Das Geheimnis der Botigo Bay

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Teil 1.3

In den nächsten Tagen überschlugen sich die Ereignisse und als Nyah Liam wiedertraf war für sie nichts mehr, wie es gewesen war. Das, was Nyah und Ashad auf Jamaica hatten in Erfahrung bringen wollen, hatten sie herausgefunden. Vor allem Ashad hatte wichtige Informationen mitgebracht. Als er Nyah davon berichtet hatte, hatte er jedoch nur einen Verdacht bestätigt den Nyah bereits seit einiger Zeit gehegt hatte. Die Erkenntnis, dass sich ihre Vermutung nun bewahrheitet hatte lastete jedoch schwer auf ihr. Warum, fragte sie sich. Warum gerade er?

Nyah hatte schon länger vermutet, dass auch Liam nicht ganz ehrlich zu ihr war und ihr etwas verschwieg. Sie war ihm deshalb keineswegs böse. Dennoch lastete die Erkenntnis, dass er ein Pirat war, schwer auf ihr. Noch schlimmer, als sie erfuhr dass er Freibeuter im Dienste der spanischen Krone war. Es war nicht einfach gewesen, doch schließlich hatte Ashad doch für sie herausfinden können in welcher Beziehung Liam zum Gouverneur von Jamaica stand. Liam war ein vorsichtiger und sehr umsichtiger Mann, aber Nyah wusste aus eigener Erfahrung dass es immer irgendwo eine undichte Stelle gab, die man mit Geschick und auch mit Gold – viel Gold – anzapfen konnte. Es war also Liam Blue Shadow Moore, vor dem sie sich in acht nehmen musste. Ach Liam, dachte sie zum wiederholten Mal, warum du? Warum nur?

Obwohl Ashad wusste, dass Nyah bereits etwas geahnt hatte und sie daher gefasst war als er ihr sagte wer Liam war, merkte er doch wie sehr sie die Erkenntnis traf. Auch wenn sie nur stumm nickte und den Blick abwandte, konnte sie ihre Gefühle doch nicht gänzlich verbergen.

„Du liebst ihn, nicht wahr?“, fragte Ashad leise.

„Spielt das eine Rolle?“, erwiderte Nyah und sah Ashad ernst an.

„Sag du es mir“, entgegnete der Schwarze und konnte Nyahs traurigen Blick kaum ertragen. Von Anfang an hatte er befürchtet, dass er nicht würde vermeiden können, dass Nyah Schmerz zugefügt wurde.

„Natürlich spielt das keine Rolle. Wir werden Jamaica in ein paar Tagen verlassen und nur das Schicksal weiß ob ich ihn je wiedersehe. Und so, wie die Dinge liegen wäre es wohl besser, wenn das niemals geschehen würde.“

Ihre Stimme klang fest, doch ihre Augen straften ihre Worte Lügen. Und auch ihre ausweichende Antwort beantwortete Ashads Frage mehr als ausreichend. Noch mehr jedoch das, was er in ihren Augen sah. Nyah liebte Liam. Daran bestand kein Zweifel. Ebenso wenig wie daran, dass Liam sie liebte. Das hat er nie gesagt hatte Nyah zu Ashad gesagt, doch Ashad hatte nur gelächelt. Es war wohl kaum nötig dass er ihr auch noch mit Worten sagte dass er sie liebte. Seine Augen und seine ganze Haltung sprachen deutlich genug, auch wenn Nyah Ashads Einwand nur mit Schweigen beantwortet hatte. Für Ashad war deutlich genug, wie es um die beiden stand. Dennoch wusste er, dass es keine Hoffnung für sie gab. Das Schicksal hatte sie zu Gegnern gemacht, auch wenn Liam Moore das noch nicht wusste. Und wenn es nach Ashad ging, sollte das auch noch eine möglichst lange Zeit so bleiben.

„Wirst du ihm sagen, dass du Jamaica bald verlässt?“, fragte Ashad und musterte Nyah dabei mit ernstem Blick.

„Ja, natürlich“, antwortete sie. „Ich kann nicht einfach verschwinden. Das wäre nicht recht. Aber…“

Nyah unterbrach sich und Ashad sah wie sehr sie mit sich rang.

„Lass mir noch diese wenigen letzten Tage mit ihm.“

Ihre letzten Worte waren kaum mehr als ein Flüstern. Ashad nickte, dann trat er zu Nyah und schloss sie tröstend in die Arme.

