mit niemandem sprechen, aber ich hab ihm vorhin sein Handy aus der Jacke gezogen. Chili, unternimm nix, lass deine Hunde nicht los, ich krieg das alles irgendwie in den Griff. Glaub auch nicht, was andere dir vielleicht erzählen, ja? Ich muss Schluss machen, unten geht wer die Treppe hoch. Tschau Schatz, ich hab dich ja so geliebt. Fast, jedenfalls, ich meine, du weißt schon. Bussi!«

Dann wurde das Display dunkel. Max spielte die Nachricht zurück und schaute sich das Video noch mal an. Und dann noch mal.

»Willst du es gerne auf Endlosschleife haben oder was wird das?«

Max nickte, ohne die Augen vom Display zu lassen: »Ja, gib mir das auf mein Handy. Der Hintergrund, ich weiß auch nicht. In München bin ich durch so viele Puffs marschiert, dienstlich und privat, aber … irgendwie, ich hab so das Gefühl, dass ich das Zimmer schon mal betreten habe. Ich will mir den Film auf den Laptop spielen und den Hintergrund rausarbeiten. War eine Nummer dabei? Irgendwas?«

Chili grinste: »Anonym, ist doch klar. Was hast du denn erwartet. Sag dem Brunner kein Wort davon, klar?«

Max schaute auf: »Dem mache ich morgen einen Überraschungsbesuch im Büro. Dann falte ich ihn auf DIN-A4, so wird der Knabe schnell kooperativ. Der muss was wissen. Und das wird er mir sagen. Bin ich den beiden da draußen was schuldig für die Nummer in Salzburg?«

Chili lachte und schüttelte den Kopf: »Spinnt du jetzt? So was wie heute gehört zur Jobbeschreibung. Außerdem freue ich mich, dass die beiden mal ein bisschen rausgekommen sind und Spaß hatten. Man muss seinem Personal ein angenehmes Arbeitsumfeld bieten, die müssen sich gefordert und bestätigt sehen. Psychologie, verstehst?«

Es wurde an die Tür geklopft, die ging einen Spalt auf, dann war der Kopf der Bardame zwischen Tür und Türstock: »Darf ich eine Sekunde reinkommen oder störe ich grade?«

Chili winkte ihr, und sie kam ins Zimmer. Nervös strich sie mit den Händen über ihren extrem kurzen goldglänzenden Mini: »Chef, ich hab da was Wichtiges morgen früh. Die Sonja übernimmt jetzt draußen für mich die Bar, und …«

Chili nahm die Stiefel von Schreibtisch und beugte sich vor: »Ja, was ist denn? Red doch endlich! Hast du wieder mal Ärger mit deinem Kerl?«

»Mit dem Roberto? Den hab ich schon vor zwei Wochen entsorgt. Nein, es geht um den Carlo.«

»Schon wieder ein Italiener? Was haben die, was ich nicht habe, das vielleicht?« Chili hielt die Handflächen in einem Abstand von circa 30 Zentimetern vor sein Gesicht und grinste dreckig.

Auer stöhnte und schloss die Augen.

»Ach was, hör mir auf mit Kerlen. Der Carlo, das ist mein Kater. Der schwarze, den kennen Sie doch, Chef. Ich hab ihn auf der Weihnachtsfeier dabeigehabt und Sie haben ihn gestreichelt. Erinnern Sie sich?«

Chili überlegte: »Ja, klar. Und, was ist mit ihm? Soll ich ihn erschießen?«

Sie sagte: »Nein, ich hätte gerne, dass er heute hier im Büro übernachten kann, weil ich ja nach Niederbayern muss. Todesfall in der Familie. Da kann ich nicht mit einem schwarzen Kater auf den Friedhof gehen. Die sind doch alle so abergläubisch bei uns in der Familie.«

»Laura, dein Kater ist kein Kater, sondern ein fetter Kugelfisch. Weil du ihn zu Tode fütterst. Du hast dir einen Kugelfisch rangemästet. Und, siehst du hier irgendwo ein Aquarium? Schau ich aus wie einer, der mit fetten Fischen kuschelt?«

»Jetzt werden S’ nicht gemein, ja? Der Carlo hat sein astrologisches Idealgewicht. Er ist muskulös, aber nicht fett. Neun Kilo für einen Kater sind heutzutage nicht unnormal. Nicht besonders, jedenfalls. Ich hab ihn samt Korb im Auto. Da bei Ihnen unter dem Schreibtisch, da tät es ihm bestimmt gefallen. Und morgen ist er wieder bei mir. Bitte, bitte, ja? Nur bis morgen Nachmittag, Chef?«

»Ich bin einfach zu gut für diese Welt. Bring das Monster und leg ihn hier ab. Wenn ich Flöhe krieg oder sonst was, dann ist er dran.«

Die junge Frau warf dem Chili eine gehauchte Kusshand zu, machte einen Knicks und verschwand.

