Kreation Vollblut – das Rennpferd eroberte die Welt (Band 1)

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Die Situation änderte sich jedoch, als Graf Lehndorf gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hochklassige Hengste aus England und Frankreich importierte, zu denen auch die beiden Franzosen Caius und Nuage (1907) zählten. Dieser stammte von dem St. Simon-Sohn Simonian, während Caius (Reverend) sieben Jahre älter und von Edmond Blanc gezogen war. Lehndorff importierte gleichzeitig auch qualitätsvolle Stuten wie Orsova (1888; Bend Or; Urgroßmutter von Oleander), Festa (1893; St. Simon), deren Kinder Anfang des 20. Jahrhunderts die deutschen Zuchtrennen beherrschten, oder Alveole (1889), die den Kisber-Sohn Crafton zum Vater hatte und Urgroßmutter von Alchimist (3x3 auf Ard Patrick ingezogen) wurde…

Zwischen den beiden Weltkriegen zeigte sich das Deutsche Vollblut erheblich verbessert. Derbysieger Sturmvogel schlug 1935 im Großen Preis von Berlin Frankreichs Admiral Drake, der im Vorjahr den Großen Preis von Paris gewonnen hatte, und 1936 bezwang Nereide, die deutsche Oaks- und Derbysiegerin, die große Französin Corrida im Braunen Band von München. Später im Jahr setzte sich Corrida im Prix de l’Arc de Triomphe durch und wiederholte diesen Sieg ein Jahr später.

1955 standen nur noch ca. 520 Stuten in westdeutschen Gestüten – etwa zwei Drittel von denen, die 100 Jahre früher gezählt worden waren – und rund 330 Fohlen. Zwanzig Jahre später registrierte das Gestütsbuch wieder 1.991 Zuchtstuten und 954 Fohlen, während 2015, als für 341 Flachrennen (sieben davon auf höchster Gruppen-Ebene) und 18 über Hindernisse 21,2 Millionen Euro Preisgeld verteilt werden konnten, 61 Stallions, 1.425 Zuchtstuten und 748 Fohlen in deutschen Gestüten standen.

Im 20. Jahrhundert entstanden aber auch neue Gestüte, von denen der von Walter J. Jacobs 1964 etablierter Fährhof, der deutschen Zucht gewaltig unter die Arme greifen sollte. Der erste deutsche Vollblüter, der in der absoluten internationalen Spitze wieder mitreden konnte, war jedoch der vom Gestüt Röttgen auf dessen irischer Dependance gezogene Appiani-Sohn Star Appeal, der 1975 als Fünfjähriger u. a. den Großen Preis von Mailand und die Eclipse Stakes in England gewann, als auch den ersten Sieg eines deutschen Pferdes im Prix de l’Arc de Triomphe feiern konnte. Fährhofs Surumu-Sohn Acatenango (1982) war, über Birkhahn, ein weiteres Bindeglied zwischen Dark Ronald und der Zukunft, und zu seinen sieben Siegen auf höchstem Gruppenlevel zählte auch der Grand Prix de Saint Cloud. Acatenango’s 1990 geborener Sohn, der Derby-Sieger Lando (Gestüt Hof Ittlingen) zeigte sich ebenfalls von bester Seite und gewann u. a. zweimal den Großen Preis von Baden-Baden, und in Italien den Großen Preis des Italienischen Jockey Clubs und den Grand Prix von Mailand. Sein Meisterstück machte er jedoch 1975 im Japan Cup, den er als erstes deutsches Pferd gewann.

