Des Meeres und der Liebe Wellen

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Des Meeres und der Liebe Wellen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Des Meeres und der Liebe Wellen

Franz Grillparzer

Trauerspiel in fünf Aufzügen

Inhaltsverzeichnis

Des Meeres und der Liebe Wellen

Personen:

Impressum

Des Meeres und der Liebe Wellen

Franz Grillparzer

Trauerspiel in fünf Aufzügen

Personen:

Hero

Der Oberpriester, ihr Oheim

Leander

Naukleros

Janthe

Der Hüter des Tempels

Heros Eltern

Diener, Fischer, Volk

Erster Aufzug

(Vorhof im Tempel der Aphrodite zu Sestos. Den Mittelgrund bilden

Säulen mit weiten Zwischenräumen, das Peristyl bezeichnend. Im

Hintergrunde der Tempel, zu dem mehrere Stufen emporführen. Nach

vorne, rechts die Statue Amors, links Hymenäus' Bildsäule. Früher

Morgen.)

Hero

(ein Körbchen mit Blumen im Arme haltend tritt aus dem Tempel und

steigt die Stufen herab).

Nun, so weit wär's getan. Geschmückt der Tempel,

Mit Myrt' und Rosen ist er rings bestreut

Und harret auf das Kommende, das Fest. Und ich bin dieses Festes

Gegenstand.

Mir wird vergönnt, die unbemerkten Tage,

Die fernhin rollen ohne Richt und Ziel,

Dem Dienst der hohen Himmlischen zu weihn;

Die einzelnen, die Wiesenblümchen gleich,

Der Fuß des Wanderers zertritt und knickt,

Zum Kranz gewunden um der Göttin Haupt,

Zu weihen und verklären. Sie und mich. Wie bin ich glücklich, daß

nun heut der Tag;

Und daß der Tag so schön, so still, so lieblich!

Kein Wölkchen trübt das blaue Firmament,

Und Phöbus blickt, dem hellen Meer entstiegen,

Schon über jene Zinnen segnend her.

Schaust du mich schon als eine von den Euren?

Ward es dir kund, daß jene muntre Hero,

Die du wohl spielen sahst an Tempels Stufen,

Daß sie, ergreifend ihrer Ahnen Recht,

Die Priester gaben von Urväterzeit

Dem hehren Heiligtum—daß sie's ergreifend

Das schöne Vorrecht, Priesterin nun selbst;

Und heute, heut; an diesem, diesem Tage.

Auf jenen Stufen wird das Volk sie sehn

Den Himmlischen der Opfer Gaben spendend.

Von jeder Lippe ringt sich Jubel los,

Und in dem Glanz, der Göttin dargebracht,

Strahlt auf der Priestrin Haupt—

Allein, wie nur?

Beginn ich mit Versäumen meinen Dienst?

Hier sind noch Kränze, Blumen hab ich noch,

Und jene Bilder stehen ungeschmückt? Hier, Hymenäus, der die

Menschen bindet,

Nimm diesen Kranz von einer, die gern frei.

Die Seelen tauschest du? Ei, gute Götter,

Ich will die meine nur für mich behalten,

Wer weiß, ob eine andre mir so nütz'? Dir Amor sei der zweite

meiner Kränze.

Bist du der Göttin Sohn, und ich ihr Kind,

Sind wir verwandt; und redliche Geschwister

Beschädigen sich nicht und halten Ruh'.

So sei's mit uns, und ehren will ich dich,

Wie man verehrt, was man auch nicht erkennt. Nun noch die Blumen

auf den Estrich.—Doch

Wie liegt nur das Geräte rings am Boden?

Der Sprengkrug und der Wedel, Bast und Binden.

Saumsel'ge Dienerinnen dieses Hauses

Euch stand es zu. Übt so ihr eure Pflicht?

Lieg immer denn, und gib ein kundbar Zeugnis—

Und doch, es martert mein erglühend Auge.

