Tatort Rosenheim

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Die drei großen »B«:
Bumsen, Benthaus, Borsche

Gut, denkst du dir jetzt, das war aber nicht die feine englische Art. Aber auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil, ja, was glaubst du denn? Auf jeden Fall hat sich die Friedl fürchterlich gefreut, hat den Max an ihre Brust gedrückt und den Manfred abgebusselt. Dann hat sie 1.000 Euro abgezählt und dem Max und dem Manni jeweils 500 gegeben: »So, Männer. Und das ist erst der Anfang. Ich hab das kleine schwarze Buch vom Otti durchgeschaut. Da sind noch ein Dutzend Leute, die uns Geld schulden. Er war ja so ein guter Mensch, mein Otti. Und wenn einer in Not war, und wir haben den gekannt, dann hat mein Otti immer was gegeben. Gegen ein bissel Zins natürlich. Und das holt ihr mir jetzt peu à peu zurück, gell? Übrigens, vor fünf Minuten hat der Chili angerufen. Du sollst ihn anfunken, sagt er, weil er was für dich hat.«

Max klopfte dem Manfred auf die Schulter: »Ach was, da fahren wir gleich selber raus. Du kommst mit, ich stelle dich vor. Ups, jetzt haben wir die Brezen vergessen, Tante.«

»Macht nichts, Bub. Fahrt ihr mal los, ich geh frühstücken. Vielleicht treffe ich eine von meinen Freundinnen und kann ein bissel ratschen.«

Als sie das »Wild Wild West« gegen 10 Uhr betraten, war der Laden hell erleuchtet, und zwei Putzfrauen schoben lärmende Kehr- und Sauggeräte durch das Lokal. Die Stühle standen auf den Tischen. Danny und Arnold saßen mit noch einem Kerl in einer der Nischen vor dem Büro, und Danny erzählte mit lauter Stimme: »Ja, und ich hab dann natürlich diese Superschnitte abgeschleppt und die ganze Nacht gebumst wie der Teufel. Die war fast zwei Meter groß, hatte Möpse wie Napfkuchen und hat im Ernst gedacht, ich sei Danny DeVito. Sogar beim Frühstück noch, weil ich nach Ahornsirup gefragt habe.«

»Wer?« Der andere Kerl beugte sich halb über den Tisch.

»Na, der Hollywood-Star. Danny DeVito, Mann. Kennst du doch, den Film, oder? Zwillinge, mit Schwarzenegger. Hey, findest du nicht, dass mein Partner wie Arnie aussieht? Ganz im Ernst jetzt?«

Manfred und Max waren am Tisch angekommen. Danny sagte: »Hoppala, wer ist denn das? Kenn ich den?« Und zu dem Kerl am Tisch: »Gut, lass den Umschlag hier und mach dich vom Acker. Geh mal in eine Videothek und hol dir den Film. Zwillinge, mit Schwarzenegger und mir. Wenn du nächste Woche zum Abliefern kommst, geb ich dir ein Autogramm, wenn ich gut gelaunt bin. Und jetzt: Mach den Abflug!«

Der Kerl rutschte von der Sitzbank, nickte allen zu und ging.

Danny zeigte auf die Bürotür: »Der Boss ist drinnen. Wer ist der Neue?«

»Verwandtschaft. Ein entfernter Onkel. War in Afrika, auf Großwildjagd und so. Jetzt jagt er hier für uns.«

»Cool. Hast du mal ’nen Bären geschossen?«

Die Frage war an Manfred gerichtet, der schaute erst Max an, dann die beiden in der Nische: »Kann schon sein. Warum? Läuft hier noch einer rum, oder was?«

Danny lachte: »Ah, der Kerl gefällt mir. Willkommen in der Irrenanstalt. Geht rein zum Boss, Mädels.«

Chili war am Telefonieren, die Füße auf dem Schreibtisch und den Chefsessel zurückgeklappt. Er winkte und zeigte auf die Stühle: »Was? Nein, ich hab grade Besuch bekommen. Ja, ich hab dich verstanden. Bumsen, Borsche, Benthaus. Die drei großen ›Bs‹ im Leben eines echten Mannes. Ich arbeite dran. Was? Ja, du mich auch. Bis dann!«

Chili legte das Handy auf die Schreibtischplatte und schaute erst Manfred, dann Max an. Mit dem Kinn zeigte er auf Manfred: »Weiß der Bescheid?«

»Der, das ist mein lange verschollener Onkel Manfred. Mütterlicherseits. Gehört also zur Familie. Ist in unserer Branche tätig und flexibel, was das Lösen von Problemen angeht. Also, was steht an?«

»Du kannst mit dem Schirmer Heinzi reden. Heute Abend um acht. Er hat am Stadtrand zu tun, und deswegen hat er den Treff vorgeschlagen. Hier!«

Chili schob einen Zettel über den Schreibtisch: »Da steht alles drauf. Hast du ein Navi in deiner Kiste?«

Max nickte.

