Grundlagen Recht für Wirtschaftswissenschaftler

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VII. „Wehrhaftigkeit“ als Grundprinzip des Grundgesetzes

62Zu den Grundsäulen der Verfassungsordnung zählt schließlich das Prinzip der „wehrhaften Demokratie“. Ausdruck dieses Prinzips sind insbesondere das Widerstandsrecht des Art. 20 Abs. 4 GG, das Parteiverbotsverfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG oder die Grundrechtsverwirkung nach Art. 18 GG.

Kontrollfragen


1.Was meint der Begriff „Rechtsstaat“ und welche Elemente ergeben sich aus dem Rechtsstaatsprinzip?


2.Erläutern Sie den Begriff „Gewaltenteilung“!


3.Was versteht man unter dem Vorrang des Gesetzes?


4.Was meint der Begriff „Vorbehalt des Gesetzes“?


5.Erläutern Sie den Begriff „Staatszielbestimmung“ und nennen Sie Beispiele!

§ 4 Staatsorganisation

63Der Staat als juristische Person des Öffentlichen Rechts handelt – wie alle juristische Personen – über seine Organe. Art und Zuständigkeiten der Organe werden in einer rechtsstaatlichen Ordnung rechtssatzmäßig festgelegt. Organe, die unmittelbar durch die Verfassung eines Staates konstituiert und dort bereits mit wesentlichen Zuständigkeiten (Kompetenzen) ausgestattet werden, bezeichnet man als „Verfassungsorgane“.

Beispiele für Verfassungsorgane Deutscher Bundestag (Art. 38 ff. GG), Bundesrat (Art. 50 ff. GG), Bundesregierung (Art. 62 ff. GG), BVerfG (Art. 92 ff. GG).

64Die Organstruktur von Bund und Ländern ist aufgrund der Homogenitätsvorgaben des Grundgesetzes (Art. 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG) jedoch sehr ähnlich: So gibt es im Bund und in allen Ländern ein Parlament, eine vom Parlament gewählte Regierung und ein Verfassungsgericht.

I. Die wichtigsten Verfassungsorgane

Für die Bundesrepublik Deutschland als Gesamtstaat sind folgende Organe von zentraler Bedeutung:

1. Der Deutsche Bundestag

65Der Deutsche Bundestag ist die Vertretung des deutschen Volkes auf Bundesebene. Er ist das einzige Bundesorgan, das unmittelbar vom Volk gewählt wird und damit direkt demokratisch legitimiert ist. Im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes kommt dem Deutschen Bundestag insoweit eine Schlüsselfunktion zu, als ihm die Wahl des Bundeskanzlers zusteht, der vom Parlament (durch die Wahl eines neuen Kanzlers) auch jederzeit abgewählt werden kann (sog. „konstruktives Misstrauensvotum“).

a) Wahlen zum Deutschen Bundestag

66Art. 38 Abs. 1 GG enthält die wichtigsten Grundprinzipien für die Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestags, nämlich die Grundprinzipien der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl.


Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl legt fest, dass alle Staatsangehörigen an der Wahl teilnehmen dürfen. Zulässige Ausnahmen betreffen etwa Personen unter dem Mindestwahlalter (derzeit bei Bundestagswahlen 18 Jahre) und Personen mit mangelnder geistiger Reife oder Einsichtsfähigkeit.


Die „Unmittelbarkeit“ der Wahl bedeutet, dass nach der Wahlhandlung des Bürgers keine zwischengeschaltete weitere Instanz über die Wahl des Volksvertreters entscheiden darf. Ein „Wahlmännersystem“ wie in den USA wäre in Deutschland also verfassungswidrig.


Die Wahl muss zudem frei sein, d. h. sie muss im Zeitpunkt der Stimmabgabe ohne Beeinträchtigungen der Willensfreiheit des Wählers erfolgen.


Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl besagt zweierlei: Zum einen muss bei der Ermittlung des Wahlergebnisses jede Stimme rechnerisch mit demselben Wert gezählt werden (sog. Zählwertgleichheit). Zum anderen muss bei der Verteilung der Parlamentssitze anhand des Wahlergebnisses jede Stimme gleichermaßen berücksichtigt werden (sog. Erfolgswertgleichheit).


Schließlich muss die Wahl geheim sein, d. h. es muss gewährleistet sein, dass Dritte keine Kenntnis von der Wahlentscheidung des Bürgers erlangen.