Fort, Niedriges, und laß mich dich nicht schaun.

(Sich mit Zurechtstellen beschäftigend.)

Dort kommt der Schwarm, von lautem Spiel erhitzt,

Nunmehr zu tun, was ohne sie vollendet.

(Janthe und mehrere Dienerinnen kommen.)

Janthe.

Ei, schöne Hero, schon so früh beschäftigt?

Hero.

So früh, weil's andre nicht, wenn noch so spät.

(Die Dienerinnen stellen das übrige zurecht.)

Janthe.

Ei seht, sie tadelt uns, weil wir die Kanne,

Das wenige Gerät nicht weggeschafft.

Hero.

Viel oder wenig, du hast's nicht getan.

Janthe.

Wir waren früh am Werk und sprengten, fegten.

Da kam die Lust, im Grünen uns zu jagen.

Hero.

Drauf gingt ihr hin und—Nun, beim hohen Himmel!

Als du den leichten Fuß erhobst und senktest,

Kam dir der Vorhof deiner Göttin nicht,

Dein unvollendet Werk dir nicht vors Auge?

Genug, ich faß euch nicht, wir wollen schweigen.

Janthe.

Weil du so grämlich bist und einsam schmollst,

Beneidest du dem Frohen jede Lust.

Hero.

Ich bin nicht grämlich, froher leicht als ihr,

Und oft hab ich zur Abendzeit beklagt,

Wo Spiel vergönnt, daß ihr des Spielens müde,

Doch nehm ich nicht dem Ernste seine Lust,

Indem ich mit des Scherzes Lust sie menge.

Janthe.

Verzeih, wir sind gemeines, niedres Volk.

Du freilich, aus der Priester Stamm entsprossen—

Hero.

Du sagst es.

Janthe. Und zu Höherem bestimmt.

Hero.

Mit Stolz entgegn' ich: ja.

Janthe. Ganz andre Freuden,

Erhabnere Genüsse sind für dich.

Hero.

Du weißt, ich kann nicht spotten; spotte nur!

Janthe.

Und doch, gingst du mit uns, und sahst die beiden,

Die fremden Jünglinge am Gittertor—

Hero.

Nun schweig!

Janthe. Was gilt's? du blinzeltest wohl selber

Ein wenig durch die Stäbe.

Hero. Schweige, sag ich.

Ich habe deiner Torheit Raum gegeben,

Leichtfertigem verschließt sich dieses Ohr.

Sprich nicht und reg dich nicht! denn bei den Göttern!

Dem Priester, meinem Oheim sag ich's an,

Und er bestraft dich, wie du's wohl verdienst.

Ich bin mir gram, daß mich der Zorn bemeistert,

Und doch kann ich nicht anders, hör ich dies.

Du sollst nicht reden, sag ich, nicht ein Wort!

(Der Priester, von dem Tempelhüter begleitet, ist von der rechten

Seite her aufgetreten.)

Hero (ihm entgegen).

O wohl mir, daß du kömmst, mein edler Ohm.

Dein Kind war im Begriff zu zürnen, heut,

Am Morgen dieses feierlichen Tags,

Der sie auf immer—O verzeih, mein Ohm!

Priester.

Was aber war der heißen Regung Grund?

Hero.

Die argen Worte dieser Leichtgesinnten;

Der frevle Hohn, der was er selbst nicht achtet,

So gern als unwert aller Achtung malte.

O daß die Weisheit halb so eifrig wäre

Nach Schülern und Bekehrten, als der Spott!

Priester.

Und welche war's, die vor den andern kühn,

Die Sitte unsers Hauses so verletzt?

Hero (nach einer Pause).

Genau besehn, will ich sie dir nicht nennen,

Ob ihr die Rüge gleich gar wohl verdient.

Schilt sie nur alle, Herr, und heiß sie gehn,

Die Schuld'ge nimmt sich selbst wohl ihren Teil.