Auch im dritten Jahrtausend zeigten deutsche Vollblüter, dass sie bei internationalen Großereignissen auf höchster Ebene wieder als Sieger mitreden können. So gewann der von Dietrich von Bötticher (Gestüt Ammerland / Starnberger See) gezogene Montjeu-Sohn Hurricane Run (2002), der die Surumu-Tochter Hold On zur Mutter hat, 2005 den Prix de l’Arc de Triomphe, doch war der Sieger im Irish Derby wenige Monate vorher an das irische Collmore-Syndikat verkauft worden, und in dessen Farben sicherte sich der Vierjährige auch noch die King Georg VI and Queen Elizabeth Stakes und den Tattersalls Gold Cup auf höchster Ebene. Damit war er 2005 das am höchsten eingeschätzte Rennpferd der Welt. Die von Peter Schiergen in Köln trainierte Lomitas-Tochter Danedream, 2008 vom Gestüt Brümmerhof gezogen, brillierte 2011 zunächst in Rekordzeit unter Andrasch Starke im „Arc“, dem wichtigsten Rennen der Welt, und ein Jahr später ebenfalls in den King George VI.and Queen Elizabeth Stakes, die auch der von Dr. Christoph Berglar 2009 gezogene Monsun-Sohn Novellist zu Ascot als Vierjähriger gewann. Der gleiche Besitzerzüchter durfte sich 2014 auch über den Erfolg mit Protectionist (Monsun) im weltberühmten Melbourne Cup (2016: 6,2 Millionen AU$) über zwei Meilen freuen, den vorher noch kein deutsches Pferd gewonnen hatte. Sein Vater, der im Gestüt Schlenderhan deckte, hatte bereits ein Jahr früher an Fiorente den Sieger gestellt, und komplettierte 2016 ein Melbourne Cup Tripel, als sein Sohn Almadin gewann. Gestüt Fährhofs Silvano (1996; Lomitas) setzte sich bereits 2001 in den zur Gruppe I zählenden Rennen Arlington Million (USA), Singapore Cup, Audemars Piguet QEII Cup (Hongkong) durch, und belegte in den amerikanischen Man O’War Stakes noch einen Ehrenplatz. Silvano wurde in Südafrika im Familiengestüt der Familie Jacobs ein erfolgreicher Beschäler; Danedream und Novellist wechselten für großes Geld in die Japanische Zucht.

Während die deutsche Vollblutzucht in der Lage ist, internationale Spitzenpferde zu produzieren, steht es um den heimischen Rennsport eher schlecht als recht. Flossen 2000 noch 120 Millionen Euro durch die Totokassen, so waren es 2015 nur noch dreißig, und die deutschen Medien, inklusive der „Öffentlich-Rechtlichen“ betrachten den Galopprennsport schon seit Jahrzehnten praktisch als nicht existent. Und das trägt dazu bei, dass bei den üblichen hohen Geboten aus dem Ausland das Beste verkauft wird, denn die Investitionen, die ein Züchter trägt, sind keine Kleinigkeit. Bei der geringen Popularität, die der Galopprennsport in Deutschland dank der Medien hat, sind aber kaum neue Sponsoren, noch höhere Totoumsätze und bessere Rennpreise zu erwarten, sodass sich einerseits der „Ausverkauf der Spitzenprodukte“ wohl fortsetzen wird, und die Möglichkeiten, auf den großen internationalen Auktionen bestes Zuchtmaterial zur Blutsauffrischung zu erwerben, weiterhin eingeschränkt und die Ausnahme bleiben, wenn es um das Beste geht. In der Besetzung der deutschen Gruppe-I-Rennen zeigt sich das ebenfalls. Was momentan auf höchster Ebene aus heimischen Trainingsquartieren gesattelt werden kann ist, bis auf die Ausnahme Protectionist, der jedoch australische Farben trägt, und 2017 in der deutschen Zucht debütiert, international gesehen, bestenfalls zweitklassig. Diese Situation unterstich auch der deutsche Hengst Iquitos im Japan Cup 2016. Er erreichte zwar einen achtbaren 7. Platz und erhielt fürs „Mitlaufen“ mit umgerechnet 175.350 Euro mehr als für seinen Sieg im Großen Preis von Baden-Baden, war jedoch chancenlos.

Da bleibt nur die Hoffnung auf den jüngsten Jahrgang und darauf, dass sich vielleicht der eine oder andere Dreijährige 2017 als Vierjähriger noch verbessern könnte. Ob das jedoch noch einigen deutschen Rennbahnen helfen wird zu überleben, oder ob deren Flächen bebaut werden, wie das derzeit in Frankfurt und Bremen angedacht ist und anderswo als Frage kursiert, bleibt abzuwarten. Passend dazu war auch die Meldung, dass am 22.11.2016 der französische Jockey Pierre Boudot zu Chantilly auf Firouzeh Peter Schiergens Europarekord von 273 Siegen in einer einzigen Rennsaison ausgelöscht, und an jenem Tag mit einer „Viererserie“ die vorerst neue Marke auf 276 schraubte. Und am Ende des Jahres 2016 stand der neue Rekord bei 300 Siegen. Damit ist auch die Marke von Sir Anthony McCoy übersprungen, der auf der Hindernisbahn 2001/2002 in einer Saison 290 Siege schaffte. Auf ein Kalenderjahr umgerechnet waren das 2002 sogar 307 erfolge. Den Saison-Weltrekord wird jedoch kein europäischer Jockey brechen, denn der steht bei 597 Siegen, die Kent Desormeaux 1989 in Nordamerika ritt.

