Tatort Rosenheim

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Was weg is, is weg!

Aus den Lautsprechern kam ein Stück vom Electric-Light-Orchestra, und Auer drehte die Musik lauter. Der Achtzylinder brummte vor sich hin, und als der Max mal aus Versehen ein bisschen sehr aufs Gas tippte, machte der alte Schlitten mit durchdrehenden Reifen einen Satz nach vorne, sodass er verblüfft bremste.

In der Klepperstraße bog er in die Kunstmühlenstraße und dann in die Petersberger, und von Weitem sah er schon das »Wild Wild West«. Oder besser gesagt, das große Schild über dem Eingang. Rund um die gelbe Schrift auf schwarzem Grund waren große, rote Chilischoten gemalt. Die Fenster neben dem Eingang waren mit dunkler Folie verklebt, die Tür wohl eine alte Zellentür aus einem Gefängnis. Das passt doch alles zum Glasl Sepp, dachte sich der Auer und stellte den Benz direkt vor den Eingang.

Um diese Zeit war der Laden natürlich zu, und der Auer hämmerte mit der Faust an die Tür. Eine junge, magere, aber sehr hübsche Frau öffnete und schaute den Auer so verdammt fröhlich an, dass er sie am liebsten auf der Stelle erwürgt hätte.

»Der Chef? Ist er da?« Die Platinblonde nickte und lachte, als hätte der Auer gerade gesagt, dass er ihr eine Million schenkt. »Bist du der Auerhahn? So fesch habe ich mir dich nicht vorgestellt. Komm rein.«

Sie trat ein wenig zur Seite, und der Max ging in die Kneipe, in der nur eine blass-weiße Notbeleuchtung ein wenig Licht fabrizierte. Hinten, an der schmalen Wand, war eine kleine Bühne mit einer Tanzstange in der Mitte. Dahinter standen ein paar Verstärker, Gitarren und ein Schlagzeug.

Rechts, an der Längswand, befand sich eine lange, dunkle Holztheke mit Messingfußleiste und hohen Hockern. Auch auf der Theke waren zwei mattglänzende Messingtanzstangen montiert und in der Decke verankert. Dahinter die obligate Spiegelwand mit den Flaschenbatterien dazwischen. Links von der Tanzfläche ein Dutzend runde Tische mit massiven Stühlen.

An einem der Tische saßen zwei Typen, die Auer jetzt, da sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, ausmachte.

Jetzt pass auf: Die zwei hieven sich aus den Stühlen. Das heißt, der eine hievt, der andere lässt sich einfach vorplumpsen. Der Hiever ist so an die 1,95 oder noch größer, breit wie ein Schrank und hat Arme, die so dick sind wie die Waden vom Auer.

Der andere, der Plumpser, entpuppt sich als was Zwerg­ähnliches. Kleinwüchsig, so sagt man wohl politisch korrekt. Egal, jetzt kommt’s: Die beiden tragen identische pflaumenfarbene Polyesteranzüge mit weißen Gürteln und weißen Stiefeln. Die Hemden waren irgendwie lachsfarben oder rötlich, so genau konnte man das in dem Kerkerlicht nicht sehen.

Den Auer haben die beiden unwillkürlich an Arnold Schwarzenegger und Danny DeVito in diesem Film erinnert, weißt schon, der mit den Zwillingen.

Das fragte er die beiden auch gleich grinsend: »Wow, ihr seid Zwillinge, oder?«

Der Hiever knurrte und kratzte sich am Bauch, sodass sich das Jackett bewegte und glänzte wie ein Wasserfall. Diese Scheußlichkeiten werden doch nur noch in Nordkorea hergestellt, dachte sich der Auer. Wo haben die das bloß her?

Der kleine Plumpser baute sich vor dem Auer auf und sah zu ihm hoch: »Wir wissen, wer du bist, Alter. Du kannst auch gleich zu Chili durchgehen. Ich will dich nur mal kurz beschnuppern, ob du verkabelt bist oder so, dann werde ich dir die Absolution erteilen, so weit klar?«

Auer blickte auf die kahle Stelle auf dem Kopf des Kleinen: »Was willst du mir erteilen? Mann, ich lass mich von keinem betatschen, der so einen beschissenen Plastikanzug trägt. Da tun mir ja die Augen weh, Junge. Mach einen Satz zur Seite und geh wieder spielen, ja?«

Der Hiever schob sich auf Auer zu, und Plumpser zeigte mit dem Daumen auf ihn: »Der ist heute ganz mies drauf. Willst du wissen, warum? Er hat eine Zecke am Gekröse. Und keiner von uns will da drangehen. Also mach an, dass wir hier fertigwerden.«

