Grundlagen Recht für Wirtschaftswissenschaftler

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2. Europäische Grundrechte

181Als Konsequenz aus der unmittelbaren Geltung und dem Anwendungsvorrang des Europarechts wurde schon früh der Ruf nach einer Grundrechtsbindung der EU laut. Daraufhin entwickelte zunächst der EuGH in seiner Rechtsprechung aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) die im Rang des Primärrechts stehenden ungeschriebenen EU-Grundrechte. Neben die ungeschriebenen Grundrechte treten die in der seit 2009 rechtsverbindlichen EU-Grundrechtecharta kodifizierten Grundrechte, die gem. Art. 6 I EUV ebenfalls den Rang von Primärrecht haben. Schließlich sieht Art. 6 II EUV den – bisher freilich noch nicht erfolgten – Beitritt der EU zur EMRK vor.

182Europäische Grundrechte entfalten Bindungswirkung zunächst gegenüber der EU, einschließlich aller ihrer Organe und Einrichtungen.

Beispiel Die Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie der EU unterliegt der vollen Überprüfung am Maßstab der Europäischen Grundrechte. Der EuGH hat die Richtlinie im Jahre 2014 für grundrechtswidrig erklärt.

Gegenüber den Mitgliedstaaten besteht eine Bindung nur, soweit sie in die Ausführung von EU-Recht eingebunden sind. Dies ist z. B. bei der Umsetzung verbindlicher Richtlinienvorgaben der Fall. Ob eine Bindung an die EU-Grundrechte auch besteht, soweit ein Mitgliedstaat Freiräume bei der Umsetzung einer Richtlinie besitzt, ist streitig.

183Inhaltlich sind die Schutzbereiche Europäischer Grundrechte im Wesentlichen mit denen der Grundrechte des Grundgesetzes vergleichbar. Die Europäische Grundrechtecharta enthält aber, zumal sie ein recht neues Dokument ist, auch „modernere“ Grundrechte, wie etwa ein Recht auf Datenschutz oder wirtschaftliche und soziale Verbürgungen.

Kontrollfragen


1.Welche Rechtsquellen kennt das Europarecht?


2.Erläutern Sie die Begriffe „unmittelbare Anwendbarkeit“ und „Anwendungsvorrang“ des Europarechts!


3.Was versteht man unter dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und worin unterscheidet sich die EU in diesem Punkt vom Bund?


4.Welches sind die Organe der EU?


5.Worum geht es im sog. „Vorabentscheidungsverfahren“ vor dem Gerichtshof der Europäischen Union?


6.Welches sind die möglichen Handlungsformen der EU?


7.Welchem Zweck dienen die Grundfreiheiten und wer kann sich auf sie berufen?


8.Was ist in räumlicher Hinsicht für die Anwendbarkeit einer Grundfreiheit zu beachten?


9.Wann liegt ein Eingriff in Grundfreiheiten vor?


10.Wie können Eingriffe in Grundfreiheiten gerechtfertigt werden?

§ 8 Wirtschaftsvölkerrecht im Überblick

184Auch das Völkerrecht, also das vorwiegend zwischen Staaten geltende internationale Öffentliche Recht, ist insbesondere für internationale Wirtschaftsbeziehungen von rapide steigender Bedeutung. In diesem Wirtschaftsvölkerrecht genannten Teilgebiet des Völkerrechts gibt es, meist in zwischenstaatlichen Verträgen, zahlreiche Regeln, die die juristische Grundlage für die Globalisierung der Wirtschaft seit 1945 gelegt haben.

185Für den internationalen Handel sind zunächst die unter dem Dach der Welthandelsorganisation (WTO) geschlossenen Verträge über den Abbau von Zöllen und anderen Handelsbeschränkungen beim Handel mit Waren und Dienstleistungen (GATT bzw. GATS) sowie zahlreiche themen- und branchenspezifische Sonderabkommen zu erwähnen. Daneben haben in den letzten Jahren regionale Handelsabkommen wie die EU, NAFTA oder ASEAN rapide an Bedeutung gewonnen, was durch aktuell in der Verhandlungsphase befindliche Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA nochmals verstärkt werden dürfte. Anders als das WTO-Recht, das auf eine Gleichbehandlung aller Mitgliedsländer abzielt, zielen regionale Handelsabkommen auf eine Bevorzugung einzelner Staaten durch eine weitergehende Liberalisierung des Handels zwischen den jeweiligen Vertragsstaaten ab.

