Die entzauberte Angst

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Die entzauberte Angst
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Table of Contents

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Andreas Poppe

Die entzauberte Angst

Die entzauberte Angst

Aufklärung und Ratgeber bei Angststörungen

von Andreas Poppe


Impressum
Texte: © Copyright by Andreas Poppe
Umschlag: © Copyright by Andreas Poppe
Verlag: Andreas Poppe Wolfshagener Str. 108 13187 Berlin hypnose@apoppe.de
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Inhalt

Vorwort: Vom Wissenschaftler zum Künstler - vom Künstler zum Therapeuten8

Danksagung13

Einleitung15

Unser plastisches Gehirn21

Warum Psychotherapie hilft - aber nicht immer23

Wenn Gedanken die Materie formen…28

Ein erster Versuch, unser Gehirn zu verstehen28

Die kulturelle Hülle97

Das Göttliche und der Sinn des Lebens112

Schamanisches Heilen116

Und wieder zurück zur Psychotherapie…129

Angst und Angststörungen132

Was ist Angst?132

Und wie geht Angst wieder weg?144

Und was ist jetzt mit den Angststörungen?157

Was ist eigentlich eine Angststörung?157

Wie „holt“ man sich eine Angststörung?167

Erklärungen der Medizin176

Welche Arten von Angststörungen gibt es?192

Angst und Psychotherapie203

Was kann man von einer Therapie erwarten? Was nicht?204

Welche Therapien gibt es nun?218

Expositionstherapie218

Systematische Desensibilisierung231

Entspannungstechniken236

Psychoanalyse244

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)257

Metakognitive Therapie (MKT oder MCT)267

Hypnotherapie278

EMDR286

Logotherapie289

Andere Therapieformen300

Therapie mit Medikamenten321

Therapie durch richtige Ernährung und Nahrungsergänzung326

Was sind „Leitlinien“?332

Was sind „Richtlinien“?334

Freie Psychotherapie336

Selbsthilfe350

Bevor es losgeht: einige Hinweise352

Thema 1: Ein aufgeregter Körper begünstigt Angst355

Aufregung des Körpers durch (bio-) chemische Ursachen357

Entspannung365

Der „Gehirnschrittmacher“374

Angst und Wut380

Thema 2: Verstand schafft Leiden383

Der Gedankenstopp384

Das Gedankenprotokoll385

Sokratisches Fragen386

Thema 3: Wenn die Aufmerksamkeit an der Angst klebt391

Der vergebliche Versuch, Gedanken zu unterdrücken393

Losgelöste Aufmerksamkeit395

Variante: veränderte Sinnesmodalität401

Aufmerksamkeitstraining404

Achtsamkeit408

Thema 4: Vermeidung nährt die Angst412

Zum Schluss417

Vorwort: Vom Wissenschaftler zum Künstler - vom Künstler zum Therapeuten

Vorworte werden geschrieben, nachdem das Buch fertig ist. Das ist recht logisch: sollen sie doch etwas einleiten, was bereits vorhanden ist. Nur ein Narr würde ein Vorwort schreiben, bevor das Buch fertig ist.

Ich habe also ein Buch über Angst geschrieben, über Angststörungen, über die Möglichkeiten, der Angst zu begegnen, sie auszuhalten.

Diese Arbeit hat ein reichliches Jahr in Anspruch genommen. Das Schreiben, das Diskutieren über das Geschriebene und das Überarbeiten. Das Buch hat das vergangene Jahr meines Lebens sehr stark bestimmt: es hat Prioritäten gesetzt, meine Freizeit strukturiert, mich auch bei Wanderungen und vielen entspannenden Momenten beschäftigt. Es hat mich selten völlig losgelassen, es war immer da, hat mich begleitet im Alltag.

Ich glaube, wenn man über Angst schreibt, dann ist das immer ein sehr persönliches Thema. Jeder Mensch hat Angst - das gehört nun mal zum Leben dazu. Und so war es keine Überraschung, dass mir beim Schreiben immer wieder persönliche Erlebnisse eingefallen sind. Ich habe mich entschlossen, einige dieser Erlebnisse mit Ihnen zu teilen, denn warum sollte ich Ihnen erklären, dass Angst etwas Normales ist und Ihnen gleichzeitig Momente verschweigen, in denen ich selbst ängstlich war.