»Gut. Dann gib das hier ein. Sei pünktlich. Der Heinzi wartet nicht. Und er sagt, zwei Leute von ihm und maximal zwei Leute von dir. Mehr dürfen nicht aufschlagen. Wenn er mehr sieht, gibt es Ärger. Also halt dich dran. Ist dein Onkel gut mit der Zimmerflak?«

Chili schaute den Manfred an, der sagte: »Eher die großen Kaliber. War Scharfschütze bei den Gebirgsjägern. Ist aber schon lange her.«

Chili nickte: »Dann lassen wir den Onkel daheim, und du nimmst meine beiden mit. Wenn’s Ärger gibt, lass den Kleinen alles machen, der kennt sich mit so was aus. Wenn’s knallt, leg dich einfach hin und komm ihnen nicht in die Quere. Steh erst wieder auf, wenn außer den beiden alle anderen am Boden liegen. Die sind ein eingespieltes Team.«

»Warum ist der Schirmer so vorsichtig?«

Chili fischte einen silbernen Flachmann aus einer Schublade seines Schreibtisches, nahm einen Schluck und machte: »Ahhhh.« Dann rülpste er und meinte: »Der Heinzi hat vor einem Jahr ein bissel Zoff mit ein paar Jugos gehabt. Ein Wort gibt das andere, und die haben ihm die Milz weggeknallt, bevor die Burschen vom Heinzi die Jugos über den Hades gerudert haben. Jetzt ist er halt ein wenig penibel geworden. Wie er sich sagt, er kann nicht jedes Mal auf ein Körperteil verzichten, bloß weil es Ärger gibt.«

Er nahm noch einen Schluck: »Wuhu, der haut rein. Ich würd dir ja gerne was davon anbieten, aber … Ach, was ich noch sagen wollte: Der Heinzi ist ein bissel cholerisch. Genaugenommen sogar ziemlich cholerisch.« Chili wackelte mit dem Kopf: »Wenn ich ganz ehrlich sein soll, und das bin ich eher selten: Der Heinzi ist ein gelernter Irrer, mit langer Berufserfahrung. Dementsprechend sind auch seine Mitarbeiter. Lauter Abrissbirnen, die er da um sich geschart hat. Na ja, ein normaler Mensch wie ich würde für einen wie den Schirmer Heinz eh nicht arbeiten. Pass auf: Ich will nicht, dass der den geehrten Stadtrat und Bankdirektor Brunner aufschlitzt und ausstopfen lässt. Der Brunner hat 35.000 Euro Schulden beim Heinzi. Die kann er im Moment nicht zahlen. Und ich will sie nicht zahlen, so lieb hab ich den Brunner nun auch wieder nicht. Aber ich brauch ihn noch für die zwei Sachen. Also red mit dem Heinzi, sag ihm, der Brunner ist pleite, seine Alte ist ihm abhanden gekommen und er ist in einem Trauerkoma. Ich, der Chili, geb dem Heinzi meinen nächsten Leberkäs-Porno. Die Master-DVD, das Copyright und die Druckvorlage für das Cover. Er kann damit machen, was er will. Dafür streicht er die Schulden vom Brunner und wir sind alle wieder gute Freunde. Aber er muss dem Brunner Spielverbot in Österreich geben, mindestens drei Monate lang. Machst du das für mich?«

»Wer bezahlt?«

»Bezahlt was?«

»Den Risikozuschlag. Ich werde hier auf einen Geisteskranken losgelassen. Wenn’s einfach und problemlos wäre, dann würdest du selber hinfahren. Oder die beiden da draußen mit einem Zettel losschicken.«

Chili kramte in der linken Schublade, zog ein paar Geldscheine heraus, legte sie auf den Schreibtisch und schob sie mit dem Absatz seines braunen, narbigen Westernstiefels in die Tischmitte: »Hier. Das ist ein 1.000er. Was meine Jungs anbelangt: Die kannst du nicht einfach so losschicken, das wirst du schon noch merken. Also, was ist, haben wir einen Deal?«

