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Das Buch der Könige

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Der König von Sachsen

Friedrich August, König von Sachsen . . . man könnte es mit Schlagworten versuchen. Zum Beispiel, dass er »weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus die öffentliche Aufmerksamkeit erregte«. Das stimmt. Es unterscheidet ihn sogar von vielen anderen deutschen Bundeafürsten, von manchen anderen Königen Europas, die ohne erheblichen Spektakel existieren und die man ausserhalb ihrer Grenzpfähle so gut wie gar nicht kennt. Den König von Sachsen kennt man. Schon als Kronprinz . . . das ist natürlich auch nur ein Schlagwort. Denn die Lebensbeschreibungen grosser Monarchen enthalten immer eine Stelle, an der es heisst: Schon als Kronprinz . . . Von ihm haben die Leute also schon gesprochen, da er noch nicht die Rautenkrone der Wettiner auf sein hellblondes Haar setzen durfte.

Man könnte auch in Schlagworten über ihn urteilen. Aber es zeigt sich, dass Schlagworte nicht ausreichen. Das tun sie eben nie. Hier ist ein König, dem sehr viel Trauriges widerfahren ist, und der ungemein fidel aussieht. Daran erscheint nur eines gewiss, dass nämlich sein fröhliches Aussehen nicht von den traurigen Erlebnissen herrührt. Die mögen ihn genug geschmerzt haben. Aber möglich wäre es, dass die traurigen Erlebnisse in dem fidelen Aussehen ihren Grund hatten. Es gibt eine Heiterkeit, die Frauen aufreizt. Und an Friedrich August ist alles heiter. Seine hellblonden Haare. Sein dünner, kleiner, lichter Schnurrbart. Sein breiter Mund. Seine wasserblauen Augen. Dieses ganze Gesicht: breit und kurz, mit der knappen Stirn und dem schnell abschneidenden Kinn, trägt den einen vorherrschenden Ausdruck: Heiterkeit. Frisch, fromm, fröhlich. Ohne weitere Kompliziertheit. Ohne tiefere, ohne sinnreichere Nebenbedeutungen. Einfach, primitiv, simpel: heiter. Ein König mit einem bürgerlichen Antlitz. Oder besser: wie ein harmloser Truppenoffizier. Wohlgenährt, von der frischen Luft gerötet, von des Gedankens Blässe verschont, ohne den Ehrgeiz, schneidig oder gar imposant zu sein; zufrieden, wenn Speis und Trank gut schmecken. Der Mund zeigt Lust an Üppigkeit, ist mit seinem Lächeln, das sich breit in die runden Wangen schiebt, von derben Scherzen, von einfachen Spässen beständig umschwebt. Es mag ein Vergnügen sein, ihm Witze zu erzählen und ihn dann lachen zu sehen. Die Nase ist leutselig genug, gewöhnlich zu sein. Eine Nase, die sich bescheiden senkt, die den aristokratischen Schwung verschmäht. Eine Nase, die jeder schlichte Mann sich leisten dürfte. Man hat den ganzen Menschen schon oft gesehen. Freilich war er da nicht der König von Sachsen, sondern irgendein wackerer Krieger. Schlägt man den Jahrgang 1870 der Gartenlaube nach, dann begegnet man auf den patriotischen Bildern aus dem Franzosenkrieg beinahe auf jedem Blatt diesem Typus. Oder in den illustrierten Soldatengeschichten von Hackländer. Von harmlosen Zeichnern illustriert. Anton v. Werner wäre der richtige Pinsel, diesen König zu malen, ein rechtes Staatsporträt aus ihm zu machen. Blond, blauäugig, von Orden blitzend, mit schimmernd hell geputzten Uniformknöpfen, und die Reiterstiefel so blank gewichst, dass sie Reflexe werfen. Kurz: Heil dir im Siegerkranz. Eichenlaub. Schwerter. Hurra!

Aber sollte sein innerstes Wesen durchschlagen, käme es nicht darauf an, seine äusseren Insignien, sondern seine verborgenste Art herauszubringen, so dass man sogleich den ganzen Menschen begreift, und sich Worte sparen kann, dann müsste ein anderer ihn malen: Wilhelm Busch. Dieser Meister, der den Humor der Juvenilen so gütig und so tief erfasst, wäre der Porträtist für Friedrich August. Es wäre freilich kein Bildnis für die Ahnengalerie, aber für die Zeitgenossen ebenso wie für die Nachwelt eine authentische, aufschlussreiche Erklärung des Schicksals, das Friedrich August zu tragen hat.

Nämlich: Es gibt Schulkameraden, die man im Leben nicht wieder zu erkennen vermag. Alles an ihnen hat sich verändert, ist reifer, ernster, ist anders geworden. Den kleinen Jungen, mit dem zusammen man die Schulbank gedrückt hat, sucht man vergebens in den Zügen des Mannes, der einem nach Jahren zufällig gegenübertritt. Dann wieder gibt es Kameraden, die noch ganz so aussehen wie damals. Sie sind grösser, stärker geworden, haben einen Bart bekommen, etwas Fett angesetzt, das ist alles. Sonst aber sind sie sich gleich geblieben. Man erkennt sie auf den ersten Blick. Es sind noch die knabenhaften Gebärden, dasselbe jugendliche Wesen, dieselbe Art, zu sprechen, zu gehen und zu stehen, den Kopf zu halten, Kleider und Hut zu tragen. Friedrich August gehört zu ihnen. Er ist in seinem ganzen Wesen immer noch von seiner Kindheit, von seiner Kindlichkeit umspielt. Er trägt sein Bäuchlein ganz naiv vor sich her und merkt es kaum, dass in der Uniform die »Brust heraus« soll. Er hat die Gesten, mit denen die liebe Jugend den Ernst der Erwachsenen markiert, und er ist die Schüchternheit der Jugendjahre nicht los geworden, wird sie wohl niemals los werden. Er macht auch kein ernstes Gesicht; das gelingt ihm kaum. Vielmehr nimmt sein Antlitz einen angestrengten, leicht betrübten und verschreckten Ausdruck an, und man denkt an einen Jüngling, der gescholten wurde.