Auer schaute den Großen an: »So was ist kein Spaß. Warum gehst du nicht zum Arzt damit?«

Der Hiever knurrte wieder, und Plumpser sagte: »Was denkst du wohl, wie in dem Job hier die Sozialleistungen sind, hmh? Und die Anzüge, die tragen wir auch nicht freiwillig, das will der Chili so. Wegen dem Corporate Design, sagt er. Weißt du, was das sein soll?«

Auer nickte: »Ist so ähnlich wie beim Militär. Da haben auch alle den gleichen Fummel an. Jetzt geht zur Seite, sonst wird der Onkel böse!«

Der Hiever hob eine Hand, und Auer sagte: »Hohoho. Bleib ruhig, du Elch. Ich habe ein Mittel gegen Zecken. Wenn du mich in Ruhe lässt, verrate ich es dir. Schau her!« Auer zog seine Jacke aus, hob sein Hemd hoch und drehte sich: »Keine Drähte, keine Bomben, keine Kanone. Alles klar?«

Der Hiever knurrte den Kleinen an, und der nickte und meinte: »Er sagt, du bist sauber. Was ist das mit dem Zeckenmittel?«

»Streichhölzer!« Auer klopfte auf seine Hosentaschen: »Ich hab jetzt grad keine einstecken, aber das hilft. Ist ein alter Indianertrick. Pass auf: Lass die Hosen runter, geh in die Beuge. Zünde ein Streichholz an und in dem Moment, wo es entflammt, halte es an die Zecke. Dann ist sie im Nu weg.«

»Du meinst, sie verbrennt oder explodiert oder so?« Der Plumpser sah Auer fragend an.

Der schüttelte den Kopf: »Nein, sie fällt ab. Ruckzuck. Zecken mögen keine brennenden Streichhölzer, weil sie Nichtraucher sind. Kapische?«

Die beiden nickten, und der Kleine sagte: »Links neben der Bühne, die schwarze Tür. Chili ist im Büro.« Und zu der Blonden, die hinter der Bar Gläser polierte: »He, Torte, haben wir Streichhölzer?«

Auer betrat das kleine, schäbige Büro und schaute sich um. An den Wänden hingen zwei Poster von Will Smith aus« Wild Wild West«, dann die üblichen Po- und Tittenbilder und eine Aufnahme von einem roten Mustang T4-Cabrio.

Der Typ hinter dem Schreibtisch nahm die Füße runter, schaute auch auf das Autobild und sagte: »Das ist meiner. Ein 66er, 5-Liter-Maschine, kein Rost. Hab ihn selber aus Kalifornien geholt. Dem Otti wollte ich auch einen mitbringen, aber der war ja vernarrt in seinen getarnten 450er. Gott hab ihn selig.«

»Das mit dem ›selig‹ weiß ich nicht, aber den Benz hab ich jetzt. Ist meiner.«

»Echt jetzt? Wow!« Chili stand auf, und Max sah erst jetzt, dass der Kerl blondierte Haare hatte, die, streng nach hinten gekämmt, in einem ziemlich langen Pferdeschwanz endeten.

Max griff nach der über den Schreibtisch gestreckten Hand und schüttelte sie: »Warum Chili? Klingt irgendwie … ich weiß auch nicht.«

»Wegen dem Laden. Corporate Design, da leg ich gesteigerten Wert drauf, verstehst?«

Auer nickte und setzte sich: »Pass auf, keine langen Vorreden. Was liegt an? Warum bin ich hier?«

Chili öffnete einen Laptop, drückte ein paar Tasten und schob das Teil zu Max rüber: »Schau selber.«

Der Auer starrte auf den Bildschirm. Zu sehen war eine nackte, honigblonde junge Frau, die auf einem antiken Holztisch kniete. Vor ihr stand ein nackter Kerl, und die Frau hatte ein Stück von ihm im Mund. Hinter ihr, in vollem Galopp: Chili. Er hielt sich an ihren Hüften fest, und sein Pferdeschwanz wedelte bei jedem Stoß unter dem Hirschgeweihkerzenleuchter. Aufgenommen war das Ganze offenbar in einer Almhütte oder so. Überall Holz, rustikal, Kerzenlicht und bayerische Musik im Hintergrund.

