Kreation Vollblut – das Rennpferd eroberte die Welt (Band 1)

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Kreation Vollblut – das Rennpferd eroberte die Welt (Band 1)
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Erhard Heckmann

KREATION VOLLBLUT

DAS RENNPFERD EROBERTE DIE WELT

Teil I

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2017

Coverbild:

Der Vollbluthengst Master Craftsman; Foto: Courtesy of Coolmore Stud, Irland

Bild Buchrückseite:

Big Bad Bob; Foto: Courtesy of Irish National Stud

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Gewidmet den vielen Pferden, die nie die ganz große Bühne erreichten, aber die Herzen ihrer Reiter beflügelten


Mein harter und treuer San Lazaro war einer von ihnen (Foto: Frank Nolting)

INHALTSVERZEICHNIS

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Der Vollblüter – eine Kunstrasse

Der Weg von England in die Welt

Neue Dimensionen

Globale Auktionen – Edles Blut, Millionen Umsätze

Keeneland, Fasig-Tipton, Ocala

Tattersalls, Goffs, Arquana, BBAG

William Inglis, Magic Million, Karaka

Südafrika, Japan

Nicht alle „Sales-Topper“ waren ihr Geld wert

In den Großereignissen treffen sich die Cracks

Mitteldistanz, Speed, Frühreife, amerikanischer Einfluss – statt ausgeprägte Steher

Exoten und kleinere Länder

Thoroughbred-Festivals in Großbritannien

Internationales Pattern- und Ratingsystem, Klassifizierung ohne Ländergrenzen

Hindernissport – und andere frei gewählte Gedanken

Gene, Theorien, Analysen, Hoffnung

Quellenverzeichnis

VORWORT

Dieses mehrteilige Buch ist der Versuch, einen zusammenfassenden Überblick über mehr als 300 Jahre Vollblutzucht und Rennsport zu geben. Zusammengetragen in großen Schritten, ohne Vollständigkeit zu beanspruchen. In einem einzigen Buch gelingt das selbst mit ausgewählten Kernpunkten nicht, denn der Fachmann weiß, dass weltweit zusammenfassende Jahresbücher bis zu 3 ½ Kilo wogen.

Das Thema hätte zwar einen Hochglanzband verdient, doch ist das nicht bezahlbar. Aber in einer Zeit, in der in Deutschland der Galopprennsport und seine sehr gute Zucht von den Medien praktisch als nicht existent behandelt werden, und die Bildschirme für die Vollblüter so gut wie dunkel bleiben, ist etwas immer noch besser als gar nichts.

Die Entscheidung, was dabei wichtig war und was nicht, was nur gestreift werden konnte oder ausführlicher festgehalten wurde, oder wo ein Buchteil unbedingt beendet werden musste, bestimmten die gegebenen Platzmöglichkeiten und die eigene Einschätzung. An die Leserschaft war ebenfalls zu denken, denn auch dem „Nichtinsider“ sollte, ohne den Eingeweihten zu langweilen, die Thematik um das edle Geschöpf Rennpferd etwas nähergebracht werden. Diese Balance war zwar nicht ganz einfach und auch nicht immer möglich, aber vielleicht reicht es doch aus, um den einen oder anderen „Neuling“ neugierig zu machen. Aus diesem Grunde wurde auch generell auf die Darstellung von Pedigrees verzichtet, die außerdem in Fachbüchern und dem Internet schnell zu finden sind. Wo jedoch auf diesen Hintergrund nicht verzichtet werden konnte, wird er vor Ort diskutiert.

Mir ging es außerdem darum, die Vergangenheit zu bewahren und jene Züchter zu beleuchten, die als Pioniere wirkten, nach Rezepten suchten, ausprobierten und die ersten Meilensteine setzten, auf denen ihre Nachfolger aufbauen konnten. Jenen standen damals weder die Erfahrungen von mehr als drei Jahrhunderten zur Verfügung, wie das heute der Fall ist, noch die modernen Datenbanken, die das Internet ermöglichte. Und ich wollte auch den Siegeszug skizzieren, den die Rasse Vollblut auf ihrem Weg in die Welt vollzog, und wie sie durch stetige Auslese verbessert und ihrem Ideal näher gebracht wurde. An die veränderten Zuchtansprüche auf dem Weg ins 21. Jahrhundert war ebenfalls zu denken, denn die Pferdepopulation Vollblut ist längst zur globalen Industrie geworden.