»Weiß der Brunner davon?«

»Dass er Schulden hat? Weiß er. Dass er nicht zahlen kann? Weiß er auch. Dass du ihm heute Abend den Arsch rettest? Weiß er nicht. Das sagen wir ihm auch nicht. Das kommt auf seinen Deckel, und wenn es so weit ist, dass er für mich die Immobiliensache durchziehen muss, dann kriegt er die Rechnung präsentiert. Mit Mehrwertsteuer.«

Der Auer Max kratzte sich am Kopf, dann nickte er und nahm das Geld. Er war schon fast aus dem Büro raus, da klatschte sich der Chili mit der flachen Hand auf die Stirn und rief ihm nach: »Hätt ich jetzt fast vergessen, Max. Schau dem Heinzi nicht auf das Glasauge, das mag er gar nicht.«

Max drehte sich um: »Was?«

»Ja, der Heinzi hat ein Glasauge. Das rechte. Das glotzt immer in alle möglichen Richtungen, weil es so locker in der Augenhöhle sitzt, dass er es bei Bedarf rausnehmen kann.«

»Er nimmt es raus. Interessant.«

»Nein, nicht, was du denkst. Aber manchmal, da kann er echt witzig sein. Wir waren mal in so einer Bauernwirtschaft beim Essen. Der Heinz hatte Obatzten, das ist der angemachte Käse, der auf dem Teller ausschaut, als hätte ihn grad vorhin schon mal jemand gegessen. Pass auf, es war so, dass dem Heinzi der Käs nicht geschmeckt hat. Deswegen nimmt er sein Glasauge raus, setzt es oben auf den Obatzten, sodass es traurig zur Decke starrt, und ruft die Bedienung. Er sagt: ›Fräulein, jetzt schauen S’ einmal, was ich da auf dem Teller gefunden hab‹. Die Frau schaut dem Auge ins Auge, schreit und kippt ohnmächtig um. Wir haben dann woanders gegessen.«

Max grinste: »Der Mann hat Humor, echt jetzt. Bis später. Ich hol die Jungs hier ab. So um sieben rum.«

»Halb acht reicht vollkommen.«

Max schüttelte den Kopf: »Passt schon. Sieben. Ich will mir das Terrain vorher ansehen und schauen, was man so alles machen kann. Sicher ist sicher.«

Danny, Arnold und Manfred saßen immer noch in der Nische, und Danny sagte: »Und dann sagt die Tussi zu mir, ich habe einen Platten am Auto, vorne rechts, kannst du mal vorbeikommen? Ich sage: ›Der rechte Vorderreifen?‹ Und sie: ›Ja, aber platt ist er nur ganz unten!‹ Verstehst du, was ich meine? Nur ganz unten?«

Manfred lachte, Arnold grunzte und Manfred meinte: »Ich mag ja keine Blondinenwitze, aber warum sitzt eine Blondine in der Wohnung auf dem Heizkörper? Weil der Hausmeister gesagt, hat: ›Vorsicht, Fräulein, der eine Heizkörper im Wohnzimmer leckt!‹«

 

Max klopfte ihm auf die Schulter: »Los alter Mann, dein Mädel wartet.«

Und zu den anderen beiden: »Ich hole euch um sieben Uhr ab. Zieht euch was Warmes an, wir müssen vielleicht ein bisschen auf der Straße mit dem Schirmer Heinzi reden. Der Boss weiß Bescheid. Bis später.«

Die Welt geht noch in Oasch, wenn des so weidageht

Auf der A8 war um 19.15 Uhr nicht mehr viel los. Ein paar LKWs, aber der Berufsverkehr war vorbei, ab und zu machte sich der Max den Spaß und rauschte mit 240 Sachen an einen Porsche oder einen großen BMW ran. Die Fahrer machten panisch Platz und schauten ungläubig dem alten, silbernen Mercedes nach.

Danny und Arnold saßen auf dem Rücksitz. Über ihren glänzenden Polyesteranzügen trugen sie knallrote Trenchcoats und blaue Kangol-Caps. Arnold hatte eine rosafarbene Sonnenbrille auf der Nase.

»Wo habt ihr nur die Klamotten her?« Max schaute lächelnd in den Rückspiegel.

