Tatort Rosenheim

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Rezept romantische Kalbsvögel

Jetzt interessiert sich vielleicht der eine oder andere für die Kalbsvögel. Verständlich, denn so was Leckeres muss man einfach kennen. Du brauchst:

3 große Kalbsrouladen (zusammen vielleicht 750 g), dann natürlich Salz, Pfeffer, 6 Scheiben dünn geschnittenen Tiroler Speck, Rosmarin, Thymian, 300 g feine Bratwurst, 3 Glas Cognac, 3 geschälte und geriebene Zwiebeln, 3 hartgekochte und geschälte Eier, Olivenöl oder Schweineschmalz (je nach persönlichem Cholesterinspiegel) –, ¼ guten Rotwein, ¼ Liter Brühe.

Jetzt musst du die Kalbsrouladen waschen, abtrocknen und auf der Arbeitsplatte mit dem Handballen kräftig breitdrücken (auf keinen Fall klopfen, da werden Fasern beschädigt). So lange, bis sie sich gut vergrößert haben. Jetzt jede Scheibe Fleisch mit Salz, Pfeffer und Rosmarin würzen, auf beiden Seiten. Nun auf jede Roulade zwei Scheiben dünn geschnittenen Speck legen und mit Thymian bestreuen. Die Bratwürste häuten, die Masse mit dem Cognac und den zerriebenen Zwiebeln mischen. Fast alles auf den Speckscheiben verteilen, einen 15 prozentigen Rest beiseitestellen. Die hartgekochten Eier, je eines, draufstellen. Jetzt vor und hinter den Eiern mit der beiseitegestellten Wurstmasse bis zur gleichen Höhe auffüllen. Rouladen aufrollen, mit je einem Spießchen feststecken. Schmalz oder Olivenbratöl erhitzen, die Rouladen rundherum braun anbraten. Mit Wein und der Brühe ablöschen, im geschlossenen Topf noch circa eine Stunde bei mittlerer Hitze schmoren lassen. Dazu frische Bandnudeln und ein freundliches Gesicht. Mahlzeit.

Stunde der Wahrheit

»Warum seid ihr so still?« Friedl, der es sichtlich schmeckte, schaute die beiden Männer an. »Habt ihr euch gestritten oder so? Vorher war hier drin eine ganz andere Stimmung. Manfred, was ist? Schmeckt dir das Essen nicht?«

Der wischte sich den Mund ab, trank sein Glas leer, räusperte sich und schaute erst den Max, dann die Friedl an: »Schatz, ich hab mich ein Jahr lang nicht gemeldet, weil ich im Gefängnis war. Ich will mich hier auch nicht einschleichen, sondern ich wollte dich noch ein einziges Mal sehen und dann verschwinden. Alles, was ich dir auf dem Schiff über meine Gefühle zu dir erzählt habe, das stimmt. Der Rest nicht. Ich bin kein reicher Großwildfänger, sondern ein hauptberuflicher Knastler, hab die meiste Zeit meines Lebens im Bau verbracht, zu Recht. Für nichts sperren die hier keinen ein.«

Friedl wollte was sagen, aber er hob die Hand: »Warte, lass mich ausreden. Ich bin kein Mörder oder so was, obwohl ich wegen Körperverletzung auch schon das eine oder andere Mal eingefahren bin. Meist haben sie mich wegen einem Bruch oder einem Trickbetrug drangekriegt. Das ganze Geld, das wir auf dem Schiff verjubelt haben, das war aus dem letzten Bruch. Aber weißt du was? Ich hab mich in dich verliebt, ich wollte bei dir sein, so lange es geht. Deswegen die ganze Lügerei. So, jetzt kannst du reden.«

