Der arme Spielmann

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Der arme Spielmann
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Hörbuch
Wird gelesen Schauspieler des Wiener Burgtheaters
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Der arme Spielmann

Franz Grillparzer

Inhaltsverzeichnis

Über den Autoren

Der arme Spielmann

Impressum

Über den Autoren

Franz Seraphicus Grillparzer war ein österreichischer Schriftsteller, der vor allem als Dramatiker hervorgetreten ist. Aufgrund der identitätsstiftenden Verwendung seiner Werke, vor allem nach 1945, wird er auch als österreichischer Nationaldichter bezeichnet.

Der arme Spielmann

In Wien ist der Sonntag nach dem Vollmonde im Monat Juli jedes Jahres samt dem darauffolgenden Tage ein eigentliches Volksfest, wenn je ein Fest diesen Namen verdient hat. Das Volk besucht es und gibt es selbst; und wenn Vornehmere dabei erscheinen, so koennen sie es nur in ihrer Eigenschaft als Glieder des Volks. Da ist keine Moeglichkeit der Absonderung; wenigstens vor einigen Jahren noch war keine.

An diesem Tage feiert die mit dem Augarten, der Leopoldstadt, dem Prater in ununterbrochener Lustreihe zusammenhaengende Brigittenau ihre Kirchweihe. Von Brigittenkirchtag zu Brigittenkirchtag zaehlt seine guten Tage das arbeitende Volk. Lange erwartet, erscheint endlich das saturnalische Fest. Da entsteht Aufruhr in der gutmuetig ruhigen Stadt. Eine wogende Menge erfuellt die Strassen. Geraeusch von Fusstritten, Gemurmel von Sprechenden, das hie und da ein lauter Ausruf durchzuckt. Der Unterschied der Staende ist verschwunden; Buerger und Soldat teilt die Bewegung. An den Toren der Stadt waechst der Drang. Genommen, verloren und wiedergenommen, ist endlich der Ausgang erkaempft. Aber die Donaubruecke bietet neue Schwierigkeiten. Auch hier siegreich, ziehen endlich zwei Stroeme, die alte Donau und die geschwollnere Woge des Volks, sich kreuzend quer unter- und uebereinander, die Donau ihrem alten Flussbette nach, der Strom des Volkes, der Eindaemmung der Bruecke entnommen, ein weiter, tosender See, sich ergiessend in alles deckender Ueberschwemmung. Ein neu Hinzugekommener faende die Zeichen bedenklich. Es ist aber der Aufruhr der Freude, die Losgebundenheit der Lust.

Schon zwischen Stadt und Bruecke haben sich Korbwagen aufgestellt fuer die eigentlichen Hierophanten dieses Weihfestes: die Kinder der Dienstbarkeit und der Arbeit. Ueberfuellt und dennoch im Galopp durchfliegen sie die Menschenmasse, die sich hart vor ihnen oeffnet und hinter ihnen schliesst, unbesorgt und unverletzt. Denn es ist in Wien ein stillschweigender Bund zwischen Wagen und Menschen: nicht zu ueberfahren, selbst im vollen Lauf; und nicht ueberfahren zu werden, auch ohne alle Aufmerksamkeit.

Von Sekunde zu Sekunde wird der Abstand zwischen Wagen und Wagen kleiner. Schon mischen sich einzelne Equipagen der Vornehmeren in den oft unterbrochenen Zug. Die Wagen fliegen nicht mehr. Bis endlich fuenf bis sechs Stunden vor Nacht die einzelnen Pferde- und Kutschen-Atome sich zu einer kompakten Reihe verdichten, die, sich selber hemmend und durch Zufahrende aus allen Quergassen gehemmt, das alte Sprichwort "Besser schlecht gefahren, als zu Fusse gegangen" offenbar zuschanden macht. Begafft, bedauert, bespottet, sitzen die geputzten Damen in den scheinbar stillestehenden Kutschen. Des immerwaehrenden Anhaltens ungewohnt, baeumt sich der Holsteiner Rappe, als wollte er seinen durch den ihm vorgehenden Korbwagen gehemmten Weg obenhin ueber diesen hinaus nehmen, was auch die schreiende Weiber- und Kinderbevoelkerung des Plebejer-Fuhrwerks offenbar zu befuerchten scheint. Der schnell dahinschiessende Fiaker, zum ersten Male seiner Natur ungetreu, berechnet ingrimmig den Verlust, auf einem Wege drei Stunden zubringen zu muessen, den er sonst in fuenf Minuten durchflog. Zank, Geschrei, wechselseitige Ehrenangriffe der Kutscher, mitunter ein Peitschenhieb.