(Zum Tempelhüter.)

Du aber sieh zum äußern Gittertor,

Damit nicht Fremde—

Priester.

Hätte denn—?

Hero.

Ich bitte!

Priester.

So geh!—Und ihr! und meidet zu begegnen

Dem Zorne, der sein Recht und seine Mittel kennt.

(Der Tempelhüter nach der linken, die Mädchen nach der rechten

Seite ab.)

Hero.

Nun ist mir leicht! Ich könnte sie bedauern,

Wenn ihre Torheit an sich selber zehrte,

Nicht um Genossen würb' und Billigung.

Priester.

Sosehr mich freut, daß du den Schwarm vermeidest,

Und aus der Menge nicht die Freundin wählst,

So sehr befremdet mich, ja ich beklag es,

Daß dich zu keiner unter deinesgleichen

Des Herzens Zug, ein still Bedürfnis führte.

Ein einsam Leben harrt der Priesterin,

Zu zweien trägt und wirkt sich's noch so leicht.

Hero.

Ich kann nicht finden, daß Gesellschaft fördert;

Was einem obliegt muß man selber tun.

Dann, nennst du einsam einer Priestrin Leben?

Wann war es einsam hier im Tempel je?

Vom frühen Morgen drängt die laute Menge,

Aus Ost und Westen strömt herbei das Volk.

Von Weihgeschenken und von Opfergaben,

Von Festeszügen, fremden Beterscharen

War nimmer dieses Hauses Schwelle leer.

Dann fehlt's ja nicht an mancherlei zu tun:

Der Wasserkrug, der Opferherd, die Kränze,

Und Säul' und Sockel, Estrich und Altar

Zu reinigen, zu schmücken, zu bewahren.

Wo bliebe da zum Schwätzen wohl die Zeit,

Zum Kosen mit der Freundin, wie du meinst.

Priester.

Du hast mich nicht gefaßt.

Hero. Wohl denn, es sei!

Was man nicht faßt, erregt auch kein Verlangen.

Laß mich so wie ich bin, ich bin es gern.

Priester.

Doch kommt die Zeit und ändert Wunsch und Neigung.

Hero.

Man klagt ja täglich, daß der Unverständ'ge

Beharrt und bleibt, man tadl' ihn wie man will;

Weshalb nun den Verständ'gen unverständ'ger

Und unbeständ'ger glauben als den Tor?

Ich weiß ja was ich will und was wir wählten,

Wenn wählen heißen kann, wo keine Wahl.

Vielmehr ein glücklich Ungefähr hat mich

Nur halb bewußt an diesen Ort gebracht,

Wo—wie der Mensch, der müd' am Sommerabend

Vom Ufer steigt ins weiche Wellenbad,

Und, von dem lauen Strome rings umfangen,

 

In gleiche Wärme seine Glieder breitet,

So daß er, prüfend, kaum vermag zu sagen:

Hier fühl ich mich und hier fühl ich ein Fremdes—

Mein Wesen sich hindangibt und besitzt.

Aus langer Kindheit träumerischem Staunen

Bin hier ich zum Bewußtsein erst erwacht;

Im Tempel, an der Göttin Fußgestelle

Ward mir ein Dasein erst, ein Ziel, ein Zweck.

Wer, wenn er mühsam nur das Land gewonnen,

Sehnt sich ins Meer zurück, wo's wüst und schwindelnd?

Ja, diese Bilder, diese Säulengänge,

Sie sind ein Äußeres mir nicht, ein Totes;

Mein Wesen rankt sich auf an diesen Stützen,

Getrennt von ihnen, wär' ich tot wie sie.

Priester.

Nur hüte dich, daß so beschränktes Streben

Ein Billiger nicht möge selbstisch nennen!

Es hält der Mensch mit Recht von seinem Wesen

Jegliche Störung fern; allein sein Leben,

Ablehnend alles andre, nur auf sich,

Des eignen Sinns Bewahrung zu beschränken,

Scheint widrig, unerlaubt, ja ungeheuer,

Und doch auch wieder eng und schwach und klein.

