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¡Hola! – Ankunft in Lateinamerika

Etappe: Von San Diego CA, USA 33° Nord 117° West (GMT-8) nach Los Mochis, México 26° Nord 109° West (GMT-7): 2.015 km – Total 27.236 km

Los Mochis, 7. November 2002

Nachdem ich in der Unibibliothek von San Diego die letzten Zeilen des vorangegangen Kapitels verfasst hatte, begab ich mich auf die Suche nach der Hauptpost von San Diego, um dort meine hoffentlich postlagernden Sendungen abzuholen. Dass die Hauptpost unmittelbar am internationalen Flughafen liegt, war einmal mehr typisch für Amerika. Ohne Auto war ich wirklich aufgeschmissen. Glücklicherweise gab es noch Fahrräder. Aber die Frage »Where is your car?«, die ich in St. John’s, Neufundland erstmals hörte, wurde mir an diesem Tag sicherlich für die nächste Zeit zum letzten Mal gestellt. So durfte ich auf dem 8-spurigen Pazifikhighway mit dem Mountainbike meinen in der Hauptpost wartenden Diafilmen und einigen netten Briefen und Karten aus der Heimat entgegenfahren. Nach dem Lesen der Post fuhr ich zum Pazifik, um am Strand entlang zu radeln und den angeblich »coolsten« Menschen der Welt beim Surfen zuzuschauen. Die Badenixen von »Baywatch« waren entweder streiken oder wagten leider aufgrund des kühlen aber sonnigen Herbstwetters den Sprung ins kalte Nass nicht mehr. So gab es nur die Surfer zu beglotzen, was alles andere als spannend war, lagen diese doch die meiste Zeit wie ein Stück Treibholz im Wasser herum. Zurück in der Stadt hielt in San Diego tatsächlich ein bisschen das Chaos Einzug. Schließlich war Halloween. Die Kids, meist als Kürbis kostümiert, stürmten alle Geschäfte, um Süßigkeiten zu ergattern. Bedient wurde ich schon morgens auf der Hauptpost von »Frankenstein«, der direkt neben einer »Mona Lisa« im Bilderrahmen arbeitete. Mein Hostel organisierte irgendwoher Fassbier und zusammen mit Leuten aus Irland, England, Kanada, den USA, Australien, Brasilien, Belgien und der Elfenbeinküste zelebrierten wir unsere eigene Halloween-Party. Denn auf der Straße war das Trinken von Alkohol strikt untersagt, was wir Backpacker im Laufe des Abends schlicht ignorierten, ohne im Knast zu landen. Halloween ist für die Leute eine Art Fastnacht, die in geregelten Bahnen abläuft, und als Resümee des Ganzen muss ich sagen, dass dies schlicht und einfach nichts für einen Meenzer Bub{66} war.

Am nächsten Morgen rollte ich mit der Straßenbahn zum geschäftigsten Grenzübergang der Welt: San Diego, USA – Tijuana, Mexiko. Damit war meine Reise durch das »Land der unbegrenzten Möglichkeiten« beendet. Abschließend würde ich die USA eher als »Land der totalen Gegensätze« charakterisieren. Nirgends in der Welt traf ich innerhalb weniger Meter auf Superreiche und völlig arme Menschen, auf superfreundliche und F-Ausdrücke-am-Stück-benutzende Zeitgenossen, auf eklig fettes und fettfreies Futter, auf wunderschöne und potthässliche Umgebungen, auf Bush-Befürworter und Bush-Gegner, sicherheitsfanatische und Sicherheit vernachlässigende Wesen. Ob die USA, wie ihr Präsident meint, »das beste Land der Welt« sind, sei dahingestellt, aber sie waren trotz oder gerade wegen der Greyhound-Fahrten eine Reise wert, die man im Mietwagen so sicherlich nicht erlebt hätte. Um die USA zu verlassen, bedurfte es keiner großen Kunststücke. Es gab einfach gar keine Ausreisekontrollen. Ich hatte größte Mühe mein kleines grünes Einreise-Kärtchen abzugeben, ehe es nach Mexiko ging. Die Beamten schauten ein wenig ungläubig, als ich sagte, ich würde auf dieser Reise nicht mehr in die USA zurückkommen, nahmen das Papier aber schließlich entgegen. Ansonsten hätte ich das nächste Mal große Probleme, in die Vereinigten Staaten einzureisen. Dass mich niemand bei der Ausreise kontrollierte, konnte ich noch halbwegs nachvollziehen. Dass aber auf der mexikanischen Seite auch niemand meine Papiere sehen wollte, fand ich etwas komisch. Ich hatte bereits eine Vorahnung, dass dies sicherlich nicht die einfachste Einreise meiner Tour sein würde, bekomme ich doch normalerweise eine Touristenkarte beim Betreten von mexikanischem Boden in den Pass geklebt. Auf die Frage, wo ich meine Touristenkarte bekäme, meinten die Leute an der Grenze: »in der Busstation von Tijuana«. Dort angekommen wusste natürlich niemand etwas davon. Vielmehr erzählten mir die mittlerweile um mich versammelten Mexikaner, ich bekäme die Karte in Ensenada, 130 Kilometer weiter südlich. So stieg ich mit etwas mulmigem Gefühl in den Bus nach Ensenada, nachdem mich eine Woge aus freundlichen Mexikanern direkt bis zu dem Bus eskortiert hatte. Ich merkte sofort, dass ich tatsächlich in einem anderen Kulturkreis angekommen war. Fortan würde ich für viele Menschen eine Attraktion aus »Alemania« sein, die nun schon zum dritten Mal in ihr Mexiko reist, oder auch nur eine beliebte Abwechslung vom Alltag, vielleicht auch irgendwann ein »Money Target«, mit dem man leicht legal oder auch auf kriminelle Art und Weise Geld machen kann.