»Das macht alles der Boss. Schicke Mäntel, was? Wenn du willst, kann ich den Chili mal fragen, ober er so einen in deiner Größe hat.« Danny beugte sich zwischen den Sitzen vor, sodass sein Kopf dicht am Nacken von Max war. »Der Boss hat noch einen ganzen Container voll mit Klamotten. Die hat er von einem Chinesen, der bei uns Spielschulden hatte. Wenn ich da mal was für dich tun kann …«

»Schon okay, danke. Ich bin farbenblind. Sag mal, der Dunkelbraune, der mit seinem ganzen Management da war, der ist für den nächsten Film eingeplant, oder? Ich meine, den Titel hast du mir ja schon verraten. Und die Handlung zum Teil auch.«

Danny nickte: »Der Boss sagt, das wird ein Knüller, eine große Nummer, sogar mit Text. Und der Hauptabnehmer hat auch schon vorgegeben, wer alles mitspielen muss. Ein Zitherspieler, eine Sängerin und eben der Braune. Der hat einen Lümmel, der geht ihm bis ans Knie, sagt sein Manager. So was sehen die Asiaten gerne. Das wird unser Durchbruch.«

»Wie viele Filme macht ihr denn so?«

»Einen oder zwei im Monat. Warum fragst du?«

»Nur so. Was anderes: Ihr beide kennt den Schirmer Heinzi und seine Truppe?«

Danny nickte grinsend: »Klar, der Schirmer kauft seine Jungs direkt aus dem Zoo, glaube ich. Die schauen brandgefährlich durch die Gegend, haben aber keine Ahnung von Taktik und so. Ich meine, wenn dich so einer in die Ecke drängt, dann ist Helm ab zum Gebet. Aber so weit wird es nicht kommen. Wir reden ja ganz friedlich, oder?«

»Von mir aus schon. Mal schauen. Hast du Artillerie dabei?«

»Auf dem Ohr höre ich schwer. Nur so viel: Mach du deinen Job und wir machen unseren.«

Auch gut, denkt sich der Max und schaute aus dem leicht geöffneten Seitenfenster. Sie fuhren von der A8 ab, auf die 1 in Richtung Walserberg, als das Handy des Kleinen losdröhnte. »Ja, lebt denn der alte Holzmichel noch« war sein Klingelton. Danny swingte ein bisschen zur Musik, dann hob er das silberne Ding ans Ohr: »Ja, Boss?«

Er verdrehte die Augen: »Warum denn? Osterfeldstraße wäre perfekt gewesen. Ich hab’ mir das auf dem Laptop angesehen. Wo will er jetzt? Ach du Kacke. Und wo da? Auf dem obersten Parkdeck, verstanden. Was? Ganz hinten an der Betonbrüstung? Der Kerl ist doch krank. Was? Klar, wir machen das. Bis gleich, Boss.«

Danny steckte das Handy wieder weg, beugte sich zum Auer vor und meinte: »Regieänderung. Der Heinzi hat sich das anders überlegt. Kennst du das Designer Outlet in Salzburg? Gegenüber ist der Hangar 7 und so?«

Auer nickte und fuhr das Fenster hoch: »Warum das denn?«

»Ich sag’s doch immer, der Kerl ist ein diplomierter Psycho. Also: auf das Parkdeck, ganz oben, Freiluft. Und dort ganz nach hinten an die Betonbrüstung. Das Auto mit dem Heck ganz an die Brüstung ran.«

»Hat der Angst, dass einer mit ’ner MP im Kofferraum sitzt? Dann geht der Deckel auf und … rrrrrt?«

»Der Heinzi ist dermaßen bematscht, der hat vor nichts Angst. Die Angst hat Angst vor ihm. Wir schaukeln das schon. Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.«

Arnold knurrte und würgte ein paar Laute heraus und fuchtelte mit den Händen.

Auer schaute ihm im Rückspiegel zu: »Was meint er?«

Danny lachte: »Er sagt, sogar der Tod verliert seinen Schrecken, wenn man ihn erst mal kennengelernt hat. Damit meint er wahrscheinlich das Bärenweibchen.«

Ein Schwarm großer Krähen flog so tief über die Straße, dass Max abrupt auf das Bremspedal stampfte. Alle drei im Auto wurden trotz der Sicherheitsgurte nach vorne gedrückt, und Danny schaute durch das Heckfenster den schwarzen Vögeln nach. Dann beugte er sich wieder zu Max und sagte: »Als Kind habe ich mal so eine Krähe gehabt.«

»Du warst mal ein Kind? Ist ja ein Hammer.«

Danny klopfte ihm auf die Schulter: »Ehrlich jetzt. Die saß auf einem Baum vor unserem Haus. Es war saukalt, Schnee überall und an den Dachrinnen hingen ganze Batterien von Eiszapfen. Ich geh also wieder rein, hole ein altes Brötchen und renn wieder raus. Unter dem Baum habe ich die Semmel zerbröselt, dann bin ich zur Terrasse gegangen und hab mich hingesetzt. Die Krähe hat blöd geguckt, so wie die halt immer gucken, wenn die nicht wissen, was Sache ist. Dann hat sie sich mit drei oder vier Schwüngen vom Baum gemacht, ist auf den Boden runter und hat die Semmel gefressen, also, die Krümel. Das größte Stück hat sie mitgenommen und ist damit weggeflogen.«