Peter Schiergen, der 1995, als es in Deutschland noch 3.181 Rennen gab und mehr als 5.000 Pferde im Training waren, brauchte für seine 273 Saisonsiege damals 1.161 Ritte (Boudot für 276 Siege und 670 Plätze 1.193 starts), um Gordon Richards Rekord von 269 Erfolgen zu brechen. 1932 hatte der Engländer schon einmal 259 Siege geschafft, was bei den damaligen Transportmöglichkeiten schon mehr als erstaunlich war. Der gebürtige Tscheche Filip Minarik gewann 2016 sein drittes deutsches Jockey-Championat mit 66 Siegen bei 540 Starts, wobei seine Ritte 730.828 Euro verdienten.

Vergleicht man die Entwicklung der letzten zehn Jahre (2016 gegen 2007), so zeigt sich der Rückgang des deutschen Rennsports auf dem Grünen Rasen auch dort in fast allen Rubriken. Die Ausnahme sind die Rennpreise, die sich mit rund 13,8 Mio. Euro (gegenüber 14,4) stabilisierten, und den durchschnittlichen Rennpreis pro Rennen in diesem Zeitraum von 8.312 € auf 11.234 € ansteigen ließen. Geschuldet ist das in erster Linie der Tatsache, dass es 2016 59 Renntage und 510 Rennen weniger gab als 2007. Die Anzahl der im Training befindlichen Pferde sank von 3.174 auf 2.486, und der Wettumsatz um 21.8 Millionen auf 26.4 Millionen Euro. Auch die Zahlen für Zuchtstuten, Fohlengeburten, aktive Züchter und Besitzer zeigten einen erheblich negativen Trend, während der faszinierende Hindernissport mit ganzen 22 „Hammel-Rennen“ bereits am Ende angekommen ist. Gestiegen sind logischerweise die Starts deutscher Pferde im Ausland. 2.671 Versuche schlugen sich 2016 mit rund 7,1 Millionen Euro Gewinnsumme nieder (ein Plus von 0,8 Millionen), doch wird eine solche Marke ganz erheblich von den jeweils vorhandenen Spitzenpferden und gewonnen Gruppe-I-Rennen geprägt; 2016 gelang aber nur ein einziger Sieg auf dieser Ebene. Die schon lange diskutierte Strukturreform ist also dringend nötig.

In Australien gehörten Pferde nicht zum ursprünglichen Kontinent, sondern kamen mit den ersten Siedlern 1788 (ein Hengst und fünf Stuten) nach Australien. „Blutpferde“ trafen sieben Jahre später vom „Kap der Guten Hoffnung“ ein, und der erste englische Vollbluthengst, der diesen Weg ebenfalls nahm, hieß Rockingham (1790) und landete 1799. Seine Vaterschaft ist nicht gesichert, doch wird angenommen, dass er ein Sohn des von Highflyer stammenden, 1781 geborenen Rockingham war. Gepaart mit einer „Cape Mare“, die 1795 ebenfalls auf der Britannia – die entweder in Südafrika oder Indien gestartet war – in die neue Heimat reiste, zeugte der importierte Rockingham die Stute Cariboo Oka, The Rockingham Mare. Sie gründete die koloniale Familie 15, die die älteste Stutenlinie Australiens ist. Auch einige andere Stuten dieser Gründerzeit waren wahrscheinlich schon Vollblüter, doch standen ihre Pedigrees aus verschiedenen Gründen nicht zur Verfügung. 1802 folgten der Stallion Northumberland und eine Stute auf direktem Weg, und ein Jahr später war Hector der erste Araber, der diesen Kontinent betrat. Als erster Amerikaner soll der Hengst Washington eingetroffen sein, doch gibt es zu diesen Pferden keine gesicherten Pedigree-Angaben. Die erste Stute, die bereits im englischen General Stud Book mit dem Namen Manto (1817) registriert war und von Soothsayer stammte, wurde 1825 von einem Mr. Icely nach New South Wales eingeführt. Ehe jedoch ab 1830 mehrere Vollblüter auch zu Rennzwecken importiert wurden, waren auch der Whalebone-Sohn Peter Fin (1819), 4x3 auf Highflyer und Eclipse ingezogen, und 1826 die Stuten Cutty Spark und Spaewife ausgeladen worden, wobei der Hengst später in Tasmanien landete. Vor 1818 war auch schon die Gründerin der „Betty Familie“, Old Betty, durch den Colonisten D’Arsy Wentworth, einem Verwandten der bekannten englischen Züchterfamilie D’Arcy und Wentworth, auf diesen Kontinent gekommen. Und mehrere dieser „Colonialen Gründerstuten“, die sich selbst bewährt und frühe arabische Bluteinflüsse hatten, behielten auch ihre Lebenskraft bis in die modernen Tage der Vollblutzucht.