„Ja, natürlich“, sagte er leise. „Versprich mir nur, dass du nichts Unüberlegtes tust.“

Schweigend nickte Nyah, während sie sich Trost suchend an Ashad lehnte. Natürlich würde Ashad sie nicht davon abhalten, sich von Liam zu verabschieden und noch ein wenig Zeit mit ihm zu verbringen. Die Eifersucht, die er beim Gedanken daran verspürte, schob er weit von sich. Er wünschte Nyah ehrlich und von Herzen Glück und er bedauerte zutiefst dass sie nun verletzt werden würde. Dann sollte sie wenigsten noch ein paar glückliche Stunden haben. Wenn diese nicht alles noch schlimmer machten.

Außerdem, und diesen Gedanken konnte er nicht leugnen, würde es weniger verdächtig sein, wenn sie nicht völlig überstürzt aufbrachen. Ashad war sich sicher, dass Liam keinerlei Verdacht schöpfte und so sollte es auch bleiben.

Warum nur musste der wohl einzige Mann auf der Welt - neben Ashad – der jemals ihr Herz berührt hatte und dem sie trotz allem, was ihr geschehen war, vertraute, nun ihr Gegner sein? Warum gerade er? Warum meinte das Schicksal es so schlecht mit ihr? Sollte ihre Seele auf ewig verletzt bleiben? Diese Fragen beschäftigten Nyah unablässig und sie fand keine Antworten darauf.

Bevor sie Liam kennengelernt hatte, hätte Nyah nie geglaubt, jemals so viel für einen Menschen empfinden zu können. Sie hatte auf schreckliche Art und Weise lernen müssen, dass sie niemandem vertrauen durfte. Erst recht nicht als diejenige, die sie war. Oder genauer gesagt, die sie geworden war nachdem das Schicksal ihr so böse mitgespielt hatte. Sie hatte sich damit abgefunden dass sie alleine bleiben würde, nur mit ihrem treuen Freund und Beschützer Ashad an ihrer Seite und ihren beiden Pferden Ánima und Corazón, die ihr mehr bedeuteten als alles auf dieser Welt. Doch das hatte ihr nichts ausgemacht. Sie war glücklich gewesen. Glücklich und zufrieden, nach allem was sie erreicht hatte und mit dem beträchtlichen Wohlstand, der ihr das Leben zusätzlich versüßte. Sie hatte geglaubt dass sich ihr Schicksal während all der Jahre gewandelt hatte und ihr wohlgesinnt war. Sie war frei und nichts und niemand konnte ihr mehr etwas anhaben.

Doch seit sie Liam kannte war es anders. Er war anders als alle Menschen, die sie je kennengelernt hatte. Anders als all die anderen Männer. Er hatte ihr Herz und schließlich auch ihre Seele auf ungekannte Weise berührt und etwas in ihr aufbrechen lassen von dem sie geglaubt hatte, es vor langer Zeit verloren zu haben. Und nun musste sie feststellen, dass das Schicksal sie auf verschiedene Seiten gestellt hatte. Sie war von unendlicher Traurigkeit umgeben und wusste dass es keine Hoffnung gab. Sie musste Liam verlassen und es war besser, ihn nie wieder zu sehen, nachdem sie Jamaica verlassen hatte. Zu groß wäre die Gefahr. Für sie selbst und vermutlich auch für ihn.

Doch wie sollte sie ihm nur erklären, dass ihnen nur noch wenige gemeinsame Stunden blieben, bis sie Jamaica in wenigen Tagen verließ? Wie sollte sie die richtigen Worte finden? Wie sollte sie es ihm erklären ohne sich selbst zu verraten? Nyah verzweifelte beinahe daran.

Als Nyah Liam schließlich an der Botigo Bay traf ließ sie sich von alledem nichts anmerken. Alles war scheinbar wie immer und in Liams Gesellschaft gelang es ihr, für wenige Stunden zu vergessen, was vor ihr lag.

An diesem Tag wollte sie ihm, wie sie es versprochen hatte, ihr Schiff, die Dawning Star zeigen. Sie würde ihm noch nicht verraten, dass sie Jamaica schon in wenigen Tagen verlassen würde. Und sie war fest entschlossen, sich ihre Traurigkeit nicht anmerken zu lassen. Liam durfte nichts bemerken!