Du weißt, es war seit undenkbaren Zeiten

Begnadet von den Göttern unser Stamm

Mit Priesterehren, Zeichen und Orakeln,

Zu sprechen liebten sie durch unsern Mund:

Lockt's dich nun nicht zurück es zu gewinnen

Das schöne Vorrecht, dir zum höchsten Ruhm

Und allem Volk zu segensreichem Frommen?

Ich riet dir oft, in still verborgner Nacht

Zu nahen unsrer Göttin Heiligtum

Und dort zu lauschen auf die leisen Stimmen,

Mit denen wohl das Überird'sche spricht.

Hero.

Verschiednes geben Götter an Verschiedne;

Mich haben sie zur Sehrin nicht bestimmt.

Auch ist die Nacht, zu ruhn; der Tag, zu wirken,

Ich kann mich freuen nur am Strahl des Lichts.

Priester.

Vor allem sollte heut—

Hero. Ich war ja dort,

Noch eh' die Sonne kam, in unserm Tempel

Und setzte mich bei meiner Göttin Thron

Und sann. Doch keine Stimme kam von oben.

Da griff ich zu den Blumen, die du siehst,

Und wand ihr Kränze meiner hohen Herrin,

Erst ihr, dann jenen beiden Himmlischen,

Und war vergnügt.

Priester. Und dachtest?

Hero. An mein Werk.

Priester.

An andres nicht?

Hero.

Was sonst?

Priester.

An deine Eltern.

Hero.

Was nützt es auch? sie denken nicht an mich.

Priester.

Sie denken dein und sehnen sich nach dir.

Hero.

Ich weiß das anders, doch du glaubst es nicht.

War ihnen ich doch immer eine Last,

Und fort und fort ging Sturm in ihrem Hause.

Mein Vater wollte was kein andres wollte,

Und drängte mich, und zürnte ohne Grund.

Die Mutter duldete und schwieg.

Mein Bruder—Von den Menschen all, die leben,

Bin ich nur einem gram, es ist mein Bruder.

Als Älterer, und weil ich nur ein Weib,

Ersah er mich zum Spielwerk seiner Launen.

Doch hielt ich gut, und grollte still und tief.

Priester.

So zürnst du deinen Eltern?

Hero. Zürnen? Oh!

Vergaß ich sie, geschah's um sie zu lieben.

Auch ist mein Wesen umgekehrt und eben,

Seit mich die Göttin nahm in ihren Schutz.

Priester.

Wenn sie nun kämen?

Hero. Ach, sie werden's nicht.

Priester.

Dich heimzuholen.

Hero. Mich? Von hier? Vergebens!

Priester.

Die Mutter mit dem Bräut'gam an der Hand.

Hero (zum Gehen gewendet).

Du scherzest, Herr, und ich, ich scherzte nicht.

Priester.

Bleib nur! Auch ist es Scherz. Doch deine Eltern

Sind hier.

Hero. Nein! Hier?

Priester. Seit gestern abends.

Hero. Oh!

Und du verhehltest mir's?

Priester. Sie wollten's selbst,

Die Weihe nicht zu stören dieser Nacht,

Die dir ein Morgen ist für viele Tage.

Doch bist du stark, und mögen sie denn nahn.

Sieh dort den Kommenden. Er wandelt, steht,

Holt tiefer Atem, nähert sich.

Hero. Mein Vater?

Priester.

Er selber, ja.

Hero. Und ist der Mann so alt?

Priester.

Die Frau an seiner Seite—

Hero. Mutter! Mutter!

Priester.

Erbleichst du? Eilst den Lieben nicht entgegen

In froher Hast?

Hero. O laß mich sie betrachten!

Hab ich sie doch so lange nicht gesehn!

(Heros Eltern kommen.)