Dass die deutschen Gestüte Graditz und Schlenderhan nicht unter den ersten Pionierzüchtern im Teil II erscheinen, ist dem Wunsch geschuldet, die deutsche Zucht im Teil III als Ganzes darzustellen. Auch Zuchten wie die des Aga Khan oder Lord Derby, die zwar etwa ein halbes Jahrhundert später starteten, oder Pionierzüchter mit älteren Rechten, hätten den Rahmen im Teil I gesprengt und mussten nach hinten weichen.


Der alte englische Jockeysitz (Fotorepro nach einem Gemäldedruck; 1826 von F. Herring jr.)

Aber auch andere große Zuchten und Rennsportländer, internationale Auktionen, Meetings und große Rennen mussten zu Wort kommen, wie auch das Wechselspiel zwischen Europa und Amerika. Globale Player und Visionäre wie Coolmore oder Darley/Godolphin müssen ebenso beleuchtet werden, wie auch die eine oder andere vier- oder zweibeinige Legende nicht ausgelassen werden sollte. Letztendlich ist jedoch alles auch eine Platzfrage, und dieses Buch weder Ratgeber noch Bildband, der ungezählte große Champions aufzunehmen hätte. Themen, die der Fachmann kennt, den Laien aber kaum interessieren, wurden nur „angekratzt“, um sie der Vollständigkeit halber zu erwähnen oder ihre Theorien zu bewahren.

Bedanken möchte ich mich bei all denen, die mich durch Fotos unterstützten, wobei das irische Coolmore Stud, die Hancock-Familie der amerikanischen Claiborne- und Stone Farms, Mac McBride (Del Mare Thoroughbred Club), Sinead Hyhland (Irish National Stud), als auch Betsy Baxter von der „Keeneland Library“ – stellvertretend für alle anderen – ganz besonders erwähnt sein sollen.

In Klammern hinter einem Pferdenamen können stehen: Geburtsjahr; der Vater des Pferdes; die Anzahl der Siege; die gerundete Gewinnsumme oder eine andere Wichtigkeiten, die der Text jedoch erklärt.

DER VOLLBLÜTER – EINE KUNSTRASSE

Die Zucht des Vollblüters wurde vor mehr als 300 Jahren in England mit dem Ziel gestartet, die schnellste Pferderasse der Welt zu kreieren, die Produkte auf der Rennbahn zu prüfen, und sie durch stetige Auslese zu verbessern. Die Briten, die diese Kunstrasse entwickelten, waren schon immer Pferdeliebhaber. Und bereits vor dem ersten „organisierten“ Rennmeeting zu Smithfield 1174, das in Geschichtsbüchern festgehalten wurde und während der Regentschaft von Henry II. stattfand, hatte es schon „Rennen“ gegeben.

Die Römer Cäsars landeten erstmals in England im Jahr 55 v. Christi und brachten teils eigene, teils orientalische Pferde mit. 208 – 211 nach Christi hielten sie in York Wettrennen ab, und auch nach Cäsar versiegte die Einfuhr orientalischer Pferde nach England nicht mehr. Als die Normannen im 11. Jahrhundert England unterwarfen, brachten auch sie nicht nur leistungsstarke Pferde mit, sondern ihr König Löwenherz soll schon um 1190 orientalische Hengste mit heimischen Stuten gepaart haben. Auch auf der französischen Kanalseite wurde ein verwandter Pferdetyp erzeugt, und im alten Preußen war die Veredlung und Kräftigung der kleinen Gebrauchtrasse durch arabische Hengste auch schon bekannt. 1309 wird aus Newmarket von der Abhaltung von Rennen berichtet, und 68 Jahre später soll es bereits ein Match zwischen dem Prinz of Wales, dem späteren Richard II, und dem Earl of Arundel gegeben haben. Der Ort ist nicht verbürgt, aber wahrscheinlich war es in Newmarket. Von hier wird auch das erste Training im moderneren Sinn aus 1605 überliefert, und seit dieser Zeit gilt Newmarket auch als Heimat und Mekka des Vollblutes.

 

Aus 1609 ist bekannt, dass in Chester an die Reiter oder Besitzer der ersten drei Pferde eines Rennens durch den Sherriff Silberpokale überreicht wurden.