»Lieber Gott, was ist das denn?«

»Ein Leberkäs-Porno. So was mögen die Amis und die Chinesen, überhaupt alle da drüben in Asien. Die Handlung ist fast immer die gleiche: die Sennerin ist sommerlich leicht bekleidet im Stall, es kommen zwei Wanderer, man kommt sich in der Hütte bei der Brotzeit näher, und dann: erotische Akrobatik und Blasmusik. Pass auf, wenn der vordere Bursche kommt, dann jodelt er. Und die Sennerin jauchzt dazu. Gut, was?«

»Aha. Wer steht auf so was? Wo ist die Hütte? Wem gehört sie?«

Chili angelte eine Flasche Bier aus einem kleinen Kühlschrank neben dem Schreibtisch und hielt sie dem Auer hin. Dann nahm er eine für sich, hob sie an den Mund und trank: »Ahhh, immer wieder gut. Die Hütte? Ist irgendwo auf dem Samerberg. Gehört hat sie dem Otti, und jetzt wohl der Friedl. Und wie das angefangen hat? Pass auf: Da kommt eines Tages so ein Kerl in meinen Laden. Sagt, er will Leberkäs-Pornos für den Weltmarkt. USA, Asien, Indien und so. Meint, er könnte damit genauso gut nach Holland zu den Profis gehen, die machen alles, was du willst. Tut er aber nicht. Weil es ihm da zu professionell ist. Das muss nach Amateuren ausschauen, meint er. Die Japaner, die kaufen alles, was Amateurcharakter hat, sagt er. Hey, hast du gewusst, dass es in Tokio auf den Straßen Automaten gibt, da kann man sich Nacktfotos von jungen Mädchen rausziehen?«

Auer nuckelte an seinem Bier und nickte: »Ich war bei der Sitte, Alter, schon vergessen? Hast du gewusst, dass es eine Tintenfisch-Art gibt, bei der sich der Pimmel alleine auf den Weg macht? Nein? Pass auf: Das Tintenfisch-Begattungsteil löst sich vom Körper ab. Der Pimmel schwebt unter Wasser mitsamt dem Samenpaket auf die Tintenfischin zu und legt dort seine Spermienladung ab.«

Chili starrte den Auer an: »Echt jetzt? Kein Scheiß?«

Der schüttelte den Kopf: »Na ja, das Weibchen ist fünfmal so groß wie das Männchen. Vielleicht ist ihm das einfach zu viel Frau am Stück, verstehst? So genau weiß ich das aber auch nicht.«

Chili schaute verträumt auf seine Bierflasche und legte die Beine auf die Tischplatte: »Hey, stell dir vor, du gehst auf der Straße, siehst drüben, auf der anderen Seite, eine richtige Sahneschnitte und kriegst sofort die üblichen Gefühle. Jetzt musst du aber nicht mehr flirten, bis dir die Zähne wehtun, sondern du schickst dein Gehänge auf die Reise, das schwebt über die Straße und verschwindet unter dem Rock, und das war’s. Den Rest erledigen die zwei Geschlechtsteile unter sich. Wahnsinn.« Plötzlich fiel ihm was ein: »Der Tintenfisch, kriegt der seinen Pimmel nachher zurück?«

 

Auer trank und schüttelte den Kopf. Chili ebenfalls, und nach einer kurzen Pause sagte er: »Dann vergiss es. Andererseits, da muss ja der ganze Ozean voller alleinstehender Pimmel sein, oder? Gut, dass ich nie ins Wasser gehe.«

»Die Tintenfischmännchen sind nur zwei Zentimeter groß. Aber zurück zu deinem Geschlechtsteil. Was ist mit dem Film? Gibt’s Ärger mit dem Kunden? Das sieht doch alles ganz echt aus, oder?«

Chili schloss die Augen: »Ist echt. Das Problem ist die Sissi.«

»Warum? Habt ihr sie nicht bezahlt?«

»Doch. Aber der Film ist ein paar Jahre alt. Sie ist jetzt verheiratet. Mit einem prominenten Rosenheimer, der auch in der Politik mitmischt. So, und da ist jetzt einer, der erpresst mich, wenn ich dem Promi helfe. Ich soll die Füße stillhalten, sonst gibt er das Video an den Ehemann weiter, so weit klar?«

»Nein. Wird der Promi mit dem Video erpresst?«

Chili schüttelte den Kopf und trank die Flasche leer: »Die Sissi, die ist ein richtiger Wildfang. Immer schon gewesen. Das haben auch viele hier in der Szene gewusst. Der Brunner aber nicht. Nicht viel, jedenfalls. Die Friedl, die ist ja mit ihm befreundet. Die hat ihm aber auch fast nichts gesagt, obwohl ihr der Otti vielleicht das eine oder andere erzählt hat. Keine Ahnung …«