»Echt spannend. Bist du hinterhergeflogen?«

»Blödmann. Pass auf: Am nächsten Tag war sie wieder da. Ich hab Apfelkuchen gehabt, den hab ich ihr gegeben. So ging das zwei Wochen oder so.«

»Immer Apfelkuchen? Das hält doch keine Krähe lang aus.«

»Mann, kannst du nicht zuhören? Irgendwann nach diesen zwei Wochen steh ich unter dem Baum und schau zur Krähe hoch. Die schielt zurück, macht ein paar Flattermoves und sitzt auf meiner Schulter.«

»Echt jetzt?«

»Wenn ich es dir sage. Von nun an hat sie jeden Morgen auf dem Baum auf mich gewartet. Ist auf meine Schulter gehüpft, und wir sind spazieren gegangen. In den Park, durch die Straßen, natürlich nur da, wo fast kein Verkehr war. Eines Nachts im Sommer, ich hab das Fenster in meinem Zimmer offen wegen der Hitze, da sitzt die Krähe doch glatt auf der Lehne des Stuhls vor meinem Bett. Ich werde wach, seh den Vogel und piss mich fast an. Oh Mann!«

»Und dann?«

»Der blöde Vogel ist so zahm geworden, dass er fast jede Nacht in mein Zimmer gekommen ist. Eines Tages kam der Kater vom Nachbarn auch ins Zimmer und hat dem Vogel in den Kopf gebissen. Das war’s.«

»Und der Kater?«

»Das willst du nicht wissen, mein Alter.« Danny lehnte sich im Sitz zurück, und Max dachte sich, ich würde jetzt wetten, dass der kleine Kerl Tränen in den Augen hat.

Arnold neben ihm summte eine fürchterliche Melodie durch die Nase und klopfte den Takt dazu auf seinem Holzbein. Es klang schaurig und schlimm.

Danny beugte sich wieder vor, räusperte sich und sagte: »Wenn ich den so singen höre, da fällt mir ein: Hast du gewusst, dass es einen brasilianischen Froschlurch gibt, der heißt, warte mal, ja, genau, der heißt Brachylephalus …«

»Mit einem L oder mit zweien?«

»Warum hab ich bei dir immer das Gefühl, dass du mich verarschst? Nein, so heißt der. Mit einem L übrigens. Dieser Lurch, also, der quakt unheimlich melodiös. Erreicht aber damit keinen seiner Artgenossen, weil die alle taub sind. Genauso wie er, der Singelurch. Voll taub. Wie findest du das?«

»Soll das eine Anspielung auf Arnold sein?«

Danny schüttelte den Kopf: »Nein. Der Große freut sich und baut Wut auf. Der ist nur so richtig gut drauf, wenn er grantig ist. Da vorne, das riesige Eckhaus, das ist das Outlet. Die Einfahrt zu den Parkdecks ist um die Ecke. Bieg an der Ampel links ab.«

Schweigend fuhren sie die schmale Auffahrt zum obersten Deck hoch. Das war fast leer, und die wenigen Autos standen ziemlich nahe an der Auffahrt und den Ausgängen zu den Shops.

»Heute haben die bis neun Uhr abends geöffnet, normalerweise nur bis sieben. Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit.« Max parkte den Benz vorsichtig rückwärts ganz nahe an der Brüstung. Arnold schaute sich um, drehte sich zu Danny, grunzte und fuchtelte mit den Händen. Danny nickte, fuchtelte zurück und sagte zu Max: »Er meint, er schaut sich mal um. Wir können hierbleiben. In zehn Minuten ist er wieder da.«

»Wo will er sich umschauen?«

»Auf den unteren Decks. Man weiß ja nie.«

Arnold hievte seinen massigen Körper schnaufend aus dem Wagen und ging leicht humpelnd davon. Danny drehte sich nach allen Seiten und nestelte umständlich an seinen Ärmeln rum. Nach ungefähr fünf Minuten kam Arnold zurück. Er beugte sich vor das hintere Fenster und klopfte. Danny ließ die Scheibe runter und Arnold brummelte etwas und bewegte schnell seine Hände.

