Das Geheimnis der Botigo Bay

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Das Geheimnis der Botigo Bay
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Cristina Alandro

Das Geheimnis der Botigo Bay

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Klappentext

Teil 1

Teil 1.1

Teil 1.2

Teil 1.3

Teil 2

Teil 2.1

Teil 2.2

Teil 2.3

Teil 2.4

Teil 2.5

Teil 2.6

Teil 2.7

Teil 2.8

Teil 2.9

Teil 3

Epilog

Impressum neobooks

Klappentext

Liam Moore war reich, gutaussehend und der Schwarm aller Frauen. Und er war ein Pirat. Verwegen und von seinen Feinden gefürchtet. Doch dann zwang ihn die spanische Krone in ihre Dienste zu treten um fortan in ihrem Auftrag als Freibeuter zur See zu fahren. Seine Mission war jedoch beinahe beendet. Nur noch einen letzten Auftrag sollte er für die Spanier ausführen, dann wäre er frei. Aber dieser letzte Auftrag sollte ihm weit mehr abverlangen als jeder andere zuvor.

Kurz bevor Liam Jamaica verlassen musste traf er auf Nyah Landon. Die geheimnisvolle Schöne verzauberte ihn in dem Moment, als er sie zum ersten Mal sah. Er war ihr völlig verfallen. Vom ersten Augenblick an bestand ein besonderes Band zwischen ihnen. Ihre Schicksale schienen auf merkwürdige Weise mit einander verbunden zu sein. Doch schon kurze Zeit später trennten sich ihre Wege wieder, als Nyah die Insel verlassen musste. Es schien, als sollten sich die Liebenden niemals wiedersehen.

Für beide brach eine Welt zusammen. Nichts war mehr wie zuvor. Doch Nyah hütete ein Geheimnis, das Liam niemals entdecken durfte. Sonst würden sie beide in großer Gefahr schweben.

War ihre Liebe stark genug ihrem scheinbar unausweichlichen Schicksal zu trotzen?

Teil 1

Angst ist was uns tapfer macht. Wahrer Mut liegt im überwinden der Angst. (Zitat)

In gemütlichem Schritt ritten die beiden Brüder den sandigen Pfad entlang, der sie zwischen sanften Dünen hindurch in Richtung Meer führte. Die helle Sonne schien ihnen warm ins Gesicht und sie genossen die Ruhe abseits des geschäftigen Treibens der Stadt. Kurze Zeit später verließen sie den Pfad und ritten eine flach ansteigende Düne hinauf. Als sie den Kamm der Düne erreichten hielten sie ihre Pferde nebeneinander an. Vor ihnen tauchte das glitzernde Meer auf und die steil abfallende Düne mündete in einen breiten, weißsandigen Strand. Links von ihnen schien sich der Strand schier endlos auszudehnen und verlief in einem sanften Bogen an der weitläufigen Bucht entlang. Folgte man dem Strand nach rechts in südlicher Richtung, so verschwand die Sandbank ein Stück weit im Wasser und war beidseitig von der karibischen See umgeben, bevor man einen weiteren feinsandigen Strand erreichte, der von dichtem tropischem Wald gesäumt wurde.

Liam ließ seinen Blick den Strand entlang gleiten und genoss diesen herrlichen Ausblick, an dem er sich nicht sattsehen konnte. Sein Bruder Alex hingegen hatte seine Augen geschlossen und lauschte dem sanften Wind, der über den Sand wehte, und dem Wasser, das in seichten Wellen an den Strand gespült wurde. Hier, an diesem schönen, friedvollen Ort, schien die Zeit stillzustehen und es gelang ihnen, sich vollständig zu entspannen. Auch ihre Pferde, denen sie die langen Zügel locker auf den Hals gelegt hatten, standen entspannt und völlig ruhig nebeneinander. Schließlich schloss auch Liam die Augen und reckte sein Gesicht der Sonne entgegen, um die Wärme auf seiner Haut zu genießen. Erst ein plötzlicher Luftzug ließ ihn seine Augen wieder öffnen, während sein Bruder noch immer reglos im Sattel saß, so als wäre er eingeschlafen. Sein Anblick ließ Liam voller Zuneigung lächeln. Wie oft hatte er seinen Zwillingsbruder schon in dieser völlig in sich gekehrten Haltung gesehen. Im Gegensatz zu ihm selbst gelang es Alex wenn er wollte, alles um sich herum zu vergessen, während Liam sogar in völlig entspanntem Zustand wachsam blieb und zumindest ein Teil von ihm aufmerksam seine Umgebung beobachtete. Das hatte ihn das Leben gelehrt. Dennoch wäre er froh, manchmal alles um sich herum vergessen zu können, so wie Alex in diesem Augenblick.