Endlich, wie denn in dieser Welt jedes noch so hartnaeckige Stehenbleiben doch nur ein unvermerktes Weiterruecken ist, erscheint auch diesem status quo ein Hoffnungsstrahl. Die ersten Baeume des Augartens und der Brigittenau werden sichtbar. Land! Land! Land! Alle Leiden sind vergessen. Die zu Wagen Gekommenen steigen aus und mischen sich unter die Fussgaenger, Toene entfernter Tanzmusik schallen herueber, vom Jubel der neu Ankommenden beantwortet. Und so fort und immer weiter, bis endlich der breite Hafen der Lust sich auftut und Wald und Wiese, Musik und Tanz, Wein und Schmaus, Schattenspiel und Seiltaenzer, Erleuchtung und Feuerwerk sich zu einem pays de cocagne, einem Eldorado, einem eigentlichen Schlaraffenlande vereinigen, das leider, oder gluecklicherweise, wie man es nimmt, nur einen und den naechst darauffolgenden Tag dauert, dann aber verschwindet, wie der Traum einer Sommernacht, und nur in der Erinnerung zurueckbleibt und allenfalls in der Hoffnung.

Ich versaeume nicht leicht, diesem Feste beizuwohnen. Als ein leidenschaftlicher Liebhaber der Menschen, vorzueglich des Volkes, so dass mir selbst als dramatischem Dichter der rueckhaltslose Ausbruch eines ueberfuellten Schauspielhauses immer zehnmal interessanter, ja belehrender war als das zusammengekluegelte Urteil eines an Leib und Seele verkrueppelten, von dem Blut ausgezogener Autoren spinnenartig aufgeschwollenen literarischen Matadors; als ein Liebhaber der Menschen, sage ich, besonders wenn sie in Massen fuer einige Zeit der einzelnen Zwecke vergessen und sich als Teile des Ganzen fuehlen, in dem denn doch zuletzt das Goettliche liegt—als einem solchen ist mir jedes Volksfest ein eigentliches Seelenfest, eine Wallfahrt, eine Andacht. Wie aus einem aufgerollten, ungeheuren, dem Rahmen des Buches entsprungenen Plutarch lese ich aus den heitern und heimlich bekuemmerten Gesichtern, dem lebhaften oder gedrueckten Gange, dem wechselseitigen Benehmen der Familienglieder, den einzelnen halb unwillkuerlichen Aeusserungen mir die Biographien der unberuehmten Menschen zusammen, und wahrlich! man kann die Beruehmten nicht verstehen, wenn man die Obskuren nicht durchgefuehlt hat. Von dem Wortwechsel weinerhitzter Karrenschieber spinnt sich ein unsichtbarer, aber ununterbrochener Faden bis zum Zwist der Goettersoehne, und in der jungen Magd, die, halb wider Willen, dem draengenden Liebhaber seitab vom Gewuehl der Tanzenden folgt, liegen als Embryo die Julien, die Didos und die Medeen.

Auch vor zwei Jahren hatte ich mich, wie gewoehnlich, den lustgierigen Kirchweihgaesten als Fussgaenger mit angeschlossen. Schon waren die Hauptschwierigkeiten der Wanderung ueberwunden und ich befand mich bereits am Ende des Augartens, die ersehnte Brigittenau hart vor mir liegend. Hier ist nun noch ein, wenngleich der letzte Kampf zu bestehen. Ein schmaler Damm, zwischen undurchdringlichen Befriedungen hindurchlaufend, bildet die einzige Verbindung der beiden Lustorte, deren gemeinschaftliche Grenze ein in der Mitte befindliches hoelzernes Gittertor bezeichnet. An gewoehnlichen Tagen und fuer gewoehnliche Spaziergaenger bietet dieser Verbindungsweg ueberfluessigen Raum; am Kirchweihfeste aber wuerde seine Breite, auch vierfach genommen, noch immer zu schmal sein fuer die endlose Menge, die, heftig nachdraengend und von Rueckkehrenden im entgegengesetzten Sinne durchkreuzt, nur durch die allseitige Gutmuetigkeit der Lustwandelnden sich am Ende doch leidlich zurechtfindet.