Als Nyah die Botigo Bay am frühen Vormittag erreichte wartete Liam bereits auf sie. Er war von seinem hübschen braunen Hengst abgestiegen und hielt ihn lose am Zügel, während er ihr entgegensah. Nyah hatte an diesem Tag erneut Ánima ausgewählt. Wenn sie mit Liam zusammen war bedurfte sie nicht Corazóns Schutz. Doch Ánimas Feinfühligkeit wäre möglicherweise von Vorteil. Der Schimmelhengst würde sie warnen falls Liam doch irgendeinen Verdacht schöpfte. Doch Nyahs Vorsicht stellte sich als unbegründet heraus. Ashad hatte Recht gehabt. Sie hätte Liam alles erzählen können und er hätte ihr geglaubt. Doch sie wollte ihn nicht anlügen.

Liam begrüßte Nyah mit strahlenden Augen. Seit ihrem Abschied vor wenigen Tagen hatte er diesem Augenblick, in dem er Nyah wiedersehen würde, entgegen gefiebert. Als sie nun auf dem Rücken ihres strahlend weißen Hengstes in gelassenem Schritt auf ihn zu geritten kam war er verzaubert von ihrem Anblick. Sie trug ihr langes, seidiges Haar offen und der sanfte Wind, der ihr vom Meer entgegen wehte, blies es ihr aus dem Gesicht. Mit einer Hand beschattete sie ihre beinah schwarzen Augen gegen die helle Sonne und als sie näher kam verzog sich ihr schöner Mund zu einem Lächeln, das Liam endgültig verzauberte. Wie hatte er nur so lange ohne sie sein können? Die wenigen Tage waren ihm wie eine halbe Ewigkeit erschienen. Er wollte nicht mehr ohne sie sein. Am liebsten nie wieder. Und er hatte sich fest vorgenommen, ihr das endlich zu sagen.

Auch Nyah war von Liams Anblick gefesselt. Er trug sein dunkles Haar an diesem Tag ebenfalls offen und einige Strähnen fielen ihm in die Stirn, sodass er sie immer wieder nach hinten streichen musste. Seine Augen leuchteten dunkelblau und da er die Sonne im Rücken hatte wirkte sein schön geschnittenes Gesicht noch markanter als sonst. Es hatte wohl nie einen schöneren, attraktiveren Mann gegeben, dachte Nyah. Und nie hatte er einem Piraten ähnlicher gesehen als in diesem Augenblick. Es überlief sie ein kurzer Schauer, doch als sie Ánima vor Liam zum Stehen brachte hatte sie sich wieder gefangen.

Nachdem sie ebenfalls vom Pferd gestiegen war begrüßten sie einander und wieder musste Liam an sich halten um Nyah nicht stürmisch in seine Arme zu ziehen. Sie verzauberte ihn vollkommen. Seit er sie kannte war nichts mehr wichtig außer ihr, dieser bezaubernden Schönen. Ob sie wohl wusste dass er ihr völlig verfallen war? Er war verloren.

Eine Weile sahen sie einander lächelnd an und konnten den Blick kaum voneinander wenden. Liam hatte Nyahs Hände ergriffen und sie erwiderte leicht den sanften Druck seiner Finger. Dann riss Nyah sich mühsam los.

 

„Komm“, sagte sie schließlich. „Ich bringe dich zur Dawning Star.“

Schweigend nickte Liam und gleich darauf ritten sie nebeneinander her den Strand entlang. Eigentlich wäre Liam in diesem Moment lieber zusammen mit Nyah an der Botigo Bay geblieben und beinahe hätte er sie aufgehalten und gebeten, ihr das Schiff ein anderes Mal zu zeigen. Er war völlig gefangen gewesen von ihrem Anblick und hätte den Moment, während dem sie einander tief in die Augen gesehen hatten, am liebsten für immer festgehalten. Doch sein Wunsch, den Tag mit Nyah an der Botigo Bay zu verbringen verflog schlagartig als sie nach einem etwa zweistündigen, gemütlichen Ritt die Bucht erreichten, in der die Dawning Star ankerte. Diese Bucht war Liam völlig unbekannt und von solcher Schönheit, dass er kaum fassen konnte dass ihm dieser Ort bislang verborgen geblieben war.

Die kleine Bucht war von hohen, tropisch bewachsenen Klippen gesäumt und wurde auf der einen Seite von einem feinsandigen weißen Strand gesäumt, der sich nur an einer Stelle deutlich verbreiterte und durch einen hohen Steinbogen in dem massiven Felsen gelangte man, wie Liam vermutete, an eine zweite Bucht. Der größte Teil der Bucht lag in der Sonne und das Wasser, auf dem sich nur seichte Wellen bildeten, glitzerte im hellen Licht. Die ganze Bucht hatte etwas Verwunschenes, Paradiesisches.