Dann nahm Liam jedoch im Augenwinkel eine Bewegung wahr und wandte seinen Blick abrupt von seinem Bruder ab. Als er sich in Richtung Strand wandte sog er überrascht die Luft ein, woraufhin auch Alex aufschaute.

„Was ist?“, fragte er ebenfalls überrascht.

„Sieh mal“, antwortete Liam und deutete mit einem Nicken zum Strand hinunter. Alex folgte seinem Blick.

„Oh“, entfuhr es ihm.

Wie gebannt schauten die beiden Brüder auf den weißen Strand hinab und beobachteten die beiden Pferde, die in raschem Tempo am Wasser entlang galoppierten. Als sie näher kamen erkannte Liam, dass es sich um einen Schimmel und einen Rappen handelte. Mit wehenden Mähnen stoben die Pferde nebeneinander her. Viel schneller als Liam zunächst aus der Entfernung vermutet hatte. Außerdem sah er nun auch, dass nur auf dem Schimmel ein Reiter saß. Der tief schwarz glänzende Rappe galoppierte reiter- und sattellos neben ihm her. Als die beiden fremden Pferde beinahe auf gleicher Höhe mit ihnen waren stellte Liam fest, dass es sich bei dem Reiter um eine Frau handelte und der Rappe völlig frei war und nun wild mit dem Kopf schlug. Liam wusste nicht ob er erschrocken oder fasziniert sein sollte, doch in jedem Fall war es ein beeindruckender Anblick der sich ihm bot. Jedoch war er sich nicht sicher ob die Reiterin möglicherweise die Kontrolle verloren hatte, obwohl sie eigentlich einen ruhigen, souveränen Eindruck machte. Daher folgte er einem plötzlichen Impuls, nahm rasch die Zügel seines Pferdes auf und trieb es an. Seinen Bruder vergaß er dabei völlig und Alex sah ihm verwundert hinterher als Liam die Düne hinunter galoppierte und dabei eine Wolke aus feinem Sand aufwirbelte. Im ersten Moment fragte Alex sich, was in seinen Bruder gefahren war, obwohl er wusste dass Liam oft impulsiv, wenn auch selten unüberlegt handelte. Doch dann zuckte er flüchtig mit den Schultern und folgte Liam.

Als Liam die Düne hinter sich gelassen und den Strand erreicht hatte trieb er seinen dunkelbraunen Hengst an und stob den beiden anderen Pferden in gestrecktem Galopp hinterher. Die Reiterin hatte bereits das scheinbare Ende des Strands erreicht und die Pferde galoppierten nun unvermindert schnell durch das seichte Wasser über die Sandbank. Das Wasser spritzte glitzernd um sie herum auf und die Sonne brach sich schillernd in den einzelnen Tropfen. Sie hatten schon fast den gegenüberliegenden Strand erreicht als auch Liam sein Pferd durch das Wasser trieb. Plötzlich fiel ihm auf dass der Rappe ein Stück zurückfiel und auch der Schimmel sein Tempo verlangsamte, bis er schließlich ganz zum Stehen kam und die Reiterin ihn wendete. Der Rappe hatte schon ein gutes Stück früher angehalten und sich umgewandt. Mit hoch erhobenem Kopf und gespitzten Ohren sah er Liam nun entgegen. Während Liam näher kam begann der Rappe erneut, wild, beinahe drohend, mit dem Kopf zu schlagen und stieg immer wieder ein kleines Stück. Noch bevor Liam den Strand erreichte hielt er sein Pferde im Wasser an und beobachtete die Szene vor sich wie gebannt. Der Schimmel stand ganz still und wartete auf weitere Kommandos seiner Reiterin. Die junge Frau, deren Schultern von langen, glänzenden dunkelbraunen Haaren umweht wurden, saß völlig reglos im Sattel und sah zu Liam herüber. Auch Liam fixierte sie gebannt und für einen Augenblick schien die Zeit stillzustehen. Selbst auf diese Entfernung erkannte Liam wie atemberaubend schön sie war und konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden. Dann nahm er jedoch eine Bewegung wahr und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Rappen – einen temperamentvollen und äußerst eleganten Hengst, wie er jetzt sah – der mit drohend angelegten Ohren langsam auf ihn zukam. So etwas hatte Liam noch nie gesehen. Fasziniert beobachtete er den Rapphengst. Es sah beinahe so aus als wollte er den Schimmel und damit dessen Reiterin schützen, denn seine Haltung machte deutlich, dass er Liam keinesfalls passieren lassen und notfalls angreifen würde. Dies erschien Liam jedoch ganz und gar außergewöhnlich. Erst auf ein kaum merkbares Zeichen der jungen Frau hin hielt der Hengst inne. Einen Moment lang beobachtete er Liam noch argwöhnisch und mit blitzenden Augen, dann machte er kehrt und trabte auf den Schimmel – ebenfalls ein edler Hengst mit langer Mähne und dichtem Schweif – zu und gleich darauf wendete die Reiterin auch den Schimmel und stob in gestrecktem Galopp mit beiden Pferden davon. Zuvor warf sie Liam jedoch noch einen letzten Blick zu. Und schon in diesem Augenblick wusste Liam dass ihn diese Augen nicht so schnell wieder loslassen würden.