»Jetzt brauch ich meine Notfalltropfen.« Friedl stand auf, ging zum Schrank und kam mit einer Flasche Cognac und drei Gläsern zurück. Sie schenkte jedem zwei Fingerbreit ein und hob ihr Glas: »Manni, das ist mir alles wurscht. Dass deine Geschichten, wie soll ich sagen, alternative Fakten waren, das hab ich schnell gemerkt. Aber ich hab mich in dich und dein Lachen verguckt. Ich habe schon so lange nicht mehr richtig gelacht, seit mein Otti tot ist. Ich mag dich auch. Ob ich dich liebe, weiß ich nicht. Aber ich mag dich. So, und jetzt sage ich Folgendes: Du kannst hierbleiben, so lange du willst. Schau dich in der Stadt um, wenn wir dir bei irgendwas helfen können, dann tun wir das. Weißt du, mein Otti, der war auch kein Lämmchen. Der Max hier, der hat bei seinem Vorleben keine Chance mehr, ein Pfarrer zu werden. Und ich, ich weiß sehr gut, wo das Ganze herkommt, was du hier siehst. Max, was meinst du dazu?«

Mit so was hat der Auer nicht gerechnet, ja, was glaubst du? Eigentlich war der Plan, dass er den Manfred nach dem Essen kurz zur Seite nimmt und ihm erklärt, wo hier der Frosch die Locken hat. Andererseits hat sich die Friedl in den zwei Stunden, in denen der Kerl hier ist, vollkommen verändert. Sie lacht wie ein junges Mädchen, sie ist glücklich. Und wenn du mich fragst, denkt sich der Max, dann ist das alte Mädel in den Kerl verknallt. Also, mach erst mal gute Miene zu dem Spiel hier, vielleicht ergibt sich das in ein paar Tagen von selber. Ist ja immer so, oder? Wenn der erste Rausch vorbei ist, sieht man wieder klar.

Deswegen hat der Auer Max sein Glas gehoben, die beiden angeschaut und gesagt: »Hiermit habt ihr beide meinen Segen. In meiner Eigenschaft als hauptberuflicher Neffe ernenne ich euch zu was auch immer ihr sein wollt. Bis dass die Nachspeise uns scheidet. Amen. Können wir jetzt weiteressen?«

»Wohin die ganzen Bullen wohl gerannt sind?« Der Manfred schaute unsicher zur Tür, und Friedl fragte: »Wann denn?«

Max sprach mit vollem Mund: »Vor einer Viertelstunde. Die sind vor dem Bücherladen aus den Autos und dann um die Ecke in die Bahnhofstraße verschwunden. Warum?«

Friedl kratzte sich am Ohr: »Da ist doch der Imbiss vom Bergmeier. Weißt schon, der, der nebenbei noch den Taxidienst macht. Der hat öfters Probleme mit der Polizei. Und mir ist der auch noch Geld schuldig. Also, nicht direkt mir. Der Otti hat ihm vor einem Jahr 5.000 Euro geliehen, zu 10 Prozent Zinsen, die haben wir bis heute nicht. Obwohl es dem Bergmeier gutgeht. Der hat den Imbiss, sein Taxi und ein paar alte Mädels am Laufen. Bahnhofshühner, so hat der Otti die genannt. Alte Legehennen, bei denen das MHD schon lange abgelaufen ist. Aber der Otti hat gemeint, da gibt’s immer ein paar Tschuschen, die bumsen alles, was noch einen Puls hat. Egal, der Chili wollte sich eigentlich drum kümmern. Das hat er mir auf der Beerdigung versprochen. Aber dann hab ich ihn gebeten, dass er die Urnen austauscht. Weil ich meinen Otti ja viel lieber hier daheim habe. Dass ein Mann im Haus ist, verstehst? Und dann ist das Problem mit dem Bergmeier irgendwie … untergegangen? Ich weiß auch nicht mehr.«

Max und Manfred schauten sich sprachlos an, und die Friedl lächelte maliziös: »Und jetzt hab ich gleich zwei Männer hier sitzen. Wer hätte das gedacht?«

»Wie zum Teufel tauscht man eine Urne aus?« Max schenkte sich, dem Manni und der Friedl nach.

