100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2

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100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2
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Erhard Heckmann

100.000 km

zwischen

Anchorage, Neufundland,

dem Pazifik und New Mexico

Teil 2

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2014

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über http://www.dnb.de abrufbar.

Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Copyright der Fotografien bei Erhard Heckmann

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Gewidmet meiner Frau Sabine und Tochter Dörthe


Spiegelbilder in Vancouver

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Vorwort

Richtung Bella Coola, einem phantastischen Abenteuer entgegen

Wunderschönes British Columbia

Von Whistler ins Pionierland und nach Williams Lake

Wagon Road und BX

Ins Chilcotin

Abenteuer pur – im Sattel durch unberührtes Land

Alexander Mackenzie und Bella Coola

Farewell Canyon, Wells Gray und weiter nach Norden

Zum Rodeo nach Dawson Creek

Abstecher nach Liard River Hot Springs

Willmore Wilderness und Maligne Lake

Die Rocky Mountains und ihre Tiere

David Thompson, der Pelzhandel und die Nordwestpassage kreuzen unsere Spur

Panoramastraße Icefields Parkway

Zum Rocky Mountain House auf geschichtsträchtigem Boden

Lake Louise, Glacier National Park, Okanagan Tal und Hells Gate

Dempster Highway, auf Schotter durch einsames, weites Land

Auf dem Dach der Welt nach Eagle in Busch-Alaska

Rikas Roadhouse und Fairbanks

Denali Highway, Matanuska Gletscher und die Mine zu McCarthy

Haines, Glacier Bay, und am Ende der Straße Atlin

Vorwort

Kanada ist ein großartiges Land. Es hat mich begeistert und mein Herz gewonnen mit seiner grandiosen Natur, seiner Weite, Einsamkeit und seinen Tieren. Mit Alaska war es ähnlich.

Im einstigen „Wilden Westen“ kreuzten meine Frau und ich die Spuren der Indianer, die im Strom der Völker und Kulturen mitschwimmen, der Goldgräber, Pelzhändler und Siedlungspioniere, ritten tagelang am Rande des Machbaren durch unendliche, schöne Wildnis und lernten die Buschflieger schätzen. Wir erlebten die berühmte Inside Passage, sahen Gletscher kalben, umrundeten Eisberge im hohen Norden, waren gefesselt vom Spiel der Wale, den Grizzlybären und von der Einsamkeit, mit der sich der Dempster Highway durch die Tundra bis hinauf zum mächtigen Mackenzie windet, der in der Nähe von Inuvik seine Wasser über ein weites Delta in die Beaufort See entlässt.

Nordamerika ist auch ein Kontinent der Nationalparks, Wohnmobile und Allradtrucks, der Bären, Elche, Bergschafe, wunderschöner Seevögel, eisiger Gletscher, schneebedeckter Gipfel, bunter Alpenwiesen, tiefer Küstenregenwälder, türkisfarbener Bergseen und klarer Flüsse, in denen Millionen Lachse alljährlich zu ihren Geburtsgewässern ziehen. Im Osten stehen facettenreiche, karge Landschaften wie Neufundland oder Labrador im krassen Gegensatz zu den Metropolen der Großstädte, den farbenfrohen Wäldern im Indian Summer, den tosenden Niagarafällen oder den wogenden Getreidefeldern der endlosen Prärien, auf denen einst Millionen von Büffel weideten.

Es waren Erfahrungen, die neben erlebter Schönheit, Begeisterung und Freude aber auch verändern und zusätzlich lehren, dass wir unsere Kinder verstärkt in die Natur hinausführen müssen. Woher sonst sollen sie später wissen, wenn sie selbst Entscheidungen zu treffen haben, wie mit diesem wertvollen Kleinod Natur umzugehen ist? Denn nur wenn der Mensch es zulässt, wird nicht nur die grandiose Natur Nordamerikas eine dauerhafte Zukunft haben.

Alles in einem Buch niederzuschreiben würde das technisch Machbare weit überschreiten, doch der Anfang dazu wurde mit Teil 1 gemacht, und dieses Buch setzt die Erzählung über die Reisen durch Nordamerika unter gleichem Titel fort. Der Schlusspunkt bleibt dem dritten Teil vorbehalten, der ebenfalls kurzfristig erscheinen wird.