Auch die englischen Königsfamilien unterstützten Sport und Zucht. Und während Henry VIII. (1509 – 1547) schon zahlreiche Hengste und Stuten für Zuchtzwecke importierte, zählten besonders die Regenten aus dem Hause Stuart – Jakob I., Karl I. und Karl II. – die auch in Newmarket eine eigene Wohnung unterhielten, zu den Tatkräftigsten. Und nachdem 1625 Charles I. (Karl I.) den Thron bestiegen hatte, etablierten sich zu Newmarket reguläre Frühjahrs- und Herbstmeetings, und ein „Gold Cup“ wurde erstmals 1634 entschieden. Zwanzig Jahre später, als der Regent abtreten musste, kam der Rennsport fast zum Erliegen, erlebte jedoch unter Charles II (auch Karl II.; 1660 – 1685), der neben Jagden selbst Rennen ritt und einige auf eigenen Pferden gewonnen haben soll, eine neue Blüte. 1664 etablierte er das noch heute gelaufene „Newmarket Town Plate“ und stiftete für diese die berühmten königlichen Silberteller. An ihn erinnert auch die heutige „Rowley Mile“ zu Newmarket, die ihren Namen vom Lieblingspferd dieses Regenten, „Old Rowley“, erhielt.

Die königlichen Stuten und Hengste, diese meist mit orientalischer Herkunft, waren damals längst angeschafft, und zu einem großen Teil bereits durch seine Vorgänger. Die „Orientalen“, meist als Araber oder Berber bezeichnet, kamen aus Vorderasien, Persien, Syrien, Arabien oder der Türkei. Arabien selbst war allerdings schon wegen seines wasser- und grasarmen Wüstencharakters kein altes Pferdezuchtland, sondern soll seine Zucht vor allem Mohammed (um 570 n. Chr. geboren) verdanken, der den Wert einer schnellen Reiterei nach einer Niederlange gegen die Perser am Berge Ohod erkannt haben soll.

Bis die neuzeitlichen Rennen eingerichtet, und danach im 18. Jahrhundert die Klassiks geschaffen waren, und die wirkliche Entwicklung des Rennsports begann, sollte es aber noch eine Weile dauern. Die dritte Phase in der Schaffung der neuen Rasse wurde, mit ihrer Vervollkommnung, aber erst im 19. Jahrhundert erreicht. In dieser etablierten sich die Vollblüter in den meisten der anderen Kulturländer, und die internationale Verflechtung dieser Rasse begann. Dieses edle Pferd hatten zwar auch schon die Pilgerväter im 17. Jahrhundert von England mit nach Amerika gebracht, doch bedurfte es erst der Befriedigung nach der Französischen Revolution und den Unabhängigkeitskriegen, um überall Vollblutpferde in stärkerem Maße auszuführen als vorher.

In Frankreich entstand folgerichtig 1834 die Rennbahn Chantilly; das 1. Gestütsbuch kam vier Jahre später; Longchamp eröffnete 1857, und die Französische Turfkörperschaft wurde 1883 gegründet, während Amerikas 1. Gestütsbuch 1857 ins Leben gerufen wurde. Frankreich verbesserte das von den Engländern übernommene Rennsystem, während es die Amerikaner aus kommerzieller Sicht änderten. Mehr als die Hälfte ihrer Rennen wurden bis 1.600 Meter gelaufen, und nur 5% über zwei Kilometer oder mehr. Die Franzosen bevorzugten den Steher, statt den Flieger. Sie gaben auch den Zweijährigen mehr Zeit als die Engländer oder die Amerikaner, die ihn ausnutzten.

Dazwischen lagen noch einige andere Schritte, die den Weg in die neue Zukunft ebnen halfen. So fand 1712 das erste Rennen für fünfjährige Pferde in York statt, ein Alter, in dem auch der berühmteste Hengst des 18. Jahrhunderts, Eclipse (1764), sein Rennbahndebüt gab und alle seine 19 Rennen und sieben „Stechen“ gewann. Ehe jedoch die fünf Klassiks in England aus der Taufe gehoben wurden, durften auch die jüngeren Jahrgänge erstmals an den Start: 1728 die Vierjährigen in Hambledon; die Dreijährigen 1756 in Newmarket, und die Zweijährigen folgten 1773. Insgesamt waren nun die Zeiten vorbei, in denen die Rennen noch über vier bis sechs englische Meilen oder mehr führten, das Reitergewicht auf der Flachen bei bis etwa 76 Kilo lag, und das Alter der startenden Pferde mindestens sechs Jahre betrug.

