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Das Buch der Könige

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Der König von Schweden

Unter allen Königen der Erde ist er jetzt der grösste. Man beachte, dass wir von der Körperlänge sprechen. Es ist eine königliche Erscheinung, die beinahe kein Ende nimmt. Nur noch wenige Zoll, und er wäre eine Sehenswürdigkeit. Weil nämlich bei so und so viel Fuss das Majestätische aufhört und Barnum beginnt. König Oskar ist glücklicherweise nicht so gross wie die Riesen, die man gelegentlich bei Ronacher vorführt, aber immerhin grösser als der Herr Schmidt vom Burgtheater, der wie ein Flaggenmast über alle Kollegen emporragt. So weit man also König Oskars Antlitz mit freiem Auge erspähen kann, muss man sagen, es ist ein gutes, tapferes Angesicht. Ein weissbärtiger Soldatenkopf mit den sanften, klug und ernst blickenden Augen eines Bernhardiners. Die Nase ist von einer Gewöhnlichkeit, die man als schmerzliche Enttäuschung empfindet, wenn man bedenkt, dass es sich um eines Königs Nase handelt. Solch eine richtige Alte-Herren-Nase, der man es sogleich anmerkt, dass sie schon viel geleistet und viel mitgemacht hat. Wenn er spricht, zieht sich die Oberlippe scharf in die Höhe, und zwei weisse, lange Vorderzähne werden sichtbar, dass man für eine Sekunde der Miene eines klagenden Feldhasen gedenkt. Aber auch nur für eine Sekunde. Denn es liegt sonst so viel kraftvolle Energie auf seinen Zügen, dass diese mehr niedliche Einzelheit daneben rasch verschwindet. Die Bewegungen dieses Fünfundsiebzigjährigen sind geschmeidig und von einer gewissen wuchtigen Anmut. Seine verbindlichen Gebärden haben nichts Herablassendes; seine Höflichkeit ist einfach und herzlich. Augenscheinlich ist seine Routine, nach königlichem Brauche zu distanzieren, zu differenzieren und zu dosieren, gar nicht gering. Wenn man ihn ansieht, und der übrigen Monarchen sich besinnt, dann entdeckt man eigentlich kaum einen Unterschied. Angeblich soll es ja den Herrschaften anzumerken sein, wenn ihre Ahnen schon vor tausend Jahren gekrönte Menschen waren. Was das betrifft, haben wir Leute aus solch prachtvollen Familien gesehen, denen das Krönlein sehr salopp und sonderbar auf dem Scheitel sass, wie eine zufällige, ungewohnte Kopfbedeckung. Der Anstand, mit dem König Oskar sich gibt, ist von solcher Art, als sei er von vielen majestätischen Vorvätern seit vielen Jahrhunderten erworben und vererbt. Entweder ist es also nicht gar so schwer, das Königsein zu lernen, oder dieser Enkel eines kleinen französischen Advokaten hat besonderes Talent dazu.