Im Teil 1 stand unsere erste große Reise durch Kanada im Mittelpunkt, doch war auch von Alaska, Pionieren, Grizzlys, Buschfliegern, vom Pelzhandel, Goldrausch und dem „Yellowstone“ die Rede, so dass auch einige Wege über den 49. Breitengrad führten.

Montana, Idaho, Oregon, Washington oder, gemeinsam mit den maritimen Provinzen des kanadischen Ostens, waren auch die Neuenglandstaaten Zugaben am Rande unserer Wege, die uns Kanada und Alaska erschlossen, und auf die wir neugierig geworden waren, nachdem uns Amerikas mittlerer und südlicher Westen mit seinen grandiosen Naturdenkmälern bis hin nach New Mexico auf einer der ersten selbst konzipierten Überseereisen in seinen Bann gezogen hatte.

Vor der Begeisterung für Wohnmobil und Übersee erfüllten Zelt, Auto und Europa diese Rolle, ehe uns Mietwagen auf eigenen Wegen Südafrika, Zimbabwe, Botswana und Namibia erkunden, oder Blicke in den Mittleren und Fernen Osten werfen ließen. Letztendlich aber war es die Wohnmobilbegeisterung, die uns zu Reisefans werden und immer wieder aufbrechen ließ, bis hin nach Australien oder Neuseeland.

Richtung Bella Coola, einem phantastischen Abenteuer entgegen

Als wir uns im Juli 2002 zum zweiten Male Richtung Kanada in den Flieger setzen hieß die Devise, weniger Kilometer und Individuelles zum Gesamterlebnis zu verbinden. Viel weniger als vorher waren es zwar auch nicht, doch übertraf der Trailritt in die Wildnis alle Vorstellungen und wurde, trotz vieler anderer Erlebnisse, zum eigentlichen Highlight. Statt der „Air Canada“ brachte uns die Lufthansa auf dieser Reise nach Vancouver, und dort der grüne „Porter-Bus“, der alle Hotels anfährt, die keinen eigenen Service bieten, vom Level II des Airports für je zwölf Dollar zum Empire Landmark Hotel, das mit seinen etwa dreißig Stockwerken im unteren Teil der Robson Street für Touristen recht zentral liegt. Während die Zimmer in diesem Hotel einen recht ordentlichen Eindruck hinterlassen, war es in der Lufthansamaschine „doppelt“ eng, grundsätzlich und wegen des Nachbarn. Dieser äußerst gut Genährte war ein nach Kanada ausgewanderter Italiener, der seine alte Heimat besucht hatte und nun auf dem Rückweg war. Sein Englisch war fließend, aber schreiben und lesen konnte er die Sprache kaum, und meine Hilfe beim Ausfüllen der Einreiseformalitäten sehr willkommen. Der ruhige Neuneinhalbstunden-Flug bot wunderbare Sicht auf grönländisches Eis, zog seine Bahn weit oberhalb der Hudson Bay über die Northern Territories, und auf der Höhe von Calgary überflogen wir bei blauem Himmel die schneebedeckten Gipfel der Rocky Mountains.

Am nächsten Morgen ist Sonntag, Sonne pur und viel Zeit zum Bummeln. Wir kennen die Stadt und ihre Umgebung zwar schon ziemlich ausführlich, doch „die Perle am Pazifik“ hat immer etwas zu bieten. Also los: Die Robson Street gilt als Einkaufsmeile, Gastown ist gemütlich und betriebsam zugleich, an der Waterfront legen beim Convention Center die Luxusliner an und, etwas östlich davon, läßt sich vom Sea-Bus-Terminal für sehr wenig Geld nach North Vancouver übersetzen, während China Town kein unbedingtes Muss ist. Vancouver begeistert aber schon durch seine grandiose Lage am Wasser und sein mildes Klima. Burrard Inlet, False Creek und Strait of Georgia umschlingen diese Schöne, während glitzernde Fjorde und Berge den Rahmen setzten. Mit Szenenkneipen, restaurierten Straßenzügen, schicken Läden, einer quirligen Innenstadt, Yachthafen, Badebuchten und netten Vorstädten hat diese westkanadische Metropole nicht nur ein ganz besonderes Flair, sondern sie wirkt auch gemütlich und keinesfalls hektisch. Eine halbe Million Menschen wohnt hier auf der geographischen Breite von Paris, eine reichliche mehr in den Vororten des Mündungsdeltas des Fraser Rivers. North- und Westvancouver, an den Hängen der auf über 1.200 Meter ansteigenden Coast-Mountains gelegen, gelten als begehrte Wohngebiete, doch entstand in den letzten Jahren auch am Südende der Waterfront, am zweiten Boots- und Yachthafen, viel Elegantes und Teures. Nur der schöne Weg, der sich entlang des Wassers bis zum Stanley-Park zieht, und den sich Fußgänger, Fahrradfahrer und Skater teilen, hat mit den exklusiven Preisen für die Luxuswohnungen in den parkähnlichen Anlagen nichts zu tun.