 

Einer der frühen Beschäler in Australien war der in England 1853 von Heron gezogene Fisherman, der der beste Steher seiner Zeit war und zwei Ascot Gold Cups, 26 Queen’s Plates und insgesamt siebzig von 121 Starts gewann. Für 3.000 Guineas wechselte der Hengst über Australiens Adelaide in Mr. Hurtle Fishers bekanntes Gestüt Maribyrnong in Victoria, wo er an seiner Tochter Sylvia (1864) eine Stute hinterließ, die drei Champions fohlte. Ihr von Musket stammender Sohn Martini Henry (1880) gewann das Victoria Derby, VRC St. Ledger und den Melbourne Cup; der 1870 geborene Goldsbrough (Firework) siegte im St. Ledger und wurde Championbeschäler. Der Dritte im Bunde war dessen Vollbruder Robin Hood (1872). Leider war Fishermann nach fünf Saisons schon tot, doch seine Söhne Angler und Maribyrnong, als auch sein Enkel Robinson Crusoe (Angler) waren in der Zucht erfolgreich.

Australiens größter Stammvater war Musket (1867), danach ging es mit Rennpferden wie seinem neuseeländischem Sohn Carbine (1885), dem berühmten Wallach Phar Lap (1926), Peter Pan (1929) oder dem ebenfalls in Neuseeland geborenem Tulloch (1954) zwar stetig aufwärts, doch fiel der australische Vollblut-Sport noch ziemlich lange in die Rubrik „Exotik“. Er vollzog sich „Down Under“, war ziemlich unbekannt, und der MELBOURNE CUP erreichte kurzfristige Aufmerksamkeit. In Deutschland änderte sich das wohl erst 1984, als der fünfjährige Nijinsky-Enkel Strawberry Road (Whiskey Road), der die Nasrullah-Urenkelin Giftisa (NZ) zur Mutter hatte, den Großen Preis von Baden-Baden gewann, nachdem er sich bereits im Oettingen-Rennen als Zweiter über die Meile angekündigt hatte. In der Heimat standen Erfolge wie AJC Derby, Queensland Derby, Rosehill Guineas, oder der „Arc de Triomphe der Südhalbkugel“, das Cox Plate, auf dem Konto des Hengstes. 1985 setzte er sich auch im Grand Prix de Saint Cloud durch, lief noch einige gute Rennen in den USA und ging 1987 auf der Brookside Farm in die Zucht. 1995 verabschiedete sich der 17-fache Sieger von dieser Welt.

1950 wurde der von Richard Ball in Irland gezogene Hyperion-Enkel Star King (1946; Star Dust) importiert, der in der neuen Heimat auf Star Kingdom umgetauft wurde. In Europa hatte der eher bescheidene Renner neun von 16 Starts zwischen 1.000 und 1.400 Meter und rund 12.000 Pfund gewonnen, doch als Vater stand er auf der anderen Globushälfte siebenmal bei den Zweijährigen, und fünfmal bei den Stallions an der Spitze.

Inzwischen ist Australien in Sachen Vollblut eher ein aufregender Kontinent, dessen Produkte als hart und gesund gelten, wobei das schnelle Element, Flieger und Meiler, einen großen Platz einnimmt. Dass der Rennsport wächst, zeigen nicht nur die Zuwachsraten bei den Auktionen, sondern auch die internationale Turf-Prominenz, die vor Ort erscheint, kauft oder verkauft. Und Australien, mit vielen großen und kleinen Besitzersyndikaten, weiß auch, wie gute Rennveranstaltungen vermarktet werden müssen, um aus ihnen große Partys und „Events“ zu machen.

Der größte Stammvater in der australischen Vollblutgeschichte wurde jedoch der 1867 in England vom Duke of Portland gezogene neunfache Sieger Musket (Toxophilite), der 1878 als Dreijähriger für 3.000 Guineas nach Neuseeland verschifft wurde, 1885 einging, eine Stockwell-Enkelin zur Mutter hatte und dreimal an der Spitze der Stallions stand.