Max stand auch auf: »Ich mach mich vom Acker. Mal schauen, vielleicht krieg ich aus dem Video was raus. Du hörst von mir. Servus.«

Chili wedelte müde mit der Hand und griff nach der Jack-Daniels-Flasche. Die Kneipe war mittlerweile brechend voll. Lichtblitze zuckten von den zwei alten Discokugeln über der winzigen Spiegeltanzfläche. An der Stange, die direkt auf dem Bartresen und oben an der Decke verankert war, tanzte eine blasse, üppige Rothaarige und verrenkte sich zu »Rockin’ all over the World« von »Status Quo«. In ihrem dunkelroten String steckten 10er, 20er und ein 100er.

Als Max hinter den Bartrinkern vorbeiging, vollführte sie eine gewagte Drehung, warf die Beine in die Luft, und ein Absatz ihrer Highheels rauschte bedenklich nahe an Auers Nase vorbei.

Danny und Arnold lümmelten an ihrem Zweiertisch nahe den Separees und winkten Max zu. Arnold verzog sein narbiges Gesicht zu einer fürchterlichen Grimasse, die man mit viel Fantasie als Grinsen interpretieren könnte.

Geh, iss doch was …
Ich bin extra aufgeblieben

Es ging auf 22 Uhr zu, als der Max die Wohnungstür aufschloss und leise in die Diele ging. Aus dem Wohnzimmer fiel Licht, und gleich darauf hörte er Friedls Stimme: »Bub, bist du das?«

»Ja, Tante, es ist ein bissel spät geworden. Tut mir leid.«

»Macht doch nix. Komm rein, Bub, und setz dich ein bissel zu mir. Ich glaub ich hab da was, das haut dich um.«

»Die Sissi? Der Brunner?« Max, immer noch in der Diele, hielt sich mit einer Hand an der Kommode fest, während er aus seinen Schuhen schlüpfte. Bitte nichts Neues mehr, dachte er sich, für heute ist wirklich genug zusammengekommen.

Die Friedl winkte ihn zum Tisch, deutete auf einen Stuhl, und Max sah, dass Besteck und eine Serviette vor ihm lagen.

»Wart, ich hol dir schnell ein kaltes Bier, dann isst du einen kleinen Happen, und dann erzähl ich dir was. Hast du ein bisschen Appetit?«

»Und wie. Essen passt immer. Ich hab seit dem Frühstück nichts mehr auf die Gabel gekriegt. Was gibt es Feines?«

»Der Manni und ich, wir haben schon gegessen, um sieben. Er hat sich einen Rinderschmorbraten in Biersoße gewünscht. Weil es da, wo er war, ganz wenig Bier gegeben hat, sagt er. Dazu ein paar schöne Brezenknödel. Das wird dir auch schmecken.«

Der Max hat natürlich schon gemerkt, dass der Manfred nicht zu sehen war. »Wo ist er denn?«

»Der Braten? In der Röhre, ich hab ihn dir warmgehalten. Ach so, du meinst den Manni? Der ist vorhin noch mal schnell weg, ein bisschen spazieren, hat er gemeint. Der kommt bestimmt gleich wieder. So, hier hast du dein Bier, ich bring jetzt den Braten. Der ist was ganz Spezielles, wirst schon sehen.«

Gut, jetzt denkst du dir sicher, ein Rinderbraten? Was ist so Besonderes an einem Rinderbraten? Kann schon sein, aber dieser hier, den koch mal nach, dann verstehst du, was die Friedl meint.

Friedls Dunkelbierbraten

Du brauchst: 1 Kilogramm gutes Rinderschmorfleisch, 100 g Tiroler Speck, 2 Zwiebeln, eine Flasche dunkles Bier, Suppengrün, Salz, Pfeffer und ein bissel Mehl.