 

Der Stanley-Park, sein Aquarium mit den weißen Belugawalen, Granville Island und der Public Market, die Gondelbahnfahrt zu den Gouse Mountains und all die anderen Ausflugsziele standen schon auf dem Programm der letzten Reise, so dass wir uns heute hier einen Espresso, dort einen Eisbecher und anderswo eine schön gelegene Bank gönnen und dem lustigen Treiben zuschauen können, ohne von der Uhr getrieben zu werden. Anschließend ist auch der „Paddle Wheeler“, der am Südende der Waterfront ablegt, bei diesem Strahlemann-Wetter eine herrliche Sache, denn er schippert für rund zwei Stunden entlang der Hafenanlagen und läßt erkennen, dass Vancouver hauptsächlich vom Handel lebt. Jene strecken sich aber nicht nur etwa 150 km entlang des Burrard Inlet und des Fraser Rivers, sondern sie sind auch die größten an der nordamerikanischen Pazifikküste. Ganz anders dagegen die English Bay, an der wir vor zwei Jahren das alljährliche Nationen-Feuerwerk erlebten, bei dem Deutschland auf Platz drei kam, denn hier laden Strand, Liegewiesen und unzählige kleine, nette Restaurants zum Verweilen ein. Heute, in den späten Stunden des Nachmittags, scheint hier „ganz Vancouver“ auf den Beinen zu sein, zu Fuß, mit Rennrad, Mountainbike oder per Skater, und mitten drinnen auch Touristen aus vielen Nationen. Für die meisten von ihnen ist Vancouver Start- oder Endstation, denn mit Auto, Wohnmobil, Bus oder Schiff, organisiert oder auf eigene Faust, ist man in diesem Land hervorragend mobil. Und selbst die Eisenbahn hat sich darauf eingerichtet, mit luxuriösen Panoramazügen wie dem Rocky Moutaineer, Northwind, Cariboo Prospector oder der Pacific Starlight Dinner Train, ein oder mehrtägig, mit oder ohne Hotelaufenthalt. Die regionale Küche mit Weinen aus dem heißen Okanagan Valley, Pacific Lachs oder Albertas Beef ist in ihnen ebenso präsent, wie auf der „Golden Circle Tour“, auf deren Panoramafahrt die Passagiere auch Jasper, Lake Louise und Banff erleben.