Der Auer kratzte sich am Kopf: »Ach, so läuft das. Weiter!«

»Gut. Die beiden heiraten also vor zwei Jahren. Der Brunner Alois ist da schon 62, stellvertretender Bankdirektor und Stadtrat. Die Sissi ist 32 und hat mehr Feuer im Hintern als der Ätna. Interessant wird’s aber jetzt: Die Sissi haut immer wieder mal ab. So für zwei oder drei Tage. Sie hat wohl einen Lover, keine Ahnung. Der alte Brunner macht jedes Mal einen Aufstand, aber wenn sie dann wieder da ist und vor ihm auf die Knie geht, ist alles vergessen. Nur, diesmal ist sie schon seit fast einer Woche weg. Der Alte weiß, dass ich die Sissi sehr gut kenne. Wir waren sogar eine Zeit lang zusammen. Ich mag sie immer noch sehr. Na ja, das weiß er natürlich nicht. Er denkt, sie hat mal hier im Laden gezapft. Hat sie auch, aber in solchen Filmen und auf dem Tisch. Gezapft, meine ich, aber das siehst du ja selber. Auf jeden Fall, ich hab sie ein paarmal für ihn gesucht und auch gefunden und ins Nest zurückgebracht.«

»Sie ist also nicht entführt worden. Ich versteh immer noch nicht so ganz. Hast du noch Bier?«

Chili griff nach unten und reichte eine grüne Flasche rüber: »Der Brunner will, dass ich die Sissi wieder mal finde, weil er nicht zur Polizei gehen kann. Sonst muss er sich selber als Stadtrat ganz schnell vergessen. Aber ich, und das ist der Clou, werde jetzt erpresst. Ich, kannst du dir das vorstellen? Mit dem Porno hier. Und wenn der Brunner die Leberkäs-Produktion sieht, dann macht er mich fertig. Ich hinter seiner Frau. Seine Frau, mit einem nicht näher bekannten Pimmel zwischen den Kiefern. Ich hab dem alten Sack immer erzählt, die Sissi hat mit ein paar Mädels von früher einen draufgemacht und so. Junge Frauen brechen halt mal aus. Alles ganz harmlos, nie was passiert. Und jetzt der Film. Weißt du, was das für mich heißt?«

Er schüttelte den Kopf und klatschte die Hände zusammen: »Peng. Das heißt Gewerbeaufsicht, Lebensmittelkontrolle, die von der Sitte jede Woche und so weiter. Die geben sich hier doch dann die Klinke in die Hand, bis ich den Laden dichtmachen kann. Und für eine berufliche Umorientierung bin ich einfach zu alt. Und da kommst du jetzt ins Spiel, Alter. Genau hier.«

»Ich kann …«

Aber weiter kommen wir jetzt im Moment nicht, und das wirst du gleich verstehen. Aus dem Lokal ist ein mörderischer Schrei zu hören und dann ein ganz klägliches, weinerliches Wimmern. Eine paar Sekunden später klopft es an der Tür und die niedliche Blonde steckt den Oberkörper rein. Jetzt, und das ist noch erwähnenswert, hat sie einen Cowboyhut von der Flötzinger-Brauerei auf dem Kopf. So einen, wie du ihn dir vielleicht zum Rasenmähen auf den Kürbis klemmst. Und sie hat jetzt ein schwarzes T-Shirt an, da ist ein weißer Dinosaurier drauf, der traurig in die Landschaft guckt und sagt: »All my friends are dead!«

So viel zur allgemeinen Lage, aber jetzt geht’s auch gleich weiter:

Blondie sagt mit bebender Stimme: »Chef, können Sie mal kommen, hier ist was Schlimmes passiert!«

Chili fasste unter den Tisch und hatte plötzlich einen stupsnasigen Revolver in der Hand. Der Auer hob die Hände: »Wow, wow, wow, ganz ruhig, Alter, ich kann das erklären!«

Der Revolver schwenkte auf den Max, der immer noch die Arme auf Schulterhöhe hatte: »Das ist jetzt mehr so ein medizinisches Problem. Oder, genauer gesagt, die Nebenwirkung der Problemlösung. Ich kann das erklären. Deine Jungs …«

Aber Chili hatte den Revolver schon wieder verschwinden lassen und meinte seufzend: »Die schon wieder. Alles klar. Weißt du, wie schwer es ist, qualifiziertes Personal zu bekommen? Heutzutage? In dieser Branche?«

Auer nickte: »Und vor allen Dingen die Klamotten. Echt scharf. Wo kriegt man das her?«