So, jetzt brätst du den Speck aus, nimmst ihn aus dem Bräter und bräunst das Fleisch von allen Seiten. Schön braun, bei starker Hitze, wie Urlaubsbräune. Dann weniger Hitze, gib die geschnittenen Zwiebeln und das Suppengrün dazu. Und wenn das alles schön durchgeschwitzt ist, gießt du einen Viertelliter von dem Bier drüber. Jetzt salzen, Deckel auf den Bräter und zwei Stunden bei milder Hitze ziehen lassen. Dann den Rest des Bieres drauf, mit ein bissel angerührtem Mehl eindicken und in der Restwärme noch ein Viertelstündchen ziehen lassen. Zwiebeln und Suppengrün kannst du ruhig in der Soße lassen, weil du das Fleisch jetzt kurz rausnimmst und die Soße mit dem Blitzhacker bearbeitest. Nun noch nachwürzen (Salz und Pfeffer), das Fleisch in Scheiben schneiden, in die Soße legen und nach ein paar Minuten servieren.

Die Brezenknödel, die machst du genau wie Semmelknödel, nur mit alten, geschnittenen Brezen (gibt es in Bayern bei jedem Bäcker, man muss nur danach fragen = Brezenknödelbrot von 10 Brezen)

Das gibst du in eine große Schüssel, dann bräunst du eine gehackte Zwiebel in Butter und etwas Knoblauch, gibst gehackte Petersilie dazu und gießt mit einem Viertelliter Milch auf. Die warme Mischung über das Knödelbrot geben, dann vier Eier drüber, etwas Muskat und Salz und zwei Esslöffel Mehl. Alles vorsichtig durchkneten und zwei Stunden stehen lassen. Dann die Knödel formen, in viel Wasser circa 30 Minuten ziehen lassen und fertig. Supergut.

Aber zurück zum Tisch im Wohnzimmer bei der Friedl: Der Max, der es eigentlich nicht gewöhnt war, um diese Zeit noch so schwer zu essen, kaute langsam und schnitt das Fleisch in kleine Stücke. »Echt gut, einfach alles schmeckt super. Was wolltest du mir denn erzählen?«

Die Friedl legte ihre Hände flach auf die Tischmitte. »Wie gefallen dir die Fingernägel?«

»Ja hoppala, da sind ja kleine Glitzersteine drauf. Und die Farben erst. Mein lieber Mann. Trägt man das heute so, als spätverliebter Teenie?«

Das glaubst du jetzt vielleicht nicht, aber die Friedl wird rot und kichert wie ein Schulmädchen. Dann klopft sie dem Max auf den Handrücken, sodass das Stück vom Brezenknödel von der Gabel hüpft und wieder auf den Teller plumpst.

»Bub, red nicht so mit deiner alten Tante. Und jetzt pass auf. Ich geh ja alle paar Wochen mal zu meinem Asiaten in der Kaiserstraße. Nägel und so. Der hat aber diese Woche zu, also marschiere ich in die Färberstraße, denn da ist ein neues Nagelstudio. Stand vor ein paar Tagen in der Zeitung. Keine Kundschaft da, also komme ich gleich dran. Die Nagelöse oder wie man die nennt, die feilt an meinen Händen, und ich schau mir die an. Ein Rasseweib, so um die 30 oder ein bissel jünger. Sehr gut gebaut, und zwar überall. Wenn ich ein Mann wäre, dann tät ich bei so einer das große Kribbeln kriegen, am ganzen Körper, innen und außen, verstehst du, was ich meine?«

 

Max, mit vollem Mund: »Nicht ganz. Fährst du jetzt zweigleisig? Männlein und Weiblein? Soll ich sie für dich anquatschen? Die Brücke machen? Mit Frauen kann ich ganz gut.«

»Das wird nicht nötig sein, mein lieber Bub, weil ich glaube, du kennst sie schon. Und sie dich. Das hab ich ihr aber nicht gesagt. Aber mit dir wette ich jetzt und hier um eine Flasche Bombay-Gin und eine Kiste Schweppes, dass du morgen in der Färberstraße auf der Matte stehst.«

»Echt jetzt. Wieso sollte ich das tun?« Max legte sein Besteck ab, nahm einen kräftigen Schluck Bier und schaute die Friedl neugierig an.