Wir bleiben allerdings beim Wohnmobil, und deswegen sind wir am nächsten Morgen mit dem Vermieter CANDAN zum Vorort Langley unterwegs um unseren Camper zu übernehmen. Er ist perfekt aufgeteilt und eingerichtet, knappe sieben Meter lang, reichlich zwei breit und die Stehhöhe vertritt ein ähnliches Maß. Von der Komplettausstattung ist nur der eingebaute Fernseher überflüssig, alles andere dient einer angenehmen Reise. Links neben dem rechtsseitigem Einstieg auf der rechten Seite Spülbecken, Heißwasserspeicher, Gasherd, Mikrowelle, Kaffeeautomat, Kühlschrank mit Gefrierfach; hinter der Spiegeltür an der Rückseite der Waschraum, rechts daneben WC und Dusche, und vor dem sich auf der linken Fahrzeugseite anschließendem großen Seitenfenster die Sitzecke, der sich nach vorn Fahrer- und Beifahrersitz anschließen. Über beiden hat das auf die Hälfte zusammengeschobene und unter die Decke hochgezogene Alkovenbett seinen Platz, das nach zwei Handgriffen in seinen Nachtzustand nach unten hinten einklickt und zwei Personen reichlich Platz bietet. Wandschränke und Schubkästen schließen fest und sicher, und ein von außen zugänglicher großer Stauraum, in dem auch die Axt fürs Feuerholz als auch die Rad-Hölzer zum Bodenausgleich auf den Stellplätzen zu finden sind, sorgt im hinteren Fahrzeug für zusätzliche Transportkapazität. Tanks und Versorgungsanschlüsse sind leicht zu erreichen und einfach zu bedienen, und die sich an der rechten Außenwand verbergenden Jalousie und Außendusche sind so willkommen wie der starke Zehn-Zylinder Motor und die Wendigkeit des fast neuen Weggefährten. Nach der Übergabekontrolle der angegebenen Stände für Frisch- und Abwasser (grey und black), Flüssiggas, Versorgungsbatterien, Benzin, Kilometer und Öl werden noch die entdeckten kleinen Kratzer im Vertrag notiert, und dann geht’s ab zum Supermarkt der Kette „SAVEAWAY“, denn dafür haben wir vom Wohnmobilvermieter eine kostenlose 10-Prozent-Diskontkarte, die auch auf der ganzen Reise gute Dienste leistet. Und dieser Großeinkauf am Beginn einer Reise gehört auch stets zu den besonderen Highlights, denn in nordamerikanischen Supermärkten nach Herzenslust zwei Einkaufswagen so richtig voll zu packen, macht riesigen Spaß, der auch heute an der immensen Fleischtheke durch die Tagesattraktion noch eine Aufwertung erfährt. Die Botschaft „nimm vier, zahl zwei“ wandeln wir sofort ab, denn unser Tiefkühlfach ist groß genug, um die Version „wir nehmen zwölf Steaks, und zahlen sechs“ auf den Prüfstand zu stellen.

Nach knapp drei Stunden ist alles beisammen, gut verstaut und wir, gemeinsam mit den zwölf Steaks für den Preis von sechs, auf der 1A West unterwegs, die wir nördlich von Vancouver bei Horseshoe Bay wieder verlassen und auf den ruhigen Highway 99 abbiegen. Dieser folgt dem Howe Sound, erlaubt herrliche Blicke auf den tief unten liegenden Fjord und klettert als „Sea-to-the-Sky Hwy.“ hinauf in die waldreichen Coast Mountains. Von ihm zweigen zwar auch mehrere Seitenstraßen in den knapp 2.000 Quadratkilometer großen „Garibaldi Provinz Park“ ab, doch unser Ziel an dieser Straße heißt Whistler. Der gemütliche und beliebte Luftkurort ist, trotz Gondelbahn und vieler Wanderwege, in erster Linie jedoch ein Eldorado der Mountainbiker und Skifahrer. Dass Letztere mehr als dreißig Lifte zu den Pisten am Whistler und Blackcomb nutzen können, ist Olympiasiegerin Nancy Green zu danken, die das Gebiet, das mit 1.600 Meter Höhenunterschied gekennzeichnet ist, entdeckt und entwickelt hat. Das Städtchen werden wir aber erst morgen erreichen. Heute ziehen wir, in der Nähe des vom Holz lebenden Squamish, den Zündschlüssel schon nach 100 Kilometer aus dem Schloss, denn erst dann, wenn das Feuer wieder knistert, ist man in Kanada auch wirklich angekommen.

Auch am nächsten Morgen lassen wir es ruhig angehen und genießen die Fahrt hinauf in die Küstengebirge, deren Gletscher und Seen im Garibaldi Provinzpark durch ein ausgezeichnetes Netz von Wanderwegen gut erschlossen sind. Neben vielen schönen Aussichtspunkten, kleinen Museen oder großen Holzsägewerken stoppt der Tourist auch an den beiden Wasserfällen Shannon und Branntwein. Zu Ersterem führt der Waldweg vorbei an vielen kleinen Fällen, die listig glitzernd wie Wasserzwerge weiter zu Tale hüpfen, während der eigentliche Fall dreihundert Meter in die Tiefe stürzt. Doch was hier ausschaut, als käme er direkt aus dem Himmel, das liegt an einem kleinen Tal oberhalb der Felswände, das im Einzugsgebiet das Wasser sammelt und zur Freude der Touristen über die Abbruchkante nach unten schickt. Zu den Branntweinfällen, die nach einem 66 Meter-Fall senkrecht in ihrem Bett aus Lava aufschlagen, ist der Weg etwas weiter. Im Frühjahr, wenn der kleine Fluss sein höchstes Wasser führt, schäumen pro Minute sechshundert Kubikmeter nach unten, und das würde ausreichen, um eine Ortschaft mit 3.000 Einwohnern zu versorgen.


