100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 1

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Die Inside Passage

Vor 12.000 Jahren noch völlig vergletschert, präsentiert sich die wilde, regenreiche und fast menschenleere Westküste von British Columbia und Alaska in unserer Zeit mit einer zerklüfteten Küste, 2.000 Meter hohe Bergen, grünen Hängen, Wasserfällen und Regenwäldern, in denen auch die weißen „Spiritbären“ noch zu finden sind. Mit den Straßen ist es ähnlich wie damals, als diese Gewässer schon den Eingeborenen als Wasserwege dienten und darüber noch nicht geschrieben wurde, es gibt so gut wie keine. In jenen frühen Jahren waren es Händler von den Aleuten, die hier ebenso entlang segelten wie Tlingits, Haida, Tsim Shian und andere Küstenstämme. Danach kamen Forschungsreisende wie Captain James Cook und andere aus England, Spanien, Russland und Frankreich an diese Küste, suchten nach der Nordwestpassage und kartographierten das Unbekannte. Auch Goldsucher, Pelzhändler und Holzfäller reihten sich ein wie später die U-Boote der Marine. Heute sind alle Schiffstypen unterwegs, vom Fiberglas-Kajak über Öltanker bis zum Luxusliner. Und zwischen ihnen allen ziehen die großen Fähren ihre Bahn, mit ganz gewöhnlichen Durchschnittsmenschen an Bord, jedoch auf einer ungewöhnlich schönen Reise.

Die Schiffe der BC Ferries und des Alaska Marine Highway Systems sind hier entlang einer Küstenlinie unterwegs, die man wahrscheinlich als die schönste der Welt bezeichnen kann. Auch wenn man weiß, dass sich die Postschiffe Norwegens ebenfalls in gigantischer Natur bewegen. Auf dem Neuen Kontinent ist jedoch alles eine Dimension gewaltiger. Hier wie dort kommen die Menschen aus aller Herren Länder und das Panorama erfüllt Tagesträume, ohne Internet und Fernsehen. Die Schiffe ziehen ihren Weg von den Regenwäldern des nördlichen British Columbias durch Südost-Alaska zu Gletschern und Fjorden des Prince William Sounds, und bis hin zu den Vulkanen der Aleuten. Sie sind durch stürmische, graue See unterwegs wie durch kristallklare, ruhige und geschützte Gewässer, in denen sich Wale und andere Meeressäuger tummeln. Und sie navigieren auch im Schritttempo durch schmale, gefährliche „Narrows“, die dem Kapitän und seiner Mannschaft alles abverlangen.

Das 1948 gegründete Alaska Marine Highway System, die „blauen Taxis Alaskas“, bedienen etwa 6.000 Kilometer etablierte Routen und erreichen dabei das südlichen Bellingham im Bundesstaat Washington, wie im äußersten Westen Dutch Harbor auf Unalaska. Die 1960 mit zwei Schiffen gestarteten BC Ferries steuern im 21 Jahrhundert mit etwa 40 Schiffen fast 50 Destinationen an und transportieren pro Jahr mehr als 21 Millionen Passagiere und 8,5 Millionen Fahrzeuge, wobei ihre größten Fähren 2.100 Reisende und 470 Fahrzeuge aufnehmen können. Und wie in Alaska, so schaffen auch kanadische Fähren nicht nur „Verbindungen“, sondern sind auch unterwegs um entlegene Orte zu versorgen, zu denen keine Straßen führen. Die Königsdisziplin ist aber auch hier das Zauberwort, das elektrisiert, die Inside Passage.

Unterwegs, gleich ob Luxusliner oder Fähre, werden verschiedene Häfen angelaufen und die Endstation heißt Skagway. An einigen Tagen im Monat weicht die M/V Kennicott jedoch vom Hauptkurs ab und kreuzt den Golf von Alaska, um Valdez und Seward anzusteuern, wo sich, wie zu Whittier, Eisenbahn und Straße anbieten. Andere Fähren verbinden auch Valdez, mit Cordova und Whittier. Auf der Kenai-Halbinsel, zu Homer und Seward, starten weitere nach Kodiak Island und von dort zu den Aleuten.