Das Schreiben hat auch viele Erinnerungen an meinen beruflichen Werdegang geweckt. Und im Nachhinein sehe ich, dass aus fast jeder Phase meines Lebens etwas in diesem Buch enthalten ist. Ich erkenne den kleinen Jungen wieder, der mit Leidenschaft Tierbücher gelesen hat und in seiner Freizeit anfing, die Tierklassifikationen auswendig zu lernen. Ich sehe mich als Jugendlichen, der sich so stark für Chemie interessierte, dass er ein kleines Chemielabor im Keller des elterlichen Hauses hatte. Ich habe wirklich gedacht, ich würde Wissenschaftler werden. Dann habe ich in den Ferien im Krankenhaus gearbeitet und gespürt, wie gern ich anderen Menschen helfe. Vor dem Hintergrund meines naturwissenschaftlichen Interesses glaubte ich, ich müsse Arzt werden: die abenteuerlichen Geschichten über die Pioniere der Medizin waren für mich genauso spannend wie ein Karl-May-Roman. Das Medizinstudium ernüchterte mich ein wenig. Kein Abenteuer, viel Hierarchie, viel Dogma. Irgendwie wollte ich mein Leben nicht als jemand verbringen, der mit einem weißen Kittel durch die Gänge eines Krankenhauses läuft und Lehrmeinungen nachbetet (Ich bitte hiermit alle Ärzte für diese Formulierung um Entschuldigung - aber so habe ich das damals empfunden.). Also auf zum Theater! Hinein in das unkonventionelle, brausende Leben! Dieses Leben, auch wenn es bei weitem nicht so glamourös und unkonventionell ist, wie ich gehofft hatte, hielt mich über 30 Jahre lang im Bann. Da der kleine Wissenschaftler in mir immer noch lebendig war (und ist), habe ich dabei auch Theaterwissenschaft studiert, wirklich wissenschaftliches Arbeiten gelernt und Einblicke in die Theaterarbeit erhalten, die sich mir nur als Künstler nicht erschlossen hätten. Nur: eine Laufbahn, die sich auf Forschung und Lehre beschränkt, wollte ich dann doch nicht einschlagen. So ging es in die Welt als Dramaturg, Regisseur und Schauspiellehrer. Meine Neugierde und Abenteuerlust wurden dadurch sehr lange gestillt, ich lernte andere Länder und Sprachen kennen und natürlich auch verschiedene künstlerische und pädagogische Arbeitsweisen. Am meisten geprägt haben mich sicher die Russen, mit denen ich in Århus (Dänemark) zusammenarbeitete. Sie führten mich sehr praktisch an die Arbeit des russischen Schauspiellehrers Konstantin S. Stanislawski heran, dessen Bücher ich bereits vorher intensiv gelesen hatte. So warf ich mich immer mehr auf die Psychologie des kreativ arbeitenden Schauspielers und auf Wege, diese kreative Arbeit psychologisch zu unterstützen. Ganz allmählich wurde ich vom Künstler zum psychologischen Berater. Hier musste ich erfahren, dass man nicht jede Antwort auf die psychische Not eines Schauspielers bei Stanislawski finden kann - so entstand das Bedürfnis nach einer therapeutischen Ausbildung. Nachdem ich diese absolviert hatte und die Genehmigung bekam, als Heilpraktiker für Psychotherapie zu arbeiten, war die Zeit für eine erneute Entscheidung gekommen. Warum sollte ich nur Schauspielern helfen?

Heute arbeite ich in einem Pflegeheim. Das erinnert mich sehr an die Erfüllung, die ich hatte, als ich als Jugendlicher im Krankenhaus arbeitete. Da ich nicht in Vollzeit beschäftigt bin, bleibt mir genügend Raum, Patienten psychotherapeutisch zu behandeln und Bücher zu schreiben.

Beim Lesen meines Buches finde ich all diese Phasen wieder. Da gibt es ein starkes Interesse für Schulmedizin, eine große Neugierde verschiedenen psychotherapeutischen Schulen und Verfahren gegenüber, eine immer noch große Liebe zur Kunst und eine rege Anteilnahme an spirituellen und philosophischen Fragen.

Während meiner Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie war ich immer wieder überrascht, wie viele therapeutische Interventionen ich 30 Jahre lang schon an Schauspielschulen praktiziert hatte. Durch die medizinische Einbindung bekamen sie natürlich einen anderen Kontext - ich lernte auch ihre Wirkung besser verstehen, doch benutzt hatte ich sie viele Jahre lang.

Selbstverständlich habe ich auch viele Interventionen und Techniken kennengelernt, die ich noch nicht kannte und habe ein deutlich profunderes Verständnis für psychologische und psychiatrische Themen entwickelt. Keine Schauspielschule der Welt hätte mir dies bieten können.