Die meinte mit Unschuldsmiene: »Das? Das war ganz einfach. Ich hab mir ja beim Bestatter die Urne ausgesucht. Dann hab ich gesagt: ›Ach, wissen S’, ich nehm gleich noch so eine, die stelle ich daheim ins Bücherregal, weil die gar so schön ausschauen und glänzen‹. In die zweite Urne haben wir dann hier drinnen ein paar Hände voll Kaminasche getan, der Chili und ich. Und noch paar kleine Knöpfe, weil der Chili gesagt hat, wenn sie einen verbrennen, dann bleibt immer ein bissel übrig. Keiner geht ganz, hat er gemeint. Ein paar Zähne oder so bleiben immer unter dem Rost liegen. Und kurz vor der Feier, schon in der Aussegnungshalle, da hat der Chili eine Flasche Jägermeister fallen gelassen. Die wollte er dem Otti mit ins Urnengrab legen, hat er zum Pfarrer gesagt. Weil der Otti doch so gerne Jägermeister mit Cola getrunken hat, ned wahr? Ja, und in dem ganzen Durcheinander, es sind ja alle aufgesprungen und haben den pappigen Schnaps vom Boden der Aussegnungshalle gewischt, mit Taschentüchern, Schals und so, da hat der Chili schnell die Urnen vertauscht.«

Manfred sagte: »Und der Pfarrer, hat der nix gemerkt?«

»Der? Der hat irgendwas von seinem hohen Blutdruck gemurmelt und ist nach hinten und hat ein großes Glas Messwein getrunken. Das war dann aber doch noch eine sehr schöne Feier, wir haben alle geweint, obwohl es gestunken hat wie in einer Trinkhalle. Und der angetrunkene Pfarrer hat ein paar lustige Sprüche rausgelassen. Ja, was wollte ich denn eigentlich sagen? Ach so, und mit dem ganzen Urnenstress, da hat der Chili wohl dann vergessen, vom Bergmeier das Geld einzutreiben. Ich ruf den Chili gleich morgen mal an und erinnere ihn dran. Hoffentlich ham s’ mir den Bergmeier jetzt nicht vor der Nase weg verhaftet, weil, sonst seh ich mein Geld nie wieder.«

Wer mehr Vögel(n) will,
muss freundlich sein

»Ist noch was von den Vögeln in der Küche?« Max schielte auf die Platte in der Tischmitte, auf der nur noch eine traurige Soßenlache zu sehen war.

»Das heißt Vögel, mein Lieber, Vögel.« Die Friedl nahm die Platte hoch und stand auf.

»Wieso denn? Wenn ich mal den Karl Valentin zitieren darf: Der hat gesagt, ein Semmelknödel ist ein Semmelknödel. Sobald es aber mehrere sind, müsste es Semmelknödeln heißen, mit einem ›n‹ hinten dran. Also?« Max schaute den Manfred an. Der zuckte mit den Schultern, und die Friedl meinte: »Is’ ja auch wurscht. Aber: Wer noch mehr Vögel, oder wie du sagst, Vögeln will, der muss freundlich sein, sonst bleibt der Teller leer. Ich kann dir noch Nudeln und Soße bringen. Manfred, machst du mal die Luft aus den Weingläsern, ich komme gleich wieder.«

Jetzt schaute sich der Auer den Manni an, der ja eigentlich ziemlich harmlos aussieht, wie er sich so über den Tisch beugt. »Sag einmal, wieso haben sie dich wegen Körperverletzung eingelocht?«

Manfred stellte die Flasche auf den Tisch, stand auf und nahm eine Boxerstellung ein. Die Rechte am Kinn und die Linke schräg vor der Brust: »Ich war mal süddeutscher Meister im Mittelgewicht. Ist schon lange her, aber mein linker Leberhaken, der haut immer noch jeden von den Beinen. Schau mal.«

Er boxte ein paar Jabs und Finten in die Luft, dann ließ er die Linke sinken und schlug damit einen blitzschnellen Leberhaken.