186Zum Schutz von Auslandsinvestitionen ist in den letzten Jahrzehnten ein dichtes Netz von zwischenstaatlichen Investitionsschutzabkommen entstanden. Diese enthalten typischerweise eine Reihe von subjektiven Rechten für ausländische Investoren gegen den Gaststaat, wie z. B. den Schutz bei Enteignungen, das Recht auf faire und gerechte Behandlung und auf Gleichbehandlung mit Inländern. Die meisten Investitionsschutzabkommen enthalten sog. Schiedsklauseln, durch die Investoren ihre Rechte in völkerrechtlich geregelten Verfahren unmittelbar vor internationalen Schiedsgerichten durchsetzen können.

Kontrollfragen


1.Was ist die WTO?


2.Skizzieren Sie den typischen Regelungsgehalt von völkerrechtlichen Investitionsschutzabkommen!

§ 9 Verwaltung und Verwaltungsrecht
I. Grundbegriffe und Rechtsquellen

187Die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben insbesondere gegenüber dem Bürger ist Aufgabe der Verwaltung. Der Begriff der Verwaltung, die grundlegende Aufteilung des Verwaltungsrechts sowie die Verwaltungsorganisation wurden bereits oben vorgestellt (vgl. zur Definition Rn. 99, zur Aufteilung Rn. 5 und zur Organisation Rn. 100 ff.).

188Systematisch kann zwischen der Eingriffsverwaltung, bei der durch Ge- und Verbote in Freiheitsrechte der Bürger eingegriffen wird, und der Leistungsverwaltung, bei der der Staat Einrichtungen oder sonstige, z. B. finanzielle Leistungen zur Verfügung stellt (u. a. Daseinsvorsorge, Sozialleistungen), differenziert werden. Während die Eingriffsverwaltung dem strengen Vorbehalt des Gesetzes unterliegt, kommt der eingriffsrechtliche Gesetzesvorbehalt bei der Leistungsverwaltung nicht zur Anwendung, immerhin aber müssen Geldleistungen im Haushaltsgesetz bewilligt werden.

Beispiele Eingriffsverwaltung: Die Polizei verbietet eine Versammlung (Eingriff in die Versammlungsfreiheit) oder lässt einen rechtswidrig geparkten Pkw abschleppen (Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit). Leistungsverwaltung: Nach einer Überschwemmungskatastrophe verspricht der Ministerpräsident unbürokratische finanzielle Hilfe.

189Das Verwaltungsrecht speist sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher Rechtsquellen. Ein zentrales geschriebenes Gesetz wie z. B. das BGB im Bürgerlichen Recht gibt es im Verwaltungsrecht bislang nicht. Im allgemeinen Verwaltungsrecht sind vor allem die Verwaltungsverfahrensgesetze (VwVfG) des Bundes und der Länder zu nennen, die inhaltlich weitgehend identisch sind. In ihnen sind u. a. Regeln über die Handlungsformen der Verwaltung und das einzuhaltende Verfahren geregelt.

Im Übrigen wird das Verwaltungshandeln durch eine Vielzahl von Einzelgesetzen, insbesondere des „besonderen Verwaltungsrechts“, gesteuert (vgl. etwa GewO, AtomG, BImSchG etc.).

Im Rahmen der Auslegung der Rechtsquellen sind zugleich verfassungsrechtliche und unionsrechtliche Vorgaben zu beachten. Es gelten insoweit die allgemeinen Regeln der Gesetzesbindung der Verwaltung sowie des „Vorrangs des Gesetzes“.

Beispiel Die Vorschriften des europäischen Beihilferechts (Art. 107 ff. AEUV) können die Rücknahmeregeln des VwVfG dergestalt überlagern, dass europarechtswidrig zugesprochene Subventionen trotz des in den deutschen Normen vorgesehenen Ermessens zurückgefordert werden müssen.