Ich hatte mich dem Zug der Menge hingegeben und befand mich in der Mitte des Dammes, bereits auf klassischem Boden, nur leider zu stets erneutem Stillestehen, Ausbeugen und Abwarten genoetigt. Da war denn Zeit genug, das seitwaerts am Wege Befindliche zu betrachten. Damit es naemlich der genusslechzenden Menge nicht an einem Vorschmack der zu erwartenden Seligkeit mangle, hatten sich links am Abhang der erhoehten Dammstrasse einzelne Musiker aufgestellt, die, wahrscheinlich die grosse Konkurrenz scheuend, hier an den Propylaeen die Erstlinge der noch unabgenuetzten Freigebigkeit einernten wollten. Eine Harfenspielerin mit widerlich starrenden Augen. Ein alter invalider Stelzfuss, der auf einem entsetzlichen, offenbar von ihm selbst verfertigten Instrumente, halb Hackbrett und halb Drehorgel, die Schmerzen seiner Verwundung dem allgemeinen Mitleid auf eine analoge Weise empfindbar machen wollte. Ein lahmer, verwachsener Knabe, er und seine Violine einen einzigen ununterscheidbaren Knaeuel bildend, der endlos fortrollende Walzer mit all der hektischen Heftigkeit seiner verbildeten Brust herabspielte. Endlich—und er zog meine ganze Aufmerksamkeit auf sich—ein alter, leicht siebzigjaehriger Mann in einem fadenscheinigen, aber nicht unreinlichen Molltonueberrock mit laechelnder, sich selbst Beifall gebender Miene. Barhaeuptig und kahlkoepfig stand er da, nach Art dieser Leute, den Hut als Sammelbuechse vor sich auf dem Boden, und so bearbeitete er eine alte vielzersprungene Violine, wobei er den Takt nicht nur durch Aufheben und Niedersetzen des Fusses, sondern zugleich durch uebereinstimmende Bewegung des ganzen gebueckten Koerpers markierte. Aber all diese Bemuehung, Einheit in seine Leistung zu bringen, war fruchtlos, denn was er spielte, schien eine unzusammenhaengende Folge von Toenen ohne Zeitmass und Melodie. Dabei war er ganz in sein Werk vertieft: die Lippen zuckten, die Augen waren starr auf das vor ihm befindliche Notenblatt gerichtet ja wahrhaftig Notenblatt! Denn indes alle andern, ungleich mehr zu Dank spielenden Musiker sich auf ihr Gedaechtnis verliessen, hatte der alte Mann mitten in dem Gewuehle ein kleines, leicht tragbares Pult vor sich hingestellt mit schmutzigen, zergriffenen Noten, die das in schoenster Ordnung enthalten mochten, was er so ausser allem Zusammenhange zu hoeren gab. Gerade das Ungewoehnliche dieser Ausruestung hatte meine Aufmerksamkeit auf ihn gezogen, so wie es auch die Heiterkeit des vorueberwogenden Haufens erregte, der ihn auslachte und den zum Sammeln hingestellten Hut des alten Mannes leer liess, indes das uebrige Orchester ganze Kupferminen einsackte. Ich war, um das Original ungestoert zu betrachten, in einiger Entfernung auf den Seitenabhang des Dammes getreten. Er spielte noch eine Weile fort. Endlich hielt er ein, blickte, wie aus einer langen Abwesenheit zu sich gekommen, nach dem Firmament, das schon die Spuren des nahenden Abends zu zeigen anfing, darauf abwaerts in seinen Hut, fand ihn leer, setzte ihn mit ungetruebter Heiterkeit auf, steckte den Geigenbogen zwischen die Saiten; "Sunt certi denique fines", sagte er, ergriff sein Notenpult und arbeitete sich muehsam durch die dem Feste zustroemende Menge in entgegengesetzter Richtung, als einer, der heimkehrt.

 

Das ganze Wesen des alten Mannes war eigentlich wie gemacht, um meinen anthropologischen Heisshunger aufs aeusserste zu reizen. Die duerftige und doch edle Gestalt, seine unbesiegbare Heiterkeit, so viel Kunsteifer bei so viel Unbeholfenheit; dass er gerade zu einer Zeit heimkehrte, wo fuer andere seinesgleichen erst die eigentliche Ernte anging; endlich die wenigen, aber mit der richtigsten Betonung, mit voelliger Gelaeufigkeit gesprochenen lateinischen Worte. Der Mann hatte also eine sorgfaeltigere Erziehung genossen, sich Kenntnisse eigen gemacht, und nun—ein Bettelmusikant! Ich zitterte vor Begierde nach dem Zusammenhange.