Der Auer Max war beeindruckt und wollte was dazu sagen, aber just in dem Moment kam die Friedl mit einem Tablett ins Zimmer: »So, da hab ich eine wunderbare Nachspeise. Das ist ein Kirschentiramisu im Glas mit Amaretto. Alles molto erotico. Meine Spezialität.«

 

Wenn du jetzt denkst, ein Tiramisu, na ja, das ist ja nichts Besonderes, also, dann täuschst du dich. Dieses hier, das solltest du dir auch mal gönnen.

Rezept Tiramisu Erotico

Für die drei Gläser (je 2 oder 3 dl) brauchst du 3 Esslöffel Amaretto, 1 dl starken Espresso, einen großen Löffel Zucker, 2 Eigelbe (das Eiweiß extra in ein Glas, das brauchst du nämlich noch). Dann Saft von 1 Orange, ein bissel von der Haut abreiben, 250 g Mascarpone, eine Prise Salz, 7 oder 8 Löffelbiskuits und ein wenig Kakaopulver zum Bestäuben. Alles klar?

Gut. Den Amaretto, ein bisschen Zucker und den Espresso verrühren, bis sich der Zucker aufgelöst hat. Zur Seite stellen.

Eigelbe, Zucker und die Orangenschale mit dem elektrischen Schneebesen ungefähr 4 – 5 Minuten rühren, bis alles heller ist, dann den Mascarpone drunterziehen.

Die zwei Eiweiß ein bisschen salzen und steif schlagen. Zucker dazu, weiterschlagen. Den Eischnee jetzt sorgfältig und langsam in die Masse geben und durchziehen.

Löffelbiskuits halbieren, in die Gläser verteilen, jetzt die Hälfte der Masse drauf. Den Rest der Biskuits drüberlegen, restlichen Espresso und Rest der Masse drauf. Alufolie drüber und zwei Stunden im Kühlschrank fest werden lassen. Vor dem Servieren noch einen Schuss Amaretto drauf und mit Kakao bestäuben. Fertig.

Der Mörder ist wieder frei

Du ahnst es eh schon, es ist doch noch ein netter und lustiger Abend geworden. Und was soll ich dir sagen? Der Manfred hat natürlich bei der Friedl geschlafen, und der Max musste sich das Kopfkissen und die Bettdecke über die Ohren ziehen, damit er einschlafen konnte.

Am nächsten Morgen ist die Friedl mit einer Tasse Kaffee zum Max ins Zimmer gekommen, hat sich an die Bettkante gesetzt und sich die Haare aus der Stirn gestrichen: »Bub, der Manni bleibt hier bei uns, und du überlegst dir, wie er sich nützlich machen kann.«

Der Auer, noch ganz verschlafen: »Wie meist du das? Nützlich?«

»Frag doch nicht so blöd. Aus dem Nachlass vom Otti ist noch viel zu tun. Denk doch bloß mal an die Außenstände wie beim Bergmeier. Ich hab mir das kleine schwarze Buch vom Otti vorhin noch mal durchgesehen. Da gibt es bestimmt so um die 20- bis 30.000, die wir hier und da noch zu kriegen haben. Von denen meldet sich freiwillig keiner, weil die ja denken, der Otti ist im Paradies, da braucht der eh kein Geld mehr. Aber ich arme alte Frau muss ja auch schauen, wie ich durchkomme, mit zwei Männern im Haus. Du und der Manni, ihr holt mir das Geld. Mit dem Bergmeier fangt ihr an. Der sperrt jetzt um neun seinen Laden auf. Der Manni ist im Bad. Wenn ihr sowieso runter geht zum Bäcker, Brezen kaufen, dann schaut vorher beim Bergmeier vorbei. Auf ein Gespräch unter Männern, verstehst mich?«

»Ja aber, ich wollte doch eigentlich …«

»Das kannst du alles später machen, Bub. Der Manni und du, ihr helft der alten Tante. Jeden Tag ein gutes Werk, wie bei den Pfadfindern. Trink den Kaffee und dann raus aus den Federn.«

Wenn du meinst, die Friedl, die ist aber ganz schön resolut, dann hast du vollkommen recht. Die hat mehr Haare auf den Zähnen als ich unter den Armen.