Das Konzept des Alaska-Fährsystem besteht aus drei Komponenten, die sich untereinander verbinden und ergänzen. Die Schiffe der Hauptroute verkehren zwischen dem amerikanischen Bellingham und Alaskas Skagway, wobei das von den Russen an der Westküste Alaskas gegründete Sitka nur an bestimmten Tagen einbezogen wird. Als Zubringer zu jener sind von Juni bis September die Fähren des Southeast- und Südzentral-Südwestsystem unterwegs. Ersteres steuert kleinere Ortschaften als auch die Hauptroutenhäfen Ketchigan, Wrangell, Petersburg und, über Kake, Sitka an, während die Südzentral-Südwest-Fähren im Prince Williams Sound und dem Golf von Alaska kreuzen und Seward, Whittier, Homer und Valdez bedienen. Auch von einigen Häfen an der Hauptroute gibt es Querverbindungen. Hollis (Prince of Wales Island) und Metlakata (Annette Island) sind ab Ketchigan erreichbar, und ab Juneau auch Pelican, Hoonah, Angoon, Kake oder Tenakee. Wie aber fast überall in Alaska bieten sich auch in dieser Gegend Wasserflugzeuge oder Charterboote an, um beispielsweise Admiralty Island (Bärenbeobachtungen) oder Gustavus und den Glacier Bay National Park zu erreichen. Straßenanschluss findet sich jedoch nur in zwei Alaska-Häfen, Haines und Skagway. Beide Straßen, der „Haines Cut-Off“ und der „Klondike“ führen auch zum berühmten Alaska Highway, und damit nicht nur in diesen amerikanischen Bundesstaat, sondern auch in den Yukon, die Northwest Territories, nach British Columbia und Alberta. Die Fähre gegen Asphalt tauschen lässt sich auch schon in Prince Ruppert, wo der Yellowhead Highway Richtung Rocky Mountains startet und der „Cassiar“ zum nördlichen Watson Lake am Alaska Highway zieht. Aber auch diejenigen Touristen, die diese Anschlüsse auf dem Festland gar nicht suchen sind hervorragend unterwegs, mit dem Schiff und all den vielen Urlaubszielen, die diese Fähren ansteuern. Auch für das BC Ferries System, das an den Küsten und zu vielen Inseln unterwegs ist, gilt als populärste Tour die auf der Inside Passage, von Port Hardy nach Prince Ruppert. Hier finden ihre Gäste den Anschluss an die Fähren nach Alaska, rollen von Bord oder wählen die Achtstundentour nach Skidegate auf den Queen Charlotte Islands, der Heimat der Haida-Indianer.

An nächsten Morgen steht der Shuttle Bus kurz nach 5 Uhr vor der Hoteltür. Fünfzehn Minuten später checken wir ein, und nach weiteren sechzig lichtet die Fähre ihren Anker. Die ersten fünfzehn Stunden der Inside Passage liegen nun endlich vor uns. Und was schrieb Sabine dazu in ihr Tagebuch?

„Noch immer hatten wir unsere zwei schweren Koffer, und jeder eine große Umhängetasche im Schlepptau. Wer im Auto auf die Fähre fuhr, hatte es natürlich bequemer. Wir schleppten und zogen dagegen alles hinter uns her. Erhard wuchtete die Lasten über enge Treppen nach oben bis ins Kabinendeck. Dann wurde ich in einer Ecke mit all der Bagage abgestellt, denn Erhard musste die Kofferschließfächer finden und von wenigstens zwei die Schlüssel abziehen, damit wir heute lastenfrei wurden. Er hatte darüber gelesen und wusste vom Prospekt, dass sie direkt am Treppenaufgang von den Autos kommend auf Deck fünf zu finden waren. 24 Stunden pro Fach für einen Dollar. Das war doch eine preiswerte Lösung. Kabinen gibt es natürlich auch, aber tagsüber wäre das überflüssig. Zehn Minuten später war er wieder da. Die großen Hartschalenkoffer passten haarscharf, und somit war es gut, dass er von allen drei noch freien Fächern die Schlüssel abgezogen hatte, um auch die schweren Taschen unterzubringen. In Prince Ruppert wiederholte sich die Prozedur. Nur, dort ging es um die Kabinenschlüssel. Wer am schnellsten ist, hat seine Bleibe zu erst. Auf alle Fälle gehörten wir auch dort zur Abteilung „Attacke“, denn irgendwie steckt das in uns. Und nach einem schnellen Check – Betten, WC, Dusche und Strom OK, Bullauge wasserdicht – ging die Erkundung sofort weiter. Bar (wichtig), Sicherheitsboote – wo und reichen sie aus –, Notausgänge, wie zu öffnen, und welche Pfeife pfeift wie viele Pfeiftöne, ehe man springen muss? So etwas weiß ich in kürzester Zeit, egal wo ich bin. Ein Auge und ein Ohr sind immer nach hinten gerichtet. Erst danach kommt alles andere. Jedenfalls wurde es eine gigantische Dreitagesfahrt in einer Landschaft aus Wald, Bergen mit Schneegipfeln, Gletschern und Inseln. Mit Sonne und Regen. Rechts und links Blicke der Superlative. Ein stilles Wasser, Wale. Ruhe und Frieden. Wir haben gefilmt, fotografiert, gestaunt und genossen. Allerdings rückte auch der Norden näher und die Kälte wurde spürbar. Eisschollen zogen vorüber, und beim Filmen froren mir am eiskalten Metall die Hände ein. Der Fahrtwind schnitt eisig, und ich dachte an Afrikas Sonne. Ab und an gab es einen heißen Tee. Auch alle Eitelkeiten flogen über Bord. Ich zog zwei Pullover unter die Windjacke, denn drinnen sitzen in der warmen Ecke ist bei dieser Landschaft keinesfalls eine Lösung. Man muss draußen stehen, um nichts zu verpassen. Und so sammelte ich auch erste Eindrücke von Alaskas Kälte und mochte derzeit an die vor mir liegenden Wochen nur mit Gänsehaut denken …“