 

Er sah ihr noch eine Weile nach, erst dann wendete er ebenfalls sein Pferd und ritt durch das Wasser zurück bis an den Strand, wo Alex auf ihn wartete. Den fragenden Blick seines Bruders beantwortete Liam nur mit einem kurzen Kopfschütteln. Er wollte jetzt nicht darüber sprechen. Zuerst musste er seine tobenden Gedanken wieder zur Ruhe bringen. Was da gerade geschehen war, war völlig außergewöhnlich und würde ihn noch eine Weile beschäftigen. Noch konnte er nicht ahnen, wie lange.

Nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander her geritten waren und wieder zurück in Richtung Stadt ritten hielt Liam sein Pferd plötzlich an, woraufhin Alex ihn erneut fragend ansah. Sein Bruder war auf einmal völlig verändert und es sah Liam eigentlich gar nicht ähnlich, solch ein Geheimnis aus seinen Gedanken zu machen. Normalerweise hatten die beiden Brüder keine Geheimnisse vor einander. Doch irgendetwas hatte das Ereignis am Strand in ihm ausgelöst. Noch überraschter war Alex als Liam ihn bat, schon mal alleine in die Stadt zurückzureiten, während er selbst noch ein Stück weiterreiten wollte. Er wollte eine Weile alleine sein.

„In Ordnung“, erwiderte Alex nur und Liam war erleichtert, dass sein Bruder keine Fragen stellte.

Dann trennten sich ihre Wege und Liam ritt noch einmal zum Strand zurück. Er schlug diesen Weg wie von alleine ein, ohne dass er sich bewusst dazu entschieden hätte, noch einmal dorthin zurückzukehren. Als er das Meer erreichte stieg er vom Pferd und band seinen Hengst lose am Stamm einer Palme an. Dann ging er durch den weißen Sand bis ans Wasser vor. Dabei ließ er seinen Blick unwillkürlich den Strand entlang schweifen, doch es war niemand zu sehen. Natürlich war sie nirgends zu sehen. Hatte er das wirklich erwartet? Ein Teil von ihm hatte es sich gewünscht, wie Liam sich eingestehen musste. Dabei vermochte er nicht zu sagen, warum. Doch irgendetwas an dieser Frau hatte ihn derart fasziniert dass sie ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen wollte.

Liam verharrte noch eine Weile reglos und mit geschlossenen Augen und lauschte den seichten Wellen. Dann kam auf einmal Wind auf und binnen kurzer Zeit wurde die Sonne von dichten Wolken verdunkelt. Eigentlich ungewöhnlich für diese Jahreszeit, dachte Liam. War dies ein schlechtes Omen? Doch dann schüttelte er energisch den Kopf und ging zügig zu seinem Pferd zurück. Als er im Sattel saß trieb er den Hengst zu einem leichten Trab an. Zunächst ritt er noch ein Stück am Strand entlang, dann wandte er sich in Richtung Stadt, sodass ihn sein Weg schon wenig später durch tropischen Wald weiterführte. Am frühen Nachmittag erreichte er das geräumige Stadthaus, das er zusammen mit seinem Bruder bewohnte.

Nachdem er sein Pferd in den Stall hinter dem Haus gebracht und versorgt hatte betrat Liam das Haus. Trotz der Wärme draußen war es im Haus angenehm kühl. Obwohl Liam die Wärme nichts ausmachte war er dennoch froh darüber und er freute sich bereits auf einen kühlen, erfrischenden Drink. Im Salon traf er auf Alex, der ihn erleichtert begrüßte.