190Eine Besonderheit unter den Rechtsquellen des Verwaltungsrechts bilden die Verwaltungsvorschriften. Bei ihnen handelt es sich um reines Innenrecht der Verwaltung, regelmäßig zur Vereinheitlichung der Rechtsanwendung innerhalb einer Behörde. Es handelt sich nicht um materielle Gesetze. Die Bürger können aus ihnen also keine Rechte ableiten.

Beispiel Eine Verwaltungsvorschrift legt fest, dass bestimmte Weiterbildungskurse staatlich subventioniert werden sollen. Der Veranstalter eines solchen Kurses kann hieraus keinen Subventionierungsanspruch ableiten. Eine Klage bliebe erfolglos.

Anderes ergibt sich erst, wenn die Verwaltung eine Verwaltungsvorschrift nach außen anwendet. Hier hat jeder Bürger einen Anspruch auf Gleichbehandlung (s. o. Art. 3 Abs. 1 GG).

Beispiel Hat eine Behörde in o. g. Fall aufgrund dieser Vorschrift rechtmäßig Subventionen vergeben, ist sie aufgrund von Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet, in gleich gelagerten Fällen gleich zu verfahren.

191Ein zentraler Begriff des Eingriffsverwaltungsrechts ist der der Eingriffsermächtigung. Die Eingriffsermächtigung bildet die parlamentsgesetzliche Grundlage für freiheitsbeschränkende Maßnahmen der Verwaltung. Eingriffsermächtigungen knüpfen die Zulässigkeit eines Eingriffs an das Vorliegen bestimmter Tatbestandsmerkmale, die im Einzelfall zu prüfen sind. Auf der Rechtsfolgenseite stellen die Normen dann die Zulässigkeit einer staatlichen Maßnahme fest (sog. „gebundene Entscheidung“), gelegentlich wird auf der Rechtsfolgenseite auch nur ein behördlicher „Ermessensspielraum“ gewährt, über das Ergreifen von Maßnahmen zu entscheiden.

 

Beispiel § 15 GastG legt fest, dass eine Gaststättenerlaubnis entzogen werden muss, wenn der Gastwirt unzuverlässig ist. Es handelt sich um eine gebundene Entscheidung. Dagegen bestimmt § 8 PolG NRW, dass die Behörde Maßnahmen treffen kann, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt. Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung.

192Im Falle eines gerichtlichen Streits hat das Gericht das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale einer Eingriffsnorm vollumfänglich zu prüfen. Nur wenn alle Tatbestandsmerkmale gegeben sind, ist eine Maßnahme zulässig. Dies gilt auch, sofern eine Ermächtigungsnorm sog. „unbestimmte Rechtsbegriffe“ enthält, die im Wege einer wertenden Betrachtung ausgefüllt werden müssen. Nur in seltenen Fällen gesteht die Rechtsprechung der Verwaltung einen eigenen „Beurteilungsspielraum“ bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe zu, etwa dort, wo es um die Bewertung nicht mehr reproduzierbarer oder rekonstruierbarer Situationen geht (z. B. bei Prüfungen).

193Auf Rechtsfolgenseite kann das Gesetz neben einer „festen“ Rechtsfolgeanordnung einen behördlichen Entscheidungsspielraum einräumen. Man spricht hier von dem sog. „Ermessen“ bzw. von „Ermessensentscheidungen“. Das Ermessen kann sich sowohl auf die Frage beziehen, ob eine Behörde überhaupt tätig wird, aber auch darauf, gegenüber wem und mit welchen Mitteln sie tätig wird. Die Einräumung von Ermessen wird im Normtext häufig durch Begriffe wie „kann“ oder „darf“ ausgedrückt.

Beispiel Nach § 48 VwVfG „kann“ ein rechtswidriger Verwaltungsakt zurückgenommen werden.