Danny nickte. »Er sagt, sie sind schon da. Stehen auf dem Deck unter uns. Sie haben ihn nicht gesehen, sondern beobachten die Auffahrt. Im Auto sind drei Kerle. Der Heinzi und zwei von seinen Schränken. Heinzi hat seinen Tigermantel an und raucht. Die anderen zwei glotzen nur blöd. Arnold meint, die hätten sich wohl mal im Zoo beworben, aber die wollten dort lieber was Wildes, mit vier Beinen.«

Danny und Arnold lachten, wobei das Lachen bei Arnold eher nach dem Röcheln eines Kerles klang, der gerade erwürgt wird.

Auer öffnete das Handschuhfach und nahm einen chromglänzenden Revolver heraus. Den steckte er in seine Jackentasche.

»Die werden dich filzen und finden den da sofort«, maulte Danny. Jetzt grinste der Auer und sagte: »Sollen sie ja. Genau deswegen ist er da, wo er ist.«

Es wird schnell dunkel, hier, vor den Alpen. Ein paar Regentropfen fielen lustlos aus den tiefen Wolken, und die weite Betonfläche sah im Licht der Neonröhren wie eine Eislaufbahn aus.

Von vorne an der Auffahrt, hörte man ein dumpfes Grummeln, und ein schwarzer Cadillac, vielleicht 15 oder 20 Jahre alt, kam im Schritttempo auf die Parkebene gerollt. Dunkel getönte Scheiben. Weißwandreifen, Felgen mit goldenen Speichen und zwei riesige Antennen am Heck, an denen hellbraune Fuchsschwänze baumelten, rundeten das Bild ab.

Der Schlitten rollte bis auf zwei oder drei Meter an den Benz heran. Der Achtzylinder blubberte im Leerlauf.

Auer und Danny stiegen aus und lehnten sich an den Kühlergrill des Mercedes’. Arnold lümmelte hinten neben dem Heck an der Betonbrüstung und kaute an einem Daumennagel. Er riss mit den Zähnen ein Stück ab und spie es aus.

Im hinteren Teil des Cadillacs rührte sich was. Ein massiger schwarzhaariger Kerl mit Undercut stieg aus. Vom Typ her ein Libanese oder Ägypter. Schwer zu sagen. Eine blaue Madonna mit einem Strahlenkranz war auf seine Stirn tätowiert. Auf der rechten Wange hatte er zwei lange Narben, die wie aufgeklebte Strohhalme aussahen. All dies nahm Auer im Bruchteil einer Sekunde wahr.

Der Große schaute sich um, starrte die drei beim Mercedes an und zog mit einer schnellen Bewegung den Reißverschluss seiner ballonseidenen schwarzen Bomberjacke auf.

Auer atmete scharf durch die Nase ein. Die Luft war feucht, nach Grillspeisen und Asphalt duftend, und von der Straße hoch kam ein Zischen, verbunden mit einem brenzligen Ozongeruch, wenn die Oberleitung der Straßenbahn knisternde Funken versprühte.

So viele Eindrücke in einer Sekunde oder so, wirst du dir jetzt bestimmt denken. Aber es ist so, glaub mir das. Dein Hirn rast, und um dich rum geht alles wie in Zeitlupe. Das Adrenalin schießt dir durch den Körper, und du weißt, dass du vielleicht gleich loslegen musst.

Der Regen wurde dichter und zog mit dem aufkommenden Wind in Schwaden heran.

Der Große ging zur Fahrertür, das Fenster glitt etwas runter, und der Kerl sagte was in einer unbekannten Sprache. Der Motor des Caddy verstummte und der Fahrer stieg aus. Fast genauso groß wie der Undercutkerl, vielleicht etwas schlanker. Er hatte eine Stupsnase und einen viel zu kleinen Mund, der etwas offen stand: »Ah, Dick und Doof. Euch habe ich ja schon eine Zeit lang nicht gesehen. Und du bist der Auer?« Damit nickte er zu Max hin, der zurücknickte. »Lasst euch mal ein bisschen kitzeln«, sagte er und kam auf die beiden zu. »Der Chef kommt gleich raus. Er ist ein bissel nervös, das habt ihr vielleicht schon gehört, oder?«

Der Massige holte mit einer schnellen Bewegung einen schwarzen Revolver aus seiner Bomberjacke und hielt ihn dicht am Oberschenkel, Mündung nach unten.

»Wenn ich was finde, dann legen wir es in euren Kofferraum. Nach der Besprechung fahren wir zuerst vom Deck, und ihr lasst den Kofferraum zu, bis wir weg sind. Der Ali hier«, damit zeigte er mit dem Kinn auf den Schrank in Schwarz, »hat euch im Blick. Dick und Doof wissen ja, wie schnell er sein kann. Und du, Auer, willst es gar nicht erst wissen. So, wer hat was einstecken?«

 

Max hob die Hand.