„Da bist du ja endlich.“

Mit raschen Schritten und zwei Drinks in den Händen trat Alex auf Liam zu.

„Das ist genau das, was ich jetzt brauche“, sagte Liam mit einem dankbaren Lächeln, als er Alex das gutgefüllte Glas aus der Hand nahm. Dann wurde er wieder ernst.

„Es tut mir leid, dass ich vorhin am Strand so durcheinander war und dich voraus geschickt habe. Aber ich musste eine Weile alleine sein um meinen Kopf wieder frei zu bekommen.“

„Ist schon in Ordnung“, erwiderte Alex mit einem verschmitzten Lächeln. „Ist es dir denn gelungen? Den Kopf frei zu bekommen, meine ich?“

Liam zögerte einen Moment bevor er antwortete.

„Nein, nicht so richtig“, gestand er.

„Nun, sie hat es dir ja ganz schön angetan“, antwortete Alex nachdenklich. Verwundert sah er seinen Bruder an.

„Ja, scheinbar“, entgegnete Liam. „Ich verstehe das gar nicht. Ich habe sie doch nur ganz kurz und von weitem gesehen.“

Hilfesuchend sah er seinen Bruder an. Alex zuckte jedoch nur mit den Schultern. Er wunderte sich auch, nahm das Ganze aber nicht so ernst wie Liam.

Dann fuhr Liam langsam fort.

„So etwas ist mir noch nie passiert. Aber ich muss gestehen dass sie mich tief beeindruckt hat. Irgendetwas an ihr hat mich fasziniert. Selbst auf die große Entfernung, die zwischen uns bestanden hat. Und ich glaube nicht, dass es alleine ihre Schönheit war. Und schön war sie unbestreitbar.“

Ebenfalls nachdenklich schüttelte Liam seinen Kopf. Mitfühlend legte Alex ihm eine Hand auf den Arm.

„Liam, du weißt aber schon, dass du sie dir besser gleich wieder aus dem Kopf schlägst, nicht wahr? Du weißt nichts über sie und wirst sie vermutlich nie wieder sehen. – Außerdem haben wir jetzt wirklich Wichtigeres, worum wir uns kümmern müssen.“

Liam wusste dass sein Bruder Recht hatte. Sie hatten in der Tat Wichtigeres zu tun. Vor allem ihr bevorstehender Besuch beim Gouverneur am nächsten Tag bereitete ihm Kopfzerbrechen. Und es war eigentlich nicht seine Art, wegen einer Frau derart durcheinander zu sein. Sein Bruder hatte ihn schon oft als Frauenheld bezeichnet um ihn zu necken. Das stimmte insofern als dass Liam jede Frau haben konnte, wenn er wollte. Und in der Vergangenheit hatte er diese Tatsache auch, ohne sich viele Gedanken zu machen, ausgenutzt. Doch in letzter Zeit nicht mehr. Damit war es schon seit Längerem vorbei. Liam hatte gemerkt dass er mehr wollte. Er hatte in seinem Leben schon viele Frauen gehabt, doch keine von ihnen hatte jemals sein Herz berührt. Keine. Niemals. Dabei war es gerade das, was er sich wünschte. Doch die eine, richtige war nie dabei gewesen. Und Liam hatte sich geschworen dass er sich nie wieder mit weniger zufrieden geben würde. Jedoch war es nicht einfach, diese eine Frau zu finden. Und er hatte sich mehr als einmal gefragt, ob es sie überhaupt gab. Ob er nicht nur irgendeinem Phantom hinterher jagte.

Als er einmal mit Alex darüber gesprochen hatte, hatte dieser nachdenklich die Stirn gerunzelt. Schließlich hatte er Liam jedoch Recht gegeben. Es war in der Tat nicht einfach, die Liebe zu finden. Wie sehr Liam seinen Bruder manchmal darum beneidete, die Frau seines Herzens gefunden zu haben. Und Elena war in der Tat ganz bezaubernd. Liam freute sich aufrichtig für seinen Bruder, wenngleich er sich dasselbe Glück auch für sich selbst wünschte. So sehr wünschte. Dabei würde ihm das niemand zutrauen, der ihn nicht wirklich gut kannte. Und wirklich gut kannte ihn nur sein Bruder. Nur Alex konnte seine wahren Gefühle erkennen. Wenngleich Alex seinen Bruder oft damit aufzog, dass er wohl einfach zu anspruchsvoll war, wusste er doch, dass Liam sich schmerzlich danach sehnte, endlich die eine Frau zu finden auf die er schon so lange wartete. Dabei war kaum vorstellbar, dass es ihm so schwer fallen sollte, eine Frau zu finden. Liam sah blendend aus, konnte sehr charmant sein und hätte jeder Frau ein komfortables, mehr als gutes Leben bieten können. Dennoch war er bislang alleine geblieben.