Der Nobelort Whistler versprüht Gemütlichkeit

In Whistler steuern wir den empfehlenswerten Riverside Campground an, dessen 40-Dollar-Obolus allerdings auch nicht mit der Begründung „Vollausstattung“ zu erklären ist, sondern mit „Nobelort“ und „Hochsaison“. Dafür haben wir jedoch einen wunderschön mit Blumen umsäumten Standplatz unter großen, schattigen Bäumen, allen Anschlüssen, und als wir aussteigen kommt auch der Nachbar noch mit zwei Dosen kaltem Bier lachend auf uns zu. Wir sind zwar selbst gut bestückt, aber bei reichlich dreißig Grad nehmen wir diese nette Geste sehr gern an. Wir werden uns revanchieren, bei ihm oder einem der nächsten Camper, die hier oder anderswo nach und neben uns ankommen. Solche Kleinigkeiten sind nette Ideen, die auflockern, schnell zum Gespräch führen und so manchen Abend am Lagerfeuer zu einer lustigen Runde werden lassen.


Haupthaus von Fort Langley, in dem die Proklamation von der Gründung von BC ausgesprochen wurde

Wunderschönes British Columbia

Whistler ist schön. Landschaftlich sowieso, aber auch architektonisch. Das gelungene Ortsbild passt zur Natur, obwohl auch moderne Elemente in der Kombination ihren Platz fanden. Die siebentausend Einwohner sind jedoch selten unter sich, denn Urlaubszeit ist hier das ganze Jahr. Die hiesigen Berge können zwar nicht mit denen der Rocky Mountains konkurrieren, doch sorgen der große Höhenunterschied zwischen Tal- und Bergstation, mildere Winter und die Nähe zum Meer für sehr viel Schnee. Und das sind beste Voraussetzungen für Ski und Snowboard bis hinein in den Juni. Gondelbahn, Wanderwege, Seen, Bikerstrecken, großartige Golfplätze, die geringe Entfernung zu Vancouver und der Luxusbusservice ab Flughafen sind Garanten für den Sommer. Kanu, Kajak, Speedboote, Rafting, Reiten oder Tennis gehören ebenso zum Angebot wie Ausflüge, schicke Restaurants oder Hotels für jeden Wunsch.

Doch lange bevor europäische Pioniere und Siedler ins Land kamen, waren es die St’at’mic-Eingeborenen des Pemberton Tales, die im Sommer ihr Lager am Green Lake aufschlugen. Hier fischten sie, sammelten Beeren, Wurzeln und Rinden für den langen kalten Winter. Erst als George Vancouver 1792 den Howe Sound erkundet hatte, bekamen jene Indianer in den folgenden hundert Jahren auch im Whistlergebiet immer wieder Kundschafter zu Gesicht, die einen kürzeren Weg zu den Cariboo-Goldfeldern suchten. Auch Rinder versuchte man nach dort zu treiben, doch weil derartige Vierbeiner und Regenwald nicht zusammenpassen, gelang das nur mit einer einzigen Herde. Den Trail, den sie damals ging, blieb der Nachwelt bis heute erhalten. Die Pacific Great Eastern Railway war erst 1911 bis zum südlich gelegenen Alta Lake vorgedrungen und fraß sich weiter durch das Landesinnere in Richtung Prince Georg. Von da an, und lange bevor der Whistler Mountain sich einen Namen gemacht hatte, wurde der gleichnamige See zu einer populären Touristendestination Zwei Jahre später siedelten Alex und Myrthle Phillip am Green Lake, den die „99“ nördlich von Whistler an dessen westlichem Ufer begleitet, und legten mit ihrer Fischer-Lodge auch dort den Grundstein für erste Touristen. Als die Barr’s dreizehn Jahre später am gleichen See ein Sägewerk eröffneten wuchs die Ansiedlung zwar weiter, doch war es letztlich die Winterolympiade 1968, die der Whistlerregion zum Durchbruch verhalf. Die Spiele gingen damals zwar an Grenoble, aber am Whistler, später auch am Blackcomb, entstand ab 1965 ein modernes Skizentrum, der dem Ort zur weiteren Blüte verhalf.