Zu seinen vier Champions, die er hinterließ, zählte auch der 1885 geborenen Carbine, der u. a. auch in den Pedigreelinien von Pferden wie Phar Lap, War Admiral, Northern Dancer, Nearco, Star Kingdom oder Bold Ruler zu finden ist. Und dieser Neuseeländer, der 33 Rennen gewann, darunter die Cups zu Melbourne und Sydney, als auch zwei Australische Champion Stakes, war einer der ersten ganz großen Champions auf dem australischen Kontinent. In der Saison 1979/80 präsentierte sich an dem Bletchingly-Sohn Kingston Town (1976), der die Hyperion-Hengstlinie vertrat, aus der Ribot-Enkelin Ada Hunter gezogen war und mehr als 1,6 Millionen AU$ verdiente, ein Musterbeispiel eines „klassischen“ Pferdes, doch wies der dreißigfache Sieger dabei auch auf die Besonderheit im Australischen Rennsport hin, denn in den Klassiks dürfen auch Wallache starten. Das ist auch bei der amerikanischen Version der Fall, doch geht es dort über „Sand“ statt Gras, während in Europas klassischen Rennen nur Hengste und Stuten Zutritt haben, weil Wallache für die Zucht belanglos sind. Aber der Wallach, der dreimal das Cox Plate und elf weitere Gruppe-I-Rennen gewann, hatte genug Speed, um als Zweijähriger zu gewinnen und war, mit zusätzlicher Härte und Stamina ausgestattet, in der folgenden Saison ein brillanter Mitteldistanzler allerbester Qualität. Neben Carbine, Phar Lap, Bernborough, Tulloch und der ungeschlagenen Black Caviar gehört er zu den absoluten Größen, die jemals einen Fuß auf dem Fünften Kontinent auf eine Rennbahn setzten.


Musket (1867), der größte Vererber in der austral—asiatischen Zucht)

Doch nicht alle Größen entstammten der heimischen Zucht. So kamen die beiden Super-Ladies Sunline (1995) aus Neuseeland, und Makybe Diva (Desert King) hatte das Licht der Welt 1999 in England erblickt. Sie gewann ab 2003 den Melbourne Cup dreimal in Folge; den Australian- und Sydney Cup, die BMW Stakes, das Cox Plate und insgesamt 15 Rennen und 14,5 Millionen Australische Dollar. Sunline, die von dem Danzig-Enkel Desert Sun stammte, ihr vorausging und 32 von 48 Starts gewann, darunter 16 auf höchster Gruppenebene, war zu ihrer Zeit mit 11,4 Millionen A$ der beste Verdiener. Dreimal wurde sie in Australien zum „Pferd des Jahres“ gewählt, und einmal mehr holte sie den Titel auch in ihrer Heimat.

Mit 28.433 registrierten Zuchtstuten und 13.420 Fohlen hatte Australien 1978 nach den USA die zweitgrößte Vollblut-Population der Welt. Das war, nach der Statistik der International Federation of Horseracing auch 2014 mit 26.328 Stuten und 17.422 Fohlen noch so (47.323 / 26.723 USA), und in der Saison 2014/15, als sich etwa 36.700 Flach- und Hindernis-Rennpferde in mehr als 19.500 Rennen bei 2.634 Meetings um rund 400 Millionen Euro Preisgeld bewarben, wurden 19.282 Stuten gedeckt, für die 655 Hengste zur Auswahl standen. Zu den 76.767 Besitzern gehörten auch 4.915 Syndikate mit 26.655 Mitgliedern. Auf den Auktionen kosteten die Jährlinge 2014/15 im Durchschnitt rund 82.000, Zuchtstuten etwa 61.000 Dollar. Von den etwa 450 Millionen Auktionsumsatz kamen mehr als 111 Millionen vom Inglis Easter Yearling-Sale, der mit 2,2 Millionen auch den teuersten Jährling zuschlug. Für mehr als 100 Millionen wurden auch auf der Magic Million Gold Coast-Auktion Jährlinge verkauft, wobei der Höchstpreis mit 1,3 Millionen etwas günstiger zu haben war. Von den im gleichen Zeitraum 1.680 exportierten Vollblütern hatten 602 Neuseeland, 195 Singapur, 174 Hongkong und 12 weniger Südafrika als Ziel-Destination. Die meisten Fohlen wurden 2005/6 mit 18.758 geboren, und 1987/88 standen noch 18.439 Rennpferde zur Verfügung.