Mitten in der felsengesäumten Bucht, ein Stück vom Ufer entfernt, ankerte Nyahs Schiff. Die Dawning Star lag hier gut geschützt. Niemand würde sie hier vermuten. Nyah hatte einen wirklich guten Platz für sie gewählt, dachte Liam bei sich. Dies wäre ebenfalls ein hervorragender Ankerplatz für ein Piratenschiff, dachte er weiter. Doch diesen Gedanken verwarf er sogleich wieder. Manchmal konnte er einfach nicht verhindern dass seine Piratenvergangenheit durchschlug.

Einen Moment betrachtete Liam das Schiff noch vom Rand der Klippen aus, so gut es auf die Entfernung eben möglich war, dann folgte er Nyah, die ihr Pferd von den Klippen fort und wieder zurück in den tropischen Wald trieb. Tatsächlich gab es keinen Weg, der direkt in die Bucht hinab führte, doch über einen schmalen Pfad gelangten sie in die angrenzende Bucht hinunter. Diese Bucht war erheblich breiter und weit weniger romantisch als die kleine Bucht, in der die Dawning Star lag. Zu Liams Überraschung war der große Felsbogen von hier aus kaum zu sehen, was die kleine benachbarte Bucht zusätzlich schützte. Als sie den Strand erreichten stieg Nyah vom Pferd und wartete, bis Liam zu ihr aufgeschlossen hatte und ebenfalls abgestiegen war. Nebeneinander führten sie die Pferde schließlich weiter und unter dem Felsbogen hindurch. In der hübschen, kleinen, wildromantischen Bucht banden sie sie lose an einer der Palmen an. Dann gingen sie ans Wasser vor und blieben dort stehen. Liam sah sich versonnen um. Dies war einer der schönsten Orte die er je gesehen hatte. Nyah beobachtete lächelnd wie er sich umsah, bis sein Blick nach einer Weile an der Dawning Star hängenblieb. Bewundernd sah er das schöne Schiff an. Seine hellbraunen Planken glänzten im Licht der Sonne und bildeten einen schönen Kontrast zu den dunkelgrünen, die schließlich in die Reling übergingen. Der Aufbau war ebenfalls in dunklem Grün gehalten, jedoch konnte Liam sogar aus der Entfernung sehen, dass er prunkvoll mit goldgefärbten Schnitzereien verziert war. Die weißen Segel waren zusammengerollt und befestigt, doch Nyah hatte ihm erzählt dass sie ebenfalls mit verschlungenen, dunkelgrünen Mustern geschmückt waren. Die Dawning Star war wirklich ein ausgesprochen schönes, schnelles und sicher sehr wertvolles Schiff. Das erkannte Liams kundiges Auge sofort. Sie war eine Schönheit, wie er neidlos anerkennen musste, wenngleich ihre Besitzerin sie zweifellos in den Schatten stellte. Diesen Gedanken konnte und wollte Liam nicht unterdrücken als er sich jetzt zu Nyah umwandte und ihr Lächeln erwiderte. Wieder schien ihr die Sonne ins Gesicht und ihre dunklen Augen funkelten als sie seinen Blick erwiderte. Sie war so wunderschön.

„Sie ist wirklich schön“, sagte Liam, als er sich wieder etwas gefasst hatte. „Ein wirkliches Schmuckstück.“

„Danke“, erwiderte Nyah und konnte den Stolz in ihrer Stimme nicht ganz verbergen. Sie hatte jedoch auch allen Grund, stolz auf dieses Schiff zu sein.

„Wenn du möchtest werde ich ein Boot rufen das uns zur Dawning Star hinüber bringt“, bot Nyah an. Ein Teil ihrer Crew war an Bord geblieben und ein oder zwei ihrer Männer hätten sie leicht und innerhalb kurzer Zeit hier abholen können. Doch etwas in Liams Blick ließ sie inne halten.

„Ich würde dein Schiff wirklich gerne ansehen“, sagte er. „Doch noch lieber… nun, noch lieber würde ich einfach hierbleiben. An diesem schönen, verborgenen Strand. Zusammen mit dir.“

Seine letzten Worte waren immer leiser geworden und nun sah er Nyah hoffnungsvoll an. War er zu weit gegangen?

Sie sah ihn einen Augenblick schweigend an, doch dann lachte sie auf einmal leise auf und Liam atmete erleichtert aus. Er hatte gar nicht gemerkt dass er die Luft angehalten hatte, doch er hatte befürchtet, dieses Mal zu unvorsichtig gewesen zu sein.

„Dann werden wir hierbleiben“, entgegnete Nyah lächelnd.