Am nächsten Morgen begrüßt uns erneut ein strahlend blauer Himmel. Zur Linken leuchten in der Ferne die weißen Kappen jener beiden Berge, während gegenüber kleinere Erhebungen mit bewaldeten Hängen das Tal schließen. Ein absolut perfekter Wandertag, für den wir die 20 km des „Musical Bumps Trails“ gehen wollten, an dessen Ende der Blick auf den Cheakamus Gletscher und den gleichnamigen, blau schimmernden See alle Mühen belohnt. So früh im Jahr müssen wir unterwegs aber feststellen, dass im oberen Teil dieser Wanderroute noch viel zu viel Schnee liegt, so dass wir zum „Kleinen Whistler“ abbiegen und anschließend unsere Tagestour auf dem „Harmony Trail“ fortsetzen. Während sich hier der restliche Schnee in Grenzen hielt, überraschten uns jede Menge Mücken. Dass sie um diese Jahreszeit hier und dort ein regelrechtes Markenzeichen sind, ehe sie urplötzlich wieder verschwinden, wussten wir Greenhorns natürlich nicht. Doch vermiesen konnten sie uns diesen Tag nicht, und als das Lagerfeuer wieder knistert sind wir auch mit unserer Ersatzwanderung zu frieden und der Meinung, dass Whistler ein sehr schöner und charmanter Ort ist. Gepflegt, lebenslustig und von vielen jungen Leuten besucht. Er ist auch ein Eldorado für die Biker, und seine Gondelbahn schwebt über Wiesenhänge nach oben, auf denen nicht selten grasende Bären zu sehen sind. Und das, was die Kanadier dieser Provinz auf ihren Autoschildern behaupten, „Wunderschönes British Columbia“, dass trifft ganz gewiß auch auf Whistler und seine Umgebung zu.

 

Ehe allerdings der Tourist dieses wunderschöne Stück Kanada genießen konnte, gingen viele Jahre ins Land, in denen Pelzhändler und Landvermesser der Northwest- und Hudson’s Bay Company, Jäger, Trapper und andere Pioniere jener Zeit unter schwierigsten Bedingungen schier Unmögliches leisteten. Sie fanden Wege über die Rockies, erkundeten Flüsse, trotzten eisiger Kälte, hungerten, schlugen sich durch unbekanntes Land und dichte Wälder. Nicht selten mussten sie nach wochenlangen Quälereien umkehren, weil es der falsche Weg war oder einer, der nicht mehr weiterführte. Sie bauten Handelsposten, erschlossen und erkundeten das Land und legten den Grundstein für spätere Straßen. Einer von ihnen war auch David Thompson, und von diesem Mann, der einen Großteil des Nordwestens kartographierte, wird später erneut die Rede sein.

Begrenzt wird British Columbia im Süden von Amerika, im Westen ist es der Pazifik, der die Linie zieht, im Norden Alaska, der Yukon und die Northwest Territories, während im Osten Alberta als Nachbar fungiert. Die Entwicklung von BC entsprach seiner abgelegenen Lage, weil die von Nord nach Süd ziehenden Gebirgswälle lange Zeit den Zugang auf dem Landweg verhinderten. Und noch im 19. Jahrhundert formulierte ein englischer Journalist, dass selbst fünfzig Eisenbahnlinien dieses unfruchtbare und kalte Gebirgsland nicht erschließen könnten. In Wirklichkeit war dieses „nutzlose Land“ aber voller Bodenschätze, und es bedurfte in erster Linie eines Hafens, um sie auch exportieren zu können. Dieser Grundstein war gelegt, als ein ehemaliger Dampfboot-Kapitän aus der Goldrauschzeit, Jack Deighton, mit seiner indianischen Frau, einem Hund, einigen Hühnern und einem Fass Whisky 1867 im Burrard Inlet anlegte, und am Zugang zum Pazifik eine „Taverne“ öffnete, die die Keimzelle Vancouvers wurde. Heute erinnert in „Gastown“ eine Plastik an jenen Ankömmling, der als „Whisky Jack“ bekannt, und „Vancouvers“ erster Bürger wurde. Die ersten europäischen Einwanderer beeinträchtigten die Indianer, ihre Kultur und deren Lebensraum zunächst nicht, doch brachten massive Rodungen, Bergbau, Fischerei, Krankheiten und Evangelisierung das gewohnte Leben der Ureinwohner aus dem Gleichgewicht. Natürliche Reserven, Wasserenergie und der Handel mit den Ländern am Pazifik boten anschließend weiteres Wachstum für diese Provinz, in der später auch der Tourismus eine wichtige Rolle spielen sollte. Dennoch scheint sich British Columbia noch einige Dinge bewahrt zu haben, die es vom restlichen Kanada unterscheidet. Zumindest, wenn man der auch heute noch gebräuchlichen Redewendung glaubt, dass es 2.500 Kilometer von Vancouver nach Ottawa, aber 25.000 von Ottawa nach Vancouver sind.