Heute hat der Vollblüter auf allen fünf Erdteilen seine Überlegenheit bewiesen, und das ENGLISCHE DERBY wurde, wenn auch hier oder dort in der Distanz manchmal abweichend vom Original, von allen Rennsportländern übernommen. Und alle Vollblüter dieser Welt lassen sich auf einige Stammstuten und Stammhengste zurückführen. Über die Umwege, die diese vollzogen, ist nicht alles bekannt. Bei den Hengsten kursieren auch heute noch so manche Mythen, während das eine oder andere Fragezeichen hinter den Ursprungsmüttern erst mit modernsten Methoden entschlüsselt werden konnte. Bei den Gründer-Stuten könnte sich einheimisches und fremdes Zuchtmaterial die Waage halten, während bei den Vätern der orientalische Einfluss vorherrscht. F. Charles de Beaulieu erwähnt in seinem Buch „Vollblut“, dass zwischen 1660 und 1770 etwa 160 Araber- und Berberhengste nach England eingeführt wurden, doch setzten sich letztlich nur drei von ihnen durch, die als die väterlichen Gründer der neuen Rasse Vollblut gelten. Richtig ist aber, dass eine größere Anzahl von Orientalen das einheimische Pferd, das in England Galloway genannt wurde und etwa einem Reitpony entsprach, schon erheblich verbessert hatten.

Noch begeisterter als Charles II. war jedoch sein Nachfolger William III. von Oranien-Nassau, der von 1688 bis zum Tod seiner Gattin Queen Mary II. gemeinsam, danach allein in England regierte, und gleichzeitig auch in Schottland als King William II. im Amt war. Er lies seine Pferde in Match-Rennen laufen und gründete zu Hampton Court ein königliches Gestüt. Trainiert wurden sie von Tregonwell Frampron, der als „Father of the Turf“ bekannt wurde. Queen Anne, Schwester von Mary II. und Tochter von James II., die George von Dänemark heiratete, und deren 17 Kinder alle starben, führte als letzte Monarchin aus dem Hause Stuard die Rennsport-Tradition in Newmarket nicht nur fort. Es ist auch hauptsächlich ihr zu verdanken, dass es heute „Royal Ascot“ gibt. Ihr zu Ehren heißt das dortige Eröffnungsrennen beim königlichen Meeting auch QUEEN ANNE STAKES (1.600 m; 375.000 Pfund). Und der Sieger von 2012 hatte auch einen ganz besonderen Stellenwert: Er hieß „Frankel“ und gilt als das beste Rennpferd, das die Kunstrasse „Thoroughbred“ bisher hervorbrachte.

Als die Königin 1714 starb, waren bereits viele Rennmeetings etabliert, darunter auch York, Doncaster, das schon 1614 über eine Tribüne verfügte, und Ascot. Rennen fanden inzwischen auch überall im Lande statt, doch wurden weder die Resultate aufgezeichnet, noch gab es standardisierte Regeln. Mit der Gründung des Englischen Jockey Clubs in den 1750er Jahren und der Ernennung von James Weatherby als Sekretär, wurden Kontrolle, Disziplin und Entwicklung des Rennsports eingeleitet. Bis jedoch so hervorragende Rennsport-Administratoren wie Charles Bunbury, der den Anfang machte, Lord George Bentinck, der ihm folgte, und der famose Admiral Rous, der mit 13 zur Marine ging, 1820 in den Jockey Club gewählt wurde und diesem ab 1836 als Steward und Handicapper diente, für „Ordnung“ gesorgt hatten, sollte es noch fast ein Jahrhundert dauern. Henry John Rous (1795 – 1877), dessen Vater, der Earl of Stradbroke, ein kleines Gestüt in Suffolk besaß und 1815 mit Tigris die 2000 Guineas gewann, war dabei die Schlüsselfigur. Der Galopprennsport war sein Leben, das er ab 1836 ganz in dessen Dienst stellte. Und während seiner Zeit als Steward des Jockey Clubs war Rous der dominierende Mann in diesem Sport. 1850 veröffentlichte er „The laws and practice of horseracing“, und ein Jahr später die „Altersgewichts-Skala“. Diese setzt den altersbedingten Entwicklungsstand der Pferde mit den jeweils zu absolvierenden Renndistanzen in Beziehung, gilt im Wesentlichen auch noch heute und findet ihren Niederschlag im Deutschen Generalausgleich ebenfalls wieder. Er war die führende Autorität in administrativen Fragen des Galopprennsports, führte wichtige Reformen durch und gilt als der letzte und größte „Diktator“ des britischen Galopprennsports. Sein Wort galt 25 Jahre lang als Gesetz. Er war gewissermaßen das Bindeglied zwischen den „rauen Zuständen“, die Anfang des 19. Jahrhunderts herrschten, und dem bestens organisierten Sport von heute. Zu seinem 25-jährigen Jubiläum ehrten ihn seine Freunde u. a. auch mit einem 128 cm großen Leuchter, auf dessen Spitze Rous in Admiralsuniform thront. Während die Säule von vier griechischen Göttinnen umgeben wird, die Gerechtigkeit, Weißheit, Courage und Navigation verkörpern, wird die viereckige Plattform von sechs Pferd und zwei Fohlen geziert. Diese Trophäe, die neun Lichtern Platz bietet und das Leben dieses Mannes widerspiegelt, ist ein Meisterwerk der Silberschmiedekunst und im Horseracing Museum zu Newmarket als Leihgabe des Jockey Clubs ausgestellt.