Nun, es war zwar hin und wieder kalt. Direkt an den Gletschern auch saukalt. Regen gab es auch, und nicht nur entlang dieser Küstengebirge. Insgesamt war es aber einfach nur großartig. Am ersten Tag strahlte sogar die Sonne, und später hatten wir unser Wohnmobil, dessen Heizung morgendliche Frische auch an den kühlsten Tagen nichts anhaben konnte. Momentan aber ist Alaska noch weit und somit Zeit, nach der Ausfahrt von Port Hardy und dem Frühstück das Schiff zu erkunden. Danach stehen wir an der Reling und sind gespannt, was wir alles sehen werden. Ich hatte zwar auch gelesen, dass diese Fahrt nicht selten von Nebel und Regen beherrscht wird, doch heute ist es ein strahlender Samstagmorgen der hielt, was er versprach. Und vielleicht stimmt es ja doch, was eine Werbebroschüre zu British Columbia meint: „Es ist ein ganz spezieller Platz, den man zu Wasser und zu Land erkunden muss und, hast Du das getan, dann bist du ein anderer Mensch, wenn Du von deiner Reise zurückkommst“. Hier an dieser Stelle haben wir zwar erst wenige Meilen unter dem Kiel, doch nehme ich es vorweg, dass es „fast“ stimmt. Und warum diese kleine Einschränkung? Es trifft auch über diese zauberhafte Provinz hinaus zu. Uns zwei hat dieses Land, trotz aller Liebe zu Afrika, auch in seinen Bann gezogen und zugleich zu absoluten Wohnmobil-Fans gemacht. Und nach dieser Reise stand für mich auch fest, dass ich, obwohl die normale Lebensarbeitszeit schon überschritten war, noch einige weitere Jahre „im Geschirr“ bleiben werde, denn Reisefans sind wir inzwischen auch.

 

Da standen wir nun an der Reling bei einer Hafenausfahrt, auf die wir uns so sehr gefreut hatten. Und sie gehörte zur „Queen of the North”, einer mächtigen Fähre für 600 Passagiere und mit allem Komfort. Speisesaal, Cafeterias, Aussichts-Lounge, Geschäfte, Touristeninfo, Schlafsessel und Kabinen inbegriffen. 1966 gebaut, verkehrt die 125 Meter lange „Königin des Nordens“ seit 1980 auf dieser Route. In ihrem Bauch verschwinden maximal 110 Fahrzeuge, und für den Antrieb sorgen 15.600 PS. Und auf diesem Schiff lassen wir uns inzwischen den frischen Wind auf dem obersten Deck um die Nase wehen. Die Blicke folgen der spektakulären Küstenlinie und hüpfen durch das Gewirr der Inseln. Sie alle gehören zu einem küstennahen Inselschild, das die Gewässer, und damit auch die Schiffe, vor den rauen Wellen des Nordpazifiks schützt. Was vorbeizieht ist pure Natur. Wasserfälle, kalbende Gletscher, auftauchende Wale und Seelöwen, kreisende Weißkopfseeadler, Gebirgszüge, die 2.000 Meter aufragen und Grizzlys an einsamen Ufern, die den massiven Regenwäldern dort Einhalt gebieten. Es scheint also zu stimmen, was die Autokennzeichen dieses Staates behaupten: „Beautifull British Columbia“. Eigentlich sollte dieser nur „Columbia“ heißen, doch weil bereits in Südamerika ein solcher existierte und auch die „Amerikaner“ ihr Land so nennen wollten entschied Queen Victoria, dass die neue Provinz den Zusatz „British“ erhält. Damit hatte sich auch der zweite Vorschlag - British Caledonia – erledigt, obwohl auch dieser eine Basis gehabt hätte. „Caledonia“ stand für Schottland und, sieht man vom Engländer James Cook einmal ab, waren es Schotten, die Kanadas Westküste erschlossen. An dieser Schiffsstraße dehnt sich auch die Zeit, denn die Landschaft ist das Ergebnis von 200 Millionen Jahren Erdgeschichte, die wir, mit der Sonne im Gesicht und zurückgelehnt, nun genießen dürfen.