»Erinnerst du dich an die Frau, die du vor ein paar Jahren mal über die Weihnachtsfeiertage mitgebracht hast? Du wolltest mit ihr in die Berge, hattest dienstfrei und warst so stolz auf sie, das weiß ich noch. Und der Otti, der Herr hab ihn selig, der hat abends neben mir im Bett gestöhnt und gesagt: ›Wo kriegt der Kerl diese Weiber her?‹ Die war aus Starnberg, glaube ich. Rosi. Die Rosi aus Starnberg. So, und was sagst du jetzt?«

Jetzt? Jetzt hättest du den Auer Max sehen sollen, ja, was glaubst du denn? Er hat geguckt wie ein Eskimo in der Wüste. Die Rosi. Mann. Eine Prinzessin aus dem Königreich der wilden Jahre.

Eine Haut wie ganz heller Milchkaffee, dunkle Haare, einen Busen, für den sie einen Waffenschein gebraucht hätte, lange Beine und tolle Hüften. Das Faszinierendste waren ihre Zähne. Weiß wie neuer Schnee, und die beiden Eckzähne etwas länger und spitz zulaufend wie bei einem Wolf. Damit hat sie so ein bösartiges Lächeln hingekriegt, das zusammen mit den tiefschwarzen, mandelförmigen Augen jeden Kerl umgehauen hat. Auch den Max, schon klar. Sie war Tänzerin, ihre Frisuren änderten sich nach Tageslaune, und die Welt war ihr Laufsteg. Der Max und die Rosi. Acht Wochen im Paradies. Aber diese Geschichte erzähle ich dir ein anderes Mal.

»Die Rosi? Wie kommt die nach Rosenheim? Die hat sich doch damals in München so einen Schicki-Micki-Typen angelacht. Einen, der jeden Monat mit einem anderen Porsche antanzte. Seitdem hab ich nichts mehr von ihr gehört. Warum auch. Na so was, die Rosi. Und sie sieht gut aus?«

»Wie schon der Name sagt. Warum habt ihr euch eigentlich getrennt? Jetzt kannst du doch drüber reden, oder?«

Max kratzte sich an der Nase und griff nach dem Bier. »Ich wollte sie heiraten. Sie war die erste Frau in meinem Leben, bei der ich gedacht habe, das ist sie, genau die.«

»Aha, und dann?« Friedl stand auf, ging mit schnellen Schritten in die Küche und kam mit einer kalten, beschlagenen Flasche Bier zurück, auf der das Kondenswasser über das Etikett lief.

»Dann? Hat sie gesagt, Junge, du bist bei der Bullerei. Mit denen bist du verheiratet. Glaubst du, ich will immer daheim sitzen und warten, ob einer deiner Kollegen kommt und sagt: ›Rosi, du musst jetzt ganz stark sein‹, und dann nehmen sie mich mit, weil ich dich identifizieren muss? Vergiss es.

Wir haben gestritten, und nach ein paar Tagen hab ich sie zum ersten Mal mit dem Porschedeppen auf der Leopoldstraße gesehen. Im offenen Cabrio. Auf meine Telefonate hat sie nicht reagiert. Das war’s.«

»Hier, trink den Schaum ab, sonst läuft der auf mein Leinen. Also, sie erzählt so, und ich frage, ja, wo kommen Sie denn her, sind Sie von hier? Und sie sagt, nein, ich bin eigentlich aus Starnberg, hab aber in München gelebt.

In München, sag ich, ja da schau her. Und warum geht man von München nach Rosenheim? Dabei hab ich mich eigentlich schon geärgert, dass sie mich nicht wiedererkennt. Bin ich so alt und hässlich geworden oder was. Andererseits, ihr wart ja nur kurz bei uns und seid dann weiter, in ein Liebesnest in den Bergen. Und so verturtelt, wie ihr gewesen seid, da hat mich die Dame vielleicht gar nicht richtig angesehen. Ich verzeih ihr insgeheim und rede weiter, ich sag, ja, was ham S’ denn gemacht in München? Ach, sagt sie, ich war mal Tänzerin. Ist schon lange her. Dann hab ich mir ziemlich überstürzt einen Kerl geschnappt, einen Autoverkäufer. Eigentlich hab ich das nur gemacht um einen anderen, den ich sehr gemocht habe, zu ärgern. Verstehen Sie das? Ich nicht.«

Friedl wedelte mit der Hand vor dem Gesicht vom Auer: »Mach den Mund zu, Bub, es zieht.«

Max klappte den Unterkiefer hoch und wollte was sagen, aber er bekam nur ein Krächzen heraus. Also nahm er einen heftigen Schluck aus der Bierflasche: »Und?«