Obwohl Australien nur über etwa 85% der Landfläche der USA verfügt, erhebliche Landesteile, wie das Outback, für die Vollblutzucht völlig entfallen, und die Einwohnerzahl nur ca. 7% der amerikanischen Bevölkerung entspricht, ist die Anzahl der Vollblüter gewaltig. Gezüchtet wird in allen sieben Staaten, doch führt New South Wales mit etwa 40% und seinem Hunter River Valley vor Victoria (etwa 20%), Queensland und West-Australien, und 200 bis 300 Stuten stehen auch in Tasmanien. Von den 2014/15 gelaufenen 326 Gruppenrennen (72 davon Gruppe I) gingen 2014/15 37 in den Stall von Trainer Chris Waller, 23 an die Trainerin Gay Waterhouse. Für die gesamten Black Type Rennen standen damals mehr als 148 Millionen Australische Dollars zur Verfügung, wobei rund 30 Millionen auf Listenrennen fielen. Die meisten Sieger jener Saison ritt mit 146 Blake Shin. Zwei weniger waren es bei James McConald, der aber insgesamt mit 13.3 Millionen rund 2.5 Millionen mehr zusammengaloppierte als sein Kollege. 2016 gab der 24-jährige Doppel-Champion, der bisher 34 Gruppe-I-Siege erzielte, ein hoch erfolgreiches Gastspiel in England. Im Herbst kassierte der in Neuseeland geborene Reiter in Australien jedoch 18 Monaten Lizenzentzug, weil er auf das von ihm gerittene siegreiche Pferd über einen Dritten gewettet hatte. Und das ist in Australien, im Gegensatz zu Neuseeland, verboten.

2016 gewann mit Almandin bereits der dritte Sieger, der den großen Schlenderhaner Stallion Monsun (1990; Königsstuhl) zum Vater hatte, den mit mehr als sechs Millionen AU$ ausgestatteten Melbourne Cup, der das größte Rennen in „Down-Under“ ist, und eine ganze Nation zum Stillstand bringt. Und auf dem Ehrenplatz, nach langem Kampf um einen Kopf geschlagen, endete der 2010 in Frankreich gezogene Heartbreak City, den der Acatenango-Sohn und Japan Cup-Sieger Lando (1990) zeugte, der auf dem Gestüt Hof Ittlingen gefohlt wurde.

Der Sieger von 2011, Dunaden (Nicobar), der in französischen Farben siegte, war zwar vorher auch einige Zeit in Deutschland im Training, doch der erste Monsun-Sohn, der das große Rennen 2013 zu Melbourne gewann, Fiorente, wurde 2008 nicht in der Heimat seines Vaters, sondern vom irischen Ballymacoll Stud gezogen. Erst der nächste Triumphator, der von 2014, Protectionist (2010), war ein Monsun-Hengst aus der deutschen Zucht von Dr. Christoph Berglar, und diesen ritt der englischen Spitzen-Jockey Ryan Moore auf der Flemington-Bahn in Melbourne zum Erfolg. Almandin (2010) knüpfte die Bande dann noch enger, denn er erblickte auch in dem Gestüt das Licht der Welt, wo sein großer Vater stand, im ältesten deutschen Privatgestüt Schlenderhan. 2015 hatte Michelle Payne auf Prince Of Penzance als erste Dame im Sattel das „teuerste“ Handicap der Welt über 3.200 Meter gewonnen, und 2016 war ihr Schwager, Kerrin McEvoy, der Steuermann von Almandin.

Neuseeland ist, ähnlich wie Irland, von Klima, Bodenverhältnissen, Sonne, ausreichendem Regen und fehlender extremer Temperatur-Unterschiede begünstigt und daher, wie auf der Grünen Insel im Norden, eine perfekte Umgebung für die Vollblutzucht, als auch Lieferant für den größeren Nachbar. Aufgezogen werden die Pferde fast ausschließlich im Freien. Als Hauptzentren der Zucht gelten die Regionen Aukland, Wanganui, Manawatu Plains und das Waikato Valley auf der Nordinsel, während im Süden die Canterbury Plains zu nennen sind. Die ersten Pferde kamen aus Australien und von Tasmanien, doch als englische Siedler im Januar 1840 gelandet waren, dauerte es nicht mehr lange, bis das ersten „Rennen“ an einem Strand in Wellington Harbour veranstaltet wurde, um den ersten Jahrestag der Ankunft zu feiern.