194Sofern der Verwaltung Ermessen eingeräumt ist, kann ein Gericht die behördliche Entscheidung nur eingeschränkt überprüfen. Nach § 114 Satz 1 VwGO kann das Gericht nur prüfen, ob die Grenzen des Ermessens eingehalten wurden. Hiernach werden drei Arten von sog. Ermessensfehlern unterschieden:


Ein sog. Ermessensnichtgebrauch liegt vor, wenn die Behörde übersehen hat, dass ihr überhaupt ein Ermessen zustand, sie also von einer sog. gebundenen Entscheidung ausgegangen ist.


Ein sog. Ermessensfehlgebrauch liegt vor, wenn sich die Behörde von sachfremden Erwägungen leiten lässt.


Eine Ermessensüberschreitung ist gegeben, wenn die gewählte Rechtsfolge behördlichen Entscheidungsspielraum überschreitet, also unzulässig ist. Von besonderer Bedeutung ist hier das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Unverhältnismäßige Maßnahmen halten sich nämlich nie in dem zur Verfügung stehenden Entscheidungsrahmen, sondern überschreiten diesen.

II. Handlungsformen der Verwaltung

195Ihre Entscheidungen kann die Verwaltung in unterschiedlichen Formen treffen. Neben vertraglichen Vereinbarungen, die sowohl im Wege zivilrechtlicher als auch im Wege öffentlich-rechtlicher Verträge denkbar sind, stehen einseitige hoheitliche Maßnahmen, wobei bei diesen zwischen Realakten und Verwaltungsakten zu differenzieren ist.

1. Verwaltungsakt

196Zentrales Handlungsinstrument der öffentlichen Verwaltung ist der Verwaltungsakt (VA) als einseitig autoritative Anordnung gegenüber dem Bürger (§ 35 VwVfG). Er erfüllt drei Funktionen:


Der VA setzt die Gesetze dergestalt um, dass die dortige abstrakte Vorgabe nunmehr kraft der behördlichen Anordnung gilt (sog. Konkretisierungsfunktion).


Der VA schafft eine auf Bestand gerichtete Entscheidung (Bestandsfunktion). Wird der VA nicht gerichtlich angegriffen, so wird die mit ihm getroffene Entscheidung für den Adressaten verbindlich; dies gilt selbst dann, wenn der VA rechtswidrig ist (§ 43 VwVfG).


Die Verwaltung kann aus dem VA heraus Vollstreckungsmaßnahmen einleiten (Titelfunktion).

197Nach der Legaldefinition des § 35 Satz 1 VwVfG versteht man unter einem Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.

198Eine hoheitliche Maßnahme ist jede einseitige Maßnahme, die eine Behörde in ihrer Eigenschaft als Hoheitsträger vornimmt. Sie ist abzugrenzen von dem zweiseitigen öffentlich-rechtlichen Vertrag (Rn. 215 ff.).

199Es muss eine Behörde handeln. „Behörde“ ist hier im funktionellen Sinn zu verstehen, d. h. jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt.

200Die Maßnahme muss auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts erfolgen. Ob eine Maßnahme privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich ist, richtet sich nach den allgemeinen Abgrenzungstheorien (Rn. 2).

201Die Maßnahme muss ferner Regelungswirkung entfalten. Sie muss daher eine rechtsverbindliche Anordnung enthalten, die auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet ist. Keine Regelungswirkung enthält hingegen der sog. Realakt (Rn. 219).

202Die Regelung muss sich auf einen Einzelfall beziehen. Das bedeutet zum einen, dass ein konkreter Sachverhalt zu regeln ist, zum anderen, dass eine bestimmte Person oder Personengruppe adressiert werden muss. Eine solche konkret-individuelle Regelung ist von den abstrakt-generellen Gesetzen abzugrenzen.

Hinweis

Allerdings gelten nach § 35 Satz 2 VwVfG auch sog. Allgemeinverfügungen als Verwaltungsakte. Diese regeln zwar einen konkreten Sachverhalt, richten sich aber an einen unbestimmten Personenkreis. Sie sind daher konkret-generelle Regelungen (Beispiele für Allgemeinverfügungen: Verkehrsschilder).

203Letztes Merkmal ist die Außenwirkung. Die Regelung muss Rechtswirkungen gegenüber einem anderen Rechtssubjekt, i. d. R. dem Bürger, entfalten. Nicht ausreichend ist es danach etwa, wenn in der Verwaltung der Vorgesetze seinem Mitarbeiter eine dienstliche Weisung erteilt.