Natürlich, Alex‘ und Liams Lebenswandel machte eine Beziehung oft schwierig. Sie waren häufig und oft lange fort von zu Hause. Aber dennoch war es nicht unmöglich, wie man an Elena und Alex sah. Ihre Liebe würde alles überstehen. Und inzwischen begleitete Elena ihren Mann sogar auf manche seiner Reisen, wenn es nicht zu gefährlich war. Doch das war es meistens.

Nun waren Liam und Alex jedoch guter Dinge, dass es damit bald vorbei sein würde. Sie wollten sich zur Ruhe setzen. Obwohl sie noch sehr jung waren hatten sie es bereits zu einem beträchtlichen Vermögen gebracht, das ihnen von nun an ein ruhiges, schönes Leben ermöglichen sollte. Doch diese Entscheidung hing bedauerlicher Weise nicht von ihnen alleine ab. Das letzte Wort in dieser Angelegenheit hatte der Gouverneur und sie waren letztendlich auf sein Wohlwollen angewiesen. Eine Tatsache, die Liam und Alex zutiefst widerstrebte, an der sie jedoch nichts ändern konnten. In der Vergangenheit waren sie gezwungen gewesen, einen Pakt mit dem Gouverneur zu schließen. Sie hatten jedoch die Abmachung getroffen, zu jener Zeit, wenn der Pakt erfüllt war, wieder frei und Herr über ihr eigenes Leben zu sein. Und dieser Zeitpunkt war nun gekommen. Dennoch beschlich Liam ein ungutes Gefühl wenn er an den Besuch am nächsten Tag dachte. Er hatte dem Gouverneur – ein bereits in die Jahre gekommener, aber noch immer verschlagener und vor allem machtsüchtiger, Mann, der bereits vor vielen Jahren aus Spanien in die Karibik gekommen war – nie wirklich vertraut, wenngleich er nichts Schlechtes über ihre Zusammenarbeit sagen konnte. Der Gouverneur war immer fair zu seinem Bruder und ihm gewesen. Dennoch ließ Liam sich nur ungern in seine Arbeit hereinreden.

Nun sagte er sich jedoch dass es das Beste war, Ruhe zu bewahren und ihr Gespräch morgen abzuwarten. Dann würden sie weitersehen.

Bereits am Morgen des nächsten Tages war Liam ruhelos und verließ schon nach dem Frühstück, bei dem er kaum einen Bissen herunterbekommen hatte, das Haus um einen Spaziergang durch die Stadt zu machen. Die Straßen von Port Lantago waren noch angenehm menschenleer und ruhig um diese Zeit. Obwohl es nicht mehr lange dauern würde bis die Läden öffneten. Doch dann wollte Liam schon wieder zu Hause sein.

Als er wenig später die große Eingangshalle des schön gestalteten, großzügigen Hauses betrat, das er mit seinem Bruder bewohnte, kam Alex ihm bereits entgegen.

„Gut dass du kommst“, empfing er Liam aufgeregt. „Vor etwa einer halben Stunde war ein Bote hier um eine Nachricht des Gouverneurs zu überbringen.“

„Ach ja?“, fragte Liam verwundert.

Alex nickte.

„Wir sollen ihn schon früher treffen. Er lädt uns zum Mittagessen auf sein Landgut ein.“

Überrascht schnellten Liams Augenbrauen in die Höhe. Noch nie zuvor hatte der Gouverneur sie auf sein Landgut eingeladen, wenn er in Port Lantago geweilt hatte. Dabei hatte er sich fast jedes Mal mit Liam und Alex getroffen, wenn er von Port Royal hierhergekommen war. Doch meist hatten sie sich in seinem bescheidenen, jedoch gut bewachten Amtssitz am Rande der Stadt getroffen. War dies nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Liam vermochte es nicht zu sagen.

„Gut, dann lass uns gleich aufbrechen“, erwiderte Liam schließlich.