Es existiert sicherlich kaum eine Grenze auf der Welt, bei der ich beim Grenzübertritt tatsächlich in eine so völlig andere Welt gelange. Auf der einen Seite die Vereinigten Staaten von Amerika, die die Neuankömmlinge mit drei Fahnen begrüßen: Sternenbanner, California Bear Republic und McDonald’s. Auf der anderen Seite Mexiko, das mich mit Musik und Gehupe begrüßte. Es dauerte tatsächlich einige Zeit, bis ich realisierte, wo ich mich mittlerweile befand. Normalerweise benutze ich das Flugzeug, um in solche liebenswürdig chaotischen Länder zu gelangen. Seit meinem letzten Flug war ich aber nun bereits seit sechs Wochen über Land durch den gesamten nordamerikanischen Kontinent unterwegs. Der Übertritt in die so genannten Entwicklungsländer versetzte mich in eine totale Euphorie. Die Wochen der harten Geldkalkulation, des Schlafens im Greyhound-Bus und des notgedrungenen Fastfood-Essens waren zunächst vorbei. Jetzt begann das richtige Leben auf der Straße: Musik aus allen Ecken und Autofenstern, Kindergeschrei, Esel-Getöse, bellende Hunde, das Gackern der Hühner und das Krähen der Hähne, stinkende Auspuffabgase, dampfende Straßenstände mit leckerem Essen, dreckige Straßen und meterhohe Bordsteine wegen fehlender Kanalisation, einladende Biergärten – kurz und gut das Leben in den tropischen Ländern. Natürlich würde ich nun auch mit bitterer Armut und den nicht so positiven Seiten des Lebens jenseits der Grenze konfrontiert werden. Denn kaum eine Grenze verzeichnet so viele illegale Übertritte, die mittlerweile auf jährlich ca. 1,8 Millionen geschätzt werden. Nirgends sterben dabei pro Jahr wahrscheinlich so viele Menschen, wie die 400 armen Seelen, für die ihr Leben am Zaun endet.

Nach 90-minütiger Busfahrt in Ensenada angekommen ging ich zur Einwanderungsbehörde. Dort sah ich schließlich das Objekt meiner Begierde liegen: die Touristenkarte. Da ich bisher immer mit dem Flugzeug in Mexiko-Stadt angekommen bin, war die Touristensteuer von umgerechnet 18 Euro im Flugticket inbegriffen. Aber dieses Mal kam ich bekanntlich zu Fuß in Mexiko an. Daher musste ich mit der Touristenkarte zunächst quer durch die Stadt laufen, um bei einer bestimmten Bank meine Touristensteuer zu entrichten, während mein Pass in der Behörde auf dem Schreibtisch liegen blieb. In der Bank herrschte natürlich Hochbetrieb, da Freitag Nachmittag war. Für die in der Schlange wartenden Kunden wurde sogar ein Fernseher mit den obligatorischen Talkshows am Nachmittag aufgestellt. Nach etwa einer halben Stunde konnte ich endlich meine Steuer zahlen, zur Einwanderungsbehörde zurücklaufen und offiziell in die »Estados Unidos Mexicanos« einreisen.