204Verwaltungsakte erwachsen in Bestandskraft. Die Bestandskraft ist funktionell in etwa vergleichbar mit der Rechtskraft gerichtlicher Urteile.


Formelle Bestandskraft tritt ein, wenn der Verwaltungsakt nicht mehr mit Rechtsbehelfen angegriffen werden kann, weil die Rechtsbehelfsfrist abgelaufen ist. Diese Frist beträgt grundsätzlich einen Monat (vgl. §§ 74, 58 Abs. 2 VwGO). Bestandskraft tritt ebenso ein, wenn zwar ein Rechtsbehelf eingelegt wurde, dieser aber endgültig abgewiesen wurde.


Mit dem Eintritt in die formelle Bestandskraft erlangt der Verwaltungsakt auch materielle Bestandskraft. Dies hat zur Folge, dass er sowohl den Hoheitsträger als auch den Adressaten bindet.

205Es ist zwischen verschiedenen Arten von Verwaltungsakten zu unterscheiden: Nach ihrem Regelungsgehalt können befehlende (verfügende), feststellende und rechtsgestaltende Verwaltungsakte unterschieden werden. Auch hier besteht eine Parallele zu Urteilen.

Befehlende Verwaltungsakte enthalten einen „Leistungstitel“: Sie verpflichten den Adressaten zu einem bestimmten Verhalten, also einem aktiven Handeln, einem Dulden oder einem Unterlassen.

Beispiele Polizeiliche Verfügungen, Gewerbeuntersagung.

Feststellende Verwaltungsakte konkretisieren die Gesetzeslage in Bezug auf einen Einzelfall und entfalten Regelungswirkung insoweit, als die Rechtslage nunmehr in der festgestellten Form gilt.

Beispiele Feststellung der Genehmigungsbedürftigkeit einer gewerblichen Betätigung, Feststellung des Besoldungsdienstalters.

Rechtsgestaltende Verwaltungsakte dienen der unmittelbaren Begründung, Änderung oder Aufhebung eines konkreten Rechtsverhältnisses.

Beispiele Beamtenernennung, Immatrikulation.

206Nach ihrer Wirkung für den Adressaten können belastende und begünstigende Verwaltungsakte unterschieden werden. Belastende Verwaltungsakte wirken nachteilig für den Betroffenen, weil sie Rechte einschränken oder begehrte Begünstigungen ablehnen.

Beispiel Gewerbeuntersagung.

Dagegen gewähren begünstigende Verwaltungsakte dem Adressaten einen rechtlich erheblichen Vorteil.

Beispiel Subventionsbewilligung.

207Die Prüfung der Rechtmäßigkeit von belastenden Verwaltungsakten erfolgt in drei Schritten.

Zunächst bedarf es aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes einer (verfassungskonformen) formalgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des belastenden Verwaltungsakts.

Der Verwaltungsakt muss formell rechtmäßig sein. Dazu zählen die drei folgenden Prüfungspunkte:


1.Zuständigkeit: Umfasst insbesondere die sachliche (= Zuweisung der Sachaufgabe) und örtliche Zuständigkeit;


2.Verfahren: Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrensschritte, z. B. der Anhörung bei belastenden Verwaltungsakten (§ 28 Abs. 1 VwVfG);


3.Form: Grundsätzlich ergehen Verwaltungsakte formfrei (§ 37 II VwVfG), jedoch können sich aus Spezialgesetzen Formerfordernisse ergeben. Schriftliche Verwaltungsakte müssen eine Begründung enthalten (§ 39 Abs. 1 VwVfG).

Der Verwaltungsakt ist materiell rechtmäßig, wenn alle Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage erfüllt sind. Räumt die Ermächtigungsgrundlage Ermessen ein, muss das Ermessen zudem ordnungsgemäß ausgeübt worden sein.