Sie hätte Liam seinen Wunsch ohnehin kaum abschlagen können. Sein Lächeln war absolut entwaffnend und außerdem – sprach er Nyah mit seinem Wunsch so sehr aus dem Herzen dass sie für einen Augenblick nichts als unbändige Freude empfand. Dabei durfte sie gar nicht daran denken dass ihnen nur noch wenige gemeinsame Tage blieben. Dieser Gedanke erfüllte sie mit solcher Traurigkeit dass sie ihn weit von sich schob. So weit sie konnte.

Bei ihrer Antwort leuchteten Liams Augen auf und er führte sie zu einem schattigen Platz direkt unterhalb der Klippen. Dort breitete er die Decke aus, die er an seinem Sattel befestigt und mitgebracht hatte, und bot Nyah an, Platz zu nehmen. Dann setzte er sich neben sie und wandte sich ihr zu.

„Danke dass du mich hierher gebracht hast“, sagte er leise als Nyah sich ihm ebenfalls zuwandte. „Es ist wunderschön hier.“

Lächelnd erwiderte Nyah seinen Blick und nickte versonnen.

„Ja, das ist es. Fast so schön wie dort wo ich herkomme.“

Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen als sie sich erschrocken auf die Lippen biss. Das hätte sie nicht sagen sollen. Hastig wandte sie den Blick ab und sah aufs Meer hinaus. Liam musste sich ein Lachen verkneifen.

„Hab keine Angst“, sagte er leise als er Nyahs Erschrecken ob ihrer eigenen Achtlosigkeit bemerkte. „Ich werde nicht fragen wo das ist.“

Er freute sich, als sie ihn wieder ansah und sein Lächeln dankbar erwiderte.

„Aber es muss sehr schön sein“, fügte er noch hinzu und verlor sich beinahe in Nyahs schwarzen Augen, als sie nickt.

„Das ist es“, antwortete sie leise.

Einen Moment sahen sie einander schweigend an. Liam wollte Nyah fragen, ob sie ihre Heimat vermisste, obwohl ihm allein der Gedanke daran, dass sie Jamaica irgendwann wieder verlassen würde, einen Stich versetzte. Doch es waren andere Worte, die schließlich über seine Lippen kamen.

„Weißt du eigentlich, wie schön du bist?“, fragte er leise und hob langsam eine Hand um Nyah zärtlich über die Wange zu streichen. Er hatte lange dagegen angekämpft, sie zu berühren, doch jetzt gab er dem Drang nach. Wie wundervoll sich ihre zarte Haut unter seinen Fingern anfühlte.

Dort, wo er ihre Wange berührte, begann Nyahs Haut zu prickeln. Sie erwiderte nichts, doch als sie ihn anlächelte sah Liam etwas in ihren Augen aufblitzen. Sie war so atemberaubend schön, dachte er erneut. Dann legte sich jedoch urplötzlich ein Schatten über ihr Gesicht und ihr Lächeln erstarb. Liam sah wie sie sich versteifte. Er glaubte schon, sie würde von seiner Berührung zurückweichen, doch sie hielt still und senkte nur den Blick auf ihre eigenen Hände hinab, die sie steif ineinander verschlungen hatte.

„Schönheit kann aber auch ein Fluch sein“, sagte sie und ihre Stimme war so leise dass Liam sie kaum verstand. Und lieber hätte er ihre Worte nicht gehört, denn sie schnürten ihm beinah die Brust zu.

„Sag so etwas nicht“, bat er leise und legte einen Finger unter ihr Kinn, um ihr wieder in die Augen sehen zu können.

„Aber so ist es“, erwiderte sie.

In diesem Moment erkannte Liam dass sie Schlimmes erlebt haben musste und diese Erkenntnis schnürte ihm endgültig und mit unglaublicher Heftigkeit die Kehle zu. Er hatte schon länger vermutet dass Nyah etwas Schreckliches widerfahren sein musste, worüber sie jedoch nicht sprach. Auch jetzt würde sie das nicht tun, das wusste Liam. Und er akzeptierte das, wenngleich er gerne gewusst hätte was ihr geschehen war, denn er würde sie so gerne besser verstehen. Er würde sie so gerne trösten. Ihr so gerne ihre Angst nehmen, denn dass sie Angst hatte war unverkennbar, auch wenn sie sie die meiste Zeit über gut verbarg. Andererseits konnte er schon so die Vorstellung, dass Nyah irgendetwas Schlimmes geschehen war, was es auch war, kaum ertragen.