67Traditionell werden zwei Arten von Wahlsystemen unterschieden: Im sog. Personal- oder Mehrheitswahlsystem bekommt jeweils der Kandidat, der in seinem Wahlbezirk die meisten Stimmen auf sich vereint, das Mandat. Die auf übrige Bewerber entfallenden Stimmen bleiben also unberücksichtigt.

Beispiel Bei der Wahl zum Parlament entfallen im Wahlbezirk X, für den ein Parlamentsmandat zu vergeben ist, auf Kandidat A 60 % der Stimmen, auf Kandidat B 30 % und auf Kandidat C 10 %. Das Mandat für Wahlbezirk X geht an Kandidat A.

Beim sog. Verhältniswahlsystem werden statt einzelner Kandidaten Listen mit Kandidaten gewählt, die üblicherweise von Parteien aufgestellt werden. Die zu vergebenden Parlamentssitze werden dann auf die verschiedenen Listen entsprechend dem Verhältnis ihres Erfolgs verteilt. Je mehr Stimmen auf eine Liste entfallen, desto mehr Kandidaten dieser Liste erhalten ein Parlamentsmandat.

Beispiel Im Parlament sind 100 Sitze zu vergeben. Die Liste der Partei A gewinnt 60 % der Stimmen, die von Partei B 30 % und die von Partei C 10 %. Entsprechend erhalten die ersten 60 Kandidaten von Liste A, die ersten 30 von Liste B und die ersten 10 von Liste C ein Mandat.

68Bei der Wahl zum Bundestag kommt eine Kombination der dargestellten Wahlsysteme zur Anwendung; man spricht von einem System der personalisierten Verhältniswahl. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 BWahlG beträgt die gesetzliche Mitgliederzahl des Bundestags 598 Abgeordnete. Davon werden 299 Abgeordnete im System der Verhältniswahl über Listen und 299 Abgeordnete in Wahlbezirken per Mehrheitswahl persönlich gewählt (sog. Direktmandate). Die direkt gewählten Abgeordneten werden dabei allerdings auf den einer Partei zustehenden „Gesamtanteil“ der erlangten Sitze angerechnet, sodass sich die Mehrheitsverhältnisse durch die Direktmandate grundsätzlich nicht verändern. Der Wähler hat bei der Wahl folgerichtig zwei Stimmen: Mit der sog. „Erststimme“ wählt er den Direktkandidaten, mit der (wesentlich wichtigeren) „Zweitstimme“ dagegen die Gesamtverteilung der Mandate im Parlament.

69Allein für den Fall, dass eine Partei mehr Direktmandate erhält als ihr nach dem Zweitstimmenproporz zukommen (sog. Überhangmandate), können über die Erststimme Änderungen im Parteienproporz eintreten. Dies verhindert das Wahlrecht dadurch, dass über Ausgleichsmandate zugunsten der übrigen Parteien der Gesamtproporz wiederhergestellt wird.

b) Innere Organisation des Deutschen Bundestags

70Die Gesamtheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestags bildet das sog. „Plenum“. Dem Plenum bleiben die entscheidenden Funktionen vorbehalten, insbesondere die Gesetzgebung sowie die Wahl des Bundeskanzlers.

71Die Mitglieder des Bundestags sind die Abgeordneten. Diese haben eine Reihe von organschaftlichen Rechten, die ihnen nicht als Individuum, sondern als Organ zustehen und die sie ggf. im sog. Organstreitverfahren verfassungsgerichtlich geltend machen können.

Beispiele Fragerechte und Auskunftsrechte; das Recht zur Teilnahme und Beteiligung an und zur Abstimmung in Sitzungen des Bundestags; Antragsrechte in den Sitzungen. Weitere Rechte können von einer Mehrheit von Abgeordneten wahrgenommen werden, z. B. das Recht auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen (Art. 44 GG).

72Gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG sind die Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes, weisungsunabhängig und nur ihrem Gewissen unterworfen (sog. freies Mandat). Externe Verpflichtungen auf ein bestimmtes Stimmverhalten wären also rechtswidrig und unwirksam. Aber auch aus den Reihen der eigenen Fraktion heraus kann ein Abgeordneter nicht zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten gezwungen werden.