»Hol es mit zwei Fingern raus. Langsam. Leg es auf die Motorhaube.«

Auer fischte mit Daumen und Zeigefinger seinen Revolver aus der Jackentasche und tat, wie ihm geheißen. Danny zeigte auf seinen linken Fußknöchel. Dann ging er langsam auf ein Knie nieder und holte vorsichtig eine kleine braune Automatic aus dem Knöchelholster und legte sie neben Auers Waffe.

Der Stupsnasige schaute Arnold an. Der zuckte mit den Schultern, fasste unter seine linke Achsel und seine Hand kam mit einem finnischen Wurfmesser wieder zum Vorschein.

»Sehr gut. Großer, mach den Kofferraum auf. Fass nicht hinein, nur aufmachen.«

Arnold drückte auf den verchromten Knopf und zog den Deckel hoch. Der Schlanke kam um sie rumgetänzelt, nahm die zwei Schusswaffen und das Messer, legte es in den Kofferraum und schloss ihn mit einem dumpfen Knall.

»Gut. Ich werde euch noch schnell abklopfen. Kann ja sein, dass einer von euch in der Eile was vergessen hat.«

Er tastete Arnold ab, der knurrte, dann Max. Mit gekonnten, schnellen Bewegungen strich er über den Körper. Dann stellte er sich vor Danny: »Nimm die Arme hoch, Zwerg.«

Danny hob beide Arme über den Kopf und sagte: »Bitte nicht die Achselhöhlen, ich bin kitzlig wie der Teufel.«

Der Schlanke verzog das Gesicht, durchsuchte Danny von den Schultern bis zu den Füßen und griff ihm abschließend prüfend zwischen die Beine.

Danny grinste. »Fühlt sich an wie fünf Kilo Kartoffeln, findest du nicht?«

»Sauber?« Das kam von dem Schrank mit der Waffe in der Hand.

»Ja. Der Chef kann rauskommen.«

Undercut ging mit zwei schnellen Schritten zur Beifahrertür, ohne die Szene aus den Augen zu lassen. Er zog die Tür auf: »Alles klar, Chef.«

Max sah einen Krokodillederstiefel, darüber ein schwarzes Hosenbein, dann kam der zweite Stiefel in Sicht, das zweite Bein, dann schwang sich der Schirmer Heinzi singend aus dem Auto: »Va’, pensiero, sull’ale dorate; va’, ti posa sui clivi, sui colli, jaja. Na, wen haben wir denn da?« Heinzi strich seinen Leopardenpelzmantel glatt, fuhr sich mit der Hand über das lichte Haupthaar und fummelte mit zwei Fingern in seinem Gesicht herum.

»Gefangenenchor aus Nabucco. Ein wunderschönes Stück. Soll ich weitersingen?« Er hob den rechten Arm über den Kopf, und zwischen Daumen und Zeigfinger hielt er nun ein blassblaues Glasauge, das er mit der Hand hin und her drehte wie das Periskop eines U-Bootes: »So, ich schau mich nur ein bissel um, dann können wir zur Sache kommen.«

Mit einer flüssigen Bewegung steckte er das Auge wieder in die leere Höhle in seinem Gesicht, klatschte in die Hände und kam schräg tänzelnd auf Auer zu: »Du bist der neue Neffe. Von der Friedl. Jaja. Gut schaust aus. Der Chili hat mir schon von dir erzählt. Ein gschasster Kieberer. Des san mir die Liabsten. Desillusioniert. Dankbar. Zuverlässig. Weil sie wissen, a zwoats Mal kannst es ned verkacken. Oiso, Oida, was is mit meine Flocken?«

»35.000, richtig.«

Der Heinzi klatschte wieder begeistert in die Hände, lachte und drehte sich zu seinen beiden Kerlen: »Habts es g’hört? Ich sag ja, gut, der Mann.« Und zu Auer: »Und jetzad?«

»Der Brunner kann nicht zahlen. Der Chili hat zwar für den Brunner gebürgt, aber nicht so. Trotzdem will er dir was vorschlagen.«

Heinzi lachte wieder, wischte sich eine Träne aus dem gesunden Auge, während das blasse Glasauge wie eine Murmel in der Augenhöhle lag und zum Himmel schaute. Dann breitete der Schirmer theatralisch die Arme aus, sodass sich der Leopardenpelz vorne öffnete und den Blick auf fünf oder sechs dicke goldene Ketten freigab, die auf seinem schwarzen Hemd glänzten: »Er will mir was vorschlagen. Eine Überraschung, wie? Ich liebe Überraschungen! Wir können das aber auch so machen: Du zahlst. Du hast doch als ehemaliger Staatsdiener eine dicke Pension, oder?«