Alex nickte und gleich darauf holten sie ihre Pferde aus dem Stall. Zum Landgut des Gouverneurs war es ein etwa einstündiger Ritt durch den Urwald und an ausgedehnten Baumwoll- und Obstplantagen entlang. Da Liam die ganze Sache nicht geheuer war bat er zwei seiner Männer, ihn und Alex zu begleiten. Die beiden nickten sofort, holten ihre Waffen und zwei von Liams Pferden – zwei feurige Fuchswallache – und als sie zu Liam und Alex stießen brachen die vier Männer auf. In gemächlichem Tempo ritten sie durch die Stadt, doch als sie den Stadtrand erreichten trieben sie die Pferde an.

Zunächst führte sie ihr Weg durch den dichten, tropischen Wald, der im Nordosten unmittelbar an die Stadt grenzte. Um eine Abkürzung zu nehmen verließen sie schon bald die offizielle Straße und schlugen einen schmalen Pfad ein, der sie tief in den Wald hineinführte. Er war so schmal, dass sie hintereinander reiten mussten. Liam übernahm mit seinem kräftigen braunen Hengst die Führung, dicht gefolgt von Alex. Die beiden anderen Männer ließen sich einige Meter zurückfallen.

Mitten im Wald kamen sie an einen schmalen, nicht sehr tiefen Bach, über den ein schmaler Holzsteg ohne Geländer führte. Liam trieb seinen Hengst zügig weiter, obwohl der Braune den Steg misstrauisch beäugte. Er lief jedoch widerstandslos weiter. Alex‘ dunkelbrauner Wallach hingegen scheute und war nicht bereit, den Steg zu betreten. Daher trieb Alex ihn kurzerhand am Steg vorbei die Böschung hinunter und durchs Wasser. Dabei trieb er das Pferd zur Eile an, denn er fürchtete dass der Untergrund des Baches sumpfig sein könnte und er wollte vermeiden dass das Pferd zu tief einsank. Er erreichte zeitgleich mit den beiden anderen Männern, die den Steg genommen hatten, das andere Ufer. Liam warf Alex einen kurzen Blick zu und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Alex erwiderte ebenfalls lachend seinen Blick und schüttelte dabei gespielt entnervt den Kopf. Dann ritten sie weiter.

 

Wenig später hatten sie den Wald durchquert und kamen an den ersten Plantagen vorbei. Da der Weg hier wieder breiter war schloss Alex zu Liam auf um neben ihm her zu reiten.

„Machst du dir Sorgen?“, fragte Alex leise, sodass die beiden anderen Männer ihn nicht hören konnten.

„Ein wenig“, gestand Liam ebenso leise und mit einem knappen Nicken. „Ich traue dem Gouverneur nicht.“

„Aber wir haben doch all seine Bedingungen erfüllt“, entgegnete Alex. „Was könnte er noch wollen? Außerdem haben wir eine Abmachung.“

„Ja richtig“, erwiderte Liam. „Doch wer sagt uns, dass er sich daran halten wird?“

Liam sah seinen Bruder stirnrunzelnd an. Während Alex grundsätzlich erst einmal an das Gute im Menschen glaubte, war Liam eher Pessimist und verließ sich nur auf sich selbst. Vor allem wenn es um jemanden wie den Gouverneur ging. Besonders wenn es um den Gouverneur ging! Schließlich hatte dieser sie zu diesem Pakt gezwungen. Leider hatte er zu jener Zeit gute Argumente gehabt, wie Liam nach wie vor voller Bedauern zugeben musste. Doch das lag bereits viele Jahre zurück und Liam hatte schon längst aufgehört, sich deshalb zu grämen. Was geschehen war konnte nicht mehr geändert werden.

Als Liam nun jedoch Alex‘ besorgte Miene sah lächelte er seinen Bruder aufmunternd an. Obwohl sie Zwillinge waren, wenn auch zweieiige, und Alex nur wenige Minuten jünger war als er selbst hatte Liam doch das Gefühl, für seinen Bruder mitverantwortlich zu sein. Schon seit Kindertagen war es immer Liam gewesen, der auf seinen Bruder aufgepasst und ihn in der einen oder anderen brenzligen Situation gerettet hatte. Wie auch an jenem schicksalhaften Tag. Es hatte ihm jedoch nie leid getan, auf seinen Bruder achtzugeben, denn auch Alex würde sein Leben geben um ihn zu schützen, das wusste Liam. Er hoffte jedoch inständig, dass dieser Moment niemals eintreffen würde.