Ihr Freunde, nicht diese Töne  . . . So weit sind wir doch nicht, dass wir vom Schwedenkönig erwarten, er werde zur Begrüssung des Wiener Hofes ein bisschen Heilgymnastik aufführen, auf dem Bahnhof etwa oder während der Zwischenakte im Théâtre paré. Auch wollen wir dem schwedischen Herrn nicht extra auf seine Handschuhe gucken oder gar den Moment erlauern, in dem er ein Päckchen Zündhölzer aus der Tasche zieht. Utan Svafvel. Seine Länder haben uns edlere Gaben dargebracht, und dieser gute alte König ist besserer Betrachtung wert. Kommt Wilhelm II. zu uns, dann fällt es niemandem ein, ihn als den Kaiser Gerhart Hauptmanns zu nehmen; an seine Person knüpfen sich andere Beziehungen, und der geistige Tiefstrom seines Volkes rauscht seitab, aus Quellen, über die Wilhelm II. sich nie gebückt hat. Innigere Zusammenhänge weben zwischen Oskar von Schweden und der Dichtung seiner Reiche. Unsichtbar, aber in stets fühlbarer Gegenwart begleitet ihn ein stolzes Gefolge ruhmreicher Poeten. An Esaias Tegnér denkt man, den feinen Lyriker, der die Frithjofs-Saga niedergeschrieben, an Magdalene Thoresen, die Erzählerin stiller Bauerngeschichten, an Jonas Lie, den nervenzarten Schilderer der Seele, an Arne Garborg, der in unvergesslichen Büchern die Geschichte seines Volkes, die Leiden und Kämpfe seiner heissen Gegenwart gestaltet; »Bei Mama«, »Müde Männer«, »Bauernstudenten«. Dann Almquist, dieses abenteuernde, kraftvolle und genialische Temperament, dann die Flygare-Carlén, die arbeitsame Streiterin gegen das Frömmlerwesen, Gustav af Geijerstam und Selma Lagerlöf, die prächtige, die schwungvolle, phantasiereiche, berückende Selma Lagerlöf. Björnstjerne Björnson endlich, der Erwecker und Erreger der Massen, der Meister der Novelle, und Henrik Ibsen, der als kaiserlicher Herr und Souverän geehrt wird, in einem Reiche, in dem König Oskar höchstens als ein bescheidener Edelmann rangiert. Wenn, man ihm gestern abends im Burgtheater nicht die verzuckerte »Novella d'Andrea« vorgeführt hätte, als dieses Winters reifste Frucht, der König hätte vielleicht an besseren Stücken gesehen, wie viele schwedische Vasallen es auf der deutschen Bühne gibt, dank Henrik Ibsen, dem Eroberer.

All diese Lichter sind freilich erstrahlt, ohne dass König Oskar sie angezündet hat. Das verlangt ja auch kein, vernünftiger Mensch von ihm. Aber er liess sie leuchten in seinem Lande und hat nie versucht, sie zu verhüllen oder zu verdunkeln. Für einen König ist das viel. Geistige Beschränkungen hat er von seinem Volke genommen, und das ist die königlichste aller Freigebigkeiten. Gegen die Meister des Schrifttums ist er nie als der königliche Gebieter aufgetreten; immer mehr als ein bescheidener Kollege. Und ihm ward die Freude, dass er sich kleiner, lokaler Erfolge rühmen durfte. Seine Gedichte wurden mit einem Preis belohnt, ohne dass die Geber wussten, dass der Reimschmied ihr Kronprinz sei. Natürlich sind es die Verse eines Idealisten, eines gottgläubigen, zu sanftem Pathos frommer Denkungsart neigenden Schwärmers. Denn seit Friedrich dem Grossen ist kein königlicher Dichter je wieder ironisch, skeptisch oder satirisch gewesen, und bis zur rumänischen Carmen Sylva herunter ist jeder König, wenn er schreibt, ein Idealist.

Immerhin, er ist ein intellektueller König. Er hat den »Torquato Tasso« Goethes und er hat den »Cid« von Herder in das Schwedische übersetzt. Er hat über die akustischen Lehren Helmholtz' Vorträge gehalten, er ist ein passionierter Musiktheoretiker und gelangte zu dieser fesselnden Wissenschaft auf dem schönsten Wege, nämlich durch die Mathematik. Denn er ist auch ein Mathematiker. Er war ein begeisterter Seemann und soll in seiner Jugend ein athletischer Turner gewesen sein. Schwedische Gymnastik. Er hat wissenschaftliche Zeitungen gegründet und Expeditionen nach unerforschten Bezirken des Erdballs ausgerüstet. Er wird als überlegsamer, formsicherer Redner gerühmt, und so scheint er denn überhaupt ein gesundes und stattliches Exemplar von einem Menschen.

Wenn ich ein König nach der Regel wäre, könnte mir der schwedische Herr nicht sympathisch sein. Denn allzu lebhaft gibt er die Beweise, dass auch die Könige zu besseren Dingen Zeit genug haben. Deutlich zeigt er, dass man ein trefflicher Soldat und Monarch sein kann und dabei doch Müsse genug finden, ein gutes Buch zu lesen, einem hohen Gedanken nachzuhängen. Das ist für die Kollegenschaft nicht angenehm. Denn aufmerksam gemacht durch Oskar II., der seine Stunden so gut anzuwenden weiss, wird man eines Tages vielleicht nachrechnen, wie viele schöne Zeit andere Berufsgenossen auf der Jagd, auf der Parade verbringen, und zu dem Resultat gelangen, dass es auch dem Kronenträger nicht an Musse gebricht, sich zu bilden. Nur oft an anderem.