Und dennoch: gerade, als ich die Tipps zur Selbsthilfe zusammengestellt habe, fielen mir immer wieder Übungen ein, die ich mit meinen Schauspielschülern gemacht habe. Ich glaube, dass sich diese Übungen nicht nur mit anderen therapeutischen Übungen gut zusammenfügen - ich denke, sie stellen auch eine Bereicherung des therapeutischen Repertoires dar.

Und jetzt ist es an der Zeit loszulassen, loszulassen von einem reichlichen Jahr Arbeit und Lebensinhalt und sich Neuem zuzuwenden. Es ist Zeit, das Buch in die Welt zu schicken und ihm zu wünschen, es möge viel Gutes tun, viele Ängste lindern helfen.

Um besser loslassen zu können, möchte ich mich noch bei einigen Menschen bedanken.

 

Danksagung

Leider kann ich mich nicht bei jedem meiner Lehrer bedanken, die ich an der Schule, der Hochschule und der Universität hatte. Verdient haben sie alle meinen Dank - ich möchte hier nur ein paar erwähnen:

Ich möchte mich herzlich bei Prof. Paul Rother bedanken, der an der Leipziger Universität Anatomie unterrichtete. Er lebte uns Studenten die Verbindung von Wissenschaft, Kunst und klassischer Bildung vor und erteilte die eine und andere wichtige Lehre über Ethik in der Heilkunst.

Bedanken möchte ich mich auch bei meinen Professoren Rudolf Münz und Rolf Rohmer, von denen ich als Theaterwissenschaftler die Prinzipien wissenschaftlicher Arbeit lernen durfte. Und selbstverständlich noch bei dem Professor für Schauspiel Peter Förster, der uns akribisch die Grundlagen des sokratischen Fragens beibrachte.

Bedanken möchte ich mich bei den Lehrkräften des TherMedius - Institutes, an dem ich meine Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie gemacht habe.

Was dieses Buch anbelangt, so möchte ich mich herzlich bei meinem Vater, Dr. Wilhelm Poppe, bedanken, mit dem ich mich fachlich oft über psychiatrische Themen beraten habe. Ich bedanke mich bei meinem langjährigen Freund, Dr. Jörg-Michael Kretschmar für die heiteren Plaudereien zum Fach und zu meinem Buch.

Ich danke meinem Bruder, Matthias Poppe, für das Feedback zu Lesbarkeit und Stil.

Ich danke meiner langjährigen Freundin, Rosa Groth, für die Mühe, die sie sich gemacht hat, meine Worte auf Verständlichkeit zu prüfen.

Andreas Poppe, Berlin, im April 2017

Einleitung

Oh schaurig ist's übers Moor zu gehn,

Wenn es wimmelt vom Heiderauche,

Sich wie Phantome die Dünste drehn

Und die Ranke häkelt am Strauche,

Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,

Wenn aus der Spalte es zischt und singt,

O schaurig ist's übers Moor zu gehn,

Wenn das Röhricht knistert im Hauche!

Annette von Droste-Hülshoff

Angst scheint allgegenwärtig zu sein. In uns lauert sie, von außen dringt sie in unsere Herzen, von unseren Phantasien wird sie genährt.

Seitdem ich als Heilpraktiker für Psychotherapie arbeite, kommen die meisten Patienten zu mir, weil sie in irgendeiner Form von Angst belästigt werden. Einige dieser Patienten haben eine Angststörung, andere haben nachvollziehbare Ängste und suchen Lebenshilfe. Natürlich kommen auch Menschen zu mir, bei denen die Angst das Symptom einer anderen Krankheit ist, zum Beispiel einer Depression.

Angst ist der häufigste Grund, weshalb Menschen den Kontakt zu mir suchen.

Vielleicht liegt das daran, dass es so viele Menschen gibt, die aus verschiedenen Gründen unter Ängsten leiden und daran, dass die Angst ein ausgesprochen lästiges Gefühl sein kann.

Trotzdem ist es wichtig zu sagen:

Angst gehört zum Leben dazu. Angst ist normal. Ohne Angst könnten wir niemals überleben.

Die Angst selbst ist nicht unser Feind. Probleme bekommen wir erst dann, wenn wir Gefühle wie die Angst nicht mehr selbst regulieren können, wenn sie sich unserer Kontrolle entzieht und eine scheinbar allmächtige Gottheit in unserem Leben wird.