Ich genoss anfangs einfach das Gewimmel von Menschen, das Geschnatter der spanischen Sprache und die nun permanent zu hörenden Autohupen. Nach 78 Tagen in Hostels, Bussen, Fähren oder im Zelt hatte ich auf dieser Reise nun erstmals ein eigenes Zimmer mit eigener Dusche. Diesen Genuss konnte ich mir in den bisher bereisten Ländern einfach nicht leisten. Jetzt war auch Schluss mit dem Selbst-Bekochen, schließlich ist Mexiko wahrlich ein Paradies der Gaumenfreuden. Vorbei war die permanente Pasta-Tomatensoßen-Zeit. Statt in leeren Restaurants alleine vor einer Mahlzeit zu sitzen, kehrte ich bei einem der vielen kleinen Straßenstände ein. Als Vorspeise gab es gekochte Maiskolben mit Chili-Soße, Limette und Salz. Nachdem mein Mund derart mit scharfer Soße »desinfiziert« wurde, ging es in die nächste »Taqueria«{67}. Ich saß auf Barhockern neben der Straße, während drinnen eine ganze Familie damit beschäftigt war, den Hunger eines deutschen Reisenden und vieler Mexikaner zu stillen. Die Mama hockte hinter der Taco-Presse und schob einen Maisteig-Klumpen nach dem anderen in die Presse. Heraus kam ein frischer Taco, den sie auf ein Backblech legte. Nun lag es in der Hand des Hungrigen, wie man seine Speise komponierte. »Con todo« war meine Standardantwort. So erhielt ich die ganze Palette an Leckereien auf den Taco geklatscht. Der Junge war für das Braten des Fleisches zuständig, das später vom Papa auf einem Holzklotz in kleine Stückchen zerhackt wurde. Papa war natürlich der Chef der die Tacos geschickt mit allen Zutaten belegte, ohne dass etwas herausfiel. So flogen der Reihe nach Fleischstücke, Zwiebeln, Kräuter, eine sehr scharfe Soße, Avocadocreme und Bohnen auf den Taco. Ich konnte auch noch Käse für diesen bestellen, was für den deutschen Nichtgewohnheits-Taco-Schlemmer den Vorteil bot, dass die Zutaten am Taco kleben blieben, statt auf der Hose zu landen. Zur Auswahl standen dazu noch Limetten, Radieschen und Gurken, mit denen ich den Taco garnieren konnte. Am Meer gab es auch Tacos mit Fisch, Calamares oder Shrimps. Einfach köstlich! Nach jedem verspeisten Taco konnte ich wieder einen neuen Con-Todo-Taco bestellen, bis die Kapazitätsgrenze des Magens endgültig erreicht war. Die Tochter in der Taqueria war die Hüterin des Kühlschranks, der Cola zu bieten hatte. Auf die Klebebrause konnte ich mit gutem Gewissen verzichten, gibt es doch in Mexiko ganz andere leckere Getränke zum Ausprobieren. Wer brachte den Mexikanern beispielsweise das Bier? Deutsche Immigranten brauten den ersten Gerstensaft auf mexikanischem Boden. Das gute Corona gab es in zwei Varianten: die gewöhnliche Drittel-Liter-Flasche oder »Corona Familiar«, die Ein-Liter-Familien-Flasche.

 

Mit dem Erreichen Mexikos ging auch meine Reise durch Länder ohne Internetcafés zu Ende. Da in den USA die meisten Menschen einen Computer besitzen, bestand praktisch keine Möglichkeit, kurz einmal irgendwo spontan zu surfen. Ich musste zum Schreiben in Bibliotheken gehen und mich anmelden. Das war manches Mal ziemlich anstrengend, da ich bis zu zwei Stunden warten musste. Daher war der Aufenthalt bei Alex und Astrid für mich auch in dieser Hinsicht eine Erholung: Einfach einmal ohne Zeitdruck schreiben.