208 ABB. 7: Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten


209Ein rechtswidriger Verwaltungsakt bleibt grundsätzlich wirksam, bis er aufgehoben wird (§ 43 Abs. 2 VwVfG). Wird er nicht rechtzeitig angefochten, erwächst er trotz seiner Rechtswidrigkeit in Bestandskraft.

210Anders verhält es sich nur, wenn der Verwaltungsakt nichtig ist: Ein nichtiger Verwaltungsakt entfaltet von vornherein keine Rechtswirkungen, ist nicht wirksam, erwächst nicht in Bestandskraft und braucht vom Adressaten nicht befolgt zu werden. Der Verwaltungsakt ist nichtig, wenn einer der in § 44 VwVfG aufgezählten Nichtigkeitsgründe vorliegt. Dabei handelt es sich um besonders schwere Rechtsfehler; die Rechtswidrigkeit muss dem Verwaltungsakt gleichsam „auf die Stirn geschrieben“ sein.

211Das VwVfG sieht vor, dass manche Rechtsfehler geheilt werden können (vgl. § 45 VwVfG). Manche Fehler sind unter den Voraussetzungen des § 46 VwVfG unbeachtlich. Schließlich kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt unter den Voraussetzungen des § 47 VwVfG in einen rechtmäßigen Verwaltungsakt umgedeutet werden.

 

212Verwaltungsakte können sowohl durch die Behörde selbst als auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren durch Gerichte aufgehoben werden. Die Aufhebung durch die Behörde ist allgemein in §§ 48, 49 VwVfG geregelt, wobei das Gesetz zwischen der Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte und dem Widerruf rechtmäßiger Verwaltungsakte (Widerruf) differenziert. Rücknahme und Widerruf belastender Verwaltungsakte sind stets möglich. Soll dagegen ein begünstigender Verwaltungsakt aufgehoben werden, ist dies nur unter den jeweils in § 48 Abs. 2 bis 4 bzw. § 49 Abs. 2 bis 4 VwVfG geregelten Voraussetzungen zulässig. Die dort enthaltenen Regeln berücksichtigen, dass der Adressat des Verwaltungsakts womöglich auf dessen Bestand vertraut und entsprechende Dispositionen getroffen hat.

ABB. 8: Aufhebung von Verwaltungsakten


213Ein Adressat eines belastenden Verwaltungsakts sowie jeder von dem Verwaltungsakt betroffene Dritte kann die Aufhebung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren begehren. Rechtsbehelfe sind der Widerspruch (soweit nicht durch Landesrecht abgeschafft) und die Anfechtungsklage. Näheres dazu unten im Kapitel zum Rechtsschutz (vgl. Rn. 227 ff.).

214Verwaltungsakte können mit Nebenbestimmungen versehen werden. Die allgemeine Vorschrift hierfür ist § 36 VwVfG, wobei wiederum zahlreiche spezialgesetzliche Regelungen existieren. Man unterscheidet fünf Arten von Nebenbestimmungen:


1.Befristung: Bestimmung, nach der eine Vergünstigung oder Belastung zu einem bestimmten Zeitpunkt beginnt, endet oder für einen bestimmten Zeitraum gilt (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG);


2.Bedingung: Bestimmung, nach der der Eintritt oder der Wegfall einer Vergünstigung oder einer Belastung von dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängt (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG);


3.Auflage: Eine Bestimmung, durch die dem Begünstigten ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird (§ 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG);

Hinweis

Der Unterschied zwischen Auflage und Bedingung besteht darin, dass bei einer Auflage die Regelung des Verwaltungsakts sofort gilt, die Behörde die Auflage aber notfalls gesondert durchsetzen kann („die Auflage zwingt, suspendiert aber nicht“). Bei einer (aufschiebenden) Bedingung muss der Adressat die Bedingung zwar nicht herbeiführen, so­lange die Bedingung nicht erfüllt wurde, ist der Verwaltungsakt aber unwirksam („die Bedingung suspendiert, zwingt aber nicht“).


4.Vorbehalt der nachträglichen Aufnahme, Änderung oder Ergänzung einer Auflage (sog. Auflagenvorbehalt, § 36 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG);


5.Vorbehalt eines Widerrufs (sog. Widerrufsvorbehalt, § 36 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG).

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