Hinweis

Einen sog. „Fraktionszwang“ gibt es also juristisch nicht. Dagegen darf eine Fraktion eine sog. „Fraktionsdisziplin“ einfordern, die nach h. M. auch die Erwartung eines bestimmten Stimmverhaltens einschließen kann. Als Sanktion bei gravierenden Abweichungen droht insoweit freilich allein der Fraktionsausschluss.

73Abgeordnete dürfen gem. Art. 46 Abs. 1 GG zu keiner Zeit wegen ihres Abstimmungsverhaltens oder wegen einer Äußerung im Bundestag gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestags zur Verantwortung gezogen werden (sog. Indemnität). Während ihrer Mandatsdauer dürfen Bundestagsabgeordnete zudem nur in den Grenzen des Art. 46 Abs. 2 bis 4 GG und nur mit Genehmigung des Bundestags strafrechtlich verfolgt werden (sog. Immunität).

 

74Abgeordnete, üblicherweise derselben Partei, können sich zu Fraktionen zusammenschließen, sofern ihre Anzahl mindestens 5 % der Mitglieder des Bundestags beträgt. Dabei handelt es sich um Untergliederungen des Bundestags (nicht der jeweiligen Partei!), denen besondere Rechte (z. B. Gesetzesinitiativen einzubringen oder das Recht, große und kleine Anfragen zu stellen) zukommen.

Abgeordnete, die sich nicht in Fraktionen zusammenschließen (etwa, weil sie zu wenige sind), können sich in Gruppen zusammenschließen. Gruppen haben ebenfalls einige Rechte, wie etwa das Recht der Berücksichtigung in parlamentarischen Gremien, jedoch sind sie rechtlich nicht mit Fraktionen gleichgestellt.

75In der Praxis wird der Großteil der parlamentarischen Arbeit nicht im Plenum, sondern in den Ausschüssen erledigt. Allerdings dürfen in Anbetracht der statusrechtlichen Gleichheit aller Abgeordneten, die sich wiederum aus der Wahlrechtsgleichheit ergibt, grundsätzlich nur vorbereitende Arbeiten delegiert werden, nicht aber abschließende Entscheidungsbefugnisse. Die Befugnis zur Einrichtung von Ausschüssen ergibt sich aus der internen Organisationsgewalt des Parlaments.

76Das Präsidium des Bundestags besteht aus dem Bundestagspräsidenten und seinen Stellvertretern (Vizepräsidenten). Der Bundestagspräsident leitet die Sitzungen, übt das Hausrecht aus, setzt die staatlichen Mittel zur Parteienfinanzierung fest und leitet die Bundestagsverwaltung.

c) Aufgaben des Deutschen Bundestags

77Die zentrale Funktion des Deutschen Bundestags ist die der (Parlaments-) Gesetzgebung (Rn. 87 ff.). Daneben kommen ihm aber noch weitere wichtige Aufgaben zu: Er wählt den Bundeskanzler (Kreations- oder Wahlfunktion), kontrolliert das Handeln der Exekutive (Kontrollfunktion) und bewilligt den Haushalt des Bundes (Budgetrecht). Darüber hinaus entscheidet er z. B. auch über Auslandseinsätze der Bundeswehr.

2. Der Bundesrat

78Der Bundesrat ist entgegen verbreitetem Sprachgebrauch keine „Länderkammer“, sondern ein Verfassungsorgan des Bundes, in das die Landesregierungen ihre Vertreter entsenden. Jedes Land hat – je nach Größe – zwischen drei und sechs Stimmen. Die Stimmen können nur einheitlich abgegeben werden. Der Präsident des Bundesrats wird reihum von den Ländern bestimmt. Er ist zugleich Stellvertreter des Bundespräsidenten.

79Die zentrale Aufgabe des Bundesrats besteht in seiner Mitwirkung bei der (Parlaments-)Gesetzgebung (Art. 50 GG). Die Mitwirkung erfolgt durch Gesetzesinitiativen, Einspruch oder Zustimmung zu Gesetzesbeschlüssen des Bundestags. Er ist zudem an der Wahl der Bundesverfassungsrichter beteiligt.

3. Die Bundesregierung

80Die Bundesregierung (Gubernative) ist Teil der Exekutive. Sie ist ein Kollegialorgan, bestehend aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern.