In den Jahren 1840-1850 wurden viele Pferde aus New South Wales importiert, doch gilt als erster Vollblüter, der direkt von England nach Neuseeland verladen wurde, die Stute Lucy Banks (Elis), die 1858 bereits 19 Jahre alt war. In dieser Zeit folgten auch drei Pferde, die von Melbourne (1834) stammten, der u. a. auch Vater von Englands erstem Triple Crown-Sieger West Australian (1850) war, als auch von Sir Tatton Sykes. Dieser gewann 1846 die 2000 Guineas, das St. Ledger und war im Derby auf dem Ehrenplatz. Der Nachwelt blieb erhalten, dass der Hengst auch das Derby hätten gewinnen müssen, doch war sein Besitzer Mr.Bill Scott, der ihn auch ritt, bereits am Ende einer langen und großen Reiterkarriere. Völlig entkräftet war er nicht mehr in der Lage, sein Pferd im Endkampf zu unterstützen und musste sich mit einem Hals Pyrrhus The First (Epirus) unter Sam Day mit einem Hals beugen. Obwohl Scott, dessen eiserne Kondition verbraucht war, auch auf den letzten 400 Metern im St. Ledger im September völlig ausgepumpt und nur noch „Passagier im Sattel“ war, gewann sein Pferd leicht. Für seinen Reiter war es der neunte Triumph im ältesten Klassiker der Welt, als auch sein letzter. Gekauft hatte Scott den Hengst als Tibthorpe für 100 Pfund von dem reitenden Farmer Mr. Hudson, und den Rest der Kaufsummer erst nach dem Sieg in den 2000 Guineas bezahlen können. Vorher hatte er aber längst festgestellt, dass seine Neuerwerbung eine sehr gute war und Tibthorpe nach seinem „Lehrmeister“ umbenannt.

 

Beim Aufgalopp zum Derby, so der damalige Chronist, soll Scott ziemlich betrunken gewesen sein, argumentierte mit dem Starter, der ihn zur Ordnung gerufen hatte, und kam verspätet ab. Die verlorenen Längen holte der Reiter schnell auf, ging 400 Meter vor dem Ziel an die Spitze, und sein Pferd wie der Sieger. Aber ohne die führende Hand seines restlos erschöpften Reiters driftete der Hengst von den Rails immer weiter über die Bahn zur Gegenseite. Sam Day erkannte seine Chance, zog auf Pyrrhus The First an den Rails alle Register und sicherte sich in den letzten zwei Galoppsprüngen den Derbysieg. Damit war auch die erste mögliche Tripple Crown verschenkt, denn das St. Ledger gewann der Derbyzweite locker. Bill Scotts Körper war jedoch am Ende, und der Reiter zwei Jahre später tot.

Melbournes anderer Crack war die Stute Blink Bonny, die 1857 mit Sir Charles Bunbbury’s Stute Eleanor gleichzog und die Oaks und das Derby gewann. 1862 war Blink Bonny bereits im Pferdehimmel, und ihren Ruhm als Zuchtstute sicherte ihr von Stockwell stammender Sohn und Derbysieger von 1864, Blair Atholl, der am Derbytag erstmals eine Rennbahn betrat. Nach dem achten Fehlstart kam er jedoch sehr schlecht ab, erhielt von seinem Jockey aber alle Zeit, die verlorenen Längen aufzuholen. Als Jim Snowden jedoch weit in der Geraden zu Werke ging, war der große Fuchs zur Stelle und siegte mit zwei Längen. Dieses Derby war auch das letzte, in dem der Besitzer des Siegers der Epsom-Polizei deren Kosten bezahlen musste, als auch die Auslagen für den Zielrichter.

Mit dem Import dieser drei Melbourne-Nachkommen zeigte Neuseeland, dass man bereits sehr früh auf Qualität achtete. 1862 kam der fünfjährige Traducer (The Libel) ins Land, der nur ein kleines 1.200 Meter-Rennen gewonnen und einen gefährlichen Charakter hatte wie sein Vater. Dieser stand 1857 im berühmten Sedmere Stud von Sir Tatton Sykes in Yorkshire für 10 Guineas und zeugte dort auch The Lawyer (1858), einen Viermeiler, der in England und Irland 30 Rennen gewann, darunter die Railway- und Wolverhampton-Stakes und 15 Queen Plates. Später wurde er ein bekannter Vererber in der Hinderniszucht und zeugte als solcher auch den Grand National-Sieger von 1881, Woodbrook, der von dem Amateur T. Beasley geritten wurde. Dieser war ein routinierter Reiter, der bereits ein Jahr früher mit Empress gewonnen hatte, nachdem ihm 1878 und 1879 mit Martha schon ein zweiter und dritter Platz gelungen war. Nach den beiden Siegen gab es 1882 auf Cyrus einen weiteren Ehrenplatz, ehe ihm zwölf Monate mit Zitella noch ein vierter Rang in diesem schweren Rennen gelang.