Im Laufe der Zeit veränderten sich auch die Aufgaben des Jockey Clubs, dessen Mitglieder traditionell aristokratischer Abstammung waren, um den Sport zu modernisieren. 1993 übernahm der BHB (British Horseracing Board) vom Jockey Club für einige Jahre die Aufgaben, die mit der Organisation und Promotion des Sports zu tun hatten, um dessen kommerzielle Stellung zu stärken, während die „Autorität“ beim Jockey Club verblieb. 2007 erfolgte dann die letzte Umstrukturierung, wobei die neue Organisation BHA (British Horseracing Authority) den Galopprennsport leitet, reguliert und überwacht, sodass der Jockey Club formal seine Verbindung als „regulierendes“ Organ beendete. Zu Ihm gehören heute 15 Galopprennbahnen, darunter Aintree, Cheltenham, Epsom, Haydock Park, Kempton Park, Newmarket July Course und die Rowley Mile, Sandonwn Park und sieben weitere, etwas „kleinere“ Bahnen. Auch das National Gestüt und etwa 5.000 Acker Trainingsgelände in Newmarket und Lambourn gilt es zu managen.


Rous Candelabrum (Foto: reproduced by permission of the Jockey Club UK)

Ab 1727 gab es neben den silbernen Ehrenpreisen auch Geldpreise, und zu den Rennen wurden immer mehr die jüngeren Pferde zugelassen. Damit wurden auch gleichzeitig die Deckhengste bekannter, sodass Züchter davon ebenfalls profitierten. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann auch die Etablierung der „Classics“, um die Dreijährigen auf Herz und Nieren zu prüfen. Bis dahin lief diese Altersgruppe nur selten, weil sich die Rennen größtenteils an sechsjährige und ältere Pferde richteten, und über weite Distanzen führten. Gleichzeitig waren auch „Stechen“ geläufig, um einen Sieger zu ermitteln, sodass dieser beim gleichen Meeting durchaus viermal antreten musste.

In England kamen somit einige Dinge zusammen, die Grundlage für die Rasse Vollblut legten: Ein einheimischer Stutenbestand, der sich bereits auf einer gewissen „veredelten“ Ebene befand, die Vererbungskraft einzelner orientalischer Hengste, und die Zucht nach Leistung. Der Zielpfosten auf der Rennbahn entscheidet über Sieg oder Niederlage, und damit für stetige Auslese. Und das Rennsystem, Stein auf Stein aufgebaut, stetig verbessert und schließlich ausgefeilt, sorgte mit seiner Naturtreue für eine korrekte Aufgabenstellung, um den Stand der Zucht über alle Jahrgänge und Distanzen zu prüfen und den Vollblüter seinem Ideal näherzubringen. Natürlich ist die „administrative Seite“ die eine, die züchterischen Vorgänge die andere. Und diese sind wesentlich komplizierter, denn bei der Vererbung folgt die Natur nach wie vor ihren eigenen Geheimnissen.