In Prince Ruppert läuft die „Queen“ pünktlich um 22 Uhr 30 ein, aber dennoch bestätigt sich die gebuchte Übernachtung als richtig, denn als der Alaska-Anschluss nach vierzig Minuten seinen Anker lichtet warten wir noch immer und schauen zu, wie die Fahrzeuge aus dem Bauch unseres Schiffes rollen. Erst danach sind die Passagiere an der Reihe. Dass vierzig Minuten nicht reichen würden, hatte ich nicht geahnt, doch ich wusste, dass keines der beiden Fährsysteme seine Abfahrtszeiten zu Gunsten eines Anschlusses verschiebt, und hatte auch mit möglicher Verspätung gerechnet. Das nächste Warten war an der Shuttlebus-Haltestelle des Fährterminals vorprogrammiert, weil Samstagsnacht dieser Bus nicht fährt. Und wenn das die dort bereits „diskutierende Menge“ begriffen hat, dann wird die Schlange am Taxistand sehr schnell sehr lang. Also ziehen wir unsere Koffer schnellstens „Richtung Stadt“ und fangen vor dem Terminal ein Taxi ab. Zwanzig Minuten später zahlen wir 6.50 $ und sind für heute am Ziel. Das „Coast Prince Ruppert“, gezielt ausgesucht, bestätigte auch seine Internet-Beschreibung: Ordentlich, sauber und gleichzeitig eine Haltestelle der Fährbusse. Wir werden also keine Koffer schleppen müssen, wenn es weitergeht.

Prince Ruppert, am Ende des Yellowhead Highways, liegt an der Mündung des Skeena Rivers auf Kaien Island. Mit guter Infrastruktur und umgeben von bewaldeten Bergen, Inseln und fischreichen Gewässern lockt es jährlich mehr als 300.000 Besucher an. Innerhalb der Stadt spielt die Cow Bay eine Sonderrolle. Sie gilt als romantisch und gemütlich, und weil sie einer der ältesten Stadtteile ist, stehen auch viele der kleinen Gebäude noch auf Holzpfählen. Enttäuscht waren wir allerdings vom hochgelobten „Smile’s Seafood Cafe“, doch stand heute möglicherweise nur ein wenig begabter Aushilfskoch am Herd des rustikalen Ladens. Von „ausgezeichneten Fischgerichten“ somit keine Spur, aber alles auf einem Teller, voll bis über den Rand, durcheinander und ziemlich geschmacklos, das ja.

Entlang des lachsreichen Skeena Rivers verlässt der Yellowhead Highway die Stadt auf einem alten indianischen Handelsweg, erreicht nach knapp 750 Kilometer Prince George, überquert kurz vor Jasper die Rocky Mountains und macht nach 1.445 Kilometer zu Edmonton Rast. Nach 2.700 Kilometer erreicht er Portage la Prärie im Bundesstaat Manitoba. Viel früher aber – nach reichlich 150 Kilometer zu Kitwanga – schwingt sich von ihm schon der Cassiar Highway nach Norden und trifft kurz vor Watson Lake auf den Alaska Highway.

