100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 1

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Unserem Bus ist er damit weit voraus, denn der rollt gerade in das als Harbour City bekannte Nanaimo ein und macht 40 Minuten Pause. Viel ist das nicht, für ein paar Schritte reicht es aber: Restaurierter Pelzhandelsposten, Sandstrände und warmes Wasser der Strait of Georgia, Tauchgründe, drei Fährterminals, moderner Tiefsee-Hafen, zwei Dutzend Parks und der fünf Kilometer lange Promenadenweg „Harbourside Walkway“. Seine Existenz verdankt die drittälteste Stadt von B.C. ebenfalls der Hudson’s Bay Company, die sich hier für Kohle, Pelze und Holz interessierte. Der Küstenstreifen des Ortes, zu dem auch die Königin der Golfinseln, Gabriola Island, zählt, war wohl auch zu Zeiten der Salish-Küstenindianer schon eine bekannte Gegend, denn sie nannten den Ort Nanaimo, „Versammlungsplatz“.

Der Bus fuhr mit uns und meinem netten Nachbarn John Richtung Port Hardy auch pünktlich weiter, doch möchte ich hier einen Sprung in die Zukunft machen, denn genau zehn Jahre später waren wir wieder hier, in Nanaimo, und hatten mit dem Wohnmobil nachgeholt, was beim ersten Anlauf nicht verwirklicht werden konnte: Die Westküste der Insel. Dieses Mal standen wir auch nicht am Anfang einer Reise, sondern waren bereits mitten drin. Nach zwei Auto-Wochen in Alaska waren wir nach Calgary geflogen, um von dort mit dem Wohnmobil unsere Rundreise anzutreten, die mit einem großen Bogen durch das Kananaskis Country begann. Danach standen der nördliche Cowboy Trail, das Rocky Mountain House und der David Thompson Highway auf dem Programm, der bei Saskatchewan Crossing an den Icefield Parkway anschließt und uns einmal mehr über Lake Louise, den Rogers Pass und Williams Lake zum Pazifik dirigierte. Mit unseren Reiterfreunden in Anahim Lake hatten wir Geburtstag gefeiert, danach die rund 300 Kilometer zwischen Bella Coola und Port Hardy mit der Fähre überbrückt, und nun lag auch die Westküste schon hinter uns. Vor uns noch die Überfahrt von Victoria zum amerikanischen Port Angeles und die Staaten Washington, Oregon, Idaho und Montana. Dem südlichen Cowboy-Trail wird es dann vorbehalten bleiben, um in Calgary unter unsere Reise 2010 den Schlusspunkt zu setzen.

Amerika ist ein Kapitel für sich, aber der Blick zurück bis nach Bella Coola, als auch zur Westküste sei schon hier eingefügt, denn Vancouver Island werden wir wohl kaum noch einmal betreten.

Nach zwei Tagen am Anahim Lake und meinem Geburtstag mit Joyce und David im „Eagles Nest“ – von ihnen wird später noch die Rede sein – rollten wir in Bella Coola morgens um 7 Uhr auf die vor acht Monaten gebuchte Queen of Chilliwack, die mit dieser Fahrt ihre Saison 2010 abschloss. 1978 in Norwegen gebaut lassen ihre 5.880 PS maximal 12,5 Knoten zu, denn die Kraft wird für die Ladung des 115 Meter langen Schiffes gebraucht, das etwa 115 Fahrzeuge und 400 Personen an Bord nimmt. Die „Queen“ wählt den langen Weg nach Port Hardy und sucht sich nach Ocean Falls seinen Weg durch die Fjorde nordwärts, um Klemtu im Finlayson Channel auf Swindle Island anzulaufen. Danach richtet sich der Bug wieder nach Süden aus, um über Shearwater und Bella Bella den Queen Charlotte Sound des Pazifiks anzusteuern. Bis an die Nordspitze von Vancouver Island ist die Fähre 48 Stunden unterwegs und muss dabei auch zweimal zwei Stunden warten, bis die Flut ein neues Auslaufen erlaubt. Die Annehmlichkeiten an Bord sind zwar nicht die gleichen wie sie auf der „Inside Passage“ Standard sind, doch reichen Schlafsessel, Duschen, Cafeteria und Snackbar für diese kurze Tour auch aus.

