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Das Buch der Könige

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Was der Erbe dieses Reiches und dieses Daseins im Herzen denkt, erscheint als lockendes Rätsel. Man wird nicht müde, seine Worte, seine Taten zu durchforschen, ob irgendwo seines Wesens Spur sich finden lässt, ob er in seinen Absichten und Plänen zu erraten wäre, dass man ihm abmerken könne, ob er ein wissender Zar ist in Russland und ein fühlender. Er hat, als er im Kreml zu Moskau sich krönte, einmal von seiner Sehnsucht nach Frieden laut geredet, und er hat seither den blutigsten Krieg, den die Geschichte kennt, dilettantisch und hilflos geführt. Wie es in Russland gewesen, so ist es geblieben. Nichts hat sich geändert unter ihm, und während er in den steirischen Bergen Gemsen schiesst oder in den Wäldern bei Darmstadt auf die Pürsch geht, werden in seinem Reiche Menschen gejagt. Aber man erzählt, dass oftmals eine tiefe Traurigkeit das Gemüt des jungen Zaren umnachtet, dass er Tränen vergiesst auf seinem hochragenden Thron, dass er manchmal von allen Menschen sich absperrt, wenn die erschütterten Nerven den Dienst verweigern; und dass er melancholisch seine Tage verbringt, dass er selten nur lacht, erzählt man.

Wir sehen ihn in dem gleichen Gehege dahinleben, das seine Väter umgab. Eingeschlossen in einem Kerker, der mit ihm wandelt, wohin er seine Schritte auch lenken mag. Sehen ihn begleitet und gehütet von lebendigen Mauern durch die Welt ziehen, überall den Schrecken vor dem Schrecken mit sich tragend. Wenn seine Augen blinzeln, so ist es, weil jede Bewegung, die er wahrnimmt, für ihn zwei Bilder hat, das wirkliche, harmlose, und das innere, sofort in seiner beständig wachen Phantasie entstehende, gefährliche. Darum blinzelt er, als wolle ihm was ins Gesicht fahren. Und jedes Geräusch hat zwei Stimmen für ihn, die wirkliche und jene andere furchtbare, die er bei sich selbst vernimmt. Was seine schmalen Wangen bleicht, ist Stubenblässe nicht, ist das Bewusstsein: dass nur ein Stein dieser Ringmauer sich lockern, nur einer dieser vieltausend Wächter treulos zu sein braucht, dass in der ehernen, mit Bajonettspitzen und Kosakenlanzen bewehrten Hecke nur einmal, unversehens, ein kleiner Spalt entstehen könnte, und sofort schlüpfte jene Mörderfaust herein, die unheimlich und gespenstisch immer an dieser schirmenden Wand tastet und tastet. Ein schlanker, schüchtern lächelnder junger Mann, und trägt die stolzeste Krone. Aber er trägt sie geduckten Hauptes, wie man vor einem Streich das Haupt duckt. Indessen hofft die Welt auf den jungen Zaren, weil sie ja seit mehr als einem Jahrhundert gewohnt ist, immer und immer wieder auf den jungen Zaren zu hoffen.

Der König von England

Wollte man ein Beiwort für ihn finden, dann könnte man ihn wohl den Behaglichen nennen. Vor Jahren einmal mögen andere Namen freilich besser gepasst haben. Eduard der Lustige zum Beispiel. Als er noch die unzähligen freien Abende in bunter Gesellschaft totschlug. Oder als er noch, die neue Mode mit der Seele suchend, Westen und Krawatten zu dichten liebte: Eduard der Nettgekleidete. Eduard der Leichtsinnige auch; denn er hat oft und gern und sogar recht hoch gespielt und geriet in manche Klemme, weil er als ein richtiger Prinz Glück in der Liebe und Unglück im Bakkarat hatte. In jenen Tagen, da er so manche Mitternacht am grünen Tisch herangewacht, hätte man ihn auch Eduard den Übernächtigen nennen dürfen. Damals aber war er noch Prinz von Wales; Thronerbe und Mutters unbeschäftigter Sohn. Damals war er noch frisch und gesund und hatte Besseres nicht zu tun, als sein Leben in vollen Zügen zu geniessen. Und heute ist er ein König und älter und fährt zur Kur nach Marienbad. Und weil er doch nicht mehr so magentüchtig ist wie einst, werden die Speisen für ihn sorglich nach vorgeschriebener Diät bereitet. Des Daseins freundliche Gewohnheit scheint ihm aber noch immer angenehm und wünschenswert. Nur dass sein Tempo jetzt ge-lassener geworden, majestätischer vielleicht; und dass er jene Ruhe gewonnen, die erworbene Erfahrungen und angesammeltes Fett dem Gemüte verleihen. So darf er jetzt Eduard der Behagliche heissen; und er hat einen gewissen Anspruch auf diesen Titel, weil von den Königen Europas gewiss keiner so viel Ursache und so viel Talent zur Behaglichkeit besitzt wie der König von England.