Prince Ruppert, ein Städtchen mit 15.000 Einwohnern auf altem Tsimshian-Gebiet, besitzt nach Vancouver Kanadas zweitgrößter Handels- und Fischereihafen an der Pazifikküste. Er ist gleichzeitig auch die Nummer Drei unter den tiefsten Naturhäfen der Welt. Geboren wurde Prince Ruppert durch den Visionär Charles Hays. Der Präsident des „Grand Trunk Pacific Railways“ wählte diesen Ort als Endstation für Kanadas zweite transkontinentale Eisenbahnlinie, um mit British Columbias erster geplanter Stadt Vancouver den Rang abzulaufen. Die Pläne waren bereits weit gediehen, als dieser Pionier 1912 mit der Titanic unterging. Mit seinem Tod, dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Eisenbahnära verlagerte die Stadt ihre Interessen jedoch wieder auf den Fischfang. Dieser florierte bereits seit 1876 und Lachs war reichlich vorhanden. Statt Eisenbahngleise boomten Dosenfabriken, und in einer solchen, im Vorort Port Edward, sind jene Tage der Nachwelt im „North Pacific Cannery Museum“ auch erhalten geblieben. Danach war bald alles ganz anders, denn während des Zweiten Weltkrieges war Prince Ruppert für Nordamerika eine strategische Militärbasis. Als dieser Wahnsinn zu Ende war schwang sich die Fischverarbeitung zu neuen Höhen auf, riesige Mengen Kohle und Getreide wurden, vornehmlich Richtung Asien, verladen und auch Holz und Papier spielten eine Rolle. Schließlich wurde auch der Tourismus ein wichtiges Standbein, denn Fähren und die Umgebung dieser Stadt sorgten dafür. Wale, das Khutzemateen Grizzly-Schutzgebiet, in dem auch Bergziegen, Wölfe oder Bieber anzutreffen sind, das Indianerzentrum Kitwanga-Hazelton, die „Geisterstadt“ Hyder mit ihren Bären am Fish Creek bieten dieser Branche zahlreiche Möglichkeiten. Und dann ist da noch der von üppiger Wildnis umgebene Douglas Channel, ein Fjord, der sich über mehr als 90 Kilometer in die majestätischen Küstengebiete hinein gebohrt hat. Seine blauen Wasser, in denen sich Schwertwale, gigantische Heilbutts, Snapper und Lachse tummeln, sind ein Paradies für Wasserfreunde und Angler, und in den angrenzenden Wäldern sprudeln heiße Quellen zu Weewanie, Bishop Bay und Shearwater Hot Springs. Über diesen Fjord und seinen Seitenarm „Gardener“ lässt sich auch der unerschlossene Regenwald im Kitlope Valley erreichen, doch verbindet auch der Trail vom Kitamaat Village nach Kemano zu diesem Seitenarm. Derartige Touren setzen allerdings einen ortskundigen Führer unbedingt voraus. Uns bot sich diese Gelegenheit auch erst einige Jahre später. In das Schutzgebiet der Bären fuhren wir mit einem Ausflugsboot, und das Kitlope Valley zeigte uns Harry mit seiner Chesna, als wir mehrere Tage in seinem Buschcamp gastierten. Aber darüber berichte ich an anderer Stelle. Lange Zeit hatte ich auch mit dem Gedanken gespielt, die etwa sechs Stunden Fährfahrt von Prince Ruppert auf die Queen Charlotte Islands als Schnupperausflug zu nutzen. Doch je mehr ich mich damit beschäftigte, desto stärker wurde die Überzeugung, dass ein oder zwei Tage für diesen Archipel mit seinen Adlern, Seelöwen, Vogelkolonien, seiner Wildnis und Indianergeschichte viel zu wenig sind. Unsere jetzige Reise hätte mehr aber nicht hergegeben. Vielleicht wird es uns aber irgendwann eine neue Reiseroute ermöglichen, die beiden größten der mehr als 150 felsigen Inseln in unser Programm aufzunehmen, das nördliche Graham Island mit Queen Charlotte City, und die südlich der schmalen Meeresenge „Skidegate Channel“ liegende Insel Moresby, das Gwaii Hanas, dessen englischer Name an General Fairfax Moresby erinnerte. 2009 wurden die Inseln in Haida Gwaii, Land der Haida, umbenannt, um der Geschichte gerecht zu werden. Die Queen, Ehefrau von King George III., war ohnehin nie hier, und die Inseln hatte Kapitän George Dixen nach seinem Schiff benannt als er 1778 vor Ort ankerte, während die Haida zu den ältesten ortsfesten Bevölkerungen der Welt zählen.