Das Wetter war uns leider nicht hold. Regen und Nebel gaben die schöne Umgebung nur schemenhaft preis, und in Ocean Falls, wo die erste Wartezeit fällig wurde und es fast immer regnet, so dass die wenigen Einwohner auch den Beinamen „Rain People“ tragen, kam es dann auch richtig runter. Diese nasse Tatsache ließ sich nur mit „Pech“ kommentieren, denn die seit 1996 von „BC Ferries“ im Sommerservice bediente „Discovery Passage“, die den gemäßigten Regenwald des Südwestens mit den Bergen und Grasgebieten des Zentralen Interiors verknüpft, ist eine interessante und schöne Tour. Hinter dieser Idee steckt aber nicht nur der touristische Gedanke, sondern auch das Konzept, den Tourismus zu nutzen um eine Fähre zu unterstützen, die für die Versorgung der abgeschiedenen Orte dringend gebraucht wurde. Der Tourist findet eine weitere Rundreisemöglichkeit zwischen Williams Lake und Vancouver Island, und das Schiff eröffnet ihm abgeschiedene, geschützte Meeresarme in denen sich Weißkopf-Seeadler, Wale und Delphine tummeln, oder Inseln, auf denen noch die seltenen weißen Kermode Bären anzutreffen sind. Die Fähre ankert auch vor kleinen Siedlungen inmitten verzweigter und von Bergen umstellter Fjorde und gelegentlich wird der Gast auch mit Folklore oder einem Lachs-Grillfest überrascht. Und wenn eine Schule Orkas in der Nähe ist, dann dreht der Kapitän das Schiff schon mal kurz in eine andere Richtung.

Unterwegs wird auch so mancher Kajakfahrer aufgenommen oder zu Wasser gelassen, und zu Sherwater – im Zweiten Weltkrieg eine 2.000-Mann-Militärbasis – erwartet heute ein modernes 22-Zimmerangebot die Petrijünger zu geführten Anglertouren. Auf der kleinen Insel liegt auch Bella Bella, das von etwa 1.500 Heiltsuk-Indianern bewohnt wird und eine Umsteigemöglichkeit auf die Fähren der Inside Passage bietet. Möglich ist das aber nur in den Sommermonaten, wenn die Fähre aus Prince Ruppert einmal wöchentlich in der McLaughlin Bay anlegt. Schließlich hat auch Ocean Falls neben dem Regen noch eine weitere Besonderheit: Das Schiff legt direkt vor dem „Court House“ an, dem einzigen großen Gebäude im Hafen. Seine Bekanntheit verdankt der Ort allerdings nicht der Tatsache, dass seine Papierfabrik, die 3.300 Menschen Arbeit gab, 1980 geschlossen wurde, sondern dem in der Nähe zu findendem Alexander Mackenzie-Felsen. Dieser erinnert daran, dass jener 1793 über Land die Pazifikküste erreichte und hier seinen Namenszug hinterließ.

Und wer in umgekehrter Richtung unterwegs ist und in dem kleinen, größtenteils von Indianern bewohnten Bella Coola wieder an Land geht, kann sich vor der Weiterfahrt auch noch ein paar entspannte Tage gönnen, denn die Küstenlandschaft bietet dazu viele Möglichkeiten. Mein Tipp dafür wäre die Tweedsmuir Park Lodge, ein rustikal-gemütliches, einladendes „Wilderness Resort“ mit Hauptgebäude und Chalets, das auch geführte Touren in die Natur anbietet. Wenn im Herbst die Lachse eintreffen, dann sind die Grizzlys im nahen Atnarko River noch eine besondere, kostenlose Zugabe. Wer es eiliger hat und Tal, Pass und Plateau schneller hinter sich bringen muss, um Williams Lake, den Mittelpunkt des Cariboo Landes, oder die dortigen Anschlüsse in alle Landesteile zu erreichen, dem bleiben auf den knapp 500 Kilometer der „20“ noch genügend Möglichkeiten, sein Tempo zu drosseln.

Der „Hill“, wie der Heckman-Pass (Schotterstraße) bei den Einheimischen hießt, bietet auch den Zugang zum Tweedsmuir Provincial Park, in dessen einsamer Wildnis der Naturmensch alles findet was sein Herz begehrt. Blühende Bergwiesen, weite Täler, Wasserfälle, glasklare Seen und Flüsse, Gletscher, die bunten Regenbogen-Berge und dichte Naturwälder. Es ist eine Wunschgegend ohne jeden Weg, um mit Rucksack, Kanu, Pferd oder Wasserflugzeug in ihr unterwegs zu sein. Auch anschließend locken im westlichen Teil des Chilctins noch mehrere Schotterstraßen und Lodges in eine fantastische Seen- und Bergwelt, während im Osten Ranches, Salbeibüsche, Grasland und halbwüstenartige Landschaften dominieren. Aber dazu kommen wir später.