»Nix und. Sie hat meine Nägel gemacht und hat mich nicht mal beim Zahlen richtig angeschaut. Und weißt du was? Ich hätte schwören können, dass sie feuchte Augen hatte, als sie mit ihrer Geschichte fertig war.«

»Welcher Geschichte?«

»Ist doch klar. Das mit dem Typen hat nicht lange gehalten, dann war sie wieder solo. Und München stand ihr plötzlich bis obenhin. Sie hat von dem Salon in Rosenheim gehört und ihn angemietet. Jetzt wohnt sie hinter dem Laden, in einer Zweizimmerwohnung. Alleine. Ist mir ein Rätsel, warum so ein Vollweib alleine wohnt. Aber was verstehe ich arme alte Frau schon vom Leben? Na, wie schaut’s aus mit meinem Gin?«

»Schon gewonnen. Weil wir grade von feuchten Augen sprechen: Schau dir mal das hier an.«

Max holte sein Handy raus, spielte das Sissi-Video auf und gab der Friedl das Mobiltelefon über den Tisch. »Kam heute rein. Kommt dir die Tapete bekannt vor? Oder die Lampe? Oder sonst irgendwas in dem Filmchen?«

Friedl schlug sich mit der flachen Hand auf den Mund: »Heilige Maria, das ist ja die Sissi. Wie schaut denn die aus? Wo ist sie denn da? Wie geht’s ihr?«

»Keine Ahnung. Der Raum, schau dir den Raum an. Was meinst du?«

»Also die Sakristei unserer Stadtkirche ist das nicht. Das ist in einem Puff. Typisch. Aber das Zimmer ist in keinem von unseren.«

Max verschluckte sich: »Was?«

Die Tante wedelte vor ihrer Nase: »Jetzt stell dich nicht so an. Der selige Otti hat ein paar Beteiligungen an solchen Etablissements hier in der Stadt. Die hab ich geerbt. Da musst du übrigens auch mal was machen. Nachschauen, Anwesenheit zeigen, du bist der neue Sheriff in der Stadt und so. Ich als alte Frau kann ja keinen mehr erschrecken. Warte mal … die Augen … da stimmt was nicht. Spiel noch mal die Stelle, wo sie so in die Kamera heult, wo man das Gesicht in Großaufnahme sieht.«

Max nahm das Handy, suchte die Einstellung und drückte auf die Stopptaste: »Das hier? Was ist damit?«

Die Friedl nahm das Teil, kniff die Augen zusammen und meinte: »Genau. Was fällt dir auf, wenn du dir die Augen anschaust und die Partie rund um die Augen? Was?«

»Keine Ahnung. Ich schminke mich relativ selten. Sie weint. Deswegen verläuft ihr die Schminke. Wo ist das Problem?«

Friedl lächelte nachsichtig: »Mei, Bub, du hast ja keinen Schimmer. Die Schminke ist der rund um die Augen verlaufen. Oben genauso wie unten. Wer heult denn hochkant? Und die Striche, die Linien, die wie kleine Blitze unterhalb der Augenbrauen nach unten verlaufen? Tränen gleiten gerade herunter. Da drängelt sich in echt keine vor, und die verteilen sich auch nicht nach diesem Blitzmuster hier. Noch was: Die Sissi schaut aus, wie wenn sie schielen würde. Den Effekt kriegst du nur hin, wenn du über die Kamera schaust. Wie auf einen Teleprompter. Ist dir noch nie aufgefallen, wenn du auf ORF1 oder ORF2 die Nachrichten schaust, dass die jungen Damen, diese Moderatorinnen, scheinbar alle schielen? So viel Gschiaglade gibt es nicht einmal in Österreich. Und das will was heißen. Weil wir gerade von Österreich reden: Hast du heute die Nachrichten gehört? Nein. Das sehe ich dir an. Also, die Chinesen haben Österreich den Krieg erklärt. Alle 15 Millionen chinesischen Soldaten werden das kleine Österreich innerhalb von 24 Stunden erreichen. Und der Sebastian Kurz, der Oberösi, der hat dem chinesischen Botschafter in Wien am nächsten Tag gesagt, man hat reichlich drüber nachgedacht, und man kann das freundliche chinesische Kriegsangebot bedauerlicherweise beim besten Willen nicht annehmen. Weil, hat er gesagt, wir hier in Österreich einfach nicht genug Zellen für die 15 Millionen Gefangenen haben.«

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