Es ist schon denkbar, dass dieses Wesen einer anspruchsvollen, in ihrem Temperament nach Illusionen schmachtenden Frau nicht genügt, dass es ihr zu rasch ausgeschöpft, zu durchsichtig, zu leicht ergründlich ist. Aber für den Mann ist das höchstens ein Malheur; kein Verschulden. Wenn man Friedrich August, den Vielbesprochenen, aus der Nähe besehen kann, vermag man es auch, durch ihn hindurch die Gestalt der Frau, die ihn verlassen hat, deutlicher zu erblicken. Sie hat ihm damals, in jenen ersten Tagen ihrer offenen Auflehnung, nur seinen steten Prinzengehorsam gegen die königliche Gewalt vorgeworfen. Sonst nichts. Dieser Gehorsam, dieses sichtbare Zeichen einer strengen, ungütigen Erziehung, steckt ihm heute noch in den Gliedern. Das kurze Königtum weniger Monate hat die Übung langer Jahre noch nicht verwischt. Noch scheint ihm das Befohlenwerden geläufiger als das Befehlen, und betrachtet man ihn, dann stellt man sich leicht den einfachen Konflikt wieder her, dessen Ergebnis Genf und Lindau und Florenz heisst: wie eine revoltierende, respektlose, spottlustige, zu fröhlichem Übermut geneigte Frauennatur zu toben begann neben einem Gatten, den Familienehrfurcht, Folgsamkeit, stummes Ertragen und militärische Disziplin statt aufbrausender Impulse leiteten; und wie sie dabei die Geduld verlor, so völlig verlor, dass sie die kurze Frist, die man nach menschlicher Voraussicht noch zu warten hatte, nicht mehr ertrug. Wenn man ihn jetzt betrachtet, dann erscheint der Leichtsinn, der die Königin von Sachsen zur Gräfin Montignoso machte, doppelt verhängnisvoll. Denn neben Friedrich August, dem König, wäre Luise so frei gewesen, wie sie neben Friedrich August, dem Kronprinzen, unfrei, beobachtet und im Hofzwang lebte. Sie selbst gab das zu, hat es selbst erklärt, dass nicht ihr Mann sie jemals beengt, jemals vertrieben hätte; und damit mag sie wohl die Wahrheit gesprochen haben, denn alles an diesem König sieht wie Nachgiebigkeit aus. Möglich, dass er manchmal barsch sein, dass er eigensinnig auf einem Entschluss beharren mag, mit dem Eigensinn jener Naturen, denen es an Willensstärke und Selbstbewusstsein fehlt. Von einer Frau – vollends von einer geliebten Frau – hätte dieser König sich sanft regieren lassen, dieser hellblonde, rotwangige, lächelnde König mit den kindlichen Gebärden, dem das Imposante nicht geläufig ist, dem der Helm im Nacken sitzt, und dessen Wesen Wilhelm Busch mit ein paar Strichen zu zeichnen vermöchte.

Man ist natürlich versucht, nicht bloss Luisens Vergangenheit, sondern auch ihr künftiges Schicksal aus des Königs Mienen zu erraten. Ein Kunststück ist es nicht. Vermöchte sie es jemals, bis zu ihm vorzudringen, sie könnte leicht wieder Macht über ihn gewinnen. So aber wird er den ernsten Vorstellungen der Minister und Ratgeber jenes angestrengte, traurige Gesicht zeigen, das wie gescholten aussieht, und wird sich fügen, wird nur wünschen, der schwierigen, unerquicklichen Debatte zu entwischen, um jenseits davon sein Lächeln wieder zu finden.

Man muss gerecht sein; muss ihm wünschen, dass er völlig über diese Katastrophe hinwegkommt. Denn wenn man gerecht ist, wird man sich erinnern, dass er sich in dieser ganzen unglückseligen Geschichte glänzend benommen hat. Schweigsam, ohne einen Laut ertrug er die Bitterkeit des ersten Skandals, ertrug es, dass der königliche Vater ihm die zwar treulose, aber immer noch geliebte Frau mit Worten, die wie Peitschenhiebe trafen, züchtigte, ertrug die Vereinsamung und hatte seit den Verhandlungen, die in Genf geführt wurden, bis auf den Justizrat Körner, den er entliess, immer nur Zartheit, Entgegenkommen und Rücksicht für die Mutter seiner Kinder. Ein König, der seine Frau nicht zu unterhalten vermochte, der es aber gewiss so gut trifft, ein König zu sein, wie die andern. Die neue Mode, seine Völker zu amüsieren, braucht er ja nicht mitzumachen. Das Regieren aber dürfte ihm auf alle Fälle gelingen. Es ist eine Mühe, die den Königen von heute vielfach erleichtert wird.