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Das Buch der Könige

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Der Schah von Persien

Perserkönig . . . nur freilich darf man nicht gleich an den grimmen Xerxes denken, der das Meer peitschen liess, oder an den schlauen Dareios, der die Krone gewann, weil sein Ross zuerst wieherte, oder an den schönen, milden, aber unglücklichen Dareios, den Alexander nach dem Treffen am Granikos ermordet fand, wie Kaiser Rudolf den Ottokar, und den er mit seinem Mantel deckte, wie der Habsburg den Przemislas. Oder an die weisen, literaturfreundlichen Könige, die dem Hafis, dem Pirdusi, dem Dschami das Dichten erlaubten. Oder an den grossartig wilden Tamerlan, der aus siebzigtausend abgeschnittenen Köpfen zu Ispahan eine Pyramide baute . . .

Nicht so feierlich. Eine andere Melodie. Es kann gern etwas von Offenbach sein, jedenfalls aber irgend etwas Operettenhaftes: Schah von Persien. Tschinellen. viel Blech und die grosse Trommel. Monarchisches Prinzip, aber mit exotischen Arabesken. Ein goldstarrender, von Edelsteinen funkelnder König, der sich in die Finger schneuzt. Ein Grandseigneur, der eigenhändig seinen Hammel schlachtet, was die Parkettböden europäischer Fürstenschlösser nicht gut vertragen. Ein Kavalier, der die Reize hübscher Frauen mit naiver Anerkennung sofort betasten möchte und nicht einsehen will, weshalb so plastisches Hofieren im Abendland Entsetzen erregt.

Aber, aber: ein König. Schah-in-Schah. Wenn er auch nicht königlich aussieht. Wenigstens nach unseren Begriffen. Vielleicht finden sie in Persien, dass er majestätisch ist. Bei uns muss man immer erst die faustgrossen Smaragde an seiner Brust und auf seinen Schultern ansehen, um den walachischen Schafhirten aus dem Kopf zu kriegen, der einem immer einfällt, wenn man ihn ansieht. Freilich nur in den ersten Sekunden. Dann sprechen andere Zeichen.

Ein kleiner Mann, dieser grosse Herr. Klein und breit und etwas dick, und ganz weich. Als ob er aus Talg oder aus Butter wäre unter seiner Uniform, oder aus Schafkäse. Die Schultern weich und abfallend, die Brust fett und weich wie Polster, die ein wenig eingedrückt sind. Die Beine weich, als ob es eigentlich nur zwei leere Hosen wären, und der ganze Schritt, alle Bewegungen, jede Gebärde rund, weich, fett. Und auf diesem Korpus ein Antlitz, das eigentlich betrübt und misslaunig aussieht, das aber hager geblieben. Ein Antlitz, an dem alles schlaff ist und bekümmert herniederhängt. Die faltigen Tränensäcke, die rotumränderten Augen, die den Blick nach abwärts richten, die ungeheure Nase, die einem hölzernen Säbelgriff gleicht, der Schnurrbart, der wie abgeblühte, graue Weidenkätzchen den Mund umhängt, die Unterlippe, die den Verkehr mit der oberen aufgegeben hat und nicht mehr willens ist, ihrer höheren Schwester irgendein Entgegenkommen zu zeigen; ja, man möchte glauben, dass auch die Ohren müd und verstimmt herabhängen.

Das verwühlte Antlitz eines Menschen, der alle Strapazen des Genusses kennt, alle Wonnen der tiefsten Erschöpfung, und es ist überhaupt ein merkwürdiges Antlitz. Denn es mischen sich seltsame Elemente darin, vom Karikaturistischen bis zum Pathetischen. Er hat manchmal aus seinen kleinen, braunschwarzen, halbverschlafenen Augen einen Blick, als sei er solcher Wut fähig wie sein Vorgänger im Amt, der das Meer züchtigen wollte, und dass er gelegentlich auf den Gedanken verfallen könnte, mit Menschenschädeln die architektonischen Scherze Tamerlans zu wiederholen, traut man ihm ohne weiteres zu. Mag sein, es rührt davon her, dass er noch ein wirklicher Gebieter ist, unumschränkt; einer, der sich's erlauben darf, auch ein Tyrann zu sein, womit er sich vielleicht tröstet, wenn's ihm hie und da gezeigt wird, dass die europäischen Herren, die er besucht, mehr in der Welt dreinzureden haben als er. Denn mit der kriegerischen Vergangenheit der Perser hat Musaffr ed-din Mirza aus der jungen Kadjaren-Dynastie, die in dem kurzen Säkulum ihres Bestehens in fünf Feldzügen fünfmal pünktlich geschlagen wurde, nur wenig zu tun. Eher schon mit dem pfiffigen Dareios, der sein Pferd nicht fütterte, damit es zeitiger wiehere, weil ja die Perser überhaupt bis auf den heutigen Tag als gerissene Rosskämme gelten, und weil von solcher Verschlagenheit ein Abglanz in seinem müden, bekümmert dreinschauenden Antlitz manchmal aufschimmert.