Traducer, der wegen seiner Wildheit in Neuseeland siebenmal den Besitzer gewechselt haben soll und aus einer Tochter des St. Ledger-Siegers Elis stammte, wurde in der neuen Heimat Vater der beste Steher, die die Insel am Ende der Welt im 19. Jahrhundert hervorbrachte. Er zeugte u. a. acht Sieger des Canterbury Cups (3.600 m); fünf in einem Zwei-Meilen-Rennen, das später zum Neuseeland Cup wurde, und neun Sieger im Canterbury Derby, das damals über 3.200 Meter führte und später in Neuseeland Derby umfirmierte, das heute auf der Rennbahn Ellerslie in Aukland auf der Nordinsel über 2.400 Meter entschieden wird.

Der wichtigste Import der frühen Jahre war jedoch die 1854 aus Australien eingeführte Rous Emigrant-Tochter Flora McIvor (1828), die Manto zur Großmutter hatte. Trotz ihres hohen Alters – sie starb mit 33 – fohlte sie nach Australians großem Beschäler Sir Hercules (1843; Cap-A-Pie), der fünf Deckzeiten auf der kleineren Insel verbrachte, noch zwei weitere, sehr einflussreiche Sir Herculess-Töchter: 1855 Io, die Urgroßmutter des Musket-Sohnes Trenton (1881), der in Australien zwei Hengst-Championate gewann, und die 1857 geborene Waimea. Diese wurde u. a. die sechste Mutter von Nightmarch, der von dem Bend Or-Enkel Night Raid stammte, 24 von 69 Starts gewann und 29 Plätze belegte. Zu seinen großen Siegen zählten das New Zealand Derby, der Melbourne Cup, das Cox Plate, Epsom Handicap, die Canterbury- und New Zealand Cups und der Awapuni Gold Cup. Und in der Zucht zählte er zu den besten Eigengewächsen seiner Zeit. Waimea wurde auch Vorfahrin von Scorn (1896), die zu ihrer Zeit zu den allerbesten Rennstuten zählte.

Pioniere der heimischen Zucht waren Männer wie George Gatenby Stead oder Mr. Redwood, denen andere eifrig folgten, sodass „die Kiwis“ schon vor dem Ende des 19. Jahrhunderts erfolgreich in die wertvollen Rennen beim großen Nachbarn eingreifen konnten. Im Laufe der Jahre wurde die Zucht selektiver, das neuseeländische Rennpferd besser, die Champions vertraten bald Weltklasse-Niveau, und in den späten 1970er Jahren lebten „am schönsten Ende der Welt“ rund 10.000 Zuchtstuten. Da aber in Neuseeland, wie auch in Australien, auch Halbblüter in Rennen laufen schätzt man, dass etwa 7% keine echten Vollblüter waren. 1994/95 waren noch 8.687 Zuchtstuten aktiv, und an Fohlen wurden mehr als 5.260 registriert, während in der Saison 2014/15 nur noch etwa 5.300 Stuten gedeckt wurden, für die 132 Hengste zur Auswahl standen. Die zu erwartenden Fohlen schätzte man auf rund 3.550.

Die höchste Zahl an Beschälern wurde im vorletzten Jahrzehnt des Zwanzigsten Jahrhunderts mit 268 registriert, und 2013/14 standen für 235 Rennmeetings mit 2.875 Rennen 5.382 Galopper zur Verfügung. Betreut wurden diese von 353 Trainern, die auf 119 lizenzierte Jockeys (ohne Lehrlinge) zurückgreifen konnten. Die Gesamtpreissumme betrug 50,7 Millionen NZ$, und der Gesamtwettumsatz auf Pferderennen erreichte 421 Millionen. Gegenüber 1997/98 waren das 90 Millionen weniger. Und 1994/95 wurden noch rund 3.300 Stuten mehr gedeckt als 2014/15. Damals grasten auch auf den Gestütskoppeln insgesamt 5.264 Fohlen, und für die 3.254 Rennen waren nach der NZ-Statistik noch 6.426 Rennpferde im Training.

Das ganz große Flachrenn-Meeting findet Anfang März zu Ellerslie statt, wenn das mit 750.000 NZ$ ausgestattete BMW New Zealand Derby, gleichzeitig das „teuerste“ Rennen des Landes, während der „Aukland Cup-Woche“ mit Partys, Musik und Mode die Krone aufsetzt. Als weitere Highlights gelten der Aukland Cup (500.000 NZ$), die Diamond- und New Zealand Stakes, die mit jeweils 200.000 NZ$ bestückt sind und ebenfalls höchsten Gruppenstatus tragen. Am Saison-Ende, wenn Vier- und Zweibeiner geehrt und 20 wunderschöne Bronze-Trophäen bei den „Thoroughbred Horse of the Year Awards“ an die Sieger vergeben werden, herrscht festliche Stimmung, und alles, was im Land Rang und Namen hat, ist zur Stelle.