Vater.

Mein Kind! Hero, mein Kind!

Hero (auf ihre Mutter zueilend).

O meine Mutter!

Vater.

Sieh nur, wir kommen her, den weiten Weg—

Mein Atem wird schon kurz!—So fern vom Hause,

Als Zeugen deines götternahen Glücks.

Zu schauen, wie du in der Ahnen Spur

Antrittst das Recht, um das sie uns beneiden,

Die andern alle rings umher im Land;

Wie um das Amt, mit dem seit manchem Jahr

Bekleidet das Vertraun mich unsrer Stadt,

Und das—Die böse Brust!—Was wollt' ich sagen?

Nun ebendeshalb kamen wir hierher.

Ei, guten Morgen, Bruder!

Hero. Meine Mutter!

Vater.

Sie auch! Auch sie! Ob kränkelnd schon und schwach,

Es duldete sie nicht im leeren Hause.

Teilnehmen wollte sie an deinem Glück.

Der Wagen faßt wohl zwei, so kam sie mit.

Erfreuten Sinns. Und wer, wenn noch so stumpf,

Erfreute sich an seinem Kinde nicht,

Wenn es einhergeht auf der Hoheit Spuren?

Wer horchte da auf kleinlich dunkle Zweifel,

Auf, was weiß ich? Nu, wie gesagt, erfreut.

Hero.

Allein sie spricht nicht.

Vater. Nicht? Frag sie: warum?

Sie spricht wohl sonst, wenn's auch nicht an der Zeit,

Im Haus, den langen Tag. Frag sie: warum?

Und wieder ist's auch besser, spricht sie nicht.

Wer Förderliches nicht vermag zu sagen,

Tut klüger schweigt er völlig. Bruder, nicht?

Hero.

O guter Ohm, heiß deinen Bruder schweigen,

Daß meine Mutter rede.

Priester. Bruder, laß sie!

Vater.

So sprich; allein—

Hero. Nicht so! Nach ihrem Herzen.

Wie's ihr gefällt.

Mutter

(halblaut). Mein gutes Kind!

Hero.

Hörst du? Sie sprach. O süßer, süßer Klang,

So lange nicht gehört. O meine Mutter!

Priester (in den Hintergrund tretend, zu einem Diener).

Komm hier!

Vater.

Nun weint sie gar. Daß doch!—Was schaffst du, Bruder?

(Er geht nach rückwärts, die Hand dem gleichfalls dort stehenden

Tempelhüter auf die Schulter legend.)

Ah, du mein Ehrenmann?—Was schafft ihr da?

Priester. Ein Ringeltauber flog in diesen Busch,

Wohl gar zu Nest. Das darf nicht sein. He, Sklave,

Durchforsche du das Laub und nimm es aus!

Vater.

Wie nur? warum?

Priester. So will's des Tempels Übung.

Vater.

Doch jene—

Priester. Laß sie nur!

Vater. Sie reden.

Priester. Laß sie!

Hero (mit ihrer Mutter im Vorgrunde rechts).

Nun aber Mutter hemme deine Tränen,

Vielmehr sag deutlich was du fühlst und denkst.

Ich höre dich und folge leicht und gern;

Denn nicht mehr jenes wilde Mädchen bin ich,

Das du gekannt in deines Gatten Hause,

Die Göttin hat das Herz mir umgewandelt,

Und ruhig kann ich denken nun und schaun.

Auch—

Mutter. Kind!

Hero. Was ist?

Mutter. Sie sehn nach uns.

Hero. Ei, immer!

Im Tempel hier hat auch die Frau ein Recht,

Und die Gekränkten haben freie Sprache.

Doch ängstet dich ihr Aug', wohlan, so tret ich

Hin zwischen dich und sie. Kein Blick erreicht dich.