Die Administratoren fuhren jedoch fort: 1709 hatte der Rennkalender seine Premiere, der jedes Rennen mit allen Einzelheiten und den gezeigten Leistungen der beteiligten Pferde im Detail festhielt. 1773 startete auch das erste Generelle Gestütsbuch mit seinen Nachweisen, das 1793 – mit etwa 100 Stuten und 100 Hengsten – erstmals herausgegeben wurde. Damit bekam die Zucht ein System für die Auslese in die Hand und konnte zunächst erst die Leistung und das Pedigree betrachten, und danach, wie bisher auch, das Pferd selbst.

Als erstes der „Klassiks“ entstanden 1776 die ST. LEDGER STAKES, in denen dreijährige Hengste und Stuten über zwei Meilen zu Doncaster an den Start gingen. Unter seinem heutigen Namen lief das Rennen aber erst zwei Jahre später, nachdem der Mitbegründer Lord Rockingham – seine Stute Alabaculia wurde 1976 die erste Siegerin des neuen Rennens – vorgeschlagen hatte, diese Prüfung nach einem anderen Enthusiasten der ersten Stunde, Colonel Anthony St. Ledger, zu benennen. 1816 erhielt das St. Ledger seine letzte Korrektur, die Verkürzung auf 2.800 Meter. Ab 1779 wurde ausgetragen, was Edward Smith Stanley, der 12. Earl of Derby, und seine Freunde in dessen Landhaus „Oaks“ beschlossen hatten: Ein Rennen für dreijährige Stuten über 2.400 Meter, das nach dem Haus des Lords benannt wurde, THE OAKS. Die erste Siegerin hieß Bridget und trug die Farben des Earls. Danach wurde ein weiteres Rennen über 1.600 Meter kreiert, in dem dreijährige Hengste und Stuten startberechtigt waren, und das 1784 auf 2.400 Meter verlängert wurde. Als es um den Namen ging, sollen Sir Charles Bunbury und Lord Derby eine Münze geworfen haben, wobei Sir Charles verlor, doch war es sein Florizel-Sohn Diomed, der 1780 das erste DERBY gewann und dafür die „Einsatzgelder“ von 1.065 Guineas und 15 Schillings kassierte. Die beiden übrigen klassischen Rennen für die Dreijährigen folgten erst 1809 und 1814, und beide wurden und werden über die Rowley Mile zu Newmarket gelaufen. Den Anfang machten die 2000 Guineas Stakes für Hengste und Stuten 1809, während die 1000 GUINEAS Stakes den Stuten vorbehalten waren und fünf Jahre später folgten. Ihre Namensgebung war einfach, sie entsprach der damaligen Höhe der Dotierungen.

 

Das wichtigste von allen Rennen ist nach wie vor das Derby, auch wenn es heute von vielen internationalen Rennen in der Preishöhe übertroffen wird, denn es ist der eigentliche Höhepunkt in der Laufbahn eines Rennpferdes. Ein Derbysieger ist ein Derbysieger, und wenn er zu Epsom vor den Toren Londons gewonnen hat, dann ist er ein ganz besonderes Pferd. Oft wird das Derby auch als „das Blaue Band des Turfs“ bezeichnet. Diese Bezeichnung geht auf eine Diskussion von Lord George Bentink mit einem seiner Gesprächspartner zurück, bei dem Bentink den Wert des Derbys erklärte. Damals hat er, so die Überlieferung, den Wert des Rennens mit dem höchsten Orden Englands, dem Hosenbandorden, verglichen, und dessen Farbe ist blau. Und inzwischen bedient sich auch der Fußball längst mit dem Namen des englischen Lords immer dann, wenn zwei Erzrivalen oder Spitzenmannschaften aufeinander treffen. Dass, wäre die Münze damals bei der Namensgebung auf die andere Seite gefallen, ein Fußball-Derby heute ebenfalls ein „Bunburry“ wäre, werden die Fußballbosse ebenso wenig wissen, wie sie das Wort „Derby“ erklären können …