Also sind der Manni und der Max eine Viertelstunde später im Schweinsgalopp durch das Treppenhaus nach unten, aus der Haustür raus, und dann, ohne zu reden, die paar Meter bis zum »Hammergrill« marschiert. Kurz vor dem Grill nimmt der Max den Manni zur Seite und erklärt ihm leise was. Dann gehen sie rein.

Stell dir eine Glasfassade vor, drei oder vier Stufen bis zur Eingangstür, ebenfalls Glas, und dann steht man auch schon mitten im Imbiss. Vier Stehtische, die Theke längs an der Wand, ein schräger Spiegel hinter der Theke an der Decke, sodass man in die zwei Fritteusen sehen kann. Und auf die große, rechteckige Grillplatte daneben. Geradeaus kommst du zu zwei Türen. Auf der einen ist ein Schild »Kerle«, auf der anderen »Restliche Geschlechter«.

Und hinter der Theke hantiert der Bergmeier. Ein dicker Kerl, mit wenig Haar auf der Birne, die Hemdsärmel hochgekrempelt, sodass man die dicken Muskeln und die Tätowierungen sieht. Ach ja, und vor der Theke stehen noch vier Barhocker.

Max schwingt sich auf den einen, Manfred auf den anderen. Es riecht nach kaltem Frittierfett und Wurst.

Max schaute sich um: »Nix los in dem Laden hier. Wie läuft’s denn so?«

Bergmeier wischte mit einem fleckigen, ehemals weißen Geschirrtuch über die Holzplatte vor ihnen: »Hab eigentlich noch zu. Was soll’s denn sein?«

»6.000 in bar. Saubere Scheine, ohne Fettflecken. Wenn’s geht, jetzt gleich.«

Bergmeier lehnte sich auf den Tresen und grinste den Max an: »Was bist denn du für einer? Und der Clown neben dir, warum glotzt der so? Soll ich dir mal was sagen? Mach, dass du Land gewinnst. Nimm den Trottel mit und verpiss dich. Für euch gibt es hier nichts. Raus, aber pronto!«

»Du fragst ja gar nicht, wie ich auf 6.000 komme? Pass auf: Ich bin der Neffe vom Otti. Der ist tot. Die Frau von ihm aber nicht. Der zahlst du jetzt das Geld zurück. Noch Fragen?«

Der Dicke schüttelte den Kopf: »Der Neffe ohne Namen, was? Hör zu, Neffe, da könnte ein jeder kommen. Verpiss dich. Beam dich raus. Und nimm den Gollum da neben dir auch mit. Los jetzt.«

Max verzog keine Miene, Manfred starrte nach wie vor die Grillplatte an. Dann zeigte Max auf das Telefon: »Ruf die Friedl an. Die schickt uns. Mein Onkel hat dir 5.000 gegeben. Die will ich. Plus Zinsen. Macht 6.000. Du hast jetzt drei Möglichkeiten: Eins, du gibst mir das Geld. Zwei, du rufst die Friedl an und sagst ihr verbindlich, wann sie die 6.000 zeitnah kriegt. Oder drei, du gibst mir das Telefon, dann ruf ich schon mal einen Krankenwagen. Bis der hier ist, verwandeln wir dich in einen Patienten für Liegendtransport.«

Max deutete auf die Eingangstür. Der Manni rutschte vom Hocker, ging zur Tür und drehte das Schild um, sodass »Sorry, wir sind zu« von außen zu lesen war. Dann drehte er den Schlüssel im Schloss um und steckte ihn ein. Gleich darauf saß er wieder auf dem Hocker und starrte die schwarze Grillplatte an.