In Ensenada begann schließlich meine Fahrt mit den mexikanischen Bussen. Wer gedacht hat, Greyhound sei schon Horror und jetzt in Mexiko würde es sicherlich noch schlimmer, sieht sich getäuscht. Die Busse konnte ich im Voraus buchen und ich bekam ein Ticket mit Sitzplatz-Nummer. So musste ich nicht bereits eine halbe Stunde vorher Schlange stehen, um überhaupt einen Sitzplatz zu erhalten, wie bei Greyhound leider üblich. Der Fahrer hatte einen Sitzplan dabei und notierte mit Bleistift, welcher Sitz bis zu welcher Station besetzt war. So konnte ich auch zwischendurch ein- und aussteigen und bekam direkt meinen Sitzplatz zugewiesen. Die Busse waren meist mit einer Klimaanlage ausgestattet. Normalerweise wird diese in den tropischen Ländern auf maximale Leistung gestellt und man bekommt bestenfalls eine Erkältung, schlimmstenfalls »Frostbeulen«. Mexikanische Busfahrer haben anscheinend den Knopf zum Regulieren gefunden, sodass die Temperatur relativ angenehm war. Obwohl die Mexikaner sicherlich kleiner sind als die Gringos{68}, war der Sitzabstand größer als beim Greyhound, und die Sitze waren wesentlich bequemer. Die Filme, die ich in den mexikanischen Bussen sehen musste, waren mittlerweile auch von besserer Qualität als vor ein paar Jahren, als es nur Jean-Claude-Van-Damme-Karate-Filme zu sehen gab. Die Fensterscheiben der Busse wurden bei jedem größeren Stopp gereinigt, sodass ich auch während der Busfahrt Photos ohne Fettflecken und Dreckklumpen durch das Fenster machen konnte. In jeder Busstation existierte ein Schrein für Maria, die Mutter Gottes. Die meisten Lateinamerikaner sind sehr gläubige Menschen und bei jeder Reise bekreuzigen sich viele an diesen Schreinen, bevor es auf die große Reise geht. Anders als bei Greyhound kam das Kulinarische bei den Fahrten nicht zu kurz. Nun tauchten endlich die ersten Essenverkäufer beim Halten auch direkt im Bus auf, um ihre Leckereien anzubieten. Spezialität in der Oase San Ignacio waren Datteln. Sonst wurden meist Chips oder »Tamales«{69} angeboten. Ich genoss die ersten Busreisen durch Mexiko und konnte nur hoffen, dass dies möglichst lange so bleiben würde.

Von Ensenada begab ich mich auf die Durchquerung der Baja California. Sie ist mit über 1.200 Kilometern Nordwest-Südost-Ausdehnung die längste Halbinsel der Welt und besteht hauptsächlich aus Strand, Bergen und Wüste. Die ersten Europäer, die dort Siedlungen aufbauten, waren Missionare im 17. und 18. Jh. Ihre Missionsarbeit war oftmals nicht von Erfolg gekrönt, starben doch die meisten indigenen Ureinwohner an Krankheiten, die von den Europäern mitgebracht worden waren. Während der US-Prohibition war die Baja ein Paradies für Alkoholschmuggler, für Spieler und andere »Sünder«. Heute ist die größte Stadt der Halbinsel, die Grenzstadt Tijuana, Sitz des pazifischen Drogenkartells. Dieses ist so mächtig, dass es angeblich sogar einen der Vorgänger von Staatspräsident Fox, den unbeliebten Präsidenten Salinas, schmierte. Man stelle sich vor, unser Kanzler wäre in Drogengeschäfte verwickelt.

Die Baja California ist so lang, dass es auf ihr zwei Zeitzonen gibt. Der Norden hat noch die »Pacific Standard Time«, der Süden die so genannte »Mountain Time«. Dies ist wahrscheinlich der einzige Ort weltweit, wo eine Zeitzone an einem Breitengrad endet. Normalerweise wurden die Zeitzonen weltweit immer an Längengraden ausgerichtet. Die Fahrt auf der »Carretera Transpeninsular« oder MEX1 nach Südwesten war schockierend. Die MEX1 ist sicherlich einerseits die längste Müllkippe der Welt, da Mexikaner noch nicht auf den Trichter gekommen waren, Müll eventuell einmal im Auto zu behalten und später in einen Mülleimer zu werfen. Andererseits war es erschreckend zu sehen, wieviel Kreuze am Straßenrand standen. Es verging manchmal kein Kilometer, ohne dass ein Blumenkränzchen an einen Verstorbenen erinnerte. Oft lag das zerschellte Wrack völlig verrostet noch hinter der Straße im Graben, in der Schlucht oder es klebte am Fels. Nur gut, dass die Busfahrer ziemlich besonnen fuhren, da ich keine sonderlich große Lust verspüre, hier auch ein Blumenkränzchen zu erhalten. Der Grund für die vielen Unfälle liegt an der reizvollen Streckenführung durch Gebirge, dem ständigen Auf und Ab und den vielen Kurven. Die Straße war relativ eng, sodass ein Ausweichen unmöglich erschien. Ich war sehr froh, diesen Ort des Schreckens heil durchreist zu haben. Hinter den Bergen änderte sich die Landschaft abrupt. Plötzlich gab es nur noch Kakteen und dorniges Gestrüpp. Es begann die Wüste, die mich die nächsten 1.300 Kilometer begleitete. Das glühende Abendrot über der Baja war ein traumhaftes Erlebnis, das die Schrecken des Tages vergessen ließ.