Etwas ganz anderes als die klassischen Rennen sind die bereits 1791 eingeführten Handicaps, die sich von jenem züchterisch idealen Prinzip zwar absolut entfernten, jedoch aus wirtschaftlicher Notwendigkeit eingeführt werden mussten. In Handicaps – eines der bekanntesten ist der mit mehreren Millionen dotierte Melbourne Cup über 3.200 Meter – werden die schlechteren Pferde durch leichtere Reitergewichte begünstigt, damit sie die gleichen Chancen erhalten wie die besseren. Und wenn der Handicapper eine perfekte Arbeit abliefert, dann müssten alle Starter eines solchen Rennens im „toten“ Rennen einkommen, also alle Sieger sein. Aber der Erfolg in einem Rennen hängt eben nicht nur von dem zu tragendem Gewicht ab, sondern auch von der Reitweise, der Tagesform, der eventuellen Verbesserung eines jüngeren Pferdes von Rennen zu Rennen, den Bodenverhältnissen, des Rennverlaufs und ähnlichen Faktoren, die stets mit von der Partie sind. Für den Wetter ist es aber kniffliger, wenn er in einem Handicap den Sieger vorher finden will, denn theoretisch sind die Chancen für jedes Pferd gleich.

Während der Amtszeiten der Könige George I. und George II. florierte der Rennsport weiterhin, doch war es erst der zweite Sohn von George II., der Duke of Cumberland, der bleibenden Einfluss auf Sport und Zucht ausübte: Er war das erste königliche Mitglied im „Jockey Club“ und der Züchter von Herod (1758) und Eclipse (1764), die gemeinsam mit Matchem (1748) als das große Dreigestirn in die Geschichte des Vollblutpferdes eingingen. 1766 hatte Richard Tattersalls sein Auktionsgeschäft zu Newmarket gestartet, und 1875 registrierte auch der Prince of Wales, der spätere König Edward VII. seine Rennfarben und kaufte Pferde für sein Gestüt Sandringham. Für diesen enthusiastischen Besitzer-Züchter gewann Persimmon (St. Simon) 1896 Derby und St. Ledger, vier Jahre später der St. Simon-Sohn Diamond Jubilee die DREIFACHE KRONE, und Ambush die GRAND NATIONAL zu Aintree vor den Toren Liverpools. Manifesto, der in diesem schwersten Hindernisrennen der Welt achtmal lief und 1897 und 1899 bereits gewonnen hatte, wurde dabei Dritter. Insgesamt war er dreimal auf diesem Platz, als auch einmal Vierter und zum Schluss Sechster. Minoru (Cyllene), den König Edward der VII. von Lord Wavertree gepachtet hatte, gewann 1909, ein Jahr vor seinem Tod, das Derby als Debütant. Das beste Pferd des Jahrgangs war Minoru nicht, das war Bayardo, aber sein größter Beitrag zu seiner Rasse war, dass er die große Serenissima zeugte, die mit ihrer Tochter Selene – Mutter des kleinen „großen“ Hyperion – eine unsterbliche Linie begründete.

Das königliche Gestüt, das auch in unseren Tagen noch eine Rolle spielt und von Königin Elezabeth II fortgeführt wird, erbte King George V (1865-1936), während Lord Wavertree (Colonel Hall-Walker) seinen irischen Zuchtbetrieb der britischen Nation vermachte, und der heute als Irish National Stud fungiert.

Züchterisch gesehen führt heute die direkte Hengstlinie eines jeden Vollblüters der Welt zu einem der drei nach England importierten Araber-Hengste zurück, die sich von einigen Hundert, die zwischen 1689 und 1730 dort eine neue Heimat fanden, als Vererber durchsetzen konnten, und die als The Godolphin Arabian, The Byerly Turk und The Darley Arabian bekannt sind. Auf der Stutenseite führt die Familienlinie am Ende zu den jeweiligen Gründerstuten, und jedes Pferd, das als Vollblüter gelten soll, muss beide Anforderungen erfüllen. Den Nachweis dafür leisten die Gestütsbücher.

Die neue Rasse Vollblut, oder Thoroughbred, wie wir sie heute kennen und erleben, ist somit das Produkt einer progressiven Entwicklung über rund drei Jahrhunderte, an deren Anfang hochklassiges arabisches Blut mit dem englischer Stuten gekreuzt, und durch ständige Auslese auf der Rennbahn stetig verbessert wurde. Damit ist die Zucht des Vollblüters auch die Krone der Tierzucht. Eine echte Wissenschaft ist die Vollblutzucht allerdings nicht, sondern eher eine Art Glück, genetische Lotterie und Kunst zugleich. Sie bedingt jedoch eine große Portion Wissen, Erfahrung, Geduld und Hoffnung, und zu ihrer Vervollkommnung trugen zahlreiche Züchter bei.