Bergmeiers Hand wanderte unter den Tresen, und Mannis Rechte glitt unter seine Jacke.

»Denk nicht mal dran.« Max fischte ein paar Scheine aus seiner Hemdtasche, suchte einen 100er raus und glättete ihn auf der Theke. Dann nahm er den Schein, hielt ihn sich vor das Gesicht, spuckte drauf und klatschte ihn dem Manni schräg auf die Stirn. Der saß mit regungslosem Gesicht, nahm den Blick langsam von der Grillplatte und glotzte dem Bergmeier starr in die Augen.

»Das ist mein Freund Manni. Der ist ein hauptberuflicher und gelernter Mörder. Deswegen war er grade wieder 15 Jahre im Bau. Seit vorgestern ist er wieder raus. Er wohnt jetzt bei uns. Aber eigentlich will er lieber wieder zurück in den Knast. Er sagt, da drinnen brauchst du dich um nichts zu kümmern. Drei Mahlzeiten am Tag, die Wäsche wird dir gewaschen und irgendeinen Kerl, der für eine Zigarette die Frau spielt, findest du auch immer.«

»Was?«

»Genau. Wenn ich dem Manni jetzt sage, geh, sei doch so nett und mach den Bergmeier für mich weg, dann tut der das. Weil es ihm wurscht ist. In seiner Jacke hat er was zum Schießen. Deswegen hängt die so schief an ihm. Aber besonders modebewusst ist er eh nicht. Also, gib mir ganz langsam das, was da unter deiner Theke liegt.«

Bergmeiers Hand kam mit einer Dose Pfefferspray hoch. Den Spray legte er vorsichtig auf die Serviette, die vor Max lag. »Ich bin ein harmloser Taxiunternehmer mit einem Imbiss, das ist alles. Und die Geschäfte laufen nicht gut. Taxifahrer sind am Aussterben. Gestern war die Polizei hier, weil mich wieder einmal einer angezeigt hat.«

»Wegen deinem Fahrstil oder wegen der überalterten Bückware, die du am Bahnhof anschaffen lässt? Tz, tz, tz.« Max schüttelte den Kopf. »Und was aussterbende Taxifahrer angeht, da kann ich dir erzählen, was ich mit meiner Tante Friedl erlebt habe, als ich noch ein Kind war. Hast du eine Minute Zeit?«

Bergmeier starrte den Max an, dann den Manni, der seinerseits, mit dem 100er quer auf der Stirn, zurückglotzte.

»Das war so: Die Tante Friedl war damals noch eine ganz fesche junge Frau um die 30. Wir sind mit einem Taxi zum Friedhof gefahren, es war schon früher Abend an einem lauen Sommertag. Hörst du mir auch zu, Bergmeier?«

Der nickte und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.

»Sehr schön. Wir fahren also an der Loretowiese vorbei, und am Straßenrand, links, auf dem Bürgersteig, lehnten zwei Frauen an der Laterne und rauchten. Sie hatten kurze Röcke an, weit ausgeschnittene Blusen und viel Schmuck an den Armen. Ich fragte die Tante: ›Warum lehnen die da?‹ Sie sagte: ›Die halten die Laterne fest, damit sie nicht umfällt, Bub.‹ Sie hat damals schon immer Bub zu mir gesagt, das tut sie jetzt auch noch. Also, wo war ich? Ah ja, der Taxifahrer, der grinst in den Rückspiegel und sagt: ›Erzählen Sie dem Kind doch nicht so einen Scheiß. Das sind Nutten, die machen es mit Männern. Für Geld.‹ Meine Tante wird stinksauer, sagt aber nichts. Ich wusste, wenn die gleich explodiert, dann ist hier drinnen im Auto was los. Also wollte ich die Situation entschärfen und fragte: ›Kriegen diese Frauen auch Kinder?‹ Da grinst die Friedl und sagt laut: ›Aber ja, mein Max. Natürlich kriegen diese Frauen auch Kinder. Und diese Kinder werden später alle Taxifahrer.‹ Verstehst du den Gag, Bergmeier?«