Daher schwieg er, zog Nyah jedoch behutsam an sich. So, wie er es schon einmal getan hatte. Sie ließ es widerstandslos geschehen und Liam freute sich, dass sie ihren Kopf an seine Schulter lehnte als er seine Arme um sie schloss. Lange hielt er sie einfach fest und sie schmiegte sich noch ein wenig enger an ihn. Am liebsten würde er sie für immer festhalten und Nyah wünschte sich ebenfalls dass er sie nie wieder loslassen würd. Dabei wusste sie doch, dass sie ihn verlassen musste. Sogar schon sehr bald. Den Gedanken daran konnte sie kaum ertragen. Wie sollte sie es Liam nur sagen?

Doch sie schob diesen Gedanken entschlossen beiseite um diesen Moment mit Liam einfach zu genießen. Es war ohnehin schlimm genug dass ihre plötzliche Panik, die sie nur mühsam hatte unterdrücken und von der sie nicht hatte vermeiden können, dass Liam sie bemerkt hatte, die wundervolle Stimmung, die sie und Liam umgeben hatte, getrübt hatte.

„Ist es wieder gut?“, fragte Liam auf einmal leise und riss Nyah damit aus ihren Gedanken.

Sie nickte leicht und als Liam zu ihr hinabschaute sah er, dass sie mit geschlossenen Augen lächelte.

„Sogar sehr gut“, antwortete sie leise und Liam drückte sie behutsam an sich, während er ihr zärtlich das Haar küsste.

„Gut“, wisperte er und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar, was ihr ein leises Lachen entrang.

Lange Zeit saßen sie einfach reglos da und beide wünschten sich, die Zeit würde stehenbleiben, damit dieser schöne Nachmittag niemals endete. Liam hatte nie etwas Vergleichbares erlebt wie mit Nyah. Hier neben ihr zu sitzen und sie in seinen Armen zu halten erfüllte ihn mit einem unbeschreiblichen Glücksgefühl. Er wollte nie wieder ohne sie sein. Nie wieder. Er konnte nicht leugnen, dass er sie, seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, begehrte. So sehr begehrte, dass es ihm zeitweise die Luft zum Atmen nahm. Doch das war es nicht allein. Nyah bedeutete ihm weit mehr. Er wollte mit ihr zusammen sein, mit ihr sprechen, mit ihr lachen, sie berühren und in seinen Armen halten so wie jetzt gerade. Und er wünschte sich, dass sie sich dasselbe wünschte. Nyah war etwas Besonderes. Er hatte nie zuvor so für jemanden empfunden. Niemals. Sie war eine bemerkenswerte, faszinierende Frau. Schön, intelligent und mutig. Und doch gab es Augenblicke in denen sie auf einmal schüchtern und unsicher war. Geradezu verletzlich. Früher und bei jeder anderen Frau hätte Liam keinen Gedanken daran verschwendet, doch bei Nyah war es anders. Niemals würde er etwas tun, das sie nicht wollte. Egal wie schwer es ihm fiel. Er würde Geduld haben. Immer. Er liebte Nyah. Er liebte sie so sehr.

Nach einer ganzen Weile, während der sie reglos an Liam geschmiegt dagesessen hatte, löste Nyah sich auf einmal langsam und widerstrebend von ihm und wandte sich ihm zu.

„Ich muss zurück“, sagte sie leise.

„Jetzt schon?“, fragte Liam und Nyah hörte das Bedauern in seiner Stimme. Dennoch nickte sie. Langsam ließ Liam seine Arme sinken und nickte ebenfalls. Sie hatte Recht. Es war wohl wirklich besser, aufzubrechen. Es war bereits später als er gedacht hatte. Der Nachmittag war wie im Flug vergangen. Daher stand er auf und bot Nyah seine Hand um ihr aufzuhelfen. Dann hob er die Decke auf und schüttelte den Sand heraus, bevor sie gemeinsam zu den Pferden gingen, die geduldig auf sie gewartet hatten.

Liam befestigte die Decke an seinem Sattel, doch bevor er auf Nandos Rücken stieg trat er noch einmal zu Nyah. Sie drehte sich zu ihm um und lächelte ihn an. Einen Moment sahen sie einander schweigend in die Augen. Zärtlich strich Liam Nyah eine seidige Haarsträhne aus der Stirn, die ihr der sanfte Wind ins Gesicht geweht hatte.

 

„Nyah, ich lie…“

Doch bevor er weitersprechen konnte legte Nyah sanft ihren Zeigefinger auf seine Lippen.