Der blaue österreichische Husarenrock, in dem er bei uns in Wien herumfährt, kleidet ihn gut. Er sieht lustig und vergnügt aus in diesem fidelen Soldatenrock. Beinahe fesch, wenn er dazu nicht doch ein wenig zu dick wäre. Im übrigen aber schadet ihm diese Fülle nur wenig, was die militärische Haltung betrifft. Vielleicht nur deshalb, weil wir gewohnt sind, gar viele wohlbeleibte Hauptleute und Rittmeister mit verschnürtem Schmerbauch dem rauhen Kriegshandwerk obliegen zu sehen. Diesen engen Waffenrock mag er als eine kurze, aber strenge Nachkur nach Marienbad dulden. Er wird – man darf darauf wetten – sicherlich weniger essen, solange er als österreichischer Husarenoberst bei Tafel sitzt. Denn in unseres Kaisers Rock gibt es keine Prinz von Wales-Moden, und so kann er hier nicht, wie einst in appetitgesegneteren Tagen, dekretieren, es sei schick, einen Westen-Knopf in der Magengegend offen zu tragen. In diesem ärarischen Kostüm sah er auf den ersten Anblick ganz normal österreichisch aus. Dann aber merkte man bald, dass es kein Gesicht ist, wie es hierzulande aus Uniformen schaut.

An diesem Antlitz ist alles üppig. Üppig ist dieses volle Rund, diese geschwellten Backen und üppig die Lippen, die Nase und die Augen. Es sind braune Augen, die vergnüglich glänzen und die man für ausserordentlich gutmütig halten konnte, wenn es nicht die Augen eines Königs wären. Nicht etwa, dass Eduard der Behagliche den zwingenden Herrscherblick hätte, seit er die Krone trägt. Aber es spiegeln sich allerlei Berufseigenschaften in seinen braunen Augen, und er schaut nur drein, wie heutzutage alle Könige dreinschauen. Ein wenig huldvoll, ein wenig misstrauisch, ein wenig geängstigt und ein wenig zornig. Verbindliche, gewissermassen konstitutionelle Brutalität, beständige Wachsamkeit und sehr viel Überdruss spricht immer aus den Augen der Könige. Eduard VII. hat dazu noch das seelenvergnügte Geniesserlächeln von einst. Manchmal blitzt es für Sekunden darin auf, ein Widerschein aus den harmloseren, amüsanteren Tagen, wo man noch in zweiter Reihe stand und alle Ehren, alle Verdriesslichkeiten, alle Macht und alle Regierungssorgen in erster Linie der Mama gebührten.

Mit dieser Nase freilich sieht es bedenklich aus. Besonders in Wien, wo schon der leiseste Schwung des Nasenbeins auch den Unschuldigen in furchtbaren Verdacht bringen kann. Mit dieser energisch gebogenen, fleischigen Nase hätte Eduard bei uns keine städtische Anstellung gefunden, und es ist ein wahres Glück, dass er König von England ist und nicht danach fragen braucht, ob seine Nase uns gefällt. Immerhin, Gott schuf sie als eine Königsnase, also lasst sie dafür gelten. Muss ja dieses ganze behagliche, schmunzelnde Antlitz für königlich hingehen. Wenn er aber im Zivil wäre, und er führe mit dieser gebogenen Nase, mit dem schwarzen Schnurrbart und dem weissen Henriquatre, mit den weichgepolsterten Tränensäckchen unter, den genusssüchtigen Augen, mit diesen vollen Lippen, die den Nachgeschmack köstlicher Mahlzeiten noch zu kosten scheinen, und mit dieser Leibesfülle über den Schottenring, in einem Fiaker, dann hiesse es gleich wieder: ja, den Börseanern geht's halt gut. Weil er jedoch mit vier Schimmeln und einem Vorreiter im goldenen Wagen über den Schottenring fuhr, hintenauf zwei Leibjäger; und weil der Kaiser von Österreich neben ihm sass und ganz freundlich mit ihm sprach, war ein solcher Irrtum nicht gut möglich, und alle Leute wussten gleich, dass der behäbige alte Herr ein echter König sei. Auch trug er die Husarenuniform, was bei Börseanern doch nur selten vorkommt.