Schah von Persien . . . das Wort allein schon hat einen besonderen Stil, gemengt aus Prunk und Komik, aus Würde und Spass, aus Feierlichkeit und Gelächter. Und wie das Wort, hat der Mann auch denselben originellen Stil. Die weisse Reiherfeder auf seiner Lammfellmütze und der indische Agraffenstein von märchenhaftem Wert, der wie ein heller Stern über seiner Stirn leuchtet. Darunter aber dieses schwarze, geölte, verpickte Haar, das ungeschnitten in langen Ringeln hinters Ohr kriecht. Die Epauletten mit sechs grossen Smaragden, dass man ein halbes Königreich für sie kaufen könnte. Auf der Brust Smaragde aus Khorasan, wie kleine Schilde; ein herrliches Glänzen, wie das Funkeln von Menthe in kostbarem Kristall, in einem unbeschreiblich milden Grün; ein helles Aufblitzen von Brillanten, die weisser sind als Wasser. Und wenn er sich umdreht Schuppen auf dem Rockkragen, und der sichtbare Hals von einem Streifen bedeckt, so dunkel . . . die Perser sind nicht so schwarzbraun, wenigstens nicht, wenn sie sich abstauben. Du hast Diamanten und Perlen, mein Liebchen, was willst du noch mehr? . . . Seife.

Bei alledem: es ist auch ein Zug von Gemütlichkeit in ihm. Dieses Mitschleppen von kleinen Kindern. Zwei Lieblingssöhne; winzige Bübchen. Es scheint, dass sie nicht grösser werden von einem aufs andere Mal, oder dass er sie von Jahr zu Jahr auswechselt; was ihm übrigens weiter nicht schwer fallen mag. Jedenfalls liegt das Bedürfnis darin, Kinder um sich zu haben; mit ihnen stundenweis harmlos zu sein, ihrem Schwatzen zuhören, sich an ihnen ergötzen, sie dulden, verzärteln, niedliche Szenen im Salonwagen, während das Riesengefolge in den anderen Coupés die Orden sortiert, die man an Trinkgelds Statt bei sich führt. Er hat eine sehr ernste, aufmerksame Art, sich mit diesen kleinen Buben zu beschäftigen, sich mit wichtiger Miene zu ihnen herabzubeugen, sie zu präsentieren und sie vor sich herzuschieben. Es ist ein Zug von Gemütlichkeit.

Bei alledem: es ist auch ein Zug von Grossartigkeit in der Sache. Dieses Reisen mit einem Schwarm von Würdenträgern und Dienern, mit einem Bataillon von Adjutanten, Ministern, Offizieren, Hofmeistern. Dieses Erscheinen in einer Wolke von goldbetressten Uniformträgern. Kein europäischer Monarch schleppt so viel Leute mit sich herum, wenn er spazieren fährt. Es ist altorientalische Grossherrenmanier, erinnert an den Tross Solimans, nur modern, im langsam fahrenden Eisenbahnzug, statt auf Kamelen, die mit Zelten beladen sind; und auch die altorientalischen Brandschatzungen fehlen nicht, nur sind es ganz kleine, sind moderne Brandschatzungen. Es erinnert an den Tross Solimans oder des Kara Mustapha, und ist auch wieder lustig, wenn man sich auf die vielen Geschichten von früherher besinnt, wenn man sich's einfallen lässt, welchen Schrecken diese Perserinvasion in allen Königsschlössern um sich verbreitet und wie famos sich all diese galonierten, lammfellmützigen Herrschaften darauf verstehen, die Ordensbrillanten, die der Schah austeilt, in Glasscherben und Pierres de Strass zu verwandeln, wie sie zum eigenen Vorteil naiver Unverhohlenheit die verwegensten Streiche ausführen, wie sie gar nicht zu ahnen scheinen, dass sie ihren erhabenen Gebieter durch diese Praktiken in die peinliche Stellung eines Zechprellers bringen, und wie dieses alles wieder verhüllt, verdeckt wird von dem exotischen Glanz Seiner persischen Majestät. Schah- in-Schah.

Ein abgegriffenes Politikerwort wird diesmal wieder plastisch: Wir stehen den Persern sympathisch gegenüber. Es ist wirklich so. Wir stehen da und schauen sie mit Freundlichkeit an. Freilich gibt's jetzt andere Asiatenfürsten, die uns interessanter wären. Die Konkurrenz wird täglich stärker. Käme der japanische Arisugawa einmal auch zu uns nach Wien, es wäre das Neueste was zu haben ist. Tut nichts. Interessanter mögen heute andere Asiaten sein. Aber an die Perser sind wir nun einmal schon gewohnt. An ihre dekorativen Gesandtschaften, an ihre goldbestickten Konsular-Uniformen, an ihre Konsuln, an ihre Orden und an ihren Schah, der uns in den Hundstagen zeigt, wie man eine »Pudelhaub'n« trägt. Die Weltausstellung vom Jahre 1873, die einzige, die wir hatten, ist verschwunden, nichts ist uns davon geblieben als die Erinnerung an den Krach, die Rotunde und der Schah von Persien. Der Schah ist nun einmal eine wienerische Tradition geworden, und der Ausflug nach Wien scheint als persische Tradition sich eingebürgert zu haben. Dabei haben wir es noch sehr bequem. Denn es mag nicht leicht sein, diesen Urlaub herauszuschlagen, und wenn der Persermonarch nicht sein eigener Herr wäre, hätten ihn die arabischen Grosskaufleute doch zurückgehalten, die jetzt wieder gegen die Reise des Schah Protest erhoben, aus Angst, die Beamten werden in der Abwesenheit des Gebieters das Volk ausbeuten, pressen und bewuchern. Sie müssen ja wissen, warum sie jammern. Uns geht das nichts an. Wir müssen im Sommer unseren Schah haben, wie das Annenfest auf dem Kahlenberg oder den Blumenkorso. Und jedesmal, so oft er bei uns erscheint, blickt man lächelnd auf diesen Fürsten eines Volkes, das seine eigene Kultur halb schon vergessen und die unsrigen erst halb erlernt hat. Wir stehen den Persern sympathisch gegenüber.