Zurück zu unserer „Queen“, mit der wir am nächsten Morgen gegen 9 Uhr im Hafen von Port Hardy einlaufen, wo sich der Himmel noch immer verhangen präsentiert und auch die 797 Kanadischen Dollars (340 für uns, der Rest fürs Wohnmobil) endgültig „abgefahren“ sind. Und weil Port Hardy für uns kein Neuland ist, geht es unter dem grauen Himmel auch gleich weiter nach Telegraph Cove, wo in der Queen Charlotte Strait ganzjährig Schwertwale zu Hause sind und wir um 12 Uhr bei „Stubbs“ eine Tour reserviert haben. Als wir dort einbiegen kämpft sich auch die Sonne wieder durch die Wolken und taucht das pittoreske Örtchen in gespenstiges Licht. Eine Handvoll kleine Häuser, und die meisten von ihnen ruhen auf Stelzen und lehnen sich an der linken Seite des kleinen Hafens an den Hang und seinen hölzernen Boardwalk an. Der winzige Parkplatz befindet sich gleich am Ortseingang, denn anderswo gibt es „bei Wasser und Holzstegen“ keine Möglichkeit. Und die zweistündige Tour, für die pro Person 100 Dollar fällig wurden? Man hätte sie sich auch schenken können, vor allem bei diesem grauen Schauerwetter mit peitschendem Wind. Wer noch nie Wale gesehen hat, der wird hier immer fündig, denn diese Schwertwale, oder Orcas, leben hier in kleinen Familienverbänden oder treten in Schulen auf. Im Gegensatz zu den lustigen Buckelwalen springen sie selten, und von ihrem wunderschönen schwarzweißen Körper war bei der aufgewühlten See auch nicht mehr zu sehnen als das markante Dreieck der Spitzen Rückenflosse. Für Buckelwale war die Zeit nicht ganz passend, und die zwei oder drei „Pinks“, als auch einige Seelöwen und Weißkopfseeadler konnten dann auch nicht mehr viel retten. Vielleicht hatten wir auf dieser Fahrt auch ganz einfach kein Glück, denn ein paar Tage später war es in Tofino ähnlich, obwohl die Jahreszeit für die Westküste nicht die schlechteste war. Dennoch: Es gibt andere Orte, an denen man die Meeressäuger wirklich „erlebt“. Und dann heißt das Zauberwort dafür auch „Zodiak“, nicht Fischerkahn, um mit ihnen fast auf gleicher Höhe zu sein. Aber was soll‘s. Das Wetter muss man nehmen wie es ist, und die Wale sind eben auch nicht immer dort, wo man sie gerne hätte. Dafür entschädigen am Abend schönes Wetter und der empfehlenswerte Campingplatz „Fisherboy Park“ in Sayward. Die Anlage, die auch über Motel und Hütten verfügt, ist adrett wie die alten Bäume und der umliegende Wald schön. Eine nette Zugabe sind die durch Kettensägen entstandenen und den gepflegten Rasen dekorierenden Holzplastiken, die auf dieser Insel zu den größten privaten Sammlungen ihrer Art zählen. Wir werden ihnen und dem nahen Salmon River auf einem kleinen Spaziergang auch noch etwas Zeit widmen, doch jetzt haben Grill, Stakes und Gemüse Vorrang, und das heißt Holz hacken und Feuer machen!

 

Der nächste Morgen ist noch sehr jung, frisch und schön und auf dem Asphalt der „19“ rollt unser Fahrzeug Richtung Campbell River recht flott nach Süden. Das Tagesziel Tofino ist 400 Kilometer entfernt, und zu beiden Seiten der Straße derzeit nur Wald. Also hier Zeit „einfahren“, um sie unterwegs an schönen Orten wieder zusätzlich zur Hand zu haben.

Auf der Höhe von Campbell River, wo die „28“ zum Strathcona Provincial Park abzweigt und über Gold River weiter nach Thasis führt und damit die Verbindung zum Pazifik herstellt, bot sich uns erstmals der neue „Inland Island Highway“ an der, weil höher gelegen, alpine Blicke und auch solche auf die Strait of Georgia erlaubt. Etwa acht Kilometer weiter westlich verlaufend zieht er parallel zur alten Küstenstraße nach Nanaimo, wo er auf den Trans-Canada trifft. Von der alten „Ocean Road“, die weiterhin die Küstenorte verbindet, erhielt er die Nummer 19, während ihr selbst in diesem Bereich ein zusätzliches „A“ angefügt wurde. Bei Comox fahren wir auf diese alte Küstenstraße auch nochmals kurz zurück, um die dortige „Marsh and Wildlife Viewing Area“, die gleichzeitig auch den Comox Gletscher und das Mt. Washington Alpin Ski Resort in den Blick rückt, als Frühstücksplatz zu nutzen und uns ein wenig umzusehen. Die Marsch ist zwar schön, aber viel Lebendiges war zu dieser Zeit nicht zu entdecken.