Die Ureinwohner des späteren British Columbias lebten einst in großer Zahl auf den Inseln und an der Küste, besiedelten aber auch die Flussufer bis weit hinein in das Innere des Landes. Um 1775 hatten sich bereits mehr als dreißig Gruppen mit eigener Sprache, Kultur und Territorium entwickelt. Im Inneren des Nordens begegneten die Indianer den harten Lebensbedingungen in kleinen Nomadengruppen, während sich im Süden, wo es entlang der Flüsse Fraser und Thompson neben genügend Fisch auch Wild gab, geschützte Winterquartiere anboten, deren Erdhäuser mit Rasen abgedeckt wurden. Die in Dorfgemeinschaften organisierten Küstenindianer lebten mit Dutzenden von Großfamilien und einem eigenen Chief auch unter einem Dach. Sie besaßen Jagdgründe und Plätze, an denen sie Beeren, Wurzeln oder Rinde sammelten, zelebrierten individuelle Feste, hatten jeweils eigene Rituale, Gesänge, Tänze und einen Federschmuck, der ihre Vergangenheit und Abstammung darstellte. Mit einfachsten Werkzeugen formten sie Rinde und Holz der Roten Zeder zu Kleidung, Matten, Körben, Totem Pfählen und Kanus, die ihnen Handel, Kommunikation und die Seehundjagd ermöglichten.

Als James Cook auf der Suche nach der Nordwest-Passage am 29.3.1778 in den Nootka Sound (Westküste von Vancouver Island) einlief und von Chief Maquinna der Nuu-Chah-Nulth Dorfgemeinschaft Seeotterfelle einhandelte, war auch gleichzeitig das Geschäft mit den Pelzen eröffnet. Die neue Fracht wurde in China mit großem Profit verkauft, und der Handel als solcher sehr schnell mit dem zu London, Boston, Macao und Canton verknüpft. Von 1792 bis 1794 war auch Cooks ehemaliges Crewmitglied, George Vancouver, an dieser küste Küste unterwegs, während das zaristische Russland schon 1741, und damit noch vor den Spaniern, ihre Kundschafter geschickt hatte. Lange davor, 1670, war bereits „Ruperts Land“ mit königlicher Urkunde der Hudson’s Bay Company zugesprochen worden, doch begannen die Aktivitäten dieser Firma erst 1774. Fünf Jahre später engagierte sich auch die in Montreal ansässige „Northwest-Company“ im hiesigen Pelz- und Fellgeschäft, bis sie 1821 mit der „Hudsons“ fusionierte. An David Thompson hatten die „North-Westerns“ damals einen der ganz großen Pioniere in ihren Reihen, der als sehr junger Bursche für kurze Zeit zunächst bei der Konkurrenz in Diensten war. Der Zwang, die besten Geschäfte zu machen und Gewinn zu erwirtschaften, führte ihn über die Rocky Mountains und entlang des Columbia Rivers bis hinein in die heutigen USA. Im Nordwesten war er der wichtigste jener Männer, die das unberührte Land zu Pferd, Kanu und auf eigenen Füßen erkundeten, mit Handelsposten erschlossen und kartographierten.