Dieser König hat die Mienen des grossen Kavaliers. Die Mienen eines Menschen, der alle Freuden dieser Welt gekostet, dem nicht Kummer und Sorge das Haar gebleicht, sondern die Strapaz vieler fröhlich durchjagter Jahre. Die verwöhnten, niemals enthusiastischen, aber stets gleichmässig behaglichen Mienen des absolut Satten, der die Gunst des Schicksals gewohnt und in anspruchsvoller Vornehmheit überzeugt ist, das Leben werde ihm auch künftighin nur das Beste und Auserlesenste zu bieten wagen. König Eduard hat die seligneurale Gebärde, den edlen Anstand und die freien, wunderbaren Manieren, die nun einmal zu seinem Geschäft gehören. Aber seine Gebärde ist nicht feierlich, sein Anstand hat nichts Getragenes; seine Manieren sind verbindlich, seine Würde ist heiter. Das Maestoso fehlt allen seinen Bewegungen, dafür aber ist seine ganze Haltung wohlgelaunt, und man sieht an seinem raschen Lächeln, dass er eher fidel ist als pathetisch. Auf dem Theater fällt die Rolle des Königs gewöhnlich dem ersten Helden zu. Die Wirklichkeit verfährt da anders. Sie hat schon schüchterne jugendliche Liebhaber gekrönt, Intriganten und Komiker. Und so hat sie jetzt den Thron von England einem Bonvivant gegeben. Wenn gerade kein erster Held zu haben ist, scheint diese Besetzung so übel nicht. Die Leute aber verlangen immer und immer wieder mehr von den Königen, und das ist eine solche Unvorsichtigkeit, dass man nicht genug davor warnen kann. Bonvivants sind gutmütig und harmlos und bringen Geld statt Unsicherheit unter die Leute. Lasst wohlbeleibte Männer über uns sein, mit glatten Köpfen und die nachts gut schlafen.

Vollends dem behaglichen Eduard ist beständig Unrecht geschehen. Dass er flott gelebt hat, dass er die Weiber liebte, und die Karten, und die Freuden der Tafel, und schöne Kleider, dass er in der Wissenschaft des Genusses, des Amüsements und des Geldausgebens ein hervorragender Gelehrter gewesen, haben sie ihm in Deutschland und Frankreich und Österreich zum Vorwurf gemacht, wo es sie doch schon gar nichts angeht. Vor allem: der Mann hat's ja, er kann's ja tun; und ich weiss nicht, ob von den Tugendrichtern Eduards nur einer sich mit Seelengrösse langweilen würde, wenn er Prinz von Wales wäre und es besser haben könnte als jetzt. Dann aber gehört es auch nicht zu den angenehmsten Situationen, so in seinen besten Jahren zum Müssiggang aus Schicklichkeitsgründen verurteilt sein, heranaltern und immer noch auf den Thron warten müssen. Dieser andauernde Prinz von Wales, dem das Leben immer gelächelt hat und den das Leben doch so lange warten liess, dieser König, dem der Tod im Augenblick der Thronbesteigung auf die Schulter klopfte und ihm eine so ernste Mahnung zurief, erscheint in all seinen Menschlichkeiten lange nicht so schlimm, als dass ihm fortwährend Busspredigten gehalten werden müssten. Er hat sich amüsiert, unbekümmert darum, ob eine ganze Welt ihm dabei zusah. Das ist wenigstens aufrichtig. Und andere wissen die Sache heimlicher zu betreiben. Dass er als König jetzt ein behagliches Dasein führt, ist auch nicht so schlecht getan. Dem Beherrscher von England bleibt ja sonst nicht viel, auch wenn er ehrgeiziger wäre, und in dem Lande, in dem alles seinen geordneten, festen Gang nimmt, wäre weder der Held noch der Reformator am Platze. Er ist schliesslich, ohne ein königlicher Mensch zu sein, doch ein leidlich menschlicher König. Und zu allerletzt: verteidigen will ich ihn auch gar nicht. Es ist immer ein undankbares und überflüssiges Geschäft, einem König das Wort zu reden. Und nun gar dem König Eduard. Man braucht ihn ja nur anzusehen, wie er feist und vergnügt dasitzt, die kleinen runden Hände in sanften Gebärden bewegt, mit den braunen Augen blinzelt, als munde ihm das Leben vorzüglich, man sieht, er hat es gar nicht nötig, verteidigt und in Schutz genommen zu werden. Es geht ihm auch ohne das ganz gut.