Von den nächsten beiden Stopps – zu Beginn der nach Tofino führenden Nr.4 – ist der im Little Quallicum Falls Provincial Park ein sehr kurzer, denn die Schlucht mit ihren zwei unspektakulären, aber sehr schönen Wasserfällen ist zwar ein hübsches Fleckchen Erde, aber wir möchten im 157 Hektar großen McMillian Provincial Park eine längere Pause einlegen, wo „Cathedral Cove“ einen Einblick in die Westküsten-Regenwälder bietet und schöne Wanderwege zu gewaltigen Helmlock-Tannen und Douglasien führen und eine Vorstellung davon vermitteln, wie die Urwälder hier einst aussahen. Auf der linken Straßenseite locken 800 Jahre alte Zedern, die das Feuer vor 300 Jahren überlebten. Heute präsentieren sich diese Giganten mit 85 Meter Höhe und Umfängen bis zu 12 Meter. Es sind Riesen und Zeitzeugen, die Respekt einflößen und uns kleinen Menschenseelen in der Stille dieses wunderschönen Waldes sogar das Gefühl geben, von ihnen beschützt zu sein.

Fünfzehn Kilometer weiter zu Port Alberni im Alberni-Tal beginnt die Pacific Rim Region. Der Ort selbst ist eine Stadt der Sägewerke, ziemlich langgezogen und durch das Alberni Inlet, dem längsten Fjord auf Vancouver Island, mit dem Ozean verbunden. Der geschäftige Hafen ist jedoch nicht nur Ausgangspunkt zu einigen der besten Fischgründe dieser Welt, sondern lockt auch Touristen auf einen Frachter, der die kleinen Orte in der langen Bucht und dem Barkley Sound ansteuert. Nicht gerade komfortabel, aber bei gutem Wetter eine sehr interessante Tagestour. Früher lebte die fast 20.000 Einwohner fassende Stadt mit Tiefseehafen, Casino, Airport, Shopping Mall und Farmers Markt (samstags) nur von Holz und Bergwerken, doch inzwischen dirigiert auch der Tourismus den Rhythmus, den ganz besonders die „Fisher“ bestimmen, weil in diesen Gewässern auch alle fünf Arten der Pazifk-Lachse schwimmen.

Neunzig Kilometer weiter, wo unsere westwärts ziehende „4“ bei Long Beach nach Norden abknickt um in Tofino ihren letzten Meter zu vollenden, drehen wir nach Süden, um einen Abstecher nach Ucluelet am Barcley Sound zu machen. Das einstige Holz- und Fischerdörfchen am Ende der Straße feierte an diesem Sonntag zufällig sein Lachs-Festival, und bei einem solchen steht immer auch ein „Fish-Derby“ im Mittelpunkt. Daraus folgt zunächst, dass jeder mögliche Parkmeter entlang der Straße kreuz und quer mit Pick-ups zugestopft ist, und dass die Durchsagen von Siegernamen, Maßen und Gewichten im Gejohle, Klatschen und der kreischenden Lautsprechermusik völlig untergehen, obwohl man diejenigen, die sich dort um den Moderator drängen wahrscheinlich an zehn Händen locker abzählen könnte. Touristisch fühlt sich hier wohl nur der Angler wohl, zumal der Wild Pacific-Trail hier noch auf seine Vollendung wartet. Bekannt ist Ucluelet allerdings schon jetzt für die Wanderung der Grauwale, die im Frühjahr und Herbst mit bis zu 20.000 dieser Giganten die Küstengewässer durchpflügen, wenn sie auf ihrer jährlichen Reise zwischen den Gebärgründen in Mexiko und den Gewässern am Polarkreis ihren Standort wechseln. Für uns waren diese grauen Riesen 2010 ebenfalls ein wichtiger Grund um Tofino, und dort „Jamie’s“ anzusteuern, denn in Sachen „Wale Watching“ haben beide, die Gegend und die Firma, einen sehr guten Namen, während das Fish-Derby uns so wenig beeindruckt wie der Rummelplatz.