Dieser Archipel, zwischen dessen Westküste und Japan sich nur die unendliche Weite des Nordpazifiks ausbreitet, ist das Stammland der kriegerischen Haida Indianer, doch beeindrucken ihre seetüchtigen Kriegskanus aus den riesigen Lebensbäumen heute nur noch im Museum, während in den Dörfern die Crests der Zedernpoles von ihren Familienbanden berichten. Queen Charlotte City und das im Norden der Graham Insel gelegene Masset, wo die restlichen 138 Kilometer des Yellowhead Highways enden, der hier am Fährhafen Skidegate den Festlandasphalt fortsetzt, sind mit jeweils etwa 1.000 Einwohnern die größten Ortschaften auf British Columbias zweitgrößter Insel. Auf der drittgrößten Insel dieser Provinz, Moresby, leben fast alle Einwohner im kleinen nordöstlichen Sandspit (mit Flugplatz), denn der große Rest mit dem beliebten Touristenziel „Gwaii-Haanas-National Park“ ist fast völlig unerschlossen. Die Tier- und Pflanzenwelt hat sich auf diesen Inseln so abgeschieden entwickelt, dass sie auch als „Kanadas Galapagos“ bezeichnet werden. Steilufer im Westen, jungfräulicher Regenwald, Sand, Dünen, Feuchtgebiete, Strände, raue Berge, Flüsse, Bäche und Seen, der Archipel vereint sie alle. 25 Prozent aller Seevögel der Provinz brüten hier, und die Zugvögel der Pazifik-Flugroute lassen sich in jedem Frühjahr und Herbst zur Rast nieder. Die Hälfte aller B.C.-Seebären lebt in diesen Gewässern, Lachse garantieren während ihrer Laichzeit den Schwarzbären ein ziemlich sorgloses Leben, und die Vegetation des Regenwaldes sorgt auch dafür, dass Waschbären, Hirsche und andere Tiere nicht hungern müssen. Diese Inseln sind etwas für Naturliebhaber und solche, die die Abgeschiedenheit lieben und sich im Haida Gwaii Museum zu Skidegate (mit Longhouse, Schnitz-, Silber- und Goldarbeiten) Einblick in diese Kultur verschaffen, und vielleicht auch mit einem 15 Meter-Zedernkanu einen Ausflug unternehmen möchten. Golf, Camping, Air-Service, Geschäfte und Übernachtungen bietet vor allem Masset an, in dessen Nähe das 560 Hektar große „Delkatla Wildlife Sanctuary“ liegt, ein Schutzgebiet für Seevögel mit mehr als 140 Arten, darunter auch Adler und Trompeterschwäne.

Unseren letzten Tag in Prince Ruppert beginnen wir bei Sonnenschein in einen Cafe-Shop der Park Avenue mit zwei Becher Schwarzem und vier Croissants. Die Backware ist gut, der Muntermacher knallheiß. Der Laden läuft. Die meisten Kunden setzen sich aber nicht, sondern nehmen ihren Kaffee mit. Auch wir verlieren nicht sehr viel Zeit, sondern marschieren bald mit dem Ziel „Walboot-Anleger“ durch die Stadt um die bestellten Tour-Tickets abzuholen und einen guten Platz an der Reling zu sichern, denn ein solcher ist für die Filmerei schon wichtig. Aber diese Vorsorge war aus doppeltem Grund unwichtig: Wir waren die zwei einzigen Gäste, und wo immer das offene, kleine Speed-Boot hinfuhr, von Walen war weit und breit nichts zu sehen. Diese „Privatfahrt“ hatte aber auch ihre guten Seiten. Bei bestem Kaiserwetter war sie eine großartige und wir hatten gelernt, dass man schon bei der Reiseplanung zu Hause wissen muss, wann und wo diese großen Meeressäuger anzutreffen sind, denn diese Küsten-Charters wollen selbstverständlich auch dann Geld verdienen, wenn die Wale längst weg, oder noch gar nicht da sind. Man kann auch Pech haben wenn die Zeit stimmt, aber heute hatten wir wirklich keine Chance. Ob den Bootsführer auf dem Rückweg das Gewissen plagte, oder er nur erleichtert war, dass wir die Angelegenheit locker nahmen, war nicht herauszuhören. Er wurde aber gesprächig wie nie zuvor. Er kurvte zwischen den Inseln, erklärte alles, zeigte uns Seeadler und andere Schönheiten und überzog die Zeit ganz gewaltig. Nur das Thema Wale klammerte er sorgfältig aus. Auch auf die Namensgebung seiner Heimatstadt, die damals eine landesweite Angelegenheit gewesen sei, kam er zurück und erklärte, dass am Ende der in Prag geborene Prince Ruppert gewonnen hätte, der ein Sohn von Frederick V., einem kurzfristiger „King of Bohemia“ und 1670 der erste Gouverneur der Hudson’s Bay Company gewesen sei. Und diese Stadt läge eigentlich auf der Kaien-Insel, die jedoch durch eine kleine, unauffällige Brücke mit dem Festland verbunden sei. Ob man die Brücke bemerkt oder nicht, diese Region sei schon vor mehr als zehntausend Jahren besiedelt worden, und noch bevor überhaupt ein Europäer ins Land gekommen wäre, zählte die Ansiedlung um den Inneren Hafen herum bereits als eine der am stärksten besiedelten Gegenden nördlich von Mexiko. Und wie zur Bestätigung nannte der Skipper Ortschaften wie Metlakatla, Lax Kw’alams, Gitkxaahla, Kitsumkal’um und andere lebendige Tsimshian-Dörfer, die noch von jenen Zeiten zeugen. Und wo die Fischerei beides ist, professioneller Job und Lieblingsbeschäftigung, dort ist es auch logisch, dass unser Skipper beim Abschied fragt, ob und wo wir denn auf unserer Reise noch fischen gehen würden? „Of course“ antworte ich ihm, „Salmons at Valdez“. Das war zwar gemogelt, aber ich hatte längst gemerkt, dass jemand ohne Angel hier ziemlich mitleidig beäugt wird. „A great place to go“ nickte er anerkennend, und wünschte gute Weiterreise. Einchecken müssen wir aber erst um 21 Uhr. Zeit also, uns von der Speisekarte unseres Hotels nochmals überreden zu lassen und die restlichen Stunden mit Blick auf das Meer und seine Schiffe, einem trockenen Weißen und köstlichen Meeresfrüchten zu genießen und auf das Kommende anzustoßen.