Dann hat der König von Schweden noch eine andere Eigenschaft. Er besitzt eine ganze Menge Doktorhüte. Von allen möglichen Universitäten. Nun kann ein Fürst ohne jegliche Mühe Grosskreuze sammeln, er kann seine Brust mit Stern' und Kreuzen panzern. Das ist ihm eine wahre Kleinigkeit. Aber Doktorhüte, wenn er sie auch leichter erwirbt als gewöhnliche Erdensöhne, sie fliegen ihm doch nicht so ohne weiteres auf das gesalbte Haupt. Da muss er schon einen anständigen Anlass geben. Man kann sie nicht zu den billigen Auszeichnungen rechnen, die jedem König unausweichlich sind. Es gibt vielmehr Monarchen, die es trefflich verstanden haben, diesen Kopfschmuck zu meiden. Vielleicht sprechen bei Oskar II. Atavismen mit. Der bürgerliche Doktorhut hat sich von je dieser bürgerlichen Familie gesellt, und vor wenig mehr als hundert Jahren ist der Vater des Kronprinzen von Schweden ein kleiner Advokat gewesen in der kleinen Stadt Pau. Der Doktorssohn, der dann die Krone trug, ist erst vier Jahre, ehe unser Kaiser den Thron bestieg, gestorben. Hatte wahrscheinlich noch bürgerliche Sippen, die des Schwedenkönigs sich erinnerten, da er einst im französischen Provinzstädtchen als Schuljunge durch die Strassen lief. So jung ist diese Dynastie, so unlängst erst aus der namenlosen Masse emporgestiegen. Und wahrscheinlich ist sie deshalb noch so frisch.

Das war der kluge Jean Baptiste Jules Bernadotte, der eine bessere Karriere gemacht hat als jener andere Advokatensohn Napoleon Bonaparte. Freilich, der Glücksstern Napoleons hat die Segel Bernadottes gefüllt. Als aber dann der gute Wind aus anderen Himmelsstrichen blies, da wusste Jean Baptiste sein Schifflein weise zu steuern. Dass er auf dem Throne blieb, auf den die märchenhafte Königmacherei jener Tage ihn gehoben, war aber schliesslich nur ein Sieg der Tüchtigkeit. Denn auch Bernadotte ist mehr gewesen als ein schlauer Nützer günstiger Konjunkturen. Ein Feldherr, der ohne des Bonaparte Führung Lorbeeren und Triumphe erstritt, und was Napoleons Ehrgeiz erdachte: ein neuer Thron auf den Trümmern der Konventsregierung und des Direktoriums, war eine Idee, der auch Bernadotte nachsinnen durfte. Am 18. Brumaire ist ihm Bonaparte zuvorgekommen. Nach Waterloo aber hat Bernadotte zuletzt und am besten gelacht. Nur eine Kleinigkeit, und er hätte damals aus dem Kronprinzen von Schweden König von Frankreich werden können.