Nun aber sag, ob ich dich recht erriet:

Nicht gleichen Sinns mit deinem Gatten kamst du,

Und wäre dir der freie Wunsch gewährt,

Du führtest gar die Tochter mit dir heim

Aus ihres Glückes sturmbeschützter Ruh'

In deiner dunkeln Sorgen niedre Hütte?

Ist's also? Ist es wahr? Sprich nein, o Mutter!

Mutter.

Kind, ich bin alt und bin allein.

Hero. Allein?

Dir ist dein Gatte ja. Zwar er—? Ein reiches Haus;

Sind Dienerinnen, die dein sorglich warten.

Dann—Gute Götter, so vergaß ich denn

Das Beste bis zuletzt. Dir ist mein Bruder,

Der bringt die Braut ins Haus und dehnt sich breit,

Und gibt dir Enkel mit der Väter Namen.

Mutter.

Dein Bruder, Kind—

Vater (im Hintergrunde zum Sklaven).

Greif herzhaft immer zu!

Mutter.

Dein Bruder, Kind, ist nicht mehr unter uns!

Hero.

Wie, nicht?

Mutter. Nach manchem herben Leid,

Den Eltern doppelt schwer, verließ er uns,

Verließ die Braut, die sein in Tränen dachte,

Und zog dahin mit gleichgesinnten Männern

Auf kühne Wagnis in entferntes Land.

Zu Schiff, zu Roß? Wer weiß? wer kann es wissen?

Hero.

So ist er nicht mehr da? Nun doppelt gerne

Kehrt' ich mit dir nach Haus, seit kund mir solches.

Doch ist nicht er, sind da noch hundert andre,

Von gleichem Sinn und störrisch wildem Wesen.

Das ehrne Band der Roheit um die Stirn,

Je minder denkend, um so heft'ger wollend.

Gewohnt zu greifen mit der starren Hand

Ins stille Reich geordneter Gedanken,

Wo die Entschlüsse keimen, wachsen, reifen

Am milden Strahl des gottentsprungnen Lichts.

Hineinzugreifen da und zu zerstören,

Hier zu entwurzeln, dort zu treiben, fördern

Mit blindem Sinn und ungeschlachter Hand.

Und unter solchen wünschest du dein Kind?

Vielleicht wohl gar—?

Mutter. Was soll ich dir's verhehlen?

Das Weib ist glücklich nur an Gattenhand.

Hero.

Das darfst du sagen, ohne zu erröten?

Wie? und mußt hüten jenes Mannes Blick,

Des Herren, deines Gatten? Darfst nicht reden,

Mußt schweigen, flüstern, ob du gleich im Recht,

Ob du die Weisre gleich, stillwaltend Beßre?

Und wagst zu sprechen mir ein solches Wort?

Vater (im Hintergrunde).

Die Mutter flattert auf.

Mutter. O wehe, weh!

Sie haben mir mein frommes Kind entwendet,

Ihr Herz geraubt mit selbstisch eitlen Lehren,

Daß meiner nicht mehr denkend, harten Sinns,

Sie achtlos hört der Nahverwandten Worte!

Hero (von ihr wegtretend).

Ich aber will mit heiterm Sinne wandeln

Hier an der Göttin Altar, meiner Frau.

Das Rechte tun, nicht weil man mir's befahl,

Nein, weil es recht, weil ich es so erkannt.

Und niemand soll mir's rauben und entziehn.

(Mit starker Betonung.)

Wahrhaftig!

Der Sklave (der im Hintergrunde auf einem Schemmel stehend, den Busch durchsucht, strauchelnd). Ah!

Hero (umschauend). Was ist?

Mutter. So siehst du nicht?

Unschuldig fromme Vögel stören sie

Und nehmen aus ihr Nest. So reißen sie

Das Kind auch von der Mutter, Herz vom Herzen,

Und haben des ihr Spiel. O weh mir, weh!

Hero.

Du zitterst, du bist bleich.

Mutter. O seh ich doch

Mein eignes Los.