Aber schon befand sich ein dichter Menschenwall zwischen mir und ihm. Klein, wie er war, und durch das Notenpult in seiner Hand nach allen Seiten hin stoerend, schob ihn einer dem andern zu, und schon hatte ihn das Ausgangsgitter aufgenommen, indes ich noch in der Mitte des Dammes mit der entgegenstroemenden Menschenwoge kaempfte. So entschwand er mir, und als ich endlich selbst ins ruhige Freie gelangte, war nach allen Seiten weit und breit kein Spielmann mehr zu sehen.

Das verfehlte Abenteuer hatte mir die Lust an dem Volksfest genommen. Ich durchstrich den Augarten nach allen Richtungen und beschloss endlich, nach Hause zu kehren.

In die Naehe des kleinen Tuerchens gekommen, das aus dem Augarten nach der Taborstrasse fuehrt, hoerte ich ploetzlich den bekannten Ton der alten Violine wieder. Ich verdoppelte meine Schritte, und siehe da! der Gegenstand meiner Neugier stand, aus Leibeskraeften spielend, im Kreise einiger Knaben, die ungeduldig einen Walzer von ihm verlangten. "Einen Walzer spiel!" riefen sie; "einen Walzer, hoerst du nicht?" Der Alte geigte fort, scheinbar ohne auf sie zu achten, bis ihn die kleine Zuhoererschar schmaehend und spottend verliess, sich um einen Leiermann sammelnd, der seine Drehorgel in der Naehe aufgestellt hatte.

"Sie wollen nicht tanzen", sagte wie betruebt der alte Mann, sein

Musikgeraete zusammenlegend. Ich war ganz nahe zu ihm getreten. "Die

Kinder kennen eben keinen andern Tanz als den Walzer", sagte ich.

"Ich spielte einen Walzer", versetzte er, mit dem Geigenbogen den Ort

des soeben gespielten Stueckes auf seinem Notenblatte bezeichnend.

"Man muss derlei auch fuehren, der Menge wegen. Aber die Kinder haben kein Ohr", sagte er, indem er wehmuetig den Kopf schuettelte.—"Lassen Sie mich wenigstens ihren Undank wieder gutmachen", sprach ich, ein Silberstueck aus der Tasche ziehend und ihm hinreichend.—"Bitte! bitte!" rief der alte Mann, wobei er mit beiden Haenden aengstlich abwehrende Bewegungen machte, "in den Hut! in den Hut!"—Ich legte das Geldstueck in den vor ihm stehenden Hut, aus dem es unmittelbar darauf der Alte herausnahm und ganz zufrieden einsteckte, "das heisst einmal mit reichem Gewinn nach Hause gehen", sagte er schmunzelnd.—"Eben recht", sprach ich, "erinnern Sie mich auf einen Umstand, der schon frueher meine Neugier rege machte! Ihre heutige Einnahme scheint nicht die beste gewesen zu sein, und doch entfernen Sie sich in einem Augenblicke, wo eben die eigentliche Ernte angeht. Das Fest dauert, wissen Sie wohl, die ganze Nacht, und Sie koennten da leicht mehr gewinnen als an acht gewoehnlichen Tagen. Wie soll ich mir das erklaeren?"

"Wie Sie sich das erklaeren sollen", versetzte der Alte. "Verzeihen Sie, ich weiss nicht, wer Sie sind, aber Sie muessen ein wohltaetiger Herr sein und ein Freund der Musik", dabei zog er das Silberstueck noch einmal aus der Tasche und drueckte es zwischen seine gegen die Brust gehobenen Haende. "Ich will Ihnen daher nur die Ursachen angeben, obgleich ich oft deshalb verlacht worden bin. Erstens war ich nie ein Nachtschwaermer und halte es auch nicht fuer recht, andere durch Spiel und Gesang zu einem solchen widerlichen Vergehen anzureizen; zweitens muss sich der Mensch in allen Dingen eine gewisse Ordnung festsetzen, sonst geraet er ins Wilde und Unaufhaltsame. Drittens endlich—Herr! ich spiele den ganzen Tag fuer die laermenden Leute und gewinne kaum kaerglich Brot dabei; aber der Abend gehoert mir und meiner armen Kunst.