Den Anfang machten die Engländer und Iren; Deutschland war etwas früher dabei als Amerika, Australien, Neuseeland, Österreich-Ungarn und Frankreich. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die Ouvertüren auch schon in Italien und Argentinien gespielt, während Japan erste Importe tätigte. Danach traten von den heute wichtigeren Rennsportländern auch Südafrika, Kanada und Brasilien auf den Plan, doch fasste der Vollblüter auch in Chile, Peru und anderen Ländern Fuß, während der internationale Auftritt der Russen Mitte des 20. Jahrhunderts nur ein kurzer war. In einigen dieser Länder, wie England/Irland, Frankreich, Australien/Neuseeland, USA oder Japan entwickelten sich Sport und Zucht zu einer gewaltigen, globalen Industrie, und in Südamerika hat der Vollblüter auch ein Millionen-Publikum. Auf Hongkong trifft das ebenfalls zu, doch eröffnete dort eher die Wettleidenschaft der Chinesen ungeahnte Möglichkeiten, während der Riese China anderswo fast noch schläft. Allerdings nicht mehr tief, denn erst im Januar 2016 wurden 76 Vollblüter von Irland nach Peking geflogen.

Deutschland, dessen Zucht in der Weltelite mitmischt, hat im Rennsport schon wesentlich bessere Zeiten erlebt, zu denen auch noch ein hochkarätiger und florierender Hindernissport gehörte. Inzwischen ist dieser allerdings so gut wie tot, denn zum Jockey- oder Trainer-Championat reichen heute weniger als zehn Jahressiege aus. Seine Blütezeit hatte er zu Karlshorst, als der Verein für Hindernisrennen Charlottenburg seine Bahn verlegte, und im Mai 1894 auf rund 75 Hektar das neue Karlshorst eröffnete, das 30.000 Besuchern Platz bot, 1935 eine neue Tribüne erhielt, als das „deutsche Autieul“ galt, und 1932 die ersten Jagdrennen für Damen ausschrieb. 1945, als in Berlin etwa 3.000 Pferde Richtung Russland verladen worden sein sollen, entstand aus diesem Hinderniskurs die einzige Trabrennbahn „Ostdeutschlands“.

Die deutsche Vollblutzucht besitzt im 21. Jahrhundert zwar internationales Niveau, und ihre Produkte gewannen in den letzten Jahren mit Millionen dotierte internationale Großereignisse wie die Japan- und Melbourne Cups, den Prix de l’Arc de Triomphe oder die King George VI.and Queen Elizabeth Stakes zu Royal Ascot, doch betrachten Fernsehen, Presse und andere deutsche Medien den Galopprennsport und die Vollblutzucht seit Jahrzehnten als wären sie nicht existent!

Als die ersten Besitzer 1762 ihre Farben beim englischen Jockey Club registrieren ließen, waren das sieben Dukes (Herzog), vier Earls (Graf), zwei Baroninnen, je ein Marquis und Lord (Adliger) und drei ganz normale Bürger. Ende des 20. Jahrhunderts kam der Typ der „Neureichen“ aus Handel und Industrie hinzu, die enorme Summen für gut gezogene Jährlinge ausgaben, und mit ihrer Passion in der Runde der Aristokratie auch versuchten, ihren sozialen Status aufzubessern. Sie alle vereinte jedoch der edle Vollblüter, und sie waren in der Regel alle Besitzerzüchter, die ausschließlich für ihren eigenen Rennstall züchteten. Die einen taten das als „Home-Breeder“, die auch die besten Hengste ihrer Zeit besaßen, die anderen als „Outside-Breeder“, die auf die besten Stallions ihrer Zeit zwar Zugriff hatten, die jedoch in anderen Gestüten standen und ihnen nicht selbst zählten. James R. Keene, Die Alexanders und die Calumet Farm gehörten beispielsweise zur ersten Version, Lord Fallmouth und Frederico Tesio zur zweiten Kategorie. Marcel Boussac machte hinsichtlich der Hengste auch Ausnahmen und nutzte dabei die besten, die anderswo zu finden waren. Lord Derby, der selbst über eigene Spitzenbeschäler verfügte, schickte dennoch etwa die Hälfte seiner Stuten zu Spitzen-Vererbern, die anderswo standen, um durch sie die Blutströme seiner eigenen Herde aufzufrischen. Und auf diese Weise erhielt er Pferde wie Hyperion, Phalaris oder Swynford.