Chili nippte an seiner Bierflasche: »Die Anzüge? Die sind richtig gut, was? Da war ein Kunde aus Korea, der hat die für ein paar Dutzend Alm-Pornos in Zahlung gegeben. Willst du auch so einen? Ich hab noch zwei oder drei Stück davon rumhängen.«

Auer winkte ab: »Lass mal, passt schon. Wie soll das mit der Sissi weitergehen?«

Chili runzelte die Stirn: »Geh zum Brunner. Sag ihm, du bist ein Spezialist für solche Fälle. Du kannst so was viel besser als ich. Leute finden und so. Erzähl ihm von deiner Zeit in München. Hattest du schon mal mit Entführungen zu tun? Vielleicht ist es ja jetzt doch eine, denn warum zum Teufel sollte ich mich sonst da raushalten?«

Auer nickte: »Ja, ich war mal für ein paar Monate in einer Entführungs-SOKO. Ich wollte damals die Abteilung wechseln. Immer nur Kinderpornos und sexuelle Gewaltarien, das nervt. Aber ich hab’s verbockt.«

»Echt? Wie denn?«

Der Auer verzog das Gesicht: »Ich hab den Entführer erschossen, obwohl wir das Opfer schon hatten. Aber der Sack hat mich dermaßen genervt, da ist mir der Finger abgerutscht.«

Chili strahlte: »Du bist mein Mann. Kurze, klare Lösungen, eine schnelle Entscheidung, wenn es sein muss. Wirtschaftspolitisch würde ich sagen, du entsprichst exakt meinem Anforderungsprofil. Du hast den Job. Geh zum Brunner, erzähl ihm einen vom Pferd, und sag ihm von mir aus noch, mir wäre nicht mehr zu trauen. Mach ein ordentliches Honorar aus, finde die Sissi, bring sie ihm einigermaßen am Stück zurück, und alles ist wieder im Lot. Pass auf, ich schreib dir jetzt ein paar Adressen auf, wo sie immer abhängt, wenn sie die Schnauze so richtig voll von dem Alten hat.«

»Oh Mann, ist ja echt super«, stöhnte Auer. »Und wo soll ich anfangen?«

»Du findest sie. Ich hab sie ja auch immer gefunden. Wir können es auch so machen: Ich telefonier ein bisschen rum, sag dir, wo sie steckt, und du sammelst sie ein. So bin ich aus der Nummer raus, keiner kann mich erpressen, und my Business läuft weiter as usual. Na? Deal oder Deal?«

Der Auer zog sich aus dem Sessel hoch und sagte: »Lass mich drüber schlafen. Morgen früh sag ich dir Bescheid, okay?«

Chile strahlte: »Hey, Alter, danke. Willst du das blonde Pony da draußen reiten? Kannst du gleich, wenn du willst. Na?«

Auer schüttelte den Kopf: »Lass mal. Passt schon. Ich ruf dich an, ja?«

Im Lokal saßen die Zwillinge wieder am Tisch und Blondie polierte Gläser. Der Plumpser hob einen Arm, zeigte zuerst auf Auer, dann auf seinen Kumpel: »Du bist ab jetzt auf seiner persönlichen Hassliste.«

Auer schaute sich um: »Wo ist die Zecke?«

Und der Kleine: »Die hat auf der Damentoilette eine Seebestattung bekommen. Mit allem Drum und Dran. Aber er hier, er hat sich das Eingemachte verbrannt. Der hat ja ein behaartes Pferdegehänge, und das ging teilweise in Flammen auf wie ein alter Christbaum.«

Auer schüttelte den Kopf: »Jungs, da ist noch ein Trick dabei, hab ich das nicht gesagt? Das Streichholz entflammen lassen, kurz über die Zecke streichen und weg damit. Doch nicht drunter halten, bis der Wald zu brennen anfängt.«

Der Hiever knurrte, und Auer sagte zu dem Kleinen: »Kann der Elch sprechen?«

Plumpser zuckte mit den Achseln: »Keine Ahnung. Er ist Finne, und die reden eh sehr ungern, hab ich mal gelesen. Wir haben da so eine Art Zeichensprache, wir beiden. Fängst du jetzt hier bei uns an?«

»Würde ich gerne. Aber mir passt keiner von den Anzügen. Noch ein fröhliches Schaffen, Jungs. Man sieht sich.«

Draußen musste sich der Auer erst blinzelnd an das Tageslicht gewöhnen, dann streckte er sich, stieg grinsend in den alten Benz und fuhr los.

Ja, wo ist denn jetzt die Sissi?

Das Telefon summte um 14.30 Uhr, und Auer, der bequem im Fahrersitz lümmelte und auf die rote Ampel starrte, zuckte zusammen.