Abends halte ich mich zu Hause, und"—dabei ward seine Rede immer leiser, Roete ueberzog sein Gesicht, sein Auge suchte den Boden—"da spiele ich denn aus der Einbildung, so fuer mich ohne Noten. Phantasieren, glaub ich, heisst es in den Musikbuechern."

Wir waren beide ganz stille geworden. Er, aus Beschaemung ueber das verratene Geheimnis seines Innern; ich, voll Erstaunen, den Mann von den hoechsten Stufen der Kunst sprechen zu hoeren, der nicht imstande war, den leichtesten Walzer fassbar wiederzugeben. Er bereitete sich indes zum Fortgehen. "Wo wohnen Sie?" sagte ich. "Ich moechte wohl einmal Ihren einsamen Uebungen beiwohnen."—"Oh", versetzte er fast flehend, "Sie wissen wohl, das Gebet gehoert ins Kaemmerlein."—"So will ich Sie denn einmal am Tage besuchen", sagte ich.—"Den Tag ueber", erwiderte er, "gehe ich meinem Unterhalt bei den Leuten nach."—"Also des Morgens denn."—"Sieht es doch beinahe aus", sagte der Alte laechelnd, "als ob Sie, verehrter Herr, der Beschenkte waeren und ich, wenn es mir erlaubt ist zu sagen, der Wohltaeter; so freundlich sind Sie, und so widerwaertig ziehe ich mich zurueck. Ihr vornehmer Besuch wird meiner Wohnung immer eine Ehre sein; nur baete ich, dass Sie den Tag Ihrer Dahinkunft mir grossguenstig im voraus bestimmten, damit weder Sie durch Ungehoerigkeit aufgehalten, noch ich genoetigt werde, ein zur Zeit etwa begonnenes Geschaeft unziemlich zu unterbrechen. Mein Morgen naemlich hat auch seine Bestimmung. Ich halte es jedenfalls fuer meine Pflicht, meinen Goennern und Wohltaetern fuer ihr Geschenk eine nicht ganz unwuerdige Gegengabe darzureichen. Ich will kein Bettler sein, verehrter Herr. Ich weiss wohl, dass die uebrigen oeffentlichen Musikleute sich damit begnuegen, einige auswendig gelernte Gassenhauer, Deutschwalzer, ja wohl gar Melodien von unartigen Liedern, immer wieder von denselben anfangend, fort und fort herabzuspielen, so dass man ihnen gibt, um ihrer loszuwerden, oder weil ihr Spiel die Erinnerung genossener Tanzfreuden oder sonst unordentlicher Ergoetzlichkeiten wieder lebendig macht. Daher spielen sie auch aus dem Gedaechtnis und greifen falsch mitunter, ja haeufig. Von mir aber sei fern zu betruegen. Ich habe deshalb, teils weil mein Gedaechtnis ueberhaupt nicht das beste ist, teils weil es fuer jeden schwierig sein duerfte, verwickelte Zusammensetzungen geachteter Musikverfasser Note fuer Note bei sich zu behalten, diese Hefte mir selbst ins reine geschrieben." Er zeigte dabei durchblaetternd auf sein Musikbuch, in dem ich zu meinem Entsetzen mit sorgfaeltiger, aber widerlich steifer Schrift ungeheuer schwierige Kompositionen alter beruehmter Meister, ganz schwarz von Passagen und Doppelgriffen, erblickte. Und derlei spielte der alte Mann mit seinen ungelenken Fingern! "Indem ich nun diese Stuecke spiele", fuhr er fort, "bezeige ich meine Verehrung den nach Stand und Wuerden geachteten, laengst nicht mehr lebenden Meistern und Verfassern, tue mir selbst genug und lebe der angenehmen Hoffnung, dass die mir mildest gereichte Gabe nicht ohne Entgelt bleibt durch Veredlung des Geschmackes und Herzens der ohnehin von so vielen Seiten gestoerten und irregeleiteten Zuhoererschaft. Da derlei aber, auf dass ich bei meiner Rede bleibe"—und dabei ueberzog ein selbstgefaelliges Laecheln seine Zuege—, "da derlei aber eingeuebt sein will, sind meine Morgenstunden ausschliessend diesem Exercitium bestimmt. Die drei ersten Stunden des Tages der Uebung, die Mitte dem Broterwerb, und der Abend mir und dem lieben Gott, das heisst nicht unehrlich geteilt", sagt er, und dabei glaenzten seine Augen wie feucht; er laechelte aber.

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