Weil die zunehmende amerikanische Präsenz im Oregongebiet Fort Vancouver als Headquarter der Hudson’s Bay Company am Columbia-River gefährdete, schickte die HBC 1843 James Douglas nach Vancouver Island, um Fort Victoria zu gründen. Drei Jahre später erweiterte der Oregonvertrag die Landgrenze zwischen den USA und British North Amerika bis zum 49. Breitengrad, wobei beide Seiten auch Einbußen erlitten. 1849 erklärte Königin Victoria die HBC als rechtmäßigen Hausherrn von Vancouver Island, und 1856, alarmiert durch den Zustrom der Goldsucher aus Kalifornien, formulierte das Parlament „die Kolonie British Columbia“. Zehn Jahre später wurde auch Vancouver Island in die Neugründung eingeschlossen. Der Goldrausch der Kolonie erwies sich gegenüber dem zu Kalifornien zwar als klein, doch fanden sich im ersten Jahr immerhin Nuggets im Wert von 700.000 Dollar, in den nächsten zehn für durchschnittlich drei Millionen. Und das entsprach 75 Prozent des Exportes der neuen Kolonie. Die meisten der fünfundzwanzigtausend Glücksritter waren 1858 aus Kalifornien nach BC gekommen, wo vier Jahre später der Bau der berühmten „Cariboo Wagonroad“ begann und im gleichen Jahr eine Pockenepidemie ausbrach. Unbarmherzig wütete sie vornehmlich unter den Eingeborenen, von deren 150.000 weniger als ein Drittel überlebte. 1871 eröffnete die erste Dosenfabrik am Fraser River, um das wesentlich profitablere Geschäft mit den Lachsen zu starten. Im gleichen Jahr trat British Columbia auch dem Selbstverwaltungsstatus von Kanada bei mit der Zusage, dass innerhalb von zehn Jahren eine kontinentale Eisenbahn gebaut werden würde. Der Zuschlag dafür ging im Oktober 1880 an ein Syndikat, das als „Canadian Pacific Railway Company“ bekannt wurde. Tausende von Chinesen kamen als Schienenleger und beklagten am Ende mindestens 600 tote Landsleute. Die Ankunft der ersten Eisenbahn aus Montreal in Vancouver war 1887 auch gleichzeitig der Weckruf für viele Siedler aus Ontario, England, USA und anderen Ländern, ihr Glück in British Columbia zu versuchen. Viele der Emigranten zog es damals in die Kootenay Region, wo Kohle, Gold, Zink, Zinn oder Silber abgebaut wurden. Die Holzindustrie entlang der Südküste folgte, und auch der 1869 fertig gestellte Suezkanal eröffnete auch neue Märkte.

Heute verkörpert Vancouver eine Weltstadt, die die drittgrößte Kanadas ist. In der großen Bucht des Pazifischen Ozeans, der Strait of Georgia, fand sie eine wunderschöne Lage und zusätzlichen Schutz durch das vorgelagerte Vancouver Island. Die Kulisse der meist schneebedeckten Küstengebirge, der sich Richtung Norden ausbreitende uralte Küstenregenwald, und der im Süden in den Pazifik mündende mächtige Fraser River verleihen ihr zusätzliches Flair. Die Stadt, eine gemütliche, moderne Metropole mit Wolkenkratzern, Wasser, Parks, Grünanlagen, 600.000 Einwohnern im Stadtkern und zwei Millionen im Großraum. Die westlichste Stadt am Transkanada Highway ist gleichzeitig auch ein hochrangiges Kulturzentrum mit ethnischer Vielfalt und unterschiedlichen Religionen, Theatern, Universität, Festivals und einem hohen Freizeitwert. Ihr Hafen ist der umsatzstärkste in Kanada. Holz, Kohle, Getreide, Pottasche werden exportiert, und zehn Forstfirmen sind für rund fünfundsiebzig Prozent der Holzernte zuständig. Die an den Mündungen von Fraser- und Skeena River konzentrierte Lachsindustrie erwirtschaftet achtzig Prozent des Provinz-Umsatzes, und von den insgesamt 3,2 Millionen Einwohnern, darunter etwa einhunderttausend „First Nations“, wohnen vier von fünf in den Städten. Und das Juwel dieser Provinz, die großartige Schönheit ihrer Landschaft, ist auch die Antwort darauf, warum Touristen aus aller Welt British Columbia so zahlreich besuchen.


Historische Hat Creek Ranch