Gegen 19 Uhr rollen wir daher schon auf einen Campingplatz, dessen naturbelassener langer Strand mit viel Treibholz hier die Regel ist. Ein Schönheitsfleck: Wegen der Nähe zu Tofino sind die Standplätze so knapp bemessen, dass man besser schon vorher zu einem anderen abbiegt. Insgesamt war die heutige Fahrt aber sehr schön, das Verkehrsaufkommen ab Port Alberni, wo die Straße zu kurven beginnt, für kanadische Verhältnisse jedoch ungewohnt. Der Grund: Die Küstenstadt ist für die Insulaner ein anziehender Ferienort, und die „4“ die einzige Straße, die zu ihm führt. Aber wer hier unterwegs ist – richtig eng, kurvig und bergig wird es erst auf den letzten dreißig Kilometern – der hat auch Zeit dafür.

An Tofinos Küste brechen sich nicht nur die Wellen aus Japan, der Ort ist auch bekannt für Walbeobachtungen und gilt als der beste Ausgangspunkt für Touren in den Pacifik Rim Park. Bären gibt es hier auch, aber nur die Schwarzen, und die sind wegen der Krabben auch am Strand zu finden. Uns interessieren sie hier nur am Rande, während die Wale unser Hauptargument waren, um überhaupt nach hier zu kommen. „Jamies Whaling Station“ war dagegen nur eine logische Entscheidung, denn sie gilt an dieser Küste als der Pionier und ist seit Jahrzehnten auch ab Ucluelet im Geschäft. Zodiaks oder das Zwanzigmeterboot „Leviathan II“? Wir zogen die große Version vor, denn wie negativ sich feuchtes Wetter und morgendliche Nebel auf die empfindlichen Videokameras auswirken können, das hatten wir auch schon erfahren. Letztlich spielte aber diese Überlegung auch keine Rolle, denn die Tour war, wie es der Volksmund formuliert, „vollkommen für die Katz“. Anfangs zäher Nebel, danach weder Graunoch Buckelwale dort, wo das Schiff nach ihnen suchte, und am Ende eine Herde Robben, die mit erstaunlichem Tempo die Felsen ansteuerte, auf denen weitere Exemplare ihrer Art fett und faul den Tag zu betrachten schienen. Ob zutraf, dass sich die gigantischen Meeressäuger in diesem Jahr nicht so ganz genau an ihre Hauptwanderzeit hielten, oder ob das Schiff ganz einfach nur zur falschen Zeit am falsche Ort war, spielte dann auch keine Rolle mehr. Fazit: 228 $ für drei Stunden frische Seeluft, allerdings für zwei Personen.

Tofino selbst liegt am oberen Ende des Pacifc Rim National Parks, den 1.000 Jahre alte Regenwälder, menschenleere Naturstrände und raue See prägen. Südlich des Barkley Sounds beginnt (oder endet) bei Bamfield der 77 Kilometer lange West Coast Trail, der durch diese Regenwald-Wildnis führt und bis zu seinem südlichen Ende zu Port Renfrew den Wanderer auf eine harte Probe stellt. Dass die Sonne oft Stunden braucht, um die Nebelschwaden zu vertreiben, nehmen die Menschen eher gelassen. Hier lebt jeder wie er will, doch respektiert er dabei seine Nachbarn und akzeptiert auch neuere Abenteurer wie die internationale Szene der Surfer, die am legendären Long Beach Strand auf die richtige Welle wartet. Das muss wohl auch so sein, denn Tofinos Einwohner sind ja auch der Meinung, dass sie in der Welthauptstadt der guten Laune leben. Nachdenklicher stimmt mich allerdings, was mir der Indianer Joh Martin sagt, der kunstvolle Gegenstände schnitzt und auch den alten Bootsbau noch beherrscht: „Wenn du ein Kanu bauen kannst, dann bist du frei, denn dann kannst du auch den großen Reichtum nutzen, den die Natur dir bietet.“