81Der Bundeskanzler wird gem. Art. 63 Abs. 1 GG auf Vorschlag des Bundespräsidenten durch den Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder (sog. Kanzlermehrheit) gewählt. Er bestimmt die Leitlinien der Politik (sog. Richtlinienkompetenz). Zudem hat er die Kompetenz zur Abgrenzung der Geschäftsbereiche der Bundesminister (Organisationskompetenz) und darf die Bundesminister vorschlagen (Personalkompetenz). Der Bundestag kann dem Bundeskanzler das Misstrauen nur dadurch aussprechen, dass er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen neuen Bundeskanzler wählt (Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG, sog. konstruktives Misstrauensvotum). Spiegelbildlich hierzu kann der Bundeskanzler den Bundestag gem. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG bitten, ihm das Vertrauen auszusprechen (sog. Vertrauensfrage). Findet sein Antrag keine Mehrheit, kann er dem Bundespräsidenten die Auflösung des Parlaments vorschlagen. Die Vertrauensfrage ist insoweit ein politisches Machtinstrument des Bundeskanzlers.

82Die Bundesminister werden auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen. Sie organisieren und leiten innerhalb der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers ihren Aufgabenbereich selbstständig und in eigener Verantwortung (Art. 65 Abs. 2 GG, sog. Ressortprinzip).

83Neben den genannten Kompetenzen des Bundeskanzlers und der Bundesminister kommen zahlreiche Kompetenzen der Bundesregierung als Kollegium zu. Dazu zählen z. B. der Erlass von Rechtsverordnungen oder das Gesetzesinitiativrecht (Art. 76 Abs. 1 GG).

4. Der Bundespräsident

84Der Bundespräsident ist das formelle Staatsoberhaupt der Bundesrepublik. Er wird von einem eigenen Organ, der Bundesversammlung (Art. 54 GG), gewählt, das aus den Mitgliedern des Deutschen Bundestags und einer gleichen Anzahl von Personen besteht, die von den Länderparlamenten entsandt werden.

85Der Bundespräsident hat vor allem formell-repräsentative Aufgaben. Er vertritt den Bund völkerrechtlich (Art. 59 Abs. 1 GG), ernennt und entlässt die Mitglieder der Bundesregierung (Art. 64 Abs. 1 GG) und löst im Falle einer gescheiterten Vertrauensfrage den Bundestag auf (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG). Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben soll er den Staat als Ganzes repräsentieren und überparteilich-neutral agieren. Die eigentliche politische Verantwortung tragen die jeweils anderen Verfassungsorgane, was u. a. in Art. 58 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommt, wonach Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder den zuständigen Bundesminister bedürfen.

Seit jeher umstritten ist die Frage, ob der Bundespräsident die vom Bundestag beschlossenen Gesetze bei der von ihm durchzuführenden Ausfertigung (Art. 82 Abs. 1 GG) auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen darf. Nach überwiegender Auffassung muss er die beschlossenen Gesetze auf die Einhaltung der Kompetenznormen und des Gesetzgebungsverfahrens überprüfen (formelle Prüfung), ferner kann er die Ausfertigung bei evidenten materiellen Verfassungsverstößen versagen. Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen bleibt im Übrigen Sache des Bundesverfassungsgerichts.

5. Das Bundesverfassungsgericht

86Das Bundesverfassungsgericht gehört keinem der in Art. 95 Abs. 1 GG genannten Gerichtsbarkeiten (Rn. 3) an, sondern steht „über“ diesen sog. Fachgerichten. Es ist zuständig für verfassungsrechtliche Streitigkeiten. Sein alleiniger Prüfungsmaßstab ist das Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht ist, wie es selbst immer wieder betont, keine „Superrevisionsinstanz“, sodass Verletzungen des einfachen Rechts vor ihm nicht geltend gemacht werden können. Verfassungsverletzungen können vor dem Bundesverfassungsgericht zudem nur in besonderen Verfahren geltend gemacht werden, z. B. im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde oder eines Organstreits. Es gilt also das sog. Enumerationsprinzip. Spiegelbildlich zum Bundesverfassungsgericht gibt es auch auf Landesebene Landesverfassungsgerichte, die ausschließlich für landesverfassungsrechtliche Streitigkeiten zuständig sind.