Jetzt muss man sagen, da wärst du auch erschrocken, wenn in so einer alten Kiste plötzlich was lossummt. Weil, du erwartest ja alles Mögliche, aber kein Telefon. Und in der Mittelkonsole flackerte plötzlich zusätzlich zu dem nervenden Summton hektisch ein rotes Lämpchen.

Der Auer schaute sich rechts vom Lenkrad um, in dem Moment sprang die Ampel auf Grün, was in der Regel keinerlei Geräusche verursacht. Auer, der aber immer noch das Telefon suchte, erschrak schon wieder, weil der Lastwagenfahrer hinter ihm hupte und mit der flachen Hand außen lautstark auf das Blech seiner eingedellten Fahrertür schlug. Dann streckte sich ein türkisch aussehender Kopf aus dem Fenster und das rote Gesicht mit den kurzen schwarzen Haarstoppeln über den Ohren schrie: »Ey, Alter, mach dich von de Acker mit deine rollende Museum, ja? Aber tschabuk, tschabuk, yalla? Husch-husch zurück auf de Friedhof!«

Der Auer winkte entschuldigend mit der linken Hand, gab natürlich zu viel Gas und röhrte mit kreischend durchdrehenden Reifen los. Hinter dem Brückenberg fuhr er rechts ran, gegenüber der Auer-Brauerei. Wenn ich mit denen verwandt wäre, dann müsste ich zumindest mein Bier nicht mehr selber zahlen, dachte sich der Max, während er mit der Hand über die Mittelkonsole fuhr und eine Klappe unter dem Radio öffnete. Und da war es: ein Becker AT40S aus den 80er-Jahren. Eins der ersten Autotelefone. Früher C-Netz, aber jetzt wohl auf das D-Netz umgebaut. Der Hörer mit Spiralkabel war so groß wie ein in der Mitte durchgefräster Ziegelstein.

Auer drückte auf das Telefonsymbol und nahm den halben Ziegelstein ans Ohr: »Ja?«

»Rosenheimer Stadtbank. Guten Tag, Herr Auer. Hier ist das Sekretariat von Herrn Direktor Brunner. Ich verbinde.«

Musik ertönte. Eine Passage aus dem »Forellenquintett«. Dann kam eine barsche Männerstimme durch die Leitung: »Brunner hier. Guten Tag, Herr Auer.«

»Woher haben Sie diese Nummer?«

»Der Herr Sebastian Glasl hat mich grad’ angerufen und mir von Ihnen erzählt. Und auch, dass Sie den Wagen von meinem Freund, Ihrem Onkel Ottfried Bernrieder, haben.«

»Ex-Onkel. Er ist ja mittlerweile ein bisschen tot.«

Grunzen in der Leitung, dann sagte Brunner: »Herr Auer. Ich habe keine Zeit für Späße. Können wir uns irgendwo in der Stadt treffen? Sie haben von meinem Problem gehört und sind willens, tätig zu werden, ja?«

Wer, um Gottes willen, redete heutzutage noch so? »Willens, tätig zu werden.«

»Das weiß ich noch nicht. Lassen Sie uns reden. Wo?«

»Kennen Sie den Stockhammer? Die Wirtschaft am Max-Josefs-Platz?«

»Mhm.«

»Gut, dort bin ich in einer Viertelstunde. Drinnen, in der Stube, am hintersten Tisch links in der Ecke, wenn der frei ist. Wie sehen Sie aus?«

Auer blinzelte sich im Rückspiegel an. Wie ein Gott, dachte er. Aber er sagte: »Ich bin 1,80, habe 83 Kilo, braunes, mittellanges Haar. Schauen Sie im Fernsehen diese Serie ›Die Toten von Salzburg‹?«

Brunner schnaufte: »Was soll das?«

»Na ja, ich schau ein bissel so aus wie der eine, der den deutschen Kommissar spielt. Der, der immer so ein bissel grantig ist. Sie wissen schon, der früher den Carlo Menzinger im Tatort gespielt hat. Und Sie, wie schauen Sie aus?«

»Sie erkennen mich, wenn Sie mich sehen. Bis gleich!«

Auer legte den Hörer wieder in das Ablagefach, schloss die Klappe und dachte sich, du mich auch, dann fuhr er an.

Das Traditions-Gasthaus Stockhammer kennt nun wirklich ein jeder. Berühmt für seine gute, bodenständige Kost und seine hübschen und freundlichen Bedienungen. Deswegen auch beliebt bei den Lokalpolitikern, und zwar fraktionsübergreifend.