 

Der Bus zum Fährhafen war pünktlich, und als wir einchecken sind die maximal 80 Fahrzeuge längst im Bauch der 125 Meter langen und 28 Meter breiten M.V. Kennicot verstaut. Je zwei Nächte und Tage werden wir mit dieser Fähre unterwegs sein, die über vier Decks und 100 Kabinen verfügt, und 750 Passagieren Platz bietet. Beim „Purser“ ging aufgrund unserer Vorbuchung alles sehr schnell, und nach kaum zehn Minuten an Bord konnten wir schon in die 4-Bett-Außenkabine mit Dusche und WC, die wir allein nutzen, einziehen. Der 163 $-Aufschlag, der dafür zusätzlich neben den 260 $ Beförderungskosten auf der Rechnung stand, war absolut in Ordnung. Die Reise durch Alaskas südliche Insel-Küstenwelt mit maximal 17 Knoten Geschwindigkeit kann also beginnen.

Diese Route vor der grandiosen Kulisse der mit Schnee und Eis bedeckten Küstengebirge verlockt natürlich auch zu Abstechern, die rechts und links am Wegesrand liegen, weil die Fähren unterwegs mehrere Häfen anlaufen. Man muss sie aber vorher einkalkuliere und die Reise unterbrechen, weil die Zeit vor Anker nur selten für die angebotenen Ausflüge ausreicht. Wer wenig Zeit hat, wählt besser nur ein Teilstück, als durch weglassen zu straffen. Auch ein paar Schlechtwettertage muss man in Südwest-Alaska immer einkalkulieren, denn wer sie dann aussitzen kann, profitiert. Wir haben uns für die Version „Überblick verschaffen und vielleicht gezielt wiederkommen“ entschieden, denn wer weiß schon vorher ganz genau, wie ihm das alles gefallen wird? Natürlich hatten wir in unserer Reisekalkulation auch genügend Zeit für das eine oder andere Zufällige oder Unbekannte eingebaut, dass uns aber dieser Teil der Welt, bei aller Begeisterung für Afrika oder auch andere Regionen auf unserem Globus, so faszinieren sollte, davon hatten wir momentan wirklich noch keinen Schimmer.

Obwohl die Zeit der „Last Frontier“ längst vorüber ist, sind die 586.000 Quadratmeilen Alaskas noch immer das große, von Menschen kaum veränderte Land, um Wildnisse zumindest von Schotterstraßen aus zu erleben. Und zusammen mit dem Nordwesten Kanadas zählt dieses Gebiet zweifellos zu den großartigsten Landschaften unserer Erde. Und hier, nördlich des 60. Breitengrades und eingerahmt von Hudson Bay, Eismeer und der Beringsee wurden nicht nur Pioniergeschichten geschrieben. Hier lebt auch der Geist von Einsamkeit, Wildnis und „der letzten Grenze“ fort. Und wo zieht jene unsichtbare Linie ihre Bahn um dieser großen Weite ein Gesicht zu geben? Sie schneidet westlich von Alaska die Nordspitze der Kamtschatka Halbinsel, eilt durch Sibirien, tangiert St. Petersburg, Oslo, berührt die Südspitze von Grönland, halbiert in etwa die Hudson Bay, zieht zwischen Whitehorse und Juneau weiter nach Seward und trifft nach der Bering-See wieder auf die Nordostseite Kamtschatkas. Und zumindest für uns Europäer ist es eine Welt, die wir zu Hause, bei aller Schönheit unserer Heimat, nicht kennen. Weglose, unendliche Wälder, donnernde Wasserfälle und mehr als dreitausend Flüsse, von denen der Yukon als drittlängster nordamerikanischer Fluss über mehr als 2.000 Meilen durch das Land zieht. Hier gibt es mehr aktive Gletscher und Eisfelder als in der restlichen bewohnten Welt, und der Malaspinta ist mit 850 Quadratmeilen ihr größter. Mehr als drei Millionen glitzernden Seen, große und kleine, bekannte und namenlose, und siebzig aktive Vulkane sind hier zu finden. Der größte Ausbruch, der des Novarupta von 1912, kreierte das „Valley of Ten Thousand Smokes“, das heute Teil des „Katmai National Monuments“ ist. Im nördlichsten Bundesstaat der USA gipfeln 17 der 20 höchsten Berge des Kontinents in den Himmel, darunter auch der höchste, der 6.194 Meter hohe Mount McKinley. Und wer diesen, zu den „Seven Summits“ zählenden Eisriesen und seine Nachbarn bei strahlendem Sonnenschein im Kleinflugzeug umrundet und auf einem seiner Gletscher landet, wird dieses grandiose Erlebnis niemals wieder vergessen.