Obwohl es heutzutage völlig uncool ist, Angst zu haben, versucht die Umwelt stets, uns Angst zu machen. Sehen Sie sich Nachrichten an, lesen Sie Zeitung - und die Angst wird in Ihr Wohnzimmer schleichen. Wir sind bedroht von Kriegen und Wirtschaftskrisen, Terroristen versuchen, unser schönes Land in die Luft zu sprengen. Je nachdem, was Sie für Nachrichten lesen: entweder Islamisten oder Nazis werden Deutschland nachhaltig verändern und die Demokratie zerstören. Wir sehen alle der Altersarmut entgegen, der Sozialstaat ist am Ende. Noch nicht mal das Krankenhaus ist sicher, denn da droht uns der Tod durch Krankenhauskeime. Gefahren lauern in der Luft, die wir atmen und der Nahrung, die wir essen… Ich könnte diesen Reigen beliebig fortsetzen und wahrscheinlich ein ganzes Buch damit füllen, wovor wir Angst haben sollten. Denn das, was ich bisher aufgezählt habe, konnte ich innerhalb einer halben Stunde (!) beim täglichen Lesen der Nachrichten erfahren. Ein grausamer Horrorfilm ist nichts gegen eine solche tägliche Informationsverschmutzung. Dazu gibt es noch die sehr reale Angst vor dem Verlust des Jobs, dem sozialen Abstieg, den existenzbedrohenden Sanktionen durch das Jobcenter. Erwähnt habe ich noch nicht die Angst vor dem sozialen Versagen. Was ist, wenn wir dem Schönheitsideal nicht entsprechen? Was, wenn wir einen Fauxpas machen, der uns als Looser outet? Was, wenn wir uns nicht so präsentieren können, wie es angesagt ist? Was, wenn wir Angst und Nervosität zeigen und dadurch komplett uncool wirken.

Während ich mir das so durchlese, erscheint es mir wie ein Wunder, dass wir nicht alle zitternd und zähneklappernd in unseren Wohnungen sitzen und verhungern.

Warum können so viele Menschen trotz dieser massiven und aggressiven Angstmache überhaupt noch sowas wie ein normales Leben führen?

Die Antwort liegt in den Tiefen unseres Gehirnes verborgen.

Ich erinnere mich da an ein spannendes Erlebnis. Kurz nach der Öffnung der Grenze der DDR buchte ich eine Busreise nach Amsterdam. Diese war für mich ein großer Kulturschock: in einer wirklich behüteten DDR aufgewachsen, waren mir Drogenhändler und Rotlichtviertel nur aus Kriminalfilmen bekannt - meist mit ziemlich brutalen Morden verbunden. Jetzt wurde ich aller 10 Minuten angesprochen, ob ich Drogen kaufen wolle, blickte in Schaufenster mit fast nackten Damen. Und zu allem Überfluss waren die Straßen mit Warnungen vor Taschendieben gesäumt. Darauf war ich so absolut nicht vorbereitet gewesen und erlebte einen sehr unentspannten Tag in dieser eigentlich schönen Stadt. Als ich mich ein halbes Jahr später für mehrere Tage in Amsterdam aufhielt, konnte ich denselben Reizen mit großer Gelassenheit entgegenblicken und den Aufenthalt genießen.

Was war geschehen?

Ohne mein bewusstes Zutun hatte mein Gehirn meine Gefühle auf ein gesundes Maß reguliert. Ich hatte den Schock ganz automatisch, unbewusst, verarbeitet. Ich war jetzt auf Amsterdam vorbereitet und verlebte ein paar schöne Tage dort.

Unser Gehirn ist ein großes Wunder. Es reguliert unser inneres Gleichgewicht - meist, ohne dass wir etwas davon bewusst mitbekommen.

Zu Beginn dieses Buches möchte ich Ihnen etwas über dieses Wunder - das Gehirn - erzählen. Ich habe mich dabei am aktuellen Stand der Forschung orientiert, aber darauf geachtet, unterhaltsam und verständlich zu bleiben. Ich möchte gern meine Begeisterung für die komplexe Schöpfung, die unser Gehirn ist, mit Ihnen teilen - diese komplexe Schöpfung, welche es uns erlaubt, mit den größten Widrigkeiten des Lebens fertigzuwerden, in Schnee und Eis oder im heißen Wüstensand zu überleben.

Normalerweise ist Angst kein Problem sondern unser Freund. Normalerweise reguliert sie sich irgendwann, wenn eine Situation für uns objektiv nicht gefährlich ist.

Bevor ich Heilpraktiker für Psychotherapie wurde, habe ich lange als Dramaturg, Regisseur und Schauspiellehrer gearbeitet. Viele Schauspieler habe ich so kennengelernt - darunter auch eine ganze Menge sehr ängstlicher Menschen. Häufig durfte ich erleben, wie die Angst (zum Beispiel die Angst, eine Bühne zu betreten und vor Leuten etwas zu spielen) mit der Zeit „von ganz allein“ verschwand, ohne dass mir die Schauspieler oder die Schauspielschüler genau erklären konnten, was da eigentlich passiert war.