II. Die wichtigsten Staatsfunktionen
1. Die Parlamentsgesetzgebung

87Zentrale Funktion des Parlaments ist die Parlamentsgesetzgebung (Gesetzgebung im formellen Sinne). Die föderale Ordnung des deutschen Staates verlangt hierbei zunächst eine Aufteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern.

a) Gesetzgebungskompetenzen

88Die Grundregel der Kompetenzaufteilung formuliert Art. 70 Abs. 1 GG. Hiernach sind die Länder für die Gesetzgebung zuständig, soweit nicht das Grundgesetz dem Bund eine Gesetzgebungskompetenz einräumt. Derartige Kompetenzzuweisungen finden sich vor allem im Katalog über die sog. „ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen“ des Bundes sowie im Katalog der sog. „konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen“ des Bundes.

89Zu den Bereichen der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 71 und 73 GG zählen etwa die Verteidigung oder das Staatsangehörigkeitsrecht. Die Länder sind in diesen Bereichen von jeglicher Gesetzgebung ausgeschlossen, es sei denn, sie werden durch ein Bundesgesetz hierzu ausdrücklich ermächtigt (Art. 71 GG).

90Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 72 und 74 GG, zu der etwa das „Recht der Wirtschaft“ (Art. 74 Abs. 1 Satz 11 GG) gehört, gilt eine „dynamische“ Aufteilung der Zuständigkeiten: Hiernach dürfen die Länder Gesetze erlassen, solange und soweit der Bund von der konkurrierenden Kompetenz keinen Gebrauch gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG). Dem Bund kommt also gleichsam eine „Vorranggesetzgebung“ zu. Diese Vorranggesetzgebung wird allerdings in zweierlei Hinsicht eingeschränkt:


Zunächst darf der Bund in bestimmten, durch Art. 72 II GG näher bezeichneten Sachgebieten – etwa dem Recht der Wirtschaft nach Art. 74 Abs. 1 Satz 11 GG – nur dann Gesetze erlassen, wenn ein solches Bundesgesetz zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, zur Wahrung der Rechtseinheit oder zur Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich ist (sog. Erforderlichkeitskompetenz).


Die zweite Einschränkung der Vorranggesetzgebung ergibt sich aus der Befugnis der Länder, in den durch Art. 72 Abs. 3 GG bestimmten Bereichen der konkurrierenden Gesetzgebung von den ergangenen Bundesgesetzen abweichen zu dürfen. Diese (Abweichungs-)Befugnis der Länder findet wiederum eine Grenze in den in Art. 72 Abs. 3 GG näher genannten sog. „abweichungsfesten Kernen“ (z. B. Recht der Jagdscheine in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG). Ferner bleibt es dem Bund unbenommen, durch den Neuerlass eines Bundesgesetzes das Abweichungsgesetz des Landes außer Kraft zu setzen, wenngleich auch das Land von diesem Gesetz erneut abweichen dürfte (sog. „Ping-Pong“-Gesetzgebung): Im Verhältnis „Bund und Länder“ gilt nämlich stets das spätere Gesetz (Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG).

91Über den Wortlaut der Art. 70 ff. GG hinaus werden von der Rechtsprechung auch ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen anerkannt, wobei die jeweiligen Abgrenzungen im Einzelnen unscharf sind. Anerkannt sind ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen kraft Sachzusammenhangs, kraft Natur der Sache sowie kraft der sog. Annexkompetenz.

Beispiel Aufgrund einer Kompetenz kraft „Natur der Sache“ hat der Bundesgesetzgeber das Recht, die Bundeshauptstadt oder die Nationalhymne durch Parlamentsgesetz festzulegen.

ABB. 2: Gesetzgebungskompetenzen


b) Gesetzgebungsverfahren

92Das Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene ist in Art. 76 ff. GG geregelt. Es beginnt mit der Einbringung eines Gesetzentwurfs in den Deutschen Bundestag (sog. Gesetzgebungsinitiative). Initiativberechtigt sind gem. Art. 76 GG die Bundesregierung, der Bundesrat und die „Mitte des Bundestags“, worunter ein Quorum von wenigstens 5 % der Mitglieder des Bundestags verstanden wird.

93Das Gesetzgebungsverfahren erfolgt, ohne dass dies verfassungsrechtlich gefordert ist, grundsätzlich in drei Lesungen (= Beratungen, § 78 Abs. 1 Satz 1 GeschO-BT). Nach Abschluss der dritten Lesung erfolgt die Beschlussfassung über den Entwurf, der grundsätzlich mit „einfacher Mehrheit“, d. h. der Mehrheit der anwesenden Abgeordneten erfolgt (Art. 42 Abs. 2 Satz 1 GG). Der Beschluss wird sodann dem Bundesrat zugeleitet.