 

Der Auer ging freundlich grüßend in der Gaststube an zwei Kellnerinnen vorbei und schaute sich um. Um diese Zeit war nicht viel los, und so saß der Vizedirektor und Stadtrat Brunner gut sichtbar hinten am Ecktisch.

Wie ein alter, grauer Rabe hockte er da vor seinem Bierglas. Schütteres graues Haar, einen dicken Kopf mit noch dickeren Brillengläsern auf der Nase. Und Tränensäcken unter den Augen, aus denen sich der Louis Trenker problemlos einen Rucksack gemacht hätte. Ein bräsiger alter Knabe, der aussah wie einer, der hart auf die 70 zusegelt. Dabei war er, wie der Auer vom Chili wusste, noch keine 62. Aber er muss wohl das richtige Parfüm haben, dachte sich der Auer, denn sonst kriegt so einer wie der eine wie die Sissi nicht auf die Matratze.

Max zog sich einen Stuhl zurecht und streckte dem Brunner die Hand hin. Der gab ihm eine weiche, feuchte Berührung und wies auf den Stuhl: »Bitte nehmen Sie Platz, Herr Auer. Und danke, dass Sie gekommen sind. Wie ist Ihr Wissensstand?«

Der Max öffnete den Mund, sagte aber nichts, weil eine freundliche Rotbraune an den Tisch getreten war: »Auch ein Bier?«

Auer nickte, und die Bedienung ging zur Theke.

»Ich weiß, dass Ihre Frau ab und zu für ein oder zwei Tage verschwindet. Sich mit Freundinnen in München oder Salzburg trifft und einen draufmacht. Wenn’s Ihnen zu lange gedauert hat, dann haben Sie den Glasl Sepp geschickt, um sie heimzuholen. Jetzt ist sie aber schon etwas länger weg, und der Sepp weiß auch nicht, wo sie sein könnte. Er hat seine Kontakte abtelefoniert, aber keiner hat Ihre Frau gesehen oder was von ihr gehört. Stimmt das so weit?«

Die Bedienung kam mit dem Bier, stellte es vor den Auer und lächelte ihn an: »Wollen Sie was essen? Dann bringe ich die Karte.«

Der Auer brachte sein bestes Lächeln zum Einsatz: »Mit Ihnen immer. Wann haben Sie denn Zeit?«

Sie lachte, kniff ein Auge zu und ging.

Der alte Brunner fuhr sich mit der Hand über den Kopf: »Haben Sie Bilder von meiner Frau gesehen?«

Auer, der gerade den Schaum abtrank, nickte. Und was für welche, dachte er sich dabei.

Brunner nickte ebenfalls: »Dann fragen Sie sich, was so eine junge und schöne Frau an einem alten Kerl wie mir findet, oder?« Er hob die Hand: »Nein, sagen Sie nichts. Ich liebe sie mit jeder Faser meines Körpers. Vom ersten Moment an, als ich sie gesehen habe. Sie hat sich über mich lustig gemacht, aber ich ging immer wieder hin, in dieses Lokal, wo sie ab und zu gearbeitet hat. Irgendwie sind wir dann ins Gespräch gekommen. Ich kann gut zuhören. Wir haben nächtelang geredet. Nein, sie hat geredet. Von kaputten Beziehungen. Von Kerlen, die sie ausgenutzt und geschlagen haben. Davon, dass sie eigentlich nur in Ruhe leben möchte. Dass sie vollkommen fertig und am Ende ist. Sie hat wohl in erster Linie so eine Art Vaterfigur in mir gesehen, schon klar.«

Brunner nahm einen kleinen Schluck und schaute mit blicklosen Augen zum Fenster raus. Seine Stimme wurde rau und brüchig. Er räusperte sich: »In einer dieser Nächte hab ich mir ein Herz gefasst und ihr ein Angebot gemacht. Sissi, hab ich gesagt, komm zu mir. Ich bin seit dem Tod meiner Frau alleine. Ich hab ein großes Haus, ein Boot, Ferienwohnungen, ich hab alles, was du dir nur wünschen kannst. Und ich gebe es dir. Ich lege dir alles zu Füßen, wenn du zu mir kommst. Ich will dich auch gerne heiraten, wenn du das willst. Natürlich erst, wenn wir uns ein bissel besser kennen, sagte ich zu ihr. Dann bist du versorgt, wenn mir was passiert. Und wenn’s dir bei mir langweilig wird, dann kannst du, wann immer du willst, für ein paar Tage in die besten Hotels gehen oder auch mal richtig verreisen. Südsee, Italien, Amerika, was weiß ich. In Kitzbühel hab ich auch noch ein kleines Haus und ein Penthaus am Gardasee.«