Wenig später erreichten sie schließlich das schön gelegene Landgut des Gouverneurs. Don Luis Carlos de Martinez hatte in der Tat Geschmack, wie Liam neidlos anerkennen musste. Das Anwesen war sehr gepflegt und äußerst stilvoll. Und gut bewacht, doch damit hatte Liam gerechnet. Dennoch machte er seinen Bruder mit einer knappen Geste darauf aufmerksam und Alex nickte kaum merkbar. In Windeseile ließ Liam seinen Blick über das Grundstück schweifen um auszumachen wie viele Wachen sich hier aufhielten. Nur für alle Fälle. Dann erreichten sie den Vorhof und hielten ihre Pferde an. Nachdem sie abgestiegen waren reichten Liam und Alex ihren beiden Begleitern die Zügel ihrer Pferde und gingen dann alleine weiter. Erst am Eingang zu dem großen, weißgetünchten Haus wurden sie angehalten und der Hausdiener bat sie, einen Moment in der Vorhalle zu warten während er sie seinem Herrn anmeldete. Liam und Alex nickten schweigend und blieben dann alleine zurück. Die Halle war schlicht gehalten und es hingen nur wenige Bilder an den Wänden. Die großen Fenster, von denen aus man eine herrliche Aussicht über die angrenzenden Wiesen und Obstplantagen hatte, wurden von hellen, mit schweren Kordeln zurückgebundenen Vorhängen eingerahmt. An mehreren Stellen standen große, buntbemalte Vasen und Terracottatöpfe mit frischen Blumen und Grünpflanzen. Ansonsten war der Raum schmucklos, was seine Größe noch mehr betonte.

Gleich darauf trat der junge Mann wieder zu ihnen und bat Liam und Alex, ihm zu folgen. Der Gouverneur erwartete sie bereits.

Als sie eintraten begrüßte Don Luis Carlos de Martinez sie herzlich und schüttelte ihnen lächelnd die Hände.

„Wie schön, Euch hier auf meinem bescheidenen Landsitz begrüßen zu dürfen“, sagte er als er Liams Hand ergriff.

Eine ausgesprochene Untertreibung, dachte Liam voller Ironie. Er ließ sich jedoch nichts anmerken und machte gute Miene zum bösen Spiel.

„Es ist uns eine Ehre, Don Luis“, erwiderte er ebenfalls lächelnd.

Nachdem er auch Alex begrüßt hatte bat der Gouverneur sie ins Speisezimmer, wo sogleich das reichhaltige Mittagessen aufgetragen wurde.

Während dem Essen unterhielten sich die drei Männer über Belanglosigkeiten wie das Wetter und ein wenig über Politik. Dann bat der Gouverneur Alex und Liam, ihm in sein Arbeitszimmer in einem der Seitenflügel zu folgen. Auf einen Schlag kehrte Liams Anspannung zurück, seine Miene blieb jedoch unbewegt. Auch Alex folgte dem Gouverneur mit steifen Schritten, wirkte ansonsten aber ebenfalls ruhig. Als sie das Arbeitszimmer erreichten bat der Gouverneur sie hinein und schloss anschließend die Tür hinter ihnen. Nur sein Leibwächter trat mit ein und postierte sich neben dem großen Schreibtisch aus dunklem Holz. Der Gouverneur war ein vorsichtiger Mann, dachte Liam. Gleichzeitig verstärkte sich das ungute Gefühl, das er seit dem Morgen nicht ablegen konnte. Obwohl der Gouverneur ihnen anbot auf den beiden Sesseln, die vor dem Schreibtisch standen, platzzunehmen während er selbst etwas aus einer der Schubladen nahm, zogen Liam und Alex es vor, stehenzubleiben. Der Gouverneur musterte sie abschätzend, nickte dann jedoch schweigend. Schließlich legte er zwei in Lederhüllen zusammen geschnürte Dokumente vor sich auf den Tisch. Dann sah er lächelnd zu Liam und Alex auf, die beide etwa einen halben Kopf größer waren als er selbst.

„Deshalb seid Ihr hier, nicht wahr“, begann er, noch immer lächelnd. „Eure Begnadigungen.“

„Wir sind hier, Don Luis, weil Ihr uns eingeladen habt“, entgegnete Liam, noch immer auf der Hut, betont höflich.

„Ja, natürlich“, antwortete der Gouverneur.

Nach einer kurzen Pause fuhr er fort.