Schließlich kam ich an den ersten Militärcheckpoint auf meiner Reise. Mitten auf einer langen Geraden konnte unser Fahrer gerade noch bremsen, war diese Straßensperre doch lediglich mit einer Ölfunzel »beleuchtet«. Da wir nach Süden unterwegs waren, kamen wir schnell durch die Kontrolle des mexikanischen Militärs. Die Autos, die nach Norden unterwegs waren, wurden hingegen gründlich von herumflitzenden Mexikanern gefilzt, die mit Maschinengewehren ausgestattet waren. Dies war ein sichtbares Zeichen des Anti-Drogen-Kriegs der USA und Mexikos. Ein Schild bat sogar um Entschuldigung für diese Kontrolle. Das Geld für das Schild hätte man lieber in eine gescheite Beleuchtung stecken sollen. Ich war heilfroh, als wir den Checkpoint wieder verließen. Bei solchen Kontrollen bekomme ich immer ein ungutes Gefühl, wenn ich einem einen halben Meter kleineren Mexikaner gegenüber stehe, der lässig seine Maschinenpistole über die Schulter geworfen hat.

In Guerero Negro, mitten in der Wüste, machte ich Halt für die Nacht. Guerero Negro war ein typisches mexikanisches Straßenkaff. Ich brauchte absolut keinen Stadtplan. Alles Wichtige für den Reisenden wie Taquerias, Hotels, Busstation und Internetcafé war in Reih und Glied an der Straße entlang zu finden. Was mich auf der Baja verwunderte, war die Tatsache, dass ich überall auf einen Campingplatz stieß. Allerdings waren diese für die amerikanischen Touristen ausgelegt. Da in Amerika alles groß ist, sind auch die Wohnmobile, mit denen die Amerikaner auf der Baja einrücken und in ihrer Heimat quer durch die Nation fahren, überdimensioniert. Die Bezeichnung »RV« steht eigentlich für »Recreational Vehicle«. Ich würde es eher als »Richtig Verrückt« bezeichnen, schließlich haben diese Dinger die folgenden Maximalmaße: Höhe 4,10 Meter, Breite 2,60 Meter und in den drei Dimensionen Länge mal Breite mal Höhe bis zu 21 Meter. Meist war an das »RV« noch ein Auto drangehängt, das in den Maßen nicht inbegriffen ist. So durfte ich für ein paar Dollar zwischen diesen Monstren die Nacht verbringen.

Natürlich wollte ich die Baja nicht nur mit dem Bus durchreisen, sondern auch einmal »pur« erleben. So war ich wieder mit einem Fahrrad, dieses Mal der Marke Trek unterwegs. Das Rad würde ich einmal mehr in »Dreck« umtaufen, da sich die Schaltung in einem äußerst desolaten Zustand befand. So sah ich schon die nächste Panne auf mich zukommen, nachdem mir letzte Woche in San Francisco mitten in der unberührten Natur ein Reifen geplatzt war. Die Verleiher gaben mir wie in San Francisco einen Ersatzschlauch mit auf die Fahrt. Wahrscheinlich hatten sie Mitleid mit mir und wollten mich nicht mit einer Reifenpanne in der Wüste verrecken lassen. Der Zustand des Rads war am Ende noch das geringste Problem. Die Piste hatte den Namen Piste überhaupt nicht verdient, war es doch einfach ein breiter Trampelpfad durch tiefen Sand, über Felsen und durch Kies mit Steigungen von bis zu 15 Prozent. So gab ich mein Tagesziel, ein Kloster in den Bergen, ziemlich schnell auf. Dummerweise hatte ich aber damit gerechnet, dass ich leicht dorthin käme und hatte daher kein Essen dabei. Wenigstens besaß ich vier Liter Wasser. Das konnte ich auch gut gebrauchen, schließlich war es sehr heiß. Das Wasser, das ich beim Trinken verschüttete, verdampfte beim Aufkommen auf den Steinen. Nach vier Stunden Rad fahren hatte ich vielleicht 35 Kilometer zurückgelegt und feststellen müssen, dass es in der Wüste keine Taquerias gab. Da half nur noch Kaugummi essen. Diesen hatte ich in Neufundland als Geschenk beim Kauf eines Kaffees und eines Muffins bekommen. Ich hätte nicht gedacht, dass dieser Kaugummi mir einmal so aus der Patsche helfen würde. Er war das Letzte, was ich bei mir hatte, und er stopfte den Magen. So hatte ich wenigstens kein Hungergefühl mehr. Die Geier kreisten bereits über mir, aber die Situation war halb so schlimm, weil ich ja wusste, dass ich vier Stunden später wieder etwas zu essen bekommen, und ein Taco-Verkäufer sehr reich werden würde. Wenigstens musste ich mir um einen Sonnenbrand keine Sorgen machen. Es war so staubig und sandig, dass ich gut paniert nach Hause kam und sich keine Stelle auf der Haut gerötet hatte. So konnte ich die Kakteenwüste und die Oase mit ihren Palmen und blühenden Blumen mitten in der Einöde doch genießen.