Er schaute den Auer aus seinen rotunterlaufenen Augen an: »Sie ist oft ausgebrochen, aber auch immer wieder zurückgekommen. Es muss irgendwas mit ihr passiert sein, sonst hätte ich von ihr gehört. Helfen Sie mir, Max Auer, sie ist alles, was ich habe.«

»In welcher Beziehung steht jemand wie Sie zum Glasl und was hatten Sie mit meinem Onkel zu tun?«

Der Brunner rührte nachdenklich mit einem Finger in einer kleinen, runden Bierlache auf der Tischplatte: »Die Sissi kannte den Glasl. Sie hat ab und zu bei ihm gearbeitet, hat sie mir erzählt. Hinter der Theke. Der Ottfried hat ihr das vermittelt. So hab ich sie kennengelernt. Und dass der Glasl in der hiesigen Unterwelt bestens vernetzt ist, das weiß ein jeder. Mir war das nicht recht, dass sie ihm ab und zu ausgeholfen hat, aber er war, so wie viele ihrer Freunde, »aus einem früheren Leben«, wie sie mal zu mir gesagt hat. Und die Sissi ist keine Frau, der man was verbietet oder abschlägt. Und der Otti? Meine Bank hat einige seiner Unternehmungen finanziert. Wir waren alte Freunde, und er hat mir das Kitzbühelhaus und die Wohnung am Gardasee beschafft. Das wird Ihnen die Friedl sowieso erzählen, also können Sie es auch von mir hören. Eine Hand wäscht die andere. So ist das nun mal.«

Er trank, hob sein leeres Glas und wackelte damit: »Den Otti hab ich anfangs beneidet. Um sein abenteuerliches Leben, seine Kontakte zu Leuten wie dem Glasl und anderen Halbweltlern, mit denen sich einer wie ich in so einem Lokal wie dem hier nicht sehen lassen dürfte. Aber diese Leute haben immer fröhliche Tage und bunte Nächte. Schöne Frauen, immer Spaß. Immer Action, die leben ihr Leben und nehmen sich, was sie wollen. Aber meine verstorbene Frau hat mal zu mir gesagt: ›Wenn du jemanden um sein Leben beneidest, dann denk an die Bilder von den Pizzas auf den bunten Prospekten von diesen Lieferservices. Die sehen, im richtigen Licht fotografiert, immer besser aus, als sie dann sind, wenn du sie auf dem Teller hast.‹« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch: »Wo ist denn nun mein Bier, zum Teufel?«

»Ihr Bier? Kommt gleich, Herr Direktor!«, rief die Kellnerin und der Brunner schaute wieder auf seine Hände: »Sie waren bei der Kripo in München, ein guter Ermittler. Aber man hat Sie kaltgestellt. Reingelegt, könnte man sagen. So viel hab ich von einem Freund aus München erfahren. Sie sind wohl dem verkehrten Mann zur verkehrten Zeit auf die Füße gestiegen, was?«

Er versuchte zu lächeln, das gelang ihm aber nicht. »Und jetzt, was wollen Sie hier in Rosenheim beruflich so machen? Sie sind ja noch jung, da muss noch was kommen, oder?«

Auer zuckte mit den Achseln und nahm sich eine Breze aus dem Korb: »Mal schauen. Ich hab ja auch noch eine abgeschlossene Ausbildung als Rauchmelder. Ich kann laut schreien, wenn’s brennt. Ist eine seltene Begabung, und Spezialisten werden immer gesucht. Warum fragen Sie?«

Brunner grinste gequält und sagte: »Wenn du eine Frage stellst, und es gibt darauf keine vernünftige Antwort, dann kann das schon die Antwort sein, Herr Auer. Überlegen Sie, wie viel Sie von mir für Ihre Dienste haben wollen. Rufen Sie mich später im Büro an. Hier ist meine Karte. Und das hier«, er fasste mit der linken Hand in die Tasche seiner Lodenjacke und legte ein weißes iPhone 8 auf den Tisch, »das ist ihr Handy. Das hat sie wohl vergessen. Normalerweise nimmt sie das immer mit, wenn sie, wie soll ich sagen … verreist. Diesmal hat sie es wohl vergessen. Schauen Sie sich die gespeicherten Nummern an, vielleicht finden Sie einen Hinweis, wo sie hingefahren ist. Wenn Sie den Job machen und sie finden, dann seien Sie nett zu ihr. Sagen Sie ihr, ich mache mir Sorgen. Wenn sie noch wegbleiben will, kein Problem. Ich will nur sicher sein, dass es ihr gutgeht, okay?«