An den Küsten ragen steile, tiefe Fjorde aus dem Meer, und im Inneren strecken sich karge Tundra-Ebenen bis zum Horizont. Und dort, wo die Schotterstraßen in dieser einzigartigen Natur enden, setzt der Tourist seine Reise fort mit Fähren, Booten, Pferden oder einem Buschpiloten. Und jeder erschließt sich dieses Land auf seine Art. Mit Auto oder Wohnmobil, nützt rustikale Camps, Blockhütten oder Luxus-Lodges; geht wandern, klettern, reiten, fischen oder befährt weiß schäumende Wildwasserflüsse, besucht historische Farmen, restaurierte Pelzhandelsplätze, Pionierstationen und Indianersiedlungen. Und wenn seine Vorliebe den Tieren gilt, auch dann ist er in Alaska am richtigen Platz, weil in diesem großen Land, dessen Hauptstadt Juneau als einzige der amerikanischen Bundesländer keinen Straßenzugang hat, auch so großartige Geschöpfe wie Bären, Elche, Karibus, Moschusochsen oder Wale unterwegs sind.

In den großen Nationalparks geht man nicht direkt ins Hinterland, sondern wendet sich an Ranger, Boots- oder Trail-Führer. Das erspart genauere Orts- und Verhaltenskenntnisse und schützt vor unbedachten Unternehmungen. Die Landkarten sollte man nicht mit europäischen Augen betrachten, denn die Entfernungen können gewaltig sein, und viele Ortschaften sind oft nicht mehr als Service-Stationen. Tankstelle, Motel, ein paar Gewerbe und eine Handvoll Häuser. Gemütlich und schön sind die meisten sowieso nicht, doch Ausnahmen wie Dawson City, Skageway oder Ketchigan mit ihrem speziellen Flair, oder größere Zentren wie Anchorage oder Fairbanks finden sich natürlich auch. Was sich jedoch aneinanderreiht, das sind beeindruckende Landschaften. Und einen großen Teil davon erschließt der Alaska Highway, der heute asphaltiert von Dawson Creek bis nach Fairbanks zieht, obwohl es ab Delta Junction eigentlich der Richardson Highway ist, der die letzte Lücke schließt.

Und dort, wo die Berge auf das Meer treffen und sich der schmale Festlandstreifen Südostalaskas am Westhang der Küstengebirge ausbreitet, kommt auch der Schiffs-Tourist erstmals mit „Southeast“ in Kontakt. Von üppigem Pazifischen Regenwald überwuchert drängt sich das wegen seiner Pfannenstilform „Panhandle“ genannte Gebiet rund 800 Kilometer nordwärts und ringt, zusammen mit seinen unzähligen vorgelagerten Inseln dem Meer etwa 50 Kilometer Breite ab. Und die wichtigste Verkehrsader dieser Region ist die Inside Passage. Für die kleineren Boote der Fischer ebenso, wie für die strahlend weißen Kreuzfahrtschiffe oder die großen Fähren. Unterwegs schicken die Eisfelder der Bergzüge zahlreiche Gletscher hinunter zur fjorddurchfurchten Küste, wo der dunkle, dichte „Tongass National Forest“, der größte Regenwald dieser Art auf unserem Globus, an den Wassern des Ozeans sein Ende findet. In den Fluten tummeln sich Wale, Seelöwen, Seeotter und riesige Heilbutts, und von felsigen Inseln schwingen sich Adler, Reiher und viele Arten von Seevögeln in die Lüfte. Kühle, feuchte Sommer und milde, schneereiche Winter sorgen für gewaltige Zedern, Hemlocks, Fichten, Farne und Moose und verleihen diesen Wäldern ein märchenhaftes Flair.