Nach „Fisch und Chips“, einer ordentlichen Portion Heilbut für je 12 $, verlassen wir gegen Nachmittag das Touristenörtchen und machen uns auf den „Heimweg“, denn in zwei Tagen soll uns die vorgebuchte Fähre von Victoria hinüber nach Port Angeles im amerikanischen Bundesstaat Washington bringen. Eile bestand zwar nicht, aber wie gut es ist, zeitliche Reserven zu haben, das sollte sich schon am gleichen Abend auf dem sehr schönen Campingplatz im Little Quallicum Falls Provincial Park zeigen. Dort hatte ich gegen 18 Uhr unsere Selbstregistrierung erledigt, den Obulus in die eiserne Box eingeworfen und war zum Fahrzeug zurückgegangen wo wir beschlossen, vor dem Grillen noch einen Rundgang zu unternehmen. Der Rest ist schnell erzählt. Die Tür fiel ins Schloss, das Auto war zu, der Schlüssel drinnen und wir draußen. Was ich nie tue, war passiert: Beim Notieren der Kilometer hatte ich den Schlüssel vor mir auf den Sitz gelegt und beim Aussteigen die Türsicherung nach unten gedrückt. Glück im Pech: Die Parkrancherin Carmen fuhr an diesem Abend eine Kontrollrunde und rief über Funktelefon aus einem der Küstenorte einen „Lock-Smith“, der eine Stunde später eintraf, innerhalb von Sekunden die Tür öffnete und mit siebzig Dollar einen mehr als fairen Preis verlangte. Das Unglaubliche aber kam zu Schluss: Carmen kam nochmals wieder und brachte mir meine 20 $ Übernachtungsgebühr mit der Bemerkung zurück: „Dieser Tag ist für Dich schon teuer genug.“ Glück hatten wir auch am nächsten Tag in Victoria: Das Grand Royal Pacific Hotel löste unser Übernachtungsproblem für 18 $ mit einem Standplatz beim Partnerhotel „Royal Scotts“, und am nächsten Morgen bekam Sabine als Geburtstagskind auf der Black Ball Fähre MV Coho, die bis zu 1.000 Passagiere und 115 Autos nach Port Angeles mitnehmen kann, ein Freiticket. Bei der hilfsbereiten Rancherin haben wir uns zum folgenden Weihnachtsfest entsprechend bedankt, und wie jene Reise weiterging, erzählt ein späteres Kapitel, denn hier machen wir wieder den Sprung zurück in das Jahr 2000, als sich mein Busnachbar John zu Campbell River verabschiedet und mir seine Visitenkarte mit den Worten reicht „wenn Du wiederkommst und Zeit hast …“ Dann tippt er sich mit dem rechten Zeigefinger an die Hutkrempe, wirft seine Tasche über die linke Schulter und schlürft zu seinem geparkten roten Pick-up. Er wohnt in Gold River und hat auf der „28“ noch 90 Kilometer vor sich. Diese Fahrt führt ihn auch durch den nördlichen Teil des Strathcona Provinzparks, in dessen Grenzen sechs der sieben höchsten Inselberge, alpine Seen, Wildblumenwiesen, Wasserfälle und schöne Wanderwege zu finden sind.

Wir wechseln in Campbell River, wo Autofähren die nahem Ziele Quadra, und das für seine sanften Seen und rauen Schluchten bekannte Cordes Island offerieren, nur den Bus. Bei Sayward beginnt die eigentliche Nordinsel, und als das Ortsschild Woss vorbeihuscht sind wir im Nimpkish Valley von einsamen Waldregionen mit uralten Zedern und Fichten umgeben und von der Küste sehr weit entfernt. In diesem Berggebiet brummt der Bus auf und ab bevor es für ihn an der Ostseite des Nimpkish Lakes wieder leichter wird und kurz später ein Abzweig Telegraph Cove ankündigt. Auf dem Fahrplan steht diese Schotterpiste zwar nicht, aber hier tut man schon mal jemandem einen Gefallen der schwer zu tragen hat oder schlecht zu Fuß ist. Der Stopp war kurz, und auf das Örtchen selbst sollten wir noch zehn lange Jahre warten müssen. Und wie das ausging, war bereits zu lesen. Erwähnt sei noch, dass der Name von der Telegraphenstation kam, die vor dem 1. Weltkrieg hier etabliert worden war, und deren Kabel sich entlang der rauen Küstenlinie von Baum zu Baum schwangen. Danach kam Alfred Wastell. Zusammen mit japanischen Investoren errichtete er eine „Chum-Salmon Saltery“ und ein Sägewerk, um die haltbar gemachten Lachse auch verschicken zu können. Dann baute er Post, Schule und weitere Gebäude, von denen einige, restauriert, in unsere Tage überlebten, während Killerwhale Cafe und Old Saltery Pub neuere Errungenschaften sind und dem Tourismus dienen. Für diesen sorgen Wale, Grizzlys und die Firmen Stubs Island Whale Watching und Howard-Tide Rip Tours. Während etwa 16 Schulen mit über 2.000 Orcas, die nach dem Mythos der Indianer die Seelen der Ahnen durch die Unterwelt tragen und somit größte Hochachtung genießen, ab Ende Juni Stubs beschäftigen, hat sich das andere Unternehmen mit Zwanzigmeter-Booten auf die Bären im Knight Inlet auf der Festlandseite spezialisiert. Und sofern man nicht mit dem Wasserflugzeug ab Vancouver oder Campbell River einen Direktflug zur Knight Inlet Lodge bevorzugt, die 60 Kilometer von der Bucht entfernt zu „Glendale Cove“ im Inneren liegt, und eine Bootstour wählt, sind durchaus auch Wale und Seeadler inbegriffen. Die Lodge selbst, die am 25.9.2012 abbrannte und im Frühjahr 2013 neu eröffnet wurde, bietet ihrerseits auch Wal-, Regenwald- und See-Kajaktouren an. Und was die Bären angeht: Im Umkreis von rund fünf Meilen leben etwa fünfzig Bären, denen mehr als drei Kilometer Laichgewässer zur Verfügung stehen. Im Mai und Juni ist die Zeit der „Cubs“, die ihr erstes Frühjahr an der Seite ihrer Mütter erleben, die Hochsaison ist der Herbst, denn dann kommen die Lachse. Zwischendurch ziehen sich die Grizzlys verstärkt in den Wald zurück. Der Zug der Fische ist vom Vollmond abhängig, doch zieht der „Pink“ in der Regel am 5. oder 15., seltener am 28. August in die Bucht ein. Anfang Oktober sind die meisten Touristen längst wieder zu Hause, aber die „Bärenzeit“ hält noch immer an. Im letzten Drittel des Monats, wenn das Wetter wieder schlechter wird, sollte man aber wieder auf dem Heimweg sein. Auf eigenen Rädern lässt sich das Night Inlet nicht erreichen, und der Klinaklini River, der sich kurz vor seiner Einmündung ins Inlet von den Kunaklini und Franklin Gletschern in drei bis viertausend Meter Höhe flankiert sieht, wäre nur für routinierte „Kajaker“ eine Möglichkeit. Die mit Abstand beste Adresse für Bären heißt aber Homer, und das liegt etwa fünf Autostunden südlich von Anchorage in Alaska.