Immer wieder bin ich davon fasziniert, mit welcher Grazie unser Gehirn unsere emotionalen Probleme lösen kann - wenn wir es lassen.

Normalerweise können wir mit Angst ganz gut umgehen. Und das müssen wir verstehen. Wir müssen diesen „normalen“, „gesunden“ Prozess verstehen, um zu begreifen, was passiert, wenn es mal „holpert“, wenn die Regulierung der Angst nicht mehr so mühelos gelingt.

Und zum „Holpern“ braucht es manchmal nicht besonders viel: zu wenig Schlaf, zu viel Kaffe zur unrechten Zeit, ein großer Schreck in einer schwierigen Phase unseres Lebens - und dann noch ein paar „dumme“ Gedanken obendrauf: so „harmlos“ können die Auslöser dafür sein, dass die Regulierung der Angst nicht mehr so elegant und unauffällig verläuft, wie wir das normalerweise kennen.

Häufig erschrickt man dann vor dieser neuen Situation noch mehr - die immer weniger kontrollierbare Angst wird zum mystischen Rätsel, fast zum Fluch.

Das ist der Grund, weshalb ich mein Buch „Die entzauberte Angst“ nenne. Ich möchte gern diesen mystischen Schleier lüften und für mehr Klarheit sorgen.

Psychotherapie heißt für mich, dem Patienten zu helfen, zur natürlichen Regulierung seiner Gefühle zurückzufinden. Mehr Wissen und weniger mystische Furcht können dabei von großem Vorteil sein.

Unser plastisches Gehirn

Lieber Leser, an dieser Stelle erwarten Sie als Einführung vielleicht eine allgemeine Betrachtung über die menschliche Angst, wie normal sie ist und dass wir sie nicht als Feind zu betrachten haben. Und um ehrlich zu sein: solche Bemerkungen habe ich zu Beginn jedes Buches gelesen, das ich mir zum Thema Angst besorgt hatte. Ich halte solche Bemerkungen für richtig und habe auch Einiges dazu geschrieben.

Für mich ist es aber kein guter Einstieg in das Thema Angst.

Während meiner Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie konnte ich eine Menge über die Entstehung von Angststörungen und ihre Therapie erfahren - fast alles davon wird auch in der einschlägigen Literatur beschrieben. Und das eigentlich immer in derselben Reihenfolge: Angst als solche ist normal und gut - unter bestimmten Umständen kann sich aus normaler Angst eine Störung entwickeln - für eine solche Störung gibt es in der Medizin bestimmte Modelle der Erklärung - je nach Erklärungsmodell benutzen verschiedene Therapien verschiedene Methoden.

Meine Ausbildung wurde von Dozenten bestritten, die aus unterschiedlichen psychotherapeutischen Schulen kamen. So wurde ich nicht auf eine bestimmte Richtung oder Schule eingeschworen. Und gerade, was die Angst anbelangt, fand ich verhaltenspsychologische, tiefenpsychologische und auch kulturkritische Ansätze gleichermaßen plausibel.

Den wirklichen „Kick“ erfuhr ich, als ich mich mit der Biologie unseres Gehirnes beschäftigt habe. Verschiedene psychologische Erklärungen ergaben so mehr Sinn. Ich konnte mir auf einmal viel besser vorstellen, wie aus einer normalen Angst eine Angststörung werden kann, wie viele Faktoren an einem solchen Prozess beteiligt sein können und wie komplex auch unter gewissen Umständen die Psychotherapie sein kann, wenn sie sich nicht nur auf eine bestimmte Schule beschränkt.

Deshalb werde ich zu Beginn einige Bemerkungen zur Psychotherapie machen.

Und dann möchte ich ein wenig über die Arbeit unseres Gehirnes plaudern. Die Einsicht in diese Arbeit hat mir in der Vergangenheit sehr geholfen, Zusammenhänge der Entstehung von Angststörungen und deren Therapie zu verstehen. Das Verständnis von der Arbeit des Gehirnes bietet mir auch in der Praxis eine große Hilfe.

Patienten profitierten in der Sitzung ebenfalls von der Erklärung der Gehirnfunktionen - sowohl um ihre Störung als auch die Ansätze zu ihrer Therapie besser zu verstehen.

Ich halte eine Menge davon, dass meine Patienten gut informiert sind, nicht im Dunkeln tappen müssen. Für meine Arbeit brauche ich kein blindes Vertrauen sondern eines, das auf Aufklärung basiert.