„Ihr habt der spanischen Krone in den letzten Jahren wertvolle Dienste geleistet. Dafür bin ich Euch sehr dankbar. Ihr habt Euren Teil unserer Abmachung eingehalten und auch ich werde meinen Teil erfüllen.“

Der Gouverneur wies auf die Unterlagen vor ihm.

„Dies sind Eure Begnadigungen, unterschrieben von mir und dem König selbst.“

Wieder unterbrach er sich und sah Liam und Alex, die nach wie vor reglos vor ihm standen, lächelnd an. Dann wurde er auf einmal ernst.

„Bevor ich Euch diese Dokumente jedoch aushändigen kann muss ich Euch noch um einen letzten Dienst bitten. Den vielleicht wichtigsten um den ich Euch je gebeten habe.“

„Noch einen?“, entfuhr es Alex. Liam brachte ihn jedoch mit einer Geste zum Schweigen.

„Don Luis“, begann Liam in ruhigem Tonfall. „Ihr wisst, dass wir unsere Abmachung mehr als erfüllt haben. Wie Ihr selbst sagtet haben wir jeden Eurer Aufträge ausgeführt. Wir haben Euch nie Anlass zur Klage gegeben, oder dazu, an unserer Ehrenhaftigkeit zu zweifeln. Ebenso seid auch Ihr stets zu Eurem Wort gestanden.“

Einen kurzen Moment hielt Liam inne bevor er fortfuhr. Seine nächsten Worte wägte er genau ab.

„Ihr wisst, dass das Maß bereits voll ist und Ihr nichts Weiteres von uns verlangen könnt, wenn Ihr nicht Eure eigene Ehre in Zweifel ziehen wollt.“

Liam sah dem Gouverneur direkt in die dunklen Augen und auch der Gouverneur fixierte Liam scharf. Schließlich nickte Don Luis langsam.

„Ihr habt Recht, Mr. Moore. Dennoch muss ich Euch um diesen letzten Dienst bitten. Der König selbst bittet Euch darum. Dieser Auftrag ist wichtiger als jeder andere den ich Euch je erteilt habe. Ohne Eure Hilfe sind wir zum Scheitern verurteilt. Ich weiß dass ich sehr viel von Euch verlange, doch mir bleibt keine andere Wahl. Bitte versteht und zweifelt nicht an meinem Wort. Wenn dieser Auftrag erfüllt ist werde ich Euch die Begnadigungen übergeben und Ihr werdet endgültig frei sein. Für immer.“

Die beiden Männer sahen sich weiter an und ihr Schweigen machte Alex nervös. Liam spürte dass sein Bruder unruhig wurde, achtete jedoch nicht darauf. In Windeseile wägte er seine Möglichkeiten ab, doch ihm blieb keine Wahl. Schließlich nickte er.

„Gut, noch diesen letzten Dienst. Doch dann werde ich darauf bestehen, dass Ihr zu Eurem Wort steht, Don Luis. Und in Eurem eigenen Interesse solltet Ihr das tun.“

Liams Stimme hatte einen drohenden Unterton angenommen und der Leibwächter des Gouverneurs spannte sich sichtlich an. Don Luis blieb jedoch ruhig als er Liam antwortete.

„Das werde ich. Verlasst Euch darauf.“

„Gut“, entgegnete Liam und trat einen halben Schritt zurück.

„Wann werdet Ihr uns weitere Anweisungen geben?“, fragte er weiter, während der Gouverneur die Begnadigungen wieder an sich nahm und einschloss. Dabei bemerkte er aus dem Augenwinkel wie Alex‘ Augen an den Dokumenten hingen und räusperte sich so leise, dass nur Alex ihn hören konnte. Auch er trat einen Schritt zurück.

„Ich werde Ende der Woche in der Stadt sein. Dann werde ich Euch alles erklären.“

Liam nickte, dann verabschiedeten Alex und er sich und verließen das Zimmer. Schweigend gingen sie nebeneinander her während sie von zwei weiteren Wachen des Gouverneurs aus dem Haus geleitet wurden. Im Hof warteten ihre Männer mit den Pferden. Sie traten Alex und Liam entgegen und wenige Augenblicke später waren alle vier Männer aufgesessen und ritten vom Hof des Landguts. Liam hatte es eilig von hier fortzukommen und trieb seinen Hengst an. Erst als sie das Anwesen ein gutes Stück hinter sich gelassen hatten zügelte er sein Pferd wieder und Alex schloss zu ihm auf. Zunächst ritten sie schweigend neben einander her, doch dann sah Alex Liam an.

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