Manfred verzog keine Miene und rührte sich auch nicht. Der Bergmeier nickte wie einer von diesen Wackeldackeln, die man heute noch ab und zu auf den hinteren Ablagen von alten Autos sieht. »Jaja, der ist gut. Echt. Pass auf, Max, ich hab zufällig ein bisschen was da, das kann ich dir geben. Ich wollte die Friedl schon so lange mal anrufen und mit ihr über das Geld reden, aber du weißt ja, wie das ist, wenn immer was ist. Dann kommt dies, dann kommt das, aber ich schaue mal …«

Er griff wieder unter den Tresen, Manfreds Hand verschwand blitzschnell in seiner Jacke und Bergmeier hob noch schneller beide Hände: »Ruhig! Ganz ruhig, Mann. Reg dich nicht auf. Ich hole nur die Geldtasche, nur die Tasche. Ich mach das jetzt ganz langsam, schau!«

Vorsichtig und in Zeitlupe griff der Bergmeier unter die holzfarbene Resopalplatte und seine Hand kam mit einer dicken schwarzen Bedienungsgeldtasche wieder hoch.

»Nimm alle Scheine raus und leg sie da auf die Platte!« Max zeigte mit dem Kinn auf eine Stelle neben ihm. Bergmeier drehte die Geldtasche, öffnete sie und zog sie auf wie eine Ziehharmonika, wobei er das Kleingeldfach mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand zuhielt.

Scheine rutschten auf die Theke. Max nahm sie, zählte laut ab: »Ein 500er. Da schau her. So einen hab ich lange nicht gesehen. Sieben 100er. Elf 50er. Und, warte mal, 20, 24, 25 20er. Das macht … 2.250 Euro. Zehner und Fünfer kannst du behalten. Willst du eine Quittung?«

Bergmeier schüttelte den Kopf. Max steckte dem Manfred die Scheine in die Seitentasche der Jacke: »Du bist uns jetzt noch 4.000 schuldig, die zahlst du in zwei Wochenraten an den jungen Mann hier neben mir, den mit dem 100er auf der Stirn, kapische? Nächste Woche Freitag, übernächste Woche Freitag, und dann sind wir wieder Freunde. Nicke, wenn du mich verstanden hast.«

Bergmeier schluckte und sagte leise: »Du hast dich ein bisschen verrechnet, Max.«

»Hab ich nicht. Du hast den Ärgernis-Zuschlag vergessen und die Inflation und so. Wenn Freitag nächster Woche keine zwei Mille über diese Platte hier wachsen, dann baut dir der Manfred mit seinen Freunden den Laden um. Bis dann: Halt deine Hühner am Laufen und sei glücklich. Komm, Manfred. Hier riecht es nach Angst.«

Manfred glitt vom Hocker, ohne den Bergmeier aus den Augen zu lassen, schloss die Eingangstür wieder auf und drehte das Schild um, sodass von draußen »Komm rein, wir haben offen« zu lesen war. Dann hielt er die Tür auf und ließ den Max rausgehen, immer noch starr auf den Bergmeier blickend. Bevor auch er aus dem Laden ging, hob er zwei Finger der linken Hand vor seine Augen und deutete dann damit auf den Bergmeier.

Der schluckte trocken, und sein Adamsapfel hüpfte auf und ab.

Kaum waren sie um die Ecke gebogen, nahm Max den 100er von Mannis Stirn und fragte: »Was hast du da eigentlich in der Brusttasche von deiner Jacke? Die Beule da unter der Brust, was ist das? Eine Kanone?«

Manfred zog ein Mars und ein Bounty hervor: »Welches willst du? Ist gut für die Nerven.«