 

Unser Bus hat zwischenzeitlich auch in Port McNeill noch ein paar Passagiere aufgenommen, dessen Grundstein 1937 die Pioneer Timberland Company legte, den Namen jedoch Käpt’n William McNeill spendierte, der 1825 an diese Küste gekommen war und zehn Jahre später das Hudson’s Bay Company-Schiff „Beaver“ kommandierte. Wenig später sind wir am Ziel, die „Nummer 19“ ist zu Ende und Port Hardy erreicht. Unser aus Holz gebautes Hotel „North Shore Inn“ liegt in Meeresnähe, hat Gasthofcharakter und ist innen um einige Klassen besser als von außen. Die Formalitäten beschränken sich auf ein „Welcome“ und kurz später stiefeln wir los, um den 5.000-Einwohner-Ort zu erkunden. Die Beschreibung im Reiseführer ist zwar nicht aufregend, aber abmarschieren muss man ihn schon.

Das Wichtigste ist hier ohnehin das B.C.-Ferries-Terminal, das nicht nur für die neuere Discovery Passage verantwortlich ist, sondern ganz besonders für die großen und komfortablen Autofähren der Inside Passage. Das ist ein weltberühmter Seeweg durch das Labyrinth von Fjorden und Inseln entlang der vergletscherten Pazifikküste von British Columbia bis hinauf nach Prince Ruppert, wo die Provinzgrenze endet, Anschluss zu den Queen Charlotte Islands besteht und die Seeroute vom Alaska Marine Highway System übernommen wird, um sie bis nach Skagway fortzuführen. Benannt ist der Fischerort nach dem Vice-Admiral Sir Thomas Masterman Hardy, der einst als Kapitän der H.M.S. Victory den sterbenden Lord Nelson beim Kampf um Trafalgar in seinen Armen hielt. Dennoch begrüßt hier keine Seemannsstatue die Besucher, sondern eine Holzplastik mit Bär und Fisch. Historisch gewachsen sind hier „Fishing, Logging und Mining“, und die Neuzeit hat moderne Hotels, Geschäfte, Krankenhaus, Flug- und Golfplatz, als auch die Fähren hinzugefügt.

Menschen betraten diese Gegend schon vor 9.000 Jahren, während man bereits das Jahr 1849 schrieb, als die ersten Weißen ihren Fuß in diese natürliche Isolierung setzten und später hier siedelten. Zu diesen Unerschrockenen zählten auch Alec und Sarah Lyon. Sie eröffneten zwar schon 1904 an der Ostseite der Hardy Bay einen Laden mit Poststelle, doch zählte man zehn Jahre später, neben Sägewerk, Kirche, Schule und Hotel, erst ganze 12 Familien, die sich zu ihnen gesellt hatten. Und es sollte zwei weitere dauern, bis ein 15 Kilometer langer Pfad durch die Wildnis geschlagen, und die Verbindung nach Coal Harbour hergestellt war.