Diese Tüchtigkeit ist im Hause Bernadottes noch nicht erschlafft. Freilich scheint die Luft in Schweden den intellektuellen Königen förderlicher zu sein als anderswo. Jener unglückselige Gustav, der, wie man aus der Geschichte und aus der Oper weiss, auf einem Maskenball erschossen wurde, ist nach seinem Tode sogar im Wiener Burgtheater aufgeführt worden. Archivar Weltner hat das vor wenig Tagen herausgefunden und mitgeteilt. Das Stück war ein Schauspiel in drei Aufzügen und hiess »Siri Brahe oder die Neugierigen«. Auf dem Theaterzettel stand: »Von Sr. Majestät Gustav dem Dritten, König in Schweden.« Vielleicht der einzige König, der mit vollem Titel auf einem Wiener Theaterzettel als Autor angeschrieben ward. Das Stück wurde von 1794 bis 1798 neunmal gespielt, hatte also einen recht hübschen Erfolg. Allein Gustav der Dritte, der Verfasser von »Siri Brahe«, war kein Bernadotte, und weil neun Aufführungen in vier Jahren vom geschäftlichen Standpunkt betrachtet wohl wenig sind, darf man zweifeln, ob er von seiner Schriftstellerei hätte leben können. Die Bernadottes aber, die jetzt regieren, sind in diesem knappen Jahrhundert noch keineswegs erwerbsunfähig geworden. Oskar II. könnte mancherlei Berufe ergreifen. Ein Prinz von Schweden ist als Landschaftsmaler ersten Ranges berühmt. Der Thronerbe gilt als gelehrter und befähigter Kopf. Und so hat man die Überzeugung, dass diese Männer es in der Welt sicherlich zu etwas Ordentlichem bringen könnten, auch wenn sie nicht schon in einem Königspalast sässen. Nicht eben von vielen anderen Bewohnern stolzer Burgen und Paläste lässt sich dasselbe behaupten. Die schwedischen Herren aber sind uns dadurch in eine mehr menschliche Nähe gerückt, und ihre Hoheit entbehrt noch nicht der bürgerlichen Solidität. Nach feudalen Begriffen mag das ein Fehler sein, vernünftige Leute werden es für einen beneidenswerten Vorzug halten.

 

Und nun ist dem alten Herrn ein Malheur passiert. Von den beiden Kronen, die das Haus Bernadotte sich erworben, hat er die eine verloren. Jetzt möchte er vielleicht alle seine Doktorhüte mit anderen bürgerlichen Kopfbedeckungen und Bildungsabzeichen, die sich auf den Erstgeborenen nicht vererben lassen, gerne für den einen Stirnreif dahingehen. Umsonst. Er ist ihm abgenommen worden. Sehr höflich zwar, in aller Ruhe, aber: wie es scheint für immer. Das Volk von Norwegen hat dem redlichen, treuen und fleissigen Oskar seine Stellung aufgesagt. Sie haben es ihm willig bestätigt, dass er redlich, treu und fleissig gewesen. Allein sie haben ihn halt doch gekündigt und sich einen anderen König engagiert, einen netten jungen Prinzen, der die besten Referenzen mitbrachte, der glänzende Empfehlungen besass, der das Metier gewiss sehr flott erlernen und allen Anforderungen zur allseitigen Zufriedenheit entsprechen wird. Immerhin: jeder Mensch, der zufällig kein Norweger ist, hat dem greisen Oskar eine gefühlvolle Anhänglichkeit bewahrt und nur ungern, nur mit herzlicher Teilnahme ein so barockes Missgeschick über ihn hereinbrechen sehen. Die leidige Politik . . . ohne sie wäre es so bequem ein König zu sein. Da hat sie jetzt wieder einmal jemandem übel mitgespielt, der's justament am wenigsten verdiente. Und seit dieser norwegischen Staatsaktion, in der sich Männerstolz vor Königsthronen und ein moderner Stil des Umgangs mit Majestäten, ein feierlicher Ernst und operettenhafte Satire sonderbar mischen, ist auch die Stellung Oskars II. in ein merkwürdiges Licht gerückt worden: ein Souverän, dem ein Parlamentssturm und ein Telegramm das halbe Reich kostete . . . der einzige König in Europa, der wie ein Prokuraführer kurzer Hand entlassen wurde . . . das Opfer einer lautlosen Revolution . . . Und er wäre, als Norwegen so rücksichtslos kurzen Prozess machte, beinahe in peinlichster Verlegenheit gewesen, hatte bei so hohen Jahren den übrigen vazierenden Herrschaften in Paris und Cannes sich beigesellen müssen oder vielleicht gar die in Genf soeben frei gewordene Wohnung Peter Karageorgs beziehen können, wenn ihm nicht glücklicherweise noch in Schweden die altgewohnte Beschäftigung des Regierens geblieben wäre.