94Der Bundesrat kann bei allen Gesetzesvorhaben gem. Art. 77 Abs. 2 GG binnen drei Wochen einen aus Mitgliedern von Bundestag und Bundesrat bestehenden Vermittlungsausschuss anrufen, der über die Vorlage berät und ggf. Änderungsvorschläge unterbreitet. Im Übrigen richten sich die Beteiligungsmöglichkeiten des Bundesrats danach, ob es sich bei dem Gesetzesvorhaben um ein „Zustimmungsgesetz“ oder ein „Einspruchsgesetz“ handelt. Bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen bedarf es zwingend der Zustimmung des Bundesrats (Art. 77 Abs. 2a GG). Gelingt in einem solchen Fall keine Einigung im Vermittlungsausschuss bzw. verweigert der Bundesrat die Zustimmung, ist das Gesetz gescheitert. Wegen dieser gravierenden Folgen kann hier die Anrufung des Vermittlungsausschusses kumulativ auch vom Bundestag und der Bundesregierung verlangt werden (Art. 77 Abs. 2 Satz 4 GG). Bei Einspruchsgesetzen kann der Bundesrat nach erfolgloser Anrufung des Vermittlungsausschusses lediglich Einspruch einlegen (Art. 77 Abs. 3 GG). In einem solchen Fall kann der Bundestag das Gesetz aber gleichwohl, wenn auch nur unter erhöhten Mehrheiten, beschließen; er muss den Bundesrat also quasi „überstimmen“ (Art. 77 Abs. 4 GG). Ein Gesetz ist ein „Einspruchsgesetz“, soweit im Grundgesetz nichts anderes steht. Die Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes muss also im Grundgesetz explizit normiert sein (z. B. Art. 74 Abs. 2 GG).

 

95Beschlossene Gesetze werden vom Bundespräsidenten ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet (Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG).

ABB. 3: Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens


c) Verfassungsgesetzgebung

96Von der Parlamentsgesetzgebung zu trennen ist die sog. „Verfassungsgesetzgebung“, die in der Form der verfassungsändernden Gesetzgebung durch Art. 79 GG engen Grenzen unterworfen wird. Hiernach sind insbesondere die Grundsätze der Art. 1 und 20 GG unabänderlich (Art. 79 Abs. 3 GG).

Beispiel Nicht antastbar ist die Gliederung des Bundes in Länder, sodass der Übergang in einen Zentralstaat durch Verfassungsänderung nicht möglich wäre.

Von der Änderung der Verfassung zu trennen wäre der Erlass einer neuen Verfassung. Eine solche Änderung wäre Ausfluss der Souveränität des Volkes, das hierbei nicht durch die abzulösende Verfassung gebunden werden kann. Verfassungsgebung hat somit – auch historisch gesehen – regelmäßig „revolutionäre“ Wurzeln.

Von der Revolution zu trennen ist insoweit der „Umsturz“, der eine Verfassung zum Negativen außer Kraft setzt, wie dies im Jahre 1933 in Deutschland geschehen ist.

d) Exekutive Rechtssetzung

97Bei der Verordnungsgebung handelt es sich um eine vom Parlament an die Exekutive „delegierte“ Normsetzung. Voraussetzung ist eine formalgesetzliche Ermächtigung der Exekutive. Das ermächtigende Gesetz muss Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung konkret bestimmen. Ergänzt werden diese Anforderungen durch die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte „Wesentlichkeitslehre“. Hiernach dürfen wesentliche, insbesondere für die Verwirklichung der Grundrechte wesentliche Entscheidungen nur durch Parlamentsgesetz getroffen und damit nicht an den Verordnungsgeber delegiert werden.

98Satzungen sind – wie Rechtsverordnungen – untergesetzliche Normen. Das Satzungsrecht steht den Selbstverwaltungsträgern als Instrument der Selbstorganisation zu, ist also im Gegensatz zur Rechtsverordnung keine delegierte Normsetzung. Allerdings be­rechtigt die Satzungsautonomie nicht zu Grundrechtseingriffen. Satzungen mit grundrechtsbeschränkendem Inhalt bedürfen daher einer gesonderten parlamentsgesetzlichen Grundlage.

Beispiel Der Erlass einer Hundesteuersatzung durch eine Kommune kann nicht auf die allgemeine Satzungsbefugnis gestützt werden, sondern wird in den Kommunalabgabengesetzen geregelt.