Priester (zu dem Diener, der das Nest in ein Körbchen gelegt, auf dem oben die brütende Taube sichtbar ist). Geh nur und trag es fort!

(Der Diener geht.)

Hero.

Halt du' und setz es ab, wenn's jene kränkt.

Gib sag ich!

(Sie hat dem Diener das Körbchen abgenommen.)

Armes Tier, was zitterst du?

Sieh, Mutter, es ist heil.

(Die Taube streichelnd.)

Bist du erschrocken?

(Sie setzt sich auf den Stufen der Bildsäule links im Vorgrunde nieder, das Körbchen in den Händen; indem sie bald durch Emporheben die Taube zum Fortfliegen anlockt, bald betrachtend und untersuchend sich mit ihr beschäftigt.)

Priester (zum Diener).

Was ist? Befahl ich nicht?

(Der Diener weist entschuldigend auf Hero.)

Priester (zu ihr tretend). Bist du so neu im Dienst,

Daß du nicht weißt was Brauches hier und Sitte?

Mutter (rechts im Vorgrunde stehend).

Mein Herz vergeht. O jammervoller Anblick!

Priester (zu ihr hinübersprechend).

Nun also denn zu dir. Schwachmütig Weib,

 

Was kommst du her, zu stören diese Stunde?

Und staunst ob dem was du doch längst gewußt,

Der heil'gen Ordnung dieses Götterhauses.

Kein Vogel baut beim Tempel hier sein Nest,

Nicht girren ungestraft im Hain die Tauben,

Die Rebe kriecht um Ulmen nicht hinan,

All was sich paart bleibt ferne diesem Hause,

Und jene dort fügt heut sich gleichem Los.

Hero (die Taube streichelnd).

Du armes Tier, wie streiten sie um uns!

Priester.

Scheint dir das schwer, und zitterst du darob?

Was willst du? soll sie heim? Komm hier, und nimm sie!

Was braucht die Göttin dein und deines Kinds?

Nicht ehrt man hier die ird'sche Aphrodite,

Die Mensch an Menschen knüpft wie Tier an Tier,

Die Himmlische, dem Meeresschaum entstiegen,

Einend den Sinn, allein die Sinne nicht,

Der Eintracht alles Wesens hohe Mutter,

Geschlechtlos, weil sie selber das Geschlecht,

Und himmlisch, weil sie stammt vom Himmel oben.

Was braucht die Göttin dein und deines Kinds?

Geh hin und bette sie in Niedrigkeit,

In der du selbst, dir selbst zur Qual, dich abmühst.

Sie sei die Magd des Knechtes der sie freit,

Statt hier auf lichter Bahn, nach eignem Ziel,

Die einz'ge sie des dürftigen Geschlechts,

Ein Selbst zu sein, ein Wesen, eine Welt.

Allein du willst es, sie ist frei, hier nimm sie!

Bist du die Mutter doch! Du, Hero, folge!

Die Torheit ruft. Folg ihr als Mensch, als Weib!

Hero (aufstehend, zur Taube).

Da gilt es denn zu reden, kleines Ding!

(Das Körbchen dem Diener gebend.)

Du nimm's und trag es hin, und gib ihm Freiheit,

Die Freiheit wie das Tier sie kennt und wünscht.

(Diener ab.)

Du aber Ohm, schilt meine Mutter nicht,

Denn fromm ist ihre Meinung und sie liebt mich.

Uns andre laß nur schweigen, Stille, Gute!

Hat er doch recht und tut nur was ihm Pflicht.

Ich soll mit dir? Bleib du bei mir! O Mutter!

Wenn dich die Deinen quälen, komm zu mir.

Hier ist kein Krieg, hier schlägt man keine Wunden,

Die Göttin grollet nicht, und dieser Tempel

Sieht immerdar mich an mit gleichem Blick.

Kennst du das Glück des stillen Selbstbesitzes?

Du hast es nie gekannt; drum sei nicht neidisch!

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?