„Schhh…“, machte sie leise. „Sag nichts.“

Sie durfte nicht zulassen, dass er es aussprach. Genauso wenig wie sie zulassen durfte, dass er sie küsste. Denn Nyah wusste nicht ob sie es dann fertig bringen würde, ihn zu verlassen. Und das musste sie.

Liam sah sie überrascht an, dann erwiderte er schweigend ihr Lächeln, das ihn so sehr verzauberte. Rasch ergriff er ihre Hand bevor sie ihren Finger von seinen Lippen zurückziehen konnte und hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken. Dann ließ er sie widerstrebend los. Doch als er sie erneut anlächelte leuchteten ihre Augen auf und ihn durchströmte wieder pures Glücksgefühl.

Wenig später ritten sie nebeneinander her und ließen die Solitary Bay hinter sich.

„Soll ich dich nach Hause begleiten?“, bot Liam Nyah an. „Es ist schon spät und mir wäre wohler wenn du nicht alleine reiten würdest.“

Nyah war gerührt von seiner Sorge.

„Es ist doch nicht weit und es wäre nicht das erste Mal, dass ich alleine unterwegs bin.“

„Trotzdem würde ich mir Sorgen machen“, erwiderte er und Nyah musste lächeln. „Lass mich dich wenigstens ein Stück begleiten.“

„Einverstanden“, willigte Nyah ein und Liam erwiderte ihr Lächeln.

Der Ritt verlief weitgehend schweigend. Es gab nichts mehr zu sagen und Nyahs Stimmung war auf einmal gedrückt. Das Wissen, dass sie Liam verlassen musste, erfüllte sie mit ungekannter Traurigkeit. Nie hätte sie geglaubt, so stark für jemanden empfinden zu können. Jetzt riss sie sich jedoch eisern zusammen um einen gleichmütigen Ausdruck zu bewahren, fest entschlossen, Liam ihre Traurigkeit nicht merken zu lassen.

Als sie die letzte Abzweigung erreichten, von der ein schmaler Weg weiter bis zu Nyahs Hacienda führte, brachte sie Ánima zum Stehen und Liam hielt neben ihr an.

„Von hier aus kann ich das letzte Stück alleine reiten“, sagte Nyah und lächelte Liam an. „Es ist nicht mehr weit.“

Sie deutete in Richtung eines sanften Hügels, auf dem selbst jetzt in der Dämmerung deutlich die weiß getünchten Mauern der hübschen Hacienda auszumachen waren. Liam folgte ihrem Blick und nickte zustimmend. Nyah hatte sich ein wirklich schönes Fleckchen ausgesucht, an dem sie, während sie auf Jamaica weilte, wohnte. Zu gerne hätte er sie bis nach Hause begleitet, doch er wollte sie nicht in Verlegenheit bringen. Umso mehr freute er sich über Nyahs Frage, bevor sie sich von einander verabschiedeten.

„Liam, ich möchte dich gerne für morgen Abend auf die Hacienda einladen“, sagte sie. „Ich würde dir gerne etwas sagen.“

Überrascht, aber sehr erfreut sah Liam sie an. Als er nicht gleich antwortete fügte Nyah noch hinzu: „Ich weiß dass meine Einladung sehr kurzfristig ist und ich verstehe wenn du keine Zeit hast. Aber es wäre sehr wichtig und ich – ich würde mich freuen wenn du kämest.“

Ihre letzten Worte waren leiser geworden und Liam lächelte sie mit leuchtenden Augen an.

„Nyah, natürlich werde ich kommen“, antwortete er. „Sogar sehr gerne. Nichts würde mich davon abhalten, deine Einladung anzunehmen.“

Seine Augen strahlten geradezu, das konnte Nyah selbst im schwächer werdenden Licht erkennen. Auf einmal war sie verlegen, doch ihr Herz machte vor Freude einen Sprung und ihr Lächeln raubte Liam erneut den Atem.

Einen Moment lang sahen sie einander schweigend an, dann verabschiedeten sie sich von einander.

„Bis morgen“, sagte Nyah.

„Bis morgen. Ich freue mich sehr.“

Zum Abschied hob Liam die Hand, dann trieben sie ihre Pferde an. Doch als sie sich nach einigen Metern beide noch einmal umdrehten trafen sich ihre Blicke noch einmal und beide mussten lachen. Wie sehr sie Liam vermissen würde, dachte Nyah als sie sich wieder abwandte und das letzte Stück Weg zurücklegte. Der Gedanke brach ihr das Herz.