Aber auch an der Küste gab es einiges zu bestaunen. Die Pelikane auf der Baja machten es den Klippen-Springern von Accapulco nach. Vor dem kamerabehängten Touristen posierend kamen sie in den Hafen geflogen und stürzten sich vor mir plötzlich kopfüber ins Wasser, um fischen zu gehen. Einige dieser Vögel waren wirklich verrückt. Sie tauchten zwischen den Booten ins Wasser und manchmal stießen sie auch mit dem Nachbarvogel zusammen. Es gibt halt nicht nur bescheuerte Menschen. Aber bescheuerte Menschen gibt es anscheinend dafür überall. Bei der Fahrt an den südöstlichsten Zipfel der Baja California war ich doch tatsächlich im Touristenhauptquartier gelandet. Der Ort Cabo San Lucas steht El Arenal auf Mallorca sicher in Sachen Betten-Burgen und Alkoholkonsum in nichts nach, mit dem kleinen Unterschied, dass die Amerikaner wahrscheinlich weniger vertragen als ihre deutschen Genossen auf Mallorca. Schließlich sind die Amerikaner das »Flavoured Water« von zu Hause gewöhnt. Ein Amerikaner, den ich in San Diego traf, zog folgenden banalen, aber sicherlich nicht völlig falschen Vergleich. Die Amerikaner, die auf die Baja fliegen, haben nur das Saufen im Sinn. Die Deutschen, die hierher kommen, sind eher an der Kultur oder der Natur des Landes interessiert. Die Deutschen, die nach Mallorca fliegen, sind nur am Saufen interessiert. Die Amerikaner, die nach Spanien reisen, sind eher an der Kultur oder an der Natur des Landes interessiert.

In Mexiko bekam ich wie in den USA auch noch etwas vom Wahlkampf mit. Es existierten wieder keine Wahlplakate. Die Werbung lief anders ab. Ganze Häuserwände bekamen einen neuen Glanz mit gemalten Wahlslogans. Diese bleiben später als Anstrich auch nach der Wahl sichtbar. Die Wahl in Mexiko fand im Februar 2002 statt, also vor neun Monaten. Aber auch für Corona und die berühmte klebrige amerikanische Brause werden ganze Häuserzeilen frisch bemalt. Wenn ein Fest ansteht, muss wieder eine Häuserwand gefunden werden, die einen neuen Anstrich gebrauchen kann. Dadurch sahen viele Dörfer wie ein kunterbuntes Mosaik aus. Da es in Mexiko früher anscheinend auch wenig Straßenschilder gab, fand ich in manchen Städtchen doch tatsächlich Sponsoren. In Todos Santos beispielsweise waren alle Straßennamen von Corona gesponsert. Dem üblichen Straßennamen folgte im Schild noch der Zusatz Corona und das dazugehörige Logo der Biermarke.

Schließlich hieß es »¡Adios Baja California y bienvenidos Sinaloa!« Sinaloa war für mich der erste Bundesstaat auf dem mexikanischen Festland, den ich mit dem Katamaran von La Paz aus erreichte. Die Überfahrt war angenehm unspektakulär. Das Gepäck wurde wie bei einem Flug eingecheckt, in Container verladen und mittels Kran aufs Schiff verfrachtet. So weit so gut. Da ich noch nicht genau weiß, wie meine Reise nun weitergeht, werde ich mich jetzt daran machen, zu schauen, was so möglich ist.

 
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