Auer schüttelte den Kopf: »Die ham s’ mir ganz bös gekürzt. Ich mach aber nächste Woche eine eigene Firma auf. Ein Startup. Sobald ich damit Geld verdiene, können wir über alles reden.«

»Was für eine Firma denn?«

»Einen Brennholzverleih. So was gibt’s noch nicht. Läuft aber nur im Winter, glaub ich.«

Heinzi wieherte los wie ein Pferd. Das Lachen brach plötzlich ab, er zischte etwas Unverständliches, und der Schlanke hatte plötzlich ein Messer in der Hand. Keiner von den Rosenheimern hatte die Bewegung gesehen.

»Ich hab ihm bloß gesagt, er soll dir, mein lieber Neffe, die Ohren abschneiden und in den Kofferraum zu euren Ballermännern legen. De Oarwaschel, wie wir hier sagen. Dann sieht der Chili, dass sich der Schirmer Heinzi ned veroarschen lasst, host mi?«

Er trat ganz dicht an den Max heran und sprach langsam und leise: »Pass auf, Kieberer, ich … will … mein … Geld. So weit ois leiwand? Guad. Des Abschneiden tut ned besonders weh. Du kannst halt dann keine Sonnenbrillen mehr tragen, weil die dir immer runterrutschen.«

Dann trat er zurück und lachte wieder wie irre. Der Schlanke trat an Max heran: »Ist nichts Persönliches, Alter. Mach keinen Blödsinn, dann geht es ganz schnell.«

Danny trat langsam einen Schritt zur Seite: »Wegen dem Blut. Die Flecken kriegt man nie mehr aus dem Anzug raus.« Im Zeitlupentempo hob er die Hände über den Kopf.

Heinzi lachte immer noch und prustete los: »Du brauchst de Patscherl ned hochnehmen, Zwerg, dir tut keiner was. Im Moment jedenfalls ned.«

Arnold rutschte langsam mit dem Rücken an der Brüstung nach unten und saß mit gespreizten Beinen, an die Betonmauer gelehnt.

»Was hat der?«, fragte der Messermann und Danny sagte: »Er kann kein Blut sehen, wahrscheinlich wird er gleich ohnmächtig.«

Die drei Salzburger sahen sich an, der Heinzi prustete wieder los und schrie: »I scheiß mi an. Die Haberer san sensibel. Los, auf geht’s, i mecht zum Fußball wieder daheim sein.«

Danny sagte zu dem Messermann: »Übrigens, hast du den Film gesehen, den mit dem Robert De Niro, ›Taxi Driver‹? Wo er zu dem Zuhälter sagt: ›You are talking to me? Tom me?‹«

Der Messermann sah Undercut und seinen Chef verständnislos an, alle drei starrten auf Danny.

Der sagte: »Nicht? Wie schade. Sonst würdet ihr das hier kennen!«

Ruckartig nahm er beide Arme runter und streckte sie von sich. In der rechten Hand hielt er einen flachen zweiläufigen Derringer: »Das war Roberts Trick, als er später in dem Haus mit den Kerlen aufgeräumt hat. Am Unterarm, in Schienen, da war die Kanone. Genau wie die hier. Gut, was? Du, schmeiß deinen Kracher weg, sonst hat dein Chef gleich noch ein weiteres Loch für ein Glasauge in der Rübe.«

»Des is ein Spielzeug, i sag euch, des is ein Spielzeug!«, schrie der Heinzi und ging auf Danny los. Der senkte einen Arm und schoss dem Heinzi in den Fuß. Peng.

Der Schirmer wirbelte durch die Wucht des Einschlages einmal um die eigene Achse und ging schreiend und mit den Armen rudernd zu Boden.

»Wer will noch mal, wer hat noch nicht? Ich hab zwar nur noch einen Schuss. Aber er hier …«, damit nickte er zu dem sitzenden Arnold hin, »er bläst euch alle mit seinem 12er-Schrot vom Parkdeck.«

Jetzt schaute auch der Max zu Arnold. Der hatte sein Holzbein abgestreift und hielt plötzlich eine abgesägte zweiläufige Schrotflinte in den Händen.

Der Heinzi wimmerte, und Max sagte zu dem Messermann: »Gib mir die Klinge. Ist übrigens eine ganz blöde Idee, mit einem Messer zu einer Schießerei zu kommen. Ach so, ja … heb deinen Chef auf. Ich muss ihm was sagen. Und ich bück mich so schlecht, irgendwas mit der Bandscheibe.«