Liam war bester Dinge als er am späten Nachmittag des nächsten Tages zu Nyahs Hacienda ritt. Dass sie ihn zu sich eingeladen hatte bedeutete ihm sehr viel, zeigte es doch dass sie ihm mittlerweile wenigstens ein Stück weit vertraute. Diese Erkenntnis freute ihn sehr. Er konnte es kaum erwarten, Nyah wiederzusehen. Daher war er froh, als er endlich die Abzweigung erreichte, an der sie sich am Abend zuvor von einander verabschiedet hatten. Von hier aus war es nur noch ein kleines Stück und er konnte das helle Gebäude schon deutlich erkennen.

Als er die Hacienda schließlich erreichte war Liam dennoch überrascht. Das hübsche, im spanischen Stil erbaute Haus, war von einem weitläufigen Garten umgeben, von dem aus man bis zum Meer sehen konnte. Der schmale Weg führte direkt auf das Haus zu und endete in einem kleinen Vorplatz, zu dessen linker Seite das Wohnhaus lag und auf der rechten Seite die Pferdeställe.

Die Sonne war gerade untergegangen und die Pferde schienen bereits gefüttert worden zu sein, denn von den Ställen her drang kein Laut. Liam stieg vom Pferd und führte die Schimmelstute, die er an diesem Tag ausgewählt hatte, zu einem Anbindebalken neben den Ställen, wo ein mit frischem, sauberen Wasser gefüllter Bottich stand, an dem der sein Pferd tränken konnte.

Nachdem die Stute versorgt war wandte Liam sich dem Haus zu, als gerade Nyahs Vertrauter Ashad auf ihn zu kam und ihn höflich, jedoch wie üblich ein wenig distanziert begrüßte.

„Willkommen, Liam“, begrüßte Ashad ihn. „Bitte folgt mir ins Haus.“

„Vielen Dank“, entgegnete Liam und folgte dem Schwarzen.

Es war ein heißer Tag gewesen und noch immer war es draußen drückend warm, doch im Haus war es angenehm kühl und Liam atmete einmal tief ein. Er fragte sich, wo Nyah war, denn als er sich flüchtig im Haus umsah – das zugegeben sehr behaglich eingerichtet war – war sie nirgends zu sehen. Doch bevor er Ashad fragen konnte schien dieser seine Gedanken bereits zu erahnen. Er musterte Liam einen Augenblick schweigend.

„Nyah ist draußen im Garten“, sagte er schließlich. „Ich bringe Euch zu ihr.“

Liam nickte dankend und Ashad ging voraus um ihn auf die Terrasse zu führen. Dort sah Liam Nyah, die ein Stück entfernt zwischen mehreren Palmen auf einer zweiten kleinen Terrasse stand und ihnen den Rücken zuwandte. Als Ashad gerade auf den Rasen hinunter trat um Liam zu ihr zu bringen hielt Liam ihn leise zurück.

„Das letzte Stück werde ich alleine gehen, wenn Ihr nichts dagegen habt“, sagte er höflich.

Zunächst zögerte Ashad, doch dann nickte er und trat auf die Terrasse zurück. Während er Liam nachsah, wie er über den Rasen auf Nyah zuging, erfasste ihn jedoch ein beklommenes Gefühl. Er wusste nicht warum, doch er hatte auf einmal das Gefühl dass er Liam doch hätte begleiten sollen. Wie erstarrt blieb er stehen und beobachtete ungewollt die dann folgende Szene.

Während Liam den Rasen überquerte war er völlig gefangen von Nyahs Anblick. Sie wandte ihm nach wie vor den Rücken zu und stand an dem schmiedeeisernen Geländer, das die mit dunklen Holzplanken ausgelegte Terrasse an einer Seite begrenzte. Ihr Blick war gen Meer gerichtet. Sie trug einen langen, dunkelgrünen Rock aus dünnem Stoff und darüber eine weiße, mit Rüschen verzierte Bluse mit kurzen Ärmeln. Ihr langes, dunkles Haar fiel ihr in seidig glänzenden Strähnen lose über den Rücken und reichte bis über ihre schmale Taille.

Liam konnte seinen Blick nicht von ihr wenden als er völlig lautlos hinter sie trat. Genauso wenig wie er dem Drang widerstehen konnte, behutsam seine Arme um ihre Taille zu legen um sie zu begrüßen. Eine Unbedachtheit, die er schon im nächsten Augenblick bitter bereute als er merkte dass Nyah vor Schreck zusammenfuhr. Dennoch hätte er nie mit einer solch heftigen Reaktion gerechnet, wie sie dann folgte.

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