An diese harten und vergangenen Zeiten erinnert inzwischen nur noch wenig, aber auf unserem Rundgang steht es dennoch: „Fort Ruppert“ und das, was vom Kwakiutl-Dorf Tsaxis übrig blieb. Der 1849 am Beaver Harbour auf dem Territorium dieser Indianer errichtete Pelzhandelsposten der Hudsons Bay Company ist nur noch durch den Schornstein präsent, während vom Dorf, das sich einst zu beiden Seiten des Forts ausbreitete, das Big House, der alte Friedhof und die Kirche die Hauptakteure sind. Historisch gesehen geht das „Village“ auf die Kwakiutl-Indianer zurück, doch verwendeten die Weißen diesen Begriff damals für alle Stämme, die Kwakwaka sprachen und die sich in ihrer Gesamtheit als Kwakwaka’wakw bezeichnen. Heute gilt Kwakiutl nur noch für die Indianer, die im Dorf von Fort Ruppert lebten, während alle anderen dieser Sprachgemeinschaft eigene Namen und Dörfer haben. Im Big House begeistern sehr schöne Schnitzereien, und „Girl and Fire“ und die Raven-Maske, die zusätzlich mit der geschnitzten Hand des Künstlers verziert ist, haben mir am besten gefallen. In der alten Kirche sind es die mit Engel verzierten Fenster, und am Grabe einer Jägerfamilie die großen Burial Totems, die nachdenklich stimmen. Vieles ist auf dem Friedhof aber längst von Bäumen verdeckt, so auch ein altes Eagle Burrial Totem, das ich zwischen ihnen entdeckte.

Mit diesem Besuch in der Vergangenheit neigt sich auch unser Stadtbummel seinem Ende entgegen. Ein paar Minuten widmen wir noch einem Seeadler-Paar, das sich auf einer gewaltigen Fichte eingerichtet hat, und schauen noch kurz einem Schnitzer zu, wie unter dessen Händen ein eleganter Orca Fortschritte macht. Danach geht es am Meer entlang „heimwärts“ und direkt in unser Hotel-Restaurant, das sich völlig unerwartet als Volltreffer entpuppte. Im Mittelpunkt der 50 Dollar-Angelegenheit standen zwei Riesenportionen gegrillter köstlicher Hummergrabbenschwänze, die Sabine dazu veranlassten, den Küchenchef nach „seinem Geheimnis“ zu fragen. Der Mann, adrett gekleidet, schmunzelt über die Anerkennung und meint: „Es gibt keins, die Qualität besteht in der absoluten Frische und dem Fangort“. Wir füllen die Gläser noch einmal nach, laden den „Boss“ dazu ein und stoßen auf ihn und darauf an, dass morgen ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gehen wird, die „Inside Passage“.

Zehn Jahre später waren wir wieder in Port Hardy, und von der Regenfahrt, die in Bella Coola begann, habe ich schon erzählt. Vom anderen Ende, das wir erstmals 2002 und danach noch zwei weitere Male erlebten, von David, Joyce und Patrick, Richard, Escort, Georgia, Mary, Peggy, Luke, Joe und Willy, von „meinem“ Pass, dem Sulfor Canyon und all den vielen anderen Dingen, die uns noch begegnen sollten, wird später noch die Rede sein, wie auch von der verrücktesten Idee, die an einem Morgen beim Frühstück geboren und sofort umgesetzt wurde. Doch jetzt schreiben wir erst das Jahr 2000 …

Die Pazifikküste von British Columbia wird von stark vergletscherten Küstengebirgen beherrscht, die vor 30 Millionen Jahren durch Kontinentalverschiebungen aufgetürmt wurden. Mit dieser, überwiegend aus Granit bestehenden Bergkette, wurden auch all die Fjorde, Inseln und Buchten erschaffen, deren gesamte Küstenlänge – müsste man sie zwischen Vancouver und Prince Ruppert ausfahren – sich auf etwa 20.000 Kilometer und damit auf das 25-fache der Luftlinie summieren würde. In dieses Gewirr mit Bergen und dichten Urwälder führt auch keine Straße, aber eine weltberühmte Schiffsroute. Und genau diese ist es, auf die ich mich unglaublich freue, als ich nach einem schönen, aber anstrengendem Tag in Port Hardy mein Reiseroutenbuch aus der Hand lege und mir die Bettdecke im North Shore Inn über den Kopf ziehe.